Bis(s) zum Ende aller Tage von abgemeldet (Renesmees Fortsetzung zu Breaking Dawn) ================================================================================ Kapitel 3: Ablenkung -------------------- Kapitel 3: Ablenkung Um mich herum war es dunkel. Vollkommene Schwärze umhüllte mein Sichtfeld. Nur das Mädchen war von einem schwachen Schein erleuchtet. Ihr dunkler Umhang verdeckte den größten Teil ihrer kleinen Gestalt und ihr gellender Schrei schien nicht enden zu wollen. Sie war nur wenige Meter entfernt, doch so sehr ich auch rannte und mich anstrengte, ich kam ihr nicht einen Zentimeter näher. Die Verzweiflung übermannte mich und ich stieß einen kurzen Schrei aus. Ich wachte auf. Kaum, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, stand Zafrina auch schon vor mir und sah mich voller Sorge an. „Was ist passiert? War es ein Tier? Ich habe doch so gut aufgepasst.“ Es war ein eigenartiges Gefühl. Ich war diejenige, die den Albtraum gehabt hatte und musste nun Zafrina beruhigen. Die Situation war irgendwie verkehrt herum. „Ist schon gut. Ich hatte nur einen komischen Traum.“ Ein überraschter Ausdruck huschte über ihr Gesicht und einige Sekunden dachte sie nach. „Ich glaube, ich habe einfach vergessen, wie es ist zu schlafen. Dazu gehört dann wohl auch das Träumen.“ Ich seufzte. „Leider kann ich das nicht vergessen. Ich wünschte, ich könnte es, doch es geht nicht.“ Mein Tonfall war wohl grimmiger, als beabsichtigt, denn Zafrina sah mich leicht irritiert an. „Warum? Träumen stelle ich mir sehr schön vor. Es ist bestimmt so, als würde ich jemandem meine Bilder zeigen. Man kann einfach alles sehen, was die Fantasie preisgibt.“ Sie setzte sich zu mir auf das Bett, zog die Beine an und schloss die Augen, als würde sie schlafen und auf einen Traum warten. „Wenn es schöne Träume sind, ist es ganz angenehm, doch mich plagen ziemlich oft Albträume. Jeden Abend gehe ich ins Bett und fühle mich unwohl. Überleg doch einmal, wie viel Zeit ich verpasse! Ich würde gerne so vieles mehr lernen, viel mehr von der Welt kennen und Zeit mit meiner Familie verbringen können. Nur Edward bekommt das mit und ich mag es nicht mit ansehen zu müssen, wie hilflos er sich fühlt. Dabei kann er mich dabei gar nicht helfen. Und davon bekomme ich dann wiederum ein schlechtes Gewissen.“ Die letzten Worte waren fast geflüstert. Zafrina hatte die Augen wieder geöffnet und sah mich nachdenklich an. Der Schrei eines mir unbekannten Vogels zerriss die Stille und ließ mich zusammenfahren. Sie jedoch fuhr unbeirrt fort. „Das verstehe ich nicht. Du bist zwar Halb-Mensch, doch wir wissen von Nahuel und seinen Schwestern, dass der Vampirteil in dir auch dir auch unendlich langes Leben beschert. Du brauchst nicht mit der Angst zu leben, dass deine Zeit begrenzt ist. Die ganze Welt steht dir offen und nachts kannst du dich ausruhen. Warum machst du dich also selber so fertig?“ Über die Antwort auf diese Frage musste ich nicht lange nachdenken. „Weil alle um mich herum mir immer wieder zeigen, dass ich so vieles verpasse. Jeden Morgen erzählen sie mir, was sie alles gemacht haben.“ Jetzt grinste Zafrina und ich fühlte mich ausgelacht. Ich schüttete ihr mein Herz aus und erzählte ihr Dinge, die sonst niemand außer Edward wusste und ihr fiel nichts Besseres ein, als zu Grinsen. „Was ist daran so lustig?“ „Glaubst du wirklich, dass sie dir das alles erzählen, damit du das Gefühl hast, dass du eine Menge Zeit verpasst?“ Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen und rot wurden. „Was soll es denn bitte sonst sein?