Sein Wille geschehe von Nochnoi ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- „Timmy? Oh, Timmy, zeig dich!“ Immer und immer wieder schallte die Stimme seines Vaters durchs Haus. Doch Tim rührte sich nicht. Stattdessen hockte er wie erstarrt in seinem Versteck unter der Spüle und versuchte mühsam, keine Geräusche zu verursachen. Tränen rannen ihm wie Wasserfälle die Wangen hinunter, aber er zwang sich, nicht zu schluchzen. Keine besonders einfache Aufgabe, wie er feststellen musste. Ein dicker Knoten bildete sich in seinem Hals, sodass er befürchtete, eher früher als später zu ersticken. In seinem Inneren hatte sich vor lauter Panik alles zusammengezogen, während sein Herz wie verrückt pochte. Dermaßen laut und stark, dass sein Brustkorb es kaum noch auszuhalten schien. Noch nie in seinem jungen Leben hatte er jemals solch eine furchtbare Angst verspürt. Und er verstand nicht mal, was überhaupt geschehen war. „Timmy, wo versteckst du dich? Sei ein braver Junge und komm raus.“ Es folgte eine Pause, in der Tim den schweren Atem seines Vaters hörte. Er war ganz in der Nähe. Viel zu nahe. „Ich tue dir doch nichts!“ Worte, die Tim einfach nicht glauben konnte. Fast schon unwillkürlich schüttelte er den Kopf, während sich weitere Tränen ihren Weg nach draußen bahnten. Was war nur passiert? Tim konnte es einfach nicht begreifen. Bis vor einer halben Stunde wäre ihm niemals auch nur ansatzweise in den Sinn gekommen, dass sein Vater ihm etwas antun könnte. Bei diesem Gedanken hätte er bloß gelacht. Wie hätte dieser Mann, der ihn immer auf seinem Rücken Huckepack trug, obwohl er mit seinen acht Jahren schon fast zu groß dafür war, ihm jemals etwas Böses wollen können? Dieser Mann, der zu jedem Baseballspiel seines Sohnes erschienen war und Tim angefeuert hatte, als ginge es um die Weltmeisterschaft? Er, der sich immer Zeit für seinen Sohn genommen und ein offenes Ohr für seine Sorgen und Wünsche gehabt hatte? Doch dieser Mann war verschwunden. Auch wenn Tim absolut nicht verstand, wieso. Der ganze Tag war vollkommen normal verlaufen. Vor gut einer Stunde hatten sie alle zu Abend gegessen und waren guter Laune gewesen. Seine Mutter hatte unentwegt gelächelt, voller Freude, dass sie endlich nach langer Zeit wieder einen neuen Job gefunden hatte. Und sein Vater hatte ihr dauernd zugeprostet. Alles war vollkommen in Ordnung gewesen. Und dann war sein Vater aufgebrochen, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Zwanzig Minuten später war er wieder zurückgekehrt – ohne den Hund. Dafür völlig verändert. Tim hatte es gespürt, kaum dass der Mann, der nicht mehr sein Vater war, durch die Tür gekommen war. Sein Gang war anders gewesen, sein Gesichtsausdruck, seine Augen, die im schwachen Licht seltsam schwarz gewirkt hatten. Mit schweren Schritten war er zur Mutter in die Küche gegangen. Er hatte irgendetwas gesagt, das Tim nicht verstanden hatte. Seine Mutter war jedoch daraufhin zusammengezuckt und hatte ihn entsetzt angestarrt. Und dann hatte das Wesen in Gestalt seines Vaters ein Küchenmesser vom Tresen genommen und es ihr in die Brust gerammt. Ohne jede Vorwarnung. Tim sah das ganze Blut noch deutlich vor sich. Es war rot und geradezu strahlend hell gewesen. Warnend, drohend. Es war das Schlimmste gewesen, das er jemals hatte mit ansehen müssen. In der ersten Sekunde war er wie gelähmt gewesen, hatte das alles kaum wahrhaben wollen. Immer und immer wieder hatte er sich einzureden versucht, dass er das bloß träumte. Dass er schon bald wieder aufwachen und seine Mutter ihn in den Arm nehmen würde. Aber so war es nicht gekommen. Stattdessen musste er zusehen, wie sie mit weitaufgerissenen Augen langsam zu Boden sackte. Es war für Tim, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Ihre Knie hatten nachgegeben, während immer mehr Blut aus ihrer Wunde gequollen war. Der ganze Küchenboden hatte sich bereits rot verfärbt. Sie hatte noch einen letzten Blick auf ihren Sohn geworfen, ehe das Licht aus ihren Augen verschwunden und ihr Körper leblos auf den Fliesen liegen geblieben war. Und Tim hatte das alles nicht verstehen können. Dennoch hatte er es irgendwie geschafft, sich von diesem schrecklichen Anblick loszureißen und davon zu stürmen, ehe das Monster in Gestalt seines Vaters ihn bemerkte. Zunächst hatte er sich hinter der Couch im Wohnzimmer verkrochen und hatte sich schließlich unter die Spüle begeben, als das Wesen auf der Suche nach ihm die Treppe ins erste Stockwerk hinaufgestiegen war. Er wusste selbst nicht genau, was ihn in die Küche getrieben hatte. Eigentlich hätte er die Vordertür aufreißen, nach draußen rennen und laut um Hilfe rufen sollen. Hätte sich in Sicherheit bringen sollen. Aber er hatte seine Mutter einfach nicht zurücklassen können. So war er stattdessen in die Küche gegangen und war zu ihr getreten. Darauf bedacht, mit seinen nackten Füßen nicht in ihrem Blut auszurutschen, hatte er ihr das Haar aus dem Gesicht gestrichen und leise flüsternd mit ihr gesprochen. Hatte sie angefleht, wieder aufzustehen und mit ihm zusammen zu fliehen. Doch die Augen seiner Mutter waren geschlossen geblieben. Und in diesem Moment hatte er erkannt, dass sie sich auch nie wieder öffnen würden. Tränen der Trauer und Verzweiflung waren hervorgebrochen, jedoch jäh unterbrochen, als er von oben die schweren Schritte vernahm. Die Kreatur war in seinem Zimmer gewesen! Zu Tode erschrocken hatte sich Tim daraufhin unter die Spüle gekauert. Und hatte gewartet. Gebetet und gewartet. Zwischen Spülmittel und Bodenreiniger eingeschlossen. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit bisher vergangen war. Vielleicht erst ein paar Minuten, möglicherweise aber auch schon Stunden. Furchtbare, entsetzliche Stunden. „Timmy …“ Die Stimme seines Vaters war inzwischen nur noch ein Flüstern. Ein bedrohliches und grausames Flüstern. Tim presste die Lippen mit aller Gewalt aufeinander, während sein ganzer Körper unkontrolliert zu zittern begann. Er dachte an seine Mutter auf dem Küchenboden, an das Blut überall, an ihren Hund Buster, der nicht zusammen mit diesem Wesen zurück nach Hause gekommen war. Würde es Tim bald auch so ergehen? Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. So laut! So unglaublich laut! Das Monster hatte es sicherlich auch schon mitbekommen! Es war nicht zu überhören … So laut! Und dann wurde plötzlich die kleine Schranktür aufgerissen. Tim riss die Augen auf, als eine Hand in sein Versteck griff und ihn brutal am Oberarm packte. Dermaßen kraftvoll und bestimmend, dass Tim mit seinem schmächtigen Körper nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte, sich dagegen zu behaupten. Stattdessen wurde er unsanft unter der Spüle hervorgezogen. Und aus Tim brach in diesem Augenblick alles heraus. Er schrie wie am Spieß und ließ die Tränen nur so fließen. Die ganze Zeit über hatte er alles zu unterdrücken versucht, war so ruhig wie möglich geblieben. Nun aber schaffte er es nicht mehr. Er wollte es auch gar nicht. „Du kleiner Bastard!“, hörte er das Wesen mit der Stimme seines Vaters fluchen, während Tim weiterhin brüllte, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan. Sein Hals schmerzte bereits, seine Lungen brannten und dennoch konnte er nicht aufhören. Er hatte immer noch die vage Hoffnung, dass irgendwer ihn hörte. Vielleicht Mr. Hanson von nebenan mit dem stets grimmigen Gesichtsausdruck und den zwei riesigen Hunden. Oder auch irgendjemand anders. Möglicherweise sogar Gott … Einfach nur jemand, der ihn retten konnte. Aber alles, was er erhielt, waren schreckliche Schmerzen. Im ersten Moment begriff Tim überhaupt nicht, was geschehen war. Eine Sekunde lang bestürmte ihn sogar der Gedanke, dass das Wesen mit ihm das gleiche gemacht hatte wie mit seiner Mutter. Halb rechnete er damit, Blut aus seinem Bauch hervorsprudeln zu sehen. Doch der Schmerz lag weiter oben. Seine Wange tat entsetzlich weh, sein ganzer Kopf dröhnte, als hätte er ihn sich irgendwo angestoßen. Offenbar hatte das Wesen ihn geohrfeigt, um ihn zum Schweigen zu bringen. „So ist’s besser“, meinte es zufrieden, als Tim schließlich still wurde. „Bei dem Krach kann man gar nicht denken.“ Tim schluchzte, während er in das Gesicht des Monsters sah. Es war das seines Vaters, die gleiche sonnengebräunte Haut, der gleiche kleine Leberfleck neben der Nase, die gleichen Lachfältchen um die Augen. Und dennoch war alles anders. Tim starrte in die furchterregendsten und dunkelsten Augen, die er jemals gesehen hatte. Für einen Moment befürchtete er sogar, sein Herz würde vor lauter Schock stehen bleiben. Was auch immer ihn in seiner Gewalt hatte, es war kein Mensch! „Du bist ein braver Junge“, wisperte es, während es Tim leicht über die Haare strich. „Und du brauchst dich nicht zu fürchten, ich tue dir nichts. Du wirst nicht das geringste spüren.“ Tim glaubte der Kreatur kein einziges Wort. Schniefend kniff er seine Lider zusammen, wollte um sich herum gar nichts mehr wahrnehmen. Er wünschte sich bloß nur noch, dass alles schnell vorbeiging. Dass endlich diese furchtbare Angst verschwand. Und so wartete er erneut. Auf Schmerzen. Auf Blut, das aus seinem Körper quoll. Doch stattdessen löste sich plötzlich der feste Griff um seinen Arm und das Wesen gab ein gedämpftes Geräusch der Überraschung von sich. Sofort schlug Tim seine Augen auf und merkte erstaunt, dass sie nicht mehr alleine in der Küche waren. Eine Frau hatte seinen Vater am Kragen gepackt und ruckartig von dem Jungen weggezogen. Zu überrumpelt, um angemessen zu reagieren, verlor das Wesen daraufhin das Gleichgewicht und landete auf dem Boden. „Du mieser Bastard!“, zischte sie, ehe sie den Absatz ihres Stiefels tief in den Magen der Kreatur rammte. Dieses stöhnte im ersten Moment vor Schmerz auf, fasste sich aber schnell wieder. Mit einer schier unmenschlichen Geschwindigkeit packte es den Knöchel der Frau und versuchte, sie zu Fall zu bringen. Sie ruderte wie wild mit den Armen und musste sich schließlich am Tresen festkrallen, um nicht umzukippen. „Glaubst du wirklich, du hast gegen mich eine Chance?“ Das Wesen lachte kalt, während es sich wieder ein wenig aufrappelte. Seine schwarzen Augen musterten die Frau hasserfüllt. „Bettel lieber um dein Leben, kleines Mädchen.“ „Und du solltest lieber auf deine Rückendeckung achten, Dämon“, konterte die Frau daraufhin völlig ungerührt. Das Wesen war angesichts dieser Aussage verwirrt und auch Tim begriff im ersten Augenblick nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber bereits eine Sekunde später erhielt er die Antwort. Denn ein zweiter Mann tauchte wie aus dem Nichts auf und hielt dem Dämon drohend ein Messer an die Kehle. Tim blinzelte, von der derzeitigen Situation vollkommen überfordert. Noch vor wenigen Herzschlägen war er felsenfest davon überzeugt gewesen, hier und jetzt zu sterben, und nun waren plötzlich diese Fremden in seiner Küche. Ohne Vorwarnung und dermaßen schnell, dass man fast annehmen konnte, dass sie ebenfalls keine Menschen waren. Aber was waren sie dann? Das Wesen im Körper seines Vaters schien sich mit dieser Frage nicht zu beschäftigen. Stattdessen wollte es diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Ruckartig ließ er seinen Kopf nach hinten donnern und erwischte den Mann direkt an der Nase. Das darauffolgende knirschende Geräusch ließ darauf schließen, dass Knochen brachen. Der Mann wich intuitiv zurück, während ein Fluch über seine Lippen kam und Blut aus seiner Nase hervorquoll. Der Dämon fackelte inzwischen nicht lange, sondern versetzte ihm einen weiteren Schlag, woraufhin der Mann stolperte und gegen den Kühlschrank hinter sich stieß. Tim zuckte zusammen und war drauf und dran, sich wieder unter seiner Spüle zu verkriechen. War der kurze Anflug von Hoffnung bereits dahin? Würden sie nun alle zusammen sterben? Der unbekannte Mann jedoch war nicht gewillt, einfach aufzugeben. Fast schon achtlos wischte er das Blut von seinem Gesicht und grinste breit, als würde ihm das Ganze auf verquere Art und Weise sogar irgendwie Spaß machen. Was war das nur für ein Kerl? Das Wesen brüllte derweil wütend auf und wollte sich mit seinem vollen Gewicht auf den Mann stürzen. Dieser hingegen war ein Sekundenbruchteil schneller und schaffte es noch, sich aus der Schusslinie zu begeben. Stattdessen hob er behände sein Messer wieder auf, das ihm bei der ersten Attacke des Dämons aus der Hand gefallen war, und drehte es zwischen seinen Fingern, als wäre es ein Teil seines Körpers. Und Tim konnte ihn in der Zwischenzeit einfach nur fassungslos anstarren. Was war nur los? Was passierte hier? Erst dieses Wesen, das das Antlitz seines Vaters gestohlen hatte. Und nun auch noch dieser Mann, der so gar nicht zu der Szenerie passen wollte. Er trug eine gute Hose, ein gebügeltes Hemd und eine Krawatte. Er wirkte eher wie ein Anwalt oder Börsenmakler, der mal eben kurz sein Jackett abgestreift hatte. Und nicht wie jemand, der ganz genau wusste, wie man mit einer Kreatur mit schwarzen Augen fertig wurde. Besonders auffällig war die Tätowierung des Mannes, die sich groß an der rechten Seite seines Halses unterhalb des Ohres präsentierte. Tim vermochte sie zwar nicht genau zu erkennen, glaubte aber, dass sie ein H darstellte. Wofür auch immer das stehen sollte … Auf jeden Fall wirkte es an ihm unglaublich falsch. Genauso falsch wie das Messer in seiner Hand und die Blutflecken auf dem weißen Hemd. Bevor Tim jedoch Gelegenheit bekam, länger darüber nachzudenken, spürte er, wie eine Hand seinen Arm ergriff. In der ersten Schrecksekunde zuckte er zusammen und wollte sich instinktiv losreißen, ehe er bemerkte, dass es sich um die Frau handelte. „Keine Angst, Kleiner“, meinte sie. „Wir wollen dir nur helfen.“ Und mit diesen Worten zog sie ihn weg. Fort von den zwei kämpfenden Männern, die fast die gesamte Küche auseinandernahmen, fort von seiner Mutter, die reglos auf dem Boden lag. Und hinaus aus dem Hintereingang, den sie und der fremde Mann wahrscheinlich benutzt hatten, um überhaupt ins Haus zu kommen. Tim warf noch einen Blick zurück und sah, wie der Mann dem Wesen das Messer in den Rücken rammte. Es schrie auf und krümmte sich vor Schmerz, bevor seine Knie nachgaben und er zusammensackte. Tim wandte sich daraufhin schnell um. Er konnte diesen Anblick einfach nicht ertragen. Immerhin war es trotz alledem sein Vater. Oder etwas, das wie sein Vater aussah … Die Frau hingegen betrachtete mit Genugtuung die Szene. „Na endlich“, meinte sie. „Weißt du eigentlich, wie lange wir diesem Dreckskerl schon auf den Fersen sind? Der ist schwerer zu finden als Schnee im Hochsommer.“ Tim wusste darauf nichts zu sagen. Stattdessen musterte er stumm die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte. Sie war ein wenig jünger als seine Mutter, hatte helle Haut, lange Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und – das fiel Tim sofort ins Auge – die gleiche Tätowierung wie der Mann. „Du bist in Sicherheit“, meinte sie schließlich, als sie bemerkt zu haben schien, wie verstört er war. „Er kann dir nichts mehr tun.“ „Mein Dad …“ Tims Stimme war brüchig und leise. Tränen rannen seine Wangen hinunter. Die Frau schloss kurz die Augen, als wollte sie eine schlimme Erinnerungen verdrängen, ehe sie flüsterte: „Es tut mir leid.“ Und dann war es um Tim geschehen. Er warf sich in ihre Arme und weinte ungezwungen. Weinte um seine Eltern, weinte um sich selbst … Es war vorbei. Aber für ihn hatte der Albtraum wahrscheinlich gerade erst begonnen. ____________________________________________________ So, mal wieder ne SPN-Geschichte. Überraschend, nicht wahr? ;) Gut, ich weiß selbst, dass ich süchtig bin. Ich werde deshalb auch bald in Therapie gehen *ganz fest vorgenommen hab* xD Die Idee zu dieser Geschichte kam mir letztens irgendwann aus heiterem Himmel, als ich eine Folge der 5. Staffel schaute. Und sie behandelt ein Thema, von dem ich gern gehabt hätte, dass es in SPN mal vorkommt oder wenigstens angekratzt wird. Da das aber bisher nicht geschehen ist (zumindest nicht, soweit ich mich erinnere), hab ich das jetzt einfach selbst in die Hand genommen ;) Was das nun für ein Thema ist, werdet ihr aber erst im Laufe der Geschichte erfahren. Dann hoffe ich, dass der Prolog doch einigermaßen gefallen konnte ^^ Liebe Grüße Nochnoi Kapitel 1: I ------------ „Dean?“ „Ja?“ „Dauert’s noch sehr lange?“ Sam hörte, wie sein Bruder empört schnaubte. „Halt einfach deine Klappe, Prinzessin!“, zischte er irgendwo in den Eingeweiden des Impalas. Seinen Kopf unter der Motorhaube versteckt fingerte er schon seit einer Weile, mit Schraubenzieher und allerlei anderen Werkzeugen bewaffnet, an den Maschinenteilen des Wagens herum und schien bisher immer noch keine Ahnung zu haben, was dem Auto fehlte. Schon seit ihrem letzten Job zickte der Impala wie eine Primadonna. Er sprang nur dann an, wenn er wirklich Lust dazu hatte, und seit neustem kamen aus seinem Inneren merkwürdige Geräusche, die selbst den erfahrenen Autobastler Dean verwundert die Stirn hatten runzeln lassen. Somit war er lieber auf Nummer Sicher gegangen und hatte am Straßenrand geparkt, um das Problem näher unter die Lupe zu nehmen. Sam saß neben ihm auf einem Felsen, der überraschend bequem war, hielt ein Bier in der Hand und fühlte sich ziemlich nutzlos. Sobald Dean mit seinem Wagen beschäftigt war, hatte der Jüngere nicht mehr viel zu tun außer zu warten und sich jedweden Kommentar zu verkneifen. Ab und zu ließ ihn Dean zwar an seinen Reparaturen teilhaben und erklärte ihm auch das ein oder andere, aber gerade im Moment stand ihm nicht der Sinn danach. Dafür war er viel zu frustriert und wütend, da er den Fehler immer noch nicht gefunden hatte. Sam hätte ihm gerne geholfen, wusste aber, dass er bloß Deans Ehre beleidigt hätte, wenn er sich einmischen würde. Deshalb nippte er stattdessen an seinem Bier und sah gelangweilt in die Gegend, die abgesehen von einem dicht bewachsenen Wald und einer heruntergekommenen Gaststätte etwas weiter entfernt auf der anderen Straßenseite nicht viel zu bieten hatte. Wenn Sam aber ehrlich zu sich war, kam ihm ein bisschen Langeweile gerade ganz gelegen. In den letzten Wochen und Monaten war dermaßen viel passiert, dass ihm kaum Zeit zum Atmen geblieben war. Er selbst hatte sich als das Gefäß Lucifers herausgestellt, er und Dean waren eine Weile getrennt unterwegs gewesen und dann natürlich die Sache in Carthage vor ein paar Wochen, bei der Jo und Ellen ihr Leben verloren hatten und sie darüber hinaus verzweifelt hatten feststellen müssen, dass die Hoffnung, die sie in den Colt gesetzt hatten, eine trügerische gewesen war. Nichts war gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatten. Viele gute Menschen waren gestorben und sie waren ihrem Ziel, den Teufel zu töten, keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil, schienen sie sich sogar noch mehr davon entfernt zu haben. Niemals zuvor hatte sich Sam dermaßen hilflos gefühlt. Von daher war ihm jede Art der Ablenkung nur willkommen. Selbst dem kleinen Geist-Problem, das sie keinen Tag zuvor in einer Kleinstadt gelöst hatten, war er geradezu enthusiastisch entgegengetreten. Wenigstens diesen Menschen hatten sie helfen können! Ein kleiner Erfolg. Im Großen und Ganzen gesehen zwar ziemlich unerheblich, aber trotz alledem ein Erfolg. „Ich glaube, am Vergaser liegt es nicht …“, hörte er Dean unter der Motorhaube murmeln. „Vielleicht ist es das Öl …“ Daraufhin verfiel er wieder in Schweigen und bastelte weiter. Emsig und hartnäckig, nicht bereit sich einzugestehen, dass er möglicherweise überfragt war und den Schaden nicht allein würde beheben können. Sam beobachtete ihn eine Zeit lang. Seit dem Tod von Jo und Ellen war er noch erpichter als sonst, sich in die Arbeit zu stürzen. Ob es Geister, Dämonen oder einfach nur der Impala waren – Dean krallte sich verbissen daran fest. Als würde er versuchen, den Fehler nicht zu wiederholen. Als wäre allein der Gedanke daran, aufzugeben, für ihn unerträglich. Vielleicht hoffte er ja, auf diese Art und Weise irgendwo Erlösung zu finden oder sich zumindest nicht mehr so schlecht zu fühlen. Unter Umständen versuchte er aber auch einfach nur, seinen Kummer zu verdrängen. So oder so, eher früher als später würde er völlig ausgebrannt sein. Sam hätte seinen Bruder gerne ausgebremst und zur Raison gerufen, befürchtete aber, dadurch alles nur schlimmer zu machen und auch noch Deans geballten Zorn auf sich zu ziehen. Auf gewisse Weise verstand er Dean auch, immerhin war er selbst die letzten Wochen kaum anders gewesen. Er hatte sich von eine Ablenkung in die nächste gestürzt und einfach alles vergessen wollen. Aber inzwischen hatte er erkannt, dass er nicht vierundzwanzig Stunden am Tag auf Hochtouren laufen konnte, ohne die Konsequenzen zu beachten. Ansonsten würde er nur kaputt gehen. Und Sam hoffte sehr, dass sein Bruder dies auch schon bald bemerken würde. Plötzlich riss ihn das Klingeln von Deans Handy völlig unvermittelt aus seinen Gedanken. Dean zuckte angesichts des unerwarteten Geräuschs zusammen und donnerte mit seinen Kopf lautstark gegen die Motorhaube, was eine Flut an Verwünschungen nach sich zog. Fluchend kramte er daraufhin sein Telefon aus der Hosentasche hervor und hielt es sich ans Ohr. „Was gibt’s?