Jack Weaver - Die Prähistorischen Sechs von Schilly ================================================================================ Kapitel 1: Böses Erwachen ------------------------- Böses Erwachen Jack träumte. Er war an einem Ort, an dem es stockdunkel war. Er konnte kaum etwas von seiner Umgebung erkennen, doch es schien eine Art Höhle zu sein. Doch es war nicht die Tropfsteinhöhle. Diese hier war anders. Irgendwie unwirklich. Jack konnte kaum etwas erkennen. Von irgendwo aus dem Gestein kam merkwürdiges Licht, das die Höhle aber wenig erleuchtete. Alles war in einen undurchdringlichen Schatten gehüllt. Es war schwül und in der Luft lag der Geruch von verfaulten Pflanzen. Aus der Ferne drangen Geräusche in sein Ohr. Es hörte sich an als würde ein Riese laut ein und aus atmen. Ab und zu fielen kleine Steine zu Boden, als ob sich in der Dunkelheit irgendetwas bewegte. Jack bekam es langsam mit der Angst zu tun. Er versuchte mehr zu erkennen. Die Höhle schien ein einziger langer Gang zu sein, der in beiden Richtungen in die Dunkelheit führte. Er wusste nicht wohin er gehen musste und wählte einfach den Gang zu seiner Rechten. Vorsichtig tastete er sich voran, doch der Boden schien relativ eben zu sein und es stand auch nichts im Weg, über das er hätte stolpern können. Ihm fiel nur auf das bei jedem Schritt irgendetwas unter seinen Schuhen knirschte. Er bückte sich und hob kleine, weiße Scherben auf. Im diffusen Leicht erkannte er sie als die Überreste kleiner Muscheln und Ammoniten. Ganz genau so wie die, die in den Tropfsteinhöhlen gelegen hatten. Nur waren diese hier nicht versteinert. Hinter seinem Rücken knackte es. Aus den Augenwinkeln erkannte Jack, dass sich irgendetwas bewegt hatte. Vor Schreck ließ er die Muschelscherben fallen und wich an die Wand zurück. „Ist da jemand?“, fragte er laut. Das war vielleicht dumm, weil er dadurch die Aufmerksamkeit möglicher Angreifer auf sich zog. Doch Jack hatte den schrecklichen Verdacht dass das nun auch schon egal war. Aber er erhielt keine Antwort. „Hallo?“, rief er noch einmal etwas leiser. Doch es blieb still. Nur das seltsame Atmen erklang noch von irgendwo. Jack atmete tief durch und wollte gerade weiter gehen, als er doch noch etwas anderes hörte. Ist er das? Anscheinend schon. Seht euch dieses ängstliche kleine Ding an. So ein Schwächling? Schaut nur. Ein Wunder, dass er noch am leben ist. Nur Haut und Knochen. Ein halbes Hemd. Du weißt dass es darauf nicht ankommt. Er sieht lecker aus. Wir sollten ihn einfach übernehmen. Dazu sind wir noch viel zu schwach. Jack holte tief Luft und versuchte nicht in Panik zu verfallen. Er hörte die Stimmen klar und deutlich, aber es war niemand zu sehen, zu denen sie gepasst hätten. Vielmehr waren sie direkt in seinem Kopf und sprachen zu ihm, ohne den Umweg über seine Ohren zu nehmen. Anscheinend wurde er von den Besitzern der Stimmen beobachtet. Es waren mindestens Drei, denn es waren drei grundverschiedene Stimmlagen. Seht nur wie verwirrt er aussieht. Wirklich erstaunlich. Er scheint das alles erschreckend gut wegzustecken. Er müsste schon längst tot sein. Seid doch froh, so kommen wir auch mal wieder raus. Heißt das, ich darf ihn nicht übernehmen? Seht ihn euch an, der macht es nicht mehr lange, so dürr wie der ist. „Wer seid ihr?“, rief Jack ängstlich. Kann er uns etwa verstehen? Nein, das ist unmöglich. Er dürfte nicht in der Lage sein unsere Stimmen zu vernehmen. Er weiß gar nicht, wie das geht. „Ich kann euch sehr gut verstehen.“, sagte Jack laut. Die Stimme desjenigen, der Jack lecker fand und ihn übernehmen wollte, lachte boshaft. Ich kümmere mich um ihn. Immerhin steckt er in meinem Bereich fest. Dann waren die Stimmen plötzlich wieder verschwunden. Jacks Herz hämmerte in seiner Brust. Angst schnürte ihm die Kehle zu und er konnte nicht mehr richtig atmen. Diese Stimmen waren unheimlich gewesen. Sie waren nicht die Laute eines normalen Wesens. Irgendetwas an ihnen war alt und mächtig gewesen. Der Besitzer der Stimme, der sich um ihn kümmern wollte, hatte sich dabei am boshaftesten angehört. Jack lauschte. Das laute Atmen war verstummt und einer gruseligen Stille gewichen. Plötzlich wurde ihm klar, dass es besser war loszulaufen. Er stieß sich von der Wand ab und rannte los so schnell er bei dem schwachen Licht konnte. Unter ihm zerbrachen die Muscheln und Ammoniten und verrieten seine Position. Aber er war sich sicher, dass das, was auch immer hinter ihm her war, in dieser Höhle bestens sehen konnte. Du bist flink, aber das wird dir nichts nützen. Da war sie wieder. Jack erschrak sich so sehr, dass er fast gestolpert wäre. Doch er fing sich schnell und lief weiter. Plötzlich hatte er das Gefühl, das dicht hinter ihm etwas lief. Er drehte sich um und wünschte sich im gleichen Augenblick, er hätte es nicht getan. In der Höhle hinter ihm kam ein rotglühendes Licht auf ihn zu. Und mitten im Lichtkegel grinste ihm eine Fratze entgegen, die ständig ihre Gestalt änderte. Mal war sie menschlich, dann hatte sie plötzlich riesige Zähne, dann war sie auf einmal der Kopf eines grässlichen Ungetüms. Das rote Licht war viel zu schnell. Wie ein Zug kam es auf Jack zu. Hab ich dich! Jack schrie. Er öffnete die Augen und blinzelte. Zwei bernsteinfarbene Augen blinzelten zurück und er erschrak sich. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er das Etwas, das auf seiner Brust lag, zur Seite und wich zurück, bis er mit dem Rücken an eine Wand stieß, was äußerst schmerzhaft war. Sein Rücken fühlte sich an als hätte man ihn mehrmals mit einem Rohr durchbohrt und seine Augen waren nicht bereit, ein scharfes Bild von seiner Umgebung zu zeigen. Er rieb sie sich und schaute an sich herunter. Anscheinend lag er auf einer Art Liege, wie sie oft von Ärzten zum Untersuchen ihrer Patienten benutzt wurden. Er war bis auf die Boxershorts völlig nackt und immer noch waren auf seinem Oberkörper die blauen Flecken zu sehen. Doch sein Blick war so verwaschen, das er nicht erkennen konnte, wie schlimm es wirklich um ihn stand. Er blickte sich um und versuchte zu erkennen, wo er war. Gott sei Dank schien er diesmal in keiner Höhle gelandet zu sein. Er befand sich in einem großen Raum mit grellweißen Tapeten, ebenso weißen Schränkchen und einem weißen Waschbecken in der Ecke des Raumes. Auf den Schränken lagen allerlei Instrumente, wie sie Ärzte immer benutzten: Holzstäbchen, Stethoskope in verschiedenen Größen und Verpackungen, auf denen die Namen irgendwelcher Medikamente und Mittelchen standen. Er war im Zimmer eines Arztes, soweit er das beurteilen konnte. Sein nächster Gedanke galt den vergangenen Ereignissen. Was war passiert, nachdem er ohnmächtig geworden war? Wer hatte den Kampf gewonnen? Hatte Corona ihren Willen bekommen und G.I. Joe umgebracht? Und was noch sehr viel wichtiger war: Wie ging es Jonas und wo war er? Im Raum war Jack auf jeden Fall alleine. Zumindest dachte er das. Doch dann zischelte irgendetwas und das Ding, das Jack zuvor zu Boden gewischt hatte, schlängelte sich über eines der Standbeine zurück auf die Liege. Jack rückte wieder zur Wand, was er im nächsten Augenblick bereute, denn stechende Schmerzen jagten seine Wirbelsäule hinunter. Vor ihm saß eine zwei Meter lange, hellbraune Schlange. Sie hatte ein schwarzes Zackenmuster auf ihrem langen Rücken und in ihrem dreieckigen Kopf lagen bernsteinfarbene Augen, die Jack anglotzten. Matilda, der Junge ist aufgewacht. Er erschrak. Wieder eine der Stimmen, die er nur in seinem Kopf hören konnte, wie in seinem Traum. Doch dann bemerkte er, dass diese eine Stimme nicht zu den Vielen gehörte, die er in seinem Traum gehört hatte. Und sie war auch nicht so beunruhigend. Sie strahlte nicht die gleiche Macht aus. Im gleichen Moment kam ihm der Verdacht, dass die Stimme der Schlange gehört haben könnte. Sie hätte zumindest gut zu ihr gepasst. Was glotzt du so blöd? Jacks Augen wurden groß. „Du… Du kannst sprechen?“ Ist ja nicht so schwer, oder? Immerhin kannst du Primitivling auch sprechen. „Ja… Aber ich bin ein Mensch. Mit Stimmbändern und so.“, sagte Jack. Ihm gefiel der Ton nicht, mit dem die Schlange zu ihm sprach und wunderte sich schon fast nicht mehr, dass sie diese Fähigkeit überhaupt hatte. Ihr Affen mit euren Stimmbändern, glaubt wohl ihr seid was Besseres, was? Hör mal, ich habe keine Stimmbänder und kann trotzdem sprechen. Überbiete das! „Ähm…“ „Sei nicht so unhöflich, Crux. Der arme Junge. Kaum ist er aufgewacht schon gehst du auf ihn los.“, mischte sich plötzlich eine neue Stimme ein. Jack schaute zur Tür, die gerade von einer jungen Ärztin geschlossen wurde. Sie trug einen weißen Kittel über einem roten Sommerkleid, hatte ein freundliches Gesicht und ihre dunkelblonden langen Haare zweigeteilt und vor ihrer Brust zu einem Zopf geflochten. Sie erinnerte Jack sofort an seine Mutter, was ihn schlagartig etwas beruhigte. Mit festen Schritten kam sie auf ihn zu, wobei sie ein Klemmbrett in der Hand hielt, das sie mit fachmännischem Blick überprüfte. Als sie bei ihm angekommen war streckte sie lächelnd ihre Hand aus. Er hat mich einfach auf den Boden geworfen!, beschwerte sich die Schlange, doch die Ärztin ignorierte das einfach. „Doktor Matilda Rain. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.“, sagte sie mit ihrer wohl klingenden Stimme. „Danke. Ich heiße Jack Weaver.“, antwortete Jack und schüttelte ihr die Hand. „Wie geht es dir, Jack?“ „Relativ gut, denke ich. Nur mein Rücken tut höllisch weh.“ Seine Wirbel und sein Nacken sind noch völlig verspannt, weil er bei der Absorbierung heftige Krämpfe hatte. Aber das wird sich bald lösen. Die Schlange schien ziemlich gut Bescheid zu wissen. Doktor Rain notierte sich etwas auf ihrem Klemmbrett und lächelte Jack dann an. „Wunderbar.“, sagte sie. „Anscheinend sind deine Knochenbrüche sehr gut geheilt. Und auch deine anderen Blessuren scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben.“ Sie hielt ihre Hand auf die Liege und die Schlange setzte sich in Bewegung. Das Tier krabbelte in ihren Ärmel und schien sich darin in Luft aufzulösen. „Was war das für eine Schlange, wenn ich fragen darf? Haben Sie sie auch sprechen gehört?“, fragte Jack verblüfft. „Das war Crux, mein ständiger Begleiter und mein Assistent. Er ist eine Kreuzotter und mein Zodiac. Und ja, ich habe ihn auch gehört. Jeder kann seine Stimme hören, wenn er es denn will.“, erklärte Doktor Rain lächelnd. „Sie haben eine Kreuzotter als Assistent?“ „Ja. Das mag für dich vielleicht noch seltsam klingen, aber du wirst dich daran gewöhnen.“ Anscheinend hatte diese Ärztin eine Vollmeise. Jack fragte sich, ob sie nicht gefährlicher war als sie aussah. Doch dann fiel ihm ein dass er die Stimme auch gehört hatte. Demnach hätte er auch eine Vollmeise haben müssen. „Wo bin ich hier?“ „In der Krankenetage im nördlichen Haus der deutschen Zodiac Akademie. Du wurdest von Falk Trevis hierher gebracht, weil du in einem Kampf verwundet wurdest und nicht bei Bewusstsein warst.“ Also war der Kampf von G.I. Joe und dieser Corona kein Teil seines Traumes gewesen. Er war wirklich geschehen und Jack war dabei wirklich verletzt worden. Er runzelte die Stirn. Was war die Zodiac Akademie? Er fragte nach. „Eine Art Ausbildungsstätte für Zodiacträger. Normalerweise hättest du in ein normales Krankenhaus gebracht werden müssen, doch wegen dem… Zwischenfall wurdest du zu uns gebracht.“, erklärte Doktor Rain hilfsbereit, doch diesmal schien sie etwas zu bedrücken. „Was für ein Zwischenfall denn?“ Sie deutete auf Jacks Brustkorb und er schaute noch einmal an sich herunter. Im nächsten Moment sprang er auf und eilte zum Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Einige Sekunden betrachtete er sich und konnte nicht fassen, was er da sah. „Sie haben mich tätowiert?“, fragte er entsetzt. Das, was am Anfang für blaue Flecken gehalten hatte, waren in Wirklichkeit Tattoos. Auf seinem Bauch, in Höhe des Solarplexus, prangte nun ein schwarzer Vogel mit prächtigen Schwingen und einem scharfen Schnabel. Er war stilisiert und sah aus wie eine Zeichnung, die man auf Wänden von alten aztekischen Tempeln hätte finden können. Der Vogel hatte seine Schwingen ausgebreitet deren Spitzen in Klauen ausliefen. Am auffälligsten waren die Schwanzfedern dieses merkwürdigen Vogels. Eine reichte bis zu Jacks Kehle hinauf, eine andere reichte bis in den Lendenbereich hinein und endete irgendwo unter den Boxershorts. Aber auch seine Arme waren tätowiert. Auf seinem rechten Arm war im gleichen Stil eine Art zweibeinige Echse mit einem breiten Kopf mit zwei kleinen Hörnern und scharfen Zähnen abgebildet. Ihr Körper war in Flammen gehüllt. Auf seinem linken Arm war auch eine Echse zu sehen. Sie hatte einen ovalen Kopf, einen übertrieben langen Hals und vier Flossen, an einem plumpen runden Körper. Es sah ein wenig aus wie man sich das Ungeheuer von Loch Ness vorstellte. Dieses Tier war von wellenförmigen Linien umgehen, die wohl Wasser symbolisierten. „Sie können mich doch nicht einfach tätowieren, während ich ohnmächtig bin!“, rief Jack entsetzt und rubbelte über die schwarzen Zeichnungen, als könne er sie damit entfernen. „Hör zu, ich kann das erklären. Ich…“ „Nein, Sie sind doch irre! Eine Ärztin, die mit Schlangen spricht und fremde Leute tätowiert. Was wollen sie von mir?“, unterbrach Jack sie aufgebracht. „Beruhig dich erst einmal. Ich kann gut verstehen, dass du aufgebracht bist, aber dafür gibt es eine gute Erklärung.“ „Die will ich gar nicht hören! Lassen sie mich hier sofort raus!“ Jetzt halt dein Maul und hör zu, du Idiot! Das war die Stimme von Crux und sie war so schneidend, dass es Jack die Sprache verschlug. Er zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Doktor Rain kam jetzt auf ihn zu, packte ihn sanft an den Schultern und führte ihn zurück zur Liege. Jack setzte sich und starrte die Ärztin an, die ziemlich bedrückt aussah. „Erinnerst du dich an die ovalen Steine, die du in der Tropfsteinhöhle gesehen hast?“, fragte sie dann. „Diese sechs prähistorischen Steine? Ja, kurz bevor ich ohnmächtig geworden bin habe ich sie noch gesehen. Diese Corona war hinter ihnen her, nicht wahr?“ „Ja und auch Falk wollte sie haben. Es waren keine gewöhnlichen Steine. In jedem war jeweils ein Zodiac eingeschlossen.“ „Ein was?“ „Zodiacs sind so etwas wie Tiergeister. Die Essenz der Natur, die in diese kleinen ovalen Steine eingeschlossen wurde. Es sind unheimlich mächtige Artefakte, die in den falschen Händen fatale Mächte heraufbeschwören können. Crux ist auch ein Zodiac.“ Anscheinend hatte diese Frau tatsächlich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Jetzt faselte sie irgendetwas von der Essenz der Natur und Steinen, die Mächte in sich verbergen. Welcher Sekte gehörte sie an? Jack glaubte ihr nicht, doch er beschloss ihr weiter zuzuhören. Vielleicht machte das Ganze an irgendeiner Stelle doch noch Sinn. „Das waren also Zodiacs wie diese sprechende Kreuzotter. Schön. Aber was hab ich jetzt damit zu tun?“, fragte er so ruhig wie möglich. „Berührt ein Mensch einen Zodiacstein, so absorbiert er ihn auf der Stelle und der Zodiac verschmilzt mit ihm.“, behauptete Doktor Rain jetzt und Jack runzelte seine Stirn. „Und weiter?“ Sie zögerte und machte ein unglückliches Gesicht. „Jack, es war ein Unfall. Niemand hätte gewollt dass das passiert, aber als du in der Höhle in die Grube gefallen bist, landetest du direkt auf den Zodiacsteinen.“ Jack starrte sie ungläubig an. Dann grinste er schief und lehnte sich zurück. „Sie wollen mir sagen, dass ich diese Steine in meinen Körper aufgenommen habe und jetzt einen Zodiac in mir trage?“ „Fünf Zodiacs.“, korrigierte Doktor Rain bedrückt. „Fünf…?“ „Ja, normalerweise kann ein Mensch nur einen einzigen Zodiac in sich aufnehmen. Doch irgendwie hast du gleich fünf Steine absorbiert und bist damit der erste Träger, dem es gelungen ist, mehrere Zodiacs in sich aufzunehmen.“ Jack starrte sie an als hätte sie ihm gerade erzählt, dass er zum Kaiser von China ernannt worden war. „Und die Tattoos? Was haben die damit zu tun?“ „Sie sind das Zeichen, dass ein Mensch der Träger eines Zodiacs ist. Sieh nur.“ Sie zog das rote Sommerkleid ein wenig hoch und zeigte dann die Seite ihres Oberschenkels. Tatsächlich war darauf ein Tattoo im gleichen Stil wie die von Jack zu sehen. Eine in einer Spirale liegende Schlange mit Zackenmuster auf dem Rücken. Jack wusste dass sein Mund aufstand und er ziemlich doof aussehen musste, doch das war ihm im Moment egal. Er fing an dieser Frau zu glauben und versuchte einzuordnen, was er so eben gehört hatte. Dann fiel ihm was ein. „Ich habe fünf Zodiacs, aber nur drei Tattoos. Wie kommt das?“ Der Idiot hat sich noch nicht richtig angeschaut, feixte Cruxs Stimme in seinem Kopf und Jack suchte sofort seinen restlichen Körper ab. Dann entdeckte er auch die restlichen beiden Tattoos. Auf seiner rechten Wade war eine Echse zu sehen, die einen Kopf wie ein runder Ritterschild und einen schweren Körper mit dicken Beinen hatte. Ihr wuchsen zwei große Hörner aus der Stirn und ein Kleines aus der Nase. Unter ihren Beinen waren Risse zu erkennen, wie die Risse im Boden nach einem Erdbeben. Auf seiner linken Wade war ein Tier abgebildet, das einen kleinen Körper mit einem spitzen Kopf hatte, der geformt war wie ein langer Speer. An den Seiten des Körpers waren breite, spitze Flügel angebracht. Geschwungene Linien symbolisierten Wind, der über die Schwingen strich. Jack stöhnte und lehnte sich zurück auf die Liege. Das war eindeutig zu viel auf einen Schlag. Doktor Rain beobachtete ihn besorgt und wieder erinnerte sie ihn an seine Mutter. So saß sie immer an seinem Bett, wenn er krank war. Der Gedanke, dass irgendwelche merkwürdigen Tiergeister wie Parasiten in seinem Körper lebten, war nicht gerade beruhigend. Aber abgesehen von den Tattoos schienen sich die Biester gar nicht bemerkbar zu machen, so wie es Doktor Rains Schlange Crux tat. Oder vielleicht doch? Jack dachte an die Stimmen, die er im Traum gehört hatte, und bekam eine Gänsehaut. Ihm fiel wieder ein, was die Stimme gesagt hatte, die dieser merkwürdigen roten Lichtfratze gehört hatte. Sie wollte seinen Körper übernehmen. Jack lief es eiskalt den Rücken runter und er beschloss, einfach nicht mehr darüber nachzudenken. Ihm fiel noch etwas anderes auf. „Waren es nicht sechs Steine? Warum habe ich dann nur fünf Zodiacs in mir?“, fragte er. Nur Fünf Zodiacs? Für wen hält sich der Kleine eigentlich? Hat schon mehr als alle anderen und beschwert sich trotzdem noch!, zischte Crux aus dem Nirgendwo. „Wir vermuten, dass du fünf der sechs Steine gleichzeitig mit deinem Rücken getroffen hast. Deswegen konnten sie alle gleichzeitig von deinem Körper absorbiert werden. Den sechsten Stein hast du schlicht und ergreifend verfehlt.“, erklärte Doktor Rain ohne weiter auf Crux zu achten. „Und was ist damit passiert?“ „Das kann ich dir nicht sagen. Morgen wird Falk Trevis dich besuchen kommen, dann kannst du dich mit ihm darüber unterhalten.“ Falk Trevis war G.I. Joe, wenn Jack sich richtig erinnerte. Er dachte an den Kampf zwischen ihm und Corona. Was wohl passiert ist während er ohnmächtig war? Plötzlich fiel ihm Jonas wieder ein, den er bei all den Neuigkeiten fast vergessen hatte. „Was ist mit meinem Freund passiert? Mit Jonas? Ist er auch hier?“ Doktor Rain blickte ihn verwundert an und schien keine Ahnung zu haben, wovon er redete. „Ich weiß nichts von einem Jonas.“ „Das kann nicht sein. Er war auch dort. Er wurde fast von dieser Corona getötet!“ Als Doktor Rain sah, wie aufgebracht Jack war, schüttelte sie traurig den Kopf. Sie legte ihre Hand sanft auf seine Schulter, was ihn komischerweise sofort etwas beruhigte. „Es wird schon alles in Ordnung sein mit deinem Freund, Jack.“, sagte sie genau so, wie es seine Mutter getan hätte und Jack konnte nicht anders, als ihr erst einmal zu glauben. Matilda, du hast noch andere Patienten. „Ja ich weiß, Crux.“, sagte sie und schenkte Jack ein letztes Lächeln. Dann wandte sie sich um und ging zur Tür. Bevor sie raus ging drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Es wird schon alles gut sein, Jack. Meine Assistentin wird dir gleich was zu Essen und Kleidung bringen. Wir sehen uns morgen wieder.“ Damit verließ sie das Krankenzimmer und Jack fühlte sich einsamer als jemals zuvor. Kapitel 2: Alltag ----------------- Alltag Drei Tage zuvor: Jack fühlte wie warmes Blut aus seiner Nase floss. Der Schmerz in seinem Gesicht war wie eine spitze Nadel, die sich langsam in sein Gehirn bohrte. Das Blut rauschte durch seinen Körper und hinterließ ein schrilles Klingeln in seinen Ohren. Doch er wich auch dem nächsten Schlag nicht aus. Sein Gegenüber rammte ihm die Faust mitten auf das rechte Auge und diesmal verlor er das Gleichgewicht. Mit einem dumpfen Prall landete er auf dem gepflasterten Boden auf dem verlassenen Hinterhof der Schule. Eine Sekunde später war die Luft von lautem Gelächter erfüllt. Neben Jack wimmerte eine ängstliche Person: Jonas. „Jack, alles in Ordnung?“, fragte er heiser. Ein Fuß trat Jack mit aller Wucht in den Magen. „Steh auf, du Loser. Tust immer so cool und verlierst schon nach zwei Schlägen das Bewusstsein. Du bist echt sone Pussy.“, sagte sein Peiniger selbstsicher und seine zwei Gefährten lachten aus sicherer Entfernung wieder auf. Jack beschloss dass es vermutlich besser wäre einfach still liegen zu bleiben. Er hatte schon genug eingesteckt. Sein Gesicht schmerzte als hätte es jemand mit einem Dampfhammer bearbeitet. Vielleicht war seine Nase gebrochen. Er spürte, dass immer noch warmes Blut heraus floss und sein ganzes Gesicht verklebte. Der Tritt in den Magen war auch nicht von schlechten Eltern gewesen. Vielleicht zogen sie ja einfach davon, wenn sie merkten, dass er völlig fertig war. Doch natürlich taten sie das nicht. Der Anführer der Bande, sein Name war Arko, setzte seinen rechten Turnschuh auf Jacks Brust wie ein Jäger, der erfolgreich ein Beutetier erlegt hatte. Er grinste auf ihn herab, wobei ein Plastikdiamant aufblitzte, den er sich auf einen seiner Zähne hatte kleben lassen. „Wie kann man nur so ein verdammter Loser sein?“, flüsterte Arko mehr zu sich selbst als zu jemand anderen. „Na gut, wenn du nicht mehr kämpfen willst, dann muss jetzt eben doch dein kleiner Freund dran glauben.