“ „Ich denke eher, dass sie dich an der Zeit teilhaben lassen wollen, damit du eben nicht traurig sein brauchst.“ Ich stockte und starrte sie mit offenem Mund an. Aus dieser Sichtweise hatte ich es noch nie betrachtet. Wussten die anderen, dass ich so unter dieser Tatsache litt? Ich hatte mich immer sehr bemüht nicht daran zu denken, wenn Edward in der Nähe war und meinen Versuch, nicht zu schlafen, als kindlichen Trotz abgetan. Tief in diese Gedanken versunken zuckte ich zusammen, als Zafrina das Thema wechselte. „Na das ist ja ein toller Start in den Morgen. Du bist doch hier, um dich abzulenken. Lass uns ein wenig Spaß haben. Es wird Zeit, dass ich dir meine Welt zeige. Senna und Kachiri lassen sich entschuldigen. Sie wollen uns ein wenig Zeit alleine gönnen und machen… Urlaub.“ Sie sprang auf und in ihrem Blick spiegelte sich die unendliche Freude, dass ich endlich einmal vorbei gekommen war, um sie zu besuchen. Ja, genau deshalb war ich hier. Ich wollte Ablenkung und Zeit zum Nachdenken. „Dann zeig mir doch mal, was dein Brasilien so zu bieten hat. Es muss schon etwas wirklich Besonderes sein, damit es mit Forks mithalten möchte.“ Ihr Grinsen wurde noch breiter und sie rannte los. „Warts ab. Dein Forks wird noch grüner werden – und zwar vor Neid!“, rief sie mir über die Schulter hinterher und passte sich meinem Tempo an. Die nächsten Tage verbrachten wir Hier und Dort und viele Dinge, die mir alleine nur am Rande aufgefallen wären, bekamen einen Sinn, als Zafrina ein erstaunliches Wissen zeigte. Sie erzählte mir vieles von ihrer Vergangenheit, was ich noch nicht wusste. Genau genommen wusste ich sogar fast überhaupt nichts über sie. Bei uns zu Hause hatten wir immer über andere Dinge gesprochen oder haben Anderes gemacht, als uns zu unterhalten. Seit ihrer Wandlung hatte sie Südamerika erst wenige Male verlassen. Genau genommen sogar das erste Mal, als sie uns gegen die Volturi unterstützt hat. Sie hatte nie den Drang verspürt die Welt zu erkunden und verschiedene Länder kennen zu lernen. Allerdings betonte sie mehrfach, dass sie niemals den Schritt bereut hätte zu uns gekommen zu sein. Sie glaubte, dass sie alleine durch uns mehr gelernt hätte, als der ganze Rest der Welt es ihr bieten könnte. Jeden Abend kehrten wir in das winzige Häuschen zurück und Zafrina bewachte mich im Schlaf vor wilden Tieren. Nach fast zwei Wochen rief ich das erste Mal wieder in Forks an. Ich erfuhr, dass jetzt auch der ganze Rest der Familie wieder da war. Rosalie hatte genug von Emmetts Känguruhwahn und darum hatten sie Australien wieder verlassen. Die Denalis waren fertig mit ihrem Umzug und wohnten jetzt in Kiruna, ganz im Norden von Schweden. Carlisle und Esme waren erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt, weil Esme die letzten Tage der Mitternachtssonne miterleben wollte. Am Telefon erzählte sie voller Begeisterung, wie wundervoll dieses Schauspiel war, bei dem die Sonne nie untergeht und ihren Bogen spiegelverkehrt läuft. Ich versprach ihr nächstes Jahr mit ihr wieder dorthin zu fahren, um uns dieses Naturschauspiel gemeinsam anzusehen. Carlisle war zwar nicht ganz begeistert, wie Esme, doch auch er meinte, dass es vor allem für Vampire, für die die Nacht ja zum Tage wird, sehr interessant sei. Man würde sich anders fühlen und er würde sehr gerne auch einmal zu den Polarnächten dorthin fahren. Auch Alice und Jasper ging es gut. Sie waren schon zurückgekommen, als ich vor zwei Wochen abgehauen war. Kurze Zeit später war Alice beunruhigt, weil