Wolfsliebe von Scarla ================================================================================ Kapitel 21: Zurück ------------------ Die Sonne erhob sich langsam über den Bergen und erhellte die Welt. Sie verscheuchte den nächtlichen Nebel und ließ eine so klare Luft zurück, dass man meinte, wenn man sich nur genug anstrengte, dann gewahr man selbst den Turm der Zauberer in Altena, der tausende Meilen entfernt lag. Lugh Akhtar lachte, als er den knirschenden Frost unter den Stiefeln hörte und den Geruch von Schnee in der Nase hatte. Es hatte geschneit, aber nicht viel, sodass bis jetzt alles wieder weggetaut war. Doch nicht nur der Sonnenschein, die kalte Winterluft und die wunderschöne, leuchtende Welt um ihn herum ließen ihn vor Glück jauchzen. Nein, viel wunderbarer war die Erinnerung an das, was hinter ihm lag. Die vergangene Nacht hatte aus mehr Freude, Lachen, Lebenslust und Zauber bestanden, als er es jemals für möglich gehalten hatte. Und all dieser Zauber war noch immer in seinem Herzen, erfüllte ihn mit einer unbändigen, tiefgehenden Freude. Er fühlte sich im Reinen mit der Welt, er war innerlich so ruhig wie schon lange nicht mehr und er hatte das Gefühl, dass er alles schaffen würde, wenn er es nur genug wollte. Er meinte, dass nichts auf der Welt ihm mehr schaden konnte und er wusste, dass er nun nach Hause gehen konnte. Er hatte keine Angst mehr vor dem, was ihn erwarten würde, dazu war ihm viel zu leicht ums Herz. »Kinaya, sind die Morgende der Sonnenwechsel immer so wunderschön, oder erscheint mir nur alles viel schöner?«, fragte er lachend. »Vielleicht lässt deine Mutter die Welt auch einfach für dich viel heller strahlen, als sonst«, lächelte die Frau und sog tief die reine Luft ein. »Wir sind fast da, oder?« Der junge Zauberer schaute sich suchend um. »Ja. Wirst du dich mit meinem Sohn wieder vertragen? Oder bist du noch immer so wütend auf ihn?«, fragte sie besorgt. Sie erhielt darauf zwar keine Antwort, doch als sie das Blitzen in seinen Augen gewahr, machte sie sich doch ein wenig Sorgen. Einige Zeit später, es war schon fast mittag, da kamen sie beim Haus an. Sie hörten laute Rufe, es schien, als wäre dort ein Streit im Gange. Kinaya und Lugh Akhtar schauten einander zögernd an, dann öffnete der junge Zauberer und ging als erstes hinein. »Nein Soul!«, ertönte da gerade Ice’ scharfer Befehl aus der Küche. »Aber ich will! Und du wirst mich davon nicht abhalten«, fauchte seine junge Frau daraufhin böse. Lugh Akhtar trat an die Tür und beobachtete die Situation einen Moment. Cinder saß auf der Eckbank und blickte seltsam ratlos auf ihre Freunde. An der Tür, nur zwei Meter von ihm entfernt, stand Sly und verkniff unwillig den Mund, als wenn ihm diese Situation nicht gefiel. Kenai beobachtete den Streit aufmerksam, aber weder besorgt, noch erfreut. Nea stand am Fenster, hatte sich gegen die Wand gelehnt und wirkte besorgt. »Worum geht’s?«, erkundigte sich Lugh Akhtar, nachdem er das alles erfasst hatte. Erschrocken wandten sich alle Blicke in seine Richtung. »Lugh!« Sly war der erste, auf dessen Gesicht ehrliche Freude und Erleichterung zu sehen waren, doch auch seine Freunde wirkten erleichtert und erfreut über seinen Anblick. Nur Kenai betrachtete ihn mit einer zurückhaltenden Neugierde, aber nicht feindselig. »Wo warst du die ganze Nacht, wir haben uns Sorgen gemacht.