“ „Nein!“, schrie Jonas entsetzt. Ein kleiner Wink mit dem Finger genügte, damit sich Arkos beiden Schläger in Bewegung setzten. Grinsend und spielerisch mit den Fingern knackend gingen sie auf Jonas zu. Jack sah aus dem Augenwinkel wie sein Kumpel vor Angst zitterte und leise wimmerte. Jonas würde sich nicht wehren und noch schlimmer hingerichtet werden wie er. „Wartet.“, sagte Jack ruhig und regte sich nun wieder. Arko grinste und bedeutete seinen beiden Schlägern still zu stehen. „Ja?“, sagte er dann vergnügt. „Lasst ihn in Ruhe.“, antwortete Jack mit fester Stimme. Er machte Anstalten aufzustehen und Arko ließ ihn gewähren. Jack brauchte einen Moment länger um sich aufzurichten. Sein Gleichgewichtssinn spielte verrückt, doch letztendlich gelang es ihm. Er tat so als hätte er keine Schwierigkeiten gerade zu stehen und steckte seine Hände lässig in die Hosentasche. Arkos Grinsen wurde immer breiter. Anscheinend ging ihm bei diesem Anblick das Herz auf. „Seht euch das an, Jungs. Der große starke Jack Weaver opfert sich um seinem geliebten Schwuchtelfreund zur Hilfe zu eilen.“, feixte Arko und seine Spießgesellen brachen abermals in lautes Gelächter aus. Doch Arko verging schließlich das Lächeln. „Nenn mir einen guten Grund warum wir diesen fetten Arsch nicht verprügeln sollten, Weaver.“, forderte er. „Weil ihr mich wollt.“, antwortete Jack. „Da hast du nicht ganz unrecht. Ehrlich gesagt macht es mir auch viel mehr Spaß dich zu verprügeln.“, gab Arko dann zu und kam wieder ein paar Schritte näher. „Du gehst mir ganz gewaltig auf die Nüsse, Weaver. Tust immer so cool, spielst den großen Retter und lässt dich dann einfach verkloppen. Große Klappe, nichts dahinter.“ „Soweit ich mich erinnern kann habe ich nie behauptet gut kämpfen zu können.“, sagte Jack in einer Stimmlage, wie man sie normalerweise in einem Kaffeeplausch benutzte. „Ich hätt mir denken können dass du nichts auf dem Kasten hast. Man verweichlicht wenn man aus so einer kaputten Familie kommt und nur ne halbtote Mama hat. Lebt sie überhaupt noch, deine Mami?“ Automatisch presste Jack seine Zähne aufeinander. Er spürte wie sich seine Muskeln spannten und seine Hände sich in den Hosentaschen zu Fäusten ballten. Arko hatte gerade ein empfindliches Thema angeschnitten. Heißes Blut rauschte durch seinen Körper und versorgte ihn mit Adrenalin. Eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass er einfach zuschlagen sollte. Arko stand völlig schutzlos vor ihm. Seine Faust hätte ihn direkt treffen können. Doch eine andere Stimme sagte ihm, dass er an seine Mutter denken sollte. Die Lehrer waren auf Arkos Seite. Wenn Jack sich prügelte würde das mit Sicherheit Konsequenzen haben. Und weiß Gott wie seine Mutter das aufnehmen würde. Jack funkelte sein Gegenüber wütend an und bebte vor Wut am ganzen Körper. Arko schien das zu bemerken und freute sich darüber. Sein gemeines Grinsen kehrte wieder zurück. „Und schon fällt seine coole Fassade.“, sagte er. „Lass ihn gefälligst in Ruhe.“, wimmerte Jonas mit zittriger Stimme. Arko wandte sich ihm zu. „Sieh an, die Made hat auch noch was zu sagen. Hast du Angst das wir deinen Freund umbringen und er dir keinen mehr blasen kann?“ Plötzlich drehte Arko sich um und packte Jack grob am Kiefer. Er drückte zu und zog den Kopf weiter an sein Gesicht heran. Jonas quiekte vor Aufregung. Jack schaute seinem Gegner trotz seiner Lage selbstsicher entgegen. „Das tut ihr doch, ihr kleinen Schwuchteln.“, knurrte Arko wie ein aggressiver Köter. „Hängt andauernd zusammen rum. Der Fettsack folgt dir ja wie ein kleines Hündchen. Da läuft doch mit Sicherheit was zwischen euch beiden.“ Ein leichtes Lächeln erschien in Jacks Gesicht. „Du musst es ja wissen, immerhin hängst du auch immer mit zwei Kerlen rum.“, sagte er. Einen Fehler durfte man in einer solchen Situation nicht machen, wenn man weiterleben wollte. Wenn die Gegner in der Überzahl und äußerst kampfstark waren, sollte man sie lieber nicht unnötig provozieren. Arko war nicht dumm und verstand die Andeutung sofort. Er riss Jacks Schädel brutal zur Seite und schleuderte ihn ein weiteres Mal zu Boden. Ein kleiner Wink mit der Hand und seine Schläger waren heran und begannen in geübter Routine damit, ihre Füße in seinem Körper zu versenken. Nach einem halben Dutzend harter Tritte wurde Jack schwarz vor Augen. „Das reicht.“, sagte Arko und die Pein hörte sofort auf. Jacks ganzer Körper schmerzte und am liebsten wäre er völlig in die süße Dunkelheit der Ohnmacht versunken. Doch gönnte sein Körper ihm das nicht. Jonas Wimmer drang nur schwach an sein Ohr und auch Arkos Stimme hörte er nur gedämpft, als würde sie von weit weg kommen. „Lasst uns gehen.“, sagte er zu seinen beiden Schlägern, „Der hat genug für heute. Wir haben die nächsten Tage noch genug Zeit die beiden endgültig fertig zu machen.“ Und damit gingen die drei Schläger einfach davon und eine Welle der Erleichterung durchflutete Jacks Körper. Am liebsten wäre er nun einfach liegen geblieben und hätte eine Runde geschlafen. Doch natürlich war da noch Jonas, der sich endlich traute näher zu kommen. „Jack?“, fragte er unsicher, „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Natürlich war nicht alles in Ordnung. Sein Magen und das Gesicht schmerzten und immer noch quoll Blut aus seiner Nase. Außerdem war er sich nicht sicher ob die Tritte nicht ernsthafte Schäden hinterlassen hatten. Jack wollte sich nicht bewegen, weil er Angst hatte das ihm dann irgendein Körperteil abfiel. „Geht schon.“, log er und setzte sich langsam auf. Ob es nun daran lag dass Jack sich überhaupt noch bewegen konnte oder daran dass er die Lüge glaubte, Jonas sah sehr erleichtert aus. Sein Freund half Jack auf die Beine zu kommen und reichte ihm dann ein Taschentuch, damit er das Nasenbluten endlich eindämmen konnte. Jack prüfte, ob er irgendwelche schwereren Blessuren davon getragen hatte, aber anscheinend waren keine Knochen gebrochen oder Schlimmeres. Doch am nächsten Tag würde er wohl als ein Blau-Flecken-Männchen aus seinem Bett aufstehen. „Es tut mir so schrecklich Leid.“, sagte Jonas nun und klaubte ihre beiden Rucksäcke vom Boden auf. Jack wollte ihm seinen abnehmen, doch Jonas wollte ihn aus Dank für ihn tragen. Die beiden Freunde verließen den Hinterhof der Schule schließlich, wie sie es jeden Tag taten. Nur dass Jack diesmal leicht humpelte und sich zusammenreißen musste nicht bei jedem Schritt einen kleinen Schmerzensschrei auszustoßen. Die kleine Straße, durch die sie gingen, war so gut wie menschenleer. Die meisten Schüler verließen das Schulgebäude durch den Vorderausgang um dann zur Nahen Bus- oder U-Bahn Station zu gelangen. Es war ein heißer Sommertag und die Sonne schickte ihre Strahlen unerbittlich auf Berlin herab. Die beiden Freunde wohnten nicht weit weg von der Schule in ein und demselben Plattenbau. „Es tut mir so Leid, Jack.“, beteuerte Jonas nun zum vierten Mal in den letzten fünf Minuten. „Macht dir keine Gedanken. Ich leb ja noch.“ Jonas nickte bekümmert. Er litt anscheinend sehr darunter, dass er nicht den Mut aufbringen konnte zu helfen. Er war ein Außenseiter an ihrer Schule und häufig das Opfer von Mobbing und Schlägern. Den Mitschülern passte sein Aussehen nicht. Er war etwas übergewichtig, hatte ein rundes Gesicht, kleine, nässende Augen und viel zu große Ohren. Außerdem hatte er schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren eine hohe Stirn, weil ihm sein blondes Haar langsam ausfiel. Hinzu kam sein zurückhaltender Charakter. Jonas war schüchtern und ruhig und von daher das perfekte Opfer für jeden Fiesling. Jack wusste, dass sein Kumpel darunter litt. Jonas hatte kein hohes Selbstwertgefühl. Aber er war auch freundlich und hilfsbereit und wenn man ihn besser kannte, legte er seine Schüchternheit ab und war ein sehr lustiger Kerl. Deshalb mochte Jack ihn. Und deshalb waren sie seit knapp neun Jahren seit der ersten Klasse die besten Freunde. Jonas hatte es nicht verdient so geärgert zu werden. Das war der Grund warum Jack schon öfter in einer solchen Verfassung das Schulgelände verlassen hatte. Schon immer hatte er Jonas in solchen Situationen beschützen müssen. Der Gang nach Hause verlief im stillen Schweigen. Jedes Mal nach einer solchen Auseinandersetzung schien Jonas keine Worte zu finden. Wie immer versuchte er ab und an ein Gespräch zu eröffnen, überlegte es sich vor lauter Scham im letzten Moment aber doch anders. Jack versicherte ihm dass alles in Ordnung sei und er kein schlechtes Gewissen zu haben bräuchte, doch Jonas nahm sich diese Dinge jedes Mal wieder zu Herzen. Die beiden Freunde erreichten den Plattenbau und stiegen in den Aufzug. Jack drückte die Drei und die Tür schloss sich summend. Mit einem Ruck setzte sich der alte Fahrstuhl in Bewegung und hielt einige Sekunden später mit einem weiteren Ruck in Stockwerk Drei an. Die Tür glitt auf und Jonas trat auf den Flur, in dem drei Türen zu drei verschiedenen Wohnungen führten. „Es tut mir Leid.“, sagte er noch einmal und reichte Jack seinen Rucksack. „Hör auf dich zu entschuldigen.“, sagte er. „Tut mir… In Ordnung. Kommst du nachher vielleicht kurz vorbei? Wir könnten eine DVD gucken.“ „Geht nicht. Mama geht es in den letzten Tagen nicht so gut.“ „Oh.“, sagte Jonas und Enttäuschung stand in sein rundes Gesicht geschrieben. Anscheinend war dieses Angebot als Wiedergutmachung gemeint und Jack hätte es gerne angenommen. Aber Tatsache war dass die Schmerzen nach dem Weg nach Hause nicht einfach verschwunden waren. Das es seiner Mutter in letzter Zeit schlecht ging war eine Notlüge gewesen, die Jonas sofort durchschaut hatte. „Na gut.“, sagte Jonas mit einem schiefen Lächeln. „Dann bis morgen?“ „Ja, ich hol dich ab.“ „Gut. Bis morgen. Und… Danke noch mal.“ „Schon gut.“, sagte Jack und die Fahrstuhltür schloss sich wieder. Jack fuhr weiter in den siebten Stock und humpelte dann zur Wohnungstür. Er zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür so leise wie möglich. Wenn er Glück hatte war seine Großmutter nicht da und er konnte sich in das Badezimmer schleichen um sich sauber zu machen. Seine Mutter würde vor Sorge einen Schrecken bekommen, wenn sie ihn in diesem Zustand sah. Und Jack wollte ihre Gesundheit deswegen nicht riskieren. Ihm gelang es tatsächlich leise in die Wohnung zu schlüpfen. Es war völlig still, also war seine Großmutter tatsächlich unterwegs. Er schlich durch den engen Flur an der Zimmertür seiner Mutter vorbei, die einen Spalt weit offen stand. Er hörte wie sie gerade die Seite eines Buches umblätterte und leise hustete. Anscheinend hatte sie ihn nicht bemerkt. Er ging in das Bad und schloss die Tür leise. Dann entspannte er sich endlich und humpelte seufzend zum Waschbecken. Er drehte den Wasserhahn auf und ließ warmes Wasser in das Becken fließen. Er füllte seine Handschalen und warf es sich ins Gesicht. Die Wärme tat gut und Jack bildete sich ein, dass die Schmerzen sofort etwas gelindert wurden. Mit etwas Seife wusch er sich nun das Blut aus dem Gesicht und betrachtete sich dann im Spiegel. Sein Spiegelbild starrte zurück. Für einen 15-Jährigen hatte Jack ein eher ungewöhnliches Gesicht. In seinem jungen Alter hatte er schon sehr markante maskuline Züge, ein kräftiges Kinn und hohe Wangenknochen. In seinem Gesicht lagen dunkle Augen, eine wohl geformte Nase und schwungvolle Lippen. Er hatte kurze, dunkelbraune Haare und schmierte seinen Pony jeden Morgen mit Gel nach hinten, damit er nicht über seiner Stirn hing. An seinem Kinn zeichnete sich ein leichter Dreitagebart ab, der ihn von den meisten seiner Mitschüler, denen lediglich ein leichter Flaum wuchs, abgrenzte. Zahlreiche Liebesbriefe von heimlichen Verehrerinnen, die Jack immer wieder in seinem Schulfach fand, bescheinigten ihm eine ungewollte Attraktivität. Doch im Moment würden die Mädchen eher angewidert weglaufen. Sein rechtes Auge war schon jetzt mit einem großen, violetten Fleck gekennzeichnet und auch seine Nase nahm langsam eine ungewöhnliche Farbe an. Seine Unterlippe war eingerissen und sein dunkles Haar stand zu allen Seiten ab. Er seufzte. Dann zog er sein blutverschmiertes Baumwollhemd aus und betrachtete seinen nackten Oberkörper. Auch hier zeichneten sich schon die Schäden des Kampfes ab. Zahlreiche Blutergüsse und blaue Flecken entstanden langsam an Unterleib und Seiten. Jack zog schnell ein Hemd aus dem Wäscheeimer und warf es sich über. Wie immer knöpfte er nur die unteren Knöpfe zu und krempelte die langen Ärmel bis zum Ellenbogen hoch. Die blauen Flecken waren nicht mehr zu sehen. „Jakob, bist du das?“, rief die dünne Stimme seiner Mutter plötzlich durch das Haus. Anscheinend hatte er zu viel Krach gemacht. „Ja, Mama.“, rief er zurück und richtete sich noch schnell die Haare. Dann eilte er schnell in ihr Zimmer. Seine Mutter lag wie so oft in ihrem kleinen Bett, das in der Ecke des Zimmers stand. Sie war eine kleine, dünne Frau mit einem freundlichen, durch die Krankheit hohlwangig gewordenen Gesicht. Als Jack herein trat begannen ihre Augen mit einem Schlag zu leuchten. Sie wischte sich eine Strähne ihres dünnen braungrauen Haares aus dem Gesicht und lächelte ihren Sohn an. „Hallo Mama. Wie geht es dir?“, fragte Jack und erwiderte das Lächeln. „Hallo mein Schatz.“ Ihr Sohn trat heran und schloss sie kurz in seine Arme. „Mir geht es heute ganz gut. Ich habe gar nicht gehört wie du reingekommen bist.“, sagte sie dann. „Ich bin extra leise gewesen. Ich dachte du schläfst.“, log er. „Wie lieb von dir, aber ich war nur in ein Buch vertieft.“ Sie klopfte mit ihren dünnen Fingern auf den Einband eines großen Märchenbuches, das auf ihrem Schoß lag. Sie liebte Fantasiegeschichten. In ihrem ganzen Zimmer waren auf Tischen und Stühlen Unmengen an Büchern verteilt. Sie hatte Jack einmal erzählt dass ihr diese fantastischen Geschichten Kraft geben würden. Er vermutete das die unmöglichen Dinge, die darin beschrieben waren, ihr in irgendeiner Art und Weise Hoffnung gaben. Oft behauptete sie dass nichts unmöglich wäre und dass jede Geschichte einen wahren Kern habe. Jack glaube nicht daran, doch das ließ er seine Mutter nicht wissen. Lisa Weber war schon immer mit einem schwächlichen und anfälligen Körper bestraft gewesen. Vor einigen Jahren gab ihr Immunsystem dann gänzlich auf. Jack war zu diesem Zeitpunkt gerade mal sechs Jahre alt gewesen und solange bei seiner Großmutter untergekommen. Für ein paar Monate war nicht sicher, ob seine Mutter weiterleben konnte. Doch dann erholte sie sich etwas. Seitdem ging es ihr mal besser und mal schlechter. Jacks Großmutter war zu ihnen in die Wohnung gezogen um ihre Tochter betreuen zu können. Lisa Weber strich mit einem verträumten Blick über den Einband und wandte sich dann wieder ihrem Sohn zu. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. „Was ist passiert?“, fragte sie besorgt. Anscheinend war ihr jetzt das blaue Auge aufgefallen, das Jack ungeschickt vertuschen wollte. „Nichts Schlimmes.“, sagte er sofort und hielt sich eine Hand vor das Auge, als würde der blaue Fleck dadurch einfach verschwinden. „Jakob Weber, du sagst mir auf der Stelle, wie das passiert ist.“ Sie konnte durchaus streng sein und wirkte trotz ihres schwachen Körpers dabei sehr überzeugend. Ihre Augen funkelten vor lauter mütterlicher Fürsorge. „Ich war ein bisschen tollpatschig, als ich heute mit meinen Kumpels Fußball gespielt habe. Ich wollte mir den Ball erkämpfen und Jonas hat mich dabei aus Versehen mit dem Ellenbogen im Gesicht erwischt.“, improvisierte Jack. Die Wahrheit war dass Jack keine Kumpels außer Jonas hatte und heute auch kein Fußball gespielt hatte, aber das musste seine Mutter nicht wissen. Doch sie schien die Lüge zu durchschauen, wie es für gute Mütter üblich war. „Jonas und Fußball? Was ist wirklich passiert, Jakob?“ „Mama, mach dir einfach keine Sorgen. Es ist wirklich alles in Ordnung.“ Sie schaute ihn noch eine Weile eindringlich an in der Hoffnung dass Jack doch noch erzählte, was wirklich passiert war. Doch schließlich gab sie auf und nickte ergeben. Jack wusste dass ihr das nicht gefiel, aber sie würde nichts mehr aus ihm herausbekommen. Sie sollte sich nicht darüber aufregen, dass ihr Sohn regelmäßig beleidigt und verprügelt wurde. Er hatte Angst dass sie dadurch einen Rückfall erleiden könnte. „Wenn was Schlimmes passiert, dann musst du mir das sagen.“, sagte sie traurig. „Ich verspreche es, Mama.“ Und dann lächelte sie wieder, wie es nur sie konnte. Dann schlug sie plötzlich das Buch auf. „Wie wäre es, wenn ich dir was vorlese? Wie in den alten Zeiten.“ „Ja, gerne.“ Und sie begann zu lesen. Jack interessierte die Geschichte nicht und konnte sich besseres vorstellen als einer Geschichte zu lauschen. Doch er genoss den Klang ihrer Stimme und dass er einfach bei ihr sein konnte. Er legte sich zu ihr und lauschte. Jack ahnte nicht, dass es für lange Zeit das letzte Mal war, das er seiner Mutter so nah sein würde. Kapitel 3: Schulausflug Mit Folgen ---------------------------------- Schulausflug mit Folgen Am nächsten Tag wachte Jack mit einem schlechten Gefühl auf. Es waren nicht nur die zahlreichen Blessuren, die sich nach der letzten Nacht entschieden hatten noch heftiger zu schmerzen als gestern. Irgendwie hatte er das Gefühl das es besser gewesen wäre an diesem Tag einfach im Bett liegen zu bleiben. Doch durch diese Rechnung wurde spätestens dann ein Strich gezogen, als seine Großmutter in sein Zimmer gewackelt kam und ihm brutal die Bettdecke wegzog. „Aufwachen du unnützer Bengel!“, kreischte sie mit ihrer unangenehm hohen Stimme. Dann versetzte sie Jack einen Schlag mit der flachen Hand auf seinen nackten Bauch ohne auf die blauen Flecken zu achten. Er zuckte vor Schmerz zusammen und wollte gerade zu einer gemeinen Antwort ansetzen. Doch die alte rundliche Frau hatte sich schon wieder umgedreht und klaubte ein paar schmutzige Klamotten von dem Schlagzeug, das in seinem kleinen Zimmer fast den ganzen Platz einnahm. Stattdessen zwang er sich ein „Morgen Oma“ raus und kletterte vorsichtig aus dem Bett. Er fühlte sich, als hätte man ihm in der Nacht heimlich noch einmal verprügelt, ohne dass er es mitbekommen hatte. Die meisten seiner blauen Flecken hatten inzwischen eine violette bis blauschwarze Färbung angenommen. Seiner Großmutter schien das aber nicht wirklich zu interessieren. „Hoch jetzt! Zieh dir gefälligst was an. Du siehst unmöglich aus. Wie ein Zigeuner.“, bellte die kleine dicke Frau. Die kleine Öffnung in ihrem Rosinengesicht, die ihr Mund war, zitterte vor künstlicher Aufregung. „Du kommst mal wieder zu spät, wenn du so rumtrödelst!“, fügte sie dann hinzu. „Es wäre das erste Mal das ich zu spät komme.“ „Und das soll ich dir glauben? Du lügst doch wenn du den Mund aufmachst du frecher Kerl. Bengel wie du sind notorische Zuspätkommer! Was zum Teufel ist das?“ Sie hielt ein Stück roter Baumwolle mit schwarzem Karomuster in ihrer kleinen Hand. Der Stoff war schon leicht zerfranst und die Farben etwas ausgewaschen. „Mein Hemd?“, antwortete Jack gereizt. „Das ist kein Hemd!“, schrie sie, „Das ist noch nicht einmal ein Putzlappen. Ein räudiger Straßenköter würde diesen Fetzen nicht einmal als Decke benutzen wollen!“ Sie stopfte sich das Hemd widerwillig unter den Arm und suchte dann weiter nach Klamotten, die sie ganz abscheulich finden konnte. Jack hatte nur Sachen in der Art von diesem Hemd, was der Grund war, das seine Großmutter ihn öfter mal als dreckigen Zigeuner bezeichnete. Endlich schien sie ihre Arme voll beladen zu haben und war bereit das Zimmer zu verlassen. „Sei froh dass ich diese Lumpen für dich wasche!“, keifte sie und stolzierte aus dem Zimmer. Jack seufzte und kratzte sich den Kopf. Seine Haare standen zu allen Seiten ab. Er schaute auf den Wecker. Sechs Uhr morgens. Wie so oft hatte seine Großmutter ihn zu früh geweckt. Vor ihm lag die Bettdecke auf dem Boden. Er überlegte sich, ob er es wagen konnte noch eine Viertelstunde zu schlafen, doch da fegte die dicke Furie schon wieder durch den Türrahmen. „Deine Mutter sagt du sollst nicht vergessen deine Koffer zu packen.“, sagte sie gereizt. Jack starrte sie verdutzt an, doch dann ging ihm ein Licht auf: Heute begann der Schulausflug. Seine gesamte Klasse fuhr mit dem Bus in den Harz um dort für eine Woche in einer Jugendherberge zu versauern. Er hatte versucht die Sache zu vergessen. Mit Erfolg. Doch jetzt holte sie ihn wieder ein. Er rieb sich die Stirn als hätte er plötzlich Kopfschmerzen. „Wo geht’s denn hin?“, feixte seine Großmutter, „Ziehst du endlich aus?“ „Wir machen einen Schulausflug.“ „Ach ja? Und wohin fahrt ihr bitte?“ „In den Harz.“ „Und wer bezahlt das?“ Das war immer ihre Frage. Die Frage nach dem Geld beschäftigte diese alte Frau noch mehr als die Frage nach dem Wohlbefinden ihres eigenen Enkelsohnes. Einmal hatte sie sich geweigert ein Schulbuch zu kaufen, weil sie nicht viel von Erdkunde hielt und das rausgeschmissenes Geld gewesen wäre. Jack hatte damals reichlich Mühe seinem Lehrer zu erklären warum er nicht ordentlich am Unterricht teilnehmen konnte. Seine Mutter hatte ihm auch nicht helfen können, denn die Macht über die Finanzen hatte einzig und alleine seine Großmutter übernommen. „Ich bezahle es von meinem Geld, das ich in den Osterferien verdient habe. Keine Sorge.“, knurrte Jack. „Das du dich nicht schämst. Deine Mutter liegt im Sterben und du fährst in Urlaub.“, warf sie ihm vor und verschwand dann wieder. Jack war es gewöhnt dass seine Großmutter ihn fast jeden Morgen so behandelte. Trotzdem wurde er jedes Mal wieder kurz davor einen Schreikrampf zu kriegen. Kein Mensch brachte ihn derartig in Rage. Das schaffte nur dieses schreckliche Monster. Er konnte sich gar nicht vorstellen dass das die Mutter seiner eigenen lieben Mutter war. Jack streckte sich und ging dann zum Schrank. Er zog seine alte Sporttasche heraus und pickte dann wahllos ein paar Hemden, Hosen und Unterwäsche aus den Regalen, die er in die Tasche stopfte. „Koffer gepackt.“, murmelte er genervt und kickte die Tasche zur Seite. Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte ging er mit seiner Tasche in die Küche, wo ihn der erste Lichtblick des Tages erwartete. Seine Mutter wünschte ihm einen guten Morgen und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Jack erwiderte es und konnte dabei fast seine Großmutter vergessen, die mit hektischen Bewegungen am Küchentresen zu tun hatte. Ein gutes hatte es, dass sie ihn immer so früh weckte. So konnte er mit seiner Mutter frühstücken und sich eine Weile unterhalten. Er setzte sich und fing an eine Scheibe Brot mit Erdbeermarmelade zu bestreichen. „Wie geht’s dir mein Liebling? Dein Auge sieht schlimm aus.“, sagte seine Mutter. Tatsächlich hatte sich der blaue Kreis inzwischen in einen schwarzen Kreis mit violetten Rändern verwandelt. Es sah fast aus wie eine hässliche Augenklappe. Es war Jack ziemlich egal, wie er aussah, aber ein so heftiger Fleck störte schon ein wenig. Zumal er immer noch ziemlich wehtat. Wenigstens war die Schwellung an seiner Nase nicht schlimmer geworden. „Geht schon.“, log er und biss von seinem Brot ab. „Und? Freust du dich schon auf den Ausflug?“ „Nicht wirklich. Wenn ich ehrlich sein soll, dann würde ich lieber hier bleiben. Bei dir.“ Sie runzelte die Stirn. „Red keinen Unsinn. Du fährst mit, das wird sicher schön. Du wirst schon sehen.“, entschied sie dann. „Aber Mama, was ist wenn dir was passiert während ich weg bin?“ „Es wird schon nichts passieren.“ „Du verwöhnst den Jungen zu sehr, Lisa.“, schaltete sich jetzt Jacks Großmutter ein. Sie knallte eine Kanne mit frisch gebrühten Früchtetee auf den Tisch und funkelte Jack böse an. „Da kriegt er eine Woche Urlaub fürs Herumlungern und Nichtstun und beschwert sich dann auch noch.“, fügte sie gehässig hinzu. „Jakob wird schon mitfahren. Nicht wahr, mein Schatz?“ Seine Mutter bedachte ihn mit einem Blick der bedeutete, dass sie ein Nein nicht gelten ließe. Er konnte ihr eh keine Bitte abschlagen und nickte deshalb betrübt. Sie unterhielten sich noch eine Weile über dies und das. Jack versuchte seine Großmutter auszublenden und das kurze Frühstück zu genießen. Er würde seine Mutter eine ganze Woche nicht wiedersehen, da musste er jetzt so viel wie möglich von ihr mitnehmen. Als er daran dachte bekam er auf einmal ein seltsames Gefühl im Magen. Eine Stimme sagte ihm dass irgendetwas nicht stimmte. Eine leise Angst verknotete ihm den Magen. Die Angst, dass er seine Mutter lange Zeit nicht wiedersehen würde. Er hatte diese Angst immer gehabt, wenn er sie für längere Zeit alleine lassen musste. Bisher war nie etwas Schlimmes passiert und auch wenn Jack es sich nicht eingestehen wollte war seine Großmutter eine gute Pflegerin. Aber so stark wie heute war diese Sorge noch nie gewesen. „Oh, so spät schon.“, sagte seine Mutter plötzlich. Jack schaute auf die alte Küchenuhr, die inzwischen halb acht anzeigte. Seine Mutter erhob sich und beendete damit das Frühstück. „Bist du fertig, Schatz? Jonas wartet sicher schon auf dich.“ Seine Mutter und Großmutter brachten ihn zur Haustür um ihn zu verabschieden. Seine Mutter umarmte ihn und drückte ihm einen langen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb, mein Schatz. Und ich wünsch dir viel Spaß.“ „Bist du sicher, dass ich nicht doch bleiben soll?“, fragte Jack ein letztes Mal. „Deine Oma wird schon auf mich aufpassen.“, antworte sie zwinkernd. „Na gut.“, sagte er bedrückt. Er drehte sich zu seiner Großmutter um und erwartete wenigstens heute eine angemessene Verabschiedung. Immerhin hatte sie jetzt eine ganze Woche lang niemanden, den sie schikanieren konnte. „Knöpf dein Hemd bis oben hin zu, man sieht deine nackte Brust!“, schimpfte sie stattdessen. Jack seufzte. „Tschüss Oma.“ Jonas war noch weniger begeistert als Jack. Auch er hatte keine Lust auf den Ausflug und stieg deshalb mit grimmiger Miene in den Fahrstuhl. Die Aussicht auf eine Woche mit Arko in einer Jugendherberge in einem verlassenen Örtchen im Harz schien dem armen Burschen ziemlich an die Nieren zu gehen. „´n Morgen“, stöhnte er. „Alles klar bei dir?“, fragte Jack. „Passt schon.“ Jonas rieb sich die Augen, als wäre er gerade erst aus dem Bett gestiegen. Vermutlich war das auch der Fall. Während der Fahrstuhl brummend in das Erdgeschoß fuhr massierte er sich den Nacken. Als er Jack anguckte schreckte er zurück. „Whoa! Ich meine. Oha. Jack, das Veilchen sieht aber übel aus.“, sagte er mit großen Augen. Anscheinend hatte er die Sache schon wieder verdrängt. Typisch für Jonas. „Ach was. Mit ein bisschen Fantasie sehe ich aus wie ein Pirat. Is doch cool“, sagte er trocken, als die Fahrstuhltier auf glitt. Die beiden Freunde gingen den Weg zur Schule. Wie immer redete fast nur Jonas. Immer wenn er den Schlaf überwunden hatte konnte sein Mund nicht mehr stillhalten. Gerade erzählte er Jack etwas über einen Film in dem sich Autos in riesige Roboter verwandelten um die Erde zu verteidigen. Aber er hörte nur halbherzig zu. Das ungute Gefühl war noch nicht wieder verschwunden und er fragte sich, ob es klug war seine Mutter hier alleine zu lassen. Sie gingen um den Hinterhof herum über einen kleinen Schleichweg zum Haupteingang. Dort sollte der Bus stehen mit dem der Schulausflug beginnen sollte. Tatsächlich war schon die gesamte Schulklasse auf dem kleinen Platz versammelt und verluden ihre Koffer in den Reisebus. Der Fahrer stand neben der Luke und mühte sich gerade mit den riesigen Koffern der Modepüppchen ab, die doch tatsächlich daneben standen und blöde kicherten anstatt dem armen Kerl zu helfen. Auch Arko und seine beiden Schläger waren da. Er lehnte lässig am Bus und gab mit seinen neuen Markenklamotten an, als er Jack und Jonas sah und mit einem fiesen Grinsen begrüßte. Jonas wurde schlagartig stumm. „Keine Sorge.“, sagte Jack, „Er wird nichts machen solange Herr Musik hier ist.“ Herr Musik, ihr Klassenlehrer, war ein älterer Mann mit einem grauweißen Haarkranz, einer dicken Hornbrille und einem leichten Buckel. Wie jeden Tag trug er heute eine braune Tweedjacke und die dazu passenden Hosen und sah somit aus, als stamme er aus dem vorletzten Jahrhundert. Doch so lange er in der Nähe war würde Arko es nicht wagen irgendwelche dummen Sachen zu machen. So blöd war er leider nicht. Jack verstaute seine und Jonas Tasche selbst in der Ladeklappe, was ihm der Fahrer mit einem erschöpften Hecheln dankte. Dann stiegen sie ein. Seine Klasse war nicht sonderlich groß und der Bus hatte genug Platz für alle. Als Jack sich durch den engen Gang kämpfte bemerkten die Modepüppchen sein schwarzes Auge und kicherten blöde. Er ignorierte sie und nahm mit Jonas die hinterste Sitzbank ein. Nach der obligatorischen Begrüßung des Busfahrers, sein Name war übrigens Bobby, konnte die Reise endlich losgehen. Das große Gefährt lenkte auf die Straßen in Berlin und begann sich durch die Großstadt zu kämpfen. Jonas war immer noch still. Arko hatte sich nicht weit weg von ihnen in eine Nische mit vier Sitzplätzen gesetzt und unterhielt sich leise mit seinen beiden Brutalos. Hin und wieder blickten sie zu Jack und Jonas herüber und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Jonas rutschte tiefer in seinen Sitz und lief rot an. „Mach dir nichts draus.“, sagte Jack ruhig, „Es wird schon nichts passieren.“ Jonas nickte, aber er schien nicht überzeugt. Aber das war Jack auch nicht. Sicher würde Arko irgendwelche Grausamkeiten für die beiden zurechtgelegt haben. Aber im Moment waren sie sicher. Herr Musik saß ganz vorne im Bus und rief Arko und seine Kumpels schon zur Ruhe. „Siehst du?“ Jonas schien etwas beruhigt zu sein. „Wir sollten uns ablenken. Die Fahrt dauert sowieso lang genug.“, meinte er und zog seinen Rucksack hervor. Er kramte darin und drückte ein paar Tüten mit Süßigkeiten zur Seite. Schließlich zog er einen Stapel Comichefte hervor. „Captain Mega oder Plasmaboy?“, fragte er Jack und hielt ihm zwei Hefte hin. „Danke, keins von beiden.“ Jack machte sich nichts aus solchen Geschichten. Sie waren wie die Bücher seiner Mutter: Voller unrealistischer Wunder. Warum sollte man so was lesen? Diese Bücher konnten falsche Hoffnungen wecken und das konnte in einigen Fällen tragisch enden. Bestimmt gab es genug Jugendliche die Depressionen erlitten, weil solche Wunder eben nicht geschehen konnten. Jonas zuckte nur mit den Schultern und entschied sich für Plasmaboy. „Du hast nicht zufällig deinen iPod dabei, oder?“, fragte Jack hoffnungsvoll. Eigentlich machte er sich auch nichts aus technischen Geräten. Zu Hause hatte er nicht einmal einen Fernseher oder einen Computer. Er konnte mit diesen Dingen einfach nicht umgehen. Meistens fand er den Einschaltknopf nicht und im Zweifelsfall zerbrach oder explodierte das Gerät, das er in Händen hielt. Jack schlug seine Zeit tot indem er Schlagzeug spielte, Skateboard fuhr oder sich mit Jonas traf. Der iPod war eine Ausnahme. Er hörte gerne Musik, aber seine Großmutter hatte ihm nie erlaubt einen entsprechenden Player zu kaufen. Jonas kramte kurz in seiner Tasche und zog dann das kleine silberne Gerät heraus. „Cool, danke.“, sagte Jack und steckte sich die Stöpsel in die Ohren. Er brauchte ein wenig bis er sich durch die vielen Menüs gekämpft hatte und zwischen Jonas fragwürdigem Musikgeschmack etwas Ordentliches fand. Doch dann dröhnte laute Rockmusik in sein Ohr. Er schloss die Augen und genoss die Abwesenheit von Arkos Gelächter. Mit guter Musik verflog die Zeit wie im Flug. Jack öffnete die Augen wieder als Jonas ihn hektisch am Ärmel zupfte. Das erste, was er sah, war die Landschaft draußen vor dem Fenster. Berlin und seine Häuser waren verschwunden und einer grünen Landschaft mit Hügeln und weitem Ackerland gewichen. Dann drehte er sich zu Jonas, der den Gang hinunter deutete. Gerade hatten sich Arko und seine Schläger aus ihren Sitzbänken geschält und kamen grinsend auf sie zu. Jack zog die Kopfhörer aus den Ohren und stellte sich vor Jonas auf, der wieder in den Sitz zurückgesunken war. „Siehst gut aus, Weaver. Ist glatt ne Verbesserung zu vorher.“, feixte Arko und lehnte sich lässig an die Sitzbank vor ihnen. „Was willst du jetzt schon wieder?“, fragte Jack ruhig. Er warf einen Blick an Arko vorbei nach vorne. Herr Musik lag zurückgesunken in seinem Sitz und schnarchte laut. „Ich weiß nicht, was werde ich wohl wollen? Vielleicht einen Tee trinken und Plätzchen knabbern? Was denkst du wohl, Weaver?“ Jack sagte nichts, was Arko zum Anlass nahm noch breiter zu grinsen. Sein falscher Edelstein blitzte gefährlich auf. Einige Mädchen, die das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung beobachteten, kicherten. „Ich habe gestern nicht ganz das bekommen, was ich wollte.“, sagte Arko, „Und das werde ich mir heute holen.“ Er schnipste mit den Fingern und seine beiden Lakaien setzten sich wie treudoofe Hunde in Bewegung. Noch ehe Jack richtig reagieren konnte packten sie ihn und drückten ihn brutal auf die Bank. Sie waren kräftige Burschen und Jack hatte keine Chance sich zu widersetzen. Er sah wie Jonas aufschreien wollte, doch Arko kam ihm zuvor und presste ihm die Hand auf den Mund. Mit aller Wucht knallte er ihn dann gegen die Kopflehne. „Jonas! Lasst ihn in Ruhe, ihr Schweine!“, brüllte Jack. Arko drückte immer fester zu und schüttelte Jonas Kopf brutal hin und her. Sein Opfer machte gurgelnde Geräusche und würgte. Verzweifelt versuchte er sich aus Arkos Griff zu befreien, doch der Schläger war einfach zu kräftig. Er grinste jetzt Jack an und der falsche Edelstein auf seinem Zahn funkelte im diffusen Licht, das durch die dreckigen Busfenster schien. „Gestern war ich gnädig.“, sagte er und genoss es sichtlich, „Aber heute ist die dicke Schwuchtel dran. Und du darfst zusehen.“ „Lass das!“, rief Jack. Doch Arko war nicht mehr zu bremsen. Er ballte seine freie Hand zu einer Faust und schlug zu. Einmal. Zweimal. Er hörte gar nicht mehr auf. Bei jedem Schlag quollen Jonas Augen hervor. Er gab gequältes Quieken von sich. Jack schaute sich um. Irgendjemand musste doch etwas unternehmen. Die die Mädchen lachten nur wie ein paar grausame Cheerleader und der Rest der Klasse hatte sich weggedreht und tat so, als ginge sie nicht an, was da gerade passierte. Herr Musik lag immer noch im Tiefschlaf und der Busfahrer saß in einer Kabine, in der er nichts mitbekam. Jack schrie den Schläger an das er endlich aufhören sollte, doch Arko war wie im Wahn. Immer wieder versenkte er seine Faust in Jonas Magen. Verzweifelt versuchte Jack sich aus dem Griff der beiden anderen Peiniger zu befreien, doch zusammen waren sie viel zu stark. Arko holte ein letztes Mal aus und verpasste Jonas eine schallende Ohrfeige. Jacks Freund kippte zur Seite und blieb schwer atmend auf dem Sitz neben ihm liegen. Arko grinste nun Jack an als ob er etwas erwartete. Tatsächlich brannte die Wut in ihm. Würden die beiden Typen ihn nicht festhalten wäre er schon längst auf Arko losgegangen. Das Blut rauschte wie heißes Feuer durch seinen Körper und unterdrückte selbst die Stimme, die ihm riet, eine Schlägerei zu vermeiden um keine Probleme zu bekommen. „Ich mach dich fertig, du Schwein!“, fauchte er und das Gelächter von Arkos Jungs und den Mädchen verstummte. So kannten sie Jack nicht. Den Jungen, der sonst immer völlig ruhig und gelassen blieb. Arko selbst grinste nur selbstgefällig. Er sah aus als hätte er genau das erreicht, was er wollte. „Dann komm doch.“, sagte er mit blitzenden Augen. Jacks Wut kochte über. Seine mit Adrenalin vollgepumpten Arme entwickelten plötzlich eine unheimliche Kraft und sprengten schließlich den Griff der beiden Schläger. Arko schien überrascht zu sein als Jack tatsächlich seinen Kragen packte und ausholte. „Nein!“ Jack hielt inne. Jonas setzte sich langsam auf und hielt sich den Bauch. Er stöhnte vor Schmerz auf, aber es gelang ihm in eine aufrechte Position zu kommen. „Tu das nicht, Jack. Lass dich nicht auf deren Niveau herab. So bist du nicht.“, sagte er mit verkniffenem Gesicht. „Aber…“ „Nein. Lass gut sein, es geht schon.“, versicherte er und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Jack wusste dass es seinem Freund nicht gut ging. Aber wie er ihm sagte, er solle Arko nicht schlagen, flaute seine Wut etwas ab. Sicherlich hatte Arko es verdient, aber wenn es jemand verdient hatte eine Bitte zu stellen, dann war es Jonas. „Dein Glück.“, knurrte Jack und schubste Arko, der ihn immer noch überrascht anglotzte, zurück. Anscheinend hatte der Schläger nicht gedacht dass Jack wirklich irgendwann zurückschlagen wollte. Doch jetzt fand er seine Fassung schnell wieder und sein arrogantes Grinsen kehrte zurück. „Tse, so eine Pussy. Kommt Jungs, sonst kriegen wir noch Läuse von diesem Pack.“, sagte er und zog sich mit seinen Schlägern zurück. „Alles in Ordnung, Jonas? Es tut mir Leid.“, sagte Jack dann und setzte sich neben seinen Kumpel. „Es geht schon. Das muss dir nicht Leid tun. Sonst hast du immer eingesteckt, jetzt musste ich mal herhalten. Is doch nur fair.“, sagte er und grinste schief. Man sah ihm an das sein Magen unheimlich schmerzen musste. Aber anscheinend hatte er Glück gehabt und er war nicht schwer verletzt. „Wir sollten Herrn Musik erzählen was passiert ist. Vielleicht glaubt er uns.“, sagte Jack. „Das glaubst du doch selbst nicht. Bisher ist Arko immer einfach so davon gekommen, weil er eine so miese Schleimbacke ist. Das sollten wir lieber lassen.“ Jack gab es nicht gern zu, aber vermutlich hatte Jonas Recht. Arko verstand es ganz wunderbar sich bei anderen Menschen beliebt zu machen. Sogar bei den Lehrern. Das war der Grund warum er immer mit allem durchkam. Jonas lehnte sich zurück und stöhnte. Er atmete tief ein. Sein Blick fiel auf das Heft von Plasmaboy. Er nahm es auf und schaute verträumt auf das Cover, das einen übertrieben muskulösen Jungen zeigte, der in einem knallgelben Ganzkörperanzug durch eine Wand aus Flammen sprang. „Wenn ich doch nur solche Kräfte hätte, dann würde Arko sich aber wundern.“, sagte Jonas. In seinen Augen blitzte etwas auf, was Jack beunruhigte. Die sonst so freundlichen Augen seines Freundes hatten plötzlich etwas Kaltes, etwas Hasserfülltes. „Das wird nicht passieren.“, erinnerte Jack ihn ruhig. Jonas Kopf zuckte herum und für einen Moment starrte sein bester Freund ihn so böse an, wie Jack es noch nie gesehen hatte. Dann kehrte die übliche Freundlichkeit zurück in seinen Blick. „Irgendwann bin ich stark genug. Und dann werde ich dafür sorgen, dass dieser Mistkerl eine gerechte Strafe erhält.“, versprach Jonas. „Sicher.“, sagte Jack nur und sein Freund wandte sich wieder seinem Comic zu. Diese Geschichten sind nicht gut für ihn, dachte Jack besorgt. Gar nicht gut. Kapitel 4: Tropfsteinhöhle -------------------------- Tropfsteinhöhle Der Rest der Fahrt ging vorüber ohne das noch irgendwer Jack oder Jonas überhaupt anguckten. Arko und seine Kumpels waren inzwischen etwas stiller und alle anderen fanden Jacks plötzlichen Wutausbruch anscheinend so bemerkenswert, dass sie ihn jetzt noch mehr ignorierten als sonst. Auch ihr Lehrer war inzwischen wieder aufgewacht. Herr Musik nahm das Mikrofon des Busfahrers entgegen um eine Durchsage zu machen. Er räusperte sich und verkündete dann, dass sie zwar schon im Harz angekommen wären aber die Jugendherberge noch nicht anfahren würden. Er habe eine tolle Überraschung. Ein Besuch in einer nah gelegenen Tropfsteinhöhle. Alle Insassen seufzten genervt. „Auch das noch.“, murmelte Jonas unglücklich und begann damit seine vielen Comics wieder in die Tasche zu packen. Jack wickelte das Kabel der Kopfhörer um den iPod und wollte es seinem Kumpel zurückgeben. Doch der lehnte ab. „Behalt ihn erstmal. Ich glaube die Tropfsteinhöhle wird nicht so interessant, dann kannst du dich damit ablenken wenn du willst.“, sagte er. „Danke.“ Jack steckte sich das Gerät in seine Hemdtasche und blickte kurz aus dem Fenster. Im hellen Licht der Sommersonne sah die Landschaft sehr idyllisch aus. Überall ragten grün bewachsene Berge und Hügel hervor und in der Ferne glitzerte das Wasser eines blauen Sees. „Hübsch, nicht wahr?“, sagte Jonas. „Zu schade, dass Arkos Anwesenheit jede Landschaft in einen grauen Sumpf verwandelt.“ „Wir sind ihn ja bald für eine ganze Weile los.“, sagte Jack lächelnd. „Nur noch diese Woche. Dann haben wir sechs Wochen Sommerferien. Kein Arko.“ „Herrlich.“ Kein Arko und sehr viel Zeit, die er bei seiner Mutter verbringen konnte, dachte sich Jack voller Vorfreude. Eine Viertel Stunde später fuhr der Bus auf einen holprigen Kieselweg. Die Klasse wurde ganz schön durchgeschüttelt und ein paar Mädchen beschwerten sich lautstark, dass ihre Frisuren dadurch leiden würden. Ein heftiges Schlagloch ließ dann aber zum Glück ihre Sprache verschlagen. Der Bus fuhr eine ganze Weile über den abgelegenen Weg und Jack fragte sich schon ob der Busfahrer sich verfahren hatte. Doch dann kam ein Schild, auf dem mit Schnörkelschrift „Willkommen in den Hermannshöhlen. Neueröffnung.“ stand. „Hermmannshöhlen, häh? Spannend.“, sagte Jonas trocken. Ein paar hundert Meter weiter hielt der Bus endlich. Nach knapp vier Stunden Fahrt durften alle aussteigen und frische Luft schnappen. Die Klasse sammelte sich vor dem Fahrzeug und schaute sich mehr oder weniger interessiert um. Herr Musik hatte schon seinen Fotoapparat gezückt und fotografierte eifrig die Landschaft und die genervten Gesichter seiner Schüler. Der Eingang der Höhle war ein zwei Meter hohes Loch mit einem aufdringlichen Schild darüber, das diesen Ort als eine der märchenhaftesten Plätze im ganzen Harz auszeichnete. „Wenn das einer der märchenhaftesten Plätze im Harz ist freue ich mich jetzt schon auf die Jugendherberge.“, sagte Jonas missmutig. „Vielleicht treffen wir ja einen Troll oder so was.“, merkte Jack an. „Oh ja, und der darf mich gerne fressen. Oder besser noch er frisst Arko.“ Die drei Schläger hatten sich hinter den Bus verzogen und waren nur noch halb zu sehen. Sie rauchten heimlich Zigaretten, wie man an dem grauen Rauch sah, der hinter dem Fahrzeug quoll und linsten immer wieder um die Ecke um zu sehen ob Herr Musik sie nicht bemerkte. Doch der war viel zu sehr damit beschäftigt einen der märchenhaftesten Orte im ganzen Harz zu begaffen. Jack schaute sich genauer um und entdeckte vor dem Bus drei weitere Autos. Und tatsächlich standen dort noch mehr Leute. Merkwürdige Leute. An der Touristenfamilie, deren Vater mindestens genau so eifrig fotografierte wie Herr Musik, war nicht viel auszusetzen. Doch die anderen Gestalten kamen Jack seltsam vor. Vor einem schwarzen Hummer stand ein athletisch aussehender Mann, der breitbeinig und selbstbewusst wie ein Actionheld da stand und ohne jegliche Bewegung auf die Höhle starrte. Er hatte bronzefarbene Haut, dunkelblonde kurze Locken und trug einen dunklen Ledermantel und Kleidung, die fast schon militärisch wirkte. Neben ihm stand ein Jugendlicher, der vielleicht etwas älter war als Jack. Auch der Junge war gut in Form, hatte kurz geschorenes braunes Haar und trug ein Muskelshirt in Militärfarben und die dazu passenden Hosen und Militärstiefel. Im Gegensatz zum Erwachsenen schien dieser Bursche jedoch nervös zu sein, denn er schaute sich immer wieder verstohlen um, ganz so, als könnten jeden Moment feindliche Soldaten aus dem Gebüsch springen. Am seltsamsten erschien Jack aber die Frau, die sich mit überkreuzten Beinen auf die Motorhaube ihres schwarzen Citroens gesetzt hatte. Sie trug ein langes altmodisches Kleid, Samthandschuhe und einen breitkrempigen Sonnenhut. Alles in pechschwarz. Und sie hatte ein schmales Gesicht mit schneeweißer Haut, das von einer breiten Sonnenbrille verdeckt war. Mit lässigen Bewegungen rauchte sie eine Zigarette, die sie in eine altmodische Zigarettenspitze gesteckt hatte. „Ein Vampir.“, sagte Jonas vergnügt, als Jack die merkwürdigen Gestalten einen Moment zu lange beobachtete. „Was?“ „Na, die Frau. Sieht aus wie ein Vampir. Weiße Haut, elegantes Gehabe, pechschwarze altmodische Kleider.“, erklärte Jonas grinsend. „So ein Unsinn.“ „Und die beiden anderen sehen aus wie G.I. Joe.“ „Wer ist G.I. Joe?“ „Sone amerikanische Actionfigur. Sieht aus wie Barbies Ken, nur mit Tarnfarben und Muskeln.“ Jack zog eine Augenbraue hoch und Jonas zuckte mit den Schultern. „Was denn?“ „Ach nichts.