sie gesehen hatte, dass Alec demnächst auf Kontrollbesuch vorbeikommen würde. Alice sah natürlich auch seine Reaktion voraus, falls ich nicht anwesend wäre und sie beschloss einen Brief zu verfassen, indem sie erzählte, dass ich bei Zafrina zu Besuch wäre. Demetri würde uns nicht aufspüren und die Volturi abwarten, bis ich wieder zu Hause wäre. Es schien fast, als hätten die letzten Jahre voller regelmäßiger Besuche genügt und die Volturi nun langsam die Lust an mir zu verlieren. Vor allem Edward war sehr skeptisch und von Zweifeln geplagt. Er hatte selber in Alice Kopf gesehen, dass sie Recht hatte, doch sein tiefer Hass gegen die Volturi riet ihm weiterhin misstrauisch zu sein. Selbst Zafrina war nicht beunruhigt, als ich ihr von dem Telefonat erzählte. Wieder war sie diskret in den Dschungel gegangen, während ich telefonierte. Jederzeit hätte sie lauschen können, doch ich war aufrichtig davon überzeugt, dass sie es nicht tat. Sie ließ sich alles genau von mir erzählen und fragte mich, ob ich auch artig ihre Grüße ausgerichtet hätte. Wir machten eigentlich sehr viele Späße miteinander, doch als ich ihr von Alice und dem Brief erzählte, wurde ihre Miene sehr ernst. „Du musst wissen, dass wir alle sehr viel von Alice halten. Sie alleine hat uns damals vor einer Tragödie bewahrt. Es reicht nicht, wenn man nur mit einer solchen außergewöhnlichen Gabe gesegnet ist, sondern man muss sie auch zu nutzen wissen. Stell dir vor, was geschehen wäre, wenn Alice nicht mit ihrer Gabe umgehen könnte. Es ist genau, wie bei deinem Vater. Er ist sehr gewissenhaft und überlegt genau, welche Gedanken er preisgibt und welche nicht. Bei Bella und dir ist es auch so. Und natürlich bei mir.“ Wir saßen, wie so oft in den letzten zwei Wochen, auf dem kleinen, aber gemütlichen Bett in ihrer Hütte. Kurz dachte ich über ihre Worte nach. „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, was du damit meinst. Bellas Gabe ist wichtig, sie hat uns ebenfalls speziell vor Jane und Alec beschützt, doch was meinst du mit meiner Gabe? Du kannst andere mit deinen Bildern unschädlich machen, aber ich bin machtlos. Nicht, dass ich damit Probleme hätte, denn es gibt schließlich immer noch genügend Vampire ganz ohne besondere Fähigkeiten. Wir sind ja doch eher die Ausnahme.“ Nun lächelte sie mich wieder freundlich an. „Ja, das stimmt. Das vergisst man allerdings ziemlich schnell, da es immer mehr und variablere Fähigkeiten zu geben scheint. Aber ich glaube du unterschätzt deine eigenen Kräfte.“ Ich wollte sie unterbrechen, doch ich kam gar nicht dazu überhaupt ein Wort zu sagen. Seufzend lehnte ich mich wieder zurück und hörte ihr zu Ende zu. „Genau genommen hast du sogar zwei Kräfte. Das wissen wir allerdings nur, weil eine davon nur in Bezug auf Bellas Kraft erkannt werden konnte. Deine andere Gabe kann jedoch durchaus als stark angesehen werden, wobei man eigentlich allgemein keine Gabe als schwach einstufen darf. Ich denke du weißt, was ich meine. Überlege doch mal, was wir durch deine Gabe erreichen konnten. Wie viele sind geblieben, als du ihnen die Wahrheit gezeigt hast? Wie hast du sie dazu gebracht über ihre Grundfesten nachzudenken? Wie hast du Jacob damals davon überzeugen können, dass Esme die Pfannkuchen ganz alleine für dich gebacken hat?