Short stories von Desty_Nova (eine kleine Sammlung von Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 5: Trümmertürme ----------------------- „Halid! Geh Meerwasser holen, wir brauchen Salz!“, schrie man dem Jungen zu. Er war nicht unbedingt begeistert davon, da er schließlich einige Meilen brauchen würde, um an die Küste zu gelangen und dann die Krüge voll Wasser wieder zurückzuschleppen. Doch das war nun mal das Leben und Salz gehörte dazu genauso wie jemand, der es holen musste. Heute war er eben an der Reihe. Letzte Woche war sein älterer Bruder und davor seine älteste Schwester an der Reihe gewesen. Träge machte er sich bereit und packte Datteln und Trinkwasser ein. Höchstwahr-scheinlich könnte er kurz vor dem Sonnenuntergang zu Hause sein, wenn er jetzt losliefe. Nicht, dass er die Arbeit hasste, aber die ganze Zeit allein zu sein konnte er nicht leiden. So etwas wie Lasttiere gab es auch nicht mehr. Die letzten sind in der vorigen Dürrezeit gestorben oder geschlachtet worden damit die Menschen überleben konnten. In der Wüste, der Sonne ausgeliefert zu sein ohne einen zu haben, der die ganze Sache zumindest mit etwas zum Sprechen erträglicher machte. Das war das, wovor er Angst hatte. Die ganze Zeit nur von Sand und ein paar Eidechsen, sowie Tierknochen begleitet zu werden war nicht genug. Schon einmal hatte er versucht mit diesen Dingen zu reden, jedoch verging einem die Lust nach einer Weile. Schließlich gab es da noch etwas. Gigantisch, verlassen von jeglicher Menschenseele und unergründlich rätselhaft. Dort stand etwas. Nein, sie schlief da. Eine tempelartige Stadt. Halids Siedlung würde tausendmal, ja vielleicht zehntausendmal hineinpassen und seine Siedlung war die größte von allen in der Umgebung. Man sagte, dass schon viele versucht hatten dort Dinge, vor allem essbare Dinge zu finden oder gar heilige Wesen anzutreffen. Sie alle kamen nie wieder zurück. Die Menschen wussten nicht seit wann diese merkwürdigen Gebäuden dort standen. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass die Türme schon zu Urururgroßvaters Zeiten dort waren und verflucht seien. „Die Geschichte von den altvergangenen Tagen“ erzählte, dass dort einst Übermenschen gelebt und dies alles gebaut hatten, natürlich mit der Hilfe von Göttern, die ihnen mächtige Werkzeuge gaben, um die riesigen eisernen Platten aneinander zu heften. Diese Männer und Frauen waren größer als die jetzigen Bewohner der Wüste und hatten auch geheimes Wissen über die Beförderung des Schwarzen aus dem Herzen der Erde. Sie tranken angeblich diese für normale Menschen hoch giftige zähe Flüssigkeit und konnten ohne sie nicht leben. Als die Quellen langsam zu versiegen begannen, hatten sie ihre Götter darum gebeten das Blut der Erde wieder fließen zu lassen. Nachdem sie von den Göttern abgelehnt wurden begannen sie sich selbst zu bekriegen, um die letzten Vorräte an sich zu reißen. Dieser Kampf soll so gewaltig gewesen sein wie der Durst derer, die sie geführt hatten. Sie benutzten Waffen mit denen sie alles in eine Wüste verwandeln konnten, Berge einebneten und Gewässer austrockneten. Die Überlebenden waren diejenigen, die klug gewesen waren die Kämpfenden zu verlassen. Zu denen gehörten auch Halids Vorfahren. Sie hatten sich die Wüste zum Heimat erkoren und lebten hier, solange man es ein Leben nennen konnte. Ein Nomadenleben, das von Oase zu Oase führte, um nach einer bestimmten Periode wieder von neuem anzufangen. Und doch liebte Halid diese lebensfeindlich erscheinende Wüste vielleicht über alles. Sicher war es nicht leicht in ihr zu leben, geschweige denn das Leben zu genießen. Aber er fühlte sich irgendwie geborgen. Es bestand so etwas wie ein unsichtbarer Band zwischen ihm und ihr. Schließlich musste er nicht darum bangen, dass eines Tages die Sanddünen verschwunden sein konnten. Sie waren da und blieben auch dort. Alles war gleich und veränderte sich nicht. Das mochte und schätzte er sehr an seiner Heimat. Er fühlte sich