“, bellte er der Person am anderen Ende der Leitung unfreundlich entgegen. Es folgte eine kurze Pause, ehe Dean entgegnete: „Cas, das ist wirklich ein ungünstiger Zeitpunkt. Du solltest –“ Er hielt inne, offenbar von dem Engel mitten im Satz unterbrochen. „Am Straßenrand auf der Arkansas State Route 23 nahe Booneville, gegenüber einer Raststätte namens Joe’s Hole. Ein unglaublich dämlicher Name, wohlgemerkt, der –“ Er verstummte wieder abrupt und bereits im nächsten Moment war das inzwischen altbekannte Geräusch von Flügeln zu hören. Wie aus dem Nichts tauchte Castiel neben ihnen auf, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sam zumindest schaffte es, nicht zusammenzuzucken. Allmählich hatte er sich daran gewöhnt, dass der Engel plötzlich ohne jede Vorwarnung erschien, aber dennoch erschreckte er sich immer noch oft genug halb zu Tode. Von daher war es für seinen Puls stets förderlich, wenn Castiel sich vor seinen Besuchen telefonisch ankündigte. Sam blickte den Mann in Anzug und Trenchcoat aufmerksam an und wartete auf irgendeine Hiobsnachricht, die sicherlich folgen würde. Castiel war niemand, der einfach vorbeikam, um vollkommen zwanglos Hallo zu sagen und ein Bier mit ihnen zu trinken. „Wir haben Probleme“, sagte er im nächsten Moment und bestätigte damit Sams Vermutung, dass er nicht aus reiner Nettigkeit vorbeischaute. „Wow, Cas, vielen Dank für die Info“, meinte Dean sarkastisch. „Wir haben eine Menge Probleme! Aber wie wär’s, wenn du vorher wenigstens ein paar Manieren durchblicken ließest? Ein einfaches ‚Hallo Dean, hallo Sam, wie geht es euch?‘ ist doch echt nicht zu viel verlangt, oder?“ Castiel musterte den dreckigen und ölverschmierten Winchester eine Weile und wirkte fast nachdenklich. „Warum sollte ich fragen, wie es euch geht?“, hakte er schließlich nach. „Lucifer steht kurz davor, die Menschheit auszulöschen, und es scheint aussichtslos, etwas daran ändern zu wollen. Er ist euch in vielerlei Hinsicht weit überlegen.“ Der Engel schwieg kurz. „Ihr habt keinen Grund, euch gut zu fühlen. Es wäre demnach unsinnig, mich nach eurem Befinden zu erkundigen.“ Dean wirkte angesichts dieser Ansprache wenig begeistert und auch Sam zog seine Mundwinkel nach unten. Castiel verstand es wirklich, jemanden aufzubauen! Und das ärgerlichste an der ganzen Sache war, dass man ihm nicht mal widersprechen konnte. Er hatte ja absolut recht! Die Apokalypse war bereits im vollen Gange und ihnen gingen allmählich die letzten paar Ideen aus, die sie noch hatten. Nicht unbedingt ein Anlass, sich seines Lebens zu freuen. „Also, was sind das für Probleme?“, wollte Dean seufzend wissen, während er gedankenverloren den Schraubenzieher in seiner Hand drehte. „Omen“, informierte Castiel ihn. „Dämonische Zeichen. In Davenport.“ Dean sog scharf die Luft ein und überlegte sich augenscheinlich einen passenden Kommentar, bevor er letztlich sein Gesicht verzog und bloß den Kopf schüttelte. „Die Dämonen kriechen zurzeit überall aus ihren Löchern“, entgegnete er. „Bobby hat uns erzählt, dass sie in einer Stadt keine fünfzig Meilen von hier ebenfalls ihr Unwesen treiben. Offenbar lebt dort einer von seinen vielen Freunden, der ihn darüber in Kenntnis gesetzt hat.“ Dean zuckte mit den Schultern. „Davenport hingegen befindet sich zwei Bundesstaaten weiter. Wir sollten also erst zu Bobbys Freund fahren und dann –“ „Ihr müsst sofort nach Davenport!“, fiel Castiel ihm ins Wort. Er erschien ungewöhnlich angespannt. Dean hob eine Augenbraue und wechselte einen kurzen Blick mit Sam. „Und warum?“, hakte er daraufhin nach. „Die Zeichen in Davenport lassen auf etwas Großes schließen“, erklärte Castiel. Sam zog sich unweigerlich der Magen zusammen. Das letzte Mal, als er diese Worte gehört hatte, hatten kurz darauf zwei Freunde ihr Leben lassen müssen. Auch Dean war beunruhigt. „Etwa … Lucifer-Groß?“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Vergiss es, Cas! Wir können diesem Bastard nicht nochmal entgegentreten. Zumindest nicht, ohne einen halbwegs vernünftigen Plan oder wenigstens eine Waffe, die ihn nicht zum Lachen bringt. Das wäre purer Selbstmord!“ Sam nickte zustimmend. Noch deutlich sah er Lucifers süffisantes Grinsen vor sich, als der Colt ihm nichts hatte anhaben können. „Der Teufel befindet sich nicht in Davenport“, stellte Castiel jedoch sofort klar. „Es ist etwas anderes. Etwas Wichtiges.“ Sam beobachtete den Engel intensiv, wollte eine Reaktion oder Gefühlsregung erkennen, aber wie üblich war er einfach nicht zu lesen. Er beherrschte es geradezu meisterhaft, seine wahren Emotionen zu verbergen. Man hätte ihm natürlich auch unterstellen können, dass er einfach nicht genügend Gefühle aufzubringen in der Lage war, sodass man sie ihm äußerlich anzusehen vermochte, doch Sam wusste es besser. Er kannte Castiel inzwischen gut genug, um ohne Vorbehalte zu bescheinigen, dass der Engel alles andere als ein gefühlloses Wesen war, dem das Schicksal von anderen gleichgültig war. Man merkte Castiel seine Anteilnahme nur nicht direkt an, sondern musste sie eher in kleinen Gesten suchen, die man nur zu deuten wusste, wenn man sich länger in seiner Gegenwart aufhielt. Aber so oder so, er hätte einen perfekten Pokerspieler abgegeben. „Inwiefern wichtig?“, hakte Dean derweil nach. Er tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, seinen Missmut kaum verbergend. Am liebsten hätte er sich wieder dem Impala zugewendet und zumindest eine Zeit lang alle Gedanken an Dämonen, Lucifer und die Apokalypse ausgeschaltet. Castiels Miene blieb in der Zwischenzeit unbewegt, als er verkündete: „Wenn die Gerüchte wahr sind, könnte es dabei helfen, Lucifer zu besiegen.“ Sam hob seinen Blick. Nun, das klang in der Tat wichtig! * * * * * „Warum können FBI-Agenten eigentlich nicht Shirt und Jeans tragen?“, murrte Dean vor sich hin. „Das wäre sehr viel angenehmer.“ Missmutig verzog er sein Gesicht, während er mit einer Hand seine Krawatte zu lockern versuchte und dabei leise vor sich hinmurmelte. Noch nie hatte er sich in Anzügen besonders wohlgefühlt. Er kam sich bloß eingeengt und fehl am Platz vor. Es passte einfach nicht zu ihm. Und dennoch konnte er dem nicht entkommen. Der Job zog es mit sich, dass sie in bestimmte Rollen schlüpften und so taten, als hätten sie nie in ihrem Leben etwas anderes gemacht. „Entspann dich“, meinte Sam auf dem Beifahrersitz. Auch er war in Anzug und Krawatte gehüllt und starrte geistesabwesend auf die Straßen Davenports. Sie hatten die Stadt vor gut einer Stunde erreicht, sich sofort ein Motel gesucht und sich umgezogen, um bei der Polizei vorstellig zu werden. Sie hofften, bei der verantwortlichen Dienststelle mehr über die jüngsten Geschehnisse zu erfahren. Immerhin waren die dämonischen Zeichen in dieser Stadt kaum zu übersehen. Ganz so, wie Castiel es prophezeit hatte. Mehrere schwere Stürme hatten Davenport schon heimgesucht und Sachschäden in beeindruckender Höhe angerichtet. Todesopfer hatte es bereits auch einige gegeben. Ebenso gab es vermehrt schwere Brände, deren Ursache bisher nicht festgestellt werden konnte und die die Feuerwehr vor ein absolutes Rätsel stellte. Klassische Omen! „Der Wagen macht immer noch seltsame Geräusche“, meldete sich Sam erneut. Er versuchte, sachlich-neutral zu bleiben, aber in Deans Ohren klang es irgendwie vorwurfsvoll. „Das bildest du dir nur ein“, erwiderte der Ältere daraufhin zähneknirschend und gab seinem Bruder mit einem warnenden Seitenblick zu verstehen, das Thema ruhen zu lassen. Tatsache war jedoch, dass aus dem Inneren des Wagens wirklich noch ab und zu verdächtige Laute schallten. Zwar nicht besonders laut und auch nicht allzu beunruhigend – zumindest würde der Impala nicht in der nächsten Sekunde auseinanderfallen –, aber dennoch war es allmählich an der Zeit, einige Ersatzteile zu besorgen. Spätestens vor ihrer nächsten größeren Reise. Nach Castiels unerwartetem Auftauchen hatte es Dean noch eine halbe Stunde gekostet, den Wagen zu reparieren. Während der Engel schon längst wieder verschwunden war und Sam die ganze Zeit irgendwas von ‚Abschleppdienst‘ gemurmelt hatte, war Dean kurz drauf und dran gewesen, auszurasten. Es hatte ihn unglaublich wütend gemacht, dass er das Problem nicht hatte aufspüren können. Er war sich dumm und nutzlos vorgekommen. Kein besonders angenehmes Gefühl. Letztendlich war das Schicksal ihm aber ausnahmsweise hold gewesen. Als er schon knapp davorgestanden hatte, frustriert aufzugeben und Sam den Schraubenzieher an den Kopf zu schmeißen, war ihm etwas Kleingeld aus der Hemdtasche gepurzelt und irgendwo zwischen die Maschinen gekullert. Fluchend hatte er sich noch tiefer vornübergebeugt, intensiv gesucht und schließlich per Zufall das lose Ventil entdeckt, das sich tief in den Eingeweiden des Impalas versteckt hatte und wohl im Glauben gewesen war, dass niemand es je finden würde. War der Schaden erst einmal aufgespürt gewesen, hatte die Reparatur nur fünf Minuten Zeit gedauert. Aber es hatte Dean viel zu viel Nerven gekostet. Selbst jetzt noch war er gestresst und reizbar. Und er war sich absolut bewusst, dass nicht allein der Wagen Schuld an seiner miesen Laune war … Aber er wollte nicht gründlicher darüber nachdenken. An den Colt, an Carthage, an Jo und Ellen … Somit war er fast schon froh, als er das Polizeigebäude entdeckte. Es befand sich in der Innenstadt und war relativ schmucklos und unauffällig, dafür aber von einer beeindruckenden Größe. Dort fanden sicher eine ganze Menge Gesetzeshüter Platz. Bei einer großen Stadt wie Davenport aber auch kein Wunder. Empfangen wurden sie von einem diensthabenden Beamten namens Porter, der förmlich unter einem Berg von Akten begraben war und sich erst einmal befreien musste, um die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen. „Es freut mich sehr“, meinte er mit einem breiten Lächeln, das durchaus ehrlich wirkte. Er machte generell einen sehr sympathischen Eindruck, doch sein fester Händedruck verriet, dass er auch ordentlich zupacken konnte. Was Dean bei seiner eher schmächtigen Statur nicht unbedingt erwartet hätte. „Wie kann ich dem FBI denn weiterhelfen?“, wollte er wissen. „Wir sind wegen der Vermisstenfälle hier“, erklärte Sam mit seiner typisch gewichtigen FBI-Miene. „Und selbstverständlich wegen der Morde.“ Neben den von den Dämonen verursachten Wetterumschwüngen waren auch dies übliche Zeichen. In Davenport waren, soweit sie es bisher im Internet hatten überprüfen können, in den letzten vier Wochen mehr Menschen verschwunden als in den vorangegangenen sechs Monaten. Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts waren plötzlich ohne jede Vorwarnung wie vom Erdboden verschluckt. Damit einhergehend geschahen besonders im südlichen Teil Davenports geradezu bestialische Morde. Familien wurden in ihrem Zuhause überfallen und getötet. So etwas wie Skrupel oder Erbarmen hatten die Täter bisher nicht erkennen lassen. Auch Porter berichtete ihnen dies in allen Einzelheiten. „Es ist wirklich schrecklich“, endete er schließlich kopfschüttelnd. „Wir wissen nicht, was für eine Intention dahinter steckt. Es wurde nichts gestohlen. Außerdem stehen die Opfer in den meisten Fällen in keinem engeren Zusammenhang. Es erscheint alles vollkommen wahllos.“ Sam nickte, während er sich auf seinem kleinen Block einige Notizen machte. „Und man hat keinerlei Anhaltspunkte über den oder die Täter?“ Porter wirkte fast schon verzweifelt, als er die Schultern anhob. „Zunächst gingen wir von einem Serienmörder aus. Jemand, der entsetzliches Vergnügen daran findet, menschlichen Leben auszulöschen. Aber schließlich erhielten wir mehrere Augenzeugenberichte. Mal war es eine Frau, die sich vom Tatort entfernte, dann wiederum ein Mann. Ein Augenzeuge erzählte sogar von einer Gruppe von drei Personen.“ Dean versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber innerlich fluchte er ungehalten. Diese Stadt hatte offenbar mit einer ganzen Schar von Dämonen zu kämpfen. „Konnten die Augenzeugen die Täter beschreiben?“, hakte Sam weiter nach. „Einige schon“, meinte Porter nickend. „Und ob Sie’s glauben oder nicht, ihre Beschreibungen haben perfekt zu den vermissten Personen gepasst.“ Das glaub ich auf der Stelle, mein Freund, dachte Dean bei sich. „Das letzte Opfer ist ein Junge namens Tim Miller“, fuhr der Polizeibeamte fort. „Er konnte gerade noch rechtzeitig entkommen. Offenbar ist es sein eigener Vater gewesen, der plötzlich ohne jeden Grund randaliert und seine Frau ermordet hat.“ Porter begann, die für sie wichtigen Unterlagen zusammenzusuchen. Als er das Büro verließ, um die nötigen Kopien anzufertigen, beugte sich Dean zu Sam hinüber. „Und, was denkst du?“ „Klingt, als wären hier mindestens drei Dämonen unterwegs“, meinte Sam. „Vielleicht sogar noch mehr. Auf jeden Fall sollten wir uns zunächst die Augenzeugen vornehmen und alles herausfinden, was sie wissen.“ Er fuhr sich kurz durch die Haare. „Und ich würde vorschlagen, wir fangen mit diesem Tim Miller an.“ * * * * * Sam fand es stets immer wieder aufs Neue wenig berauschend, verängstigte Kinder zu befragen, die gerade ein schweres Trauma erlitten hatten und sich am liebsten den ganzen Tag unter ihrer Bettdecke verkrochen hätten. Auch Tim Miller machte diesen Eindruck. Er wirkte klein und verloren auf der großen Couch, während er sich schutzbedürftig an seine Tante kuschelte, die den Jungen nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen hatte. Er hatte Schlimmes durchgemacht und Sam wusste nur zu gut, dass keine Worte der Welt ihn trösten würden. Ständig würde er die Bilder in seinem Kopf behalten, wahrscheinlich sein Leben lang. Und das Schrecklichste an der ganzen Sache war für ihn vermutlich die Ungewissheit. Denn Tim verstand es nicht. Verstand nicht, warum sein Vater – den Mann, den er so abgöttisch geliebt hatte –, plötzlich zu einem Monster hatte werden können. Sam hätte ihm liebend gern die Angst genommen, aber es war ihm nicht möglich. Selbst wenn er dem Jungen die Wahrheit erzählt hätte, hätte das im Grunde nichts verändert. Denn nichts wäre dadurch besser geworden. Außerdem, so bemerkte Sam, als Tim ihnen zögerlich die Einzelheiten des Vorfalls schilderte, schien er unterbewusst zumindest zu ahnen, was mit seinem Vater geschehen war. „Er war nicht mehr er selbst“, meinte er soeben flüsternd. „Irgendwas … war in ihm.“ Er verstummte kurz, kaute unruhig auf seiner Unterlippe. „Vielleicht war es auch gar nicht mein Dad. Vielleicht sah er nur genauso aus.“ Er wollte nicht akzeptieren, dass sein geliebter Vater ein Mörder sein könnte. Auch seine Tante neben ihn, die jüngere Schwester des Verstorbenen, machte den Eindruck, als wollte sie den Worten des Jungen lieber Glauben schenken als ihrem gesunden Menschenverstand. „Ist dir noch etwas anderes aufgefallen?“, hakte Dean nach. „Jedes Detail könnte wichtig sein. Unter Umständen ein merkwürdiger Geruch …“ „Die Augen meines Dads …“, wisperte Tim, während er sich enger an seine Tante drückte und diese Erinnerung offensichtlich am liebsten verdrängt hätte. „Sie waren …“ „Schwarz?“, half Sam ihm auf die Sprünge und war wenig überrascht, als der Junge scheu nickte. Alles deutete auf einen klassischen Dämonenüberfall hin. „Du hattest den Polizisten erzählt, dass jemand gekommen wäre?“, fuhr Dean mit seiner Befragung fort. Tim schluchzte leise. „Ja, ein Mann und eine Frau“, bestätigte er. „Sie haben mich gerettet.“ Und dann erzählte er knapp von diesem mysteriösen Samaritern, die, als sie das Geheul der Polizeisirenen aus der Ferne vernommen hatten, sofort ohne eine ausführliche Erklärung spurlos in der Dunkelheit der Nacht verschwunden waren. „Und sie hatten eine Tätowierung am Hals?“, erkundigte sich Sam. „Ja“, meinte Tim nickend. „Es sah aus wie ein H. Aber vielleicht auch was anderes …“ Er senkte den Blick. „Und die Frau hat komisch gesprochen.“ Dean runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“ Tim zuckte mit den Schultern, offenbar selbst nicht ganz sicher, wie er es beschreiben sollte. „Keine Ahnung …“ „Hat sie unter Umständen gelispelt oder gestottert?“, hakte Sam nach. „Oder hat sie gar eine andere Sprache gesprochen?“ Tim schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Sie hat einfach nur … komisch geredet.“ Weitere Informationen waren schließlich nicht mehr aus ihm herauszuholen. Er vergrub sein Gesicht im Pullover seiner Tante und machte damit mehr als deutlich, dass er nicht weiter über das Thema sprechen wollte. Man sah Dean zwar an, dass er gerne noch einige Einzelheiten erfahren hätte, aber nach einem strengen Blick von Tims Tante blieben ihm die Worte im Hals stecken. Somit verabschiedeten sie sich knapp und machten sich auf den Weg zum Impala, den sie ein paar Meter die Straße runter hatten parken müssen. „Was hältst du davon?“, fragte Dean, während er schon mal nach den Wagenschlüsseln kramte. „Ich denke, dass der arme Junge Zeit seines Lebens leiden wird“, meinte Sam und seufzte schwer. Manchmal war das Leben einfach nur hart und ungerecht. „Diesen verfluchten Dämon, der seinen Vater besetzt hat, würde ich am liebsten ordentlich dafür büßen lassen.“ Deans düstere Miene verriet, dass ihm der gleiche Gedanke durch den Kopf geschossen war. „Wenn er überhaupt noch hier ist, versteht sich“, entgegnete er jedoch. „Diese beiden Typen, die den Jungen gerettet haben …“ „Klingt so, als wären noch andere Jäger in der Stadt“, sagte Sam. „Mit einem netten Gruppen-Tattoo“, fügte Dean an. „Denkst du, das H steht für Hunter?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Möglich. Allerdings wäre das ziemlich einfallslos, nicht?“ Dean schnaubte. „Stimmt schon. Aber andererseits ist das Offensichtliche oft genug ziemlich einfallslos, nicht wahr? Wenn sie zumindest Wert darauf legen, dass andere Jäger sie schnell erkennen, wäre das ein guter Weg. Vielleicht nicht besonders kreativ, aber darauf käme es dabei ja nicht unbedingt an, oder?“ Sam hörte bereits nur noch mit halbem Ohr zu, während seine Gedanken wieder zu den Jägern zurückkehrten. Zum einen war es natürlich vorteilhaft, wenn sich auch andere dieser Sache annahmen – und das offenbar auch noch erfolgreich, wenn man Tims Aussage bedachte –, aber auf der anderen Seite machte es Sam ein wenig nervös. Unter den Jägern hatte sich zunehmend das Wissen verbreitet, dass er in engerer Verbindung mit der Auferstehung Lucifers stand. Nicht wenige machten ihn dafür verantwortlich und nahmen es ihm ausgesprochen übel. Und Sam konnte es ihnen nicht mal verdenken. Wie sah es nun mit den Jägern aus, die sich hier in Davenport herumtrieben? Wussten sie auch Bescheid und würden demnach die Einmischung der Winchesters nicht unbedingt begrüßen? Oder waren sie ahnungslos und würden jede Hilfe bereitwillig annehmen, die sie kriegen würden? „Was denkst du eigentlich, was der Kleine gemeint hat, als er sagte, dass die Frau komisch geredet hätte?“, fragte Dean unvermittelt. Sam zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt zu richten. „Ich weiß nicht genau“, antwortete er daraufhin. „Tim schien sich ja selbst nicht ganz sicher zu sein. Womöglich hat sie einfach Wörter benutzt, die ihm völlig unbekannt waren.“ Dean lächelte schief. „Du meinst Schimpfwörter?“, hakte er nach. „Könnte durchaus sein. Ich vermute zumindest, dass der kleine, wahrscheinlich streng katholisch erzogene Junge noch nicht allzu viele Flüche in seinem Leben gehört hat.“ Er lachte auf. „Da bin ich ja schon fast gespannt darauf, diese Lady kennenzulernen. Ich steh auf Frauen, die ein dreckiges Mundwerk haben.“ Sam wollte hierauf einen bissigen Kommentar zum Besten geben und seinen Bruder darauf hinweisen, dass er im Grunde auf alle Frauen stand, solange sie hübsch anzusehen waren und über nicht allzu viel Grips verfügten, aber er ließ es letztlich bleiben. Es war schon eine Weile her, dass sich Dean ernsthaft auf etwas gefreut hatte, sodass er ihm sicherlich nicht den Spaß verderben wollte. Sam selbst wusste aber nicht, ob er der Begegnung entgegenfiebern sollte. Wenn er ehrlich zu sich war, hätte er diesen Job am liebsten unauffällig erledigt und wäre sofort danach wieder aus der Stadt verschwunden. Aber ihm war auch klar, dass es sich um eine größere Sache handelte, die man bestimmt nicht an einem Abend würde klären können. Früher oder später würden sie ihre Jäger-Kollegen treffen. Blieb nur die Frage, ob sie ihnen wohlgesonnen waren oder nicht. Kapitel 2: II ------------- Dean hatte das Gefühl, ein Lastwagen hätte ihn überrollt. Seine Muskeln rebellierten, sein Kopf dröhnte, sein ganzer Körper fühlte sich an wie Blei. Jede Bewegung war schon fast eine Qual. Somit stieß er auch gleich einen Seufzer der Erleichterung aus, als er sich auf die Matratze seines Bettes darnieder legen konnte. Mit Anzug, Schuhen und den typischen Geruch vom frittierten Fett, das sich beim Besuch eines Fastfood-Ladens ganz in der Nähe an seiner Kleidung festgesetzt hatte. Dean war es vollkommen einerlei. „Du solltest langsam mal etwas Schlaf finden“, hörte er von irgendwo die mahnend-besorgte Stimme seines Bruders, der gerade die Tür zum Motelzimmer hinter sich schloss. „Sonst brichst du irgendwann zusammen.“ Dean wollte verächtlich schnauben, aber bloß ein seltsames Geräusch verließ seine Lippen, das nicht mal er selbst richtig zuordnen konnte. Tatsache war jedoch, dass Sam Recht hatte. Im Grunde hatte er eigentlich sogar ziemlich oft Recht, aber Dean gab dies nur sehr selten öffentlich zu. Ebenso dieses Mal hielt er sich zurück, auch wenn er seinem Bruder stillschweigend zustimmte. Schlaf. Ruhe. Das klang wie Musik in Deans Ohren. Aber unglücklicherweise war das einfacher gesagt als getan. Schon seit Wochen fand er keine Entspannung mehr. Stattdessen lief er ständig auf Hochtouren, als hätte er eine Überdosis Koffein oder gar schlimmeres intus. Und wenn er es dann doch mal schaffte, seine Augen zu schließen und so etwas ähnliches wie Schlaf zu finden, sah er jedes Mal diese Bilder vor sich. Albträume, die immer wiederkehrten. Von Teufeln und Dämonen. Von Jo, wie sie blutüberströmt auf dem Boden sitzt. Von Ellen und den Tränen in ihren Augen. Von dem Geheul der Höllenhunde. Und von dem brennenden Foto im Kamin. All das bedrängte und quälte ihn. Ließ ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Auch Sam litt unter Albträumen, das war Dean nur allzu bewusst. Oft hörte er ihn mitten in der Nacht eindeutige Geräusche von sich geben. Tief saßen die Wunden, die ihnen in Carthage zugefügt worden waren. Und sie würden lange brauchen, um zu heilen. „Was ist das denn nun für eine Sache, die hier in Davenport läuft?