Himmelslied von Noleen ================================================================================ Prolog: Zwischen Licht und Dunkelheit ------------------------------------- Prolog – Zwischen Licht und Dunkelheit Wir leben in einer Welt, die durch den unaufhaltsamen Fortschritt der Wissenschaft gesegnet ist – immer mehr geben wir uns dem rationalen Denken hin und vergessen dabei, dass unsere Herzen immer finsterer werden. Ohne Moral und ohne jegliche Zielrichtung schreiten wir in der Zeit voran, ohne den Sinn für unser Leben zu finden. Das einzige, das Menschen ihr Leben lang ohne Reue in ihrem kümmerlichen Dasein wiederholen, ist Verbrechen zu begehen, dessen Sünde sie niemals gedenken aus ihrem Gewissen zu waschen. Niemand von all den Ahnungslosen glaubt an eine Illusion, an etwas Irrationales über dem Gesetz, das sie dafür büßen lassen könnte – und doch liegen sie falsch. Ein falscher Gedanke, ein weiterer tiefer Riss in unseren Herzen vermag uns eine schwere Bürde aufzuerlegen, die wir nicht mehr entfliehen können. Niemand glaubt, dass die ewige Bestrafung einen nicht bereits vor dem Tod erwarten könnte – denn war es nicht bereits erwiesen, dass es nichts Höheres in dem Schicksal eines Menschen gab, als dessen ewiger Schlaf? Im Grunde war es eine Lüge, die man aufrecht erhalten musste. Doch solche wie ich, deren Gedanken einst vergiftet waren aus Hass, Rachsucht, Neid und Gier wissen, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Wir konnten nicht vor unserem Schicksal fliehen; konnten es nicht aufhalten, wie wir langsam in die Enge unseres Lebens getrieben wurden und dabei alles verloren hatten, das wir einst besaßen. Keine Hoffnung, keine Erlösung und kein Licht sehen wir mehr in unserem Leben und verfluchen es zugleich. Selbst des Todes zarte Umarmung erscheint uns verlockend, doch wir widerstehen – müssen widerstehen. Denn wir sind verflucht zum ewigen Leben, bis unsere Herzen völlig zerrissen von der Grausamkeit unseres Selbst sind. Mit jeder Sekunde, jeder Minute und jeder vergangenen weiteren Stunde nachdem dieser Fluch auch über mich kam, spürte ich immer mehr, dass sie zu etwas anderem geworden war – etwas Übermenschliches, das einzig und allein dazu diente, das zu tun, was unsere Qual erträglicher machen konnte. Arme Irren in der Welt, die daran glauben, dass wir nicht existieren. Wir existieren – sind weder tot noch lebendig; auf ewig verdammt und dürsten danach, das Chaos über all jene zu bringen, die uns verhöhnen. Denn das ist unsere einzige Befriedigung, unser einziges Schicksal und unser einziger Weg, die Qualen erträglich zu machen. Kapitel 1: Erste Sünde - Manipulation ------------------------------------- Anmerkungen: Dämonen können Menschen auf verschiedener Weise manipulieren, aber unser Protagonist beschränkt sich meistens darauf, ihnen neue Gedanken einzuflößen. Der Rest wird ab Kapitel 2 deutlicher hervorgehoben (sowie Romance^^). ________ Erste Sünde – Manipulation Wann ich vergessen hatte, Reue zu empfinden, wusste ich nicht mehr. Schon seit geraumer Zeit war mein Leben zur Blasphemie geworden und meine einzige Begierde war es, die Menschen zu kontrollieren, zu überwachen und leiden zu lassen, um dabei selbst zu vergessen, dass ich einst so wie sie war. Ich wollte mich selbst nicht frustriert nennen, denn ich wusste, dass es mein Verdienst war, dass mich alles Glück verlassen hatte. Es gab genug Unglückliche, die meine Bestimmung teilten und ich wollte mich nicht mehr länger darüber beschweren, was aus mir geworden war. Ein Monster. Ein Verräter. Doch die Menschen hätten mich einfach als Dämon bezeichnet, wenn sie wüssten, wer ich wirklich war. Ich ließ meinen Blick über die Menschenmasse unter mir schweifen, die sich geschäftig um die Marktstände der Stadt tummelten und dachte über mein