Sein Wille geschehe von Nochnoi ================================================================================ Kapitel 6: VI ------------- „ICH TÖTE SIE!!!! Ich bringe sie um! Ich hack ihr den Kopf ab und brat ihn über ‘nem Lagerfeuer! Ich ramm ihr ‘nen Pflock ins Herz! Ich schnall sie auf ‘ne Eiserne Jungfrau und quäle sie so lange, bis sie vor Schmerzen wahnsinnig wird!“ Dean war kurz davor, zu explodieren. Wie ein gereizter Löwe streifte er im Zimmer auf und ab und redete sich selbst immer mehr in Rage, während sich sein Kopf rot verfärbte und er seine Fäuste derart ballte, dass man fast schon befürchten musste, im nächsten Moment Knochen knacken zu hören. „Sie soll LEIDEN!“, zischte er aufgebracht. „Sie soll leiden, wie noch nie zuvor ein Wesen in der Geschichte der Menschheit gelitten hat!“ Sam beobachtete seinen über alle Maßen wütenden Bruder schon seit mindestens fünf Minuten, die ganze Zeit in Sorge, dass Dean in seinen jungen Jahren ein Herzinfarkt ereilte. Sein Blutdruck musste zumindest sicherlich längst alle Skalen sprengen. Dennoch wagte es Sam nicht so recht, zu interagieren und Dean in seiner zornigen Rede zu unterbrechen. Der Ältere war zurzeit dermaßen geladen, dass er wahrscheinlich nicht mal vor Mord zurückgeschreckt hätte, sollte sich jemand tatsächlich erdreisten, ihn anzusprechen. Er war wie ein Vulkan, bei dem ein kleiner Anstoß gereicht hätte, um ihn völlig ausbrechen zu lassen. Sam hatte im Grunde auch nichts anderes erwartet. Der Impala war ihm mitunter das wichtigste überhaupt und ihn nun in der Hand von Vampiren zu wissen, musste ihn zwangsläufig schier wahnsinnig machen. Eigentlich kam es fast schon einem Wunder gleich, dass Dean bisher noch nicht aus lauter Frustration das ganze Zimmer auseinandergenommen hatte. Aber was nicht war, konnte ja noch werden. „Dean“, vernahm Sam plötzlich neben Deans leidenschaftlicher Wuttirade Castiels ruhige Stimme. Der Engel hatte die ganze Zeit über alles kommentarlos beobachtet und nicht den Eindruck erweckt, als würde er sich je im Leben einmischen wollen. Stattdessen hatte er fast schon unbeteiligt gewirkt, als würde ihn das alles nicht das Geringste angehen. Als wäre es ihm vollkommen einerlei, ob nun ein Auto, eine Brieftasche oder eine Topfpflanze gestohlen worden war. Im Grunde war es ihm vermutlich auch sicherlich ziemlich gleich, da er als Engel keinerlei menschliche Güter besaß, an die er sein Herzblut gehängt und somit ihren eventuellen Verlust tief betrauert hätte. Wahrscheinlich verstand er nicht mal ansatzweise, warum sich Dean wegen etwas, das man sich eigentlich grundsätzlich und rein pragmatisch gesehen so gut wie überall wieder neu anschaffen konnte, derart aufregte. „Dean!“, versuchte Castiel es erneut, als der Angesprochene nicht reagierte, sondern munter fortfuhr, allerlei mittelalterliche Foltermethoden aufzuzählen, die er liebend gern an der Vampirin ausprobiert hätte. Nun aber hielt der Winchester inne und warf dem Engel einen finsteren Blick zu. „Dean mich nicht an!“, beschwerte er sich. „Ich weiß genau, was du denkst, Cas. Aber es ist mir egal, ob du es idiotisch findest, dass ich wegen einem Haufen Blech so einen Aufstand mache!