“ Jonas wollte gerade zu einem längeren Vortrag über G.I. Joe und seinen Verdienst am amerikanischen Spielwarenmarkt ansetzen, als Herr Musik die Klasse zusammenrief. Anscheinend war der Höhlenführer endlich aufgekreuzt. Es handelte sich um einen pickligen Typen, der auf die 30 zuging und bis zu beiden Ohren grinste. Er trug ein Hemd, auf dessen Brusttasche wieder die Märchenhaftigkeit der Höhlen angepriesen wurde. Auch die Familie, die G.I. Joes und die Vampirdame gesellten sich zur Klasse. Anscheinend wollten sie sich die Höhlen tatsächlich freiwillig antun. „Willkommen in den Hermannshöhlen.“, verkündete der Höhlenführer für Jacks Geschmack ein bisschen zu enthusiastisch. „Mein Name ist Heiner und ich freue mich Ihnen heute eine Führung durch die wundersame Welt der Tropfsteinhöhlen zu geben. Folgen Sie mir bitte.“ Er winkte und die Menschenmasse setzte sich in Bewegung. Eher widerwillig näherte sie sich dem Höhleneingang. Der Führer, der anscheinend tatsächlich der Meinung war das Tropfsteinhöhlen die interessanteste Sache der Welt waren, betrat mit ihnen die kühle Höhle und begann zu erzählen. Jack hörte nicht hin, sondern glotzte gelangweilt auf die vielen Stalaktiten, die wie bedrohliche Zähne von der Decke hingen. Zwischen ihnen waren gelbe Lampen in die Decke gehauen worden, damit man überhaupt etwas sehen konnte. Sie tauchten die ganze Szene in ein diffuses Licht. Eigentlich waren diese merkwürdigen Steinspitzen doch ganz interessant. Sie warfen dank der Lampen merkwürdige Schatten auf die Wände und von überall her tropfte Wasser herab, so dass eine einmalige Geräuschkulisse entstand. Er beschloss Heiner eine Chance zu geben. „…fand man die Höhlen auf rätselhafte Art und Weise eingestürzt vor. Zum Glück ist kein Mensch dabei zu Schaden gekommen, doch der Eingang blieb für fast drei Jahrzehnte geschlossen, weil das nötige Geld fehlte. Erst seit kurzem kann man die Hermannshöhlen wieder besichtigen. Könnten sie ihre Zigarette bitte ausmachen? Hier drin soll nicht geraucht werden.“ Er hatte die schwarze Dame angesprochen, die inzwischen an einer frischen Zigarette nuckelte und den Führer entgeistert anstarrte. Dann tauchte ein bizarres Lächeln in ihrem Gesicht auf. „Gewiss doch.“, säuselte sie. Und drückte den glühenden Stummel einfach an die Wand der Höhle. Heiner schien das gar nicht zu gefallen, denn er sog die kühle Luft scharf ein. Doch dann seufzte er nur resignierend und erzählte weiter. „Was ist das denn für eine?“, murmelte Jonas und Jack zuckte nur mit den Schultern. Er schaute zu den beiden G.I. Joes rüber, die mit strammem Marsch hinter der Gruppe her trotteten. Sie schienen sich nicht wirklich für die Höhlen zu interessieren, denn sie schauten sich weder richtig um, noch hörten sie dem Bergführer zu. „Echt merkwürdig.“, murmelte er. Die Führung dauerte ewig. Zumindest kam es den Schülern so vor. Sie trotteten immer tiefer in die Höhlen und inzwischen hatte Jack den Funken Interesse vom Anfang wieder verloren. Im Kopf ging er die Taktschläge seines Lieblingssongs durch und stellte sich vor, wie es wohl war in einer Topfsteinhöhle Skateboard zu fahren. Er hätte den iPod aus der Tasche ziehen können, doch Herr Musik ging keine zwei Meter vor ihm und hätte ihm einen Vortrag gehalten, wenn er es wagte die Führung zu stören. „Wir kommen nun zum Herzen der Höhle.“, verkündete Heiner erfreut. Ein Geländer tauchte in der Höhle auf. Dahinter ging es einige Meter steil bergab in eine ebenso große wie breite Grube, die mit grellen Scheinwerfern ausgeleuchtet war. Die Besucher der Höhle drängten sich neben den Bergführer und starrten hinab. Auf dem Grund der Höhle waren zahlreiche Fossilien zu sehen. Versteinerte Muscheln und Ammoniten zeigten im Scheinwerferlicht einen Hauch Vergangenheit. Herr Musik machte Aaaaah und Oooooh und schoss mit dem Familienvater um die Wette Fotos. „Das ist eine Fossilienbank, die man erst vor kurzem gefunden hat, kurz nachdem man die Höhlen wieder freigelegt hatte. Man kann zahlreiche Muscheln und Ammoniten erkennen, die schon seit Millionen von Jahren hier unten begraben sind.“ „Na super. Und dafür sind wir jetzt ganz hier runtergelatscht?“, kommentierte eins der Modepüppchen genervt. „Muscheln am weißen Karibikstrand wären mir lieber.“, fügte Arko grinsend hinzu und erntete für diesen schlechten Witz tatsächlich Gelächter. Heiner überhörte das einfach und erzählte tapfer weiter: „Am erstaunlichsten sind jedoch die sechs prähistorischen Steine, die in der Mitte des Fossilienbettes liegen.“ Alle Blicke wandten sich den Steinen zu und tatsächlich, dort waren sie. Sechs ovale, völlig glatte Steine in einem perfekten Kreis angeordnet. Sie waren weiß und soweit Jack es erkennen konnte, waren darauf schwarze Verzierungen. Sie waren so groß, dass man sie in eine Hand nehmen könnte und sie schimmerten im Licht des Scheinwerfers leicht. Die schwarze Frau, die zwei Meter neben Jack stand, fing auf einmal an zu kichern. Sie klang wie eine Hexe. „Alles in Ordnung?“, fragte der Bergführer. „Alles bestens.“, antwortete sie in einem unheilvollen Ton. Sie steckte ihre Hand in die Ärmel ihres schwarzen Kleides und zog zwei glänzende Pistolen heraus. Ohne zu zögern schwenkte sie die Waffen direkt in die Menschenmenge. Sofort brach Panik aus. Heiner verlor mit einem Mal seine Begeisterung und wurde kreidebleich. Die Modepüppchen schrien aus vollem Halse. Und Arko fluchte und war der erste, der davonlief. Plötzlich liefen alle durcheinander und die schwarze Frau lachte wie eine Irre. Sie verlor ihren Hut und langes schwarzes Haar kam zum Vorschein. Mit einer Hand nahm sie die Sonnenbrille ab und eine bizarre Grimasse kam darunter hervor. Ein Frauengesicht, das schön sein könnte, wenn es nicht vor Wahnsinn verzerrt gewesen wäre. Jack und Jonas steckten in der Klemme. Sie waren die einzigen, die genau hinter der Frau standen und an ihr vorbei mussten um fliehen zu können. Jack blickte sich um, aber es gab keinen anderen Weg. Neben ihm zitterte Jonas. Er hatte Tränen in den Augen. Komischerweise war Jacks Gedanke: Der arme Kerl hat heute echt einen Scheißtag erwischt. Dann sah er eine Nische in der Höhlenwand. Er packte seinen besten Freund an der Schulter und versteckte sich mit ihm darin. „Jason! Kümmer dich darum, dass die Leute sicher raus kommen!“, rief der ältere G.I. Joe plötzlich und sein jüngerer Kollege setzte sich in Bewegung. Er fing an und versuchte die Flüchtenden zu koordinieren, während der Ältere sich gelassen zu der Frau umdrehte und seinen Mantel von den Schultern gleiten ließ. Jack sah jetzt wie durchtrainiert der Typ wirklich war. „Miranda Loveless, wenn ich mich nicht irre?“, sprach er die Irre an, als die Besucher weit genug weg waren. Sie kicherte vergnügt und schwenkte die Pistolen wie eine Besoffene umher. „Ich hab es lieber wenn man mich Corona nennt.“, sagte sie dann mit einer unangenehm hohen Stimme. Jedes Wort schien vor Irrsinn zu triefen. „Und wer bist du?“ „Falk Trevis. Mitglied der Ehrengarde des Hundes.“, antwortete G.I. Joe ohne irgendeine Form von Angst zu zeigen. „Einer von Bachs Kötern? Welch eine Ehre. Hätte nicht gedacht, dass sie einen so hochrangigen Zodiacagenten schicken.“ Sie kicherte wieder wie eine Hexe. „Wir haben uns gedacht, dass das Syndikat jemanden herschickt, nachdem klar wurde, wo die Steine sich befinden. Es war keine Zeit jemand anderes zu verständigen.“, sagte G.I. Joe. „Und deswegen schickt Bach eines seiner Schoßhündchen mit einem Schüler. Wie unverantwortlich.“, warf sie ihm vor. „Der Knabe sah lecker aus. Ich werde an ihm knabbern, sobald ich mit dir fertig bin.“ „Es tut mir Leid, aber das kann ich leider nicht zulassen. Und die Steine kann ich dir auch nicht überlassen“, antwortete er gelassen. Jack zuckte zusammen, als die Frau mit Namen Corona ohne weitere Vorwarnung schoss. Doch unglaublicherweise wich G.I. Jones mit Leichtigkeit aus, schlug einen gekonnten Haken und sprang mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit auf die Angreiferin zu. Die Frau sprang zurück, brach in kreischendes Gelächter aus und schoss weitere Kugeln auf ihn ab. Fassungslos beobachteten Jack, wie der Mann auch diesen Geschossen ohne ersichtliche Anstrengung auswich. Dann war er heran. Sie ließ die Pistolen einfach fallen und sprang. Sein Faustschlag verfehlte sie, weil die schwarze Frau auf einmal irre lachend durch die Luft segelte. Und dann blieb sie einfach kopfüber an der Höhlendecke hängen. G.I. Joe blickte ihr mit seinen starren Augen hinterher. Anscheinend konnte er nicht so hoch springen, aber er blieb ganz ruhig. „Nicht schlecht, nicht schlecht.“, sagte Corona keckernd. Jack konnte sie kaum sehen, denn sie hatte sich zwischen den Schatten zweier Lampen gehängt. Doch ihre bösartigen Augen waren erstaunlich gut zu erkennen. „Komm runter, damit wir das hier schnell zu Ende bringen können.“, sagte G.I. Joe ruhig. „Aber es ist gerade soooo gemütlich hier oben.“, antwortete Corona mit gespielt wehleidiger Stimme. „Dann muss ich dich halt da runter holen.“, sagte G.I. Joe. Jack erwartete, dass der Mann jetzt auch eine Waffe hervorholte. Doch er holte nur tief Luft. Und dann bellte er. Doch das war kein normales Bellen. Das Geräusch, das aus seiner Kehle kam wie ein Pressluftgeschoß, war ohrenbetäubend laut. So laut, dass Jack einen überraschten Schrei ausstieß. Jonas wimmerte hinter ihm und heulte Rotz und Wasser. Die Höhlendecke explodierte plötzlich, als wäre das Bellen eine explosive Granate gewesen. Ein Schatten huschte kichern über die Decke und versteckte sich hinter einem Stalaktiten. G.I. Joe bellte wieder und der Stalaktit zerbarst in tausend Teile. „Was zum Teufel sind das für Typen?“, murmelte Jack fassungslos. Jonas schluchzte. Die beiden mussten hier raus bevor diese beiden Irren die ganze Höhle in die Luft jagten. Jack fragte sich ob sie einfach davonlaufen konnten. Die beiden Wahnsinnigen schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Mit etwas Glück würden die beiden Jungen gar nicht bemerken. Er wollte es gerade Jonas sagen, als das Kichern sich in ein hohes Kreischen verwandelte. Corona war auch dieser Bellattacke entkommen und stürzte sich jetzt von der Decke. Im Fall wuchsen ihr plötzlich zwei riesige schwarze Schwingen, wie die von einer Fledermaus. Sie bremste ihren Sturz und beschleunigte dann zu einem waghalsigen Sturzflug. Sie war so unglaublich schnell, dass G.I. Joe diesmal nur knapp ausweichen konnte. Ein ratschendes Geräusch ertönte. Kichernd schoss Corona wieder Richtung Höhlendecke und ihr Gegner schaute ihr hinterher. Sein Muskelshirt war zerrissen und eine riesige Wunde klaffte quer über seinem Brustkorb. Blut quoll heraus. Doch er schien das gar nicht zu spüren. Jetzt oder nie, dachte Jack. Er packte Jonas am Handgelenk und rannte los. Sein Freund rannte widerstandslos mit. Die beiden Freunde übersprangen einen Felsen und liefen dann an G.I. Joe vorbei. Jack bremste nicht und bemerkte daher auch nicht, dass der Kämpfer den Beiden fassungslos hinterher schaute. „Was macht ihr denn hier?“, rief er entsetzt, als über ihm auch schon wieder das schreckliche Kichern ertönte. Corona schoss aus der Dunkelheit hervor und setzte abermals zum Sturzflug an. Jack konnte im Augenwinkel nur für einen Sekundenbruchteil einen Schatten sehen. Dann erwischte ihn Coronas spitzer Ellenbogen in der Seite. Ihre Kraft war überwältigend. Der Schlag war wie eine Explosion. Jack verlor Jonas Hand und flog mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit durch die Luft, ehe ein Stein seinen Flug ziemlich unsanft bremste. Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Dann kam das kantige Gesicht von G.I. Joe in sein Sichtfeld. „Alles in Ordnung?“, fragte er. Jack antworte mit einem erstickten Husten und versuchte sich dann aufzustellen. G.I. Joe half ihm dabei. Jack betrachtete seine Seite. Sein Hemd war durch den Schlag einfach zerfetzt worden und zu den blauen Flecken von Arko hatte sich ein erschreckend großer neuer Fleck hinzugesellt. „Eine deiner Rippen ist gebrochen.“, sagte G.I. Joe trocken, als wäre das überhaupt nichts Schlimmes. Doch Jack nahm das gar nicht richtig wahr. Blut rauschte durch seine Ohren und sein gestörter Gleichgewichtssinn ließ die Höhle um ihn herum schwanken. Das laute Kichern holte seine Sinne schließlich doch zurück. Er schaute sich um und sah Corona. Ihre breiten Schwingen halfen ihr in der Luft zu stehen. In ihrer rechten Hand, die sich zu langen schwarzen Klauen verformt hatten, hing Jonas, der vor Schmerz und Schrecken heulte und schrie. „Lass ihn los, du Monster!“, rief Jack wütend, doch Corona lachte nur. „Monster wurde ich schon lange nicht mehr genannt.“, antwortete sie, als würde ihr dieser Titel sehr gut gefallen. G.I. Joe trat hervor. „Die Jungs haben nichts mit der Sache zu tun. Lass ihn los. Dann können die beiden einfach gehen und die Sache vergessen.“ Corona grinste boshaft. „Ach Hündchen. Ihr seid immer so lieb zu den normalen Menschen. Du weißt genau dass wir es nicht zulassen können. Wir können sie nicht einfach gehen lassen. Sie haben viel zu viel gesehen.“, sagte sie. „Es gibt Mittel und Wege, dass die Sache nicht an die Öffentlichkeit gerät.“, hielt G.I. Joe dagegen. Jack sah verzweifelt zu, wie Jonas sich zwischen den Krallen des abartigen Monsters Corona wand und versuche sich zu befreien. Aber er war bei weitem nicht stark genug. Corona sah aus, als würde sie tatsächlich über G.I. Joes Vorschlag nachdenken. Doch Jack wusste, dass sie nur so tat. „Hmmmmm nein.“, sagte sie schließlich. „Ich werde einfach seine hässliche Rübe zerquetschen. Dann kann er nichts mehr ausplaudern.“ „Nein!“ Jack lief los. Es war ihm egal, ob er gegen dieses Ungeheuer nun eine Chance hatte oder nicht. Jonas hatte es nicht verdient auf diese Weise umzukommen. „Lass ihn endlich los, du Scheusal!“ Corona antwortete mit irrem Gelächter. „Wie du willst.“, sagte sie und ließ ihn einfach los. Kreischend fiel Jonas ungefähr drei Meter zu Boden und schlug hart auf. Jack war sofort heran und kniete sich neben ihn. „Jonas? Sag was!“ Sein Freund stöhnte vor Schmerz auf. Er war also noch am Leben. Ein kleiner Stein fiel Jack vom Herzen, doch dann hüllte ihn ein Schatten ein. Corona packte ihn und Jonas und flog mit den beiden kichernd nach oben. Sie schüttelte die beiden brutal durch. „Menschlein, Menschlein, süß und zart.“, sang sie dabei wie ein Schlaflied. Ein ohrenbetäubendes Bellen unterbrach sie. Anscheinend hatte G.I. Joe entschieden sie trotz der Geiseln anzugreifen. Corona wich kreischend aus und die Decke über ihr explodierte. Sie wich dem riesigen Stalaktiten aus, der auf sie zustürzte, ohne dabei auf ihre beiden Mitflieger zu achten. Ein Felsen traf Jack an der Schulter und er schrie vor Schmerz auf. Wieder ein lautes Bellen. Diesmal hatte er getroffen. Corona fluchte und wirbelte davon. Sie ließ Jack und Jonas los und die beiden flogen durch die Luft. Jack erkannte wie das Geländer an ihm vorbei huschte und ihm wurde klar, dass er und sein Freund in die Fossiliengrube fielen. Er drehte sich in der Luft. Der Boden kam näher. Die sechs Steine waren direkt unter ihm. Dann drehte er sich noch einmal und krachte mit dem Rücken auf den harten Boden. Schmerz durchfuhr seinen ganzen Körper wie ein Blitz und er bekam keine Luft mehr. Jack schrie auf, als es unerträglich wurde. Und dann wurde sein Rücken auf einmal glühend heiß. Der Boden unter ihm fing an zu beben und schien flüssig zu werden. In seinen Ohren rauschte es und plötzlich sah er helles Licht, wo keines war. Jack wurde schlagartig klar, dass dieses merkwürdige Gefühl nicht allein von dem Sturz kommen konnte. Irgendetwas anderes setzte seinem Körper zu. Mit einem Mal spürte er ein Stechen im Rücken. Es fühlte sich an als ob jemand von hinten eine Stange in seinen Rücken schob und Jack schrie aus vollem Hals. Irgendetwas schien durch seine Haut zu kriechen und sich in seinem Körper auszubreiten. Schatten und Licht huschten vor seinen Augen vorbei. Jack hörte Stimmen. Viele verschiedene Stimmen, die er zuvor noch nie gehört hatte. Stimmen, die ihm Angst machten und den Schmerz noch unerträglicher erscheinen ließen. Jack schrie, wie er noch nie im Leben geschrien hatte. Dann tauchte Jonas plötzlich in seinem Blickfeld auf. Sein Freund packte seine Hand und öffnete den Mund. Er brüllte ihn an, aber Jack konnte ihn nicht hören. Die schrecklichen Stimmen übertönten alles und murmelten schreckliche Dinge in einer Sprache, die Jack nicht kannte. Dann wurde schlagartig alles schwarz und Jack verlor das Bewusstsein. Kapitel 5: Flucht ----------------- Flucht Jetzt: Jack saß noch eine ganze Weile einfach auf der Liege im Behandlungsraum von Doktor Rain. Er ging in Gedanken immer wieder durch, was ihm die hübsche Ärztin gerade mitgeteilt hatte und immer wieder schüttelte er ungläubig den Kopf. Sollte er wirklich an Zodiac glauben? An irgendwelche Tiergeister, die sich in kleinen ovalen Steinen versteckten, bis zufällig irgendjemand vorbeispazierte und sie anfasste? An Wesen, die sich in menschlichen Körpern festsetzten und dort wie kleine Parasiten lebten? Bei dem Gedanken wurde ihm schlecht und mulmig zugleich. Er konnte einfach nicht an so etwas Absurdes glauben. Diese Geschichte war einfach zu lächerlich. Sie klang wie ein Märchen, das man kleinen Kindern vor dem Schlafengehen erzählte oder wie irgendein merkwürdiger Kinofilm aus den USA. Jack hatte noch nie an so etwas wie Geister oder übernatürliche Wesen geglaubt. Und jetzt kam eine Fremde zu ihm und wollte ihm weiß machen, dass er, der größte Skeptiker der Welt, eben von jenen Wesen besessen war? Unsinn! Trotzdem waren die Tattoos auf seinem Arm echt und er träumte auch nicht. Kurz nachdem Doktor Rain aus dem Raum getreten war hatte er sich kräftig in den Unterarm gekniffen und es eine Sekunde später bitter bereut. Das hier war alles echt. Diese Zeichen auf seinem Körper, die stilisierten Abbilder von irgendwelchen bizarren Kreaturen, prangten deutlich und unabwaschbar auf seiner Brust, den Armen und Beinen. Zum zehnten Mal wischte er kräftig darüber, aber nichts passierte. Die Zeichen taten ihm nicht einmal den Gefallen zu verwischen. Natürlich hätte Doktor Rain ihm die Zeichen trotzdem einfach auf die Haut tätowieren können als er bewusstlos war. Aber das erschien ihm sehr unwahrscheinlich. Seine Haut war nicht gerötet oder in irgendeiner anderen Weise gereizt. Die schwarzen Zeichen sahen aus als hätte er sie schon seit seiner Geburt getragen, ganz natürlich. Und dann war das noch Crux, die Schlange der Ärztin. Sie hatte eindeutig gesprochen und das war mit Sicherheit kein Trick über Lautsprecher gewesen. Jack hatte die eigenartige Stimme nicht über seine Ohren vernommen. Viel mehr hatte die Stimme einfach in seinem Kopf geklungen ohne eine erkennbare Quelle zu haben. Und er traute Doktor Rain nicht zu ihn wie ein Versuchskaninchen auf einem Labortisch zu bearbeiten. Oder er wollte es ihr nicht zutrauen. Sie erinnerte ihn so sehr an seine Mutter, dass ihm bei dem Gedanken an ihr das Herz schneller schlug. Seine Mutter. Wie es ihr jetzt in diesem Moment wohl ging? Sie machte sich bestimmt schreckliche Sorgen! Jack sprang von der Liege und blickte sich um. Mit einem Mal hatte er die Zodiac vergessen und das Bild seiner kranken Mutter hatte sich in seinen Kopf geschoben. Wie lange war er schon hier? Mit Sicherheit hatte Herr Musik inzwischen bei ihm zu Hause angerufen und seiner Familie mitgeteilt dass er verschwunden war. Wenn seine Mutter das mitbekam, dann würde sie sich schreckliche Sorgen machen. Und wenn sie sich Sorgen machte und sich aufregte war das nicht gut für ihren Körper. Was wenn sie nur deswegen einen schweren Rückfall erlitt? Jacks Herz pochte immer schnelle, jetzt wo leise Panik durch seinen Körper flutete. Er musste schnell wie möglich nach Hause. Hektisch machte er sich daran das Zimmer nach seinen Sachen zu durchsuchen. Er klappte die Schränke und Schubladen auf, fand aber nur saubere Kittel, Umhänge für eventuelle Patienten, Spritzen, Nadeln, kleine Fläschchen mit irgendwelche Mittelchen drin, Pillen, Tabletten und irgendwelche merkwürdigen Instrumente, mit denen man in alle möglichen Körperöffnungen schauen konnte. Er klappte die letzte Schublade zu und ließ den Blick durch den Raum wandern. Hatten sie seine Sachen etwa weggeworfen? Er konnte doch nicht in Boxershorts fliehen. Oder doch? Eigentlich war es ihm egal wie er aussah wenn er nur möglichst schnell zu Hause ankam. Da fiel sein Blick auf eine weiße Schachtel, die direkt neben der Liege auf einem Hocker thronte. Er rauschte um das Möbelstück und sah, dass seine vom Skaten schon ganz zerfledderten Sneaker unter dem Hocker standen. Sie waren ungewöhnlich sauber und waren, abgesehen von kleinen Löchern und dem Karomuster, dass er mal aus Langeweile mit schwarzem Edding darauf gemalt hatte, in einem guten Zustand. Er riss ungeduldig die Schachtel auf und fand tatsächlich seine Klamotten darin, sorgfältig gebügelt, gefaltet und, wie seine Schuhe, gesäubert. Man hatte sich wirklich Mühe mit seinen Sachen gegeben. Er zog das rot-schwarz karierte Baumwollhemd heraus und wunderte sich darüber, wie sauber ein Kleidungsstück sein konnte. Seine Großmutter wusch seine Kleidung zwar meistens mit, aber er bekam seine Hemden niemals so frisch duftend wieder. Ihm kam der Gedanke dass es vielleicht ein Fehler war hier einfach zu verschwinden. Doch so wie Doktor Rain geredet hatte plante sie einen längeren Aufenthalt für Jack. Wo auch immer er war. Er zog sich schnell die Jeans mit den löchrigen Knien und das Hemd über, knöpfte es wie gewohnt nur halb zu, krempelte die Ärmel bis zu seinen Ellenbogen hoch und schlüpfte in seiner Sneaker. Er überprüfte schnell die Taschen, fand aber nichts. Er hatte auch nichts dabei gehabt als sie in die Tropfsteinhöhle gegangen waren. Außer… Er fummelte Jonas iPod aus der Brusttasche seines Hemdes und wiegte ihn einen Moment nachdenklich in seiner Hand. Er war noch in Ordnung. Man hatte ihn nicht aus Versehen mit gewaschen sondern vorher herausgenommen und später wieder hineingesteckt. Seine zweite große Sorge galt seinem besten Freund. Was war mit Jonas passiert nachdem Jack im Laufe des Kampfes ohnmächtig geworden war? Doktor Rain hatte nicht einmal gewusst dass Jonas existierte. Das hieß dass er es nicht bis in diese Krankenstation geschafft hatte. Aber wo war er sonst? Er schüttelte den Gedanken ab und schob den iPod nun tief in seine Hosentasche, wo er hoffentlich sicher war. Jack wollte ihn seinem besten Freund zurückgeben sobald er ihn wieder traf. Wenn er ihn denn je wieder traf. Jack bekam eine Gänsehaut wenn er daran dachte was passiert wäre, wenn diese abscheuliche Corona seinen Kumpel in die Finger bekommen hatte. Er legte die Schachtel zurück auf den Hocker und wandte sich zum Gehen. Diesmal ging er etwas leiser durch den Raum. Die erste Hektik war verschwunden und Jack verfluchte sich selbst für den Krach, den er vor wenigen Minuten noch im Zimmer veranstaltet hatte. Anscheinend hatte ihn aber noch niemand gehört. Er schlich zur Tür und legte die Hand auf die Klinke, als sein Spiegelbild ihn aus dem Spiegel über dem Waschbecken anschaute. Er bemerkte kurz dass er aussah wie immer, abgesehen von den merkwürdigen Tattoos die auf seinen Unterarmen und durch das offene Hemd auf seiner Brust prangten. Ansonsten keine Anzeichen von irgendwelchen Geisteraktivitäten die seinen Körper verändert hatten. Sein eigenes vertrautes Gesicht beruhigte ihn merkwürdigerweise ein bisschen. Er zuckte mit den Schultern und drückte die Klinke ganz langsam und möglichst leise nach unten. Erst schielte er nur durch einen schmalen Spalt, aber als er nichts sehen konnte, was seine Flucht behindern könnte, öffnete er die Tür weiter und schlüpfte vorsichtig hinaus. Jack stand jetzt auf einem Flur der ebenso steril war wie das Ärztezimmer. Es ging zu beiden Seiten ab und an beiden Seiten endete der Flur in einer Biegung. Die Wände waren weiß gestrichen und ansonsten völlig unbedeckt. Nicht einmal ein Bild hatte man hier aufgehängt. Der Boden bestand aus den gleichen kalten Fliesen, die schon im Zimmer gewesen waren und beleuchtet wurde der fensterlose Gang von einer Reihe surrender Neonröhren, die in blanken Metallhaltern an der Decke steckten. Ein großer Lüftungsschacht hing unversteckt direkt daneben und führte wie eine riesige Schlange den ganzen Flur entlang um die Ecken und verschwand dort im Ungewissen. Fünf weitere Türen führten in diesem Flur in andere Räume, drei auf der gegenüberliegenden Wand und zwei rechts und links neben Jacks Zimmer. Hier und da standen Rollwagen und ein großes Rollbett, wie man sie in Krankenhäusern sah, auf dem Flur. Als er die Tür leise klackend schloss biss Jack sich gespannt auf die Unterlippe. Er schaute sich verstohlen um aber der Flur blieb völlig leer und außer dem Schnurren der Neonlampen war nichts zu hören. Wohin sollte er sich wenden? Jack überlegte nicht lange und wählte seinem Gefühl folgend den Gang zu seiner linken. Auf leisen Sohlen ging er auf die Ecke zu und versuchte sein Herzklopfen zu ignorieren. Er presste sich an die Wand und fühlte sich wie ein Geheimagent. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Ein weiter Flur, der dem ersten ähnlich sah. Er war nur kürzer und vier Räume führten von ihm ab. Außerdem endete er in einer Art Lobby. Vielleicht so etwas wie die Eingangshalle? Er zögerte nicht länger und glitt um die Ecke. Er schlich durch den Gang und fühlte sich jetzt weniger wie ein Geheimagent sondern eher wie ein Idiot. Die ganze Krankenstation war anscheinend wie ausgestorben. Nicht einmal von Doktor Rain war eine Spur zu sehen. Vermutlich konnte er einfach hinausspazieren ohne dass irgendjemand etwas bemerkte. Schließlich hatte man ihn vorhin auch nicht gehört als er hektisch die Schränke durchwühlt hatte. Jack blickte ein letztes Mal nach hinten und beschloss einfach loszulaufen. Er erhöhte gerade die Geschwindigkeit als die letzte Zimmertür vor der Eingangshalle aufsprang und Doktor Rain, den Kopf über ein Klemmbrett gebeugt und notierend, auf den Flur trat. Er bremste jäh ab und starrte eine Sekunde später die überraschte Ärztin an. Ein Lächeln erschien in ihrem Gesicht. „Oh Jack, wie schön dass du dich schon soweit erholt hast um spazieren zu gehen. Wie ich sehe hast du deine Kleidung gefunden. Ich hoffe es war in Ordnung sie reinigen zu lassen. Die Reinigungskräfte waren sogar so gut die Löcher zu stopfen. Na ja, die meisten zumindest, die Löcher an den Knien haben wir so gelassen, weil ich vermutet habe, dass sie nicht vom Kampf stammten. Wolltest du vielleicht zu mir? Jack?“ Er glotzte sie einfach nur an und hörte gar nicht so richtig was sie sagte. Als sie aufgetaucht war hatte er einen solchen Schreck bekommen dass er sein Blut immer noch durch seinen Körper rauschen hörte. Anscheinend vermutete sie gar nicht, dass er flüchten wollte sondern dass er sich einfach nur die Beine vertrat. Er klappte seinen Mund ein paar Mal auf und wieder zu ehe er antwortete. „Ich muss sofort nach Hause.“, sagte er dann. „Was?“ „Meine Mutter! Sie wird sich große Sorgen machen, wenn sie hört, was passiert ist. Sie ist krank! Wenn ich nicht sofort nach Hause komme dann passiert bestimmt etwas Schlimmes!“, sagte er und bekam gleich wieder Panik, jetzt, wo er es laut aussprach. Sein Körper bebte von einer Sekunde zur anderen und wollte nur noch eins: Loslaufen. Mitleid zeichnete sich auf Doktor Rains Gesicht ab. „Das geht nicht.“, sagte sie mitfühlend aber bestimmt. „Was?“ „Jack, ich weiß dass sich das jetzt hart anhört. Aber ich kann nicht zulassen, dass du hier einfach rausspazierst.“ „Aber mir geht es doch gut!“ „Ja, ich weiß. Darum geht es hier auch nicht. Ich habe Befehle an die ich mich halten muss. Und du darfst die Krankenstation ohne Begleitung nicht verlassen. Und das Gelände der Akademie darfst du gar nicht verlassen. Du musst das verstehen, ich…“ „Sie wollen mich hier gefangen halten?“, rief Jack entsetzt. „Nein, hör mir zu, du…“ „Das dürfen sie nicht! Sie sind doch irre!“, bellte er und wich mit geballten Fäusten ein paar Schritte zurück. Doktor Rain hob die Hände wie zur Beruhigung und kam die Schritte nach. „Jack, nun beruhige dich doch bitte.“ „Nein! Nein! Sie können mich nicht einfach hier gefangen halten! Ich muss unbedingt nach Hause!“ Er drehte abrupt um und lief den Gang zurück. Er bog um die Ecke und lief weiter, nun auf die andere Biegung zu. Er musste einen anderen Weg nach draußen finden. Ein Fenster vielleicht. Er wusste nicht in welchem Stockwerk er war. Sein Zimmer hatte kein Fenster gehabt um das festzustellen. Als er den Flur halb durchquert hatte hört er Doktor Rains Stimme und das Klackern ihrer Schuhe auf den Fliesen hinter sich. „Jack, nein! Bleib bitte stehen! Crux, mach doch was!“ Verdammter Bengel! Das war die Schlange der Ärztin! Jacks Herz machte einen Sprung als er ein unangenehmes Zischen hörte. Er schaute über seine Schulter und sah wie die Kreuzotter ziemlich schnell um die Ecke glitt, ihn ins Auge fasste und dann auf ihn zuschlängelte. Er hätte schwören können dass sie grinste. Er schlitterte um die nächste Ecke und lief nun in einem weiteren Flur. Dieser war wieder länger als die anderen beiden, sah ihnen aber trotzdem zum verwechseln ähnlich. Und auch hier waren keinerlei Fenster in den Wänden. Nur Türen, die in irgendwelche Räume führten. Jack stieß einen Fluch aus und lief weiter. Er war relativ sportlich und ein guter Läufer, aber die Schlange schien schneller zu sein. Er hatte nicht einmal die Hälfte des Flures hinter sich gelassen, da glitt das Tier schon um die nächste Ecke. Bleib stehen, du Idiot. Am Ende erwische ich dich ja eh. Du machst dich hier gerade so was von lächerlich, zischte sie fast gelangweilt. „Damit ihr mich hier einsperrt? Wohl kaum!“ Du solltest uns vielleicht erst einmal zuhören. Dann kannst du immer noch versuchen zu fliehen. Jack ignorierte die Schlange und versuchte noch etwas schneller zu laufen. Doch das Rascheln der Schuppen auf den Fliesen kam immer näher. Gleich hab ich dich. Ein Biss und die Sache ist erledigt. Der fliehende Junge sah über seine Schultern. Crux hatte seinen Kiefer weit geöffnet und zwei blitzende Giftzähne entblößt. Die Aussicht gebissen zu werden jagte ihm nicht nur einen Schauer über den Rücken, es stachelte ihn auch an schneller zu laufen. Doch plötzlich sprang die Schlange vom Boden ab und schoss wie ein Speer durch die Luft auf ihn zu. Jack machte einen überraschten Laut und wich ganz knapp aus. Er konnte sehen wie die Schlangenzähne ganz feucht vor Gift ein paar Zentimeter an seinem Gesicht vorbei flogen, gefolgt von dem schmalen Körper. Crux landete an der Wand. Aber anstatt davon abzuprallen klebte der Körper für eine halbe Sekunde daran fest, ehe er sich erneut abstieß und wieder auf Jack zuflog. Wieder gelang es ihm sich mit einer Drehung in Sicherheit zu bringen, blankes Entsetzen war auf sein Gesicht gezeichnet. Was zum Teufel war Crux für ein Tier, dass es herumspringen konnte wie eine verdammte Spannfeder? Jack beschloss die Beantwortung dieser Frage auf später zu verschieben. Er vollendete seine Pirouette und gab erneut Gas, weiter den Gang entlang. Flinkes Bürschchen bist du, das muss man dir lassen. Crux nahm wieder die Verfolgung auf und war schneller heran als es dem Jungen lieb war. Jack schliff die nächste Kurve und bog in einen weiteren Flur. „Das gibt’s doch nicht!“, stöhnte er ohne vom Gas zu gehen. Wieder keine Fenster, wieder nur ein langer weißer Flur, der ganz am Ende abbog, diesmal in einer Abzweigung. Crux zischte um die Ecke und lachte wie ein Mensch. So langsam macht mir das richtig Spaß! So eine tolle Jagd hatte ich seit hunderten von Jahren schon nicht mehr! Jack stieß einen weiteren Fluch aus. Gleich würde das Tier ihn wieder anspringen und er war sich nicht sicher ob er ständig ausweichen konnte. Er rauschte an einen der vielen Rollwägen entlang, die überall auf den Fluren verteilt waren, und kam auf eine Idee. Wieso war er nicht früher darauf gekommen? Dem nächsten Wagen gab er einen kräftigen Stoß. Er kippte scheppernd auf den Flur und er konnte hören, wie die Schlange hinter ihm fluchte. Jack riss auch den nächsten Wagen um. Dann einen Plastikstuhl und einen dritten Wagen. Das wird dir auch nichts nützen, zischte Crux, aber seine Stimme war beruhigend weit hinten. Jack erreichte die Abzweigung und orientierte sich schnell. Rechts war eine Sackgasse, nur ein kleines Stück unnützer Flur mit einer Sitzecke. Kein Fenster. Rechts ging ein ebenfalls fensterloser Gang entlang. Er entschied sich für den Gang und rannte weiter, als er das Rascheln der Schlange wieder ganz nah hörte. Hab dich! Jack schrie auf als sich die Schlange plötzlich vor ihm von der Decke fielen ließ und zischend und mit weit geöffnetem Kiefer aufrichtete. Er bremste so abrupt ab dass er fast auf seinem Hintern gelandet wäre. Crux war über die Decke geschlängelt! Damit hast du nicht gerechnet, was? Tja, unterschätze niemals einen Zodiac. Vor allem nicht wenn er so begnadet ist wie ich. Und jetzt beweg deinen Hintern zurück zu Matilda oder ich verpasse dir eine Dosis! Jack biss vor Anspannung die Zähne zusammen. Vermutlich wäre es klug gewesen sich zu ergeben und zu Doktor Rain zurückzukehren. Vielleicht konnte er sie überzeugen ihn freizulassen. Sie schien trotz allem eine vernünftige Frau zu sein. Aber wenn nicht? Wenn sie ihn hier weiter festsetzen wollte, aus welchen gut gemeinten oder vernünftigen Gründen auch immer? Jack wollte nicht vernünftig sein! Er wollte nur eines: Nach Hause. Und zwar sofort. Seine Mutter brauchte ihn jetzt. Er schielte zur Seite. Keine zwei Meter hinter ihm war die Tür zu einem Zimmer. Jack zögerte nicht lange und trat der Schlange gegen den schlanken Leib. Crux hatte einen Angriff wohl nicht vorausgesehen. Es war merkwürdig zu hören wie eine Schlange einen überraschten Laut ausstieß und dann durch den Flur segelte. Jack wirbelte herum und stürzte in den Raum, knallte die Tür zur und konnte sein Glück kaum fassen, als tatsächlich ein Schlüssel im Schloss steckte. Er drehte ihn schnell um und sprang von der Tür weg als wäre sie es, die ihn die ganze Zeit verfolgte. Er atmete tief durch und starrte auf die Tür. Ein paar Sekunden geschah nichts, doch dann drückte etwas die Klinke ein paar Mal herunter. Als das nicht von Erfolg gekrönt war polterte es als würde eine Schlange sich gegen die Tür werfen. Jack hörte Crux herzhaft aber durch das Holz gedämpft fluchen. Er atmete tief ein und schaute sich dann um. Er war diesmal nicht in einem Behandlungsraum geraten sondern in ein Schlafzimmer, in dem zwei Patienten Platz finden konnten. Zwei nicht bezogene leere Betten standen an der einen Seite der Wand, zwei weiße Schränke auf der anderen Seite. Und an der gegenüberliegenden Wand? „Das darf doch nicht wahr sein! Wieder keine Fenster!“, brüllte Jack aufgebracht und gab dem nahe stehenden Bett einen Tritt. Ach darauf hast du es abgesehen? Crux hatte seine Bemühen kurz unterbrochen um herzhaft aufzulachen. Du wirst hier keine Fenster finden, Junge! „Was? Aber wieso nicht?“ Weil die nördliche Krankenstation unter der Erde liegt! Du sitzt in dem Raum fest und glaub mir, es wird nicht mehr lange dauern, da habe ich dich. Und glaube ja nicht, dass ich dir jetzt noch die Wahl lasse. Meine Zähne jucken schon wie verrückt. Es wird mir ein Vergnügen sein dir Gift in den Körper zu pumpen! Jack schluckte und wich noch weiter von der Tür weg. Er glaubte nicht daran dass die Schlange bluffte. Sie hörte sich ziemlich wütend an, auch wenn sie sich über seine gescheiterte Flucht sehr amüsierte. Das Tier begann erneut damit sich gegen die Tür zu werfen und das Holz bebte tatsächlich darunter. Das sie keine gewöhnliche Schlange war hatte Jack inzwischen realisiert und er hatte auch keinen Zweifel daran das die Tür früher oder später nachgeben würde. Auf irgendeine Art und Weise würde Crux schon einen Weg finden. Kaum hatte er diesen Gedanken gedacht fand die Schlange ihren Weg. Für einen kleinen Moment hörte es auf an der Tür zu poltern. Dann zischte es laut auf der anderen Seite und plötzlich drangen die vier spitzen Zähne der Schlange durch das Holz der Tür wie ein heißes Messer durch Butter. Sie begannen eine Flüssigkeit zu versprühen, die anfing das Holz wegzuätzen. Langsam aber sicher schmolz Crux sich ein Loch durch die massive Tür. Jack starrte einige Sekunden ungläubig auf dieses Spektakel, dann blickte er sich hektisch um. Was sollte er jetzt machen? Im Zimmer war nichts was ihm helfen konnte. Es war so gut wie leer, völlig steril. Nicht einmal ein Besen oder etwas in der Art konnte er finden, nichts, was er zu einer improvisierten Waffe hätte umfunktionieren können. Er riss die Schranktüren auf, doch auch sie waren völlig leer. Versuchsweise rüttelte er an den Aufhängestangen, aber natürlich lösten sie sich nicht so einfach. Gleich bin ich durch, du unverschämter Kerl. Ich krieg dich. Oh, was freue ich mich meine Zähne in dein Fleisch zu bohren. Bäh, das Holz dieser Tür schmeckt ja abscheulich. Tatsächlich war das Loch inzwischen fast völlig aufgebrochen. Unaufhörlich klappten die Zähne aufeinander zu und verätzten das Holz zwischen den beiden Kiefern. Kleine Splitter fielen zischend auf den gefliesten Boden. Die Schlange würde jeden Moment in das Zimmer gleiten können. Jack stöhnte. Er saß in der Falle und konnte absolut nichts dagegen machen. Er war Schmerzen gewohnt, immerhin hatte Arko ihn schon des Öfteren in der Mangel gehabt. Aber von einer Schlange vergiftet zu werden stellte er sich weit unschöner vor. Wer wusste schon was Crux Gift bewirken würde? Als er die Wirkung auf das Holt beobachtete schüttelte er sich vor Ekel. Er knallte die Schranktüren zu und ließ seinen Blick zum dritten Mal durch den Raum gleiten. Nichts. Jack wusste nicht, was er tun sollte. Es sei denn. Er wirbelte herum, zurück zum Schrank. Mit offenem Mund starrte er darüber auf die Decke. Dort war sie, seine Chance zur Flucht. Der Lüftungsschacht! Jetzt, da ihm die Idee gekommen war, fiel ihm ein dass die großen, eckigen Schächte ihm die ganze Zeit begleitet hatten. Wie ein metallisches Labyrinth hing das Lüftungssystem in allen Fluren und hatte Abzweigungen in jedes einzelne Zimmer gehabt. Hinter ihm hustete Crux plötzlich. Das keuchende Geräusch einer Schlange ähnelte dem Geräusch wenn jemand mit langen Fingernägeln über eine Tafel glitt. Anscheinend hatte sie sich an den Holzspänen verschluckt, denn sie fluchte ausgiebig über die Beschaffenheit der Tür. Das Loch war noch nicht fertig gestellt. Eine winzige brutzelnde Holzschicht lag noch zwischen der Schlange und Jack. Der zögerte nicht länger. Er griff die Oberkante des Schrankes und zog sich mit einem kräftigen Ruck daran hoch. Dann rutschte er zur nächstgelegenen Öffnung des Lüftungsschachtes und begutachtete ihn kurz. Kühle Luft blies ihm sachte ins Gesicht. Der Aufsatz mit den Lüftungsschlitzen verdeckte seinen Weg in die Freiheit. Aber es stellte kein Problem dar. Er krallte seine Hände zwischen die Rillen und zog kräftig. Das Ganze war nicht verschraubt und löste sich mit genug Kraft. Scheppernd ließ er den Aufsatz auf den Boden fallen und prüfte das Loch. Es war zwar eng, aber Jack war schlank und glaubte hindurchzupassen. Was machst du da, du Bengel? Versuchst du immer noch zu entkommen? Jack sah wie ein bernsteinfarbenes Auge durch das Loch in den Raum schielte, aber Crux schien ihn nicht entdecken zu können. Wo bist du? Das darf doch nicht wahr sein! Die Schlange zischte laut und verbohrte ihre Zähne dann wieder in der Tür. Sofort brodelte frisches Gift auf dem Holz und vergrößerte das Loch weiter. Jack antworte nicht und schlüpfte mit den Armen voran in den Lüftungsschacht. Er versuchte möglichst leise zu sein, erkannte aber schnell dass das vergebliche Liebesmüh war. Jede seiner Bewegungen erzeugte ein metallisches Scheppern, das in den verschlungenen Gängen widerhallte. Stattdessen zog er sich nun möglichst schnell hinein. Selbst für seinen schlanken Körper war der Schacht ziemlich eng, aber wenn er den Kopf möglichst unten hielt und auf den Boden robbte, dann konnte er sich darin fortbewegen. Er hoffte nur dass die Schächte unter seinem Gewicht nicht einfach nachgaben. Was zum Teufel treibst du da, du Idiot? Oh nein, doch nicht etwa… Die Lüftungsschächte! Raffiniertes Bürschchen! Jack robbte los so schnell er konnte. Es war schwerer als er es sich vorgestellt hatte, aber er kam voran. Mit etwas Glück konnte er einen Gang finden der an die Erdoberfläche oder in die Lobby führte und mit noch etwas mehr Glück entfloh er dann auch noch allem, was danach kam. Eine Stimme in seinem Kopf rief die ganze Zeit dass das doch eh nicht klappen würde, aber Jack ignorierte sie verbissen. Er kam jetzt an die erste Kreuzung. Er konnte sowohl nach rechts als auch nach links abbiegen und damit, wenn man der Karte in seinem Kopf trauen durfte, über den Flur entlang krabbeln. Oder er ging geradeaus und kam in einem anderen Zimmer wieder an. Er entschied sich spontan für Links und robbte um die Ecke. Da schepperte es hinter ihm und ein zischendes Geräusch hallte durch die Luftschächte. Sein Herz machte einen Sprung und pumpte neues Adrenalin durch den Körper. Jack wurde sofort etwas schneller, aber er konnte die Präsenz der Schlange hinter sich spüren. So langsam reicht es mir wirklich, zischelte sie hinter ihm. Die Verfolgungsjagd war ja noch ganz lustig. Aber dann trittst du gegen meinen wunderschönen Körper, lässt mich Holz fressen und mich dann noch in diese dreckigen, mit Staub verseuchten Lüftungsschächte klettern. Wir werden in diesem Leben keine Freunde mehr, Bürschchen. Jack keuchte nur und schob seinen schmalen Körper weiter. Es war viel anstrengender als er gedacht hatte und die kühle Luft, die ihm immer stärker entgegen blies, je weiter er vordrang, machte ihm das Atmen schwerer. Er ignorierte seine Kurzatmigkeit und die bleierne Schwere, dich sich langsam in seinen Armen breit machte, und kroch unermüdlich weiter. Plötzlich zischte es ganz nah hinter ihm. Er zog mit einem Schrei die Beine ein und spürte wie Crux nur ganz knapp seine Knöchel verfehlte. Ruckartig stieß er seine Beine wieder nach hinten und traf die Schlange mit ganzer Wucht. Jack hörte wie das Tier ein Stück den Schacht herunterpolterte und aufgebracht zischelte. Du spinnst wohl! Na warte! Jetzt war Crux endgültig wütend. Jack atmete tief ein und setzte seinen Weg fort. Wieder eine Kreuzung. Der Lüftungsschacht ging nach links flach weiter und rechts… nach oben! Der Junge gönnte sich keine Pause und seine Entscheidung war schnell gefällt. Er wand seinen Körper nach rechts und streckte seinen Arm gerade aus als ihn etwas am Bein packte. Er stieß einen überraschten Schrei aus als ihn etwas zurückzog und mit brutaler Kraft auf den Rücken drehte. Zischelnd kam Crux über die Brust auf sein Gesicht gekrochen. Die Schlange hatte das untere Ende ihres Körpers um sein Bein geschlungen und drückte es mit einer abartigen Kraft auf den metallenen Boden. Das Tier schien tatsächlich zu grinsen. Die vier spitzen Giftzähne waren im weit geöffneten Maul ausgeklappt. Kleine klare Gifttropfen lagen wie kleine Perlen auf jedem einzelnen Zahn. Jack Weaver, du kleiner, glitschiger Junge. Endlich habe ich dich. Meine Güte, du bist schwerer zu fangen als jede Feldmaus, die ich in meinem Leben zur Streckte gebracht habe. Und glaub mir, das kannst du durchaus als Kompliment auffassen. Das du dich hier zum lächerlichen Vollidioten gemacht hast, ist dir aber schon klar? Jack antworte auch diesmal nicht. Sein Blick klebte an den Fangzähnen der Schlange, die mit jedem Worte seinem Hals näher kamen. Er atmete nicht einmal mehr vor Anspannung. Na ja, egal. Jetzt ist es eh vorbei. Du hattest mehr als genug Chancen freiwillig zurückzukommen. Und nun musst du die Konsequenzen tragen. Crux kam näher, das Schlangengesicht immer noch zu einem hämischen Grinsen verzogen, fast so, als würde sie sich köstlich amüsieren. Doch als sie schließlich vor ruckte um zuzubeißen löste sich Jacks Anspannung schlagartig. Er bäumte seinen Körper mit aller Kraft auf und schlug die Schlange mit seinem Oberkörper gegen die Decke des Lüftungsschachtes. Es schepperte laut, der Biss ging ins Leere ohne das der Junge Schaden nahm und vor lauter Schreck ließ Crux tatsächlich von seinem Bein ab. Jack stieß das Tier weg und krabbelte um die Ecke. Er nutzte die Benommenheit seines Verfolgers und krabbelte so schnell er konnte den Lüftungsschacht nach oben. Um ihn herum wurde es dunkler als er das Licht der Neonröhren, das durch die Lüftungsschlitze