Seven years from now von Ninjagirl ================================================================================ Kapitel 2: Sageki, Miyagi, Hikaru-kun ------------------------------------- "It's happening soon It's happening soon It's scent has been blowing in my direction To me it is new To me it is new And it's not gonna change for anybody" (Muse - Fillip) Shindo war nie pünktlich. Nun, nie war vielleicht übertrieben, aber die Anzahl der Male, die er tatsächlich noch im akademischen Viertel ankam, war verschwindend gering. Nur zu seinen Partien kam er immer pünktlich. Touya hatte sich längst daran gewöhnt – was ihn nicht davon abhielt, den anderen jedes Mal zu tadeln – und erwartete Shindo nie zur verabredeten Uhrzeit. Es wunderte ihn also nicht, dass der andere erst nach neun an seine Tür hämmerte. Touya öffnete die Tür und sagte: "Wozu habe ich dir eigentlich einen Schlüssel für die Wohnung gegeben?" Shindo drückte ihm eine Papiertüte in die Hand, in der Touya mittelgroße Pappschachteln ertastete. Er trat ein und schloss die Tür hinter sich, Touyas Frage geflissentlich ignorierend. Dieser hatte so eine Ahnung, dass sein Ersatzschlüssel irgendwo in dem ungeordneten Haufen lag, der Shindos Wohnung war. Shindo ging ins Wohnzimmer und ließ sich vor dem Goban nieder, während Touya in die Küche ging und die Burger dort ordentlich auf Tellern verteilte. "Tee ist okay?" rief er herüber. "Hmm", hörte er Shindo zustimmen. Touya wartete, bis ihr Tee fertig war, dann brachte er Teller und Tassen zum Goban. Shindo dankte ihm und sie begannen ihre Partie – Essen in der Linken, Steine in der Rechten. Touya gewann knapp und sie schrien sich wie gewohnt nach der Partie an, was wieder einmal zur Folge hatte, dass Touyas Fenster klirrten, weil Shindo noch in der Wohnung über ihm wütete. Von unten stieß ihr Nachbar mit dem Besenstiel gegen die Decke und Touya seufzte und murmelte: "Ist ja gut, wir sind fertig." Er räumte auf und legte sich mit europäischen Kifu ins Bett. Gedämpft hörte er Shindos Fernseher von oben. Am nächsten Morgen nahm er Shindo im Auto mit. Der andere hatte eine wichtige Partie gegen Kurata und plante unabhängig vom Ergebnis, in einer Bar zu versacken, vermutlich mit Waya. Der Rotschopf war bereits verheiratet und hatte einen kleinen Jungen, um den er sich kümmern musste, doch gelegentlich fand er noch Zeit für seinen Freund aus Insei-Tagen. Touya spielte wohl oder übel den Chauffeur, denn wenn nicht, würde er ja doch nur wieder in der Nacht aufbrechen müssen, um Shindo zu suchen. Manchmal fragte er sich, ob der andere ohne ihn überlebensfähig war. Aber vermutlich würde er jemand anderen finden, der sich um ihn kümmerte. Touya hatte an diesem Tag eigentlich nichts zu tun im Institut und plante, sich nach einem passenden Gegner umzusehen. Sollte er niemanden finden, konnte er immer noch Besuchern etwas Shidougo anbieten. Er bog ins Parkhausein und trat kurze Zeit später mit Shindo in den Aufzug. Gemeinsam erreichten sie den Saal, in dem die Partie stattfinden würde. Haruyama, ein Pro, der etwas älter war als sie, aber erst zwei Jahre professionell Go spielte, würde im gleichen Raum die Partie erklären. Shindo holte sich Kaffee und Touya setzte sich in die hintere Sitzreihe. Kurata sah ihn von weitem, aber winkte nur. Touya wusste nicht, wie er sich Kuratas Missfallen zugezogen hatte – vielleicht, weil er Japans Manager im Hokuto-Cup war oder Shindos Freund oder weil er ihm nach nur einem Jahr den Ouza-Titel genommen hatte – doch eigentlich war es ihm lieber so. Kurata war noch immer ein Kindskopf, der sich