“ Bei dieser Erinnerung musste ich lachen. Niemals hätte Esme nur für mich etwas zu Essen gemacht, doch ich wollte Jacob ärgern und habe ihm damals eine gefälschte Erinnerung gezeigt, dass Esme sie für mich gemacht hätte. Damals hatte ich herausgefunden, dass ich nicht nur Erinnerungen und Gedanken zeigen kann, sondern gezielt Bilder senden kann. Wenn ich also etwas zeigen wollte, was gar nicht so war, so würde derjenige, dem ich das zeige es trotzdem glauben. Fast so, wie bei Zafrina. Mein einziger großer Nachteil war, dass bei mir eine direkte Berührung notwendig ist. „Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.“ Zafrina sprang in Windeseile auf und lächelte nun wieder. „Siehst du? Die Gabe deiner Tante ist besonders mächtig, aber sie weiß sie zu beherrschen. Daher müssen wir uns absolut keine Sorgen machen. Aber weißt du was? Langsam bekomme ich wirklich Durst.“ Erst jetzt bemerkte ich meinen eigenen starken Durst. Es war jedes Mal wieder ein lustiges Gefühl. Eine kaum beschreibbare Mischung aus menschlichem Hungergefühl und einem leichten Kratzen in der Kehle. Ab und An hatte Emmett so einen Andrang von kreativen Fragen über mein Halb-Vampir-Dasein und wir hatten uns einmal auch über das Durstgefühl unterhalten. Ich war auch neugierig, denn natürlich interessierte es mich auch, in wie fern ich anders war. Daher wusste ich, dass ich normalerweise ein feuriges Brennen und nicht nur ein Kratzen im Hals hätte verspüren müssen. Es war egal, ob ich Blut trank, oder menschliche Nahrung aß, das Sättigungsgefühl stellte sich bei beidem ein und trotz richtiger Nahrung musste ich nicht auf die Toilette. Carlisle hatte natürlich viele Theorien zu meinen natürlichen Begebenheiten, doch immer, wenn er mich genauer untersuchen wollte, als nötig, mischte sich Esme ein und erklärte ihm immer wieder, dass ich seine Enkelin und nicht sein Versuchskaninchen sei. Daher blieb es bei der Vermutung, dass mein Körper die Nahrung einfach zu 100% umsetzen konnte. Auch, wenn Emmett mich nur Allzugerne in einem Labor, eingesperrt in einem Käfig und verkabelt mit Schläuchen und Drähten, gesehen hätte. „Ich würde sagen, dann trennen wir uns jetzt. Reichen dir 2 Stunden?“, schlug ich ihr vor und sah dabei auf meine Armbanduhr, die im gleichen Stil gearbeitet war, wie mein geliebtes Medaillon, das mir Bella einst geschenkt hatte und das winzige Fotos meiner gesamten Familie beinhaltete. 2 Stunden würden wohl reichen, um einen Ameisenbären und bei Bedarf vielleicht sogar noch einen Tapir oder sogar ein Faultier probieren zu können. „Wir müssen uns nicht trennen – Lass mich ausreden!“ Beschwichtigen hob sie mitten im Satz die Hände, als ich anfangen wollte zu protestieren. Ich konnte während der Jagd einfach nicht bei ihr bleiben. Die Bilder von Kachiris… Mahl waren mir nur allzu deutlich in Erinnerung geblieben und ich legte keinen Wert darauf sie noch einmal aufzufrischen. Innerhalb einer Zehntelsekunde hatte sich wieder ein kleiner Kloß in meinem Hals gebildet und ich versuchte vergeblich ihn direkt wieder hinunterzuschlucken. „Du hast mich mal gefragt, warum meine Augen so anders aussehen, als sonst…“ Schlagartig fiel es mir wieder ein. An dem Abend, als ich hier angekommen war, waren mir ihre Augen aufgefallen, doch ich kam nicht gleich darauf, was genau anders war. Nach ihrem, mehr oder weniger guten, Ablenkungsmanöver hatte ich danach schlichtweg wieder vergessen. Nun jedoch erwischte mich die Neugier mit voller Wucht und ich brannte darauf zu erfahren, was sie mir sagen wollte. Die sonst so selbstsichere, wilde Amazone wurde plötzlich leise, fast schüchtern und wenn sie es gekonnt hätte, wäre sie wohl rot angelaufen. Sie scharrte sogar ein wenig mit dem rechten Fuß, als sie endlich weitersprach: „Ich habe seit einiger Zeit versucht mich auch vegetarisch zu ernähren.