gekommen war, nun endgültig hinter sich ließ. Dafür wurde der Luftzug immer stärker und kühler und das Geräusch einer ratternden Maschine hallte zu ihm herunter. Hoffentlich versperrte ihn nichts mehr den Weg nach draußen. Der Ausgang war ein kleiner weißer Punkt am Ende des engen Tunnels. Ein wütendes Zischeln hallte zu ihm herauf. Jack unterdrückte seinen erschrockenen Schrei, wagte aber einen Blick über seine Schulter. Die Schlange sagte nun nichts mehr und das Grinsen war verschwunden. Stattdessen stieß sie sich mit kräftigen Bewegungen nach vorne und verspritzte mit den Zähnen Gift, das das Metall um sie herum verätzte. Jack versuchte noch schneller zu krabbeln, aber es war unmöglich. Noch ein paar Meter. Noch zwei Sekunden und die Schlange hatte ihn. Und der Ausgang war noch so weit weg. Crux spannte seinen Körper und kreischte. Jack schrie als die Schlange sprang. Dann schrie auch die Schlange. Sie blieb auf einmal mitten in der Luft stehen und knallte eine Sekunde später auf den Boden des Schachtes. Das Tier wand sich plötzlich umher und knurrte fast wie ein Hund. Nein! Nein, nicht jetzt! Verdammt noch mal, der Junge ist direkt vor mir! Matilda! Matilda, komm her! Ich will ihn unbedingt beißen! Unbedingt! Jack schaute entsetzt zu wie Crux sich gegen einen unsichtbaren Gegner wehrte. Dann schien es so als würde die Schlange von einer nicht wahrnehmbaren Hand gepackt und zurück nach unten gezogen. Sie fluchte ausgiebig und versuchte wieder nach oben zu gelangen. Doch der Kampf schien aussichtslos zu sein, denn der schlanke Körper rutschte immer weiter nach unten. Schließlich gab Crux auf und glitt ganz still rückwärts. Dein Glück, Kleiner., knurrte er, dann verschwand die Schlange um die Ecke. Jack krallte sich mit großen Augen in einer Rille fest und beobachtete das Ganze. Er starrte die Ecke eine ganze Weile an und fragte sich was da soeben passiert war. War die Schlange wirklich verschwunden oder würde sie jeden Moment wieder um die Ecke gerauscht kommen? Er wartete eine ganze Weile darauf. Der Junge bemerkte erst jetzt dass sein Herz ihm bis zur Kehle schlug und sich alles in seinem Körper zu drehen schien. Immer noch war er total aufgeregt. Jetzt fielen ihm auch die Schmerzen auf, die er sich durch das hektische Krabbeln in den Lüftungsschächten zugezogen hatte. Seine Unterarme waren wund und gerötet und seine Brust pochte durch die Reibung auf dem Untergrund. Erst nach einigen Minuten Verschnaufpause kam ihm wieder in den Sinn, warum das Ganze soeben überhaupt geschehen war. In Gedanken sah er seine Mutter in ihrem kleinen Bett, ganz bleich und hager von dem Rückfall, den sie ganz bestimmt erleiden würde, wenn er sich nicht bald bei ihr meldete. Mit neuer Entschlossenheit und der Erkenntnis, dass Crux tatsächlich nicht wiederkam, wagte er sich wieder an den Aufstieg. Diesmal ließ er sich etwas mehr Zeit und sparte das bisschen Kraft, das er nach dieser Verfolgungsjagd noch hatte. Aber es dauerte trotzdem nicht lange und er kam am Ausgang an. Rechts und links neben ihm ratterten die Maschinen, große Ventilatoren die, hinter einem Gitter verborgen, frische Luft von draußen nach drinnen beförderten. Sie waren zum Glück kein Problem und versperrten auch nicht den Weg. Auch das Gitter ließ sich aus den Rahmen drücken und machte so den Weg frei. Stöhnend schob Jack seinen schmalen Körper heraus und landete auf der Seite eines kleinen Hügels, der mit saftigem grünem Gras bewachsen war. Erleichterte atmete er die frische Luft ein und genoss für eine Sekunde das Gefühl der Freiheit, dass nach der Flucht durch den beklemmenden Lüftungsschacht wie eine Meereswoge durch seinen Körper wallte. Doch bevor er sich genau umschauen konnte legte sich eine kräftige Hand von hinten auf seine Schulter. „Jack Weaver? Du bist festgenommen.“ Kapitel 6: Ein Neues Leben -------------------------- Ein Neues Leben Jack stöhnte als ihn die kräftige Hand grob herumwirbelte und dann auch seine andere Schulter packte. Der Griff des Mannes war wie ein Schraubstock und machte sofort jedes Losreißen unmöglich. Er war groß, mindestens zwei Köpfe größer als Jack, hatte breite Schultern und einen kräftigen Körper. Sehnige Muskeln zeichneten sich unter seiner bleichen Haut ab. Die beiden Arme waren bis hoch zu den Schultern tätowiert. Nicht ein einziger Zentimeter war frei von verschiedenen Motiven: Flammen, kringelnde Pflanzen, Meereswogen, allerlei merkwürdige Gesichter und Symbole, deren Bedeutung Jack nicht kannte. Und auf seiner rechten Schulter prangte ein Tier in der Art, wie Jack sie inzwischen kannte: Das Zeichen eines Zodiacträgers. Es sah aus wie der Schattenschnitt eines Dobermanns. Der Hüne selbst sah aus wie ein Soldat. Die schwarzen Haare, die im krassen Gegensatz zu seiner fast weißen Haut standen, trug er kurz geschoren. Über den Beinen hatte er breite Hosen in Tarnmustern und mit großen Taschen an den Seiten. Sie endeten in straff geschnürten Militärstiefeln. Sein Oberkörper bedeckte nur ein dunkelgrünes Tanktop. Seine strengen Augen glotzten unbarmherzig auf Jack herab. Hinter ihm, halb versteckt hinter dem klotzigen Kerl, stand ein alter Bekannter. Jack erkannte ihn sofort als den kleineren G.I. Joe, der Junge der Falk Trevis in die Tropfsteinhöhle begleitet und die Leute vor dem Kampf gegen Corona evakuiert hatte. Er sah noch genau so aus wie am Tag des Kampfes: kurz geschorene mausbraune Haare, Tanktop und Hosen ebenfalls in Tarnmustern, ebenso streng geschnürte Militärstiefel, athletischer Körperbau. Im Gegensatz zu dem Hünen hatte der Junge aber einen freundlichen Ausdruck im Gesicht und schien seine Neugier gegenüber Jack nur schwer in Grenzen halten zu können. Er lächelte nur ansatzweise und stand völlig stramm mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und breitbeinig. Doch in seinen großen grünen Augen konnte man sehen, dass er sich über Jacks Anwesenheit freute. Warum auch immer. Jack selbst versuchte sich zu befreien, doch das war ein Ding der Unmöglichkeit. Die Kraft des Hünen war unmenschlich. „Lass mich los, du Gorilla!“, brüllte er aufgebracht und trat dem Mann gegen das Schienbein. Doch wenn er das gespürt hatte ließ er es sich nicht anmerken. Auch die Beleidigung ging völlig wirkungslos an ihm vorbei. „Jack Weaver, du bist verhaftet.“, knurrte er noch einmal. „Das sagtest du bereits! Jetzt lass schon los! Ihr habt kein Recht mich hier festzuhalten!“ „Kommst du freiwillig mit?“ „Was glaubst du denn?“ Jack blickte den Hünen herausfordernd an. Er hatte nicht die geringste Chance gegen ihn, das wusste er, aber er konnte nicht anders. Er trat ihm noch einmal gegen das Bein, aber scheinbar bestand dieser Mann aus Beton. Nicht nur das er keinerlei Reaktion zeigte, Jacks Zeh fühlte sich an als hätte er ihn gegen eine Wand gehämmert. Aber auch er ließ sich den Schmerz nicht anmerken. Auch nicht den, den der grobe Griff um seine Schulter hinterließ. „Ich frage noch einmal.“, sagte der Mann unbeirrt. „Kommst du freiwillig mit?“ „Nein!“ Ein bösartiges Grinsen erschien in dem bleichen Gesicht. „Sehr gut.“, sagte der Hüne und sein Griff wurde so stark, dass Jack keuchte. Für einen Moment dachte er der Mann würde ihm die Schultern auskugeln, doch dann hob er ihn doch nur vom Boden hoch als ob er nichts wiegen würde. Der Typ grinste als hätte er einen Heidenspaß. Wie einen Sack warf er sich Jack über die breite Schulter, klemmte ihn zwischen seine Armbeuge und wandte sich um. „Gehen wir, Jason.“, sagte er zu seinem jungen Partner mit einem leichten Befehlston. „Jawohl, Sir.“, antwortete der zackig und die beiden trabten los. Jack wehrte sich noch einen Moment, indem er mit den Beinen strampelte und mit aller Kraft auf den Rücken des Hünen eindrosch, aber das zeigte wie erwartet keinerlei Wirkung. Schließlich wurde ihm klar dass seine Flucht ein jähes Ende genommen hatte und er ließ sich hängen. Da war er Crux entkommen und lief einfach so in die Arme von anderen Leuten, die ihn anscheinend gesucht hatten. Er hätte sich auch vorher denken können dass Doktor Rain nicht einfach nichts unternehmen würde. Sicherlicht hatte die Ärztin diesen beiden Militärfritzen Bescheid gegeben und die waren sofort ausgerückt um ihn einzusammeln. Er seufzte und biss vor Enttäuschung die Zähne zusammen. Das Bild seiner Mutter geisterte sofort wieder in seinem Kopf herum. Die Machtlosigkeit war unerträglich. „Pscht.“ Jack sah auf und schaute in das Gesicht von Jason, der ihm zulächelte und ihn damit scheinbar aufmuntern wollte. „Es ist alles gut.“, flüsterte er leise und zwinkerte. „Gefreiter! Ruhe!“, bellte der Hüne sofort. „Jawohl, Sir. Entschuldigen Sie, Sir.“, rief Jason wie aus der Pistole geschossen. Sein Lächeln verlor er dabei nicht. Erst als Jack ihm den Stinkefinger zeigte wandelte sich seine Miene von freundlich zu überrascht und schließlich zu enttäuscht. Es war nicht gerade die höfliche Art auf seine sicherlich gut gemeinten Worte zu reagieren, aber Jack war im Moment nicht in der Stimmung darauf einzugehen. Immerhin hinderte dieser Jason ihn an der Flucht indem er für den tätowierten Hünen den Untergegebenen mimte. Jetzt hatte der junge Rekrut ein ausdrucksloses Gesicht wie es sich für einen ordentlichen Soldaten gehörte. Mit strammen Schritten lief er dem Hünen hinterher und würdigte Jack mit keinem Blick mehr. Ihm war das nur Recht. So hatte er genügend Zeit sich endlich in der Umgebung umzuschauen. Seine beiden Häscher gingen um den mit Gras bewachsenen Hügel herum, aus dem hie und da Öffnungen herausragten. Röhren, die ähnliche Funktionsweisen haben mochten wie der Lüftungsschacht, aus dem Jack gekrochen war. Der Hügel schien das Dach der Krankenstation zu sein und schmiegte sich perfekt in die Landschaft hinein. Hinter dem Hügel und hinter Jason sah Jack eine riesige, mehrere Hektar große Rasenfläche und dahinter einen noch viel größeren Nadelwald, der sich wie ein Meer viele Kilometer weit zu strecken schien. Ein kleiner Fluss schlängelte sich aus diesem Wald heraus am Rand der Rasenfläche entlang. An dessen Ufern wuchsen einige Laubbäume. Die Grenze dieser Grünanlage lag weit weg und nahm Jack die Hoffnung, dass er sich noch in der Nähe von Berlin befand. Riesige graue Berge mit weißen Schneekappen bohrten sich in den blauen, wolkenlosen Himmel und bildeten so eine natürliche Grenzlinie. Waren das die Alpen? In Jacks Magen kribbelte es. Vermutlich war seine Mutter weiter weg als er befürchtet hatte. Seine Flucht wäre so oder so in die Hose gegangen. Eine Einsicht die ihn nur noch mehr betrübe. Crux hatte Recht gehabt. Jetzt kam er sich nur noch lächerlich vor. Die beiden Typen trugen ihn um den Hügel herum und jetzt kam auch der Rest des Geländes in Sicht. Den meisten Platz auf der anderen Seite der Krankenstation nahm ein riesiger Gebäudekomplex ein. Es sah fast aus wie eine Villa, die ein paar Nummern zu groß geraten war. Mit vier Stockwerken, jeder Menge Fenstern, mehreren breiten Türen, die zu allen Seite herausführten und kleinen Türmen an jeder Ecke war das Gebäude ziemlich beeindruckend und erinnerte fast an ein Schloss. Die Mauern hatten eine dunkelrote Färbung und das Dach, das mit reich verzierten Giebeln ausgestattet war, schimmerte in der Sonne bläulich. Jack hätte gerne gefragt ob dass die schon erwähnte Zodiac Akademie war, aber nach seiner unflätigen Geste traute er sich nicht. Am Ende hielt Jason das noch für eine Art entschuldigender Annäherungsversuch und das wollte Jack auf jeden Fall vermeiden. Er wollte sich mit keinem Zodiacträger anfreunden und Jason war mit Sicherheit ebenfalls einer von ihnen. Kurz bevor die Beiden ihn wieder in die Krankenstation hinunter trugen, der Eingang war eine Tür, die sich in den Hügel hineinbohrte und die man über eine kurze Treppe erreichte, entdeckte Jack noch ein weiteres Gebäude. Westlich der riesigen Villa, etwas abseits des Geländes, stand ganz nah am Wald, der das ganze Gelände zu umringen schien, ein einstöckiger Betonklotz mit kleinen Fenstern. Ein Maschendrahtzaun war darum errichtet worden und ein streng gerader Betonweg führte zur einzigen Tür des Gebäudes. Dieses Haus schien angesichts der Harmonie, die sonst auf dem ganzen Gelände herrschte, schrecklich fehl am Platz. Jason schien bemerkt zu haben dass Jack dorthin schaute und wollte wohl etwas sagen, verkniff es sich aber dann doch. Die Tür der Krankenstation öffnete sich automatisch als sich der Hüne mit seinem Paket und seinem Schüler näherte. Sie betraten eine kühle Eingangshalle, in der nur ein unbesetzter Tresen und ein halbes Dutzend an die Wand geschraubte Plastikstühle waren. Der bleiche Mann trat an einen der beiden Fahrstühle, die die hintere Wand einnahmen, und drückte schweigend auf den Schalter. Die Tür glitt saugend auf und verschlang die drei Passagiere. Ein Knopf wurde gedrückt und die Fahrt nach unten begann. Und wieder zurück in die Höhle des Löwen, dachte Jack bitter. Und das nach einer so filmreifen und spektakulären Flucht. Es dauerte nur einige Sekunden bis der Fahrstuhl sanft abbremste und die Tür erneut auf glitt. Der Hüne trat in die Eingangshalle, die Jack vor einer guten Stunde zwar schon gesehen aber nicht erreicht hatte. „Gott sei Dank, Sie haben ihn gefunden!“, erklang Doktor Rains besorgte Stimme. Jack versuchte sich klar zu machen dass diese Frau auf der falschen Seite stand und gegen ihn war. Aber als er ihre Stimme hörte wollte er das einfach nicht glauben. „Meine Güte, Fang! Packen sie den armen Jungen doch nicht so grob an. Er ist doch kein Sack Kartoffeln!“, rief sie jetzt. Lass ihn doch. Ich finde das gut so. Drücken Sie ruhig noch stärker zu, Leutnant. Der Kleine soll richtig schön leiden. Ich würde gerne sehen wie seine Augen aus den Höhlen treten. Jacks Herz machte einen Sprung. Da war sie wieder. Die Stimme von Crux hallte wie gewohnt in seinem Kopf wider. „Sei gefälligst still, Crux.“, zischte die Ärztin. „Und Sie setzen jetzt sofort den Jungen auf den Boden!“ „Ja, bitte setzen Sie ihn ab, Leutnant Fang.“, sagte eine weitere Stimme. Jack kam sie bekannt vor, aber er erkannte den Träger der Stimme erst, als der bleiche Hüne, der anscheinend Fang hieß, sich endlich dazu bequemte ihn reichlich unsanft auf den Boden abzusetzen. Da stand wieder ein alter Bekannter. Ein weiterer Mann, der in den gleichen dunkelgrünen Militärklamotten gekleidet war wie Jason und Fang und lässig auf dem Empfangstresen lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt. G.I. Joe höchstpersönlich. Falk Trevis. Auch er sah unverändert aus: Ein mittelgroßer, athletisch gebauter Mann mit gebräunter Haut, sehr kurzem blonden Lockenhaar und dunkelblauen, wachsamen Augen. Diesmal trug er nur keinen Ledermantel und unter seinem Tanktop war ein Verband zu sehen, der quer über seine Brust spannte. Da hatte Corona ihn im Kampf verwundet. Tausend Fragen brannten auf Jacks Zunge. Er wollte wissen was dort genau in der Höhle passiert war. Wer war diese Corona und wie war der Kampf ausgegangen? Hatte er sie irgendwie aufhalten können? Was war mit ihm, Jack, passiert nachdem er ohnmächtig geworden war? Und die wichtigste aller Fragen: Wo war Jonas? Aber Jack bekam keine dieser Fragen heraus. Irgendetwas an Trevis Körperhaltung und der Art, wie er ihn anblickte, brachte ihn zum Schweigen. Es war nicht so dass Trevis ihm Angst machte oder einschüchterte. Viel mehr hatte Jack das Gefühl dass man diesem Mann Respekt entgegenbringen musste. Immerhin hörte sogar der bleiche Hüne auf ihn ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. So einen Mann wollte man nicht unnötig verärgern. Falk Trevis stieß sich vom Tresen ab und gluckste. Mit selbstbewussten Schritten kam er auf Jack zu, der nur ein bisschen trotzig zurückblickte, ansonsten aber still blieb. „Jakob Weber. Oder besser: Jack Weaver.“, sagte Trevis dann, als würde dieser Name alles erklären. Er gluckste noch einmal und zwinkerte Jack spielerisch zu. „So nennen dich doch alle, oder? Du bist mir einer. Kaum auf den Beinen und schon versuchst du von hier zu fliehen. Nicht das mich dieses Vorhaben wundert, keinesfalls. Jeder würde wohl an Flucht denken wenn er in einer völlig fremden Umgebung aufwacht und dann auch noch festgehalten wird. Aber die Meisten hätten wohl spätestens aufgegeben wenn sie von der leitenden Ärztin auf frischer Tat ertappt wurden. Du nicht. Das ist äußerst… bemerkenswert.“ In seinen Worten klang leise Bewunderung mit, was Jack überrascht zur Kenntnis nahm. Der Mann schien ohnehin nicht wütend zu sein, sondern vielmehr amüsiert. „Unser Freund Crux hier.“ Trevis deutete auf die Schlange, die sich wie ein bizarrer Schal um Doktor Rains Hals gewickelt hatte und Jack giftige Blicke zuwarf. „Crux erzählte uns von deiner spektakulären Flucht. Du bist tatsächlich durch das Lüftungssystem entkommen?“ „Ja, Sir.“ Jack wunderte sich selbst über seine ruhige und höfliche Antwort. Er hatte vorher noch nie in seinem Leben jemanden „Sir“ genannt. Die Anwesenheit von Falk Trevis hatte eine beruhigende und gleichzeitig verwirrende Wirkung auf ihn. Der Mann lachte laut auf. „Herrlich. Ausgezeichnet. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen! Das lobe ich mir.“, sagte Trevis grinsend. „Ähm… Danke, Sir.“ Crux machte ein Geräusch als müsse er aufstoßen. „Und Glück im Unglück scheinst du auch noch zu haben. Crux erzähle mir er hätte dich nur um Haaresbreite nicht erwischt weil seine Reichweite nicht ausgereicht hatte.“ „Reichweite?“ „Ja richtig. Ach du weißt ja noch gar nichts davon. Also, ein beschworener Zodiac kann sich nur in einem bestimmten Radius um seinen Träger herum bewegen. Diese Grenze kann der Zodiac niemals überwinden. Unsere gute Doktor Rain war schlicht und ergreifend zu weit weg als dass Crux dich noch weiter hätte verfolgen können.“, erklärte Trevis geduldig. Sein Glück!, zischte die Schlange dazwischen. Ich hätte ihn mit meinem Gift gelähmt und in dem Schacht verrotten lassen. Oder ich hätte ihn mit Haut und Haaren einfach aufgefressen. Aber so wie der aussieht hätte ich keine drei Tage was davon gehabt. Guckt euch das halbe Hemd doch mal an! „Hüte deine gespaltene Zunge, Crux.“, tadelte Doktor Rain. Is doch wahr! „Oha, es scheint als hättest du dir nicht gerade einen Freund gemacht. Du solltest dich vielleicht für eine Weile von Crux fernhalten.“, sagte Trevis grinsend. Jack nickte. Langsam machte sich seine Ungeduld wieder bemerkbar. Anscheinend hatte man ihn nur wieder hierher gebracht um über seine Flucht zu quatschen, aber niemand rückte mit Antworten heraus, die ihn interessierten. „Entschuldigen Sie, aber ich kann wirklich nicht länger hier bleiben.“, sagte er nun. „Wie bitte?“ „Sir, ich bin doch nur geflohen weil ich mir schreckliche Sorgen um meine Mutter mache. Wenn sie mitbekommen hat was in der Höhle passiert ist dann hat sie bestimmt einen Rückfall erlitten. Sie ist furchtbar krank und…“ „Lisa Weber, richtig?“ „Ich… Ja.“ Jack zögerte. „Sie kennen meine Mutter?“ „Na ja, nicht sehr gut. Ich habe sie ein bisschen kennen gelernt als ich sie gestern in Berlin besuchte.“, sagte Trevis munter und blinzelte. „Sie waren bei ihr? Was… was wollten Sie von ihr?“ „Wir haben uns nur unterhalten. Ich habe ihr erzählt was mit dir passier ist und ihr dann erklärt, wie es nun mit dir weitergeht.“ „Was? Wovon reden Sie denn? Wie soll es schon mit mir weitergehen? Sie lassen mich einfach laufen und ich kann zurück nach Berlin, zurück zu meiner Mutter!“ „Nein.“ Jetzt verlor Trevis sein Lächeln und wurde ernst. „Es wurde beschlossen dass du hier in der Akademie bleibst und eine Ausbildung zum Zodiacagenten machst.“ Jack starrte den Militär einige Augenblicke einfach nur. In seinem Kopf wirbelten alle Gedanken durcheinander, als wäre eine Kanonenkugel direkt hindurch geschossen und alles in Unordnung gebracht. Aber schließlich setzten sie sich zu einem neuen Gedanken zusammen und der lautete: Ich werde ganz sicher nicht hier bleiben! Und das teilte er den Anwesenden auch lautstark mit. „Sie spinnen! Was soll ich denn hier?“ Trevis ging jetzt zurück zum Tresen und lehnte sich wieder daran. Mit bedächtiger Miene verschränkte er die Arme und nickte ernst. „Tatsache ist, dass du fünf mächtige Zodiac aufgenommen hast. Ob das nun absichtlich oder aus Versehen passiert ist spielt leider keine Rolle. Du wärst nicht der Erste dessen Leben sich durch die Zodiac ungewollt umgekrempelt hat.“, erklärte er ruhig und mit einer Spur Verständnis. „Ich werde jawohl eine Wahl haben!“, protestierte Jack, aber Trevis schüttelte nur leicht den Kopf. „Es tut mir Leid, nein. Normale Zodiacträger haben auch keine Wahl. Ausnahmen werden nur in ganz seltenen Fällen gemacht.“ „Dann macht bei mir auch eine Ausnahme! Meine Mutter ist krank, ich muss sie pflegen! Ist das kein Grund, der gut genug ist?“ „Nein. Soweit ich weiß lebt auch deine Großmutter bei dir zu Hause und übernimmt den größten Teil der Pflegearbeit. Diese überaus…“ Trevis zögerte kurz und schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „…reizende Dame hat mir versichert, dass sie sich auch ohne deine Hilfe um deine Mutter kümmern kann. Es wäre außerdem unverantwortlich den ersten Menschen, der es geschafft hat fünf Zodiac gleichzeitig in sich aufzunehmen, einfach so in der Welt herumspazieren zu lassen.“ „Aber… aber…“ Jack überlegte fieberhaft was er dem Gesagten noch entgegensetzen konnte, aber Trevis machte den Eindruck als hätte er gegen jedes seiner Argumente ein viel besseres Gegenargument. „Können Sie nicht die Zodiac aus meinem Körper entfernen?“, fragte er verzweifelt. „Das geht nicht.“, mischte Doktor Rain sich nun ein. Bisher hatte sie höflich geschwiegen und dem Jungen nur mitfühlende Blicke zugeworfen, aber jetzt fühlte sie sich dazu berufen die Sache zu erklären. „Hat ein Mensch einen Zodiac in seinen Körper aufgenommen so ist die Vereinigung endgültig.“, erläuterte sie. „Der Zodiac löst sich erst dann wieder aus dem Körper des Trägers, wenn dieser sein Leben aushaucht. Dann verwandelt er sich zurück in einen Zodiacstein und wartet auf den nächsten Träger.