zu sehr einmischte und wichtigmachte, keine Qualitäten, die Touya schätzte. Shindo saß plötzlich wieder neben ihm und reichte ihm einen Becher Kaffee mit Milch und ohne Zucker, genau wie er ihn mochte. "Danke." Er nahm einen kleinen Schluck und hielt den Plastikbecher dann schützend in den Händen. "Wirst du ihn besiegen?" fragte er Shindo und musterte diesen. "Ich weiß nicht. In Topform ja, aber ich habe so wenig geschlafen..." Touya lächelte leicht. "Ich habe wirklich gut gespielt gestern Abend, kein Wunder, wenn du die halbe Nacht daran gedacht hast." Shindo sah ihn mürrisch an und er wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte. "Die Verteidigung gestern war wirklich gut. Sieh heute zu, dann siehst du, wie ich sie perfektioniere." Das taten sie oft: die Spielweise des anderen nehmen, umkrempeln, herumdrehen, überwerfen und ausdehnen, bis sie wussten, an welcher Stelle sie bei Druck reißen würde. Ihre Go-Strategien waren miteinander großgeworden, so wie sie beide, hatten voneinander gelernt und sich gekeilt und ihre Kanten verloren. Touyas Go war jetzt wie ein ruhiger Fluss, der ab und zu von eiligen Wellen durchschnitten wurde. Shindos Go war ein See: man wusste nie, wie tief er wirklich war, und wenn man sich zu tief hineinwagte, wurde man vielleicht verschlungen. Ihr Go war sich ähnlich, aber ihr Rhythmus war ihnen eigen. Touya baute auf, während Shindo lauerte, umkreiste, folgte. Die Partie begann um elf und Touya blieb. Es waren mehr Zuschauer da als am Vortag, Shindo erregte eindeutig Aufsehen. Nur weniger seiner weiblichen Fans waren anwesend – vermutlich saß die Hälfte gerade in der Schule. Touya erinnerte sich an ihre letzte Partie in diesem Raum. Man hatte zusätzliche Stühle hereintragen müssen und eine zweite Magnetwand, damit möglichst viele Zuschauer das Spiel mitverfolgen konnten. Es waren viele Pros, fast Shindos ganzer Fanclub, unzählbar viele alte Herren und einige Reporter anwesend gewesen. Seit sie beide sich in der Go-Welt etabliert hatten, waren mehr Medien an Go interessiert gewesen. Sie erregten Aufsehen, es gab fast doppelt so viele Insei wie noch zu Shindos Zeiten und Touya beobachtete den Wandel mit Vergnügen. Er wusste, dass auch sein Vater es genossen hätte, den neuen Zusturm zu sehen, doch Touya Kouyo war vor drei Jahren an einer erneuten Herzattacke gestorben. Touya hatte lange Zeit getrauert und Shindo hatte so gut er konnte versucht, seinen Freund zu stützen, meist durch Go. Er hatte nicht zugelassen, dass Touya zu düstere Gedanken bekam, sondern war in kritischen Momenten immer zur Stelle gewesen. Haruyama versuchte, Touya mit Gesten zu überreden, vorzukommen und die Diskussion mit ihm gemeinsam zu führen, doch Touya schüttelte den Kopf. Er würde Shindo nicht kommentieren, er hatte in der Vergangenheit jegliche Angebote des Instituts abgelehnt. Shindo hatte einmal Touyas Partie live diskutiert und Touya hatte sich nicht konzentrieren können und danach stritten sie heftigst. Danach hatte auch Shindo keines der Angebote mehr angenommen. Shindo war gut. Nicht, dass Touya das nicht wusste, aber er stellte es immer wieder zufällig fest und es machte ihn ziemlich glücklich. Shindo war seine Entdeckung gewesen, er hatte ihn in die Go-Welt geführt und angespornt und war vermutlich der Hauptgrund, warum der andere mittlerweile ebenso gefürchtet war wie er selbst. Vielleicht schrieb Touya sich selbst zu viel davon zu, dachte er, aber was soll's. Er hatte zwölf Jahre gewartet, um einen würdigen Rivalen zu finden und nochmal vier Jahre, bis er dem Ausdruck Rivale gerecht