Wolfsliebe von Scarla ================================================================================ Kapitel 15: Trennung -------------------- »Und wieso darf ich ihn noch mal nicht knebeln?« Sly schaute feindselig zu Kenai zurück. »Weil deine Schwester aus irgendeinem Grund einen Narren an ihm gefressen zu haben scheint… Ich würde mich jetzt ins Zeug legen, Lugh.« Ice schaute den jungen Zauberer nachdenklich an. »Wieso? Soll sie sich ruhig mit ihm unterhalten, vielleicht findet sie ja ein wenig etwas über seinen Auftraggeber heraus. Und über die Söldnergilde im Allgemeinen.« Lugh Akhtar zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wieso haben wir ihm eigentlich die Fesseln abgemacht? Ich meine, was tun wir, wenn er jetzt abhaut? Ich denke nicht, dass er noch einmal einzufangen ist«, warf Sly ein. »Nea vertraut ihm und wir sollten ihr vertrauen«, bemerkte Cinder vom Pferderücken aus. Sly schaute besorgt zu ihr hoch. Sie war sehr blass und klang ausgesprochen matt. Sie wirkte kraftlos und müde. »Sollen wir eine Pause machen?«, fragte der Rotschopf leise. »Nein«, antwortete sie und legte mit einem Lächeln eine Hand auf ihren dicken Bauch. Sly wirkte nicht überzeugt, doch er sagte nichts mehr. »Denkt ihr auch, dass Kenai ein solch guter Mensch ist, wie Nea behauptet?«, fragte Ice leise. »Nein. Kein Söldner ist jemals irgendwann ein guter Mensch gewesen«, antwortete Sly und klopfte dem Pferd den Hals. Es war der Schecke. Nachdem Nea mit ihm gesprochen hatte, hatte sich der Hengst dazu bereit erklärt, sie gerne zu tragen. Er wusste, dass Soul und Cinder nicht das waren, was sie zu sein schienen. »Ich finde ihn seltsam…« Lugh Akhtar warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Er mochte es nicht, wie vertraut Kenai und Nea miteinander sprachen, aber er sagte nichts dazu. »Inwiefern?«, erkundigte sich Ice. »Ich weiß nicht… er ist… eben irgendwie anders. Ich denke, da ist noch mehr, als er uns verraten hat. Oder als er Nea verraten hat.« Der junge Zauberer wirkte unentschlossen. »Ja, ich weiß, was du meinst. Als wenn er irgendein riesiges Geheimnis vor uns hat…« Sly wirkte nachdenklich. »Als wenn er etwas wüsste, was niemand sonst weiß. Nur er. Und er weiß auch, dass es für uns wichtig ist, aber er möchte uns lieber zappeln sehen«, nickte Cinder. »Ja, das Gefühl habe ich auch.« »Aber was kann das nur sein?« Der Rotschopf schaute fragend von einem zum anderen. »Ich weiß es nicht. Vielleicht… bringt es etwas, wenn wir ihn einfach direkt fragen. Immerhin hat er uns ja auch ziemlich viel erzählt, nachdem wir irgendwann einfach ganz direkt danach gefragt haben…«, überlegte Lugh Akhtar. »Du kannst es ja gerne versuchen«, lächelte Ice. »Falls er dir antwortet kannst du mir die Antwort gerne mitteilen«, grinste auch Sly. »Ja, ihr habt recht. Es gibt Dinge, die man niemandem auf der Welt anvertraut und schon gar keinem Fremden. Aber was tun wir stattdessen?« Der junge Zauberer wirkte unentschlossen und nicht gerade zufrieden. »Abwarten und Tee trinken«, antwortete Sly mit einem Lächeln, blieb dann aber plötzlich stehen. »Was ist?« Ice schaute seinen Freund alarmiert an. »Habt ihr das eben auch gehört?« »Gehört?