Verlorene Kinder von angeljaehyo (Leichenblässe) ================================================================================ Kapitel 1: Leichenblässe ------------------------ Die zwei blassen Kinder saßen in sich eingesunken auf der harten Holzbank. Ihre elfenbeinfarbenen Lider geschlossen lehnten sie aneinander und sahen aus, als würden sie friedlich schlafen. Der etwas größere der beiden hatte helles, blondes Haar. Sein weißes Hemd war faltenfrei und sauber, darüber war ihm sein pupurfarbener Mantel gelegt worden, der exakt zu seiner kurzen Hose passte. Das dunkelgrüne Band um seinen Hemdkragen war zu einer perfekten Schleife geschnürt. Man sah es zwar nicht, aber unter den Augenlidern verbargen sich zwei hellblaue, nun leblose Augen. Sein Kopf ruhte auf dem des anderen kleinen Jungen, und eine noch frische Träne rollte über die Wange des blonden Kindes und versank im dunklen Haar des anderen. Dieses hatte einen ebenso hellen Teint wie der Junge neben ihm, ebenso rein weiße Haut wurde von der einzigen Kerze im Raum beleuchtet. Diese helle Haut gab den beiden ein fahles, fast schon unwirkliches Aussehen, so als wären sie Geister, oder Porzellanpuppen. Ein wahrlich wunderschöner Anblick; fast könnte man meinen, sie schliefen. Der etwas kleinere Junge war gleichermaßen elegant gekleidet; sein blauer Anzug war tadellos und saß perfekt, seine kleine Hand umklammerte immer noch seinen etwas befremdlich wirkenden Gehstock. Die Wange des Kindes ruhte auf der pupurfarben angezogenen Schulter des anderen, ihre Hände lagen aufeinander. Ein sehr friedliches Bild gaben die beiden ab, zwei ruhende, schlafende Kinder, fast, als ob sie auf ihre Eltern warten würden, die sie noch spät von einer Abendveranstaltung zurückkehrend empfangen wollten. Man konnte sich vorstellen, wie erst einmal der dunkelhaarige Junge aufspringt, wie das blonde Kind fast auf die Bank fällt, bevor es sich aufrappelt und auch zu den Eltern rennt, wie die liebenden Eltern ihre beiden Söhne umarmen und gleichzeitig schelten, sie sollten doch nicht so lange wachbleiben. Doch die zwei Kinder waren allen. Denn sie hatten keine Eltern. Sie hatten jedoch Beschützer. Von der etwas anderen Art. Gehabt. Endlich stand Alois Trancy Earl Phantomhive gegenüber. Nun könnte sein Wunsch erfüllt werden, nun konnte Claude dem Vertrag nach agieren. „Ciel Phantomhive!“, schrie der blonde Junge. „Du bist schuld an allem, was mir passiert ist! Dafür sollst du büßen!“ Er drehte sich blitzschnell zu seinem Butler um, ein leicht hysterischer Ton schlich sich in seine Stimme ein. „Claude, das ist ein Befehl! Töte ihn und seinen blöden Butler. Dann kannst du mit mir machen, was du willst.“ Er wusste, dass dies sein eigenes Ende bedeutete. Aber Earl Phantomhive hatte nichts anderes verdient. Das Gesicht seines Butlers zeigte keine Regung. Erst nach einem kleinen Moment verbeugte er sich und sagte: „Yes, your Highness.“ Ciel Phantomhive war das exakte Gegenteil des anderen Earls. Er bewegte sich nicht hektisch, sehr ruhig, als ob er mit all dem gerechnet hätte, als hätte er sich mit dem Ende abgefunden. „Du weißt, was du zu tun hast. Das ist das Ende. Meine letzte Rache. Danach... Sebastian.“ Seine Stimme war völlig beherrscht, er drehte sich nicht einmal zu seinem treuen Butler um. Dieser lächelte sofort und sagte ohne zu zögern: „Yes, my Lord.“ Alois ballte die Fäuste. „Dein Butler hat keine Chance gegen meinen!“, schrie er und lachte danach siegesgewiss. Sein aufgebrachtes und Ciels ruhiges Gesicht lagen in tiefen Schatten, alles war erhellt von bloß einer Kerze, die in der Mitte des Raumes stand, zwischen Alois und Claude und Ciel und Sebastian. „Sebastian“, die Stimme des dunkelhaarigen Jungen wurde schroff, „warum fängst du nicht an zu kämpfen?“ Zum ersten Mal schielte er hinüber zu seinem Butler. Dieser lächelte weiterhin. „Mir ist da etwas eingefallen...“ „...und mir auch“, führte Claude den Satz weiter und richtete seine Brille. Sein und Sebastians Blick trafen sich, die beiden gaben ein Bild des völligen Einverständnisses ab. „Was ist?!“, schrie Alois. „Kämpfe endlich!“ „Das wird nicht nötig sein“, entgegnete der kühle Butler. Sein Blick verließ den Sebastians nicht einen Bruchteil einer Sekunde. „Wozu sich anstrengen?