einfach zu Hause. Langsam musste er sich aber wirklich auf den Weg machen und lief auch schließlich los. Heulen. Überall grässliches Geheul. Nichts zu sehen. Blindheit in seiner sonderbarsten Form. Der Sandsturm hatte Halid urplötzlich überrascht. Von einem zum anderen war er da und umgab ihn wie ein Netz, der ihn nicht loslassen wollte. Hinzu kam noch die Dämmerung, welche die Nacht allmählich ankündigte. Nirgends ein Wegweiser. Es kostete ihm viel Mühe überhaupt auf den Beinen zu stehen. Langsam machte sich eine Verzweiflung in ihm breit, die ihn innerlich zu lähmen drohte. Er durfte nicht aufgeben. Dessen musste er sich bewusst werden. Ein Ausweg. Dies hatte er am dringendsten nötig, jedoch fand er keinen. Nach einiger Zeit konnte er die wiederaufkeimenden Zweifel nicht eindämmen. Die Ängste und die Hoffnungslosigkeit gewannen Schritt für Schritt die Oberhand und zwangen ihn langsam auf die Knie. Er sank mit der Last auf seinen Schultern. Tränen begannen auf den Boden zu fallen. Was sollte er machen? Was konnte er noch bewegen? Der Sturm wollte nicht aufhören. Mit seinen trüb blickenden Augen schaute er sich um. Entweder wurde seine allgeliebte Wüste zu seinem Grab oder sie schenkte ihm noch eine Möglichkeit diesem Unheil zu entkommen. Dieses Geschenk ließ nicht lange auf sich warten und es bereitete Halid noch größeren Schrecken als vor dem Tod. Die Trümmertürme! Diese grauen, kolossalen Bauten waren möglicherweise sein letzter Zufluchtsort. Er konnte es nicht fassen. Diese Stadt, die ihm bisher die schrecklichsten Albträume bescherte, sollte seine Rettung sein? Wohl oder übel musste er sich entscheiden, ob er einen Tod bei seiner Liebsten der Befreiung bei den verhassten Ruinen bevorzugte. Viele hätten in diesem Moment ohne zu zögern den Weg zur Stadt gewählt doch er hatte Angst. Eine ungeheure Angst, der schon immer da war seitdem er sie zum ersten Mal erblickt hatte. Nein, sogar schon vor seiner Geburt in seinem Geist verankert war und diesem Schrecken wollte er nicht trotzen. Den Mut seiner Furcht zu trotzen hatte er nicht. Aber langsam begriff er, dass er nicht ein Leben lang mit einer Angst verbringen konnte und gerade diese dürfte ihm nicht das Leben kosten. Um seiner geliebten Wüste willen musste er in die Trümmertürme flüchten. Noch einmal fasste er allen Mut und Kraft zusammen, um aufzustehen und schließlich in Richtung seiner Rettung und Heilung zu laufen. Kein Zeichen vom Leben. So etwas hatte er nicht erwartet. Halid konnte sogar sein eigenes Herzklopfen hören, welches von den kahlen Wänden widerzuhallen schien. Anscheinend konnte der Sturm nicht in die Stadt eindringen oder dessen Auge war über ihr. Dass solch ein riesiges Bollwerk so still sein konnte, hätte er wirklich nicht gedacht. Selbst der Boden war wie eine Wand und alles war grau, gerade und flach im Gegensatz zur Wüste voller Sanddünen. Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war konnte man meinen, dass es schon tiefste Nacht sei. Er fühlte sich wie im Bauch eines toten Tiers, dessen Knochen kantig aus seinem Leib herausragten. Die Trümmertürme konnten wohl einem nicht nur die Lebenskraft, sondern auch das Licht wegsaugen und doch hatte es eine eigene schummrige Leuchtkraft. So als ob alles aus ihrem Kern heraus leuchten würde. Hinzu kamen noch die komischen Zeichen, die überall zu sehen waren. Egal ob auf Wänden, Schildern oder Wegen. Was für eine Bedeutung sie wohl hatten? Wegweiser oder Warnungen vor unbekannten und auflauernden Gefahren? Wenn das so weiterging würde er wohl wahnsinnig werden bevor er hier noch herauskam, falls er je aus dieser Ruine herausfand, denn jetzt erst bemerkte er, dass er schon ziemlich tief, vielleicht viel zu tief in dieses Labyrinth hineingetaucht war. Ihm war es gar nicht bewusst geworden. Er wusste nicht wie er wieder aus den Trümmertürmen herauskommen könnte. Im Dunklen schritt er weiter, wieder einmal gepackt von seiner Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)