“ Da blieb mir vor Verwunderung tatsächlich der Mund offen stehen. Mit großen Augen starrte ich sie an, während sie aufstand. Als ich merkte, dass sie von sich aus nicht weiterreden würde, fragte ich nach: „Wirklich? Warum?“ Viel mehr geistreiches bekam ich einfach nicht zu Stande. Zwar hatte ich erst nach der Begegnung mit Kachiri wirklich verstanden, was es bedeutet vegetarisch zu leben, doch es war einfach so selbstverständlich, dass die Amazonen so leben wollten. Aus diesem Grund verblüffte mich dieses Geständnis, doch wenn ich genauer darüber nachdachte, dann fand ich es eigentlich sehr rücksichtsvoll und nett von ihr. „Seit wir uns damals das erste Mal getroffen hatten, habe ich des Öfteren daran gedacht, euren Lebensstil auch einmal auszuprobieren. Natürlich kannte ich diese Möglichkeit sich so zu ernähren schon früher, doch erst bei unserem letzten Besuch habe ich beschlossen es wirklich zu versuchen. Darum bin ich auch nicht mehr die ganze Zeit mit Senna und Kachiri zusammen. Sie machen es mir sehr schwer und es ist nicht so einfach, wie ich gedacht hatte. Jahrzehnte lang war es selbstverständlich für mich mein Schicksal so zu akzeptieren und von Menschenblut zu leben. Plötzlich jedoch soll ich mir selber dieses merkwürdig schmeckende Tierblut ausgesucht haben? Ich stand jedoch immer zu dieser Entscheidung und habe es schon geschafft 3 Monate lang durchzuhalten. Nur vor ungefähr 5 Wochen bin ich ein einziges Mal schwach geworden.“ Gnadenlos und unvermittelt lachte ich laut auf. Fast im gleichen Moment tat es mir sehr leid, als ich ihr Gesicht sah. Es zeigte eine Mischung aus Verwirrung, aber auch Verletzlichkeit, die bei ihr neu war. „Es tut mir leid, das ist nicht böse gemeint. Du hast dich nur sehr lustig angehört. Wie ein Drogenabhängiger, der einen Rückfall gesteht.“ Ich wurde wieder ernst, stand auf und nahm ihre Hand. Langsam zeigte ich ihr, wie sehr sie mich damit gerührt hatte und ich sie wirklich nicht hatte verletzen wollen. Fast bekam ich sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich so etwas noch nie für jemanden getan hatte. Jacob hatte mich beinahe täglich dazu überreden wollen mich von menschlicher Nahrung zu ernähren, doch ich hatte immer nur probiert und dann dankend abgelehnt. Nun tat Zafrina etwas, das gegen ihre jahrelangen Gewohnheiten und Vorlieben verstieß. Würde ich überhaupt etwas so aufopferndes für jemanden tun können? Ich hatte Jacob damals ja noch nicht einmal meine Pfannkuchen gegönnt. Tief in meine Gedanken versunken spürte ich plötzlich, wie Zafrina meine Hand in ihre nahm. Erschreckt zuckte ich zusammen. Ich sollte mehr darauf achten, an was ich dachte, während ich jemanden berührte, denn wenn ich mich dabei nicht konzentrierte oder abgelenkt war, dann konnte dies äußerst unangenehm werden. Zafrina bemerkte also meine Unsicherheit und lächelte aufmunternd. „Es tut mir leid, aber das stimmt so nicht. Diese Illusion muss ich dir nehmen.“ Ich verstand nicht, was sie meinte und sah sie fragend an. „Was meinst du?“ „Sei bitte nicht beleidigt, aber ich habe diese Entscheidung nicht für dich getroffen. Natürlich wart ihr der Auslöser, aber ich habe es für mich entschieden.