Deepening Friendships von Ninjagirl (Auf einem Ausflug der jungen Pros bilden und vertiefen sich Freundschaften [HikaAki]) ================================================================================ Kapitel 11: Abstand ------------------- Als Akira erwachte, war Shindo verschwunden. Bis auf dem Pyjama auf seinem Stuhl zeugte nichts mehr von dem anderen Jungen. Akira nahm das Hemd, das der andere zum Schlafen getragen hatte und führte es an die Nase. Der Geruch war das Einzige, was Shindo hiergelassen hatte. Unbewusst, vermutlich ungewollt. Ein ungewolltes Abschiedsgeschenk. Akira seufzte. Er wusste, dass er versagt hatte. Er hatte alles gegeben, um sich dem anderen zu zeigen, zu zeigen wie er war, und wie wichtig er ihm war, doch es war am Ende umsonst gewesen, denn sonst wäre er neben Shindo aufgewacht. Um seinen Mund zeigte sich ein bitterer Zug. ~x~ "Shindo, Waya, was habt ihr in der Golden Week gemacht?" fragte Morishita-sensei, mit dem sie sich wie jeden Mittwoch zur Übungsgruppe getroffen hatten. "Wir waren mit anderen Pros in Itou und haben Go geübt", antwortete Waya wahrheitsgemäß. Sein Lehrer legte ihm die Hand auf die Schulter. "Ihr habt große Fortschritte gemacht. Ich nehme an, Touya-kun war auch dabei?" Waya nickte. "So etwas dachte ich mir schon. Dein Go hat ein paar seiner Ecken und Kanten verloren, Waya, sehr gut." Der Gelobte grinste glücklich. Morishita nickte auch Hikaru zu und dieser lächelte, auch wenn er den Gedanken an Touya verdrängte. "À propos!" meinte Waya. "Lass uns eure Partie nachstellen, Shindo." Ach ja, soviel zum Verdrängen. Hikaru seufzte und rekapitulierte das Spiel, das er an einem ihrer letzten Abende gespielt hatte, dieses wirklich tolle, interessante Spiel, das ihrer beider Wachstum darstellte und dessen Brillianz sie beide überwältigt hatte. Er hörte bei der Diskussion nicht zu, sondern starrte nur die schwarzen und weißen Steine an, die für ihn eine Geschichte erzählten, so viel mehr als er aus echten Menschen lesen konnte. Go sprach von Kriegen, von Leidenschaft, von Ausdauer und Ehrgeiz. Es legte alles offen, während Menschen immer alles verstecken wollten, dachte er. Er wusste, dass Touya auf ein Zeichen von ihm wartete, egal auf was. Doch Hikaru konnte es nicht. Er wusste, dass Touya die darauffolgenden Wochen im Go-Salon auf ihn wartete, also machte er einen Bogen darum. Stattdessen war er öfter bei Waya, traf sich mit Asumi, telefonierte mit Yashiro und vertiefte sich in Lehrtermine, die er vom Institut anforderte und bekam. Waya meinte bei einer ihrer Übungsstunden bei ihm, dass er sich in letzter Zeit etwas zu viel beanspruche, doch Hikaru hörte nicht auf. Er nahm nur noch mehr Termine an, um die Zeit zu füllen, in der er früher in Touya Meijins Go-Salon gewesen war oder ihre Partien studiert hatte. Nach einem Monat wurde Touya langsam ungeduldig. Er war im Institut am Tag von Hikarus erstem Spiel in der Honinbou-Auswahl, denn sie beide hatten sich dafür eingeschrieben. Touya saß drei Bretter von ihm entfernt und Hikaru kam auf die letzte Minute an, um nicht angesprochen zu werden. In der Pause blieb er vor dem Goban sitzen und tat, als überlege er fieberhaft seinen nächsten Zug. Er sah im Augenwinkel, dass Touya an der Tür auf ihn wartete und es schließlich aufgab. Er hatte genug Respekt vor der Partie, um Hikaru nicht stören zu wollen, auch wenn er ihn vielleicht durchschaut hatte. Hikaru zog alle Register. Sein Gegner war zehn Minuten nach Pausenende gezwungen, aufzugeben. Er blieb nicht zur Diskussion, sondern ging zu den Stempeln und griff dann seine Tasche. Auch wenn er es nicht wollte, registrierte er im Augenwinkel, dass Touya zu ihm schaute und wohl versuchte, seinen Blick zu