“, vernahm Dean erneut Sams Stimme. Verwundert runzelte er daraufhin die Stirn und dachte im ersten Moment, die Frage wäre an ihn gerichtet, aber als er sich schließlich dazu zwang, seinen Oberkörper aufzurichten, bemerkte er überrascht, dass Castiel im Zimmer war. War er etwa schon vor ihnen hier gewesen? Oder war er gerade erst aufgetaucht, als es Dean in seinem Halbschlaf gar nicht mitbekommen hatte? „Ich kann es dir nicht genau sagen“, hatte sich Castiel soeben an Sam gewandt. „Aber die Omen lassen auf etwas Großes deuten.“ Sam seufzte, angesichts dieser spärlichen Antwort wenig zufrieden. „Das bringt uns auch nicht viel weiter“, entgegnete er, während er sein Jackett abstreifte und seine Krawatte zu lockern begann. „Hast du nichts Konkreteres?“ „Um das Rätsel zu lösen, sind wir hier“, sagte der Engel hingegen schlicht, ehe der Blick wandern ließ, als wäre ihm erst in diesem Moment der Gedanke gekommen, seine Umgebung etwas näher in Augenschein zu nehmen. Dean hatte sich derweil mühevoll aufgerappelt und ebenso wie Sam angefangen, sich nach und nach dem beengenden Anzug zu entledigen. „Aber ein paar mehr Hinweise wären nicht schlecht“, warf er nun auch in den Raum. „Du hast doch von ‚Gerüchten‘ geredet, nicht wahr? Und, was besagen die?“ Er verstummte kurz, bevor er zögerlich fragte: „Und wo hast du sie eigentlich her? Aus der Unterwelt? Hat es dir eine nette Fee zugeflüstert? Oder hast du es auf dem Flohmarkt des Übernatürlichen aufgeschnappt, der direkt bei Hogwarts liegt?“ Der Engel richtete seine Aufmerksamkeit nun auf Dean und betrachtete ihn, als würde er ernsthaft um dessen Gesundheitszustand bangen. „Solch ein Markt existiert nicht.“ Dean atmete einmal tief durch und zwang sich, diese Aussage unkommentiert zu lassen. Stattdessen fragte er nach: „Du hast also keine brauchbaren Hinweise mehr? Warum die Dämonen ausgerechnet hier sind? Wie viele es überhaupt sind?“ „Ich weiß nur, dass sich eine große Anzahl hier versammelt hat“, erklärte Castiel ernst. „Die genaue Zahl kann ich dir nicht nennen, aber man spürt die dämonische Präsens deutlich. Außerdem sind sie nicht zufällig hier.“ „Ach nein?“, hakte Dean nach. Er hatte soeben seine wenig bequemen Schuhe ausgezogen, ohne sein Gleichgewicht zu verlieren, wie noch eine Wochen zuvor, als er glatt vornübergekippt war und sich daraufhin Sams schadenfrohes Gelächter hatte anhören müssen. Zufrieden mit sich selbst nahm er auf einem Stuhl Platz und schnappte sich die Chipstüte, die er vor ihrem Aufbruch als FBI-Agenten angebrochen hatte. „Man erzählt sich, dass die Dämonen hier irgendetwas suchen“, verkündete Castiel in seinem typischen tiefen Tonfall, der einem immer wieder Schauer über den Rücken zu jagen vermochte. Dean legte derweil seinen Kopf leicht zur Seite. „Und was?“ „Das ist mir nicht bekannt“, antwortete Castiel. „Aber wir sollten sichergehen, dass wir es vor ihnen finden.“ Dean konnte hierauf nur zustimmend nicken. Wenn sich mehrere Dämonen an einem Ort versammelten und offenbar überaus erpicht waren, etwas Bestimmtes aufzuspüren, bedeutete dies nie etwas Gutes. Was es auch sein mochte – eine Waffe oder etwas anderes –, es durfte nicht in die falschen Hände geraten. „Und das wird uns helfen, Lucifer zu besiegen?“, erkundigte sich Sam. Castiel schwieg einen Augenblick. „Ich weiß es nicht“, gestand er schließlich. „Ich kann dir bloß versichern, dass es den Teufel nicht erfreuen wird, wenn wir die Dämonen hier in Davenport aufhalten.“ Dean ließ sich zu einem flüchtigen Grinsen hinreißen. „Na, das ist doch schon Grund genug.“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und knabberte an einem Kartoffelchip. „Aber wo fangen wir an? Diese Stadt ist nicht gerade klein.“ Im selben Moment hörte er das Rascheln von Papier. „Ich denke, ich weiß da vielleicht was“, meinte Sam. Dean wandte sich seinem Bruder zu und merkte, dass dieser einen Stadtplan gezückt hatte, den er auch schon im Impala intensiv studiert hatte. Der Ältere hatte sich währenddessen die ganze Zeit gefragt, wann zur Hölle Sam dieses Teil besorgt hatte, ohne dass er etwas davon mitbekommen hatte. Der Schlafentzug, so hatte Dean zu diesem Zeitpunkt frustriert festgestellt, machte ihn wohl allmählich stark aufnahmeunfähig. Sam hatte inzwischen den Stadtplan weit ausgebreitet auf dem Schreibtisch niedergelegt und von irgendwoher einen roten Stift hervorgeholt. „Ich habe die Adressen verglichen“, erklärte er. „Alle im südlichen Teil der Stadt, in der Nähe des Mississippi Rivers. Einfamilienhäuser, aber auch Apartmenthäuser. Es scheint, als wären die Dämonen von Wohnung zu Wohnung gezogen und hätten alles getötet, was sie finden konnten.“ Dean ballte seine Hände automatisch zu Fäusten. Die Dämonen und ihre Mordlust versetzten ihn zunehmend in Rage. Kein Erbarmen ließen sie walten, während sie unschuldigen Menschen ohne jede Vorwarnung attackierten. „Zunächst erscheint alles relativ wahllos, ganz so, wie Porter es gesagt hat“, fuhr Sam fort. „Sechs Häuser wurden in den letzten vier Wochen überfallen und abgesehen von ihrer Lage im Hinblick auf den Fluss scheint es keine Gemeinsamkeiten zu geben. Bei den ersten Angriffen ist auch sicherlich niemanden eine Regelmäßigkeit aufgefallen, aber inzwischen … zeigt sich ein Muster.“ Mit diesen Worten kreuzte er die Adressen an, die von den Dämonen besucht worden waren. Sie ergaben eine perfekte Linie. Dean runzelte bei diesem Anblick verwundert die Stirn. „Und das ist der Polizei nicht aufgefallen?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Ich kann’s mir selbst nicht genau erklären. Wie bereits gesagt, bei den ersten Überfällen war das bestimmt noch nicht sichtbar, aber in der Zwischenzeit müssten sie es eigentlich gemerkt haben.“ Dean konnte hierauf nur den Kopf schütteln. Die Polizei schaffte es doch immer wieder, ihn zu verblüffen. „Vielleicht haben auch die Dämonen etwas damit zu tun“, mischte sich nun Castiel ein. Intensiv musterte er den Stadtplan vor sich auf dem Tisch. Dean hob seinen Blick. „Was meinst du damit?“ „Unter Umständen haben sie sich bei der örtlichen Polizei eingeschleust“, mutmaßte der Engel. „Um ihre Ermittlungsarbeiten zu verlangsamen und somit sicherzugehen, dass die Menschen ihnen bei ihrer Suche nicht in die Quere kommen.“ Dean musste sich eingestehen, dass diese Theorie gar nicht mal so weit hergeholt klang. Zwar sahen die dämonischen Mächte in menschlichen Polizisten ganz sicher keine Bedrohung, dafür aber bestimmt lästige Nervensägen, die sie im ungünstigsten Zeitpunkt bei ihrer Arbeit störten. Somit war es durchaus von Vorteil, die Polizei ein wenig hinzuhalten und sie auf falsche Fährten zu locken. „Im Grunde umso besser“, meinte Sam. „So geraten wenigstens nicht noch mehr Menschen in die Schusslinie.“ Dem konnte Dean nicht widersprechen. Sollte die Polizei ruhig weiterhin im Trüben fischen, ihm war es nur recht. Sam hatte sich währenddessen wieder über den Stadtplan gebeugt. „Wenn man die Abstände der anderen Häuser berechnet, die überfallen worden sind, dann müsste es …“, murmelte er konzentriert vor sich hin, bevor er schließlich mit dem roten Stift ein weiteres Kreuz auf das Papier malte, „… dann müsste es ungefähr hier sein.“ „Das nächste Angriffsziel?“, hakte Dean nach. Sam nickte bestätigend. „Ich kann dir jetzt nicht die exakte Hausnummer nennen, aber dort in der Gegend dürfte es das nächste Mal stattfinden. Sofern die Dämonen natürlich nicht plötzlich ihre Taktik ändern, versteht sich.“ Dean starrte auf den Stadtplan und brummte zufrieden. Das war zumindest ein Ansatzpunkt, an dem sie anknüpfen konnten. * * * * * Arthur Cogan hatte Mühe, seine Augen offenzuhalten. Schon seit Tagen hatte er massive Schlafprobleme, die ihm das letzte bisschen Energie raubten, das er eigentlich für seine Arbeit benötigte. Seine Firma hatte vor wenigen Wochen einen unglaublich wichtigen Auftrag an Land gezogen und nun standen sie kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Jahrelang hatte er schwer geschuftet, um an diesen Punkt zu kommen. Er hatte gearbeitet wie ein Tier und alle negativen Stimmen ausgeblendet, als er sich damals vor all diesen Jahren selbstständig gemacht hatte. Viele hatten ihm prophezeit, dass er versagen würde. Scheitern. Dass er es bitter bereuen würde. Aber hingegen der Erwartungen war es ihm dennoch geglückt, in der Geschäftswelt Fuß zu fassen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte seine Firma ansehnliche Profite erwirtschaftet, woraufhin seine Kritiker nach und nach verstummt waren. Und nun war er im Begriff, die Leiter des Erfolgs noch eine Stufe höher zu klettern. Sollten er und seine Mitarbeiter den Auftrag zur Zufriedenheit des Kunden vollbringen, würde er vermutlich für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben. Er stand vor einem ungemein wichtigen Schritt seiner Karriere. Doch Arthur schaffte es einfach nicht, sich zu konzentrieren. Es war wie eine ständig vorhandene Anspannung, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Zum Teil war sie sicherlich durch die Arbeit und dem damit verbundenen Stress ausgelöst. Vieles stand auf dem Spiel. Wäre er erfolgreich, würde er einiges gewinnen, jedoch gab es ebenso viel zu verlieren. Aber es war nicht nur die Firma, die seine Gedanken zurzeit beherrschte. Auch die jüngsten Ereignisse zehrten sehr an seinen Nerven. Seine Frau war nervös und panisch, was sich automatisch auch auf ihn selbst auswirkte. Ihm schlaflose Nächte bescherte. Und ihre Angst war durchaus berechtigt. Schon seit Wochen hörte man in den Medien von den schrecklichen Morden. Anfangs hatte es Arthur zwar tief erschüttert, doch es war ihm weit entfernt vorgekommen. Als würde man von einem Krieg in einem vollkommen anderen Land erfahren. Man spürte Anteilnahme, wenn man die furchtbaren Bilder sah, fühlte sich aber eher als unbeteiligter Beobachter. Aber nach und nach waren die Morde in Davenport zur entsetzlichen Realität geworden. Der letzte Überfall hatte keine zwei Straßen von ihrem Zuhause stattgefunden. Geradezu mit zitternden Händen hatte Arthur die Berichterstattung am darauffolgenden Tag in der Zeitung gelesen. Von den getöteten Eltern und dem armen Tim Miller, der auf dieselbe Schule ging wie Arthurs Töchter und den er das ein oder andere Mal gesehen hatte. Auf der Straße, spielend und lachend. Ein kleiner Junge. Unschuldig, wie es auch Arthurs Töchter waren. Rein und unverdorben. Und die Gefahr war zum Greifen nahe. Arthur hatte zwar die Alarmanlage seines Hauses inzwischen auf den neusten Stand gebracht, aber völlig sicher fühlte sich seine Familie trotzdem nicht. Seine Frau sprach bereits davon, zusammen mit den Kindern zu ihrer Mutter nach Iowa City zu ziehen, bis die Polizei die Verantwortlichen erwischt hatte. Ein Vorschlag, der ihm nun nach der Sache mit den Millers durchaus akzeptabel erschien. Arthur seufzte, während er gleichzeitig seine Augen mit aller Gewalt offen zu halten versuchte und das Lenkrad fest umklammerte, als könnte es ihm im nächsten Moment aus den Händen gleiten. Der Tag war lang und anstrengend gewesen und mehr denn je sehnte er sich nach seinem Bett. Vielleicht würde er sogar endlich mal wieder etwas erholsamen Schlaf finden. Schon bald wäre er Zuhause … Doch dann sah er die Gestalt! Arthur trat mit aller Wucht auf die Bremse, als der Schatten auf die Straße huschte und direkt vor ihm stehenblieb. Sein alter Wagen protestierte vehement gegen diese unangenehme Behandlung, kam aber letztendlich noch rechtzeitig mit quietschenden Reifen zum Stillstand. Ein gewaltiger Ruck ging durch das Auto, sodass man für einen Moment fast hätte glauben können, es würde sich in der nächsten Sekunde überschlagen. Arthurs Herz pochte ihm vor lauter Panik bis zum Hals. Sein Atem kam schnell und stoßweise, während er sich weiterhin an seinem Lenkrad festkrallte, als würde er es nie wieder im Leben loslassen wollen. Was war gerade geschehen? Alles war so furchtbar schnell abgelaufen. Mit weitaufgerissenen Augen verharrte er eine halbe Ewigkeit auf dem Fahrersitz, ehe er schließlich bemerkte, wie die dunkle Gestalt auf der Straße sich auf sein Auto zubewegte. Vollkommen natürlich und ruhig, als wäre überhaupt nichts passiert. Und dieser Anblick brachte Arthurs Blut in Wallungen. Mit aller Macht zwang er sich, seinen Schockzustand zu überwinden. Er stieß die Wagentür auf – wobei er es mit seinen zittrigen Fingern zunächst fast nicht schaffte, den Öffner zu packen – und hievte sich aus dem Auto. Seinen Blick dabei unablässig auf die Gestalt gerichtet. Nun erst realisierte er, dass es sich bei ihr um eine Frau mittleren Alters mit kurzen, blonden Haaren handelte, die sich bewegte, als wäre sie eine elegante Katze. Ihr Gang war provozierend lasziv, ihr Lächeln breit und verführerisch. Arthur war im ersten Moment wie vor den Kopf gestoßen und bekam kein einziges Wort heraus, aber schnell rief er sich das eben Geschehene wieder ins Gedächtnis. Er würde es sicher nicht auf sich beruhen lassen, dass diese Frau dermaßen sorglos durchs Leben marschierte! Früher oder später würde noch jemand verletzt werden. „Sagen Sie, sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“, brüllte er ihr entgegen. Das Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, machte ihn ungewöhnlich aggressiv. Normalerweise diskutierte er Konflikte aus und war um einen angemessenen Umgangston bemüht, nun aber spürte er das geradezu unwiderstehliche Verlangen, seiner Wut freien Lauf zu lassen. „Sie können doch nicht einfach auf die Straße rennen!“ Die Frau zeigte sich hingegen in keinster Weise beeindruckt. Sie blieb wenige Meter vor ihm stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste ihn bloß weiterhin unverschämt an. „Haben Sie etwa nichts dazu zu sagen?“, entrüstete sich Arthur. „Sie können doch nicht einfach –“ Seine Worte blieben ihm im Halse stecken, als ihn plötzlich von hinten zwei starke Hände packten. Derart kraftvoll, dass Arthur das Gefühl bekam, seine Oberarme würden zerquetscht. Reflexartig versuchte er, um sich zu schlagen, während ihn erneut eine Welle der Panik ergriff. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich und machten es ihm sehr schwierig, sich zu konzentrieren. Eher am Rande bemerkte er überhaupt, dass seine kümmerlichen Befreiungsversuche völlig nutzlos waren. Die Frau war währenddessen näher gekommen. Immer noch zierte ein überlegener Gesichtsausdruck ihre Züge. „Du brauchst dich nicht zu wehren, kleiner Mensch. Das macht es bloß noch schlimmer.“ Arthur hielt bei diesen Worten inne. Tausend verschiedene Gedanken bestürmten ihn und versetzten ihn in tiefe Verzweiflung. Was hatten sie nur vor? Wollten sie ihn ausrauben oder war es gar etwas anderes? Etwas unglaublich Furchtbares …? Unvermittelt überfiel ihn die Erinnerung an die Morde in den letzten Wochen und ihm stockte der Atem. Das war doch nicht …? Die Frau hatte sich derweil zu ihm gebeugt. Ihre Augen, die für einen kurzen Moment erschreckend schwarz wirkten, musterten ihn zufrieden. „Du gehörst jetzt uns.“ * * * * * Zwei Tage warteten sie. Zwei endlos erscheinende Tage. Sam hatte sich selbst nie als ungeduldigen oder gar hektischen Menschen gesehen, aber nach dieser langen Zeit wurde er nach und nach immer unruhiger. Sein Gesäß beschwerte sich bereits seit einer Ewigkeit und seine Beine schliefen regelmäßig ein. Sein Körper verlangte nach Bewegung, schrie förmlich danach. Als würde ein kleiner Mann in seinem Ohr lautstark brüllen und sich nicht im geringsten darum kümmern, dass er Sam auf diese Weise Kopfschmerzen bescherte. Du bist es doch gewohnt, lange im Auto zu sitzen, maßregelte er sich selbst. Tatsache war jedoch, dass zu ihren langen Fahrten auch jedes Mal mehr oder weniger längere Pausen dazugehörten. Man konnte sich die Beine vertreten, mal zur Toilette huschen und was man sonst noch auf einer verdreckten Tankstelle mitten im Nirgendwo alles anzustellen vermochte. Aber vor allen Dingen war es das Fehlen jeglicher Anspannung, das es für Sam normalerweise erträglich machte. Er saß bequem auf seinem Sitz – meistens als Beifahrer, doch ab und zu auch mal tatsächlich hinter dem Lenkrad – und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen. Es waren tatsächlich so etwas wie Stunden des Friedens in einem sonst so ereignisreichen und aufregenden Leben. Zwar erfüllt von Deans lauter Musik und seinem manchmal recht nervigen Gesinge, doch trotzdem irgendwie friedlich. Auf eine verquere und nicht-monstermäßige Art und Weise. Nun aber war alles anders. Sie befanden sich nicht auf einer wenig befahrenen Landstraße, wo die größte Angst darin bestand, dass einem ein Reh vors Auto lief. Nicht mal ansatzweise. Dabei wirkte die Gegend, in der sie sich momentan aufhielten, alles andere als bedrohlich. Reihenhaus stand neben Reihenhaus, aufwendig gepflegter Vorgarten neben nicht ganz so aufwendig gepflegtem Vorgarten. Menschen verließen die Gebäude und kehrten irgendwann auch wieder dorthin zurück. Und das einzig einigermaßen spannende der letzte zwei Tage war ein Kampf zweier Möwen um ein achtlos weggeworfenes Sandwich gewesen. Und dennoch war Sams Körper unentwegt angespannt. Darauf harrend, dass die Dämonen wie aus dem Nichts auftauchten und erneut Menschenleben forderten. „Langsam hätte ich nicht übel Lust, mich selbst zu erschießen“, meinte Dean am frühen Abend des zweiten Tages. Er hielt einen Kaffee in der Hand, der inzwischen vermutlich schon kalt und ungenießbar war, und beobachtete lustlos die nähere Umgebung. Sie hatten sich einen relativ unauffälligen Parkplatz ausgesucht, von dem sie gleichzeitig einen guten Überblick über mehrere Häuser hatten, die als potenzielle Angriffsziele infrage kamen. Sam hatte allmählich das Gefühl, dass er sich wahrscheinlich noch viele Jahre später an jeden einzelnen Grashalm, jeden einzelnen Baum und jede weitere Facette erinnern würde, die er seit Tagen dermaßen intensiv anstarrte, dass sie sich in sein Gehirn gebrannt hatten. „Selbstmord ist auch keine Lösung“, erwiderte Sam, während er mühevoll ein Gähnen unterdrückte und etwas tiefer in den Sitz sank. „Das macht bloß Dreck und Kummer.“ Fast schon automatisch warf er einen Blick in den Rückspiegel und wartete nur darauf, dass Castiel, der auf der Rückbank saß, den moralischen Zeigefinger erhob und mit ernster Stimme verkündete, dass Selbstmord eine schwere Sünde sei. Doch der Engel blieb still. Stattdessen schaute er konzentriert auf die Straße und musterte jeden Passanten ausgiebig. Immerhin war er der einzige von ihnen, der einen Dämon trotz menschlicher Hülle erkennen konnte. „War ja nur ein Gedanke“, murmelte derweil Dean. Er nippte kurz an seinem Kaffee und verzog nur eine Sekunde später angewidert sein Gesicht. Ohne einen weiteren Kommentar stellte er den Becher auf dem Armaturenbrett ab und gab ein typisches Dean-Geräusch von sich, das auf unterdrückten Ärger hinwies. Er war noch nie ein Meister des Wartens gewesen. „Vielleicht eine seltene Baseballkarte“, meinte er plötzlich aus heiterem Himmel. Sam schnaubte bloß. „Ganz sicher nicht.“ Schon seit zwei Tagen rätselten sie, wonach die Dämonen so emsig suchten. Zu Anfang waren ihre Vorschläge durchaus noch intelligent und produktiv gewesen, aber inzwischen war es kaum mehr als ein Spiel, um sich die Zeit zu vertreiben. Zumindest waren ihnen die sinnvollen Mutmaßungen schon gestern Mittag ausgegangen. „Ein batteriebetriebener Mixer?“ Dean zog seine Mundwinkel nach oben und stellte sich wahrscheinlich gerade bildlich vor, wie eine Schar von Dämonen fasziniert einem Mixer beim Rühren eines Bananenshakes zusah. Sam richtete in der Zwischenzeit seine Aufmerksamkeit erneut auf Castiel. Zu Anfang hatte er ihre immer wirrer werdenden Vorschläge noch allesamt kommentiert, aber irgendwann war er es wohl müde geworden. Somit blieb er weiterhin ruhig und beachtete sie in keinster Weise. „Ich denke nicht, dass wir einfach durch blindes Raten auf die Lösung kommen“, entgegnete Sam seufzend. „Die Antwort findet man wahrscheinlich eher in einem dicken alten Wälzer. Sofern das Ganze natürlich überhaupt schriftlich festgehalten worden ist, versteht sich.“ Sam zumindest war wenig optimistisch, dass sie die Antwort schnell finden würden. Im Internet hatte er zwar gründlich über Davenport recherchiert und er wusste inzwischen wahrscheinlich mehr über diese Stadt als über jeden anderen Ort, den er jemals besucht hatte, aber das hatte ihn dennoch nicht besonders weit gebracht. Nirgends hatte er auch nur ansatzweise Hinweise auf etwas gefunden, das das Interesse eines Dämons wecken könnte. Sie stocherten bloß im Dunkeln. In seiner Verzweiflung hatte Sam sich schließlich an Bobby gewandt und ihn gebeten, ein wenig Augen und Ohren offenzuhalten und seine beeindrucke Sammlung von uralten Büchern zu durchforsten, in der Hoffnung, unter Umständen vielleicht doch über die Lösung zu stolpern. Aber bisher war dies ebenfalls nichts weiter als eine Sackgasse gewesen. Bobby hatte zwar versprochen, nicht aufzugeben und emsig weiterzusuchen, doch Sam hatte an seinem Tonfall eindeutig erkannt, dass er sich nicht allzu viel davon versprach. „Ich glaube, in diesem Jahrhundert kommt kein Dämon hier mehr vorbei“, meldete sich Dean nach zehnminütiger Stille wieder. Er klang resigniert und schien ernsthaft zu erwägen, aus lauter Frust seinen Kopf gegen das Lenkrad zu donnern. „Vielleicht haben sie gesehen, dass wir hier Wache schieben und es sich anders überlegt.“ Sam runzelte die Stirn. „Du denkst also, dass allein unsere Anwesenheit Dämonen abschrecken könnte?“ Dean zuckte kurz mit den Schultern. „Immerhin haben wir inzwischen einen gewissen Ruf. Vielleicht –“ Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden, denn plötzlich richtete sich Castiel ruckartig auf und sagte alarmiert: „Dort!