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte abfällig. „Mir bedeutet dieser Haufen Blech eine Menge. Und wenn du weißt, was gut für dich ist, solltest du jetzt lieber nichts sagen, was du später vielleicht bereuen wirst.“ Castiel runzelte seine Stirn, erwiderte hierauf jedoch nichts. Wahrscheinlich war ihm dieser menschliche Ausbruch ein absolutes Rätsel und er wollte auf keinen Fall riskieren, aufgrund eines falschen Wortes ermordet zu werden. „Und anstatt mich hier mit deinen großen Kulleraugen anzuschauen, solltest du dich besser nützlich machen“, meinte Dean zähneknirschend. „Beweg deinen Engelhintern und such gefälligst mein Baby!“ Castiel verengte seine Augen leicht zu Schlitzen, als er Dean fragend musterte. „Suchen?“ „Ja natürlich!“, ereiferte sich dieser. „Du kannst Menschen am anderen Ende der Welt finden, also …“ „Menschen, Dean“, erklärte Castiel mit Nachdruck. „Wenn ich deinen Wagen auf diese Weise aufspüren könnte, müsste ich nicht jedes Mal vorher anrufen, um mich zu erkundigen, wo ihr euch gerade befindet.“ Dies war ein Argument, dem Dean nichts entgegenzubringen vermochte. Somit sog er bloß zischend Luft ein und musste offensichtlich all seine Selbstbeherrschung mobilisieren, um nicht auf irgendetwas einzuschlagen. Castiel war derweil einen Schritt zurückgetreten, wohl im Glauben, dass er unter Umständen Deans nächstes Opfer werden könnte. Sam fuhr sich seufzend durch die Haare und nahm all seinen Mut zusammen, als er entgegnete: „Vielleicht solltest du dich erst mal beruhigen, Dean.“ „Beruhigen?“, fauchte der Angesprochene daraufhin aufgebracht, als wäre allein der Vorschlag eine Todsünde sondergleichen. „Mein Baby ist von irgendwelchen dreckigen Vampiren entführt worden und das ist alles nur deine Schuld!“ „Dean …“ „Du hast den Wagen verloren!“, zischte sein Bruder. „Verloren?“ Sam zog seine Stirn kraus. Das klang fast so, als wäre ihm der Impala aus Versehen aus der Hosentasche gefallen. „Hör mal …“ Doch Dean machte nicht den Eindruck, als hätte er momentan sehr viel Lust, irgendwem zu lauschen. Stattdessen fluchte er wieder vor sich her, als wäre er ein Verrückter im Irrenhaus, der Selbstgespräche führte. Und Sam wurde es nun wirklich zu viel! „Jetzt komm mal runter, Dean!“, schmetterte er seinem Bruder entgegen, der daraufhin sofort verstummte und sein Gegenüber mit einem überraschten Gesichtsausdruck musterte. „Ich weiß, dass dich das alles furchtbar aufregt, und ich kann das ja auch nachvollziehen. Aber es bringt nichts, wenn du Cas und mich hier anschreist. Wir können nichts dafür.“ Dean öffnete hierauf seinen Mund und wollte offenbar zu einem Gegenkommentar ansetzen, aber Sam kam ihm zuvor: „Und jetzt sag nicht, ich hätte den Impala verloren. Ich hab ihn auf einem amtlich zugelassenen Parkplatz abgestellt und abgeschlossen. Was hättest du denn anders gemacht?“ Dean knirschte mit den Zähnen. „Ich hätte …“, begann er, brach aber sofort ab, als ihm klar wurde, dass auch er es nicht anders gehandhabt hätte. „Also hör jetzt gefälligst auf, hier verrückt zu spielen, und hilf uns lieber, logisch an das Ganze heranzugehen“, fuhr Sam fort. „Du willst doch deinen Wagen so schnell wie möglich zurück, oder etwa nicht?“ Dean schnaufte wie ein Marathonläufer, ehe er einen erstklassischen Schmollmund zog und fast schon kleinlaut entgegnete: „Ja natürlich.