treffen. Hikaru ging. Bei seinem nächsten Spiel in diesem Wettkampf saß Touya am anderen Ende des Raumes. Wieder kam er in der letzten Minute und diesmal bat er seinen Gegner, die Pause durchzuspielen. Er war einverstanden und Hikaru zögerte es genau so lange hinaus, seinen Gegner zu vernichten, dass die Pause gerade vorbei war und Touya keine Chance hatte, ihn zu erwischen. Hikaru kam sich vor wie ein Sträfling auf der Flucht, doch er wollte Touya wirklich nicht begegnen, nicht nach diesem Tag, den sie miteinander verbracht hatten, an dem der andere wie selbstverständlich seine Hand genommen hatte, an seiner Schulter gelegen und an seiner Brust geschlafen hatte. Er wusste, dass er ihr Wiedersehen nicht ewig herauszögern konnte, doch nichts würde ihn davon abhalten, es wenigstens zu versuchen. Und er schaffte es verdammt lange. Drei Monate lang sah er ihn nur von Weitem, seltener sogar, nachdem er in einer der späteren Runden im Rennen um den Honinbou-Titel ausschied, sehr zu seinem eigenen Verdruss. Am Anfang war Touya noch zu seinen Dan-Spielen gekommen, doch Hikaru hatte ihn ignoriert, also hatte er schließlich aufgegeben. Isumi hatte einmal versucht, ihn auf sein Verhalten anzusprechen, doch ohne Ergebnis. Er und Waya spekulierten über die Gründe des Zerwürfnisses, vor allem, weil es offensichtlich war, wie sehr beide Jungen darunter litten, den anderen nicht mehr zu sehen, nicht mehr von seinem Go zu lernen und ihr eigenes weiterzuentwickeln. Touya war wirklich zu bemitleiden, so sehr er sich auch um Hikarus Aufmerksamkeit bemühte, nichts fruchtete. Es waren drei wirklich lange Monate und Hikaru kam sich vor, als trete er nur auf der Stelle. Selbst Morishita-sensei hatte etwas ähnliches gesagt nach einem Spiel gegen seinen Schüler, doch Hikaru war nicht darauf eingegangen. Obwohl er gegen viele gute Spieler Partien austrug wusste er plötzlich nicht mehr, wie es sich anfühlte, die eigene wachsende Stärke durch sich strömen zu spüren. Er sah seine Hand an und ballte sie mehrmals zu Faust, wie er es in Itou gemacht hatte, als er Waya erzählt hatte, wie er seine eigenen Verbesserungen bemerkte. Es änderte nichts, im Gegenteil, plötzlich fühlte er sich schwach und zerbrechlich. Asumi bestand die Prüfung zum Pro. Zur Feier dessen lud er sie in ein japanisches Restaurant ein und sie belebten die Freundschaft, die sie in Itou geschlossen hatten. Es fühlte sich natürlich und angenehm an, doch auch Asumi schaffte es nicht, dass er sich wieder so lebendig und gut fühlte wie er es gewohnt war. Sie versuchte, ihn auf Touya anzusprechen, doch er lenkte ab und sie konnte einfach nicht nachhaken. Selbst Yashiro, mit dem er wieder häufiger telefonierte, merkte die Veränderungen und fragte beharrlicher nach. Hikaru verriet ihm keine Details, nur dass er Touya im Moment nicht sehen wollte, und es war ihm egal, was der andere sich zusammenreimte. Yashiro versuchte, ihn aufzuheitern, und meistens hellte Hikarus Stimmung sich für kurze Zeit auf, doch plötzlich war nichts mehr von Dauer. Ab und zu ging er Umwege, wenn er von Waya oder Morishita oder einem Schüler nach Hause kam. Dann streifte er an fremden Häusern und fremden Gärten entlang und genoss die laue Nachtluft, die sein Gemüt kühlte. Heute hatte er einem jungen Mädchen die ersten Schritte im Go beigebracht. Ihr Großvater hatte ihn bezahlt, damit er sich ihrer annahm. Hikaru war mittlerweile so routiniert darin, dass er selten noch über seine Worte nachdachte. Es kamen immer die gleichen Fragen, immer die gleichen Fehler, das war schon fast beruhigend. Wie von alleine schlug er einen längeren Weg von der Bahn nach Hause ein. Er sah seine Umgebung nicht, roch auch nicht die blühenden Obstbäume, tranceartig lief