“ Theatralisch hob Sebastian die Hände in einer fragenden Geste in die Luft und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. In einer Bewegung drehte er sich zu seinem jungen Herrn um und zog sich mit seinen Zähnen den Handschuh der rechten Hand aus, nur um danach mit der Hand das Gesicht des Jungen zu umfassen. „Wozu ein Kampf? Nehme ich mir jetzt Eure Seele und Claude die des Earl Trancy, so seid Ihr doch wohl beide glücklich, schließlich ist der andere dann tot - oder schlimmer - und wir haben unsere Verträge erfüllt, oder?“ Ciel schnaubte und sah auf die Seite. „Sehr gutes Zeitmanagement.“ „Was wäre es, wenn ein Butler der Phantomhives so etwas nicht bewerkstelligen könnte?“ Sebastians Grinsen war ironischer denn je. Von der anderen Seite des Raumes hörte man ein entsetztes Keuchen. „Du... Du nimmst mir jetzt meine Seele?“ Der hysterische Ton in Alois‘ Stimme war immer noch vorhanden, bloß war sie jetzt auf keinen Fall mehr siegessicher. „So lautet der Vertrag“, war die gefühlskalte Entgegnung seines Gegenübers. Kurz sahen sich Ciel und Alois mit einem hasserfüllten Blick an. Danach blickten sie wieder zu ihren Butlern, ihren Verfolgern, ihren Beschützern, ihren Mördern, ihren Gebietern. Keiner von beiden jammerte oder winselte. Sie nahmen es mit einer Würde und einer Nobilität, die ihresgleichen suchte. Beide ebenbürtig bis in den Tod. Kein weiteres Wort wurde mehr gewechselt. Kein Abschied, kein Lebewohl, keine letzte Bitte mehr. Genau gleichzeitig beugten sich die großen schwarzen Gestalten hinab zu den kleinen blassen Kindern und Lippen berührten einander. Bald darauf sackten die Kinder ineinander zusammen. Sebastian setzte seinen Schützling auf die Bank, strich ihm sanft das Haar aus den so ungleichen Augen, die man nun sah, da die Augenklappe verrutscht war, und schloss diese schnell. Daneben platzierte Claude nun seinen ehemaligen jungen Herrn und imitierte Sebastians Bewegungen unwissentlich. Beide richteten sich danach auf. „Nach Hause?“, fragte Claude, von all dem Geschehenen unberührt. „Nach Hause“, antwortete Sebastian. Er lächelte. Friedlich saßen die beiden Kinder immer noch auf der Bank. Die Kerze neigte sich ihrem Ende zu, bald würde es dunkel werden. Alois‘ Mund war fest geschlossen, Ciels Augenklappe mit ihrer Schnur hingen ihm um den Hals, doch dies machte nichts. Seine Augen waren geschlossen. Plötzlich tat es einen Luftzug, die Flamme der Kerze flackerte gefährlich, hüllte die Umgebung in seltsame Schatten. Einer der Schatten nahm plötzlich Form an. Eine weiß behandschuhte Hand berührte sanft eine Wange von wunderschöner weißer Haut. „Junger Herr, es ist Zeit, aufzuwachen.“ Rote Augen verengten sich, als der Mund zu grinsen anfing. „Na endlich, es war furchtbar unbequem mit dem hier auf mir.“ Ciel stand auf, allerdings nicht ohne die Leiche Alois Trancys mit gebührendem Respekt auf die Bank zu legen. Er berührte seine Wange. „Es tut mir leid, nicht jeder hat so einen Butler wie ich.“ Mit einer kleinen Bewegung wischte er die Träne vom Gesicht des blonden Jungen. „Vielen Dank für das Kompliment“, ertönte die Stimme des Dämons hinter ihm. „Wollt ihr meinem Kuss von vorhin auch ein Kompliment machen?“ Sebastian konnte sein Lachen kaum unterdrücken, während Ciel rot wurde. „Was sollte das eigentlich?!“ Beschämt sah er weg. Sebastian näherte sich ihm, und der dunkelhaarige Junge holte mit der rechten Hand aus, wollte seinem unverschämten Butler eine schallende Ohrfeige verpassen, doch dieser war wie immer schneller. Im Schwung schnappte er sich das schlanke Handgelenk seines Herrn, ohne diesem dabei wehzutun, und legte sich selbst dessen Hand auf die Wange. Ciels Gesichtsausdruck wechselte von hart und beschämt auf sanft und noch beschämter. „Bis zum Schluss“, Ciels Stimme war nur ein Flüstern, „nicht wahr, Sebastian?“ Der große Dämon kniete sich auf eines seiner Knie vor dem Kind, er führte die Hand, die immer noch in seiner lag, zu seinem Mund und küsste sie erst einmal in die Handfläche, dann auf den Handrücken. „Bis zum Schluss. Und bis dahin bin ich immer bei Euch“, flüsterte der dämonische Butler gegen die Haut seines kindlichen Herrn. Wie immer zierte seine Lippen ein ironisches Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)