“ „Dann lass uns eins und eins zusammenzählen“, ermunterte Sam seinen Bruder, froh darüber, dass er offenbar langsam zur Ruhe kam. „Was wissen wir bisher über Team H?“ „Ebenso wie wir sind sie hinter den Dämonen her“, fing Castiel mit der Aufzählung an. „Aber anscheinend scheuen sie sich davor, in engeren Kontakt mit uns zu treten.“ Sam nickte bestätigend. „Es sieht so aus, als wollten sie uns zuerst auf Herz und Nieren überprüfen. Deswegen haben sie unser Zimmer durchwühlt und den Wagen geklaut. Sie wollen sichergehen, dass …“ Er hielt inne und runzelte die Stirn. „Na ja, dass wir Jäger sind, müsste ihnen ja inzwischen schon klar sein. Darum kann es wohl nicht gehen …“ „Sie wollen herausfinden, ob ihr für den Teufel arbeitet“, sagte Castiel in einem viel zu gelassenen Tonfall. Sam zog sich bei diesen Worten unweigerlich der Magen zusammen. Es stresste ihn ungemein, dass so viele sie des Verrats bezichtigten. Kaum jemand kannte jedoch die ganze Geschichte, sondern bloß einzelne Bruchstücke, aus denen sie ihre eigenen Konsequenzen zogen. So war es auch vermutlich bei den Vampiren. Sie hatten gehört – ob nun gerüchteweise oder vielleicht sogar aus erster Hand –, dass Sam Lucifer befreit hatte, und waren nun am rätseln, ob dies mit Absicht geschehen war oder nicht. Und Sam konnte ihnen ihre Vorsicht in keinster Weise verübeln. Er selbst hätte wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt. „Das heißt, sie haben uns genau im Blick“, schlussfolgerte Sam. „Sie wissen, wo wir wohnen, sie wissen, wo wir überall hingefahren sind.“ „Und wir haben nicht den blassesten Schimmer, wo sich unsere tollen Freunde aufhalten“, meinte Dean eindeutig verbittert. Er massierte sich die Hände, offenbar immer noch bemüht, seine Fassung nicht zu verlieren, ehe ihm schließlich ein Gedanke kam und er sich an den Engel wandte. „Kannst du da nicht was regeln? Ich mein‘, gut, du findest keine Autos, aber …“ „Es ist kompliziert, Dean“, unterbrach ihn Castiel mitten im Satz. „Seit ich vom Himmel abgeschnitten wurde, ist meine Macht beträchtlich gesunken.“ Dean zog seine Mundwinkel nach unten. „Das heißt, du kannst nicht einfach auf Geratewohl ein paar Vampire erschnüffeln?“ Castiel wirkte angesichts dieser Wortwahl ein wenig verwirrt, schließlich aber schüttelte er den Kopf. „Nicht, wenn ich nicht genau weiß, wonach ich suche.“ Dean wirkte sichtlich enttäuscht, sagte aber nichts. Stattdessen wippte er ungeduldig mit seinem Bein und schien zu überlegen, ob es nun vielleicht nicht doch an der Zeit war, irgendetwas zu zerstören. Sam war währenddessen ans Fenster getreten und ließ seinen Blick über die mäßig befahrene Straße schweifen. „Denkt ihr, sie beobachten uns? In diesem Moment?“ Dean hob alarmiert seinen Blick. „Glaubst du?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Sie haben es zumindest getan. Möglicherweise sind sie immer noch dort draußen und haben uns in ihrem Visier.