er den Weg, den er schon mehrere Male vorher gegangen war. Er ging die Umwege nicht, weil er die Natur genießen wollte, oder weil der Sommer so schön war. Er lief, weil er laufen musste. Er konnte nur schlafen, wenn er lange gelaufen war, dann fiel er ins Bett und konnte ohne Gedanken wegdämmern. Tat er es nicht, dann dachte er an Touya, der er im Moment vermutlich durch die Hölle schickte. Also lief er. Seine Füße wussten von ganz allein, wann sie zu Hause waren. Er ging auf die Tür zu, der Kies knirschte unter seinen Schuhen und plötzlich war dies nicht das einzige Geräusch. "Shindo." Hikaru verharrte in seiner Position. Das konnte er sich unmöglich eingebildet haben. Der Kies knirschte, ohne dass Hikaru sich bewegte. Touya kam auf ihn zu. "Shindo... damals, als du nicht mehr zu deinen Partien gekommen bist..." Er hörte zu, alle Sinne aufs Äußerste gespannt. "...wen hast du da verloren?" Und plötzlich konnte er nicht mehr stehen. Nicht, dass er beschloss, dass er es nicht konnte - seine Knie knickten einfach ein und er merkte es erst, als sie hart auf die kleinen Steine schlugen. Seine Augen brannten und die Tränen liefen schneller, als er sie wegwischen konnte. Touya hatte sich neben ihn gehockt und sah ihn sorgenvoll an, doch er ließ Hikaru seine Trauer. Hikaru krümmte sich zusammen und stieß einige elende Laute aus, die einfach kamen, ohne dass er es kontrollieren konnte. Er weinte hemmungslos und krallte mit der Hand einige Kiesel. Schließlich war es Stoff, den er verzweifelt umklammerte, als er in Touyas Schoß lag und wie ein Kind weinte, all die Trauer rausließ, die er nach Sais Verschwinden verspürt hatte und mit niemandem hatte teilen können. Irgendwie waren sie nach drinnen gegangen. Hikaru wusste nicht wie, er wusste nur, dass er sich in seinem Bett wiederfand, auf eine Mindestgröße zusammengerollt und dass Touya stumm neben ihm saß und wartete, bis er bereit war. Irgendwann brach Touya die Stille. "Weißt du, ich habe überlegt, mit Go aufzuhören." Hikaru schniefte leise. Was? Touya, ohne Go? Unmöglich, das ging gar nicht. Undenkbar. "Ich wollte dich wiedersehen. Als du mich gemieden hast, habe ich auf dich gewartet. Ich habe alte Kifus angesehen, ich war im Aquarium, ich bin die Wege von diesem Abend wieder gegangen. Ich habe sogar überlegt, nach Itou zu fahren, nur um mich an die Zeit zu erinnern. Aber es hat alles geschmerzt. Ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, ich wollte alles aufgeben was uns verbindet." Es war eine lange Zeit still. Hikaru wusste nicht, wie lange, fünf, zehn, zwanzig Minuten vielleicht. Vielleicht auch mehr. Dann sprach Touya wieder. "Und dann fiel mir auf, dass du genau das getan hast. Damals. Du hast aufgehört, Go zu spielen. Du bist an Orte gefahren, an denen du vorher nie warst, auf der Suche nach etwas." Er beugte sich zu Hikaru und klang schmerzvoll. "Was war es, was du gesucht hast? Wer hat dich verlassen, wen hast du so vermisst? Wer ist es, der dir so wichtig war wie du mir?" Seine Finger hatten sich um die Decke gekrampft, die über Hikaru ausgebreitet war. Hikaru setzte sich auf. Sie sahen sich an, wieder eine Ewigkeit und Hikaru schwankte zwischen 'Ich werde ihm alles erzählen' und 'Ich will mich zusammenrollen und sterben'. Schließlich entschied er sich für ein Mittelding. Er setzte sich neben Touya an die Wand und zog die Beine dicht an den Körper. Er fühlte sich kalt, innen und außen und schien es einfach nicht abwehren zu können. Nach einer Weile begann er zu flüstern. Anfangs schnell, alles auf einmal, dann wurde er langsamer. "Was ich verloren habe war... ein Gefühl. Es war Sicherheit. Es war das Gefühl, das Richtige zu tun, irgendwohin zu gehören, geleitet zu werden, verstanden