“ Sie machte eine Pause, ließ meine Hand los und fuhr mit der Hand eine Strähne entlang, die aus ihrem langen, dicken Haarzopf entflohen war. „Eigentlich war ich mit meinem Dasein als Vampir immer zufrieden. Es war einfach normal mich von Menschen zu ernähren, durch den Dschungel zu streifen und einfach mein Leben zu leben, sofern man das so nennen kann. Seit ich jedoch das erste Mal bei euch war, geriet meine Einstellung ins Wanken. Mit jedem Besuch plagten mich immer größere Zweifel. Du bist zur Hälfte Mensch und ihr seid eine richtige Familie. Wenn ich nun auf der Jagd war, hatte ich immer im Hinterkopf, dass ich damit einen Teil einer eben solchen Familie auslösche. Lange vergessene Erinnerungen an mein Leben als Mensch sind in mir erwacht. So konnte ich nicht weitermachen und beschloss es zu versuchen. Schließlich schafft deine Familie es schon seit Jahrzehnten.“ Ihr aufrichtiger Blick und die selbstbewusste Körperhaltung erstaunten mich und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie es wirklich schaffen und ihren Frieden darin finden konnte. „Ich bin sicher, dass du das Richtige tust.“ Ich umarmte sie und hakte mich bei ihr ein, wie Alice es immer tat, wenn wir einkaufen waren. „Lass uns jagen gehen. Emmett meinte, ich solle unbedingt Ameisenbär probieren. Was kannst du denn empfehlen?“ Endlich lächelte auch sie wieder und wir machten uns auf die Jagd. Wir waren noch nicht allzu lange unterwegs, als sie mich plötzlich am Arm packte und den Finger vor den Mund legte. Lautlos deutete sie dann hinter mich und als ich mich umdrehte, sah ich nur eine Horde kleiner Affen durch das Gebüsch huschen. „Meinst du die Affen? Ich dachte wir suchen etwas, naja, Größeres.“ Sie lächelte schelmisch und sprintete los, den Affen hinterher. „Lass dich einfach überraschen.“, rief sie mir zu und ich folgte ihr im wahrsten Sinne des Wortes in einem Affentempo. Mit einem schnellen Sprung holte ich sie ein und landete auf halber Höhe eines Baumes, der gut 50 Meter hoch zu sein schien. Auch Zafrina folgte mir nun in die Bäume, um auf der gleichen Höhe, wie die Affen zu sein. Inzwischen hatten wir sie locker eingeholt und ich fixierte schon das Tier, welches ich jagen wollte. Ein mittelgroßes Männchen, ungefähr 50 Zentimeter groß und ziemlich flink. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie Zafrina ebenfalls ein Tier anvisierte und zum entscheidenden Sprung ansetzte. Ich konzentrierte mich wieder auf das Männchen und spannte ebenfalls die Muskeln, um zu springen. Mit einem kraftvollen und gezielten Sprung packte ich den Affen am Arm und am Kopf, neigte diesen ein wenig zur Seite und schlug meine Zähne in seinen Hals. Er war schon nicht mehr zu großem Widerstand fähig, als ich mit gierigen Schlucken sein warmes Blut trank. Sofort bemerkte ich, warum Zafrina ausgerechnet hinter diesen Affen her war. Sie schmeckten tatsächlich fast, wie menschliches Blut. Edward schien mit seiner Theorie doch richtig zu liegen, dass Blut von Raubtieren und Fleischfressenden Tieren besser schmeckte. Aber diese Mischung hier war absolut atemberaubend. Und bei mir ging das ja wirklich. Viel zu schnell war der Affe ausgesaugt und mein Durst bei weitem noch nicht gestillt. Zafrina war bereits wieder bei mir und sah mich belustigt an. „Habe ich zu viel versprochen?“ Sie wirkte aufgeregt. Beinahe, wie ein Kind, das den Eltern etwas Selbstgebasteltes geschenkt hat und nun auf die Reaktion wartet. „Das ist fantastisch!“ Viel mehr brachte ich nicht zustande und sie schien zu verstehen, was ich meinte. „Allerdings. Leider sind sie ziemlich klein und vermehren sich nicht allzu schnell. Sieh es einfach als Leckerbissen. Wenn du vor Emmett damit angeben möchtest: das waren Wollaffen.