“ Sam folgte augenblicklich seinem Fingerzeig und blickte auf einen Mann im dunklen Anzug, der gerade aus seinem Wagen stieg. Er hatte das Auto zuvor merkwürdig schief auf dem Garagenparkplatz neben einem Einfamilienhaus im Kolonialstil abgestellt, als wäre es ihm vollkommen gleichgültig, dass die Reifen den perfekt geschnittenen Rasen ruinierten. Zudem ließ er völlig achtlos die Wagentür offen stehen. „Das ist unser Mann?“, hakte Dean nach. Er hatte bereits seine Waffe gezückt, während sich auf seinen Lippen ein breites Lächeln formte. Er war mehr als bereit, sich in den Kampf zu stürzen und die Langeweile der vergangenen Tage zu vergessen. „Ein Dämon“, bestätigte Castiel nickend. Sam holte einmal tief Luft und kramte Rubys Messer aus dem Handschuhfach hervor. „Okay, nicht vergessen, Dean: Wir brauchen ihn lebend!“ Sein Bruder verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. „Das hast du mir schon tausendmal gesagt! Hältst du mich etwa für so vergesslich?“ „Bloß für übereifrig“, entgegnete Sam, während er leicht beunruhigt das Glitzern in Deans Augen bemerkte. „Aber ohne den Dämon bekommen wir keine Informationen und können nichts weiter tun, als uns beim nächsten möglichen Angriffsziel wieder auf die Lauer zu legen und nochmal mehrere Tage zu warten. Oder sogar Wochen.“ Eine Option, die Dean ihn keinster Weise zusagte. Mochte er auch in diesem Moment noch so versessen darauf sein, einen Dämon dafür büßen zu lassen, was in dieser Stadt geschehen war, wollte er dennoch nicht das Risiko eingehen, sich erneut während einer Observierung zu Tode zu langweilen. Stattdessen nickte er grimmig. „Dann mal los, Sammy!“ Kapitel 3: III -------------- Es war ein ungemein befreiendes Gefühl, endlich aus dem Wagen zu steigen und seine Glieder zu strecken. Dean liebte seinen Impala zwar über alles, aber irgendwann hatte selbst er eine Schmerzensgrenze erreicht, an der er sich Abstand vom beengenden Inneren wünschte. Und an diese Grenze war er bereits gestern Abend gestoßen. Somit seufzte er erleichtert, als er endlich nach der langen Phase der Observierung wieder in der Senkrechten stand und sich darüber hinaus bewusst war, dass er diesen Umstand nicht notgedrungen bald wieder ändern musste. Nun hieß es, im Gegenteil, sich zu bewegen! Er sah aufmerksam die Straße auf und ab. Es war inzwischen früher Abend und die meisten saßen wahrscheinlich beim Essen oder vor irgendeinem Footballspiel, aber dennoch bestand immer noch die Gefahr, dass sich irgendwer draußen herumtrieb und damit möglicherweise sich selbst und die Aktion gefährdete. Zu seiner Zufriedenheit vermochte Dean jedoch keine Menschenseele zu entdecken. „Also, wie sollen wir's machen?“, erkundigte er sich bei Sam, der soeben die Beifahrertür zugestoßen hatte. „Auf die harte Tour oder auf die richtig harte Tour?“ Dean grinste breit und wünschte sich irgendeinen passenden Kommentar, um die Jagd gebührend einzuleiten, doch Sam starrte bloß auf das Messer in seiner Hand und schien über etwas Essentielles nachzugrübeln, weswegen er seinem Bruder keinerlei Beachtung zollte. Dean zog daraufhin pikiert seine Mundwinkel nach unten und war kurz drauf und dran, Sam einen brüderlichen Klaps auf den Hinterkopf zu geben und ihn damit auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens aufmerksam zu machen. Doch er widerstand dem Drang. Stattdessen wandte er sich dem anderen Mitglied seiner kleinen Truppe zu und fragte: „Na, was denkst du, Cas? Die harte Tour oder –“ Er verstummte abrupt, als er erstaunt feststellte, dass der Engel von der Rückbank des Impalas verschwunden war. Überrascht ließ Dean suchend seinen Blick schweifen, vermochte Castiel aber nirgends zu entdecken. „Cas?“ Und im nächsten Moment drangen aus dem Inneren des Hauses, in das der Dämon keine zwei Sekunden zuvor gegangen war, laute Geräusche. Nun ließ sich auch Sam dazu herab, seinen Blick zu heben. „Ich würde mal sagen, Cas steht auf die richtig harte Tour“, kommentierte er knapp das Geschehen. Dean musterte ihn einen Augenblick – leicht beleidigt, dass Sam ihn offenbar bestens verstanden, es aber nicht für nötig befunden hatte, in irgendeiner Weise zu reagieren –, ehe er schließlich bestätigend nickte und sich bereits in Bewegung setzte, bevor er es überhaupt selbst merkte. Seine Instinkte nahmen die Überhand und wollten nun nichts lieber, als einen Dämon in Stücke zu zerreißen. „Vergiss nicht: lebend!“, brüllte Sam ihm noch hinterher, bevor er auch losstürmte. Dean schnaubte verächtlich, während er sich selbst zur Raison rufen und daran erinnern musste, dem Dämon nur in den Arsch zu treten. Alles andere hätte bloß unschöne Konsequenzen nach sich gezogen. Erpicht, trotz dieser Einschränkung dennoch seinen Spaß zu haben, rannte er gerade über den frisch gestutzten Rasen des Vorgartens, als die Haustür aufgerissen wurde und ein sichtlich überrumpelter Dämon nach draußen strauchelte. Seine Kleidung wirkte derangiert, als hätte Castiel ihm unsanft am Kragen gepackt und gegen die nächste Wand gepinnt. Sein Gesicht war blass und seine Augen schreckgeweitet, was stark darauf hindeutete, dass er bisher noch nie in seinem Leben einem Engel begegnet war. Dean riss bei seinem Anblick sofort seine Waffe hoch und gab einen Schuss ab, ohne groß darüber nachzudenken. Die Kugel bohrte sich in den Oberschenkel des Wesens und ließ es laut aufbrüllen. Wahrscheinlich zwar eher vor Überraschung als vor Schmerz, dennoch erfüllte es Dean mit einem Gefühl der Befriedigung. Der Dämon taumelte noch mehr, ruderte wie wild mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Es war mehr als offensichtlich, dass er nicht damit gerechnet hatte, im Haus angegriffen und dann draußen auch noch von einem Empfangskomitee begrüßt zu werden. Schnell aber fasste er sich wieder. Seine schwarzen Augen musterten Dean einen Moment hasserfüllt, bevor er schließlich seinen Arm hochriss und offensichtlich seine Kräfte gegen die beiden Brüder einsetzen wollte. Doch auch dieses Mal reagierte der Winchester sofort und gab einen weiteren Schuss ab, der den Dämon direkt in der Handinnenfläche traf. Blut floss in Strömen hervor. Das Wesen fluchte lautstark und drückte die verwundete Hand nahe an seinen Körper. „Gib lieber gleich auf“, meinte Dean grinsend. „Wir sind dir zahlenmäßig weit überlegen.“ Der Dämon schnaufte wie ein wilder Stier kurz vor dem Zweikampf. „Ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr euch da anlegt.“ Und mit diesen Worten brach er nach links aus und stürzte davon. Hals über Kopf, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Dean war im ersten Moment vollkommen überrascht, jedoch gleichzeitig nicht gewillt, den Dämon einfach davonkommen zu lassen. Fluchend rannte er ihm hinterher und gab im Laufen einige Schüsse ab, die aber ihr Ziel verfehlten und letztlich nutzlos blieben. Dean stieß daraufhin eine Verwünschung aus und legte noch an Tempo zu. Er merkte schnell, dass die zwei Tage im Auto seinen Muskeln nicht gerade gutgetan hatten, doch er zwang sich, diesen Umstand zu ignorieren. Sein Vater hatte ihm früh beigebracht, den Schmerz beiseite zu schieben, wenn es dringend erforderlich war, und auf diese Weise hatte es Dean auch schon immer gehandhabt. Er rief sich die Stimme seines Vaters in Gedächtnis, die ihn ermahnte, dass die Schmerzen bei weitem nicht so schlimm sein würden wie die möglichen Konsequenzen. Und so rannte Dean. Über Stock und Stein, durch perfekte Vorgärten, über parkende Autos und Gartenzäune. Der Dämon bewegte sich flink und agil wie eine junge Katze, sodass er mehrmals aus dem Sichtfeld des Winchesters verschwand und erst Sekunden später wieder auftauchte. Und Dean fürchtete den Moment, in dem er sich völlig in Luft auflöste. Er hatte keine Lust, wieder tagelang im Impala festzustecken und dem langweiligen Leben von langweiligen Leuten zuzuschauen! Er wollte nicht die ganze Zeit auf Häuser und Vorgärten starren, sodass irgendwann die Fantasie mit ihm durchging und er Feen über den Blumen tanzen und blaue Mäuse durch die Gräser huschen sah. Nicht schon wieder! Und ganz besonders hatte er keinen Bock, erneut mit Sam und Castiel in einem Auto eingesperrt zu sein! So glücklich er auch war, diese beiden an seiner Seite zu wissen, waren sie doch nicht unbedingt dafür geeignet, die Zeit sinnvoll totzuschlagen. Sam hatte bloß recherchiert und nachdenklich-tiefsinnigen Kram von sich gegeben, während Castiels Kommentare ebenfalls nicht gerade Quell des Vergnügens gewesen waren. Keiner von ihnen hatte zumindest Deans Versuche, das Gespräch auf interessante Themen wie Rockmusik oder Pornos zu lenken, gebührend anerkannt. Stattdessen hatte Sam bloß die Augen verdreht und Castiel angefangen, die Sünden der Menschheit zu verurteilen. Nein, Dean hatte gewiss keine Lust, noch einmal solch eine Observierung über sich ergehen zu lassen! Somit legte er sich mächtig ins Zeug, um den Dämon nicht entkommen zu lassen. Er sprintete, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gesprintet war, sprang, kletterte und wich allen Hindernissen, die vor ihm auftauchten, gekonnt aus. Ob es der Gartenzaun war, der sich an seiner Hose festkrallte und ihn zu Fall bringen wollte, oder die zwei zornigen Rottweiler, in deren Revier sie unerlaubt eindrangen. Alles ließ Dean schnell an sich vorbeiziehen, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden. Kein Hindernis konnte ihn aufhalten. Abgesehen von einem! Dean spürte nur, dass er mit irgendetwas äußerst unsanft kollidierte, ehe er das Gleichgewicht verlor und wenig sanft in einem Blumenbeet landete. Er schmeckte frisch gewässerte Erde in seinem Mund, während sein Blick für einen Sekundenbruchteil leicht verschwamm. Sofort schloss er daraufhin die Augen und atmete einmal tief durch. „Dean!“, vernahm er Sams Stimme. Gleich darauf fühlte er zwei Hände, die ihn unter den Armen packten und wieder auf die Füße hievten. „Sammy, der Dämon ...“, murmelte der Ältere jedoch und gab seinem Bruder mit einer fahrigen Handbewegung zu verstehen, dass er die Verfolgung wieder aufnehmen sollte. Sam hingegen rührte sich nicht von der Stelle, sondern hatte stattdessen eine harte Miene aufgesetzt. Dean blinzelte derweil, hob seinen Blick und erkannte sofort, womit er zusammengestoßen war. Oder besser gesagt: Mit wem. Es handelte sich um einen schlanken Mann, etwa im selben Alter wie er selbst, mit den schwärzesten Haaren, die Dean je bei einem Menschen gesehen hatte. Er trug eine dunkelblaue Krawatte und ein schneeweißes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Und auf seinem Hals prangte die Tätowierung eines großen Hs. „Verdammt!“, fluchte der Mann daraufhin. Die Kollision mit Dean schien ihm augenscheinlich nicht das Geringste ausgemacht zu haben, auch wenn er kurz über seinen rechten Arm strich. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, aber besonders erfreut schien er nicht zu sein. Er sah in die Richtung, in die der Dämon geflüchtet war, und murmelte leise eine Verwünschung vor sich hin. Das lange Messer in seiner Hand machte derweil deutlich, dass er ganz sicher nicht zufällig an diesem Ort war. Erst einen Wimpernschlag später wandte er sich den Winchesters zu. Seine Miene blieb unbewegt, als er sie ruhig musterte, ehe er schließlich einen Schritt zurück trat, beinahe so, als wäre ihm die Nähe der Brüder mehr als unangenehm. „Ihr seid keine Dämonen“, stellte er sachlich fest. „Nein, du Genie!“, zischte Dean verärgert. Nun, nachdem sich seine Gedanken allmählich wieder geordnet hatten, schaffte er es, die ganze Tragweite der Geschehnisse zu erfassen. Er sah in die Richtung, in die der Dämon gestürmt war, und musste überaus frustriert feststellen, dass er wie vom Erdboden verschluckt war. Ein kurzer Moment der Ablenkung hatte gereicht, um ihm den nötigen Vorsprung zu geben. „Nein, nein, nein!“ Dean stampfte mit dem Fuß auf und dachte ehrlich darüber nach, aus lauter Verzweiflung in Tränen auszubrechen. Womit hatte er das nur verdient? Doch anstatt sich seinem tiefen Elend hinzugeben, wollte er sich wieder in Bewegung setzen. Einfach draufloslaufen und hoffen, dass er die richtige Abzweigung erwischte. Denn alles war besser, als wieder tagelang im Auto eingesperrt zu sein! Sam jedoch packte ihn an der Schulter und schüttelte mahnend den Kopf. „Den kriegst du nicht mehr“, prophezeite er. Dean konnte unglücklicherweise nicht widersprechen. Nun dem Objekt beraubt, an dem er eigentlich seine Aggressionen hatte auslassen wollen, drehte er sich dem Jäger zu und stellte dabei fest, dass dieser weiter vor ihnen zurückgewichen war. Sein Blick ruhte dabei auf Sam – oder vielmehr auf Rubys Dolch, den dieser in den Händen hielt. Dean nahm sich keine Zeit, sich über dieses seltsame Verhalten zu wundern. Stattdessen knirschte er verärgert mit den Zähnen und entgegnete aufgebracht: „Na toll, deinetwegen ist uns der Hurensohn entkommen! Hast du wenigstens eine Entschuldigung dafür?“ Die Miene des Mannes verfinsterte sich kurz. Offenbar war er von Deans vorwurfsvollem Tonfall gar nicht angetan. „Ihr seid mir in die Quere gekommen!“, ereiferte er sich. „Ihr solltet die Jagd lieber Experten überlassen.“ Dean schnappte empört nach Luft und war drauf und dran, sich auf diesen arroganten Schnösel zu stürzen und alles, was er je über menschliche Nächstenliebe gelernt hatte, zu vergessen. Wie konnte dieser Mistkerl es wagen, ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben? Es war aber erneut Sam, der ihn zurückhielt. Eindringlich betrachtete er den Mann und meinte: „Anstatt uns hier gegenseitig zu beleidigen, sollten wir lieber überlegen, wie wir uns einander vom Nutzen sein können.“ Dean hatte, wenn er ehrlich zu sich war, nur wenig Lust, mit diesem Kerl zusammenzuarbeiten, und der fremde Jäger schien dies genauso zu sehen. Er verzog sein Gesicht, als wäre Sams Vorschlag eine abgrundtiefe Beleidigung. Doch bevor er seiner Antipathie Ausdruck verleihen konnte, zuckte er zusammen, als das bekannte Geräusch von Engelsflügeln ertönte. Augenblicklich machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte davon, als Castiel plötzlich neben ihnen auftauchte. Kein Wort des Abschieds, keine weiteren Erklärungen. Nicht mal seinen Namen hatte er preisgegeben. Stattdessen verschwand er so schnell und abrupt, wie er in ihr Leben getreten war. Dean blinzelte derweil verdutzt. Mit solch einer Reaktion hatte er eigentlich nicht gerechnet. „Ähm … was war das?“, fragte er verwundert, in der Hoffnung, dass einer der anderen eine Antwort wusste. Castiel jedoch hatte augenscheinlich keinen blassen Schimmer, was vor sich ging, und Sam sah nicht weniger irritiert aus als er selbst. „Ich würde sagen …“, versuchte sich der Jüngere schließlich doch an einer Erklärung, „… er hat keine guten Erfahrungen mit Engeln gemacht.“ Dean schnaubte abfällig. „Wir eigentlich auch nicht und trotzdem rennen wir nicht gleich wie Babys davon.“ „Zumal es sinnlos ist, vor Engel zu fliehen“, warf Castiel ein. Er wollte noch weiter fortfahren, doch Dean hob warnend seine Hand und entgegnete: „Vergiss den Idioten! Schnapp dir lieber den Dämon!“ Gespannt wartete er darauf, dass sich Castiel wie sonst in bester Engelsmanier in Luft auflöste, doch stattdessen stand er einfach still an Ort und Stelle und erwiderte Deans Blick mit einer unergründlichen Miene. „Was ist denn?“, hakte der Winchester ungeduldig nach. „Kannst du ihn denn nicht spüren, wenn er hier in der Nähe ist? Oder … flieg einfach in die Lüfte und halt von oben nach ihm Ausschau. Nur bitte, tu irgendwas!“ Aber Castiel rührte sich keinen Millimeter. „Er ist fort, Dean.“ Nicht die Worte, die er hatte hören wollen. „Aber …“, begann er, brach aber ab, als er Castiels Miene bemerkte. Der Engel war in seiner Meinung unerschütterlich, ganz gleich, was Dean auch sagen würde. „Er ist fort“, wiederholte Castiel erneut. „Ganz unvermittelt, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“ Er hielt kurz inne. „Es ist seltsam.“ Dean war das inzwischen jedoch völlig einerlei. Der Dämon war weg! Und sie waren folglich gezwungen, sich einen neuen zu suchen. Sich wieder auf die Lauer zu legen, zu warten und zu warten. Und zu warten. „Verdammt, verdammt, verdammt!“, fluchte Dean. „Wenn Mister H nicht aufgetaucht wäre, hätten wir den Dämon noch erwischt! Alles wär in Ordnung, wir könnten ihn schön ausquetschen und danach zur Hölle schicken.“ Er umklammerte seine Waffe fester. „Und jetzt? Jetzt dürfen wir uns einen neuen Dämon anlachen.“ Castiel jedoch straffte kurz seine Schultern und entgegnete: „Das wird nicht nötig sein.“ Dean hob eine Augenbraue. „Und wieso nicht? Unser netter Dämon ist über alle Berge, das hast du doch gerade selbst noch gesagt.“ Er holte tief Luft, ehe er dem Engel aufgebracht vorhielt: „Und wenn wir schon mal dabei sind: Wo warst du eigentlich? Wir hätten deine Hilfe echt gut gebrauchen können.“ Castiel ließ sich von Deans erhobener Stimme in keiner Weise aus der Ruhe bringen. Stattdessen blickte er in die Richtung, in die der Dämon verschwunden war und blieb eine Weile vollkommen still, sodass Dean kurz davor stand, auszurasten. „Ich habe inzwischen den anderen gefangengenommen“, erklärte der Engel schließlich. Dean blinzelte daraufhin verdutzt und warf einen fragenden Blick zu Sam, der jedoch auch nichts weiter tun konnte, als ahnungslos mit den Schultern zu zucken. „Den … anderen?“, hakte Dean hierauf verwirrt nach. „Ein zweiter Dämon hat aus der Nähe alles beobachtet“, berichtete Castiel. „Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn bemerken würde. Ich konnte ihn ohne Probleme überwältigen.“ Dean klappte für einen Sekundenbruchteil überrascht die Kinnlade nach unten, bevor er sich selbst wieder zur Raison rief und einen einigermaßen abgebrühten Gesichtsausdruck auflegte. „Nun … gute Arbeit“, meinte er knapp nickend. In Wahrheit wäre er Castiel hingegen am liebsten vor Freude um den Hals gefallen. Der Engel hatte ihn vor einer überaus lästigen Observierung gerettet! Dean hatte das Gefühl, noch nie in seinem Leben dermaßen erleichtert gewesen zu sein. Auch Sam sah über alle Maßen dankbar aus und schien zumindest einen kurzen Moment ernsthaft zu erwägen, Castiel in eine innige Umarmung zu ziehen. Der Engel hatte sich derweil umgedreht und führte die Brüder zu dem besagten Dämon. Nicht weit vom Tatort entfernt hatte er sich auf die Lauer gelegt und alles im Auge behalten, dabei offenbar aber gleichzeitig nicht damit rechnend, dass ihn ein Engel überrumpeln könnte. Dean starrte auf den bewusstlosen Dämon zu ihren Füßen, der sich als Hülle einen jungen, afroamerikanischen Mann mit einer großen Narbe auf der rechten Wange ausgesucht hatte. Der Winchester erinnerte sich deutlich, ihn auf einem der Vermisstenplakate gesehen zu haben. „Dann lasst ihn uns hier wegbringen und ausquetschen“, meinte Sam, während er Rubys Messer in seine Jackentasche steckte. „Bevor wir noch ungewollte Aufmerksamkeit erregen.“ Dem konnte Dean nicht widersprechen. Er verspürte nicht gerade Lust, irgendwelche dummen Fragen zu beantworten. Bevor Sam jedoch in die Hocke ging, hielt er inne und fragte, die Stirn gerunzelt: „Was machen wir jetzt eigentlich mit diesem anderen Jäger? Sollten wir …?“ Er verstummte, sich selbst wohl nicht ganz klar, was er sagen wollte. Dean schnaubte derweil abfällig. „Was soll mit ihm sein? Sollen wir ihm hinterherrennen, sein Händchen nehmen und ihm versichern, dass es in Ordnung ist? Dass er keine Angst vor einem Engel zu haben braucht?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht machen wir ihm auch noch eine warme Milch und erzählen ihm eine Gutenachtgeschichte, wenn wir schon dabei sind. Wie wär’s?“ Sam ließ sich von Deans provozierenden Worten nicht beeindrucken. Stattdessen seufzte er schwer und erwiderte: „Er hat sich zurückgezogen …“ „Ja, vor Cas!“, erinnerte ihn Dean, nun eindeutig ungeduldig. Sam schüttelte den Kopf. „Nein, auch schon vor uns“, entgegnete er. „Hast du nicht gemerkt, wie er vor uns zurückgewichen ist? Er wusste, dass wir keine Dämonen sind, und wahrscheinlich war ihm auch klar, dass wir Jäger sind. Und trotzdem …“ Dean war nur deutlich bewusst, worauf sein Bruder hinauswollte. Er vermutete, dass dieser Mann genau gewusst hatte, wem er da begegnet war. Es war zumindest offensichtlich gewesen, dass der Jäger geglaubt hatte, in den Winchesters keine Verbündeten zu sehen. Stattdessen hatte er aus Sicherheitsgründen den strategischen Rückzug gewählt. Zwar vorsichtig und nicht allzu auffällig, aber dennoch war auch Dean nicht entgangen, wie er Schritt für Schritt vor ihnen zurückgetreten war. Womöglich waren ihm die Gerüchte, die sich um die Brüder und Lucifer drehten, ebenfalls zu Ohren gekommen. „Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Mann geflohen ist“, mischte sich plötzlich Castiel in das Gespräch ein. Er musterte Dean einen Augenblick eindringlich, als erwartete er, dass der Winchester die Antwort bereits tief in seinem Inneren kannte. Dean jedoch war vollkommen irritiert. „Ach echt?“ „Dieser Mann war kein Jäger“, stellte Castiel es klar. „Zumindest nicht so wie ihr.“ Dean beäugte den Engel argwöhnisch. „Wovon redest du?“ Castiel blickte zurück zu dem Einfamilienhaus und verfiel wieder ins Schweigen, ehe er schließlich offenbarte: „Er war ein Vampir.“ * * * * * „Vampire!? Wie, zur Hölle, passen Vampire in das Ganze?“ Unruhig wie ein Tiger im Käfig lief Dean im Zimmer auf und ab, die ganze Zeit unentwegt vor sich her murmelnd. Sam beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während er die letzten Vorbereitungen traf, um den Dämon zu binden. Kaum waren sie im Motel angekommen gewesen, hatten sie gleich eine Teufelsfalle auf dem Boden gemalt und einen Stuhl samt angeketteten Dämon ins Innere gesetzt. Er hatte keine Chance mehr, zu entkommen. Bloß eine Überschwemmung hätte die Zeichnung auf dem Boden fortwischen und ihn befreien können. Der Dämon selbst war immer noch bewusstlos. Nicht mal mit seinem kleinen Finger hatte er bisher gezuckt oder gar mal kurz mit den Augenlidern geflattert. Nein, Castiel hatte ganze Arbeit geleistet. Der Dämon würde erst dann aufwachen, wenn der Engel es erlaubte. „Dean, beruhig dich doch mal“, meinte Sam. Er hatte soeben die Fesseln fest justiert und war sogleich aus dem Kreis getreten. Skeptisch musterte er sein eigenes Werk nochmal von allen Seiten, ehe er absolut sicher sein konnte, dass der Dämon bewegungsunfähig war. „Ich soll mich beruhigen?