zu werden, weitergetrieben zu werden. Es war in mir und eines Tages habe ich es... verloren. Weil ich es nicht festgehalten habe, weil ich es nicht geschätzt habe, bevor es mir genommen wurde. Es war nichts, was man wiedererlangen könnte. Es war alles." Die Tränen flossen, aber man merkte sie seiner Stimme nicht an, also ließ Hikaru sie laufen. Touya legte den Arm um ihn und er fühlte sich geborgen und trauerte. "Bleib heute Nacht hier", sagte er schließlich. Touya nickte und machte sich von ihm los. Er verließ das Zimmer, vermutlich, um mit Hikarus Mutter zu reden und zu Hause anzurufen. Hikaru zog sich nicht mehr um, er legte sich hin und schlief ein, noch bevor sein Kopf das Kissen berührte. Später merkte er, wie Touya neben ihm lag, ihm aber Platz ließ. Es war angenehm und er dachte, dass er hoffentlich bald wieder gegen Touya spielen konnte. Touya, der Go nicht aufgegeben hatte, wie er es damals getan hatte. Touya, der ihn durchschaut hatte. ~x~ Als Hikaru am Morgen erwachte, war Touya da. Er hatte halb erwartet, der Dunkelhaarige würde fort sein, um sich für Hikarus Verschwinden vor drei Monaten zu rächen. Nun, das wäre natürlich nicht Touyas Art, dachte Hikaru. Der andere war wach, blickte aber verschlafen an die Decke und schien tief in Gedanken zu sein, bis Hikaru sein Aufwachgeräusch machte - dieser Laut zwischen Knurren und Stöhnen, der Touya in Itou schon öfter aufgefallen war. "Morgen", sagte Touya, es klang nicht zu nett, fast ein bisschen vorwurfsvoll, dachte der andere. "Wie spät ist es?" "Um elf." Hikaru stöhnte. "Ich muss zum Institut, ich habe bestimmt wieder einen Schüler heute, und es ist schon so spät. Meistens fange ich um acht an, wahrscheinlich habe ich schon einen Termin verpasst-" "Shindo." "Hm?" "Heute ist Sonntag. Und wenn es das nicht wäre, hätte ich deine Termine abgesagt." "Dann wäre ich dir böse." Touya zog spöttisch eine Augenbraue hoch. "Oh, entschuldige, dass ich mir nach dreizehn Wochen, die du mich ignoriert hast, so etwas Dreistes erlauben würde. Wirklich unmöglich, dass ich dir keinen Respekt entgegenbringe und mich deine Wünsche überhaupt nicht interessieren. Nach wem klingt das wohl eher?" Oha, Touya war also sauer, dachte Hikaru. Und nicht nur das, er lag auch neben ihm und hatte die Nacht dort verbracht. Nicht gerade eine Situation, in der man am besten diskutieren konnte. Hikaru lag eine Weile da und überlegte, wie schnell er es zur Tür und aus dem Haus schaffen konnte und ob Touya schneller wäre. Vermutlich nicht. Praktischerweise hatte er noch seine Klamotten vom Vortag an, das wäre also kein Problem. Was, wenn seine Mutter ihn aufhielt? Oder wenn Touya ihm den Weg versperrte? "Ich warte." Hikaru seufzte. Nein, vermutlich gab es keinen Ausweg und warum auch? Er hatte sich das alles eingebrockt, also musste er die Probleme auch lösen. Er war Touya lange genug aus dem Weg gegangen. Das stellte er nicht ohne Stolz fest. "Was willst du denn hören?" Touya betrachtete ihn aus halb geschlossenen Augen, es sah sehr kühl aus. Hikaru fragte sich, ob die Gefühle des anderen sich verflüchtigt hatten und dachte, dass das schade wäre, denn dann wäre es viel schwerer, den anderen dazu zu bringen, ihm zu verzeihen. "Wie wäre es mit einer Erklärung dafür, dass du mich drei Monate lang wie ein verdammtes Stück Dreck behandelt hast?" Hikaru seufzte wieder. Die Antwort war zu simpel, um wirklich Antwort genug zu sein. "Ich wollte dir keine Hoffnungen machen." Touyas Gesichtsausdruck sagte alles, was er darauf erwidern wollte, also blieb er stumm. 