« Nea kam zwei zögernde Schritte auf ihn zu und Lugh Akhtar lächelte sie freudig an, doch antwortete er ihr nicht. Stattdessen schaute er fragend auf Soul und Ice. »Worum geht es bei eurem Streit?«, fragte er noch einmal. »Ice will mich nicht mitgehen lassen, wenn wir zum Herbst gehen«, beschwerte sich Soul sogleich. »Natürlich nicht. Soul, das ist doch viel zu gefährlich«, fand Ice. »Und unnötig, sowohl der Herbst, als auch der Frühling werden uns helfen«, antwortete Lugh Akhtar und lächelte über das Erstaunen seiner Freunde. »Aber was…?« »Wir haben sie alle getroffen und sie haben Lugh Akhtar angehört und beschlossen, ihm zu helfen.« Auch Kinaya trat nun auf die Bildfläche. »Mam!« Jetzt wirkte Kenai nicht mehr, wie ein stiller Beobachter, sondern war mit wenigen Schritten bei der hübschen Frau und umarmte sie fest. »Ich hab dich vermisst, als du gestern nicht da warst.« »Ich habe den Wechsel der Jahreszeiten angesehen«, lachte Kinaya und entwand sich vorsichtig seiner Umarmung. »Hat er dich mit seinen seltsamen Ideen auch schon angesteckt?« Kenai klang traurig. »Das brauchte er nicht. Aber bevor du deinen Freunden erzählst, was geschehen ist… willst du sie mir nicht vorstellen, Lugh Akhtar?« »Entschuldige, natürlich. Der Rotschopf ist Hope, der Blauhaarige ist Ice, der Prinz von Navarre. Ihm gegenüber ist seine Frau und meine kleine Schwester Soul und auf der Bank das ist unsere Schwester Cinder. Und am Fenster steht Nea«, erklärte der junge Zauberer. »Schön euch kennen zu lernen, vor allem euch, Cinder und Soul.« Ein Blitzen war in ihren Augen, was wohl nur Lugh Akhtar zu deuten vermochte. »Wer bist du?«, fragte da Cinder neugierig. »Ich bin Kinaya, Kenais Mutter«, stellte sie sich lächelnd vor. »Ich habe das Gefühl, dass du eine Menge zu erzählen hast«, brachte da Sly verblüfft hervor. »Das stimmt wohl, aber dazu ist es hier doch viel zu ungemütlich. Lasst uns ins Wohnzimmer gehen«, schlug der junge Zauberer lächelnd vor. Seine Freunde kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass es nicht nur einfach ein Vorschlag war und so trollten sie sich. Als letztes wollte Kenai die Küche verlassen, doch Lugh Akhtar vertrat ihm blitzschnell den Weg. »Willst du heute da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben?«, wollte der Söldner wissen. Er schien gefährlich klingen zu wollen, doch Lugh Akhtar hörte das Zittern in seiner Stimme nur zu gut. »Nein, das will ich nicht. Ich möchte mich entschuldigen, du hast recht. Ich habe wirklich zu lange einfach nur so vor mich her gelebt und Nea dabei völlig außer Acht gelassen. Aber das wird nicht so bleiben.« Er lächelte wissend. »Weißt du Kenai, ich weiß eine Menge über dich. Vermutlich mehr, als du selbst weißt.« »Wie… kommst du darauf?«, zögerte der Söldner. »Weil Kinaya mir viel erzählt hat. Aber nicht nur sie. Deswegen weiß ich auch, dass wir gar nicht so verschieden sind. Weißt du, wir haben eine Menge gemeinsam…« Der junge Zauberer lächelte bei Kenais erstauntem Gesicht, fuhr dann zufrieden fort. »Aber das ist es natürlich nicht, was ich dir sagen will.« »Sondern…?«, wollte der junge Mann unsicher wissen. »Nun, ich möchte dir mitteilen, dass ich deine Herausforderung annehme.« »Welche… Herausforderung?