« Lugh Akhtar schaute sich um, entdeckte aber nichts ungewöhnliches. »Vielleicht kommt Soul zurück«, überlegte Ice. »Nein, es… hat sich nicht gerade nach Wolfspfoten angehört…«, zögerte Sly. »Ich geh mich umschauen«, erklärte Lugh Akhtar und war binnen Sekunden in seine Wolfsgestalt gewechselt. Er verschwand im Unterholz der westlichen Nadelwälder. Seine Freunde schauten ihm kurz nach, liefen dann langsam weiter. Nach kurzer Zeit hörten sie das Trommeln lauter Wolfspfoten, doch es war Soul, die zurückkehrte. Sie verwandelte sich geschickt wieder in einen Menschen zurück und lächelte. »Der Westen ist wirklich toll!«, erklärte sie begeistert. »Der Westen ist in erster Linie gefährlich«, antwortete Ice, lächelte dabei aber verträumt. »Warum eigentlich? Bisher habe ich nichts entdeckt, was gefährlich war. Seltsam, ja, aber nicht gefährlich«, überlegte sie. »Nicht alle Gefahren sind auf den ersten Blick gleich zu erkennen«, antwortete Sly ernst. »Da hat er recht. Die Gefahr des Westens liegt nicht ganz so offen dar, wie es im Süden und Norden der Fall ist. Hier liegt sie in der Politik der einzelnen Kleinreiche. Es gibt Gebiete, da werden Zauberer gejagt, in anderen dagegen werden Menschen von den Zauberern nicht nennenswert besser behandelt, als Rex es tut«, erklärte Ice. »Sagt mal…«, mischte sich mit einem Mal Cinder ein. »Woher nehmt ihr eigentlich das Recht, die anderen zu verurteilen?« Die beiden Männer schauten verblüfft zu ihr auf. »Wie meinst du das?«, fragte Sly. »So, wie ich es sage. Das ist mir auch schon früher aufgefallen. Ihr verurteilt die anderen, nur weil sie anders sind. Vielleicht ist ja das, was Rex tut gut und richtig und sie sind die Bösen. Vielleicht ist diese klare Trennung von Mensch und Zauberer, die hier vorzuherrschen scheint ja auch gut und sinnig. Vielleicht sind sie ja glücklich so«, überlegte die junge Frau. »Cinder…«, begann Sly, doch Cinder schüttelte entschieden den Kopf. »Sie hat recht. Ihr habt eure Ideale, aber wer beweist euch, dass es so richtig ist?«, stimmte auch Soul zu. »Weil unsere Ideale darauf aufbauen, dass niemand zu Schaden kommt«, antwortete Ice. »Und warum ist das gut? Warum heißt das, dass alles andere automatisch schlecht ist?« »Das bedeutet es doch gar nicht. In Altena wird auch die Politik des Südens und des Ostens geschätzt. Aber was bitte ist gut daran, wenn man ein anderes Wesen jagt, nur weil man Angst davor hat?«, hielt Sly dagegen. Cinder antwortete darauf zwar nicht, aber sie machte nicht den Eindruck, dass es daraus resultierte, dass sie keine Erwiderung mehr parat hätte, sondern vielmehr, dass sie nicht streiten mochte. Das gleiche galt für Soul, die es ebenfalls vorzog, die ganze Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Die Schwestern kamen nun einmal aus einer so völlig anderen Welt, dass sie die Fähigkeit hatten, nicht von gesellschaftlichen Idealen geblendet zu sein. Doch im Moment sagten sie nichts. »Wo ist eigentlich Lugh Akhtar?«, lenkte Soul das Thema in eine völlig neue Richtung. »Sly hat vorhin ein Geräusch gehört und Lugh ist losgezogen, den Ursprung zu ergründen«, antwortete Ice sanft und liebevoll. »Hey ihr vier, was haltet ihr von einer kleinen Mittagspause?