“, ereiferte sich Dean, sichtlich erzürnt und kurz davor, seine Faust gegen die Wand zu donnern. Die kontinuierlichen Schlafstörungen ließen ihn von Tag zu Tag reizbarer und aggressiver werden, sodass es Sam sogar schon ernsthaft in Betracht gezogen hatte, seinem Bruder einen warmen Kamillentee zuzubereiten und ihm ein Schlaflied vorzusingen, damit er endlich ins Land der Träume versank. Es wäre zumindest sicherlich für alle Beteiligten wesentlich angenehmer gewesen, wenn Dean wieder etwas ausgeglichener würde und nicht gleich bei jeder Bagatelle in die Luft ging. „Hier sind auch noch Vampire, Sammy!“, erinnerte Dean seinen Bruder, als hätte jener diese Neuigkeit inzwischen tatsächlich wieder vergessen. „Dämonen reichen ja nicht. Nein, nein! Da muss ja gleich noch ein Sahnehäubchen oben drauf, sonst wäre das Ganze immerhin nicht gefährlich genug!“ Sam seufzte schwer. Er vermochte Deans Aufregung durchaus nachzuempfinden, aber andererseits brachte es ihnen nicht viel, herumzubrüllen und sich über Dinge zu beschweren, die man eh nicht mehr ändern konnte. „Die weitaus wichtigere Frage ist: Was machen sie hier?“, meinte der Jüngere. Er legte Dean seine Hand auf den Arm und gab ihm mit einem Blick zu verstehen, sich wieder zu beruhigen. Und tatsächlich zwang sich Dean daraufhin, tief durchzuatmen und sich um Fassung zu bemühen. Seine Augen funkelten zwar weiterhin drohend, wie bei einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand, doch seinem Bruder zuliebe schien er wenigstens zu versuchen, Haltung zu bewahren. „Sie sind bestimmt nicht zufällig hier“, meldete sich Castiel unvermittelt. Dieser stand ganz in der Nähe des immer noch reglosen Dämons und hatte Deans Wutausbruch mit unverkennbarem Interesse verfolgt, als würde er es unglaublich faszinierend finden, die überschäumenden Emotionen eines Menschen mit Schlafmangel zu studieren. „Er hat Recht“, bestätigte Sam die Vermutung des Engels. „Die Dämonen und nun auch noch die Vampire – da muss ein Zusammenhang bestehen.“ „Und welcher?“, hakte Dean nach. Er hatte sich inzwischen auf einem Stuhl niedergelassen und damit begonnen, seine Schläfen zu massieren, um die aufsteigenden Kopfschmerzen zu unterdrücken. „Ich schätze, man kann davon ausgehen, dass sie nicht zusammenarbeiten“, sagte Sam schulterzuckend. „Aber vielleicht suchen sie dasselbe.“ Dean schaute bei diesen Worten auf. „Du meinst …?“ „Es wäre immerhin möglich“, entgegnete Sam. „Zumindest wissen wir durch Tim, dass sie den Dämon in seinem Vater getötet haben. Oder wenigstens verjagt. Und nun taucht dieser Vampir auch noch beim nächsten Tatort auf.“ Er seufzte. „Vielleicht verfolgen sie die Dämonen, um an das zu kommen, was sie so emsig suchen.“ Zumindest lag es im Bereich des Vorstellbaren. Möglicherweise hatten die Vampire ebenso wie Castiel von den Gerüchten gehört und waren nun erpicht, das ominöse Objekt der Begierde in ihre Finger zu bekommen. „Dann sollten sie sich aber lieber im Hintergrund halten und erst dann zuschlagen, wenn die Dämonen es auch wirklich gefunden haben“, gab Dean zu bedenken. „So machen sie sich doch nur frühzeitig auf sich aufmerksam und das wäre eine ziemlich dumme Taktik.“ Sam schnaubte. „Vielleicht sind sie ja auch nicht besonders intelligent.“ Dean wiegte nachdenklich seinen Kopf hin und her. „Möglich wär’s. Aber ebenso gut könnte es sein, dass es ihnen gar nicht um Gegenstand X geht.“ Sam runzelte die Stirn. „Sondern?“ „Um die Dämonen“, beantwortete Castiel die Frage. Intensiv musterte er das von ihm gefangene Exemplar im Kreis, als würde er dadurch alles erfahren, was wichtig war. Auch Sam starrte den Dämon grübelnd an. „Denkst du wirklich, dass es darum geht? Um irgendwelche … Meinungsverschiedenheiten?“ Castiel nickte kaum merkbar. „Konflikte zwischen übernatürlichen Wesen sind keine Seltenheit“, erklärte er. „Meist vergehen sie so rasch, wie sie gekommen sind, aber ab und zu handelt es sich auch um ernstere Angelegenheiten. Einst vor langer Zeit kam es zwischen Vampiren und Dämonen zu einer beinahe kriegerischen Auseinandersetzung, in deren Folge sogar mehrere Dörfer völlig ausgelöscht wurden.“ Sam hob erstaunt seine Augenbrauen. Von dieser Geschichte hatte er noch nie etwas gehört. Auch Dean wirkte überrascht, als er nachfragte: „Wirklich?“ Er wechselte einen Blick mit seinem Bruder, um sicherzugehen, dass dieser ebenso verwundert war wie er selbst. „Warum wissen wir davon nichts?“ „Zu dieser Zeit grassierte die Pest in Europa“, meinte Castiel. Nun begriff Sam. „Damals sind unzählige Menschen gestorben. Ein paar mehr oder weniger sind da nicht aufgefallen.“ Er fuhr sich seufzend durchs Haar und stellte dabei frustriert fest, dass er nach der zweitägigen Observierung dringend eine Dusche benötigte. „Also, worum geht es hier? Um irgendwelche Differenzen?“ „Vielleicht“, mutmaßte Dean. „Wir wissen ja, dass Vampire, obwohl die meisten von ihnen seelenlose Bastarde sind, dennoch ein enges Band vereint. Wie war das damals, als wir mit Dad zusammen diese Vampir-Braut entführt haben? Ihre Familie – oder wie auch immer man das nennen soll – ist ja nicht sehr erfreut gewesen.“ Er legte seinen Kopf zur Seite. „Möglicherweise sind die Dämonen zu weit gegangen. Haben Vampire getötet und damit die Überlebenden stinksauer gemacht.“ Sam musste zugeben, dass dieser Gedankengang durchaus was für sich hatte. Auch Castiel machte den Eindruck, als würde er dieser Überlegung zustimmen. „Rache kann ein starkes Motiv sein“, sagte er bestätigend. Dean lächelte leicht, unter Umständen sogar irgendwie stolz, dass er trotz seines angeschlagenen Zustands noch zu klugen Einfällen fähig war. Sam war derweil ein Gedanke gekommen. „Aber wieso haben sie Tim gerettet?“ Deans Lächeln verblasste augenblicklich. „Ähm, also …“, entgegnete er geistreich, ehe er letztlich seine Schultern anhob und zugab: „Keinen blassen Dunst, Mann.“ Auch Sam vermochte es nicht so recht zu erklären. Wenn diese Vampire wirklich auf Rache aus waren, wieso verschwendeten sie dann ihre Zeit damit, einen kleinen Jungen zu retten? Das lag nicht unbedingt in der Natur von Vampiren. „Vielleicht“, erhob Dean nach einer Weile des Schweigens wieder seine Stimme, „sollten wir einfach unseren kleinen Freund hier befragen.“ Und damit deutete er auf den Dämon. Der Dämon, der hoffentlich Licht ins Dunkle zu bringen vermochte. Kapitel 4: IV ------------- „Also, mein Freund, willst du reden oder nicht?“ Dean musterte den Dämon herausfordernd, auf seinen Lippen ein überlegendes Lächeln und in seiner Hand eine Flasche mit Weihwasser, die er drohend vor dem Gefesselten hin und her schwenkte. Die Miene des Dämons blieb jedoch völlig reglos. Weder Angst noch Hass war in seinen Zügen zu erkennen. Er wirkte sogar fast gelangweilt, als würden ihn Deans Provokationen nicht im Mindesten beeindrucken. Selbst als Castiel ihn vor ein paar Minuten aus seiner Bewusstlosigkeit geholt hatte, war er bei weitem nicht so desorientiert gewesen, wie man es hätte vermuten können. Er war zwar im ersten Moment ehrlich verwirrt gewesen, doch er hatte sich erstaunlich schnell wieder gefasst. Es schien sich bei ihm um jemanden zu handeln, der sich nicht so leicht erschüttern ließ. Und diesem Umstand vermochte Dean nicht allzu viel abzugewinnen. Normalerweise wusste er zähe Gegner durchaus zu schätzen, aber in der derzeitigen Lage kam es ziemlich ungelegen. Es würde schwierig werden, ihm Antworten zu entlocken. Wahrscheinlich würden schwere Geschütze vonnöten sein, um ihn zum reden zu bewegen. Harte Überredungskünste. Dean lief unweigerlich ein kalter Schauer über den Rücken, als er daran dachte. Schon bei der Vorstellung, diesen Dämon ein bisschen zu quälen, um das zu kriegen, was er wollte, wurde er unruhig. Dunkle Erinnerungen kamen dabei zum Vorschein. Erinnerungen an Blut und Schreie. An entsetzliche Qualen. Sowohl seine eigenen als auch die, die er anderen zugefügt hatte. Er hatte es gehasst und gleichzeitig genossen. Hatte geschrien und gelacht. Und am allermeisten hatte er sich selbst verachtet. Dean dachte nicht gerne an diese Zeit zurück und wollte sie ganz sicher kein zweites Mal aufleben lassen. Aber immer, wenn er gezwungen war, Gewalt anzuwenden und zu foltern, hatte er Angst, dass er wieder in das alte Muster zurückrutschte. Dass er sich selbst vergessen würde. Und ganz besonders fürchtete er sich davor, dass Sam ihn so sehen würde. Er hatte seinem Bruder zwar gebeichtet, was in der Hölle mit ihm geschehen war, doch es war trotz alledem immer noch etwas anderes, es selbst mitzuerleben. Sam wäre sicher über alle Maßen verstört gewesen, wenn er das, was Dean alles getan hatte, mit eigenen Augen gesehen hätte. Somit war Dean mehr als erpicht, dass er es niemals zu Gesicht bekam. „Was sucht ihr hier?“, riss ihn Sams Stimme aus den düsteren Gedanken. Dieser hatte sich neben seinem Bruder aufgebaut, um noch größer zu wirken, als er eh schon war, und funkelte den Dämon an. Der Angesprochene rührte hingegen immer noch keinen Muskel. Es machte sogar fast den Anschein, als würde er glatt durch Sam hindurchsehen. „Jetzt rede schon!“, verlangte der Jüngere zähneknirschend. „Wir wissen bereits, dass ihr hier in Davenport irgendwas sucht. Leugnen ist also zwecklos.“ Der Dämon wirkte jedoch nicht, als wollte er auch nur das Geringste leugnen. Gleichzeitig erweckte er aber auch nicht den Eindruck, als würde er demnächst überhaupt irgendetwas sagen. „Na fein“, meinte daraufhin Sam, ehe er Dean einen erwartungsvollen Blick zuwarf. Dieser verstand die Geste sofort, atmete einmal tief durch und schüttete anschließend dem Dämon einen Schwall Weihwasser ins Gesicht. Es zischte und knisterte, als dessen Haut zu qualmen anfing. Scharf sog der Dämon die Luft ein und ächzte leise, ein Schmerzensschrei verließ jedoch nicht seine Lippen. Offenbar wollte er sich vor seinen Feinden nicht diese Blöße geben. Er war wohl wirklich ein Kämpfer. „Jetzt rede endlich!“, befahl Dean ungeduldig. „Was, zur Hölle, sucht ihr hier?“ Aber auch zwei weitere Weihwasserattacken brachten den Gefangenen nicht zum reden. Man merkte ihm zwar an, dass es ihm bei jedem Spritzer mehr Überwindung kostete, nicht laut zu brüllen, aber für ein ausführliches Gespräch mit den Winchesters war er immer noch nicht bereit. Seine Miene blieb weiterhin unerbittlich. „Du bist wohl ein ganz Harter, was?“, schnaubte Dean. „Aber glaub mir, lange wirst du das nicht mehr aushalten.“ Nun wandte der Dämon seinen Blick dem Älteren zu. Seine schwarzen Augen fixierten ihn, während sich seine Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzogen. „Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst“, flüsterte er unheilvoll und wiederholte damit die Worte des anderen Dämons, bevor dieser vor den Winchesters geflohen war. „Dann erleuchte uns“, verlangte Sam. Der Dämon bedachte ihn jedoch bloß mit einem herablassenden Blick, als wäre es unterhalb seiner Würde, der Forderung eines Menschen nachzukommen. Dean bemerkte aber, dass seine Augen für eine Millisekunde zu Castiel huschten. Der Engel stand ein wenig im Hintergrund und beobachtete die Szenerie intensiv, hatte sich jedoch bisher nicht eingemischt. Nun aber öffnete Castiel seinen Mund und sagte: „Er hat Angst.“ Die Züge des Dämons verhärteten sich daraufhin. Ihm missfiel es anscheinend sehr, dass ein Engel ihn derart zu analysieren vermochte. „Er ist nur ein kleiner Teil von etwas Großem“, fuhr Castiel derweil fort. „Und er fürchtet die Rache, sollte er Geheimnisse preisgeben.“ Der Dämon wirkte überaus verärgert, dass man ihn durchschaut hatte, schien aber gleichzeitig zu wissen, dass es sinnlos gewesen wäre, Protest einzulegen. Somit schwieg er weiterhin beharrlich und starrte die Anwesenden bloß feindselig an. Dean hatte in der Zwischenzeit ein schiefes Lächeln aufgelegt. „Sieh einer an! Unser tapferer Krieger hat tatsächlich Angst!“ Der Dämon knirschte hörbar mit den Zähnen, sagte aber immer noch nichts. „Sollen wir vielleicht deine Mami anrufen und ihr Bescheid geben, dass sie dich abholen muss?“, erkundigte sich Dean höhnisch. „Immerhin ist es draußen schon dunkel, da darfst du nicht mehr alleine rumlaufen.“ Der Dämon wurde mit jedem Wort zusehends wütender, ließ sich aber trotzdem nicht beirren. Selbst als Dean seine Sticheleien sehr viel kreativer verpackte und alle Geschütze auffuhr, um den Gegner aus der Reserve zu locken, schwieg der Gefangene weiterhin hartnäckig. Man merkte ihm zwar an, dass er Dean am liebsten in Stücke gerissen hätte, er verfügte aber gleichzeitig über eine erstaunliche Selbstbeherrschung, die ihn nicht ausrasten ließ. Stattdessen behielt er die heißersehnten Antworten für sich und tröstete sich wahrscheinlich mit dem Gedanken, dass er auf die Weise ebenso die Winchesters allmählich auf die Palme brachte. Dean wurde zumindest nach zwanzig weiteren Minuten zunehmend frustrierter. Drohungen und Gewaltanwendungen beeindruckten den Dämon nicht im Geringsten und auch Provokationen jeglicher Art fruchteten nicht. Im Grunde blieb dann nur noch eins zu tun. „Sam!“, wandte sich Dean auffordernd an seinen Bruder. Dieser nickte daraufhin grimmig, ehe er schließlich begann, die bekannte lateinische Formel zu rezitieren: „Exorcizamus te, omnis immundus spiritus, omnis satanica potestas …“ Der Körper des Dämons verkrampfte sich bei den Worten des Exorzismus, während er sich wand wie ein Fisch an der Angel und qualvoll stöhnte. Wie wild rüttelte er an seinen Fesseln, mobilisierte all seine Kräfte, um zu entkommen. Aber es war völlig zwecklos. „Redest du nun oder nicht?“, fragte Dean erneut mit Nachdruck nach. Der Dämon ächzte leidlich, ehe er schließlich aus zusammengebissenen Zähnen hervorpresste: „Vergiss … es!“ Dean unterdrückte den Drang, genervt seine Augen zu verdrehen. Dieser Typ war schwerer zu knacken als Granit! „Vor wem oder was hast du solche Angst?“, wollte Sam wissen. Man merkte ihm seine wachsende Unruhe deutlich an. „Etwa … Lucifer?“ Dean zog sich bei der Nennung dieses Namens der Magen zusammen. Sollte Lucifer tatsächlich in der Stadt sein, war es wahrscheinlich ratsamer, den Rückzug anzutreten, so ungern der Winchester es auch zugab. Sie waren nicht bereit, sich dem Teufel gegenüberzustellen. Vielleicht würden sie es sogar nie wirklich sein. Unauffällig warf er einen Blick zu Castiel. Dieser hatte Tage zuvor noch behauptet, Lucifer befände sich nicht in Davenport, aber selbst ein Engel war nicht allwissend. Immerhin war es möglich, dass er sich geirrt hatte. Dass er falsch gelegen hatte und sie dem Teufel direkt in die Arme gelaufen waren. Doch wie üblich ließ sich Castiel nicht aus der Fassung bringen. Er beobachtete den Dämon eindringlich und erwiderte nichts auf Sams Befürchtung. Bloß seine Augen blitzten einen kurzen Moment auf, was Dean nicht zu deuten vermochte. Der Dämon derweil atmete schwer und keuchend, den Blick unablässig auf Sam gerichtet, voll furchtsamer Erwartung, dass dieser mit dem Exorzismus fortfuhr. Doch der Winchester war vorerst verstummt und musterte den Gefangenen herausfordernd. Erst wenn sich der Dämon weiterhin als dermaßen wenig gesprächig erweisen würde, würde Sam mit dem Ritual fortfahren. „Nicht … Lucifer“, meinte schließlich der Gefesselte kopfschüttelnd. „Schlimmer.“ Dean hob ungläubig eine Augenbraue. Er hätte niemals gedacht, dass er solche Worte je hören würde. „Schlimmer? Was kann denn schlimmer sein als der Teufel höchstpersönlich?“ Der Dämon verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. „Lucifer hat wenigstens noch ein Gewissen.“ Dean wollte spöttisch auflachen, es blieb ihm aber im Halse steckte, als er realisierte, dass sein Gegenüber es tatsächlich todernst meinte. Der Dämon war felsenfest von seiner Behauptung überzeugt. Und aus seiner Perspektive war das Ganze sogar zumindest ansatzweise logisch. Für ihn war Lucifer der übergroße Vater, der Gott. Wer sonst konnte von Lucifer Erbarmen erwarten, wenn nicht seine eigene Schöpfung? So zumindest musste das Ganze aus der Sicht eines Dämons aussehen. Für Dean hingegen war das alles bloß ein dummer Scherz. Mochte dieser Dämon – und viele andere seiner Rasse sicherlich auch – dem trügerischen und durchaus gefährlichen Irrglauben verfallen sein, dass Lucifer sie liebte oder sie zumindest annähernd respektierte, der Winchester wusste es besser. Der Teufel scherte sich um die Dämonen kaum mehr als um die Menschen und nutzte sie lediglich für seine finsteren Zwecke. Und wie Crowley es bereits einige Wochen zuvor angedeutet hatte, würden sie die nächsten auf Lucifers Abschussliste sein. Aber all das war dem gefesselten Dämon absolut nicht klar und Dean bezweifelte, dass er ihn würde umstimmen können. Alle Argumente würden an ihm abprallen und seinen Glauben in keinster Weise erschüttern. Erst wenn Lucifer sich ihm entgegenstellte und ihn mit einem kurzen Wink der Hand vernichtete, würde ihm sein schrecklicher Irrtum bewusst werden. „Und wer ist dieser Mr. Schlimmer?“, hakte Sam nach. „Oder sind es gar mehrere?“ Der Dämon schnaubte verächtlich, ehe er wieder ins Schweigen verfiel und sie bloß finster anfunkelte. Auch mehrmaliges Nachfragen seitens Sams und der Gebrauch von Weihwasser brachten den Gefangenen nicht zum reden. Und Dean wurde es langsam wirklich zu viel. „Na fein, na fein“, meinte er schließlich und seufzte tief. Er war überaus genervt, dass sich der Dämon als dermaßen unkooperativ erwies. Natürlich war seine Beharrlichkeit auf gewisse Weise auch irgendwie beeindruckend, aber sie resultierte mehr aus Angst als aus wirklicher Stärke. Dean bezweifelte, dass er ebenfalls so eisern geschwiegen hätte, wenn keine ominöse Macht wie eine gefährliche Gewitterwolke über ihm schweben würde. „Vielleicht sollten wir mit was Leichterem anfangen“, erbot sich Dean. „Mit etwas Harmlosen, das deine Big Bosse, vor denen du offensichtlich so gewaltigen Schiss hast, sowieso für unwichtig halten.“ Er trat einen Schritt näher und musterte den Dämon intensiv. „Was ist mit den Vampiren?“ Der Gefangene blinzelte, sichtlich irritiert von dem Themenwechsel. „Vampire?“ „Ja du weißt schon“, sagte Dean ungeduldig. „Diese Typen mit dem H am Hals. Ihr habt doch sicher bemerkt, dass sie hinter euch her sind, oder etwa nicht?“ Der Dämon setzte einen Gesichtsausdruck auf, den der Winchester nicht zu definieren vermochte. „Was soll denn mit denen sein?“, erkundigte er sich in einem merkwürdigen Tonfall. Dean musste all seine Willensstärke aufbringen, um nicht in den Kreis zu springen und dem Dämon am Kragen zu packen. Dieser Kerl machte ihn langsam wahnsinnig! „Was mit denen ist?“, zischte er. „Das wollten wir dich gerade fragen! Wo kommen sie her? Und warum verfolgen sie euch?“ Der Dämon blieb still, aber diesmal, so erkannte Dean sofort, lag es nicht an seinem Starrsinn, bloß keine Fragen zu beantworten. Stattdessen grübelte er intensiv, während er die Jäger abwechselnd musterte und sich nicht ganz sicher zu schien, wie er das Ganze einordnen sollte. Schließlich aber kam er zu dem Schluss, dass die Sache mit den Vampiren wohl relativ unverfänglich war. „Ich habe keine Ahnung, woher sie kommen“, erwiderte er. „Aus Oz, dem Nimmerland oder vielleicht aus Albuquerque? Ich hab sie nicht danach gefragt und werde es bestimmt in Zukunft auch nicht tun! Was kümmert es mich überhaupt?“ Er schnaubte gereizt. „Ich weiß nur, dass sie uns schon seit einer Weile auf den Fersen sind. Ein ausgesprochen hartnäckiges Grüppchen.“ „Von wie vielen Leuten reden wir hier?“, wollte Dean wissen. Der Dämon zuckte mit den Schultern, was sich angesichts der Tatsache, dass Sam ihn fest an den Stuhl gefesselt hatte, als ziemlich schwierig erwies. Dennoch bewerkstelligte er es irgendwie, dass man Sinn und Zweck seiner plötzlichen Zuckung verstand. „Ich habe sie nicht durchgezählt und werde es bestimmt in Zukunft auch nicht tun!“, wiederholte er sein kleines Sprüchlein in einem bissigen Tonfall. „Ich würde mal schätzen, dass sie mindestens zu zehnt sind. Könnten aber auch mehr sein.“ Dean nickte. Er musste zwar zugeben, dass er noch nie besonders viel mit Vampiren zu tun gehabt hatte, da sie nahezu ausgestorben waren, aber dennoch wusste er das oder andere über sie. Unter anderem, dass es durchaus nicht unüblich war, dass sie in größeren Gruppen unterwegs waren. Zehn war demnach eine plausible Schätzung, der sich Dean ohne Probleme anschließen konnte. „Und warum sind sie hinter euch her?“, erkundigte sich Dean. Der Dämon blinzelte daraufhin. „Warum?“ „Ja, warum!“, zischte Dean mit Nachdruck. „Ist die Frage so schwer zu verstehen?“ Der Dämon starrte ihn einen Augenblick ehrlich skeptisch an, ehe er schließlich spöttisch auflachte. „Nein, sie ist bloß selten dämlich“, entgegnete er zynisch. „Es ist doch mehr als offensichtlich, warum sie uns verfolgen. Aus demselben Grund wie ihr natürlich!“ Dean runzelte die Stirn und warf einen Blick zu Sam, der den Dämon bloß verwundert ansah und anscheinend nicht so recht wusste, was er von dieser Aussage halten sollte. „Aus demselben -?“ Dean schnalzte mit der Zunge und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir sind hier, weil wir euch aufhalten wollen! Euch, alle anderen größenwahnsinnigen Dämonen und die ganze verfluchte Apokalypse!“ Der Gefangene ließ sich von Deans erhobener Stimme nicht beeindrucken. Stattdessen sagte er bloß: „Genau wie sie.“ Der Winchester schnappte nach Luft und wollte zu einem passenden Kommentar ansetzen, doch bevor er überhaupt dazu kam, packte ihn Sam am Arm und zog ihn in die andere Ecke des Zimmers, so weit entfernt von dem Dämon wie möglich. „Dieser verdammte Mistkerl lügt uns direkt ins Gesicht!