“ Dean begab sich ans hintere Fenster und schaute aufmerksam nach draußen. „Es ist helllichter Tag“, erwiderte er zögernd. „Wir wissen, dass Tageslicht ihnen nichts ausmacht“, erwiderte Sam. Im Gegensatz zum eher allgemeinen Volksglauben verbrannten – oder glitzerten – Vampire nicht im direkten Sonnenlicht, sie mieden es in den meisten Fällen aber auch. Nichtsdestotrotz war es nicht völlig ausgeschlossen, dass sie dort draußen irgendwo lauerten und jeden Schritt der Winchesters verfolgten. Aufmerksam musterte Sam die Straße. Er bemerkte auf den ersten Blick absolut nichts Verdächtiges, aber das musste noch lange nichts heißen. Jemand, der geübt darin war, sich im Dunkeln zu halten, würde wohl kaum lächelnd auf dem Bürgersteig stehen und ihnen eine Kusshand zuwerfen. „Das gefällt mir nicht“, meinte Dean, offenbar ein Schaudern unterdrückend. „Mir auch nicht“, stimmte Sam zu. „Aber wir sollten sie gewähren lassen“, fügte er noch hinzu, als Dean schon drauf und dran war, Castiel anzuhalten, mal die nähere Umgebung zu untersuchen. „Was?“, hakte sein Bruder daraufhin erstaunt nach. „Sie halten uns für die Bösen, Dean“, erinnerte Sam ihn. „Und dass nicht etwa, weil wir Jäger sind und Kreaturen wie sie normalerweise töten. Nein, sie mutmaßen, dass wir Teufelsanbeter oder so etwas ähnliches sein könnten. Und wenn wir jetzt da rausstürmen und sie aus dem nächsten Gebüsch zerren, werfen wir kein besonders gutes Licht auf uns.“ Dean schnaubte und machte damit mehr als deutlich, dass es ihm herzlich egal war, was Vampire über ihn denken mochten. „Du willst also tatsächlich die Gute-Miene-zum-bösen-Spiel-Masche abziehen? Ist das echt dein Ernst?“ Sam nickte, wenn auch recht widerwillig. „Sie könnten wertvolle Verbündete sein, wenn sie uns vertrauen. Na ja, soweit Wesen wie sie Jägern wie uns vertrauen können, versteht sich.“ „Aber –“ „Wir sollten sie nicht unnötig verprellen, Dean“, entgegnete Sam. „Bisher ist ja nichts Dramatisches passiert.“ Sam bereute seine Worte sofort, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Er sah, wie sein Bruder empört nach Luft schnappte und bloß verständnislos den Kopf schüttelte, anscheinend über alle Maßen schockiert, dass Sam das Schicksal des Impalas als dermaßen unwichtig betrachtete. „Natürlich abgesehen von dieser einen Sache“, meinte der Jüngere darauf hastig. „Es ist selbstverständlich unverzeihlich, dass sie den Wagen gestohlen haben. Sie sollten dafür ewig in der Hölle schmoren.“ Dean hob eine Augenbraue. Man merkte sofort, dass er Sams Aussage nicht für voll nahm und den einzigen Sinn und Zweck dahinter augenblicklich erkannte: zu verhindern, dass Dean erneut ausrastete. „Ich will ja nur sagen, dass wir trotz alledem irgendwie auf derselben Seite stehen“, fuhr Sam mit seinen Ausführungen fort. „Harte Zeiten erfordern nun mal harte Maßnahmen. Und wenn das bedeutet, dass wir uns für die Möglichkeit, Lucifer ein Bein zu stellen, eine Zeit lang von Vampiren beobachten lassen müssen, dann, verdammt nochmal, lassen wir das einfach über uns ergehen! Solange sie kein feindseliges Verhalten an den Tag legen, ist ja alles in Ordnung.“ Deans Miene blieb weiterhin düster, während er die Arme vor der Brust verschränkte und in seinem Hirn wahrscheinlich in diesem Augenblick nach einem unumstößlichen Gegenargument forschte. „Wir sollten einfach ihre Zweifel zerstreuen“, meinte Sam nach einer Weile des Schweigens, während der er ohne Unterlass von Dean angefunkelt wurde und Castiel ans Fenster getreten war, um die Gegend zu kontrollieren und nach etwaigen Untoten Ausschau zu halten. „Und wie, Herr Besserwisser?