wurde. Jetzt schritten sie gemeinsam in Richtung der Hand Gottes. Shindo war gut, dachte er wieder. ~x~ Als sie an diesem Abend spielten, sah Touya wieder diesen verrückten Zug an Shindos Go. Shindo gewann und als es vorbei war, sagte Touya trocken: "Du hattest Sex." "Touya!" Der andere sah verblüfft auf. "Findest du dich nicht etwas zu indiskret?" "Es ist nicht indiskret, etwas auszusprechen, was wir beide wissen", erwiderte Touya. "Na gut... du hast einen miserablen Modegeschmack." Touya sah ihn genervt an. "Was?! Ist es plötzlich indiskret, weil es um dich geht?" Touya schwieg. "Ist ja gut, du hast Recht." Touya machte eine Geste über eine Seite des Goban. "Und wenn ich mir diese Stelle so ansehe, war es vermutlich auch ganz guter Sex." Shindo verdrehte die Augen und sagte nichts. Manchmal war es gruslig, zu sehen, was Touya alles aus einer Partie lesen konnte, wie alte Frauen aus Kaffeesatz. Andererseits hatte er dem Tengen schon immer so viel anvertraut, dass es kein Wunder war, wenn er ihn fast in- und auswendig kannte. "Es war diese Reporterin, ihr erster Go-Pro, sagt sie. Einfach... exquisit." Touya schüttelte missbilligend den Kopf, während er die Steine sortierte und in ihre Behälter schob. Wenn er nicht wüsste, dass Shindo seine One-Night-Stands immer sehr geschäftlich abwickelte, mitsamt Blumen und Karte zwei Tage danach, hätte er wenigstens etwas zum Keifen gehabt, doch der andere ließ ihm keine Möglichkeit. "Wirst du dich in Korea zusammenreißen?" fragte Touya und musterte Shindo besorgt. "Du willst mir doch nicht wirklich meinen Spaß verbieten? Komm schon, Touya, Korea ist das Paradies – ich würde sie nie wiedersehen." Touya seufzte. "Es ist doch sowieso egal, was ich sage, Shindo. Das hat dich bisher auch nicht abgehalten." "Oooh, jetzt sei nicht so, Touya! Ich bring uns morgen Sushi mit, damit du das Schmollen lässt." Als ob Sushi die Herzen dieser Frauen wieder heilen würde, dachte Touya. Shindo war manchmal so einfältig, vielleicht merkte er gar nicht, wie unglücklich er manche seiner fallengelassenen Dates machte. ~x~ Auf dem Flug nach Korea hatten sie auf Shindos magnetischem Goban ein paar Partien gespielt, Touya hatte mit allen Mitteln versucht, sich von seiner Flugangst abzulenken. Er war trotzdem heilfroh, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, der nicht kilometerweit von der Erde entfernt war. Er schritt als erster aus dem Flieger, hinter ihm die drei japanischen Vertreter. Danach folgten die Sponsoren, das Organisationskomitee und diverse Helfer, unter ihnen Shindo. Zwischen ihnen hin und her sprang Sawaki, ihr Fotograf. Sie wurden von Yongha empfangen, der sie an der Seite der koreanischen Pros begrüßte und zu den Autos führte. Er stieg mit Touya und Shindo in den zweiten Wagen und klopfte ihnen auf die Schultern. "Die Rolle des Managers steht dir gut", meinte Touya, doch der Koreaner winkte nur ab. Sie hatten nie wirklich miteinander warm werden können, nur ihrer beider Verbindung zu Shindo brachte sie näher. Yongha hatte bis zum zweiten Hokuto-Cup japanisch gelernt, um nicht mehr auf Übersetzer angewiesen zu sein. "Shindo, ich sehe, du hast unserem werten Touya Tengen noch keinen seiner Titel genommen", scherzte Yongha. Wann genau hatte der Koreaner herausgefunden, dass Touya dieser Titel weniger lieb war? Touya seufzte, eigentlich konnte er sich den Verräter ja schon denken. "Der Ouza ist fest in seiner Hand", erwiderte Shindo zwinkernd. Sie begannen zu plaudern und Touya schaltete ab, während er den Koreaner betrachtete. Bei ihrem ersten Treffen war er schon ein Schönling