'Es gibt einen Unterschied zwischen keine Hoffnungen machen und jemandem den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Du weißt, was ich durchgemacht habe, du hast genau das gleiche erlebt und hast es trotzdem selbst getan.' Hikaru schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. "Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint." "Natürlich hast du das." Hikarus Augen weiteten sich. Diese Unterhaltung hatten sie schon einmal geführt, nur dass plötzlich ihre Rollen vertauscht waren. "Ich verstehe deinen Standpunkt, Shindo, aber dein Verhalten kann ich nicht tolerieren. Noch dazu hast du in letzter Zeit miserable Partien abgeliefert. Du wirst wieder gegen mich spielen, dass das klar ist. Und du wirst dich verbessern und mich verbessern, wie vorher auch. Zu mehr musst du dich nicht zwingen." Sie sahen sich an und Hikaru sah, wie ernst es Touya war. Er sah, dass es dem anderen um Hikarus Go ging und er sah auch den kleinen Hoffnungsschimmer, dass er von Hikaru doch noch ein Zeichen bekommen würde. Genau diese Hoffnung, die Hikaru hatte vermeiden wollen. Er seufzte und nickte schließlich, denn eigentlich hatte er ja gar keine Wahl. Er wusste, dass er sich ohne Touya nicht weiterentwickelte. Es war so offensichtlich, dass es schmerzte. "Gut. Dienstags und freitags wirst du in den Go-Salon kommen, ab fünfzehn Uhr warte ich auf dich." "Was ist, wenn ich da Termine habe?" "Dann verlegst du sie. Von jetzt an akzeptiere ich keine Ausreden mehr von dir, das sollte dir klar sein." Sie maßen sich gegenseitig und Touya gewann, als Hikaru wieder nickte. Vermutlich verhielt der Dunkelhaarige sich so, um es Hikaru einfacher zu machen. Hätte er es auf der emotionalen Schiene versucht, hätte Hikaru sich vermutlich wieder verschlossen, dachte dieser. Egal was Touya tat, irgendwie war es doch wieder für ihn. Und für Go. Hikaru richtete sich auf und verließ sein Bett. Touya setzte sich auf und sah ihm zu, als er sich umzog. Hikaru hätte nur zu gern etwas Grantiges gesagt, aber nach dem Vorabend, in dem er heulend in Touyas Armen gelegen hatte, hatte er dieses Recht wohl verspielt. Er verließ das Zimmer und der andere folgte ihm nach unten. "Hikaru, Touya-kun, was wollt ihr frühstücken?" "Touya wollte gerade gehen", erklärte Hikaru und bedachte den Jungen mit einem kühlen Blick. Dieser nickte und bedankte sich bei Hikarus Mutter, bevor er das Haus verließ, ohne noch etwas zu Hikaru zu sagen. "Hikaru, was war gestern los?" fragte seine Mutter sorgenvoll. Sie wusste nur, dass Touya-kun ihren Sohn gestützt und ins Haus gezerrt hatte, sogar die Treppen hoch, und ihr versichert hatte, am nächsten Morgen würde es ihm besser gehen. Hikaru schüttelte den Kopf und erwiderte nichts. "Ich mache mir nur Sorgen um dich." Sie legte ihre Hand auf seine. "Ich weiß, dass es dir in den letzten Wochen schlecht ging. Wenn du es mir nicht sagen möchtest, dann pass bitte einfach auf dich auf." Er schenkte ihr ein Lächeln, eines wie sie es seit Monaten nicht an ihm gesehen hatte, eigentlich seit er mit den anderen jungen Leuten verreist war, und es wärmte sie, ihn wieder so zu sehen. Vielleicht war seine schwere Zeit durchgestanden. ~x~ "GIB DOCH ZU, DASS DU DIESEN ZUG NICHT VORHERGESEHEN HAST!!" "NUR WENN DU ZUGIBST, IM YOSE NICHT GENUG GEGEBEN ZU HABEN!" "MEINE TAKTIK WAR ABSOLUT FEHLERLOS!!" "WÄRE SIE DAS, DANN HÄTTE ICH NICHT MIT DREIEINHALB MOKU GEWONNEN!!!" Sie waren aufgestanden und ihre Köpfe waren sich gefährlich nahe, als wolle einer den anderen gleich mit der Stirn rammen. So standen sie sich gegenüber, schwer keuchend, weil ihr Streit schon einige Minuten angehalten hatte, und funkelten den anderen unversöhnlich an. Touya fasste sich zuerst, er nahm wieder seine perfekte Körperhaltung an und setzte sich schließlich wieder auf seinen Stuhl, den er im Eifer des Wortgefechts einen halben Meter zurückgeschoben hatte, als er