“, erkundigte sich Dean zähneknirschend. „Wir machen einfach das, weswegen wir hierhergekommen sind: Wir gehen auf Dämonenjagd!“ Dean runzelte hierauf die Stirn und auch Castiel wandte sich wieder dem Geschehen im Inneren des Zimmers zu. „Wenn Team H sieht, dass wir die Dämonen jagen, anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten, dürfte sie das vielleicht überzeugen“, meinte Sam schulterzuckend. „So oder so ist das eh unser vorderstes Ziel, nicht wahr? Deswegen sind wir überhaupt hier.“ Dean nickte grimmig. Für diesen Vorschlag schien er ausnahmsweise offen zu sein. Wahrscheinlich malte er sich bereits aus, wie er all seine Wut an den Dämonen auslassen konnte. „Und wie gedenkst du, vorzugehen?“, erkundigte sich Castiel. „Ich hab ja gesagt, dass ich vielleicht eine Spur gefunden habe“, erklärte Sam. „Keine Ahnung, ob es was Brauchbares ist oder bloß Zufall, aber …“ Er verstummte und sah einen Moment in die Runde, ehe er wieder den Stadtplan herauskramte und ihn auf dem Tisch ausbreitete. „Die Dämonen greifen nach einem Muster an und das sicherlich aus einem bestimmten Zweck. Bei der letzten Adresse haben wir sie an einem Massaker hindern können, aber ich bin überzeugt, dass sie dorthin zurückkehren werden.“ Dean straffte seine Schultern. „Wirklich?“ „Ihr Vorgehen hat einen Grund“, meinte Sam erneut mit Nachdruck. „Vielleicht irgendeine Art Ritual oder etwas in der Art. Zumindest glaube ich nicht, dass sie diesen speziellen Punkt einfach außer acht lassen werden, nur weil wir ihnen in die Quere gekommen sind. Unter Umständen werden sie sich was länger bedeckt halten und erst mal abwarten, doch früher oder später werden sie sicher wieder dort zuschlagen.“ Castiel verzog keine Miene, man merkte ihm aber deutlich an, dass er Sams Vermutung zugeneigt war. Vielleicht hatte er sogar bereits selbst über diese Möglichkeit nachgedacht. Dean hingegen wirkte alles andere als begeistert. Seine Mundwinkel sackten sofort nach unten, während er sich wahrscheinlich vorstellte, wie er erneut tagelang in einem Auto feststeckte – und dieses Mal zu allem Übel nicht mal im Impala – und eine unerträgliche langweilige Observierung ertragen musste. „Wirklich?“, fragte er schließlich, sein Tonfall fast schon verzweifelt. „Du verlangst das tatsächlich von mir? Nach allem, was ich durchgemacht habe?“ „Ich hab da noch was anderes entdeckt“, sagte Sam hastig, woraufhin sich Deans Miene automatisch erhellte. Ihm schien es vollkommen gleich zu sein, worum es sich überhaupt handelte – selbst wenn Sam von ihm verlangt hätte, eine Mülldeponie zu durchwühlen, oder mal eben im Mississippi tauchen zu gehen und nach einer Stecknadel zu suchen –, solange er nicht wieder eine Observation erdulden musste. „Es ist mir erst im Nachhinein aufgefallen“, fuhr der Jüngere fort. „Die Dämonen scheinen vor ihrem Angriff meist ein Mitglied der Familie zu besetzen, die sie zu töten gedenken. Wahrscheinlich weil sie auf diese Art einfacher ins Haus kommen. Außerdem habe ich auch mal die zahlreichen Vermissten genauer unter die Lupe genommen.“ „Und?“, hakte Dean interessiert nach. „Die 2nd Street“, erklärte Sam feierlich. Dean hob daraufhin eine Augenbraue und musterte seinen Bruder argwöhnisch. „Ja und? Was soll mit der 2nd Street sein?