« »Nea. Ich weiß nicht, ob es wirklich Liebe ist, was sie für dich empfindet, und ich weiß auch nicht, ob ich eine Chance habe. Aber ich werde nicht kampflos aufgeben. Wann immer du schwächelst, werde ich da sein. Und irgendwann, wenn das Schicksal es will, wird sie wieder an meiner Seite sein. Ich werde tun, was auch immer ich tun kann. Ich werde nicht direkt gegen dich kämpfen. Aber ich werde Nea zeigen, wie ernst es mir ist und auch immer war. Und wenn es tausend Jahre dauern mag. Ich kann warten.« Damit wandte sich der junge Zauberer ab und ließ den Söldner einfach stehen. Kenai schaute ihm aus großen Augen erstaunt nach. Er verstand nicht wirklich, was der Zauberer ihm hatte sagen wollen. Wie konnte ein völlig Fremder denn mehr über ihn wissen, als er selbst? Selbst dann, wenn er die ganze Nacht mit Kinaya gesprochen hatte, es gab so vieles, was auch sie nicht kannte oder wusste. Doch was er durchaus verstanden hatte war, dass Lugh Akhtar ihm Nea wieder wegnehmen wollte. Und dazu war ein stiller, unsichtbarer Kampf von Nöten. Doch spielte es jetzt keine Rolle. Er setzte sich zu den anderen ins Wohnzimmer. »Wisst ihr, wenn die Jahreszeiten ihre Macht wechseln, dann treffen sie sich im Reich von dem, der seine Macht aufgeben muss, in diesem Fall der Herbst. Dort erzählen sie, was in letzter Zeit geschehen ist, sie berichten von freudigen Dingen und von traurigen oder schlechten Erfahrungen. Aber sie reden nicht nur, sie lachen auch und tanzen, es ist fast so, als wenn sie ein Fest feierten«, begann der junge Zauberer gerade. »Wieso durftest du dorthin?«, fragte Nea erstaunt. »Na ja, manchmal bringen sie Gäste mit. Leute, die ihnen sehr wichtig sind, manchmal auch einfach nur ein Mensch, der das Träumen nicht verlernt hat. Ich bin nicht der erste, der ihrem Fest beiwohnen durfte, auch Kanoa war schon einmal dabei und vor ihm so viele andere«, erklärte der junge Zauberer. »Wie sieht der Herbst aus? Der Winter hat die Gestalt einer Wölfin, das habt ihr erzählt, und der Sommer ist ein Löwe. Was also sind der Herbst und der Frühling?«, wollte Sly neugierig wissen. »Der Herbst, ja… Ich habe niemals zuvor irgendwo so ein Wesen gesehen. Kinaya aber sagte, dass er in der Gestalt eines Bären auftauchen würde, genauso wie seine Gefährten. Und der Frühling... ist ein junges Mädchen.« »Und ihre Tiergestalt?«, fragte auch Nea neugierig. »Das ist ihre bevorzugte Gestalt. Wie auch die anderen kann sie jede Gestalt annehmen, die sie möchte, aber sie und ihre Gefährten sind in der Regel Menschen. Ich habe sie gefragt, wieso, da hat sie mir erklärt, dass auch Menschen irgendwie Tiere sind und gefährliche, Furcht einflößende Raubtiere noch dazu. Und deswegen sind ihre Gefährten gewöhnliche Menschen oder Zauberer und sie selbst wandelt fast immer selbst in Menschengestalt«, erklärte Lugh Akhtar. »Was haben sie gesagt, als du sie um Hilfe gebeten hast?«, fragte Soul mit leuchtenden Augen. »Sie haben mich angehört und wie auch der Sommer schon ihre Begleiter um Rat gefragt. Der Herbst hat schnell zugestimmt, der Frühling hat sich erst ein paar Mal bitten lassen. Aber auch sie hilft uns nun, obwohl sie die Kämpfe nicht ausstehen mag. Aber… nicht einmal sie sind sich sicher, dass sie gemeinsam gegen ein ganzes Zauberreich bestehen können. Sie sind nicht mächtiger als wir, sie bedienen sich nur anderer Möglichkeiten«, berichtete Lugh Akhtar zögernd. »Was meinst du damit?