aufgesprungen war. Hikaru setzte sich auch und sagte schließlich: "Sind deine Eltern wieder verreist?" Touya hob die Augenbrauen und sah ihn fragend an. "Wenn sie da sind, wirst du beim Streiten immer persönlicher, wenn sie verreist sind beschränkst du dich auf tatsächliches Go." Er hatte das irgendwann ganz nebenbei bemerkt. Nicht nur, dass Touya in den Wochen, in denen seine Eltern ihm das Haus überließen, müder und matter wirkte, er schien das Gefühl zu haben, seinen Vater in Japan vertreten zu müssen, vielleicht ließ er sich deswegen bei ihren Schreiduellen nicht ganz so gehen. "Willst du heute bei uns essen?" fragte Hikaru, bevor er darüber nachdenken konnte. Es war ein Reflex, Touya tat ihm fast etwas leid, weil er so viel für sich selbst sorgen musste. Der andere schüttelte den Kopf. "Ashiwara-san kommt heute vorbei, er ist ein hervorragender Koch. Für mich ist also gesorgt." Es war fast zwei Monate her, dass Touya ihn vor seinem Haus auf die Zeit nach Sais Verschwinden angesprochen hatte. Hikaru hatte sich an Touyas 'Wünsche', so man seine Bedingungen so nennen konnte, gehalten und war zweimal in der Woche im Go-Salon gewesen. Er wollte es nicht zugeben, aber er merkte es wieder, nicht nur die Euphorie, die Go in ihm wachrief, sondern auch das Gefühl, dass er sich verbesserte und immer stärker wurde. Hikaru betrachtete den nun wieder ruhigen Touya. Die schlanken Finger, die er zu einer Faust auf seinem Oberschenkel gekrümmt hatte. Die Finger, die Hikaru auf dem Goban bekämpften wie eine ganze Armee, schlank und lang, sie hatten seine Hand nicht wieder genommen. Er fragte sich, wann er Touya überhaupt das letzte Mal berührt hatte. Der andere hatte sich sehr zurückgehalten, wenn er genau darüber nachdachte waren sie sich seit dem Abend vor fast zwei Monaten nicht mehr nah gewesen. Touya schürzte die Lippen und es sah schelmisch aus. Hikaru wusste schon, was er sagen würde, noch bevor er ansetzte, doch er ließ ihm den Satz. "Noch eine Partie, Shindo." Es war elf Uhr abends, als sie sich an der Bahnstation verabschiedeten und Hikaru sich entschied, noch zu Waya zu gehen. Es war alles wieder beim Alten. Er nahm keine Umwege mehr auf dem Heimweg, sondern traf sich wieder mit seinen Freunden. Als er bei Waya ankam war nur Asumi da und ihre Wangen waren rosig. Hikaru blickte zwischen den beiden hin und her und reimte sich zusammen, was sie bisher gemacht hatten. Unerbittlich beschloss er, sie nicht sich selbst zu überlassen. "Asumi", begrüßte er die junge Frau. "Ich glaube, für uns ist bald eine offizielle Partie angesetzt. Ich hoffe doch, du übst so viel Go mit Waya wie möglich." Ihr Wangen wurden noch etwas dunkler, doch sie nickte. "Ja, aber gegen dich habe ich leider keine Chance, Hikaru." "Asumi, ich habe dir doch gesagt, du sollst keinen Gegner als unbezwingbar ansehen, denn dann erst wirst du verlieren!" rezitierte Waya seinen Lehrer Morishita, der ihm das gleiche vor langer Zeit gesagt hatte. Damals hatte Waya auch an Hikaru gedacht, der ein unmöglich fassbares Talent für Go hatte. Er konnte es Asumi also nicht verübeln, etwas hoffnungslos zu sein, schließlich kannten sie beide Hikarus Stärken. "Vielleicht solltest du Touya um Übungsstunden spielen, er kann dir bestimmt Tips geben, wie man Shindo besiegt!" Hikaru verzog den Mund und erwiderte: "Ich habe Touya letztens geschlagen." Er sagte es ganz nebensächlich, doch die anderen beiden sahen sich an. Es musste das erste Mal gewesen sein. Sollte das heißen, er hatte Touya nach all den Jahren - waren es vier oder fünf Jahre? - endlich erreicht? Sie wussten, dass es für Hikaru eine große Sache war und es wunderte sie etwas, dass er es ihnen nicht gleich am nächsten Tag mit stolzgeschwellter