“, regte Dean sich lautstark auf und warf dem Dämon einen giftigen Blick zu, den dieser jedoch nur mit einem schadenfrohen Grinsen quittierte. „Was, wenn er nicht lügt?“, hakte Sam nach und brachte Dean damit völlig aus dem Konzept. Er wandte sich verwirrt an seinen jüngeren Bruder und musterte ihn, als würde er ernsthaft an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln. „Bitte?“ „Denk doch mal logisch, Dean“, erwiderte Sam in einem Tonfall, als würde er glauben, dass sein Gegenüber normalerweise nicht dazu neigte, eine Sache rational anzugehen, wenn man ihn nicht explizit darauf hinwies. „Die Apokalypse ist bestimmt nicht nur für die Menschen ein großes Problem. Was denkst du, wird mit den Vampiren geschehen?“ „Immerhin waren sie einst Menschen“, mischte sich nun auch Castiel ein, der zu ihnen getreten war. „Lucifer wird sie wohl kaum verschonen.“ Dean schaute zwischen seinem Bruder und dem Engel hin und her und musste zugeben, dass das durchaus nicht abwegig klang. Er hatte sich bisher zwar nie darüber Gedanken gemacht, aber der bevorstehende Weltuntergang war sicherlich nicht bloß alleine Angelegenheit der Menschen. Die Vampire und auch noch viele anderen Wesen waren Teil des Ganzen und würden bestimmt nicht völlig ungeschoren davonkommen. „Ihr wollt damit also sagen … dass diese Vampire ebenso die Apokalypse aufhalten wollen wie wir?“, hakte Dean immer noch etwas argwöhnisch nach. „Es wäre denkbar“, bestätigte Castiel nickend. „Möglich, dass sie sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden wollen“, fügte Sam noch hinzu. „Vielleicht sterben sie lieber kämpfend, als sich tatenlos von Lucifer überrollen zu lassen.“ Dean wusste ehrlich nicht, wie er auf diese Neuigkeit reagieren sollte. Zum einen war es natürlich überaus vorteilhaft, weitere Verbündete auf seiner Seite zu haben, aber ausgerechnet Vampire? Irgendwie vermochte sich der Winchester nicht mit dem Gedanken anzufreunden. „Ich weiß nicht …“, erwiderte Dean skeptisch. „Mir ist klar, dass das mehr als ungewöhnlich ist, aber ist nicht bekanntlich der Feind deines Feindes dein Freund?“, hakte Sam nach. „Nicht nur die Menschheit ist von der Apokalypse betroffen, sondern die ganze Welt! Ist es da nicht zumindest vorstellbar, dass sich auch andere Mächte erheben, die Lucifer nicht einfach gewähren lassen wollen?“ Dean fand keinerlei Gegenargument. Aber dennoch gefiel ihm diese Vorstellung ganz und gar nicht. „Vielleicht sollten wir die Vampire einfach mal fragen, was hier in Davenport vorgeht“, schlug Sam vor und erschien dabei erschreckend selbstverständlich, als wäre es vollkommen normal, einen kleinen Plausch mit ein paar Untoten zu halten. „Zumindest wissen sie sicherlich mehr als wir.“ Dean verzog unwillig sein Gesicht. „Sammy, wir reden hier immer noch von Vampiren!“ Sam seufzte schwer. „Ich weiß! Aber Vampire, die offenbar dasselbe Ziel verfolgen wie wir.“ Er warf einen Blick zu dem Gefangenen, der intensiv seine Fesseln musterte und anscheinend darüber nachdachte, wie er sie lösen könnte. „Der Dämon wird uns rein gar nichts erzählen. Unsere Drohungen nützen nichts. Wir können ihn weiter mit Weihwasser bespritzen, mit Rubys Messer schneiden oder mit Exorzismus drohen – das, was wir ihm antun, macht ihm nicht halb soviel Angst wie die Drahtzieher des Ganzen.“ Dean musste widerwillig zustimmen. Wenn sich dieser Dämon sogar wünschte, lieber Lucifer und dessen ‚Gewissen‘ an seiner Seite zu haben, war die ganze Sache größer als angenommen. „Wir sollten ihn loswerden“, meinte Castiel ernst. „Er ist nutzlos und wird nur unnötig die anderen Dämonen auf uns aufmerksam machen.“ Auch dem vermochte Dean nicht zu widersprechen. Er bedachte seinen Bruder mit einem kurzen, vielsagen Blick, ehe er sich wieder dem Dämon zuwandte und breit grinsend verkündete: „So, Sunnyboy, es war wirklich schön mit dir, aber alles hat mal ein Ende.“ Ein Gefühl der Befriedigung erfasste ihn, als er sah, dass der Angesprochene deutlich blasser geworden war. „Ich wünsche dir viel Spaß in der Hölle!“ * * * * * Lee lehnte sich zurück und genoss die sanfte Brise. Zwar war die Parkbank, auf der sie saß, spröde, dreckig und voller Taubenkot, aber daran störte sie sich nicht allzu sehr. Sie war noch nie in ihrem Leben zimperlich gewesen und vermochte einfach nicht zu verstehen, warum manche Menschen ein riesiges Theater um kleine Belanglosigkeiten veranstalten mussten. Auch die kreischenden Kinder, die ganz in der Nähe Fußball spielten und ihren Geräuschpegel auf eine wirklich beeindrucke Lautstärke heraufgeschraubt hatten, beachtete Lee nicht weiter. Was machte schon ein bisschen Lärm? Ihr Begleiter hingegen schien ganz anderer Meinung. Feindselig funkelte er die Kinder an und schien zu überlegen, ob er sie nicht in Stücke reißen sollte. „Schau nicht so garstig drein, Devon“, meinte Lee leicht lächelnd, während sie die Sonnenbrille auf ihrer Nase zurechtrückte. „Sonst kriegt dein hübsches Gesicht noch Falten.“ Devon lachte spöttisch auf, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte und herablassend zu ihr hinunterschaute. „Ein Geschöpf der Ewigkeit bekommt keine Falten.“ Lee wiegte ihren Kopf hin und her. „Die Ewigkeit ist vielleicht nicht so lang, wie du denkst.“ Amüsiert beobachtete sie, wie er missmutig sein Gesicht verzog und ernsthaft erwog, mit ihr eine Diskussion zu beginnen. Devon war jemand, der sich ungern geschlagen gab. Stets musste er bis zum bitteren Ende kämpfen, selbst wenn die Chancen denkbar schlecht aussahen. Oft genug hatte ihn das nahe an den Rand der Vernichtung gebracht und nur durch Glück hatte er es bisher immer in letzter Minute geschafft, dem Tod von der Schüppe zu springen. Er war nun mal ein gottverdammter Draufgänger. „Du bist ein Miststück, Leanne, weißt du das eigentlich?“, zischte er, sein Tonfall nicht ganz so überzeugend, wie er es sich gewünscht hätte. Lee grinste breit, während sie ihrem Partner einen spöttischen Blick zuwarf. Wie immer trug er Anzug und Krawatte, wirkte schick und gleichzeitig leger. Lee hatte zwar keine Ahnung, wie er das genau anstellte, aber er konnte wie frisch aus dem Ei gepellt aussehen, als befände er sich gerade auf einer wichtigen Anwaltstagung, und zur selben Zeit aber auch vollkommen zwanglos, sodass es einen nicht ansatzweise verwundert hätte, wenn er plötzlich losgestürmt und mit den Kindern zusammen im Dreck Fußball gespielt hätte. Es war irgendwie seltsam und so typisch Devon. Unter Umständen, so mutmaßte Lee, lag dieser Eindruck zumindest teilweise an der Tätowierung auf seinem Hals. Sie gab ihm einen Hauch von Gefährlichkeit. Wirkte rebellisch an einem sonst so adrett gekleideten Mann. Unbewusst fuhr sich Lee über ihr eigenes Tattoo, das sie ebenso wie all die anderen ihrer Gruppe als Erkennungssymbol trug. Jeder, der eingeweiht war, wusste sofort Bescheid, was es bedeutete. Den Dämonen zumindest war es sofort klar gewesen, als sie es zum ersten Mal gesehen hatten. Und dennoch hatte es sie nicht von ihren Verbrechen abgehalten. Lee knirschte bei dieser Erinnerung verärgert mit den Zähnen, hob aber ihren Blick, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Männer in dunklen Anzügen aus einem Haus traten, sich kurz vom Besitzer verabschiedeten und sich schließlich vom Grundstück entfernten. „Das also sind sie?“ Devon musterte sie aus zusammengekniffenen Augen, ehe er mit den Schultern zuckte. „Ziemlich erbärmlich.“ Lee grinste. „Ach ja, und wieso? Weil sie im Anzug nicht mal ansatzweise so heiß aussehen wie du?“ Devon starrte sie einen Augenblick an und schien zu überlegen, ob sie nun scherzte oder nicht, entschied sich jedoch letztlich dafür, ihre Worte für voll zu nehmen. Sein darauffolgendes Lächeln reichte bis zum anderen Ende des Parks. „Ganz recht, Leanne.“ Lee konnte nur belustigt den Kopf schütteln, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die zwei Männer richtete. Diese waren gerade neben einem schwarzen Chevrolet stehengeblieben und gestikulierten heftig. Offenbar waren sie sich ganz und gar nicht einig, welchen Schritt sie als nächstes tun sollten. „Anscheinend funktioniert ihre Kommunikation genauso wunderbar und harmonisch wie unsere“, quittierte Devon das Gesehene. „Und das sind wirklich diese berüchtigten Winchester-Bübchen? Ich mein‘, gut, sie haben diesen Dämon gefangengenommen und das alles, aber ehrlich gesagt war das auch ein ziemliches Würstchen. Das hätte selbst ein kleines Mädchen im rosa Kleidchen mühelos geschafft.“ Lee bemerkte an seinem Tonfall, dass sein Stolz ziemlich angeknackst war. Ungern ließ er sich in die Parade fahren. „Stimmt, sie haben den Dämon gefangen“, meinte sie und fügte mit einem schadenfrohen Lächeln hinzu: „Während du wie ein Baby davongelaufen bist.“ Noch eine Einzelheit dieses Abends, an die er nicht gerne erinnert wurde. Einer der Dämonen war entwischt, der zweite Jägern in die Hände gefallen und er selbst hatte sich bloß aus dem Staub machen können. „Ich bin kein Feigling, Leanne!“, machte er seinen Standpunkt nochmal deutlich. „Aber sie hatten dieses seltsame Messer …“ Lee nickte knapp. Devon hatte ihr alles von dieser mysteriösen Waffe erzählt, die unweigerlich seine Instinkte aktiviert und ihn dazu bewogen hatte, lieber das Weite zu suchen. Es war eine fast schon automatische Handlung gewesen, gegen die er nichts hatte unternehmen können. Seine Füße hatten sich in Bewegung gesetzt, bevor er überhaupt gewusst hatte, was eigentlich geschehen war. „Wahrscheinlich irgendwas Magisches“, vermutete Lee. „Du hast schon immer überempfindlich auf sowas reagiert.“ Devon musterte sie und schien zu überlegen, ob er protestieren sollte oder nicht, aber letztlich entschied er sich, nicht weiter darauf einzugehen. Stattdessen sagte er, mit einem extrem merkwürdigen Unterton: „Und sie haben einen Engel.“ Auch das war Lee selbstverständlich nicht entgangen. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie dazu stehen sollte. Im allgemeinen Verständnis wurden Engel als etwas Gutes und Reines betrachtet, aber die Wahrheit sah ganz anders aus. Sie waren erbitterte und kompromisslose Soldaten und Krieger, mit denen man sich lieber nicht anlegte, wenn es einen Ausweg gab. Nun einen von ihnen bei den Winchesters zu sehen, machte sie ein wenig nervös. Sie hatte sich schon mit einigen Kreaturen herumschlagen müssen, doch die Himmelsscharen waren noch nicht dabei gewesen. Unter Umständen würde das Ganze übel enden. „Und das sind wirklich diese Winchester-Bürschchen?“, hakte Devon erneut ungläubig nach. „Nach allem, was ich über sie gehört habe, dachte ich, sie wären mehr …“ Er zuckte mit den Schultern, sich selbst nicht sicher, wie er es beschreiben sollte. „Arnold Schwarzenegger?“, half Lee ihm auf die Sprünge. Devon verzog darauf angewidert sein Gesicht. „Du hast echt merkwürdige Vorstellungen, Leanne. Wieso sollte ich mir die beiden wie testosteron-vollgestopfte Muskelberge ausmalen, die so aussehen, als würden sie in der nächsten Sekunde vor lauter geballter Männlichkeit explodieren?“ Lee verkniff sich ein spöttisches Auflachen. „Jack Nicholson?“ Daraufhin rieb sich Devon nachdenklich das Kinn. „Käme schon eher hin“, gab er schließlich zu. „Und jetzt sieh dir diese beiden Käsegesichter an! Die haben doch rein gar nichts von Jack.“ Lee schüttelte sofort ihren Kopf. „Aber sie sind es! Dean und Sam Winchester. Jäger und – soweit die Gerüchte stimmen – Dämonenbeschwörer und Teufelsanhänger.“ Einiges hatte sie inzwischen über diese Kerle gehört und es hätte unterschiedlicher nicht sein können. Während einige ihr Engagement lobten und sie ganz offensichtlich für anständige Samariter hielten, die das Herz am rechten Fleck sitzen hatten, waren Lee gleichzeitig auch noch andere Geschichten zu Ohren gekommen. Geschichten von Dunkelheit und Finsternis. Von List und Verrat. Von dem Ende der Welt. Lee vermochte es nicht recht zu glauben, hatte aber auch keine Gegenbeweise vorzulegen. Zumal sich das Gerücht, dass wenigstens Sam Winchester in engerer Beziehung zu Lucifer und dessen Auferstehung stand, dermaßen hartnäckig hielt, dass man es nicht ohne weiteres ignorieren konnte. Mochten die beiden auch freundlich und harmlos wirken, konnte es in ihrem Inneren völlig anders aussehen. „Ich weiß nicht …“, meinte Devon derweil skeptisch. „Diese zwei Clowns sollen tatsächlich die Welt ins Verderben gestürzt haben? Die machen eher den Eindruck, als wüssten sie nicht mal, wo sie sind.“ Lees Mundwinkel zuckten kurz, während sie die Männer dabei beobachtete, wie sie in den Wagen stiegen, wo sie munter weiterdiskutierten. „Vielleicht haben sie ja aus reiner Dummheit den Teufel befreit.“ Dieser Theorie war Devon nun deutlich zugeneigter. „Könnte sein …“, gab er zu. „Aber wie kann man aus Versehen Lucifer aus seinem Käfig holen?“ Lee hob ihre Schultern. Sie hatte intensiv über das Ganze nachgedacht, war aber bisher noch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. „Möglicherweise im Glauben, das Richtige zu tun“, murmelte sie. „So oder so, wir müssen uns davon überzeugen, ob die beiden für uns sind oder gegen uns.“ Devon schnaubte. „Die zwei sind sicherlich nicht für Vampire!“, rief er ihr noch einmal ins Gedächtnis. Lee winkte jedoch augenblicklich ab. „Sie sind doch hoffentlich schlau genug, um Hilfe zu erkennen, wenn sie vor ihnen steht“, entgegnete sie. „Sie werden schon merken, dass wir für sie nützlich sind.“ Sie lehnte ihren Kopf zurück und ließ die sanfte Brise um die Ohren wehen, während sie ihre Beine ausstreckte und damit der prallen Sonne auslieferte. Sie spürte förmlich, wie sich ihre Anspannung ein wenig löste. „Ich versteh nicht, wie du da einfach so sitzen kannst“, beschwerte sich Devon, ehe er sich tiefer in den Schatten eines großen Baumes zurückzog. „Hast du nicht das Gefühl, zu verbrennen?“ Lee lächelte leicht. „Manchmal ist es angenehm, zu verbrennen.“ Einen Moment lang genoss sie Devons zweifelnde Miene, dann jedoch wandte sie sich wieder den Winchesters zu. Dean hatte gerade sein Handy ans Ohr gedrückt und redete intensiv mit der Person am anderen Ende der Leitung. „So oder so, wir sollten erst mehr über die beiden erfahren“, meinte sie schließlich. „Wenn sie bloß kleine und gewöhnliche Jäger sind, können wir uns mit ihnen in Kontakt setzen und sie davon überzeugen, dass wir auf derselben Seite stehen.“ Sie legte ihren Kopf schief. „Handelt es sich bei ihnen aber wirklich um Teufelsanhänger, die keinerlei Skrupel kennen und sogar ihre Mutter für ein bisschen Macht verkaufen würden, reißen wir sie auseinander und verteilen ihre Einzelteile übers ganze Land.“ Devon grinste breit. Es war ihm deutlich anzusehen, dass ihm die zweite Variante um einiges besser gefiel. „Und wie finden wir das heraus?“, erkundigte er sich, nachdem er sich an der Vorstellung von den zerfetzten Winchesters genügend ergötzt hatte. „Du wirst ihnen ab jetzt auf Schritt und Tritt folgen“, kommandierte Lee. „Beobachte ihre Gewohnheiten, ihre Macken, einfach alles. Und sobald du irgendwas Verdächtiges bemerkst, schlägst du lautstark Alarm.“ Devon wirkte nun gar nicht mehr begeistert. „Aber sie haben einen kleinen Haustier-Engel!“, erwiderte er wie ein trotziges Kind, das nicht seinen Spinat aufessen wollte. Lee warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. „Du weißt doch bestens, wie man sich unsichtbar macht, oder?“ Devon war ein Meister, wenn es darum ging, sich im Verborgenen zu halten. Meistens war ihm das ganze Versteckspielen bloß viel zu langweilig. „Ja“, gab er jedoch zähneknirschend zu. „Wunderbar“, meinte Lee schmunzelnd. „Und ich werde unterdessen ein bisschen in ihren Privatsachen schnüffeln. In ihr Motelzimmer einbrechen, um nachzuschauen, ob ich da was Auffälliges finde.“ Durch die Gläser der Sonnenbrille beobachtete sie, wie Dean den Wagen anschmiss und ihn in Bewegung setzte. „Vielleicht ihr Auto stehlen.“ Devon legte verwundert ihre Stirn in Falten. „Du willst es klauen? Wieso?“ „Die beiden reisen von einem Motel ins nächste“, klärte Lee ihn auf. „Das einzige, was man einigermaßen ihr Zuhause nennen kann, ist ihr Wagen. Ich wette, ihr Kofferraum ist voll mit wertvollen Dingen, die uns Aufschluss über die beiden geben können.“ Devon starrte sie eine Weile vielsagend an. „Gib’s zu, du findest diese Karre einfach nur todschick und willst sie für dich“, sagte er letztlich mit einem wissenden Lächeln. Lee gab ein empörtes Schnauben von sich. „Also was denkst du von mir? Das dient alles der Recherche und …“ Sie verstummte abrupt und seufzte tief. „Okay, ich gestehe, der Wagen ist einfach nur heiß!“ Devon lachte auf und schlug ihr kameradschaftlich auf die Schulter. „Du bist manchmal unglaublich berechenbar, mein Herz.“ Er blieb einen Moment still und beobachtete, wie der Wagen um die nächste Ecke verschwand. „Aber sie werden wütend sein, wenn du ihr Schmuckstück stiehlst, und dann sicherlich nicht übel Lust bekommen, uns bei lebendigen Leib zu verbrennen.“ Lee vermochte nicht zu widersprechen. Es machte garantiert keinen guten ersten Eindruck, wenn man zum Autoknacker mutierte. Aber andererseits war es dringend notwendig, um sicherzugehen, dass sie sich nicht mit den Falschen einließen. „Was bringt es uns, nett zu ihnen zu sein und die Finger von ihren Sachen zu lassen, nur um dann später festzustellen, dass sie Satan-Fans sind und uns nachts im Schlaf die Kehle aufschlitzen“, entgegnete Lee ernst. „Ich will lieber ihren Zorn auf mich ziehen und mich hinterher entschuldigen, als zu spät zu merken, dass ich einen schrecklichen Fehler begangen habe.“ Sie blickte auf und bemerkte, dass Devon sich noch tiefer in den Schatten verkrochen hatte. „Sie werden es uns schon verzeihen.“ Devon jedoch schnaubte spöttisch. „Männer und ihre Autos – du hast keine Ahnung, was da für eine tiefgreifende Liebe herrscht, nicht wahr?“ Er schüttelte seufzend den Kopf. „Sie werden dich bis an dein Lebensende hassen.“ Lee dachte kurz über diese Worte nach, ehe sie schließlich mit ihren Schultern zuckte. „Was soll’s? Ist ja nicht so, als ob ich jedermanns Liebling wäre.“ Sie zauberte daraufhin ein breites Lächeln auf ihre Lippen. „Und jetzt marsch an die Arbeit! Lass uns rausfinden, auf welcher Seite die Winchesters wirklich stehen!“ _________________________________________________ So, diesmal ein etwas längeres Kapitel, aber es wär blöd gewesen, die beiden Szenen einzeln hochzuladen. Ich hoffe, es macht euch nichts aus ;p Nun habt ihr auch zum ersten mal einen kurzen Einblick auf die beiden aus dem Prolog bekommen. Ich hoffe, die zwei wissen zu gefallen, auf die ein oder andere Weise ^^ Dann möchte ich mich an dieser Stelle auch nochmal herzlich bei Lady_Sharif und kleine1 für ihre netten Kommentare bedanken! Fühlt euch geknuddelt :) Kapitel 5: V ------------ Es war später Nachmittag, als Sam endlich den letzten von seiner Liste abhaken konnte. Den ganzen Tag hatten er und sein Bruder damit zugebracht, die restlichen Augenzeugen aufzusuchen, um möglicherweise mehr über die Dämonen oder die Vampire zu erfahren. Sie hatten intensiv den verschiedenen Aussagen gelauscht und schließlich auch die Tatorte untersucht, in der Hoffnung, dort irgendeinen entscheidenden Hinweis zu finden. Doch alles war sehr vage und schwammig geblieben. Die meisten der Personen, die sie befragt hatten, hatten kaum brauchbare Informationen zur Verfügung gehabt, sodass Dean bereits mittags furchtbar frustriert gewesen und aufgrund seines Schlafmangels auch immer gereizter geworden war. Somit hatte ihn Sam kurzerhand am Motel abgesetzt, ihn zu etwas Ruhe und Entspannung verdonnert und hatte die restlichen auf der Liste alleine aufgesucht. Ohne einen genervten und übermüdeten Bruder an seiner Seite hatte sich die Arbeit auch sehr viel besser erledigt, wie Sam feststellen musste. Zwar hatten auch die anderen Augenzeugen kaum Hinweise geliefert, die man als nützlich hätte bezeichnen können, aber nach der mindestens achten Befragung war dem Winchester plötzlich ein Muster ins Auge gesprungen, das er zuvor gar nicht bemerkt hatte. Vielleicht war es nichts, einfach nur ein Zufall, aber unter Umständen handelte es sich um eine Spur. Sam streckte sich und genehmigte sich ein herzhaftes Gähnen, als er die Wohnung des letzten Zeugen auf seiner Liste verließ und das Treppenhaus hinabstieg. Er freute sich bereits darauf, ins Motel zurückzukehren, sich auf dem Bett auszustrecken und einfach mal seine Glieder zu entspannen, selbst wenn es nur für ein paar Minuten sein würde. Die letzte Nacht zumindest hatte er nicht allzu viel Schlaf finden können. Nachdem sie den Dämon ausgetrieben hatten, war seine menschliche Hülle tot zurückgeblieben. Sam bezweifelte, dass der Exorzismus den Mann umgebracht hatte, sondern war vielmehr überzeugt, dass er bereits zuvor sein Leben ausgehaucht hatte, aber das machte das Ganze auch nicht viel besser. Ein unschuldiger Mensch war gestorben, der eigentlich nicht hätte sterben müssen. Und Sam fühlte sich deswegen unsagbar schlecht. Er wusste zwar selbst, dass er sich nicht für jeden Toten verantwortlich fühlen sollte, der zwischen die Fronten geraten war, doch er konnte einfach nicht anders. Immer wieder raste ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er Lucifer befreit hatte! Dass er das Grauen auf diese Welt gebracht hatte! Es war gewiss nicht seine Absicht gewesen, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass Menschen starben und die Apokalypse kurz bevorstand. Da interessierte es im nachhinein sowieso keinen mehr, ob Sam es im Glauben getan hatte, das Richtige zu tun. Es war so oder so geschehen und die Chancen, es noch im letzten Moment aufzuhalten, standen denkbar ungünstig. Sam seufzte schwer. Er konnte nichts weiter tun, als für seine Taten zu büßen und zu versuchen, es irgendwie wiedergutzumachen. Hatte er zwar im Augenblick nicht die leiseste Ahnung, wie er das überhaupt bewerkstelligen sollte, so blieb er dennoch in seiner Haltung unerschütterlich, dass er eines Tages seinen schweren Fehler wieder rückgängig würde machen können. Er musste es einfach! Ansonsten sind wir alle verloren, dachte er bei sich, während er die Tür aufstieß und hinaus ins Freie trat. Helles Tageslicht begrüßte ihn und ließ ihn für einen Moment seine dunklen Gedanken vergessen. Stattdessen genoss er die wärmende Sonne auf seinem Gesicht und atmete einmal tief durch, ehe er sich nach rechts wandte… und überrascht innehielt. Dort war ein Parkplatz. Und zwar leer. Obwohl sich Sam hundertprozentig sicher war, dort vor gut einer halben Stunde den Impala abgestellt zu haben. Eine gefühlte Ewigkeit blieb er wie versteinert, starrte mit schockgeweiteten Augen auf den unbesetzten Stellplatz, während ihm gleichzeitig das Blut in den Adern zu gefrieren schien. Es war ihm, als wäre plötzlich die Zeit stehengeblieben und es gäbe nichts auf der Welt als ihm selbst und diesem Stück Nichts, das vor seinem Besuch bei dem letzten Augenzeugen noch den Impala beherbergt hatte. Und nun war der Wagen weg! Fort, ohne die geringste Spur hinterlassen zu haben! Und immer und immer wieder rief Sams innere Stimme panisch: Dean wird dich umbringen! „Er wird mich so was von meucheln!