“ Ich sah auf das tote Tier hinab und erkannte beim Anblick des dichten, wolligen Fells sofort die Herkunft des Namens. Lange konnte ich mich jedoch nicht darauf konzentrieren, denn jetzt war mein Durst erst richtig geweckt und ich wollte mehr. „Lass uns weiterziehen. Ich habe noch eine Rechnung mit einem Ameisenbären offen.“, forderte ich sie auf und wir gingen lachend weiter. Glücklicherweise fanden wir tatsächlich noch einen Ameisenbären und Zafrina bevorzugte einen Puma. Im Vergleich zu dem Wollaffen war das Blut des Bären fast nahezu geschmacklos und mir tat die arme Rose schon leid. Nach Australien würde sie nun in den nächsten Monaten wahrscheinlich um die ganze Welt reisen müssen, um mit Emmett sämtliche Affenarten zu probieren. Es dunkelte bereits wieder, als wir in der kleinen Hütte ankamen. Ich war tatsächlich ein wenig müde, was wirklich äußerst selten der Fall ist, und schmiss mich auf mein Bett. „Ich lasse dich jetzt alleine. Schlaf gut.“ Zafrina hatte sich bereits umgedreht und wollte gerade hinausgehen, als ich beschloss endlich das Thema anzusprechen, weshalb ich eigentlich hier war. „Was soll ich tun?“, fragte ich unvermittelt. Ich wusste, dass sie verstehen würde, was ich meinte und wie nicht anders erwartet, drehte sie sich wieder um, seufzte und zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir leider nicht beantworten. Die Antwort musst du selber finden.“ Ich deutete neben mich auf das Bett und zog meine Beine an. Das hatte mir schon immer geholfen besser nachdenken zu können. Vielleicht würde es auch dieses Mal helfen. „Aber wie finde ich die Antwort? Du hast gesagt, dass ihr alle die ganze Zeit gewusst habt, was passieren wird. Also wisst ihr doch auch bestimmt, was die Antwort ist.“ Als ich diese Worte aussprach wurde mir klar, dass es ein kläglicher Versuch war die Entscheidung von mir auf andere abzuwälzen. Ich war einfach zu feige über die Situation und meine Gefühle nachzudenken und meinen Entschluss zu fassen, mit dem ich andere vielleicht verletzen würde. Bisher wurde mir alles leicht gemacht, nie musste ich mir über wichtigere Dinge, als meine Kleidung oder die täglichen Unternehmungen Gedanken machen. Nun war jedoch der Zeitpunkt gekommen, wo ich nicht mehr davonlaufen konnte. Auch Zafrina bemerkte diese Ausflüchte und versuchte mit ihren harten Gesichtszügen ein aufmunterndes Lächeln zustande zu bringen. „Ach, Renesmee. Höre in dich hinein und du wirst wissen, was zu tun ist.“ Mittlerweise saß sie neben mir und streichelte mir liebevoll über den Arm. Ich spürte Wut über mich selber in mir aufsteigen und zog den Arm weg. Es war nicht richtig, doch diese Wut ließ ich Zafrina spüren. „Ich weiß es aber nicht! In mir ist nur vollkommene Verwirrung. Woher soll ich wissen, ob es Liebe ist, was ich für Jacob fühle, wenn ich gar nicht weiß, wie sich das anfühlt?“ Zafrina blieb weiterhin ruhig und war geduldig. „Jetzt überleg mal ganz ruhig. Du sagst, Jacob sei immer bei dir gewesen, aber das ist ein normaler bester Freund auch. Wie fühlst du dich denn, wenn du an ihn denkst?“ Ihre langsamen Worte schafften es tatsächlich mich zu beruhigen und ich zwang mich dazu mich zu konzentrieren. Was war es für ein Gefühl bei Jacob zu sein? Ich fühlte mich wohl bei ihm, aber das tat ich beim gesamten Rest der Familie auch. Er tat wirklich alles für mich, aber war ich mehr, als einfach nur dankbar? Nein, das war ich nicht. Alice hatte mir einmal erzählt, warum sie sich in Jasper verliebt hatte. Es war nicht einfach, dass es ihr durch die Version fast „befohlen“ worden ist, sondern sie liebte alle seine kleinen Eigenheiten und wollte keine Minute ohne ihn sein. So allerdings konnte ich von Jacob nicht sprechen. Auch ohne ihn ging es mir gut. Jedenfalls, wenn ich mal von ihm getrennt war. Das war zwar nicht wirklich oft in meinem Leben gewesen, doch es war Ab und Zu mal vorgekommen. Ziemlich schnell kam ich zu dem Schluss, dass meine Gefühle wohl mehr auf Freundschaft, als auf Liebe basierten und sah Zafrina in die Augen. „Ich denke nicht, dass ich ihn liebe. Zumindest nicht so, wie Bella und Edward einander lieben. Eher so, wie ich auch Charlie und die gesamte Familie liebe.