weiteres Vorgehen nach. Ein Dach war meiner Meinung nach schon immer der perfekte Ort gewesen, um alles im Augenschein zu behalten, das interessant sein konnte. Doch erst, seit dem ich mein Menschendasein abgelegt hatte, konnte ich diese Vermutung bestätigen. Es war ein gewöhnlicher Tag – zumindest dann, wenn man bereits jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Bedauerlich, dass die Menschlichkeit so vergänglich war – und es war pure Ironie, dass ich genau diese nicht besaß, obwohl ich die Fähigkeiten dazu hatte, sie von den anderen zu manipulieren. Würde die Traurigkeit nicht auch zu einer seelischen Eigenschaft der Menschen gehören, würde ich weinen. Doch vielmehr belustigte mich der Gedanke daran, dass ich in der Lage sein könnte, etwas zu empfinden, das über meine Gleichgültigkeit hinausging. Ich richtete mich auf dem Dach auf und strich mir eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, um mich auf die Menschen unter mir konzentrieren zu können. Niemand konnte mich sehen – niemand würde es wollen. Spielte ich Gott, wenn ich andere auf denselben Weg brachte, den ich einst eingeschlagen hatte? Und selbst wenn, es interessierte mich nicht. Meine Seele war bereits völlig befleckt und würde sich nie wieder erholen – wenn ich überhaupt noch eine besaß und sie mir nicht mit meiner letzten Menschlichkeit entrissen worden war. Welch Ironie … Das einzige, das mir noch Freude brachte, war das Leid der anderen. Ich selbst sah mich viel mehr wie ein Puppenspieler, der stetig alle Fäden in der Hand hielt und diese beliebig ziehen konnte, so viel er wollte. Das einfache Szenario war immer mein Liebstes gewesen, nur damit sich die jähzornige Natur der Menschen abermals bestätigte. Und nun wollte ich die Fäden wieder ergreifen und den Menschen ihre wahre Seite zeigen. Mein gefundenes Opfer war ein stattlicher Mann, etwas größer als der Durchschnitt, der am Rande des Marktplatzes mit einer Pommes in der Hand stand und mit hochgezogenen Augenbrauen den Andrang an den Ständen musterte. Er war die perfekte Besetzung bei meiner hinterlistigen Inszenierung. Ein kurzer Augenblick der Konzentration genügte, um in seine primitiven Gedanken einzutauchen und diese umzuordnen. Was war schon dabei, wenn man die Saat des Bösen in den Köpfen der Menschen zum Gedeihen brachte? Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sprang ich vom Dach hinunter, um mich selbst in das Geschehen einzumischen, das sich bald vor mir bieten würde. Es erfüllte seinen Zweck mehr, sich als einfacher, menschlicher Beobachter unterzumischen und gegeben falls durch gut gewählte Lügen das Netz meines kleinen Streiches weiter zu spinnen. Die Menschen vertrauten mir auf Anhieb, wenn sie mich sahen – vielleicht war es wegen meinem gepflegten Äußeren oder wegen meiner meist höchst höflichen Sprache; aber im Grunde war es niemals mehr als arglistige Heuchelei. Menschen waren für mich nicht viel mehr als Spielbälle – leicht zu beeinflussen und zu durchschauen. Ich lief von der kleinen Seitengasse unauffällig auf die ersten Stände zu, die offensichtlich frisches Gemüse an ihre Kunden verkauften und zog derweil ein Portemonnaie aus meiner Hosentasche, um meine Tarnung zu perfektionieren. Es war nicht sonderlich schwierig, einer von vielen zu sein. Schnatternd, mit erhöhten Stimmen, schwebten ihre törichten Worte in der Luft – von einfachem, uninteressantem Geschwätz bis hin zum eifrigen Feilschen des Preises. Es war kaum zu glauben, wie primitiv die Menschen doch waren… Im Grunde verstanden sie nichts von dieser Welt. Ich krempelte die Ärmel meines schwarzen Hemds hoch, wie es so viele unter den warmen Sonnenstrahlen taten, und fing an, aus den Augenwinkeln mein Opfer zu betrachten. Der Mann hatte inzwischen seine Pommes abgelegt und grummelte irgendwelche Worte vor