Konzentrationslager von Catalyst ================================================================================ Kapitel 1: Konzentrationslager ------------------------------ Konzentrationslager Die schweren Eisentore wurden hinter uns geschlossen. Verschlossen. Mit einer schweren Kette. Über dem Tor durch das wir eben gekommen waren, standen einige Buchstaben die Wörter ergaben die ich damals noch nicht lesen oder gar verstehen konnte. Heute weiß ich was diese drei Worte bedeuten. Wir waren da. Da am Ende der Welt. Den Ort den man später in den Geschichtsbüchern als Hölle bezeichnen würde. Die Hölle auf Erden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Familie war in den letzten Wochen erheblich geschrumpft. Meine Tante und ihre beiden kleinen Mädchen hatte man in der Nacht geholt. Mein Onkel war am Tag zuvor auf offener Straße erschossen worden weil er einem Deutschen nicht seinen Sitzplatz in einem Lokal überlassen wollte. Meinen Cousin hatte man an einem Baum auf gehangen weil er sein Abzeichen nicht tragen wollte. Der Bruder meines Vaters war mit seiner Familie in ihrem Haus eingesperrt worden und dann haben sie das Haus angezündet. Und dem Rest meiner Familie war es nicht besser ergangen. Meine Mutter, meine Oma, mein Opa und ich, wir waren noch am Leben. Wir waren hier. Hier in der Hölle. Wo mein großer Bruder und mein Vater hingebracht worden waren, wollte Mama mir damals nicht sagen, sie wollte mir ermöglichen solange ein Kind zu bleiben wie es ging. Doch das war hier gar nicht so leicht. Uns waren schon vorher alle Sachen weggenommen worden. Unser Haus hatte man an eine deutsche Familie übergeben. Mein Spielzeug lag nun in den Händen dieses anderen kleinen Mädchens die mich mit einem eiskalten schadenfrohen Blick ansah. Der Laden den meine Eltern betrieben hatte war von Soldaten mit Armbinden und Gewehren leer geräumt worden. Wir lebten damals in einem kleinen Dorf an der polnischen Grenze. Wir waren Deutsche. Aber das interessierte niemanden. Was aber alle interessierte war unser religiöser Glaube. Und für den wurden wir gejagt. Ich habe es mir damals auch nicht ausgesucht eine Jüdin zu sein. Und der Rest meiner Familie hatte es sich auch nicht ausgesucht. Was bitte konnten wir den dafür das es Deutschland schlecht ging. Der Mann der sie in dieser Zeit führte war ein Monster. Ich hörte seine Stimme damals jeden Abend im Radio wenn mein Opa seine Musik hörte. Wenn ich Heute seinen Namen höre wird mir schlecht. Er kannte mich nicht, er kannte meine Familie nicht, er kannte keinen einzigen der tausenden von Juden, Behinderten und anderen Menschen die er als unwert ansah. Er kannte keinen einzigen von uns und dennoch nahm er sich das Recht über uns zu richten. Wer gab ihm das Recht? Und wieso hörten alle Menschen auf ihn? Er zerstörte mein gesamtes Leben. Nahm mir alle die ich liebte. Nahm mir alles was ich besaß. Nahm mir meine unbeschwerte Kindheit und den glauben an alles Gute. Jetzt waren wir hier. Das zweite Lager das ich bis jetzt kennen gelernt hatte. Vorher waren wir in einem Lager mit dem Namen Solibór im südöstlichen Teil von Polen gewesen. Dort hatte ich meinen Vater und meinen Bruder zum letzten Mal lebend gesehen. Ich habe gesehen wie sie sich bis zum Rande ihrer Kräfte gearbeitet hatten. Ich habe gesehen wie sie gearbeitet haben bis sie zusammen brachen. Ich habe gesehen wie sie zu einer der großen Duschräume gebracht wurden. Ich habe gehört wie sie schrien. Ich habe gehört wie ihre Stimmen immer leiser wurden. Ich habe nicht gesehen wie sie wieder heraus kamen. Dieses Lager hier war um einiges größer. Viel mehr Menschen waren hier. Viel mehr Menschen die so waren wie ich. Unwert zu leben. Meine Großeltern starben nach zwei Wochen. Mein Opa erlitt einen Herzinfarkt nachdem er unter Erschöpfung bei der Arbeit zusammen gebrochen war und von den Wärtern zusammen geschlagen worden war. Meine Oma starb an der mangelnden Ernährung. Wir bekamen kaum etwas zu essen und fast noch weniger zu trinken. Zudem machte uns die eisige Kälte zu schaffen. Es war Winter. Und hier im tiefsten Polen war es noch kälter. Dann starb meine Mutter. Sie war jung gewesen und wunderschön, nicht nur in meinen Augen. Erst 33 Jahre alt war sie als sie am Morgen nicht mehr aufwachte. Seitdem wir hier waren war sie so oft von den Wärtern vergewaltigt worden das sie kaum laufen konnte. Und wer nicht laufen konnte konnte auch nicht arbeiten. Und wer nicht arbeiten konnte bekam nichts zu essen. Diese Nacht war besonders kalt gewesen. Ich schlief in den Armen meiner Mutter ein. In dieser Nacht wurde sie nicht vergewaltigt, weil ich da war. Ich weiß nicht ob die Wärter Skrupel davor hatten, ich weiß nur das sie nicht aufwachte als ich an ihr rüttelte. Ihr Gesicht war blass, ihr Körper kalt und ihre Arme lagen locker um mich. Heiße Tränen rannen über meine erfrorenen Wangen. Eine andere Frau zog mich von ihr weg und nahm