gewesen, mit seinen hellen Haaren und den langen Wimpern, und jetzt als Mann war er nicht weniger atemberaubend schön. Wenn er den Mund hielt, wirkte er sogar unschuldig. Touya erkannte das Hotel – er hatte es selbst ausgesucht. Es war nicht allzu teuer und er hatte angeordnet, dass bis auf die Teilnehmer immer zwei Leute ein Zimmer bekamen. Er teilte seines mit Shindo, wie sie es schon unzählige Male getan hatten auf internationalen Turnieren, Ausflügen, den Hokuto-Cups der letzten Jahre. Nur in einem Jahr hatte er es bereut, als er Shindo in den Armen einer bereits halbnackten Frau überrascht hatte, beide ganz in ihre Seufzer und geflüsterten Worte vertieft. Touya hatte ihm danach die Hölle heiß gemacht und nichts dergleichen war je wieder passiert. Yongha teilte ihnen die Zeit des Matches des nächsten Tages mit und verabredete sich mit Shindo, bevor sie ihre Zimmer bezogen. "Willst du nicht mitkommen?" fragte Shindo später, als er sich für das Treffen ankleidete. "Hong Suyong kommt wahrscheinlich auch, wir wären zu viert und du könntest dein koreanisch polieren." Touya schüttelte den Kopf. "Ich kümmere mich um unser Team. Hikaru-kun hat schreckliches Lampenfieber." Touya amüsierte es ohne Ende, dass einer ihrer Vertreter so hieß wie Shindo, und er hatte ihn von Anfang an beim Vornamen genannt – eine für Touya sehr ungewöhnliche Verhaltensweise. Shindo grinste schief und griff seine Jacke. "Na dann viel Spaß mit Hikaru-kun! Bis später!" Touya zog sich ein Hemd über und ging in das Zimmer von Sageki, erstes Brett. Die anderen beiden, Miyagi und Hikaru, waren ebenfalls anwesend, letzterer knetete unruhig ein Kissen in seinen Händen. Touya hatte dafür gesorgt, dass in den Zimmern der Teilnehmer Goban standen. Er setzte sich auf einen der zwei Stühle, die Jugendlichen saßen zu dritt auf dem Bett und betrachteten ihn mit großen Augen. Touya seufzte. "Jetzt schaut nicht so, als seht ihr mich zum ersten Mal. Was wollt ihr lieber tun? Eine Partie spielen oder etwas trinken gehen – auf meine Kosten." Miyagi räusperte sich. "Verzeihung, Ouza-san, aber wir sind noch nicht volljährig." Ah, dachte Touya, wenn das nicht er selbst vor acht Jahren war. Er lächelte etwas und erwiderte: "Nun, eure Eltern sind nicht hier und ich werde nichts ausplaudern." Die Jungen sahen sich gegenseitig fragend an, bis Sageki sich schließlich einen Ruck gab. "Solange wir nicht gesehen werden. Meine Eltern töten mich, wenn sie mich mit Alkohol sehen." "Gut." Touya überlegte kurz, dann ging er zum Telefon, das neben der Tür hing und wählte die Nummer der Rezeption. "Touya hier, bitte schicken sie vier Bloody Marys nach oben, Zimmer 72. Danke." Dann ging er zu den drei Goban an der Wand und zog zwei in die Zimmermitte. "Worauf wartet ihr? Wenn wir hier bleiben, können wir auch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden." Sie sprangen auf, um ihm zu helfen, und Touya fühlte sich alt, als er darüber sinnierte, wie sie damals gewesen waren; alle drei todernst, Nerven zum Zerreißen gespannt, aufgepumpt mit Kampfgeist. Seitdem waren Shindo und er wirkliche Rivalen. Es klopfte und Touya sah auf, für einen kurzen Bruchteil verwirrt. Dann fielen ihm die Cocktails ein und er ging zur Tür. Davor stand ein Kellner mit Tablett in der Hand. Touya trat zur Seite und deutete auf den Tisch. Der junge Mann stellte es dort ab und drehte sich an der Tür zu Touya um. "Auf welchen Namen soll das gebucht werden?" fragte er. "Shindo Hikaru", erwiderte Touya trocken und der Kellner notierte sich den Namen, verbeugte sich und ging. Touya drehte sich zu den