sich hin – definitiv ein Zeichen dafür, dass ihm momentan niemand zu nahe treten sollte. Der perfekte Zeitpunkt für meinen weiteren Schritt. Ich liebte dieses einfache Spielchen, aus dem einfachen Grund, dass es eine alltägliche Situation vorgaukelte, die viele Menschen auf einmal betraf. Schon lange gab es für mich keinen Unterschied mehr, was die Schwere der Schuld meiner Opfer betraf - denn die Schuld trugen alle bereits in ihrem finsteren Herzen. Der Besitzer eines kleinen Schuhstandes, der sich offenbar um seinen Laden bedroht fühlte, sah kopfschüttelnd zu meinem Opfer herüber und kratzte sich nachdenklich seinen fast kahlen Kopf. Unschuldig schlenderte ich von Stand zu Stand, um in die Reichweite für mein Gehör zu gelangen. Leicht amüsiert musterte ich den etwas älteren Herr, der nun seine Kunden aufforderte, einen kleinen Moment auf ihn zu warten und dann etwas zögerlich auf mein Opfer zuging. „Entschuldigen Sie, könnte ich Sie bitte bitten, sich woanders hinzustellen, wenn Sie nichts kaufen möchten?“ Unüberhörbar war das leichte, nervöse Zittern in seiner etwas höheren Stimme – und das war in Anbetracht dessen, dass mein Auserwählter ein großer, kräftiger Mann war, nicht gerade unüberlegt. „Wieso?“, schnauzte er zurück und funkelte den Besitzer des Standes wütend an, der unwillkürlich schlucken musste. „Seit wann ist es verboten, dass man hier stehen darf?“ „Das nicht“, gab der ältere Mann kleinlaut zurück, „aber wissen Sie, Ihr Blick scheint meinen Kunden nicht zu gefallen.“ Mein Opfer grunzte und ich konnte mir ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Das Spiel hatte begonnen. „Willst du dir das gefallen lassen?“, fragte ich leise in dem Kopf meines Opfers. „Er hat dich als unansehnlich beschimpft. Findest du nicht auch, dass er eine Strafe verdient…? Niemand hat das Recht, dich so deiner Freiheiten zu berauben und dich mit Füßen zu treten!“ Ich verschränkte meine Arme vor mir und sah zu, wie mein Opfer auf meine zugeflüsterten Worte reagierte. Sein Gesicht lief rot an, ein Signal dafür, dass seine Wut langsam aber sich überkochte. Aus dem Gesicht des Mannes vor ihm konnte ich deutlich ablesen, dass dieser sich fragte, was er denn falsch gemacht habe und war sichtlich damit beschäftigt, darüber nachzudenken, ob er nun besser das Weite suchen sollte oder nicht. Er entschied sich im Bruchteil einer Sekunde für Letzteres und wandte sich von ihm ab, um zu seinem Stand zurückzukehren. „Willst du ihn einfach so entwischen lassen…? Denkst du nicht auch, dass er nicht zuerst eine Lektion lernen sollte…?“ Die Worte, die ich ihm in seine Gedanken gepflanzt hatte, schienen Wirkung zu zeigen. „Hey, du Feigling, komm gefälligst zurück!“, brüllte der stattliche Mann und drohte mit seinem ausgestreckten Finger. Sofort nahm ich dem älteren Herrn in Visier und drang durch kurze Konzentration auch in seinen Kopf ein. „Ist deine Bitte denn so viel verlangt gewesen? Findest du nicht, dass er maßlos übertreibt? Möchtest du ihm nicht ein wenig Respekt beibringen, die du auch verdienst? Schließlich kann man von der Jugend von heutzutage sowieso nicht mehr viel erwarten!“ Der Köder wurde geschluckt. Mit neu geschöpftem Mut kam der Mann zurück und baute sich so gut er konnte vor meinem ersten Opfer auf. „Ich erbitte mir Respekt! Sie können so nicht mit mir reden, Junge!“ Der Mann vor ihm schnaubte und knackste mit seinen Handknöcheln. „Ich brauche dir keinen Respekt entgegen zu bringen! Vielmehr werde ich dir gleich zeigen, was Respekt heißt!“ „Lass dir das nicht gefallen! Es sind nichts als leere Drohungen!