“ „Hank Miller, Tims Vater, ging mit dem Hund spazieren und kam zwanzig Minuten später völlig verändert zurück, ganz offensichtlich von einem Dämon besessen. Den Hund fand man wenig später auf der 2nd Street, wie er ängstlich in einem Gebüsch kauerte, als hätte er den Teufel persönlich gesehen. Arthur Cogan – der Dämon, der uns davongelaufen ist – kam von der Arbeit zurück und auch er fuhr mindestens zwei Blocks die 2nd Street entlang. Dieses Muster ist ebenso bei weiteren Vermissten zu bemerken. Viele passierten die Straße täglich oder lebten ganz in der Nähe.“ Dean lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ diese Worte erst einige Augenblicke sacken. „Du denkst, dort ist irgendwo die Dämonen-Hauptzentrale?“ Sam nickte zustimmend. „Ich habe mir sagen lassen, dass es ganz in der Nähe des Figge Art Museums ein kleines Grundstück mit einem alten Haus gibt, das schon seit Jahren leer steht. Und wie bei sowas nicht gerade unüblich, sind die typischen Geistergeschichten über dieses Gebäude im Umlauf. Ob was Wahres dran ist, kann ich nicht sagen, aber mehrere Augenzeugen haben ausgesagt, dass sie in den letzten Wochen öfter Licht im Inneren brennen gesehen haben.“ Dean schnalzte mit der Zunge. „Das könnten auch irgendwelche Obdachlose sein, die es sich da gemütlich machen.“ Sam hob die Schultern. „Vielleicht. Aber ebenso gut ist es möglich, dass die Dämonen sich dort verschanzen. Es würde zumindest sicher nicht schaden, mal vorbeizuschauen und –“ Er verstummte abrupt, als plötzlich Castiel ohne jede Vorwarnung verschwand. Im ersten Moment vollkommen aus dem Konzept gebracht, starrte Sam auf die Stelle, wo keine Sekunde zuvor der Engel noch gestanden hatte, und blinzelte verdattert. Mochte er sich zwar langsam an Castiels zum Teil recht seltsamen Macken gewöhnt haben, konnte er einen doch immer wieder überraschen. Und auch, wenn es typisch für den Engel war, sich mitten in einem Gespräch ohne ein Wort des Abschieds unvermittelt in Luft aufzulösen, hatte Sam immer noch Schwierigkeiten, sich damit anzufreunden. Dean hingegen schien in keinster Weise erstaunt. Er stand Castiel noch näher, als Sam es tat, und hatte vermutlich mit nichts anderem gerechnet. „Entweder fand Cas dein Gelaber schrecklich langweilig und er hat sich in die nächste Bar gebeamt, um sich einen hinter die Binde zu kippen, oder aber er untersucht dein kleines Geisterhaus.“ Dean schwieg kurz, ehe sich die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen zeigte. „Ich tippe mal aufs Zweite, obwohl Ersteres irgendwie lustiger wär.“ Sam konnte hierauf nur seufzen, ehe er sich zu seinem Bett begab und auf der Matratze niederließ. Der Tag war anstrengend und kräfteraubend gewesen, sodass ein bisschen Entspannung mehr als willkommen gewesen wäre. Nicht nur die Befragung der Zeugen, die sich unglaublich lange hingezogen hatte, auch der Verlust des Impalas und der damit verbundende Schock hatten Sam ganz schön mitgenommen. Sollte Castiel bei dem Haus wirklich fündig werden, war der Winchester sehr dafür, erst einmal eine Portion Schlaf zu genießen, bevor sie aufbrachen. Dean würde das vermutlich nicht recht sein, da er so schnell wie möglich seinen Wagen finden wollte und wahrscheinlich an nicht mal so was ähnliches wie Ruhe überhaupt denken konnte, aber Sam würde ihm im Notfall einfach einen Knüppel über den Schädel ziehen, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Mir gefällt das alles nicht“, erhob Dean nach einigen Minuten wieder seine Stimme. Er saß fast schon verkrampft auf seinem Stuhl, knete sich die Hände und kämpfte wohl immer noch darum, seine Beherrschung nicht zu verlieren. „Ich weiß, Dean“, antwortete Sam seufzend. „Es geht hier nicht nur um den Impala, Sammy!