«, rief Nea von hinten. »Ja, eine Pause ist nötig«, stimmte Sly leise zu und schaute zu Cinder hinauf. »Wir suchen nur noch eine geeignete Stelle«, rief Ice zu ihr zurück. Kurze Zeit später hatten sie sie gefunden und ließen sich zum essen nieder. Nur kurze Zeit später stieß auch Lugh Akhtar wieder zu ihnen. »Und, was hast du entdeckt?«, erkundigte sich Ice. »Nichts Besonderes. Es sind Tiere in der Nähe, die ziemlich groß und schwer zu sein scheinen, denen will ich nicht unbedingt begegnen, aber ansonsten…« Der junge Zauberer zuckte die Schultern und setzte sich dazu. »Bärenspuren«, bemerkte Kenai. »Was?« Irritiert schaute Sly ihn an. »Das sind Bärenspuren. Die sind hier überall.« Der junge Söldner lächelte. »Was sind Bären?«, fragte Nea neugierig. »Sehr große Tiere, die ein wenig Ähnlichkeit mit Hunden haben… glaub mir, du wirst sie erkennen, wenn du sie siehst«, lächelte Kenai. »Kenai bedeutet auch Bär, nicht wahr?« Sly schaute fragend auf den Söldner. »Ja«, bestätigte der. »Du bist aus dem Westen, oder? Aus welcher Region?«, wollte Ice wissen. »Ich komme aus…« Kenai brach ab, als ein lautes Knacken durch den Wald scholl. Ohne ein Wort verwandelte sich Lugh Akhtar wieder in den Wolf und lief langsam in die entsprechende Richtung. Die anderen standen auf und beschlossen, dass es besser war, ihre Pause zu unterbrechen, sprachen dabei jedoch nicht ein Wort. Deswegen verstand Kenai es auch erst, als Nea ihn mehrfach knuffte und damit zum Aufstehen bewog. »Wollt ihr nicht auf Lugh Akhtar warten?«, fragte er leise. »Nein. Glaub mir, er kann auf sich selbst aufpassen«, lächelte Nea ebenso leise und drückte ihm die Zügel des Packpferdes in die Hand. »Meinst, das war einer dieser Bären?« Soul schaute sich immer wieder neugierig um. »Nein. Kein Tier der Welt würde so rücksichtslos durch den Wald brechen«, fand Ice. »Dann bist du noch nie einem ausgewachsenen Grizzly begegnet, was?« Kenai lächelte nachsichtig. »Nein, aber ich kenne genug Waldbewohner um zu wissen, dass sie nicht so laut durch den Wald stürzen«, antwortete Ice kalt. »Ein ausgewachsener Braunbär hat es nicht nötig, sich vor irgendetwas zu verstecken, wenn er satt ist. Deswegen sind sie auch nicht leise.« Kenai band die Pferdezügel zusammen und warf sie dem Tier über den Kopf. »Was tust du?«, wollte Sly misstrauisch wissen. »Dem Tier eine reelle Chance für eine Flucht verschaffen. Ich habe zumindest nicht vor, es mit losen Zügeln laufen zu lassen, da verheddert es sich nur und bricht sich die Beine.« Der Söldner bleckte die Zähne. Die Blicke der beiden Männer sprachen Bände, aber sie antworteten nicht. Stattdessen hob Sly Cinder wieder auf den Pferderücken. Keine Sekunde zu früh, denn da kam gerade Lugh Akhtar angeprescht. Im Laufen noch verwandelte er sich zurück. »Zauberer aus Altena«, erklärte er gehetzt, als auch schon die Ersten auftauchten. Sofort rannten sie los, aber es war ziemlich schnell klar, dass sie so nicht entkommen konnten. Kenai war der erste, der darauf reagierte. Er griff sich Nea, schob sie aufs Packpferd und sprang hintendrauf. Dann gab er dem Tier die Sporen und es jagte davon in den Wald hinein. »Verdammter Feigling!«, wetterte Sly böse. »Aber er hat recht, wenn wir uns trennen, dann kriegen sie uns nicht so schnell«, wandte Ice ein. »Oder wir kämpfen einfach.