“, flüsterte ich in den Gedanken des Standbesitzers und fing an, ein selbstgefälliges Grinsen aufzusetzen. Schon bald würde ich das Fass zum überlaufen bringen. Mittlerweile hatte sich eine ganze Schar von Menschen um die beiden gebildet, die allesamt mit interessiert neugierigen Blicken die Szene vor ihnen musterten. Es war natürlich, dass sie angezogen wurden – wie Insekten zum Licht. Ich entfernte mich ein wenig von der Masse und lehnte mich gegen einen Baum, während ich meine zwei Spielzeuge weiter im Blick hielt, um ihnen einige Gedanken einzuflößen. Ich musste sie nicht hören um zu wissen, was sie dachten – sie waren nicht viel anders als all die anderen Menschen, mit denen ich mich bereits vergnügt hatte. Die Gesichter der beiden Männer strahlten in hellem Rot und ich wusste, dass ich nun die letzten Fäden in der Hand hatte, um das Szenario zum Überlaufen zu bringen. Ich entschied mich, den stattlicheren Mann zu benutzen, da dieser der potenzielle Übeltäter war und somit gut in das alltägliche Profil passte. „Nun reicht es vollkommen! Du solltest…“ Abrupt wurde ich aus meiner Konzentration geworfen, als ich etwas an meinem Arm spürte. Ein Mädchen mit langem braunem Haar stand neben mir und zog vorsichtig an dem Ärmel meines Hemds, um sich Gehör zu verschaffen. „Entschuldige bitte, aber weißt du, was da vorne los ist?“, fragte sie freundlich und sah währenddessen leicht besorgt zu meinen beiden Opfern, die mittlerweile begannen die Situation zu rekapitulieren. Sie entkamen mir. Ich sah genervt zu ihr und versuchte nun trotz meiner plötzlich miserablen Laune ein heuchlerisches Lächeln aufzusetzen. Sie sollte gefälligst wieder dahin verschwinden, wo sie hergekommen war. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich leicht unterkühlt und wandte mich sofort wieder den beiden Männern zu. Wenn ich jetzt nicht handelte, war mein Szenario dahin – soweit würde ich es nicht kommen lassen. Hastig versuchte ich mich wieder in ihre Köpfe einzuschleichen, doch mein Versuch misslang, als das Mädchen neben mir wieder begann zu sprechen. „Sollten wir nicht die Polizei rufen?“, fragte sie leicht zögerlich und sah zu mir auf. „Bevor noch etwas Schlimmes passiert.“ Ich unterdrückte ein Schnauben und wünschte ihr die Pest an den Hals. Genau darum hasste ich Menschen – allesamt Heuchler, die vorgaben, sich um andere zu kümmern, aber es in Wirklichkeit nie taten. Sie sind nicht mehr als reine Egoisten, deren höchste Priorität sie selbst sind. „Nein“, gab ich schlicht zurück und wollte wieder versuchen, meine Konzentration zu katalysieren. „Aber…“ Es war ein stummer und kurzer Protest von ihr, aber er reichte aus, um mich erneut zu unterbrechen. Verfluchter Mist. Ich unterdrückte ein enttäuschtes Stöhnen, als ich bemerkte, dass meine beiden Opfer sich bereits wieder begannen zu versöhnen. Fast hätte ich mein Ziel erreicht… wäre da nicht ein törichter Mensch gewesen. „Sie scheinen sich wieder vertragen zu haben“, schlussfolgerte sie schließlich erfreut. „So scheint es.“ Innerlich war ich am toben; könnte sie dafür zerreißen. Noch niemals, seit der langen Zeit, seit dem ich ein Dämon war, ist mir so etwas untergekommen. Närrischer Mensch. Doch dann kam mir ein Gedanke, wie ich alles wieder zu recht biegen konnte… Ich sah in ihr sanftes, unschuldiges Gesicht und lächelte höflich – ein neues Opfer war gefunden. Ich wollte ihr Herz zersplittern, bis nur noch winzige Scherben übrig sein würden, die man niemals wieder zusammenfügen konnte. Sie sollte am Rande der Verzweiflung getrieben werden von ihrer Begierde und daran zerbrechen. Menschen sind nur Instrumente – man kann sie benutzen und fallen lassen, wie es einem beliebt. Arme Närrin – sie würde wohl mitsamt der restlichen Menschheit lernen müssen was es heißt, einen Dämon zu erzürnen. Meine Welt war voller Rache und Hass. Und ich selbst würde niemals von dem dunklen Pfad abweichen, der vor mir lag – selbst wenn ich dabei alle zu Boden stürzte, die in meine Nähe kamen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)