“ Jack atmete tief ein um diese Nachricht schlucken zu können. Insgeheim hatte er so etwas schon geahnt, aber die Hoffnung diese merkwürdigen Tattoos und vor allem die gruseligen Stimmen aus seinem Traum wieder hinter sich zu lassen hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch überlebt. Nun fiel ihm gar nichts mehr ein. Diese Leute würden ihn hier nicht einfach so wieder weglassen. Vielleicht gelang ihm irgendwann einmal die Flucht, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass er ruckzuck wieder eingefangen würde. Doktor Rain und Trevis blickten ihn voller Verständnis an, aber der bleiche Hüne hinter ihm lachte leise, als hätte er Freude daran Jack leiden zu sehen. Auch Crux hatte sein Schlangengesicht wieder zu einem bizarren Grinsen verzogen und leckte sich mit der gespaltenen Zunge über die schuppigen Lippen. Das der Zodiac sich derart amüsierte nahm Jack zum Anlass seine coole Fassade aufzusetzen, wie er es schon immer gemacht hatte um vor anderen zu verbergen wie er sich wirklich fühlte. Er steckte seine Hände nun lässig in die Tasche und schaute trotzig drein. „Was sagt meine Mutter denn zu der ganzen Sache?“, sagte er in gespielt gefasster Tonlage. „Sie ist damit einverstanden dass du hier bleibst.“ „Wirklich? Das glaube ich nicht. Sie hat mich gern bei ihr zu Hause.“ „Sie ist damit einverstanden.“, wiederholte Trevis und kramte jetzt etwas aus seiner Hosentasche. Er zog einen in der Mitte geknickten Briefumschlag hervor und zog ein paar Blätter heraus. Er stieß sich wieder ab und reichte Jack die Unterlagen. „Das ist das Anmeldeformular für die Aufnahme an der deutschen Zodiacakademie des Hundes. Deine Mutter hat ihn vollständig ausgefüllt und unterschrieben. Erkennst du die Unterschrift wieder?“ Und ob er das tat. Ganz unten auf dem Formular stand in schwungvoller Schönschrift ihr Name. Lisa Weber. „Sie haben sie doch dazu gezwungen.“, behauptete Jack starrköpfig, aber er glaubte selbst nicht so richtig daran. „Nein. Ganz im Gegenteil. Es schien mir als konnte sie gar nicht erwarten das Formular zu unterschreiben nachdem ich ihr von den Zodiac und von der Akademie erzählt hatte. Sie schien ganz begeistert davon zu sein. Ihre Augen hatten geleuchtet, vor allem als ich über die Tiergeister gesprochen habe.“, sagte Trevis. „Das sieht ihr ähnlich…“, gab Jack zu. Er erinnerte sich an die Berge an Märchen- und Fantasiebüchern in ihrem kleinen Zimmer, hoch aufgestapelt wie kleine Türme. Er sah sie in Gedanken in einem besonders dicken Buch blättern und seufzte. Magische Tiersteine. Dass sie das begeisterte wunderte Jack überhaupt nicht. Er gab Trevis das Anmeldeformular zurück und verschränkte jetzt ebenfalls die Arme. „Schön und gut. Sie hat mich aber nicht einmal gefragt. Ich habe schon verstanden, dass sie mich nicht einfach so von hier weglassen. Aber sobald sich mir eine Gelegenheit bietet werde ich von hier abhauen. Heute ist es mir immerhin schon fast gelungen.“, sagte er bestimmt und funkelte Trevis herausfordernd an. Respekt hin oder her, er würde sich nicht einfach beugen, auch nicht vor diesem Mann. Trevis seufzte und rieb sich mit Zeigefinger und Daumen den Nasenrücken. „Du bist wirklich hartnäckig.“, lächelte er dann. „Okay, hör zu, vielleicht überzeugt dich Folgendes: Wir werden deiner Mutter nicht nur medizinische Hilfe zukommen lassen und sie behandeln. Wir werden sogar einen kleinen Schutztrupp zusammenstellen die sie rund um die Uhr beschützt. Ich werde einen meiner Männer darauf ansetzen und zwei weitere Agenten anfordern um ihn zu unterstützen.“ Jack war für einen Moment baff. „Wozu ein Schutztrupp? Ist sie denn in Gefahr?“, fragte er besorgt. „Na ja, das Syndikat könnte es auf sie abgesehen haben. Das ist die Organisation, der Corona angehört. Immerhin ist sie die Mutter desjenigen, der fünf der sechs Steine absorbieren konnte. Eine Attacke auf Lisa Weber wäre als durchaus möglich, wenn auch unwahrscheinlich.“, erklärte Trevis ernst. „Und das würden sie für mich tun? Ein Schutztrupp zusammenstellen?“ „Ja, das würde ich tun. Und unsere medizinische Versorgung ist erste Klasse. Unsere Doktor Rain hier ist eine der talentiertesten Medizinerinnen der ganzen Zodiacgesellschaft. Sie und ihre Assistenten werden sich persönlich um sie kümmern. Der Zustand deiner Mutter würde sich über einen längeren Zeitraum deutlich verbessern. Doktor Rain kann das bestätigen.“ Die Ärztin lächelte und nickte. Ihr glaubte Jack sofort. „Das alles natürlich nur wenn du dich dazu bereit erklärst mit uns zusammen zu arbeiten und hier bleibst.“, schloss Trevis. Er lächelte und streckte dann seine Hand aus. „Deal?“ Jack zögerte. Er wollte immer noch nicht an dieser Akademie bleiben, aber blieb ihm letztendlich eine andere Wahl? Und das Angebot hörte sich nicht schlecht an. Seine Mutter würde es höchstwahrscheinlich sogar besser gehen. Doktor Rain vertraute er da voll und ganz. Wenn er ihr Lächeln sah konnte er gar nicht anders. Er seufzte und schlug ein. „Das ist zwar Bestechung, aber in Ordnung… Deal.“, sagte er. Trevis lachte auf und schüttelte kräftig seine Hand. Jack hörte wie Doktor Rain erleichtert ausatmete und Crux aufstöhnte. Hinter Jack stieß Jason einen leisen Jubellaut aus, ehe er sofort wieder stramm stand. „Ausgezeichnet.“, sagte Trevis jetzt. „Es freut mich einen so aufgeweckten Burschen an der Akademie aufnehmen zu können. Glaub mir, es wird dir gefallen. Die Sommerferien enden in fünf Wochen. Dann wirst du zusammen mit den anderen Neuen eingeschult. Erfreulicherweise hast du genau das richtige Alter dafür. Bis dahin wirst du bei meinen Männern in der Hundehütte wohnen. Dein Gepäck, das deine Mutter mir freundlicherweise mitgegeben hat, ist auch schon in deinem Zimmer. Leutnant Fang und Jason werden dich dorthin begleiten.“ „Jawohl, Sir!“, bellten Jason und der bleiche Hüne unisono. „Schön. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt. Doktor Rain, Jack.“ Trevis deutete einen leichten Salut an. “Ich habe noch einiges zu erledigen. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder.“ Er zwinkerte Jack noch einmal zu und ging dann an ihm vorbei zu den Aufzügen. Schon war er wieder weg. Da erst fiel Jack die Sache mit Jonas wieder ein. Es war so viel passiert dass er seinen besten Freund völlig vergessen hatte. Er ärgerte sich darüber, aber ließ sich nichts anmerken. Er würde Trevis hoffentlich bald wieder sehen. Doktor Rain kam jetzt mit einem sanften Lächeln auf ihn zu und gab ihm die Hand. Sie schien sich am meisten darüber zu freuen, dass Jack blieb. „Schön dass du bleibst und es versuchen willst. Die Akademie ist überhaupt nicht schlimm, du wirst schon sehen. Wenn du Fragen hast oder mit jemanden reden willst kannst du jederzeit gerne zu mir kommen.“ Bleib bloß weg!, zischte Crux. „Danke.“, sagte Jack und ignorierte die Schlange einfach. „Und wenn du mir in den Ferien helfen magst, gerne.“, zwinkerte die Ärztin. „Ich bin die Wochen über ganz alleine. Meine Assistenten kommen erst zum neuen Schuljahr hierher und es gibt viel zu tun.“ „Ich werde vorbeischauen.“, versprach er. „Schön. Dann bis später.“ Sie knuffte ihm freundschaftlich in die Schulter und Jack wandte sich zum Gehen. Flankiert von einem bleichen Hünen und dem gespielt ernst dreinschauenden Jason schritt er zu den Aufzügen und fuhr nach oben. Zu seinem neuen Leben. Kapitel 7: Die Hundehütte ------------------------- Die Hundehütte Kaum waren sie aus der Krankenstation herausgetreten, schon verabschiedete sich der bleiche Hüne. Leutnant Fang erklärte das er wichtigere Dinge zu tun hätte als einen dahergelaufenen Bengel in sein Schlafgemach zu eskortieren und überließ diese Aufgabe Jason. Dann verschwand er in Richtung Villa. Jack folgte nun also dem jungen Soldaten, der ihn schweigend in die Richtung des grauen Klotzes führte, dem Gebäude, das etwas abseits direkt an den Ausläufen des Waldes lag und so gar nicht zum Rest des Geländes passte. Anscheinend war das die Hundehütte von der Falk Trevis geredet hatte. Und tatsächlich sah das Gebäude nicht sehr viel gemütlicher aus. Der Name war absolut passend gewählt. Jason schaute immer wieder neugierig über seine Schulter, aber Jack hatte immer noch keine Lust ein Gespräch mit ihm anzufangen. Er schaute nur trotzig zurück und Jason wandte sich sofort wieder ab. Der Stinkefinger von vorhin hatte seine Wirkung nicht verfehlt. So kam es das die beiden den kurzen Weg zurücklegten ohne ein einziges Wort auszuwechseln. Jason öffnete das Tor im hohen Maschendrahtzaun mit einem eigenen Schlüssel. Der obere Rand der Abgrenzung war mit Stacheldraht versehen, so dass man nicht einfach hinüber klettern konnte. Trotzdem kam ihm diese Absperrung lächerlich vor. Jemanden wie Corona würde das auf jeden Fall nicht abhalten. Sie wäre einfach darüber hinweg geflogen mit ihren merkwürdigen ledernen Schwingen. Und auch andere Zodiac hatten bestimmt Fähigkeiten die so einen Zaun als Abwehr ins Lächerliche ziehen würden. Jetzt wo Jack darüber nachdachte regte sich leises Interesse in ihm. Er hatte vorher nicht darüber nachgedacht, aber die übermenschlichen Fähigkeiten die sowohl Corona als auch Falk Trevis in der Tropfsteinhöhle gezeigt hatten, rührten von ihren Zodiac her. Jetzt wo er selbst ein Träger war, konnte er da vielleicht ähnliche Fähigkeiten entwickeln? Mit Sicherheit. Wieso sonst sollte er an einem so abgeschiedenen Ort, an einer Akademie, von der er noch nie gehört hatte, so urplötzlich eine Ausbildung machen? Jack hatte sich nie für so etwas wie Magie interessiert. Er hatte ja nicht einmal daran gedacht dass es so etwas tatsächlich geben könnte. Aber jetzt, wo diese übernatürlichen Kräfte zum Greifen nahe waren, musste er sich eine gewisse Wissbegierde eingestehen. Jason winkte ihn herein und die beiden traten zur Eingangstür, ein riesiges eisernes Ungetüm. Aus der Nähe sah die Hundehütte aus wie ein Bunker aus dem zweiten Weltkrieg. Der junge Soldat schloss auch diese Tür auf und machte eine einladende Geste. „Willkommen in der Hundehütte.“, verkündete er. Jack nickte und trat an ihn vorbei, hinein in das Gebäude. Von innen sah es genau so karg aus wie von draußen. Er stand in einem kleinen Flur, der nach rechts und links abging und in zahlreiche Zimmer abzweigte. Die Wände waren grauer Beton und ein paar schmutzige Fenster warfen Lichtkegel in den Flur, in dem kleine Staubpartikel tanzten. Jason schloss hinter ihnen die Tür. Jack musste wenig begeistert ausgesehen haben, denn der junge Soldat sagte: „Nicht sonderlich bequem, aber zweckmäßig. Ich hoffe dass dir das nichts ausmacht. Wenn du lieber schon ein Zimmer im Haupthaus haben möchtest dann lässt sich das bestimmt irgendwie einrichten.“ „Nein, das geht schon.“ Eigentlich war es ihm völlig egal wie es hier aussah und wenn Jason es hier aushielt, warum dann nicht auch er? Jason lächelte kurz und führte Jack dann den rechten Gang entlang. „Komm, ich zeige dir das Zimmer.“ Sie gingen fast bis zum Ende durch. Im ganzen Gebäude war es so still wie in der Krankenstation. Anscheinend waren die beiden ganz alleine. „Die anderen sind alle auf einem Feldtraining und kommen erst heute Abend wieder.“, erklärte Jason, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Ich durfte heute hier bleiben um dich ein bisschen anzuleiten und dir den Einstieg zu erleichtern. Ich hab mich total gefreut als sie mir das erzählt haben. Na ja… Jedenfalls kommt hier später ein bisschen mehr Leben in die Bude.“ Jason lächelte wieder leicht. Es sah etwas verkrampft aus. Die Enttäuschung dass Jack ihn so gemein behandelte stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und plötzlich tat er ihm Leid. Anscheinend hatte Jason sich ehrlich auf seine Ankunft gefreut. Auf einmal fragte Jack sich warum der Junge seine Ferien nicht zu Hause verbrachte sondern in einem langweiligen Betonklotz hauste. Der junge Soldat öffnete die Tür und trat ein. „Das ist mein Zimmer. Und für die nächsten fünf Wochen auch wohl deins.“, erklärte er. Jack trat ein. Das Zimmer war genau so unspektakulär wie alles andere. Graue Betonwände, ein großes schmutziges Fenster, zwei kleine, ungemütlich aussehende Betten, auf denen perfekt gefaltete Bettwäsche lag, ein großer Schrank und ein Waschbecken mit Spiegel in der hinteren rechten Ecke. Vor einem der Betten erkannte Jack seine Sporttasche, die er auf den Schulausflug mitgenommen hatte, und daneben einen weiteren kleinen Koffer, den seine Mutter gepackt haben musste. „Schön“, log Jack. „Nicht wirklich.“, seufzte Jason. Er schloss die Tür und ging zu dem Bett, vor dem keine Koffer lagen, und setzte sich darauf. „Aber es ist immerhin mein eigener Raum. Fühl dich ganz wie zu Hause.“ Jack nickte und ging rüber zu seinen Sachen. Er öffnete die Tasche und sah einen Stapel Hemden, ein paar Jeans, Unterwäsche und Socken, die fein säuberlich hineingepackt wurden. Anscheinend hatte seine Mutter auch die Tasche noch einmal neu gepackt. Er schob die Tasche zur Seite und fand eine Plastiktüte und sein Skateboard, ein altes Ding, das er schon seit Jahren benutzte. Bisher hatte es immer gehalten. Zwar hatte Jack schon ein paar Dinge ausgetauscht, wie zum Beispiel die Räder, die noch keinen Monat alt waren und deren neongrüne Farbe noch nicht ganz abgeblättert war, aber ansonsten war das alte Teil noch völlig einwandfrei. Als Jason das Sportgerät sah wollte er etwas sagen, hielt sich aber im letzten Moment doch zurück. Jack seufzte. „Hör zu, es tut mir Leid das ich dir vorhin den Finger gezeigt habe. Ich war einfach nur angepisst dass ihr mich eingefangen habt. Aber wenn du jetzt die ganzen fünf Woche nen Flunsch ziehst entschuldige ich mich lieber.“, sagte er. Jason lächelte sofort wieder. „Und mir tut es Leid, dass wir dich zurückgehalten haben. Ich kann gut verstehen dass du abhauen wolltest. Ich hätte es vielleicht auch versucht.“ „Na dann sind wir ja quitt.“ „Richtig. Coole Aktion übrigens. Durch die Lüftungsschächte zu klettern war ne gute Idee.“ Jetzt musste auch Jack grinsen. „Danke.“ Jason traute sich jetzt wo das Eis plötzlich gebrochen war näher heran. Er setzt sich auf Jacks Bett und schaute sich voller Neugier seine Sachen an. Sein Blick klebte geradezu auf dem alten Skateboard. „Du bist ein Skater, was?“, fragte er. „Ich fahre ganz gern und kann auch ein paar Tricks. Ziemlich gut das meine Mutter dran gedacht hat das Teil mit einzupacken. Bist du auch schon mal gefahren?“ „Ich? Nein. Für so was hatte ich nie Zeit oder Gelegenheit.“ „Hast du denn gar keine Freizeit?“ „Nein. Nur ganz selten. Ich gehöre schon seit ich klein bin zu den Hunden. Ich bin quasi in diesem Betonklotz aufgewachsen.“ „Oh.“, sagte Jack und es war voller Mitgefühl. Er konnte sich gar nicht vorstellen keine Freizeit zu haben. Würde er an der Akademie auch nicht mehr dazu kommen seinen Hobbys nachzugehen? Kein Skaten mehr? Keine Musik? „Was sind denn die Hunde?“, fragte er dann. „Hört sich ja irgendwie merkwürdig an.“ „Eine Spezialeinheit von Zodiacagenten die immer dem momentanen Zodiacgroßmeister der deutschen Akademie unterstellt ist. Das wäre dann im Moment Albert Bach, der Mann, der auch dein Direktor sein wird sobald die Ausbildung für dich anfängt. Wir werden Hunde genannt weil unsere Zodiac ausschließlich Hundearten sind.“ Jack hörte mit ehrlichem Interesse zu und sog die Informationen auf wie ein Schwamm. Immer noch fand er die ganze Sache unglaublich. Gut dass er das Eis zwischen den beiden doch noch gebrochen hatte. Jetzt konnte er Jason ausfragen. „Du bist also auch ein Zodiacträger?“, fragte er ihn. „Natürlich.“, grinste Jason. Er stand auf und zog sein Tank Top hoch. Und da war sein Zeichen, sein eigenes Zodiactattoo. Um seinen Bauchnabel herum wand sich der Körper eines länglichen Hundes mit kurzen Beinen und Schlappohren. „Mein Zodiac ist der Dachshund. Um genau zu sein der Kurzhaardackel. Aber soweit ich weiß bin ich im Moment der einzige Dackeltyp.“ Jack musste sich ein Lachen verkneifen. Ein Dackel als Zodiac zu haben erschien ihm irgendwie lächerlich, aber das sagte er natürlich nicht laut. Er wollte Jason nicht schon wieder beleidigen. „Was meinst du denn damit, du seiest der einzige Dackeltyp?“, fragte er stattdessen. „Von einigen Tieren gibt es mehrere Arten als Zodiac. Soweit ich weiß gibt es noch mindestens zwei weitere Dachshundarten. Aber sie haben zurzeit keinen Träger.“ Jasons Blick klebte immer noch an dem Skateboard. „Darf ich mal?“ „Klar.“ Er nahm das Sportgerät in die Hand und betrachtete es von allen Seiten, fast so, als hätte er noch nie ein Skateboard gesehen. Testweise stieß er eines der Räder an, das sich quietschend drehte. „Wenn du willst dann zeige ich dir später mal wie man darauf fährt.“, schlug Jack vor. „Wirklich? Das wäre super! Ich hoffe wir finden Zeit dafür. Ich wollte das schon immer mal ausprobieren, aber das ist hier leider nicht erlaubt. Aber dir wird man es bestimmt nicht verbieten! Du bist schließlich ein Gast.“ Völlig begeistert von der Idee das Skateboard bald selbst ausprobieren zu können gab er es Jack schon fast ehrfürchtig zurück. Der steckte es wieder hinter die Taschen und schaute in Plastiktüte. Darin fand er ein weiteres Paar Sneaker, die nicht viel besser aussahen als die, die er schon trug. Er zog sie heraus und stellte sie neben das Bett. „Die kannst du dann anziehen. Mit deinen Militärstiefeln zerbrichst du mir am Ende noch das Brett.“, scherzte er. „Klar.“ Jack machte sich jetzt an den Koffer und fummelte am Reißverschluss. Der alte Koffer klemmte, weswegen er sich nicht so einfach öffnen ließ. „Verdammtes Ding.“ „Kann ich dir helfen?“ „Nein, geht schon. Zur Not mit ein bisschen Gewalt. Sag mal, hast du eigentlich auch so irre Kräfte wie Doktor Rain? Kannst du auch deinen Zodiac beschwören, so wie sie Crux beschwören kann?“, fragte Jack interessiert. Aber Jonas schüttelte den Kopf. „Die Beschwörung des eigenen Zodiac ist eine schwierige Sache und eine ganz seltene Fähigkeiten. Matilda Rain ist eine der wenigen Menschen auf der Welt die das können. Albert Bach zum Beispiel gehört aber auch dazu. Aber ich habe andere Fähigkeiten. Die Zodiac verleihen jedem Träger besondere Kräfte.“ „Und die wären?“ „Das ist bei jedem verschieden. Sogar der gleiche Zodiac kann bei zwei verschiedenen Personen ganz andere Kräfte hervorrufen. Das hat etwas mit der Persönlichkeit des Trägers zu tun.“ „Heißt das etwas ich habe auch besondere Kräfte?“, fragte Jack hoffnungsvoll. „Natürlich. Du kannst sie nur vermutlich noch nicht nutzen. Es ist schwer von alleine darauf zu kommen wie man die Kräfte einsetzt, deswegen bist du ja hier. In fünf Wochen werden dir ein Team und ein Meister zugeteilt und dann wirst du deinen Zodiac richtig kennen lernen. Sorry, ich meine deine Zodiac. Du hast ja mehrere. Darf ich vielleicht mal die Zeichen sehen?“ „Klar.“ Jack zeigte ihm erst die beiden Tattoos auf seinen Unterarmen: Die zweibeinige Echse mit den kleinen Teufelshörnern und den Flammen auf dem Rechten und die langhalsige Kreatur mit den Flossen auf dem Linken. Dann knöpfte er sein Hemd auf und zeigte ihm das Abbild des riesigen Vogels mit den langen Schwanzfedern. Letztendlich rollte er seine Jeans hoch und zeigte ihm noch die letzten beiden Zeichen auf seinen Waden: Die Echse mit dem Ritterschild als Kopf und das geflügelte Wesen mit dem langen spitzen Schnabel. „Wahnsinn.“, sagte Jonas sichtlich beeindruckt als Jack sich wieder anzog. „So große Zodiactattoos habe ich vorher noch nie gesehen. Und dann gleich fünf Stück auf einmal. Fühlt sich das nicht komisch an?“, erkundigte er sich. „Komisch? Was meinst du?“ „Fühlst du deine Zodiac denn gar nicht? Normalerweise sprechen sie zu einem. Die Stimme hallt dann in deinem Kopf wider, so wie bei Crux. Nur mit dem Unterschied dass nur du sie hören kannst. Dachshund spricht die ganze Zeit mit mir, selbst jetzt.“, erklärte Jonas erstaunt. „Nein, ich fühl mich ganz normal. Zum Glück redet niemand in meinem Kopf.“, behauptete Jack. Ganz richtig war das natürlich nicht. Er erinnerte sich an die vielen Stimmen, die er im Traum gehört hatte kurz bevor er in der Krankenstation aufgewacht war. Sie hatten davon geredet seinen Körper zu übernehmen und vor allem die eine Stimme, die mit der merkwürdigen Fratze, die ihn verfolgt hatte, war ihm ganz besonders in Erinnerung geblieben. Waren das seine Zodiac gewesen? Wahrscheinlich. Er starrte auf seine Unterarme herab und fragte sich welcher der fünf Zodiac derjenige mit der Fratze gewesen war. „Es ist ganz schön gruselig wenn man seinen Zodiac das erste Mal reden hört. Nicht wenige sind davon wahnsinnig geworden. Aber die meisten gewöhnen sich früher oder später daran.“, erklärte Jason lächelnd. „Dann hoffe ich mal dass meine Zodiac noch eine Weile schweigen.“, sagte Jack. Er hoffte es wirklich. Er hatte zwar leises Interesse an den Wesen entwickelt, aber wenn er an die vielen Stimmen dachte zog sich sein Magen zusammen. „Weißt du mehr über meine Zodiac?“, fragte er Jason nun. „Ein wenig.“, sagte Jason zu seiner Überraschung. „Lange Zeit dachte man dass diese sechs speziellen Zodiac gar nicht existieren. Sie waren so etwas wie eine Legende. Vor tausenden von Jahren sollen sie mal von irgendwelchen Menschen getragen worden sein, aber seitdem waren sie nie wieder aufgetaucht. Na ja, bis jetzt. Man nennt sie die Prähistorischen Sechs, weil diese Zodiac die Gestalt längst ausgestorbener Tiere haben.“ „Dinosaurier!“, entfuhr es Jack. „Ganz genau.“, bestätigte Jason grinsend und deutete auf seinen rechten Unterarm. „Ich kenne zwar die Namen nicht, aber das da sieht doch haargenau aus wie ein Dinosaurier mit kleinen Hörnern, oder nicht?“ Jack starrte mit großen Augen und offenem Mund auf das Tattoo. „Jetzt wo du es sagst, du hast völlig Recht.“, sagte er. „Oh Mann. Das ist ja der Hammer.“ „Kann man wohl so sagen. Ich bin schon gespannt was mal aus dir wird, Jack. Mit so tollen Zodiac an deiner Seite wirst du bestimmt irgendwann mal ein Zodiacgroßmeister, so wie Albert Bach.“ „Meinst du?