“, unterstrich Dean daraufhin mit Nachdruck. „Klar, ich bin echt angepisst deswegen und würde am liebsten jemanden den Kopf abschrauben, Salz in die Wunde streuen, den Körper in winzig kleine Stückchen zerhacken und dann …“ Er hielt inne und räusperte sich vernehmlich. „Es geht darum, dass wir tatsächlich darüber nachdenken, uns mit Vampiren zu verbünden! Mit Vampiren, Sam!“ „Ich weiß, Dean“, meinte sein Bruder erneut. Ihm missfiel diese Vorstellung auch sehr, sich auf Geschöpfe einzulassen, denen man eigentlich nur bedingt vertrauen konnte. Aber wenn der Weltuntergang kurz bevorstand, durfte man einfach nicht wählerisch sein. „Es könnte uns den Kragen kosten“, erklärte Dean ernst. „Es könnte uns aber unter Umständen auch retten“, entgegnete Sam. „Zumal wir nicht mal wissen, ob die Vampire überhaupt mit uns zusammenarbeiten wollen. Sie sind ja zumindest bisher nicht besonders kontaktfreudig gewesen. Vielleicht überprüfen sie nur, ob wir keine Gefahr darstellen, und lassen uns dann links liegen.“ Dean hob eine Augenbraue. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?“ Sam legte seinen Kopf schief. „Nicht wirklich.“ Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Man hätte vermutlich eine Stecknadel fallen hören, weswegen sich Sam unweigerlich fragte, was wohl die Vampire denken mochten, die sie vielleicht in diesem Augenblick beobachteten und bestimmt nicht so recht wussten, wie man die derzeitige Szene einzuschätzen hatte. Bevor Sam jedoch den Drang nachgab, erneut zum Fenster zu treten, tauchte plötzlich Castiel wie aus dem Nichts wieder in ihrem Zimmer auf. „Hey, Cas“, begrüßte ihn Dean völlig unbeeindruckt. „Und, was entdeckt? Wimmelt das Haus nur so von Dämonen?“ Castiel machte fast den Eindruck, als würde er tief Luft holen, ehe er völlig ruhig sagte: „Das habe ich nicht sehen können.“ Sam fluchte nach diesen Worten leise. Er hatte sosehr darauf gehofft, dass diese Spur sie den mörderischen Dämonen sehr viel näher bringen würde. Auch Dean zeigte seine Enttäuschung darüber, dass er niemand verprügeln konnte, offen und mehr als deutlich. „Also ’ne Sackgasse? Irgendwie nicht sehr überraschend.“ „Ihr versteht nicht“, erwiderte Castiel. „Ich war nicht in der Lage, das Grundstück zu betreten. Es wird durch henochische Siegel abgeschirmt.“ Sam hob alarmiert seinen Blick und sah kurz zu Dean, dessen Augen sich leicht weiteten. Offenbar hatten sie doch den Jackpot geknackt! „Na, das klingt sehr verdächtig, meinst du nicht auch, Sammy?“, hakte Dean nach, in seinen Augen ein angriffslustiges Funkeln. Es hätte Sam nicht verwundert, wenn er bereits in der nächsten Sekunde eine Flinte gegriffen, nach draußen gestürmt und zur Not auch zu Fuß zur 2nd Street gerannt wäre. Sam nickte derweil bestätigend. „Das sollten wir uns auf jeden Fall näher ansehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)