«, wollte Ice sogleich alarmiert wissen. »Mit ihnen an unserer Seite haben wir kaum etwas gewonnen… deswegen, Sly… du hast irgendwann einmal gesagt, dass es eine Macht gibt, die über den Jahreszeiten steht… welche ist es?« Hoffnungsvoll schaute der junge Zauberer auf den Rotschopf. »Es sind zwei Mächte, von ihnen wird im Nachtbuch berichtet. Es werden nirgendwo ihre Namen genannt, aber… wenn ich es richtig verstehe, dann sind sie so etwas wie die Erschaffer der Welt, wie sie jetzt ist. Und die Schöpfer der Jahreszeiten«, antwortete der leise. »Ihre Eltern sozusagen?« Lugh Akhtar schaute ihn fragend an. »Könnte man so sagen, ja«, bestätigte Sly. »Hilft uns das weiter?«, fragte Ice unsicher. »Nicht wirklich. Ich zumindest weiß nicht, wer ihre Eltern sind«, murmelte der junge Zauberer. »Wir könnten zu einem Nachttempel laufen. Sie sind immer in der Nähe der magielosen Orte, also müsste sich hier einer befinden. Vielleicht finden wir dort etwas Hilfreiches«, schlug Nea vor. »Nicht an jedem magielosen Ort gibt es einen Tempel«, erklärte Sly. »Ich weiß, dass hier zum Beispiel niemals einer war. Wir müssten noch weiter in den Westen in ein Zauberhetzergebiet.« »Dann sollten wir das tun und hoffen, dass wir unerkannt bleiben«, meinte Ice. »Das wird niemals gut gehen«, fand der Rotschopf. »Vermutlich nicht, aber was sollen wir denn sonst machen?«, wollte sein Freund wissen. »Leute?«, mischte sich Cinder leise ein, wurde aber ignoriert. »Weiß ich nicht, aber ich mag nicht gerne am Galgen enden. Und ich bin immerhin derjenige, der am ehesten unerkannt blieb.« »Ich auch nicht, aber wenn die Jahreszeiten uns nicht helfen können, dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen, und das ist die sinnvollste Alternative.« »Das mag sein, aber es wäre trotzdem wahnsinn.« »Jungs.« Wieder mischte Cinder sich ein, diesmal lauter, aber sie bekam immer noch keine Aufmerksamkeit, von niemandem. »Wir können aber auch nicht nach Altena zur Mauer reisen, das wäre noch viel mehr Selbstmord. Und nach Navarre auch nicht, der Weg hierher hat ja schon fast ein halbes Jahr gedauert.« »Und der Osten wäre aus den gleichen Gründen genauso sinnlos, das ist mir durchaus bewusst, aber das alles ändert nichts daran, dass wir so gut wie tot sind, wenn wir weiter nach Westen gehen.« »Denkst du nicht, dass der Weg hierher nicht schon ein riesig großes Risiko war? Kann das überhaupt noch gefährlicher sein? Seit wann bist du überhaupt so vernünftig, normalerweise muss ich dich doch von einer hirnrissigen Idee nach der anderen abhalten.« »Ja, und weil du darin im Moment nicht gerade gut bist, müssen wir eben halt mal die Rollen tauschen.« »SLY!« Nun schrie Cinder. Und jetzt bekam sie auch die Aufmerksamkeit des Rotschopfs, der sie mit einem Stirnrunzeln und ein wenig irritiert anschaute. »Was ist denn?«, fragte er ungeduldig. »Es kommt«, verkündete die junge Frau, was jedoch nur für ein verwirrtes, noch tieferes Stirnrunzeln sorgte. Nicht nur bei Sly, sondern auch bei allen anderen, die gespannt das Gespräch der beiden Freunde verfolgt hatten und nun gedanklich nicht so schnell mit Cinders Themawechsel mitkamen. »Was kommt?«, wollte der Rotschopf unwillig wissen. »Unser Kind.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)