“, murmelte er leise zu sich selbst, bevor er sich schließlich zur Raison rief und um Fassung bemühte. Es würde ihm, Dean und auch dem Auto nichts bringen, wenn er hyperventilierte und völlig die Nerven verlor. Stattdessen zwang er sich, die Sache rational zu betrachten. Unruhig ließ er seinen Blick schweifen. Er war zwar im Grunde überzeugt, den Impala nirgendwo anders abgestellt zu haben, aber dennoch wollte er sich nicht die Blöße geben, ihn nach zehn Minuten Panik und den schlimmsten Horrorvorstellungen irgendwo hinter einem Mercedes zu entdecken. Ganz friedlich darauf wartend, dass Sam zurückkehrte. Doch er war nirgends in der unmittelbaren Umgebung auszumachen. Er blieb weiterhin verschwunden. Sam hatte das Gefühl, noch nie dermaßen verzweifelt über einen leeren Parkplatz gewesen zu sein. „Sie sehen irgendwie verloren aus, Junge“, meldete sich plötzlich eine unbekannte Stimme. Sam wirbelte herum und bemerkte ganz in der Nähe einen älteren Mann, der auf dem Balkon seiner Wohnung saß und offenbar die Aussicht auf die Straße genoss. Nun beugte er sich über das Geländer und musterte Sam mit einem wohlwollenden Blick. „Mein … mein Wagen …“, begann der Winchester. Der alte Mann nickte daraufhin. „Ah, Sie meinen den Chevrolet. Ein wirklich bildschönes Stück! Sowas wird heutzutage gar nicht mehr produziert.“ Er erweckte den Eindruck, als wollte er eine „Früher-war-alles-besser“-Rede zum Besten geben, doch ehe er überhaupt dazu kam, fragte Sam rasch: „Ist er abgeschleppt worden?“ „Abgeschleppt?“ Der Angesprochene wirkte einen Moment ehrlich verwirrt. „Oh nein. Dieses junge Ding hat ihn mitgenommen. Hat mir sogar zugewunken. Süß, die Kleine.“ Sam spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Ein überaus ungutes Gefühl beschlich ihn. „Wie sah sie aus?“, hakte er nach. „Jung“, meinte der Mann schulterzuckend. „Sehr hübsch. Sportlich.“ Er schwieg einen Moment und versuchte offenbar, sich ihre Erscheinung wieder ins Gedächtnis zu rufen. „Und ich glaube, sie hatte was am Hals.“ Sam hielt unweigerlich die Luft an. „Eine Tätowierung?“ Der Alte nickte sofort. „Ja, genau. Keine Ahnung, was es darstellen sollte. Ich versteh sowieso nicht, warum die jungen Leute heutzutage ihre Körper verschandeln müssen …“ Er war wohl kurz davor, sich über die Sünden der Jugend und den Verfall der modernen Welt aufzuregen, doch darauf hatte Sam nun wirklich keine Lust. Stattdessen bedankte er sich hastig und zog sich zurück. Und noch während er sich von dem Mann verabschiedete, kramte er sein Handy hervor und wählte Deans Nummer. Sein Bruder meldete sich relativ schnell, sodass man annehmen konnte, dass er nicht geschlafen hatte. „Sam?“, fragte er. „Hey, Dean.“ Sam setzte ein gequältes Lächeln auf, auch wenn er wusste, dass sein Bruder es sowieso nicht sah. Plötzlich wurde das flaue Gefühl in der Magengegend nur noch schlimmer, während er mühevoll darüber nachdachte, wie er Dean den Verlust des Impalas beibringen sollte. Er liebte diesen Wagen abgöttisch und das auf eine fast schon verrückte Art und Weise. Von seinem Verschwinden zu hören, würde ihn wahrscheinlich an den Rand eines Herzinfarkts bringen. „Alles in Ordnung, Sammy?“, fragte Dean nach, nachdem Sam eine ganze Weile nichts gesagt hatte. Der Angesprochene zuckte unwillkürlich zusammen. „Was? Ja, klar … also, eigentlich nein. Es ist einfach …“ „Hast du was rausgefunden?“, erkundigte sich Dean, offenbar ein wenig irritiert von Sams unverständlichen Gebrabbel. „Rausgefunden?“ „Ja, du weißt schon – Dämonen, Vampire … Du erinnerst dich?“ Sam atmete einmal tief durch. Das hatte er nach dem großen Schock beinahe vergessen gehabt. „Also ehrlich gesagt … ja. Ich glaub, ich hab da eine Spur.“ „Wunderbar“, meinte Dean, er klang aber beileibe nicht so erfreut, wie man es hätte vermuten können. Stattdessen schien ihn irgendwas zu beschäftigen. „Sag mal, hast du im Zimmer irgendwas umgestellt?“ Sam blinzelte verdutzt. Mit solch einer Frage hatte er eigentlich nicht gerechnet. „Umgestellt?“ „Es ist mir aufgefallen, als du mich hier am Motel abgesetzt hast“, erklärte Dean. „Dads Tagebuch lag nicht mehr da, wo ich gedacht habe, dass ich es abgelegt hätte … Und noch so ein paar andere Kleinigkeiten. Ich hab’s nicht ernst genommen, warum auch?“ Er seufzte. „Aber jetzt …? Keine Ahnung, Mann, es ist einfach so ein komisches Gefühl. Als wäre jemand …“ „In unser Zimmer eingebrochen und hätte unsere Sachen durchwühlt“, vollendete Sam grimmig den Satz. Allmählich fügte sich das Ganze zu einem Bild zusammen. „Genau“, bestätigte Dean. „Erst dachte ich, ich wär einfach nur paranoid, aber irgendwie –“ „Dean, ich muss dir was sagen!“, fiel Sam ihm mitten ins Wort. Er holte einmal tief Luft, während er weiter darüber nachgrübelte, wie er Dean die schlechte Neuigkeit am besten schonend beibrachte. War es überhaupt möglich, das Ganze schonend zu verpacken? „Was gibt’s denn, Sam?“ Deans Tonfall ließ bereits erkennen, dass er argwöhnisch war. Ihm war Sams Aufregung ganz sicher nicht entgangen. „Dean, du darfst dich nicht aufregen“, fing Sam zögernd an. Sein Bruder am anderen Ende der Leitung schnaubte. „Ich hasse Geschichten, die mit Dean, du darfst dich nicht aufregen beginnen. Die enden meistens nie gut.“ Da hast du leider Recht, Bruderherz, dachte Sam bei sich. Er sprach es jedoch nicht laut aus, sondern seufzte stattdessen schwer. „Hör zu, Dean …“, begann er vorsichtig. „Ich … ich denke, es stimmt.“ „Was stimmt?“, hakte sein Bruder nach, noch verwirrter als zuvor. „Dass jemand in unserem Zimmer gewesen ist“, konkretisierte Sam. „Und zwar die Vampire. Sie scheinen uns zu überprüfen. Rauszufinden, wer wir eigentlich sind. Deswegen haben sie unser Zimmer durchwühlt.“ Er hielt kurz inne. „Und deshalb haben sie wahrscheinlich auch den Impala gestohlen.“ Daraufhin herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Eine drückende und erschreckende Ruhe. Und das für mehrere Minuten. Sam befürchtete bereits, dass Dean angesichts dieser Neuigkeit vor Schock in Ohnmacht gefallen war. Völlig auszudenken war es immerhin nicht. „Dean?“, fragte er deshalb zaghaft nach. Aber immer noch meldete sich niemand. Es blieb weiterhin ruhig. Und das für eine Ewigkeit, wie es schien. Schließlich aber fand Dean seine Stimme doch endlich wieder. Mit einer Lautstärke, die vermutlich ein Haus hätte zum Einsturz bringen können, brüllte er ins Telefon: „WWAAAAAAAAAASSSSS??“ * * * * * „Und, schon was Verdächtiges gefunden?“ Lee zuckte beim Klang dieser Stimme zusammen und wäre beinahe unangenehm mit dem Kofferraumdeckel in Kontakt gekommen, konnte sich aber gerade noch in letzter Sekunde fangen. Stattdessen drehte sie ihren Kopf weit zur Seite, sodass ihr Nacken bereits zu protestieren begann, und sah in Franks wettergegerbtes Gesicht. Munter und sichtlich amüsiert beobachtete er ihre Verrenkungen. „Hab ich nicht gesagt, ihr sollt mich nicht stören?“, fragte Lee bissig. Frank winkte jedoch ab, als handelte es sich bloß um eine unwichtige Lappalie. „Ach Lee, du sagst oft das eine und meinst das andere. Wie soll man da den Überblick behalten?“ Lee knurrte leise, während sie ihren Kopf und Oberkörper aus den Tiefen des Kofferraums hervorholte und sich mal wieder ordentlich streckte. Erst, als sie ihre Knochen knacken hörte, realisierte sie, wie lange sie inzwischen auf Spurensuche war. Sie hatte völlig ihr Zeitgefühl verloren. „War ich etwa so lange weg?“, hakte sie nach, ihr Tonfall nun etwas milder. „Baby, ich war kurz davor, zur Polizei zu gehen und dich als vermisst zu melden.“ Frank lachte auf, seine tiefe Baritonstimme dröhnend, aber gleichzeitig auch irgendwie melodisch. Lee hatte es schon immer geliebt, ihr zu lauschen, auch wenn sie das Frank gegenüber niemals öffentlich zugegeben hatte. „Tut mir leid“, entgegnete sie daraufhin. „Aber du weißt ja, wie sehr ich mich in eine Sache vertiefen kann.“ „Nichts für ungut, Lee“, meinte Frank schulterzuckend. „Immerhin macht es ja auch einen Höllenspaß, in den Sachen von anderen rumzuwühlen.“ Lee lächelte leicht, konnte sich aber nicht so recht überwinden, zuzustimmen. Stattdessen warf sie einen Blick auf die Waffensammlung der Winchesters und seufzte leise. Schon im Motelzimmer der beiden hatte sie alles auf den Kopf gestellt und nach Hinweisen gesucht, die Aufschluss darüber gaben, auf welcher Seite sie eigentlich standen. Aber außer einigen Waffen, persönlichen Habseligkeiten und mehreren Berichten über die derzeitige Lage in Davenport hatte sie nichts Spektakuläres finden können. Auch der Diebstahl ihres Wagens hatte bisher keine entscheidende Erkenntnis zutage gebracht. Sie hatte Kanonen, Gewehre, Pflöcke, Salz und noch weitere Monsterbekämpfungsmittel en masse entdeckt, die bloß die Feststellung zuließen, dass es sich bei den Winchesters um Jäger handelte. Und das war nun beileibe keine große Neuigkeit. „Das Schmuckstück ist echt nicht von schlechten Eltern“, meinte Frank anerkennend und strich über den Kotflügel des Wagens. Sie hatten das Auto in der weitläufigen Garage des Einfamilienhauses versteckt, das sie für ihren Aufenthalt in Davenport als Wohnstätte gebrauchten. Die eigentlichen Besitzer benutzten ihre Heimstatt bloß für ein paar Monate im Jahr als Quartier, die restliche Zeit verbrachten sie in New York City. Sie würden wahrscheinlich nicht mal merken, dass sich jemand in ihrem Haus aufgehalten hatte, während sie fortgewesen waren. Lee konnte es nur recht sein. Das Haus war groß, geräumig, durchaus luxuriös und bot ihr und ihren Leuten einen Komfort, der nicht unbedingt selbstverständlich war. Waren sie auch aus einem bestimmten und überaus wichtigen Grund in Davenport und nicht etwa zum Wellnessurlaub, so wäre es trotzdem dumm und vermessen gewesen, die kleinen Annehmlichkeiten nicht zu schätzen zu wissen. Lee zumindest tat dies mit Leib und Seele, gerade die große Badewanne im ersten Stock hatte es ihr angetan. Man konnte sich in ihr fast vollständig verlieren. „Bist du in Gedanken wieder bei deiner Wanne?“, erkundigte sich Frank mit einem schelmischen Grinsen. Lee gab ihm einen leichten Klaps in die Seite und war mal wieder aufs Neue erstaunt, wie gut Frank die Menschen um sich zu durchleuchten vermochte. Er machte fast den Eindruck, als könnte er Gedanken lesen und das tiefste Innere seines Gegenübers erspüren. Lee faszinierte es immer wieder, wie er selbst Personen, die er gerade mal ein paar Tage kannte, zu lesen in der Lage war, als wären sie ein offenes Buch. Lee hatte diese Fähigkeit in der ersten Zeit ein wenig beunruhigend gefunden. Sie hatte sich immer viel darauf eingebildet, mysteriös und geheimnisvoll zu bleiben, aber bei Frank war das einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst ein Augenbrauenzucken oder eine leichte Anspannung ihrer Gesichtszüge wusste er wie kein zweiter zu deuten. Er und Devon waren vermutlich die einzigen, die Lees wahres Wesen bisher je erfasst hatten. „Du hast übrigens meine Frage nicht beantwortet“, meinte Frank, während sie erwartungsvoll musterte. „Ist ja schon gut, verdammt nochmal!“, zischte sie. „Ja, ich habe an diese Badewanne gedacht! Zufrieden? Das Teil ist nun mal der absolute Hammer, da gibt es nichts dran zu rütteln.“ „Ich meinte eigentlich eher meine Frage, ob du schon was Verdächtiges gefunden hast?“, erwiderte Frank, auf seinen Lippen ein wissendes Lächeln. Lee verzog derweil ihr Gesicht und erwog, Frank noch einen Schlag in die Rippen zu verpassen, ließ es dann aber bleiben. Stattdessen wandte sie sich wieder dem Inneren des Kofferraums zu. „Nichts Besonderes. Erwartungsgemäß besitzen die Winchesters natürlich Waffen ohne Ende. Einige sind durchaus ganz passabel, aber der Großteil ist doch recht primitiv und vorsintflutlich. Auf dem neusten Stand sind sie jedenfalls nicht.“ Sie hob ihre Schultern und seufzte. „Ansonsten haben sie nicht sonderlich viel Privates. In ihrem Motel habe ich ihre Computer durchsucht, aber auch das hat nichts ergeben. Ich habe ebenso ein Tagebuch gefunden, von ihrem Vater, soweit ich das richtig interpretiere. Der Kerl war am Anfang seiner Karriere anscheinend ziemlich ahnungslos, hat sich aber offenbar im Laufe der Zeit ziemlich gemausert.“ „John Winchester?“, hakte Frank nach. „Kann sein, dass ich mal was von ihm gehört habe.“ „Ja, kann sein …“, murmelte Lee gedankenverloren. „Aber so oder so hab ich nichts entdecken können, das auf den Teufel verweist.“ Frank legte seinen Kopf schief und entblößte dabei die Tätowierung an seinem Hals. „Was hast du denn erwartet? Eine Notiz, auf der steht: Huhu, an alle! Wir sind dicke Kumpels von Satan und wollen mit ihm zusammen die Welt zerstören!?“ Lee schnaubte. „Nein, natürlich nicht!“, erwiderte sie. „Obwohl das zugegebenermaßen ziemlich praktisch gewesen wäre.“ Wenn sie jedoch ehrlich zu sicher war, war ihr selbst nicht ganz klar, womit sie gerechnet hatte. Jemand, der für Lucifer arbeitete und dies nicht unbedingt der ganzen Welt mitteilen wollte, würde dies wohl kaum in sein privates Notizbuch schreiben und es dann einfach irgendwo liegenlassen. Es gab immer Möglichkeiten, wie solche Informationen in falsche Hände gerieten. Und wäre Lee eine Teufelsanhängerin gewesen, würde sie Beweise hierfür höchstens an ihrem eigenen Körper aufbewahren. „Ich glaube, wir müssen mit den Jungs wohl mal persönlich in Kontakt treten“, meinte Lee seufzend. Besonders darauf freuen konnte sie sich jedoch nicht, schon allein der Gedanke an den Engel jagte ihr einen jähen Schauer über den Rücken. Mit solchen Mächten hatte sie sich noch nie anlegen müssen. „Denkst du wirklich, dass die beiden für Mephistopheles arbeiten?“, hakte Frank derweil skeptisch nach. „Ich meine, was hätten sie davon? Immerhin sind sie Menschen!“ Eine Frage, die Lee ebenfalls bereits seit einer Weile beschäftigte und auf die sie noch keine hundertprozentig zufriedenstellende Antwort gefunden hatte. „Der Teufel ist ein Verführer“, meinte sie jedoch. „Vielleicht hat er ihnen irgendetwas im Gegenzug versprochen. Unsterblichkeit, Macht. Möglicherweise will er ihren Daddy wieder lebendig machen.“ Lee verstummte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Für solche Angebote sind schon viele Menschen zur dunklen Seite der Macht übergelaufen.“ Frank kratzte sich an seinem gestutzten Bart. „Vielleicht“, gestand er ein. „Aber trotzdem sollte ihnen bewusst sein, dass ein Pakt mit dem Herrn der Fliegen nichts Gutes mit sich bringt.“ Lees Mundwinkel zuckte kurz. „Herr der Fliegen?“, fragte sie amüsiert. Frank seufzte. „‘Tschuldigung“, entgegnete er. „Ich hab eben das Buch im Regal stehen sehen und – HEY, Kowalski! Lass das gefälligst!“ Der Angesprochene zuckte bei diesem erhobenen Tonfall zusammen und zog schnell seine Schnauze aus dem Werkzeugkasten. Mit seinen großen, braunen Augen schien er Frank daraufhin um Verzeihung anzubetteln, während er zaghaft mit seinem buschigen Schwanz wedelte. Lee konnte sich bei diesem Anblick eines Grinsens nicht erwehren. Kowalski beherrschte die Unschulds-Nummer wirklich absolut perfekt. Er war zwar mit seiner beeindruckenden Größe, seinem dunklen Fell und seinen stattlichen Gebiss, mit dem er mühelos Knochen zerbeißen konnte, nicht unbedingt der typische Kuschelhund – sondern vielmehr ein gefährlicher Dobermann-Verschnitt –, aber trotzdem schaffte er es meist mit einem einzigen Blick, alle Anwesenden um den Finger zu wickeln und urplötzlich wie ein kleiner und absolut schuldloser Welpe zu wirken, der keiner Fliege etwas zuleide tat. Ebenso Frank konnte ihm nie lange böse sein, sosehr ihm auch eigentlich klar war, dass das Ganze bloß eine Masche des Hundes war, um nicht der Bestrafung anheimzufallen. Aber auch dieses Mal schmolz seine harte Miene fast augenblicklich dahin, ehe er zu Kowalski trat und ihm den Kopf tätschelte. „Du bist echt ein großer Teddybär, Frankie-Boy!“, entgegnete Lee belustigt. Frank räusperte sich vernehmlich, ließ von dem Hund ab und bemühte sich um eine neutral-gelassene Miene, die ihn als harten und unerbittlichen Mann kennzeichnete, der noch nie etwas von Mitleid und Nächstenliebe gehört hatte. Kowalski ließ sich davon aber nicht beirren und stupste den Mann neben sich auffordernd an, was Frank stolze fünf Sekunden ignorieren konnte, ehe er erneut nachgab und den Hund wieder zu kraulen begann. Lee lächelte leicht und beobachtete die zwei eine Zeit lang. Auf den ersten Blick mochte es ungewöhnlich erscheinen, dass eine Gruppe wie die ihre Hunde mit sich führte, doch das alles erfüllte einen gewissen Zweck. Nicht nur, dass diese Tiere loyal gegenüber ihren Besitzern waren und selbst Mörder lieben konnten wie keinen anderen, waren sie außerdem darüber hinaus ausgesprochen sensibel, was das Übernatürliche anging. Sie spürten merkwürdige Schwankungen schon von weitem, was in der derzeitigen Lage sehr gelegen kam. Ein Dämon konnte sich ihnen zumindest nicht unbemerkt nähern. „Nun hau aber ab“, murmelte Frank nach einer paar Minuten, als er Kowalski sanft von sich wegdrückte. Der Hund war zwar erst nicht gewillt, auf seine Streicheleinheiten zu verzichten, aber als Frank seiner Forderung noch mehr Nachdruck verlieh, fügte sich Kowalski und trottete davon. Lee schaute ihm nach, wie er hinter der nächsten Biegung ins Haus verschwand, ehe sie mit einem kräftigen Ruck den Kofferraum des Impalas wieder schloss und Frank damit zum zusammenzucken brachte. „Kannst du einen nicht vorwarnen?“, zischte er. „Schärf deine Sinne“, entgegnete Lee unbeeindruckt. Frank antwortete hierauf nicht, sondern richtete seinen Blick stattdessen auf den Wagen. „Eine Sackgasse?“ „Absolut unbrauchbar“, meinte Lee nickend. „Waffen, Bonbonpapiere, ein Plastiksoldat, der im Aschenbecher eingekeilt ist – nichts, was uns weiterhilft.“ „Dann sollten wir die Winchester-Jungs einfach mal aufsuchen“, sagte Frank daraufhin, während er sich mit der Hand durch das dichte Haar fuhr und das Auto weiterhin ansah, wohl in der Hoffnung, schon bald eine Spritztour damit machen zu können. Lee musterte ihn derweil nachdenklich. „Du bist überzeugt, dass die beiden brave und ehrbare Knaben sind, nicht wahr?“ Frank grinste schief. „Sie haben den Dämon aus dem Haus vertrieben und einen zweiten gefangengenommen. Warum sollten sie das tun, wenn sie mit diesen Mistkerlen zusammenarbeiten?“ Lee zuckte mit ihrem Schultern. „Vielleicht ziehen sie eine Show ab.“ Frank wollte im ersten Augenblick vehement widersprechen, doch schließlich hielt er inne und ließ sich ihre Worte gewissenhaft durch den Kopf gehen. „Möglicherweise“, gab er letztlich zögerlich zu. „Es wäre wirklich kein schlechter Plan“, fuhr Lee fort. „Uns in Sicherheit zu wiegen, damit wir uns ihnen öffnen und sie uns dann in Ruhe im Schlaf die Kehlen aufschlitzen können.“ Lee schnaubte. „Nenn mich von mir aus übervorsichtig, aber ich will dieses Risiko gewiss nicht eingehen. Wir müssen uns erst absolut und hundertprozentig sicher sein, dass die Jungs in Ordnung sind, ehe wir uns ihnen auch nur ansatzweise nähern.“ Frank biss gedankenverloren auf seiner Unterlippe herum, bevor er schließlich zaghaft nickte. Sein Gefühl schien ihm offenbar mitzuteilen, dass die beiden ehrliche und vertrauensvolle Jäger waren, die in keinster Weise mit Lucifer in Verbindung standen, aber nichtsdestotrotz konnte er Lees Argumentation nicht einfach ohne weiteres abschmettern. Somit fügte er sich ihrem Urteil, auch wenn man ihm deutlich ansah, dass er eine weitere und noch intensivere Untersuchung der Winchesters für unnötig hielt. Auch Lee war sich unsicher, ob eine Verzögerung nicht eher ins Gegenteil umschlagen und ihnen zum Nachteil gereichen würde, doch ihrer aller Sicherheit war ihr wichtiger. Sie war schon einmal in ihrem Leben fahrlässig gewesen und hatte es kurz darauf bitter bezahlen müssen. Das sollte auf keinen Fall ein zweites Mal geschehen. Kapitel 6: VI ------------- „ICH TÖTE SIE!!!! Ich bringe sie um! Ich hack ihr den Kopf ab und brat ihn über ‘nem Lagerfeuer! Ich ramm ihr ‘nen Pflock ins Herz! Ich schnall sie auf ‘ne Eiserne Jungfrau und quäle sie so lange, bis sie vor Schmerzen wahnsinnig wird!“ Dean war kurz davor, zu explodieren. Wie ein gereizter Löwe streifte er im Zimmer auf und ab und redete sich selbst immer mehr in Rage, während sich sein Kopf rot verfärbte und er seine Fäuste derart ballte, dass man fast schon befürchten musste, im nächsten Moment Knochen knacken zu hören. „Sie soll LEIDEN!“, zischte er aufgebracht. „Sie soll leiden, wie noch nie zuvor ein Wesen in der Geschichte der Menschheit gelitten hat!