mich tröstend in die Arme. Ihre sanfte Stimme beruhigte mich. Ihre langen blonden Haare kitzelten mein Gesicht. Nachdem ich mich beruhigt hatte sah ich wie die Soldaten den leblosen Körper meiner Mutter davon trugen und die letzten Fetzen ihrer Kleidung von ihr entfernten. Dann warfen sie sie zu den anderen Toten in ein großes Loch das hinter einem der hohen Zäune lag. Die nächsten Tage und Nächte saß ich immer da und starrte in die ebenso leeren Gesichter der anderen Gefangenen. Ich war allein. Hier war jeder allein. Jeder kämpfte für sich ums überleben. Jeder war sich selbst überlassen. Und trotzdem gab es immer noch so etwas wie Menschlichkeit. An einem Tag, ich schätze mal es war gegen die Mittagszeit kamen drei große Lkw´s die uns Kinder abholen sollten. Ich wusste wo es hingehen sollte. In die Lager, in die Duschräume, zum vergasen. Ich hatte Geschichten von Gefangenen gehört die aus anderen Lagern hier her gebracht worden waren. Geschichten in denen es darum ging das Juden und andere Minderwertigen öffentlich erschossen, erhängt, bei lebendigem Leibe verbrannt oder auf jegliche andere Art ermordet worden waren. Mir war das egal. Meine Kindheit war vorbei. Meine Träume verbrannt. Und Schuld war allein ein Mann. Ich hasste ihn. Ich wollte ihm alles antun was er mir angetan hatte. Heute tut er mir Leid. Leid dafür das er so ein armseliges von Hass erfülltes Leben hatte. Dann kam der Tag an dem sie mich doch erwischten. Ich hatte mich wie viele andere Kinder auch in den Hütten versteckt in denen wir leben mussten. Doch die Soldaten fanden mich und brachten mich zu einem der Lastwagen. Ich hatte angst. Ich wusste das ich sterben würde. Ich wusste das bald wieder mit meiner Familie zusammen sein würde. Ich würde meine Eltern und meine Großeltern wieder sehen. Und vielleicht würde ich dann endlich von meinen Schmerzen erlöst werden. Von meinen körperlichen, sselischen und geistigen würde ich erlöst werden. Aber vorher kam die Angst vor dem was kommen würde. Ich hatte Angst vor der Ungewissheit. Würde man mich vergasen? Würde man mich vergewaltigen? Würde man mich erschießen? Würde man mich erhängen? Würde man meinen Körper genauso entsorgen wie den meiner Mutter? Würde ich enden wie ein Stück Müll das man heimlich irgendwo vergraben würde damit es keiner mitbekommt? Würde mich irgendjemand vermissen? Würde sich irgendjemand an mich erinnern? Ich glaubte das nicht. Keiner würde sich an mich erinnern oder mich vermissen. Ich saß mit etwa 15 anderen Kindern auf dem Bahnsteig. Wir waren allein. Getrennt von unseren Familien. Wahrscheinlich waren auch ihre Familien alle tot. Ich malte mir aus was nun kommen würde. Kam ich wieder in ein anderes Lager. Dann würde ich wahrscheinlich dort sterben. Von weitem sah ich etwas anrollen. Ein Zug mit vielen Viehwagons. Er kam immer näher. Er hielt direkt vor uns. Ich sah auf. Durch die Ritzen zwischen den Holzbrettern sah ich die Menschen darin. Frauen, Kinder, alte Menschen. Sie sahen mich an. Ich sah sie an. Doch sie sahen nicht aus als hätten sie angst. Ganz im Gegenteil. Einige von ihnen lachten sogar. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was war los mit diesen Menschen? Hatten sie sich vielleicht mit ihrem Schicksal abgefunden? Seltsam. Ich lies meinen Kopf sinken. Ich hörte Schritte. Ich wusste das sie nun kamen und mich mitnahmen. Ein Schatten baute sich vor mir auf. Ich blickte langsam auf. Demütig, ängstlich. Ich ging davon aus das es ein Soldat war der vor mir stand. Doch das stimmte nicht. Ein Mann stand vor mir, er trug einen edlen schwarzen Anzug und einen schwarzen Hut. Er lächelte mich sanft an und hielt mir die Hand hin. Ich sah ihn verwundert und auch leicht misstrauisch an. Wer war das? Wer war der Mann der mir seine Hand ausstreckte und mir aufhelfen wollte? Mir, jemandem der in den Augen vieler Millionen Deutscher nichts mehr war als ein Stück Dreck. „Möchtest du mit kommen?“, fragte seine sanfte, ruhige, aber auch durchdringende Stimme. „Wohin?“, fragte ich mit zitternder Stimme. „Dorthin wo du keine angst mehr haben musst zu sterben. Ich verspreche dir das dir nichts mehr passiert.“ Ich nickte und lies mir von ihm aufhelfen. Heute lebe ich wieder in Deutschland. In einer kleinen Stadt im Norden. In Niedersachsen, in dem Bundesland aus dem meine Familie kam, bevor wir getrennt wurden. Ich bin nun weit über 80 Jahre alt, erinnere mich aber noch immer an die Zeit, als wäre es gestern gewesen. Jedes Jahr reise ich einmal nach Jerusalem. Dem Ort wo mein Retter begraben wurde. Und jedes Jahr fahre ich einmal mit dem Zug nach Polen. Reise dorthin wo meine Familie starb. Dorthin wo meine Kindheit endete. Dorthin wo ich zum ersten mal starb. Dorthin wo mein zweites Leben begann. Noch immer stehen dort die Worte die das Tor des Lagers zieren. Arbeit macht Frei. Auschwitz-Birkenau. Polen. 1940-1945. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)