“ Zafrina nickte. „Siehst du, es ist gar nicht so schwer, wie es anfangs scheint. Unangenehm, aber nicht schwer. Du musst vor allem ehrlich zu dir selber sein.“ „Aber ich will niemanden verletzen.“ Meine Worte waren leise und ich lehnte den Kopf dabei an mein Knie. „Glaub mir, es verletzt viel mehr, wenn du lügst, um es jemandem Recht zu machen.“ „Meinst du wirklich?“ Seltsamerweise fühlte ich mich auf einmal sehr erleichtert. Zwar war ich in den letzten Tagen auf andere Gedanken gekommen, doch innerlich hatte mich dieses Thema die ganze Zeit über beschäftigt und es war gut, dass ich mich ihm endlich gestellt hatte. Jetzt konnte ich ruhigen Gewissens nach Hause gehen und mit Jacob reden. Falls er überhaupt schon wieder dort war. „Ja, du schaffst das schon. Du rufst jetzt besser mal deine Eltern an und sagst ihnen, dass du bald nach Hause zurückkommst.“ Sie hatte Recht und ich suchte neben dem Bett nach meiner Handtasche, um mein Handy herauszuholen. „Nach Hause… Ja, ich freue mich, aber dort wird mir wieder täglich bewusst, dass ich nur ein Halb-Vampir bin und so viel verpasse.“ So frustriert, wie meine Worte klangen, waren sie eigentlich nicht gemeint und bevor Zafrina darauf antworten konnte fügte ich hinzu: „Weißt du, das ist einfach schwierig. Niemand aus meiner Familie kann das wirklich nachvollziehen. Ich glaube, damit muss ich einfach leben. Ich rufe jetzt erst mal an.“ Gerade, als ich die altbekannte Nummer wählen wollte, nahm Zafrina mir das Handy aus der Hand und ich sah plötzlich die Bilder, die sie mir sendete. Ich befand mich in einem Dschungel, ähnlich dem hiesigen in Brasilien. Anfangs war ich alleine, doch dann trat ein Mann aus dem Dickicht direkt auf mich zu. Im ersten Moment erkannte ich ihn nicht, weil ich ihn schon so lange nicht mehr gesehen hatte, doch dann wusste ich, wen sie mir da zeigte. „Nahuel? Was willst du mir damit sagen?“ Ich wusste beim besten Willen nicht, was sie meinte und nahm ihre Hand, um ihr meine Verwirrung zu zeigen. Das Bild vor meinen Augen verschwand und ich wandte mich ihr zu. „Ja, Nahuel! Soweit ich weiß, wohnt er in Chile, mit seiner Tante Huilen. Du bist doch gerade in der Nähe. Wie wäre es, wenn du deinen Urlaub verlängerst und ihn besuchst? Wenn dich jemals jemand verstehen kann, dann er.“ Dieser Vorschlag überraschte mich, doch je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel er mir. Natürlich hatte sie Recht. Warum war ich da nicht schon vorher drauf gekommen? Seit dem Treffen mit den Volturi damals hatte ich ihn nicht wiedergesehen und schon fast wieder vergessen. Bis nach Chile war es tatsächlich nicht weit und anhand seiner Spuren würde ich auch ihn finden, wie ich schon Kachiri gefunden hatte. Es wäre die ideale Möglichkeit endlich mit jemandem über alles reden zu können, der so ist, wie ich. „Ja, du hast Recht.“ Ich nickte und tippte die Nummer von Bella fertig ein. „Ich sage nur zu Hause Bescheid und mache mich gleich morgen früh auf die Suche nach ihm!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)