“ Sam beobachtete seinen über alle Maßen wütenden Bruder schon seit mindestens fünf Minuten, die ganze Zeit in Sorge, dass Dean in seinen jungen Jahren ein Herzinfarkt ereilte. Sein Blutdruck musste zumindest sicherlich längst alle Skalen sprengen. Dennoch wagte es Sam nicht so recht, zu interagieren und Dean in seiner zornigen Rede zu unterbrechen. Der Ältere war zurzeit dermaßen geladen, dass er wahrscheinlich nicht mal vor Mord zurückgeschreckt hätte, sollte sich jemand tatsächlich erdreisten, ihn anzusprechen. Er war wie ein Vulkan, bei dem ein kleiner Anstoß gereicht hätte, um ihn völlig ausbrechen zu lassen. Sam hatte im Grunde auch nichts anderes erwartet. Der Impala war ihm mitunter das wichtigste überhaupt und ihn nun in der Hand von Vampiren zu wissen, musste ihn zwangsläufig schier wahnsinnig machen. Eigentlich kam es fast schon einem Wunder gleich, dass Dean bisher noch nicht aus lauter Frustration das ganze Zimmer auseinandergenommen hatte. Aber was nicht war, konnte ja noch werden. „Dean“, vernahm Sam plötzlich neben Deans leidenschaftlicher Wuttirade Castiels ruhige Stimme. Der Engel hatte die ganze Zeit über alles kommentarlos beobachtet und nicht den Eindruck erweckt, als würde er sich je im Leben einmischen wollen. Stattdessen hatte er fast schon unbeteiligt gewirkt, als würde ihn das alles nicht das Geringste angehen. Als wäre es ihm vollkommen einerlei, ob nun ein Auto, eine Brieftasche oder eine Topfpflanze gestohlen worden war. Im Grunde war es ihm vermutlich auch sicherlich ziemlich gleich, da er als Engel keinerlei menschliche Güter besaß, an die er sein Herzblut gehängt und somit ihren eventuellen Verlust tief betrauert hätte. Wahrscheinlich verstand er nicht mal ansatzweise, warum sich Dean wegen etwas, das man sich eigentlich grundsätzlich und rein pragmatisch gesehen so gut wie überall wieder neu anschaffen konnte, derart aufregte. „Dean!“, versuchte Castiel es erneut, als der Angesprochene nicht reagierte, sondern munter fortfuhr, allerlei mittelalterliche Foltermethoden aufzuzählen, die er liebend gern an der Vampirin ausprobiert hätte. Nun aber hielt der Winchester inne und warf dem Engel einen finsteren Blick zu. „Dean mich nicht an!“, beschwerte er sich. „Ich weiß genau, was du denkst, Cas. Aber es ist mir egal, ob du es idiotisch findest, dass ich wegen einem Haufen Blech so einen Aufstand mache!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte abfällig. „Mir bedeutet dieser Haufen Blech eine Menge. Und wenn du weißt, was gut für dich ist, solltest du jetzt lieber nichts sagen, was du später vielleicht bereuen wirst.“ Castiel runzelte seine Stirn, erwiderte hierauf jedoch nichts. Wahrscheinlich war ihm dieser menschliche Ausbruch ein absolutes Rätsel und er wollte auf keinen Fall riskieren, aufgrund eines falschen Wortes ermordet zu werden. „Und anstatt mich hier mit deinen großen Kulleraugen anzuschauen, solltest du dich besser nützlich machen“, meinte Dean zähneknirschend. „Beweg deinen Engelhintern und such gefälligst mein Baby!“ Castiel verengte seine Augen leicht zu Schlitzen, als er Dean fragend musterte. „Suchen?“ „Ja natürlich!“, ereiferte sich dieser. „Du kannst Menschen am anderen Ende der Welt finden, also …“ „Menschen, Dean“, erklärte Castiel mit Nachdruck. „Wenn ich deinen Wagen auf diese Weise aufspüren könnte, müsste ich nicht jedes Mal vorher anrufen, um mich zu erkundigen, wo ihr euch gerade befindet.“ Dies war ein Argument, dem Dean nichts entgegenzubringen vermochte. Somit sog er bloß zischend Luft ein und musste offensichtlich all seine Selbstbeherrschung mobilisieren, um nicht auf irgendetwas einzuschlagen. Castiel war derweil einen Schritt zurückgetreten, wohl im Glauben, dass er unter Umständen Deans nächstes Opfer werden könnte. Sam fuhr sich seufzend durch die Haare und nahm all seinen Mut zusammen, als er entgegnete: „Vielleicht solltest du dich erst mal beruhigen, Dean.“ „Beruhigen?“, fauchte der Angesprochene daraufhin aufgebracht, als wäre allein der Vorschlag eine Todsünde sondergleichen. „Mein Baby ist von irgendwelchen dreckigen Vampiren entführt worden und das ist alles nur deine Schuld!“ „Dean …“ „Du hast den Wagen verloren!“, zischte sein Bruder. „Verloren?“ Sam zog seine Stirn kraus. Das klang fast so, als wäre ihm der Impala aus Versehen aus der Hosentasche gefallen. „Hör mal …“ Doch Dean machte nicht den Eindruck, als hätte er momentan sehr viel Lust, irgendwem zu lauschen. Stattdessen fluchte er wieder vor sich her, als wäre er ein Verrückter im Irrenhaus, der Selbstgespräche führte. Und Sam wurde es nun wirklich zu viel! „Jetzt komm mal runter, Dean!“, schmetterte er seinem Bruder entgegen, der daraufhin sofort verstummte und sein Gegenüber mit einem überraschten Gesichtsausdruck musterte. „Ich weiß, dass dich das alles furchtbar aufregt, und ich kann das ja auch nachvollziehen. Aber es bringt nichts, wenn du Cas und mich hier anschreist. Wir können nichts dafür.“ Dean öffnete hierauf seinen Mund und wollte offenbar zu einem Gegenkommentar ansetzen, aber Sam kam ihm zuvor: „Und jetzt sag nicht, ich hätte den Impala verloren. Ich hab ihn auf einem amtlich zugelassenen Parkplatz abgestellt und abgeschlossen. Was hättest du denn anders gemacht?“ Dean knirschte mit den Zähnen. „Ich hätte …“, begann er, brach aber sofort ab, als ihm klar wurde, dass auch er es nicht anders gehandhabt hätte. „Also hör jetzt gefälligst auf, hier verrückt zu spielen, und hilf uns lieber, logisch an das Ganze heranzugehen“, fuhr Sam fort. „Du willst doch deinen Wagen so schnell wie möglich zurück, oder etwa nicht?“ Dean schnaufte wie ein Marathonläufer, ehe er einen erstklassischen Schmollmund zog und fast schon kleinlaut entgegnete: „Ja natürlich.“ „Dann lass uns eins und eins zusammenzählen“, ermunterte Sam seinen Bruder, froh darüber, dass er offenbar langsam zur Ruhe kam. „Was wissen wir bisher über Team H?“ „Ebenso wie wir sind sie hinter den Dämonen her“, fing Castiel mit der Aufzählung an. „Aber anscheinend scheuen sie sich davor, in engeren Kontakt mit uns zu treten.“ Sam nickte bestätigend. „Es sieht so aus, als wollten sie uns zuerst auf Herz und Nieren überprüfen. Deswegen haben sie unser Zimmer durchwühlt und den Wagen geklaut. Sie wollen sichergehen, dass …“ Er hielt inne und runzelte die Stirn. „Na ja, dass wir Jäger sind, müsste ihnen ja inzwischen schon klar sein. Darum kann es wohl nicht gehen …“ „Sie wollen herausfinden, ob ihr für den Teufel arbeitet“, sagte Castiel in einem viel zu gelassenen Tonfall. Sam zog sich bei diesen Worten unweigerlich der Magen zusammen. Es stresste ihn ungemein, dass so viele sie des Verrats bezichtigten. Kaum jemand kannte jedoch die ganze Geschichte, sondern bloß einzelne Bruchstücke, aus denen sie ihre eigenen Konsequenzen zogen. So war es auch vermutlich bei den Vampiren. Sie hatten gehört – ob nun gerüchteweise oder vielleicht sogar aus erster Hand –, dass Sam Lucifer befreit hatte, und waren nun am rätseln, ob dies mit Absicht geschehen war oder nicht. Und Sam konnte ihnen ihre Vorsicht in keinster Weise verübeln. Er selbst hätte wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt. „Das heißt, sie haben uns genau im Blick“, schlussfolgerte Sam. „Sie wissen, wo wir wohnen, sie wissen, wo wir überall hingefahren sind.“ „Und wir haben nicht den blassesten Schimmer, wo sich unsere tollen Freunde aufhalten“, meinte Dean eindeutig verbittert. Er massierte sich die Hände, offenbar immer noch bemüht, seine Fassung nicht zu verlieren, ehe ihm schließlich ein Gedanke kam und er sich an den Engel wandte. „Kannst du da nicht was regeln? Ich mein‘, gut, du findest keine Autos, aber …“ „Es ist kompliziert, Dean“, unterbrach ihn Castiel mitten im Satz. „Seit ich vom Himmel abgeschnitten wurde, ist meine Macht beträchtlich gesunken.“ Dean zog seine Mundwinkel nach unten. „Das heißt, du kannst nicht einfach auf Geratewohl ein paar Vampire erschnüffeln?“ Castiel wirkte angesichts dieser Wortwahl ein wenig verwirrt, schließlich aber schüttelte er den Kopf. „Nicht, wenn ich nicht genau weiß, wonach ich suche.“ Dean wirkte sichtlich enttäuscht, sagte aber nichts. Stattdessen wippte er ungeduldig mit seinem Bein und schien zu überlegen, ob es nun vielleicht nicht doch an der Zeit war, irgendetwas zu zerstören. Sam war währenddessen ans Fenster getreten und ließ seinen Blick über die mäßig befahrene Straße schweifen. „Denkt ihr, sie beobachten uns? In diesem Moment?“ Dean hob alarmiert seinen Blick. „Glaubst du?“ Sam zuckte mit den Schultern. „Sie haben es zumindest getan. Möglicherweise sind sie immer noch dort draußen und haben uns in ihrem Visier.“ Dean begab sich ans hintere Fenster und schaute aufmerksam nach draußen. „Es ist helllichter Tag“, erwiderte er zögernd. „Wir wissen, dass Tageslicht ihnen nichts ausmacht“, erwiderte Sam. Im Gegensatz zum eher allgemeinen Volksglauben verbrannten – oder glitzerten – Vampire nicht im direkten Sonnenlicht, sie mieden es in den meisten Fällen aber auch. Nichtsdestotrotz war es nicht völlig ausgeschlossen, dass sie dort draußen irgendwo lauerten und jeden Schritt der Winchesters verfolgten. Aufmerksam musterte Sam die Straße. Er bemerkte auf den ersten Blick absolut nichts Verdächtiges, aber das musste noch lange nichts heißen. Jemand, der geübt darin war, sich im Dunkeln zu halten, würde wohl kaum lächelnd auf dem Bürgersteig stehen und ihnen eine Kusshand zuwerfen. „Das gefällt mir nicht“, meinte Dean, offenbar ein Schaudern unterdrückend. „Mir auch nicht“, stimmte Sam zu. „Aber wir sollten sie gewähren lassen“, fügte er noch hinzu, als Dean schon drauf und dran war, Castiel anzuhalten, mal die nähere Umgebung zu untersuchen. „Was?“, hakte sein Bruder daraufhin erstaunt nach. „Sie halten uns für die Bösen, Dean“, erinnerte Sam ihn. „Und dass nicht etwa, weil wir Jäger sind und Kreaturen wie sie normalerweise töten. Nein, sie mutmaßen, dass wir Teufelsanbeter oder so etwas ähnliches sein könnten. Und wenn wir jetzt da rausstürmen und sie aus dem nächsten Gebüsch zerren, werfen wir kein besonders gutes Licht auf uns.“ Dean schnaubte und machte damit mehr als deutlich, dass es ihm herzlich egal war, was Vampire über ihn denken mochten. „Du willst also tatsächlich die Gute-Miene-zum-bösen-Spiel-Masche abziehen? Ist das echt dein Ernst?“ Sam nickte, wenn auch recht widerwillig. „Sie könnten wertvolle Verbündete sein, wenn sie uns vertrauen. Na ja, soweit Wesen wie sie Jägern wie uns vertrauen können, versteht sich.“ „Aber –“ „Wir sollten sie nicht unnötig verprellen, Dean“, entgegnete Sam. „Bisher ist ja nichts Dramatisches passiert.“ Sam bereute seine Worte sofort, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Er sah, wie sein Bruder empört nach Luft schnappte und bloß verständnislos den Kopf schüttelte, anscheinend über alle Maßen schockiert, dass Sam das Schicksal des Impalas als dermaßen unwichtig betrachtete. „Natürlich abgesehen von dieser einen Sache“, meinte der Jüngere darauf hastig. „Es ist selbstverständlich unverzeihlich, dass sie den Wagen gestohlen haben. Sie sollten dafür ewig in der Hölle schmoren.“ Dean hob eine Augenbraue. Man merkte sofort, dass er Sams Aussage nicht für voll nahm und den einzigen Sinn und Zweck dahinter augenblicklich erkannte: zu verhindern, dass Dean erneut ausrastete. „Ich will ja nur sagen, dass wir trotz alledem irgendwie auf derselben Seite stehen“, fuhr Sam mit seinen Ausführungen fort. „Harte Zeiten erfordern nun mal harte Maßnahmen. Und wenn das bedeutet, dass wir uns für die Möglichkeit, Lucifer ein Bein zu stellen, eine Zeit lang von Vampiren beobachten lassen müssen, dann, verdammt nochmal, lassen wir das einfach über uns ergehen! Solange sie kein feindseliges Verhalten an den Tag legen, ist ja alles in Ordnung.“ Deans Miene blieb weiterhin düster, während er die Arme vor der Brust verschränkte und in seinem Hirn wahrscheinlich in diesem Augenblick nach einem unumstößlichen Gegenargument forschte. „Wir sollten einfach ihre Zweifel zerstreuen“, meinte Sam nach einer Weile des Schweigens, während der er ohne Unterlass von Dean angefunkelt wurde und Castiel ans Fenster getreten war, um die Gegend zu kontrollieren und nach etwaigen Untoten Ausschau zu halten. „Und wie, Herr Besserwisser?“, erkundigte sich Dean zähneknirschend. „Wir machen einfach das, weswegen wir hierhergekommen sind: Wir gehen auf Dämonenjagd!“ Dean runzelte hierauf die Stirn und auch Castiel wandte sich wieder dem Geschehen im Inneren des Zimmers zu. „Wenn Team H sieht, dass wir die Dämonen jagen, anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten, dürfte sie das vielleicht überzeugen“, meinte Sam schulterzuckend. „So oder so ist das eh unser vorderstes Ziel, nicht wahr? Deswegen sind wir überhaupt hier.“ Dean nickte grimmig. Für diesen Vorschlag schien er ausnahmsweise offen zu sein. Wahrscheinlich malte er sich bereits aus, wie er all seine Wut an den Dämonen auslassen konnte. „Und wie gedenkst du, vorzugehen?“, erkundigte sich Castiel. „Ich hab ja gesagt, dass ich vielleicht eine Spur gefunden habe“, erklärte Sam. „Keine Ahnung, ob es was Brauchbares ist oder bloß Zufall, aber …“ Er verstummte und sah einen Moment in die Runde, ehe er wieder den Stadtplan herauskramte und ihn auf dem Tisch ausbreitete. „Die Dämonen greifen nach einem Muster an und das sicherlich aus einem bestimmten Zweck. Bei der letzten Adresse haben wir sie an einem Massaker hindern können, aber ich bin überzeugt, dass sie dorthin zurückkehren werden.“ Dean straffte seine Schultern. „Wirklich?“ „Ihr Vorgehen hat einen Grund“, meinte Sam erneut mit Nachdruck. „Vielleicht irgendeine Art Ritual oder etwas in der Art. Zumindest glaube ich nicht, dass sie diesen speziellen Punkt einfach außer acht lassen werden, nur weil wir ihnen in die Quere gekommen sind. Unter Umständen werden sie sich was länger bedeckt halten und erst mal abwarten, doch früher oder später werden sie sicher wieder dort zuschlagen.“ Castiel verzog keine Miene, man merkte ihm aber deutlich an, dass er Sams Vermutung zugeneigt war. Vielleicht hatte er sogar bereits selbst über diese Möglichkeit nachgedacht. Dean hingegen wirkte alles andere als begeistert. Seine Mundwinkel sackten sofort nach unten, während er sich wahrscheinlich vorstellte, wie er erneut tagelang in einem Auto feststeckte – und dieses Mal zu allem Übel nicht mal im Impala – und eine unerträgliche langweilige Observierung ertragen musste. „Wirklich?“, fragte er schließlich, sein Tonfall fast schon verzweifelt. „Du verlangst das tatsächlich von mir? Nach allem, was ich durchgemacht habe?“ „Ich hab da noch was anderes entdeckt“, sagte Sam hastig, woraufhin sich Deans Miene automatisch erhellte. Ihm schien es vollkommen gleich zu sein, worum es sich überhaupt handelte – selbst wenn Sam von ihm verlangt hätte, eine Mülldeponie zu durchwühlen, oder mal eben im Mississippi tauchen zu gehen und nach einer Stecknadel zu suchen –, solange er nicht wieder eine Observation erdulden musste. „Es ist mir erst im Nachhinein aufgefallen“, fuhr der Jüngere fort. „Die Dämonen scheinen vor ihrem Angriff meist ein Mitglied der Familie zu besetzen, die sie zu töten gedenken. Wahrscheinlich weil sie auf diese Art einfacher ins Haus kommen. Außerdem habe ich auch mal die zahlreichen Vermissten genauer unter die Lupe genommen.“ „Und?“, hakte Dean interessiert nach. „Die 2nd Street“, erklärte Sam feierlich. Dean hob daraufhin eine Augenbraue und musterte seinen Bruder argwöhnisch. „Ja und? Was soll mit der 2nd Street sein?“ „Hank Miller, Tims Vater, ging mit dem Hund spazieren und kam zwanzig Minuten später völlig verändert zurück, ganz offensichtlich von einem Dämon besessen. Den Hund fand man wenig später auf der 2nd Street, wie er ängstlich in einem Gebüsch kauerte, als hätte er den Teufel persönlich gesehen. Arthur Cogan – der Dämon, der uns davongelaufen ist – kam von der Arbeit zurück und auch er fuhr mindestens zwei Blocks die 2nd Street entlang. Dieses Muster ist ebenso bei weiteren Vermissten zu bemerken. Viele passierten die Straße täglich oder lebten ganz in der Nähe.“ Dean lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ diese Worte erst einige Augenblicke sacken. „Du denkst, dort ist irgendwo die Dämonen-Hauptzentrale?“ Sam nickte zustimmend. „Ich habe mir sagen lassen, dass es ganz in der Nähe des Figge Art Museums ein kleines Grundstück mit einem alten Haus gibt, das schon seit Jahren leer steht. Und wie bei sowas nicht gerade unüblich, sind die typischen Geistergeschichten über dieses Gebäude im Umlauf. Ob was Wahres dran ist, kann ich nicht sagen, aber mehrere Augenzeugen haben ausgesagt, dass sie in den letzten Wochen öfter Licht im Inneren brennen gesehen haben.“ Dean schnalzte mit der Zunge. „Das könnten auch irgendwelche Obdachlose sein, die es sich da gemütlich machen.“ Sam hob die Schultern. „Vielleicht. Aber ebenso gut ist es möglich, dass die Dämonen sich dort verschanzen. Es würde zumindest sicher nicht schaden, mal vorbeizuschauen und –“ Er verstummte abrupt, als plötzlich Castiel ohne jede Vorwarnung verschwand. Im ersten Moment vollkommen aus dem Konzept gebracht, starrte Sam auf die Stelle, wo keine Sekunde zuvor der Engel noch gestanden hatte, und blinzelte verdattert. Mochte er sich zwar langsam an Castiels zum Teil recht seltsamen Macken gewöhnt haben, konnte er einen doch immer wieder überraschen. Und auch, wenn es typisch für den Engel war, sich mitten in einem Gespräch ohne ein Wort des Abschieds unvermittelt in Luft aufzulösen, hatte Sam immer noch Schwierigkeiten, sich damit anzufreunden. Dean hingegen schien in keinster Weise erstaunt. Er stand Castiel noch näher, als Sam es tat, und hatte vermutlich mit nichts anderem gerechnet. „Entweder fand Cas dein Gelaber schrecklich langweilig und er hat sich in die nächste Bar gebeamt, um sich einen hinter die Binde zu kippen, oder aber er untersucht dein kleines Geisterhaus.“ Dean schwieg kurz, ehe sich die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen zeigte. „Ich tippe mal aufs Zweite, obwohl Ersteres irgendwie lustiger wär.“ Sam konnte hierauf nur seufzen, ehe er sich zu seinem Bett begab und auf der Matratze niederließ. Der Tag war anstrengend und kräfteraubend gewesen, sodass ein bisschen Entspannung mehr als willkommen gewesen wäre. Nicht nur die Befragung der Zeugen, die sich unglaublich lange hingezogen hatte, auch der Verlust des Impalas und der damit verbundende Schock hatten Sam ganz schön mitgenommen. Sollte Castiel bei dem Haus wirklich fündig werden, war der Winchester sehr dafür, erst einmal eine Portion Schlaf zu genießen, bevor sie aufbrachen. Dean würde das vermutlich nicht recht sein, da er so schnell wie möglich seinen Wagen finden wollte und wahrscheinlich an nicht mal so was ähnliches wie Ruhe überhaupt denken konnte, aber Sam würde ihm im Notfall einfach einen Knüppel über den Schädel ziehen, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Mir gefällt das alles nicht“, erhob Dean nach einigen Minuten wieder seine Stimme. Er saß fast schon verkrampft auf seinem Stuhl, knete sich die Hände und kämpfte wohl immer noch darum, seine Beherrschung nicht zu verlieren. „Ich weiß, Dean“, antwortete Sam seufzend. „Es geht hier nicht nur um den Impala, Sammy!“, unterstrich Dean daraufhin mit Nachdruck. „Klar, ich bin echt angepisst deswegen und würde am liebsten jemanden den Kopf abschrauben, Salz in die Wunde streuen, den Körper in winzig kleine Stückchen zerhacken und dann …“ Er hielt inne und räusperte sich vernehmlich. „Es geht darum, dass wir tatsächlich darüber nachdenken, uns mit Vampiren zu verbünden! Mit Vampiren, Sam!“ „Ich weiß, Dean“, meinte sein Bruder erneut. Ihm missfiel diese Vorstellung auch sehr, sich auf Geschöpfe einzulassen, denen man eigentlich nur bedingt vertrauen konnte. Aber wenn der Weltuntergang kurz bevorstand, durfte man einfach nicht wählerisch sein. „Es könnte uns den Kragen kosten“, erklärte Dean ernst. „Es könnte uns aber unter Umständen auch retten“, entgegnete Sam. „Zumal wir nicht mal wissen, ob die Vampire überhaupt mit uns zusammenarbeiten wollen. Sie sind ja zumindest bisher nicht besonders kontaktfreudig gewesen. Vielleicht überprüfen sie nur, ob wir keine Gefahr darstellen, und lassen uns dann links liegen.“ Dean hob eine Augenbraue. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?“ Sam legte seinen Kopf schief. „Nicht wirklich.“ Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Man hätte vermutlich eine Stecknadel fallen hören, weswegen sich Sam unweigerlich fragte, was wohl die Vampire denken mochten, die sie vielleicht in diesem Augenblick beobachteten und bestimmt nicht so recht wussten, wie man die derzeitige Szene einzuschätzen hatte. Bevor Sam jedoch den Drang nachgab, erneut zum Fenster zu treten, tauchte plötzlich Castiel wie aus dem Nichts wieder in ihrem Zimmer auf. „Hey, Cas“, begrüßte ihn Dean völlig unbeeindruckt. „Und, was entdeckt? Wimmelt das Haus nur so von Dämonen?“ Castiel machte fast den Eindruck, als würde er tief Luft holen, ehe er völlig ruhig sagte: „Das habe ich nicht sehen können.“ Sam fluchte nach diesen Worten leise. Er hatte sosehr darauf gehofft, dass diese Spur sie den mörderischen Dämonen sehr viel näher bringen würde. Auch Dean zeigte seine Enttäuschung darüber, dass er niemand verprügeln konnte, offen und mehr als deutlich. „Also ’ne Sackgasse? Irgendwie nicht sehr überraschend.“ „Ihr versteht nicht“, erwiderte Castiel. „Ich war nicht in der Lage, das Grundstück zu betreten. Es wird durch henochische Siegel abgeschirmt.“ Sam hob alarmiert seinen Blick und sah kurz zu Dean, dessen Augen sich leicht weiteten. Offenbar hatten sie doch den Jackpot geknackt! „Na, das klingt sehr verdächtig, meinst du nicht auch, Sammy?“, hakte Dean nach, in seinen Augen ein angriffslustiges Funkeln. Es hätte Sam nicht verwundert, wenn er bereits in der nächsten Sekunde eine Flinte gegriffen, nach draußen gestürmt und zur Not auch zu Fuß zur 2nd Street gerannt wäre. Sam nickte derweil bestätigend. „Das sollten wir uns auf jeden Fall näher ansehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)