« Sly blieb abrupt stehen und wandte sich um. Er hatte fleißig geübt, sodass es nun ein Leichtes für ihn war, einen kleinen Feuersturm auf sie loszulassen. »Komm mit verdammt, das hält sie nicht auf!«, brüllte Lugh Akhtar und zerrte ihn einfach mit sich, als er vorbei lief. »Aber so entkommen wir nie!« Doch auch das Feuer brachte ihnen nur Sekunden ein, da war es auch schon mit Wassermagie gelöscht. »Dann lauf eben schneller!«, antwortete Ice bissig, obwohl sehr deutlich war, dass er noch lange nicht all sein läuferisches Können ausspielte. Da verwandelte sich Lugh Akhtar wieder in den weißen Wolf und ging zum Angriff über. Er sprang einen der Zauberer an, musste sich dann jedoch der anderen erwehren. Soul tat es ihm nach und stürzte sich ebenfalls als Wölfin ins Getümmel, was einen scharfen Rückruf von Ice zur Folge hatte, jedoch ignorierte sie ihn gekonnt. Auch Sly blieb nun abermals stehen und zückte sein Messer. Obwohl er in einem magischen Kampf eindeutig unterlegen war, konnte er nicht einfach seine Freunde kämpfen lassen und selbst verschwinden. Doch gerade als Ice sich ebenfalls fluchend ins Getümmel stürzen wollte, zerriss eine Explosion die Umgebung. Der Druck warf ihn zurück und gegen einen Baum. Er brauchte einen Moment, um wieder klar denken zu können, doch als er wieder bei Verstand war, da bot sich ihm ein Flammenmeer. Er starrte auf den brennenden Wald und auf die schreienden schwarzen Schattengestalten, die dort zu verbrennen schienen. Seine Freunde sah er nicht und auch Soul nicht. »Ice, was…?« Cinder rutschte umständlich vom Pferderücken und kam mit großen Augen näher. »Lass uns von hier verschwinden.« Auf Ice stürzten so viele Gedanken und Empfindungen auf einmal ein, dass er gar nicht in der Lage war, sie alle zu verarbeiten. So drehte er sich ruhig zu Cinder um, lächelte beruhigend und führte sie zu Sivan zurück. »Was ist mit Sly?«, fragte sie ängstlich. »Er wird vermutlich gerade ein paar Zauberer braten.« Ice wusste nicht einmal, was er sagte, nur, dass er es tat. »Wir sollten ihn dabei nicht stören. Er wird nachkommen.« Cinder wirkte nicht überzeugt und wollte in Richtung des Feuers laufen, doch Ice hob sie einfach hoch, setzte sie auf den Pferderücken und kletterte hinterher. »Ice, lass mich runter, ich will zu Sly.« Er hörte die Panik in Cinders Stimme, aber er ignorierte sie. Auch, als sie zu schreien und kreischen begann und auf ihn einhiebte. Er wusste nur, dass er sie wegbringen musste. Das war sein einziger klarer Gedanke, das einzige Ziel, das er für diesen Moment kannte. Alles andere verdrängte er, irgendetwas anderes zu tun, oder sich zu fragen, ob es wirklich so wichtig war, hätte auch bedeutet, sich mit dem gesehenen auseinanderzusetzen, was unweigerlich auf die Frage hinauslaufen würde, ob Soul, Sly und Lugh Akhtar die Explosion überlebt hatten. Und vor der Antwort hatte er eine solch große Angst, wie vor nichts anderem in seinem Leben. Deswegen trieb er den Schecken in den Galopp und versuchte, so schnell, so weit weg wie irgend möglich zu kommen. Dabei hielt er Cinder fest in seinem Arm und versuchte, an nichts zu denken. Doch er wusste, dass er sich irgendwann stellen musste. Im Moment lief er aber lieber davon. Ohne zurückzublicken, mit einem Herzen voller Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)