Drei Schritte von Psychopath (um jemanden zum Fremdgehen zu bewegen) ================================================================================ Kapitel 3: Schritt 2: Um den Finger wickeln ------------------------------------------- Direkte Konfrontation schien mir am sinnvollsten, deshalb wartete ich, bis Ray nichts sagte oder Luft holte, bis ich ihn fragte: „Wieso brauchst du unbedingt einen guten Grund, um jemanden zu verlassen?“ „Ich will niemandem wehtun.“ „Stattdessen bleibst du mit dieser Person zusammen?“ „Ja, bis ich einen guten Grund habe.“ „Was wäre ein guter Grund?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, blieb stehen und sah in den Himmel. „Keine Ahnung.“ „Das heißt du würdest warten, bis sich etwas ergibt?“ „Ich denke schon.“ „Was würdest du denken, wenn ich dir sagen würde, dass du deinen Freund für mich verlassen solltest?“ Seinen Blick in dem Moment konnte ich nicht wirklich deuten. Hielt er mich für verrückt, suchte er nach der geheimen Botschaft, dass ich etwas für ihn empfand oder versuchte er herauszufinden, ob ich ihn anlog? Egal was er dachte, er sah mich weiterhin genau so an, antwortete aber nicht. Wer schon einmal nach einer halben Minute immer noch keine Antwort bekommen hat und so ungeduldig ist wie ich, kann nachvollziehen, dass mich dieser Moment fürchterlich nervte. Dadurch verstimmt, fragte ich in einem - für meinen Plan - viel zu genervten Tonfall: „Hast du mir zugehört?“ „Ja schon…Aber ich frage mich, was ich von deiner Frage halten soll.“ „Sie zu beantworten, wäre schon mal ein guter Anfang.“ „Ich habe dir so viele Komplimente gemacht, dass ich verstehen würde, wenn du glaubst, ich stünde auf dich…Aber andererseits scheinst du mir der Typ Mensch zu sein, der die Gefühle anderer nicht ernst nimmt. Dann glaube ich aber wiederum, dass du lieb sein könntest, wenn du mich erst einmal richtig kennen würdest…Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll. Einerseits: Klar wieso nicht, schließlich bist du wunderschön und einzigartig. Andererseits glaube ich nicht, dass du es ernst meinst, sondern so etwas nur aus der Laune heraus fragen würdest.“ So ganz Unrecht hatte er nicht. Wenn man bedachte, dass ich ihn höchstens seit 5 Stunden kannte, konnte man denken, dass die Frage nicht ernst war. Trotzdem! Wenn er sich solche Gedanken machte - egal ob plausibel oder nicht -, dann würde Schritt 2 scheitern. Wie sollte ich ihn um den Finger wickeln, wenn er Zweifel daran hatte, dass ich es ernst meinte? Was aber ganz schlimm war, war die Tatsache, dass er es geschafft hatte, mein schlechtes Gewissen zu wecken. Offenbar war er nicht abgeneigt von mir, aber ahnte, dass ich bloß meinen Spaß suchte. Egoistisch zu sein, hatte mich bisher nie gestört. Wieso machte es mir also etwas aus, wenn Ray schlecht über mich dachte oder denken würde? „Und wenn ich dir die gleiche Frage stellen würde und vorher zweifellos gezeigt habe, dass ich es ernst meine, was würdest du dann antworten?“, fragte ich, einfach nur um zu wissen, ob ich zumindest seinem Beuteschema entsprach. Es wäre schließlich verschwendete Zeit, wenn ich versuchte, mich an jemanden heranzumachen, der gar kein Interesse an mir verspürte. „Naja…“, antwortete Ray und stand immer noch mit verschränkten Armen und Blick in die Luft vor mir, „Dann wäre es möglich. Da stellt sich mir nur die Frage, wie du es schaffen willst, mich davon zu überzeugen, dass du mich nicht verscheißerst?“ „Ich denke, mir würde etwas einfallen.“ „Also war es wirklich nur eine theoretische Frage?“ Klang er etwa enttäuscht oder bildete ich mir das nur ein; man malt sich schließlich alles Mögliche aus, wenn man ein Ziel verfolgt. „Kommt ganz drauf an, was du antworten würdest.“, sagte ich schließlich und schenkte ihm noch ein Lächeln, das eigentlich selten war. Und immer noch sah Ray mich genau so an, wie schon die letzten Minuten und noch immer, machte es mich verrückt, dass ich nicht wusste, was er dachte! Doch er ließ die Arme sinken und grinste mich an. „Dann lass dir mal etwas Glaubwürdiges einfallen. Komm wir gehen weiter oder wolltest du hier stehen bleiben?“, mit diesen Worten ging er freudestrahlend an mir vorbei. Schritt 2 war also nicht völlig verloren! Besonders spontan war ich nicht, deshalb fiel mir natürlich nicht sofort ein, was ich tun könnte, um ihn zu überzeugen. Daher blieb ich beim harmlosen Reden und setzte Schritt 2 wieder einmal auf Eis. „Du bist bestimmt wählerisch.