Brust erzählt hatte. Er war erwachsen geworden, dachte Asumi. Der kleine Junge, den sie damals als Insei kennengelernt hatte, war an seinem Ziel angekommen und er würde darüber hinauswachsen. Er war jetzt sechzehn, kein Vergleich zu damals. Sie erinnerte sich daran, wie er an einem seiner ersten Tage damit geprahlt hatte, dass Touya ihm hinterherjagte. Heute war es unvorstellbar, dass Hikaru noch mit so etwas angeben würde. Er hatte ganz eigene Stärken entwickelt, er brauchte keinen anderen berühmten Spieler vorschieben, um seine eigene Überlegenheit zu beweisen. Sie wuschelte ihm durch die Haare, auch wenn er sie verwirrt ansah, als er seine Frisur wieder richtete. Überrascht betrachtete sie seinen Pony. "Du hast schon lange nicht mehr gebleicht", stellte sie fest beim Anblick des etwa einen Zentimeter langen schwarzen Ansatzes unter Hikarus blondem Pony. "Ich bleiche sie das nächste Mal, wenn ich Touya schlage. Ich habe es nach dem ersten Mal beschlossen." "Na dann viel Glück", grinste sie. "Glück brauche ich nicht", erwiderte Hikaru selbstsicher und lächelte sie an. Ihr Herz schlug schneller und sie musste wieder denken, wie erwachsen er doch geworden war. Es war ein Jammer, dass sie sich nicht schon als Insei wirklich angefreundet hatten, dann hätte sie seine Entwicklung noch näher mitverfolgen können. "Los", sagte sie, "spiel gegen Waya und mich." Sie zog ein zweites Goban heran und gestikulierte auf den Platz ihr gegenüber. Waya beobachtete, wie die beiden miteinander redeten. Ein bisschen eifersüchtig war er schon auf ihre Beziehung, sowohl auf Asumis Stellung als Hikarus enge Vertraute, als auch auf Hikaru, der so ungezwungen mit Asumi reden konnte. Mittlerweile war er sich zwar seiner Position in ihrem Leben sehr sicher, aber wenn er wieder sah, wie vertraut sie miteinander umgingen, stach ihm irgendetwas ins Herz. Trotzdem war er froh, Hikaru endlich wieder häuftiger bei sich zu sehen. Noch vor ein paar Wochen, in der Zeit, in der er Touya ignoriert hatte, war er nur noch selten da gewesen, war in Unterhaltungen abgelenkt gewesen und hatte generell ausgelaugt gewirkt. Ganz zu schweigen von den Partien aus dieser Zeit, in der er sich wirklich kein Bienchen verdient hätte. Jetzt schien er wieder er selbst, fröhlich und stark wie früher. Waya fragte sich, was zwischen ihm und Touya vorgefallen war. Es war so offensichtlich, dass es sie beide betraf, denn auch Touya hatte neben sich gestanden, war kaum noch anzutreffen und Go-technisch nicht gerade auf der Höhe gewesen. Waya hatte so eine Ahnung, dass Gefühle im Spiel waren, wollte allerdings nicht darüber nachdenken - verdammt, es waren schließlich zwei Jungen, um die es ging. Und auch noch die zwei Jungen, die, seit er sie kannte, nie romantische Gefühle für irgendjemanden gezeigt hatten. Alles, was sie antrieb, war Go gewesen. Und, dachte Waya unbehaglich, der jeweils andere. Stimmt, wenn er jetzt so darüber nachdachte, hatte Shindo schon immer nur über Touya geredet und Touya hatte sich nur für Shindo interessiert. Er betrachtete Hikaru. Sah so ein Schwuler aus? Wer es wohl gewesen war, der den ersten Schritt gemacht hatte? Bei Touya konnte er es sich eigentlich nicht vorstellen. Könnte er Shindo bedrängt haben? Unmöglich. Dann musste es wohl Shindo sein, der Touya seine Gefühle gestanden hatte. Waya kicherte stumm. Auch unmöglich. Wahrscheinlich waren sie bei einem ihrer Streits zu persönlich geworden und hatten sich danach angeschmollt. Drei Monate lang. Waya seufzte - er würde nie dahinter kommen, was passiert war. Solange Asumi ihn nicht einweihte, denn sie schien irgendwie eine Ahnung zu haben, von der sie ihm nichts erzählte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)