“ Jason lächelte und nickte ehrlich. In seinen Augen spiegelte sich so etwas wie Bewunderung für Jack wider. Damit konnte Jack nun gar nichts anfangen. Sein Leben lang war er ein Außenseiter gewesen, von Mitschülern geärgert und zusammengeschlagen und von den Lehrern ignoriert. Er überspielte seine Verlegenheit geschickt und wandte sich wieder dem Koffer zu, der immer noch nur halb geöffnet vor ihm lag. „Mal sehen was meine Mutter mir noch eingepackt hat“, wechselte er schnell das Thema. Mit ein paar gewaltsamen Rucken am Reißverschluss schaffte er es schließlich das alte Ungetüm zu öffnen. Es lagen hauptsächlich noch mehr Klamotten darin, darunter der dunkelgraue Anzug, den Jacks Großmutter ihn manchmal zwang anzuziehen wenn sie ihn Sonntags in die Kirche zehrte. Doch ganz oben auf dem Haufen lagen zwei kleine Gegenstände und ein Brief. Auf dem Briefumschlag stand in der Schnörkelschrift seiner Mutter Jacks richtiger Name: Jakob. Er schob ihn zur Seite um ihn später zu lesen. Dann griff er nach dem ersten Gegenstand. Es war ein kleiner aufklappbarer Anhänger an einem Lederband. Von außen sah er aus wie eine der Marken, die Soldaten in amerikanischen Filmen immer um den Hals trugen. Er klappte ihn auf und zwei Gesichter blickten ihm entgegen: Seine Mutter auf der rechten und sein Vater, ein sehr altes, verblichenes Foto, auf der linken Seite. Er klappte es wieder zu bevor Jason einen Blick hineinwerfen konnte und hing sich den Anhänger lächelnd um den Hals. Er hatte dieses Schmuckstück vorher noch nie in Händen gehalten. Vermutlich wollte seine Mutter es ihm irgendwann zu einem besonderen Anlass geben und jetzt war es sein Abschiedsgeschenk. Der andere Gegenstand war eine Armbanduhr, der Jack seit Jahren keine wirkliche Beachtung mehr geschenkt hatte. Es war eine G-Shock, eine große, klobige Digitaluhr aus neongrünem Plastik die vor Jahren mal total angesagt war. Damals hatte Jack sie voller Stolz an seinem Handgelenk getragen. Aber nachdem der Trend vorbei war hatten sich die anderen Kinder über die Uhr lustig gemacht und seitdem hatte sie, mit einer Pinnnadel an die Wand geheftet, über seinem Bett im Zimmer gehangen. Er nahm sie heraus und verglich die Uhrzeit mit der Uhr an der Wand. Sie war immer noch richtig eingestellt und die Batterien waren nicht leer. Eines musste man dieser Marke lassen: Sie war anscheinend unkaputtbar. „Wow, so eine Uhr habe ich vor Jahren das letzte Mal gesehen.“, kommentierte Jason auf einmal und grinste. „Alle Schüler hatten so was. Ich hab sie immer darum beneidet. Wenn ich den Plastikklotz so sehe weiß ich im Nachhinein gar nicht warum.“ „Sie war eines der seltenen Geschenke, die mein Vater mir gemacht hat. Sie kam damals mit der Post und ich habe mich so sehr gefreut wie noch nie in meinem Leben.“, erzählte Jack. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er daran dachte. „Wo ist dein Vater denn?“ Jack zuckte mit den Achseln. „Das weiß ich nicht so genau. Er hat meine Mutter verlassen noch bevor ich geboren wurde und sie redet selten über ihn. Ich weiß nur dass ich seinen Namen geerbt habe, Jakob, und das er jetzt irgendwo in Amerika lebt. Er meldet sich extrem selten bei uns. Vielleicht erst ein dutzend Mal seit ich geboren wurde, wenn überhaupt. Im Prinzip ist diese Uhr die einzige Verbindung zu ihm.“ „Ah ich verstehe. Ursprünglich komme ich auch aus Amerika.“, erwiderte Jason. „Echt? Dafür sprichst du aber gut deutsch.“ Jason lachte auf als hätte Jack gerade einen guten Witz erzählt. „Deutsch? Ich spreche Zodiac. Genau wie du. Witzig, dass dir das noch gar nicht aufgefallen ist.“ „Zodiac? Ich kann keine Sprache außer… Moment.“ Jetzt bemerkte Jack es auch. Vorher hatte er nicht darauf geachtet, aber jetzt wo er sich selber zuhörte fiel ihm auf das er Worte sprach, die er vorher noch nie benutzt hatte. Sie hörten sich völlig fremd an. Eine Sprache, die ihm in keiner Weise bekannt vorkam. Und trotzdem verstand er jedes Wort perfekt. Als wäre diese merkwürdige Sprache seine Muttersprache, die er von klein auf gelernt hatte. So perfekt, dass ihm die ganze Zeit nicht aufgefallen war, dass er nicht deutsch sprach. Testweise sagte er ein paar Sprüche auf, die ihm in den Sinn kamen. „Das ist ja der helle Wahnsinn.“, sagte er schließlich. „Jeder Träger kann diese Sprache ganz automatisch. Das du es gar nicht bemerkt hast ist nicht ungewöhnlich. Sie ist für einen Träger so natürlich dass man es nicht unbedingt bemerkt wenn andere einen nicht darauf hinweisen oder man konzentriert darauf achtet.“, erklärte Jason. „Das wird ja immer verrückter. Wer hätte gedacht das es so etwas gibt?“ Jason lachte. „Und das war erst die Spitze des Eisberges. Zodiac sind faszinierend, du wirst schon noch sehen.“ Jack nickte grinsend und wog die Uhr in seiner Hand. Er wusste genau warum seine Mutter sie mitgeschickt hatte. Es war neben dem verblichenen Foto in seinem Anhänger das einzige Erinnerungsstück an seinen Vater. Er kannte den Mann nicht und seine Mutter erzählte ungern über die kurze Zeit, die sie vor vielen Jahren mit ihm verbracht hatte. Aber Jack wusste dass sie diesen Fremden geradezu vergöttert hatte und auch jetzt noch Gefühle für ihn hegte. All die Jahre hatte sie sich auf keinen anderen Mann mehr eingelassen, teils wegen ihrer Krankheit, teils weil sie die heimliche Hoffnung hatte das Jacks Vater eines schönen Tages wieder da sein würde. Jack selbst glaubte nicht daran. Für ihn war sein Vater nur irgendein Fremder, der seine Familie im Stich gelassen hatte. Als Kind hatte er immer wieder nach ihm gefragt, aber auch das wurde irgendwann weniger. Jetzt dachte er kaum noch an ihn. Vermutlich hatte seine Mutter ihm deshalb die Uhr geschickt. Als Erinnerung das irgendwo auf der Welt so etwas wie ein Vater für ihn da war. „Du solltest sie anlegen.“, sagte Jonas als Jack einen Moment zu lange in Erinnerungen schwelgte. „Meinst du?“ „Auf jeden Fall. Ein Vater ist etwas das man in Ehren halten sollte, selbst wenn man ihn nicht kennt und er weit weg lebt. Glaub mir. Wenn ich du wäre würde ich die Uhr jeden Tag tragen und sie hüten wie einen Schatz.“ Einen Moment lang flammte Traurigkeit in Jasons Augen auf und Jack ahnte, was er ihm sagen wollte. Er lächelte seinem neuen Kumpel zu. „Du hast Recht.“, sagte er schließlich und legte sich die Uhr an. An seinem schlanken Handgelenk sah sie noch klobiger aus als sie ohnehin schon war, aber das war Jack inzwischen egal. Er begann jetzt seine Klamotten auszupacken und in den Schrank zu räumen. Jason half ihm bereitwillig. Die beiden unterhielten sich über alles mögliche, vor allem aber über Dinge, die Jason nur vom Hörensagen kannte. Da er schon seit klein auf von den Hunden großgezogen wurde und eher selten nach draußen kam hatte er die Freuden eines normalen Jugendlichen nie genießen können. Er zeigte Jack aber seinen Laptop, mit dem er im Internet surfen konnte und sich über alles Mögliche informierte. Unter anderem wollte er wissen wie es in der Schule war, weil er immer nur Privatunterricht bekam, wie es war mit einer Achterbahn zu fahren oder wie Zuckerwatte schmeckte. Jack konnte nicht fassen dass es einen Jugendlichen gab, der solche Dinge noch nicht erlebt hatte und hielt seine Fragen über die Zodiac erst einmal höflich zurück. Immerhin hatten sie noch ganze fünf Wochen, in denen sie sich unterhalten und Erfahrungen austauschen konnten. Aber plötzlich kam Jack etwas in den Sinn, an das er schon vorher hätte denken können. Jason war am Tag in der Höhle doch auch dabei gewesen! Vielleicht konnte er ihm Näheres über Jonas erzählen. Er ließ den Koffer Koffer sein und stand, plötzlich ganz aufgeregt, auf. „Jason, du hast Trevis doch vor einigen Tagen in die Tropfsteinhöhle begleitet, richtig?“ Der junge Soldat schaute ganz verdutzt und blinzelte verwirrt. „Ja. Der General nahm mich mit weil sonst niemand hier war und der Auftrag ganz kurzfristig rein kam.“ „Erinnerst du dich an den Jungen, der die ganze Zeit bei mir war? Der mit dem runden Gesicht und den abstehenden Ohren?“ „Ja, ich glaube schon. Wieso?“ „Er war bei mir als Trevis und diese Corona miteinander kämpften. Wir gerieten aus Versehen in ihre Auseinandersetzung und dabei passierte der Unfall mit den sechs Steinen.“ „Ja, General Trevis erzählte mir davon.“ „Kannst du mir sagen was mit dem Jungen passiert ist? Wo ist Jonas?“ „Gute Frage. Der General erzählte von ihm und meinte das der zweite Junge einfach verschwunden war, nachdem ihr in die Grube mit den Steinen gestürzt ward. Er verließ die Höhle nur mit dir auf den Schultern und dann sind wir so schnell wie möglich hierher gekommen damit Doktor Rain dich behandelt.“ „Was soll das heißen? Das Jonas einfach so verschwunden ist?“ „General Trevis erzählte Corona hätte euch direkt in die Grube geworfen, wo ihr beide für einige Sekunden aus seinem Blickfeld verschwunden ward. Er hat dich schreien gehört. Dann warf sich Corona im Sturzflug hinterher und als der General endlich in die Grube blickte waren Corona, der zweite Junge und der sechste Stein spurlos verschwunden. Als hätte der Erdboden sie verschluckt. Nur du bliebst ohnmächtig zurück.“ „Das kann doch gar nicht sein!“, rief Jack aufgebracht. „Wenn es um Zodiackräfte geht dann ist nichts unmöglich. Wir wissen zwar das Corona keine Fähigkeiten besitzt die eine solche Flucht möglich gemacht hätten. Aber sie könnte einen Komplizen gehabt haben, der ihr das ermöglichte.“ „Soll das heißen Jonas ist mit Corona zusammen verschwunden? Sie könnte sonst was mit ihm machen!“ Jason nickte bekümmert. „Ja, sieht so aus.“ Das war schlimm. Das war sogar sehr schlimm. Er gab seinem Koffer einen wütenden Tritt und die restlichen Klamotten verteilten sich quer über den Boden. „So eine verdammte Scheiße!“, fluchte er. „General Trevis hat bereits einen Suchtrupp losgeschickt, falls dich das beruhigt.“, sagte Jason schnell. Das beruhigte ihn überhaupt nicht. Jack knallte die Schranktür zu und setzte sich auf das Bett. Jetzt hatte er gerade ein wenig Gefallen an seiner Situation gefunden und schon warf ihn etwas Neues völlig unerwartet aus der Bahn. Kapitel 8: Albert Bach ---------------------- Albert Bach Die Nachricht Jonas sei wie vom Erdboden verschluckt machte Jack nicht etwa traurig sondern wütend. Er tobte einige Minuten, in denen er nicht nur seinen Koffer durch den kleinen Raum zimmerte. Er verteilte auch seine Bettwäsche auf dem Boden, warf die Matratze aus dem Bettgestell, so dass sie auf dem Waschbecken landete, und gab dem metallischen Gestell dann einen Tritt, der eine Delle im Möbelstück und einen schmerzenden Zeh bei ihm hinterließ. Jason schaute sich das ganze Schauspiel schweigend an und wagte erst wieder zu reden als Jack sich auf den Rand des Bettes setzte und sich hängen ließ. „Alles okay, Jack?“, fragt er, obwohl er genau wusste, dass nicht alles okay war. „Ja. Geht schon wieder. Der Ausraster tut mir Leid. Das ist eigentlich nicht meine Art, aber… Diese ganze Situation!“ „Ich verstehe das schon.“, sagte Jason und setzte sich neben ihn. „Aber du kannst jetzt nichts daran ändern. Leider. Manchmal spielt das Leben einen übel mit. Es ist ja nicht gesagt dass der Junge tot ist. Generals Trevis Leute sind die Besten, wenn es darum geht irgendjemanden ausfindig zu machen.“ Jack nickte ohne dabei überzeugt zu wirken. „Ich werde dir erst einmal was zu Essen besorgen. Du hast seit Tagen in der Krankenstation nur Flüssignahrung bekommen. Dein Bauch knurrt bestimmt wie ein Bär.“, schlug Jason vor, stand langsam auf und ging rüber zur Tür. „Du kommst klar?“, fragte er noch einmal. „Ja, danke für alles.“ „Gut. Bis gleich.“ Und damit ließ Jason ihn wieder allein. Er saß noch einen Moment reglos auf dem Bettrahmen und starrte in die Leere. In seinem Kopf wirbelten Gedanken, Bilder der vergangenen Stunden, Bilder des Kampfes in der Tropfsteinhöhle, das Gesicht seiner Mutter, dann Jonas, und verursachten leise Kopfschmerzen. Dennoch erhob Jack sich und machte sich daran das Chaos aufzuräumen, das er in seinem Wutanfall angerichtet hatte. Solch heftige Gefühlsausbrüche hatte er selten. Meistens gelang es ihm lässig zu bleiben und eine Fassade der Coolness und Unnahbarkeit aufrecht zu erhalten. Normalerweise schaffte es nur seine Großmutter eine solch starke Gefühlsregung aus ihm herauszukitzeln. Aber die neue Situation war so überwältigend gewesen dass bei ihm eine Sicherung durchgebrannt war. Immer noch wallte das Blut durch seine Adern. Er hob die Matratze zurück in das Gestell und warf die zerknitterte Bettwäsche darauf. Dann begann er seine Boxershorts, Hemden und Socken wieder einzusammeln und warf sie achtlos in den Schrank. Als er gerade eine Jeans zur Seite nahm sah er den Umschlag wieder, der Brief, den seine Mutter zum Abschied geschrieben und den sie liebevoll mit seinem Namen versehen hatte. Beim bloßen Anblick ihrer Schrift beruhigte er sich. Er klaubte den Brief vom Boden, setzte sich abermals auf das Bett und öffnete den Umschlag bedächtig. Das Papier verströmte einen ganz eigenen Duft als Jack es herauszog. Es roch nach Früchtetee, den seine Mutter beim Schreiben sicherlich getrunken hatte, und nach dem blumigen Parfum, das sie immer auftrug. Es war nur eine einzige Seite, aber als Jack die Schrift sah, die auch aus einem Märchenbuch hätte stammen können, musste er unwillkürlich lächeln. Hallo Jakob, mein Schatz, vor mir am Küchentisch sitzt Herr Trevis, ein sehr netter Mann, und erzählt mir unglaubliche Geschichten. Ich bin ja so erleichtert dass es dir gut geht und du dein kleines Abenteuer in der Höhle heil überstanden hast. Herr Trevis erzählte mir auch von den Zodiac, von denen du gewiss schon selbst erfahren hast. Ich war erst ein skeptisch, aber nachdem er mir die ganze Sache genauer erklärte war ich davon fasziniert. Ich kann mir vorstellen dass dir die ganze Situation so gar nicht gefällt, aber Herr Trevis und ich haben beschlossen, dass du auf die Akademie gehen wirst. Ich glaube dass es das Beste für dich ist und ich hoffe du kannst mir verzeihen dass ich das einfach so über deinen Kopf hinweg entschieden habe. Die Entscheidung ist mir nicht so leicht gefallen wie du vielleicht denkst. Ich vermisse dich jetzt schon ganz fürchterlich. Ich wünsche dir aber alles Gute und viel Spaß. Ich hoffe du findest ganz schnell neue Freunde. Leider dürfen wir nicht miteinander telefonieren, aber Herr Trevis erzählt mir gerade, dass wir uns Briefe schreiben können. Ich freue mich also auf deine Post. Jetzt muss ich leider schon aufhören. Herr Trevis hat es eilig und möchte den Brief persönlich zur Akademie mitnehmen. Von deiner Großmutter soll ich dir ausrichten, dass du dein Hemd immer ordentlich zuknöpfen sollst und natürlich grüßt sie ganz lieb. Ich wusste immer, dass du etwas ganz Besonderes bist. Deine Mama Jack las den kurzen Brief mit einem breiten Lächeln. Die wenigen liebevollen Worte seiner Mutter vertrieben seine Sorgen wenigstens für einen kurzen Moment und er nahm sich vor ihr so schnell wie möglich zu antworten, damit sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Er steckte den Brief sorgfältig in die Seitentasche seines Koffers und machte sich dann mit besserer Laune wieder an die Arbeit. Nach wenigen Minuten kam Jason wieder und trug einen Teller mit zwei belegten Broten und einen großen weißen Becher mit kaltem Tee herein. Jack bedankte sich und biss in eines der Brote. Erst jetzt bemerkte er seinen großen Hunger und verspeiste gierig beide Brot ehe er den Tee hinunterstürzte. „Die anderen kommen jeden Moment wieder.“, verkündete Jason als Jack fertig war. „Ich habe gerade Leutnant Fang auf dem Flur getroffen und er meint wir sollten uns darauf gefasst machen dass gleich eine Horde dreckiger Hunde die Hütte stürmen wird.“ Jack grinste als er sich das bildlich vorstellte. In seinen Gedanken wurde der Leutnant von der dreckigen Hundemeute gejagt und in den Hintern gebissen. „Wo waren Sie denn?“, fragte er. „Sie sind vor zwei Tagen zu einem Feldtraining aufgebrochen. Das heißt sie waren im Wald, haben sich im Dreck gewälzt und so getan als würde hinter jedem Busch ein Feind lauern. Eigentlich ziemlich witzig.“ „Cool.“ In diesem Moment wurde die bleierne Stille, die die ganze Zeit über in der ganzen Hundehütte geherrscht hatte, durch das Rumsen der Eingangstür und einem Schwall männlicher Stimmen durchbrochen. „Da sind sie ja schon.“, sagte Jason grinsend. Innerhalb von Sekunden schien sich die Hundehütte mit Leben zu füllen. Durch die offene Tür sah Jack auf den Flur die anderen Hunde plappernd und gut gelaunt vorbeiziehen. Sie waren allesamt athletisch oder außergewöhnlich kräftig und jeden von ihnen zierte eine zentimeterdicke Patina aus Dreck, Schlamm und Pflanzenresten. Und jeder von ihnen hatte eine laute, bellende Stimme. Ein besonders großes und schlammbedecktes Exemplar dieser Männerhorde zog jetzt an Jasons Zimmertür vorbei, bemerkte den jüngeren Kollegen und fing an zu grinsen. „Hey Jason, alter Hund! Da bist du ja!“, rief er mit einer Stimme, deren Bass die Wände zum Wackeln brachte. Der Mann schob sich durch die Tür. Er musste sich bücken und etwas seitlich gehen, weil er so groß war. Ohne zu zögern trat er zu Jason, wickelte seine beeindruckenden Arme um den Jungen und drückte ihn kräftig. „Hey Bruno.“, stieß Jason heiser aus. Anscheinend war die Umarmung stark genug sämtliche Luft auf seinen Lungen zu pressen. Bruno lockerte seine Umarmung und hinterließ einen nun ebenfalls dreckigen, aber glücklich grinsenden Jason auf dem Boden. „Und, die Tage ohne uns gut überstanden, Kleiner?“, brummte er. „Ja. Wie war das Feldtraining?“ „Wie immer. Dreck, Kälte und zum Abendessen Regenwürmer. Alles bestens also. Hey, wer ist denn die Bohnenstange da?“ „Ich heiße Jack Weaver.“, sagte Jack und hielt Bruno seine Hand hin. Doch der begnügte sich nicht damit und schloss ihn ebenfalls in die Arme um ihn dann über den Kopf zu rubbeln, als seien sie schon jahrelange Freunde. Jack war so überrascht dass er es kommentarlos über sich ergehen ließ. „Der Neue, was? Der Junge, den General Trevis angeschleppt hat? Schön. Sehr schön. Dir wird es bei uns gefallen, darum wette ich. Ich bin Bruno. Ach, das hast du ja schon mitbekommen!“ Er lachte laut auf. „Willkommen bei den Hunden, Jackie!“ „Ähm… Danke.“ „So ihr beiden!“, polterte Bruno. „Macht euch mal ein bisschen nützlich! Ich werde jetzt erstmal duschen gehen, bevor die anderen das ganze warme Wasser verbrauchen. Tut ihr mir den Gefallen und bringt mein Zeug in den Waschraum? Danke!“ Bruno vollzog einen astreinen Striptease und warf Jack und Jason seine Klamotten zu. Das Feldtraining schien einigermaßen intensiv gewesen zu sein, denn auch seine nackte Haut war von oben bis unten mit Schlamm bedeckt. Dann tippelte der bullige Mann auf Zehenspitzen raus und war wieder verschwunden. „Was war das denn?“, fragte Jack verdutzt und starrte auf die vor Schmutz starrende Hose in seinem Arm. Inzwischen sah er aus als hätte er ebenfalls am Feldtraining teilgenommen. Jason lachte laut auf. „Leutnant Bruno. Er ist der zweite Offizier, also so was wie mein Chef, und der Konkurrent von Leutnant Fang.“, erklärte er. „Bruno hat einen sehr… einnehmenden Charakter.“, stellte Jack fest. „So kann man es ausdrücken.“ Die beiden trugen Leutnant Brunos Klamotten auf den Flur. Jason ging voran und führte Jack zur Waschküche. Auf dem Weg dorthin wurde der Wäscheberg in seinen Armen immer größer. Fast jeder, dem die beiden entgegenkamen, legte eines seiner schmutzigen Kleidungsstücke darauf und setzte einen albernen Kommentar oder anstößigen Witz dazu. Als die beiden endlich den Waschraum erreichten war Jack um ein paar Limericks reicher und um seine Sehkraft beraubt. Er blickte an dem großen Wäscheberg in seinen Armen vorbei und ließ ihn schließlich dankbar in einen Korb fallen. Der restliche Abend wurde dann von der Anwesenheit der Hundetruppe eingenommen. Nachdem sie sich alle grölend und gut gelaunt gewaschen und umgezogen hatten sammelten sie sich im Gemeinschaftsraum und genossen dort Bier und Knabbereien. „Nach einem Feldtraining haben wir immer verspäteten Zapfenstreich.“, erklärte Jason zwischendurch. „Da feiern wir ein bisschen.“ Während die Männer sich fertig machten hatten Jack und Jason viel zu tun. Sie sammelten dreckige Wäsche, die überall verteilt lag, brachten sie in den Waschraum und stellten die ersten Waschmaschinen ein, bereiteten dann den Gemeinschaftsraum vor, stellten die Stühle von den Tischen und verteilten Bier und Salzstangen. Jack half gern, wo die Hunde ihn doch so herzlich und selbstverständlich aufnahmen. Sofort fühlte er sich bei ihnen wie ein gleichberechtigtes Mitglied, wie ein Freund, dabei hatte er nicht einmal einen Hundezodiac. Jeder von ihnen begrüßte ihn mit einem freundschaftlichen Knuff in die Schulter oder einem kräftigen Handschlag und jeder von ihnen trug dabei ein breites, zufriedenes Grinsen. Als alle im Gemeinschaftsraum versammelt waren wurde den Beiden erzählt was beim Feldtraining alles passiert war, welche Übungen die Hunde durchgeführt hatten und wie Leutnant Bruno in einem Schlammloch festgesteckt hatte, nachdem er sich mit zu viel Elan in einen Teich gestürzt hatte. Die Horde lachte und diskutierte noch bis zum Zapfenstreich um zwölf Uhr. Jack sank müde und zufrieden in sein Bett und hatte seine Sorgen fast vergessen. Auch in den folgenden fünf Wochen war er viel zu abgelenkt um sich noch großartige Sorgen zu machen. Der Alltag der Hunde wurde auch zu seinem Alltag. Morgens um halb sechs ging einer der beiden Offiziere durch den Flur und brüllte alle anderen wach. Jack war es zwar freigestellt worden ob er weiterschlafen oder mit den Hunden aufstehen wollte, aber meistens schälte er sich auch aus dem Bett, ganz zu Freuden seines Mitbewohners Jason. Es folgte eine allmorgendliche Katzenwäsche an dem kleinen Waschbecken im Zimmer. Dann wurden einige Klamotten rausgekramt und schon zehn Minuten später standen alle Hunde inklusive Gast zackig auf dem kleinen umzäunten Platz vor der Hundehütte und salutierten, wahlweise vor Leutnant Bruno oder Fang. Welcher der beiden Offiziere vor der Truppe stand war ausschlaggebend für das, was dann folgte. Während Leutnant Fang akribisch auf jeden Makel an Uniform und Haltung der Hunde achtete und bei Nichtgefallen minutenlange Schimpftiraden inklusive Beleidigungen verteilte, übersah Leutnant Bruno schon gern mal heraushängende Hemden oder schlampig geputzte Schuhe und schickte die Gruppe schneller auf den allmorgendlichen Dauerlauf. Jack lief mit ihnen jedem Morgen eine gute Viertelstunde Kreise auf dem Gelände der Akademie („Ein Hund braucht seinen Auslauf.“, sagte Leutnant Bruno immer.) ehe es dann wieder in die Hundehütte zum Frühstück ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)