“, sagte Ray irgendwann, „Ich glaube nämlich nicht, dass dir vieles egal ist.“ „Zum Beispiel?“ „Hm…Beim Eisessen nimmst du weder Vanille noch Schokolade, sondern ausgefallene Dinge wie Himmelblau und Kinderschokolade. Im Restaurant sagt du der Kellnerin, sie solle gewisse Dinge weglassen, dafür aber andere hinzufügen.“ Natürlich war mir das nie aufgefallen. Wie denn auch, wenn es mir doch wie das Normalste der Welt vorkam. „Wie sieht es mit deiner Männerwahl aus?“, fragte Ray und erneut wusste ich nicht, ob er versuchte mit mir zu flirten oder bloß eine Frage stellte, um sich weiterhin zu unterhalten. „Ich bin wählerisch.“ „Worauf achtest du?“ „Aussehen, Intelligenz, Stimme, Zähne, Symmetrie, Körpergröße“ (hatte ich das tatsächlich mit „Körper“ näher definiert, um Missverständnisse auszuschließen?!) „Hände und Charakter.“ „Das sind aber viele Aspekte, auf die du achtest.“ „Tja.“ „Du hattest bestimmt noch nie jemanden, der alles erfüllt hat oder?“ „Ich hatte bisher überhaupt niemanden. Wenn nicht alle 8 Faktoren vorliegen, kann ich mit dieser Person nichts anfangen.“ „Dir ist aber klar, dass du auch nicht alle deine Voraussetzungen erfüllst?“ „Sicher.“ „Und trotzdem erwartest du, dass jemand perfektes dich liebt?“ „Wieso auch nicht?“ Schweigend gingen wir weiter und wieder einmal hatte ich das Gefühl, mein Egoismus wäre ein Hindernis, Ray für mich zu gewinnen. Jetzt, wo ich alle meine Voraussetzungen aufgezählt hatte, konnte ich nicht anders, als die Checkliste bei Ray durchzuführen: Aussehend: sehr gut Intelligenz: wahrscheinlich gut - muss noch in Erfahrung gebracht werden Stimme: nett und angenehm Zähne: bisher hab ich ihm nicht in den Mund geguckt Symmetrie: keine schiefe Nase oder schielender Blick Körpergröße: könnte größer sein, muss aber nicht Hände: perfekt! Charakter: offen, ehrlich, freundlich, höflich, misstrauisch, lustig = sehr gut Den Test hatte er zumindest schon mal fast bestanden, sobald ich mir seine Zähne und seine Intelligenz genauer ansehen würde und diese sich auch als zumindest gut herausstellen sollten, hätte ich das erste Mal in meinem Leben jemanden gefunden, der meine Checkliste mit befriedigend und damit angemessen überstanden hatte. „Verrätst du mir deinen Notendurchschnitt?“, frage ich, um zumindest diesen Punkt geklärt zu haben. 2,5 sollte dieser mindestens betragen, sonst wäre er wesentlich schlechter als ich (1,8 [verdammter Sportunterricht]) und das sollte auch nicht sein. Besser sollte er auch nicht sein. Wer will schon einen Klugscheißer an seiner Seite? „Also dieses Jahr war ich bei 2,3. Wieso? Gehst du deine Aspekte durch?“ Erwischt! „Wie kommst du denn auf diese Idee?“, fragte ich, um bloß nicht zu zeigen, dass er mich durchschaut hatte. „Ich würde es tun.“, sagte Ray und warf mich völlig aus der Bahn. Was sollte denn nun dieser Satz? Das war schon wieder keine Antwort! „Willst du mir nicht erst einmal antworten, bevor du mit dir selbst sprichst, weil das eindeutig nicht an mich gerichtet war.“ Er grinste mich an. „Von wegen! Das war eine Antwort und sie war sogar an dich gerichtet.“ „Du verwirrst mich.“ „Ich kam auf die Idee, weil du eben von den Aspekten gesprochen und mich dann nach meiner Intelligenz gefragt hast.“ „Gut…Das war die Frage auf meine Antwort, aber jetzt entwirre mich bitte.“ „Verwirrt?“ „Sonst müsste ich nicht entwirrt werden.“ Immer noch grinste er mich an und streckte mir dann die Zunge entgegen. „Ich verrate es dir nicht. Denk doch mal nach, worüber wir uns vor knapp 10 Minuten unterhalten haben.“ Ich versuchte meine Fragen zurückzuverfolgen: Notendurchschnitt, unbedeutende Fragen, meinen Cousin für mich verlassen, ein guter Grund jemanden zu verlassen… Moment! Schlagartig wusste ich, was er meinte! „Du würdest deinen Freund also tatsächlich für mich verlassen?“ „Wow! Du bist tatsächlich drauf gekommen.“ „Wie habe ich dich denn überzeugt?“ „Indem du deine Voraussetzungen für einen perfekten Freund an mir getestet hast.“ „Aber du weißt doch gar nicht, wie du abgeschnitten hast.“ „Trotzdem. Ich würde meinen Freund für dich verlassen.“ Um den Finger wickeln - erfolgreich abgeschlossen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)