Jungen und betrachtete die ihm zugewandten Gesichter amüsiert. Miyagi starrte ihn entsetzt an, während die anderen beiden ihre Erheiterung kaum verbergen konnten. Touya ging zu Miyagi und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Keine Sorge, er hat noch diverse Rechnungen mit mir offen." Und das stimmte, und zwar wörtlich. Shindo hatte sich regelmäßig einen Spaß daraus gemacht, sämtliche seiner Ausgaben auf Touyas Namen zu tätigen. Dieser hatte dann jedes Mal Rechnungen über tausende von Yen begleichen müssen. Touya ging zum Tisch und verteilte die Drinks. "Auf euch und auf den morgigen Sieg", toastete er und beobachtete, wie die Jungen an ihren Cocktails nippten. Touya musste sich eingestehen, dass seine Moral unter Shindos Einfluss zu leiden begann. Gott, er verführte Minderjährige zu Alkoholgenuss, dachte er und bereute es fast. Er hatte es vorgeschlagen, weil die Anspannung im Raum fast greifbar gewesen war und er die Jungs auf andere Gedanken bringen wollte. Es funktionierte. Nach und nach begannen sie zu reden, während sie lockere Partien spielten. Sie lachten und Touya dachte, er war vielleicht doch nicht so miserabel im Umgang mit Jugendlichen. Warum hatte er das nicht schon in der Junior High feststellen können? Die Jungen erzählten Episoden aus ihrer Insei-Zeit, redeten von Titelturnieren und von Titeln, die sie selbst gewinnen wollten und Touya bestellte ihnen Softdrinks aufs Zimmer – wieder auf Shindos Namen. Es war etwa Mitternacht, als er auf ihr Zimmer zurückkehrte und Shindo schien gerade erst zurückgekommen zu sein. Er sah zerzaust aus und etwas Seltsames lag in seinem Blick. Vermutlich würde er darüber reden wollen und der schnellste Weg, wie Touya ihn gleichzeitig beruhigte und zum 'reden' brachte, war eine Partie Go. Touya schnürte seine Schuhe auf, schlüpfte in Hausschuhe und sagte: "Lass uns spielen." Es dauerte nicht lange, bis es auch schon wieder vorüber war. Dieser wahnwitzige Kick in Shindos Go war wieder da, aber etwas war anders. Diesmal war es nicht mehr nur brillant, sondern manche Züge einfach verrückt. Übergeschnappt, größenwahnsinnig, absolut ungewohnt. Es war nicht Shindos Art, so zu spielen, und so verlor er. Touya sah ihm ernst in die Augen. "Also? Was ist los?" Shindo schwieg, er rang offensichtlich noch mit sich selbst. Touya schwante Schlimmes. "Jetzt sag schon, ich reiße dir schon nicht den Kopf ab." "Ich hatte Sex..." Touya nickte – er war verdammt nochmal nicht blind, Shindo brauchte nicht – "...mit einem Kerl." – das Offensichtliche klarstellen. Mit einem...? Touya starrte ihn nur an, bis das Wissen schließlich im Rentnertempo sein Gehirn erreichte. "Gott, Shindo." Er nahm den Kopf in die Hände und raufte sich die Haare, bevor er den anderen bei den Oberarmen packte. "Oh Gott, sag mir –" Er schluckte. "Sag mir, dass es keiner der Wettkampfteilnehmer war!" "WAS?!" rief Shindo entsetzt aus. "Für was hältst du mich?! Verdammt, Touya, das sind KINDER!! Ich würde nie...!!" Er warf wütend die Arme in die Luft und funkelte sein Gegenüber an. Touya beruhigte sich etwas. "Er war also volljährig, ja? Und du hast ihn nicht gezwungen?" "Langsam frage ich mich ehrlich, was du wirklich über mich denkst, Touya", knurrte Shindo, doch der andere überging dies. "Es war Hong. Hong Suyong, und ja, er ist volljährig und – verdammt, Touya – es war nichtmal meine verdammte Idee, sondern seine." Touya atmete auf. Gut, Shindo hatte sich also nicht strafbar gemacht, was wollte er mehr? "Bist du total übergeschnappt?" keifte Touya. "Kannst du nur an deine verdammten Triebe denken?! Bei fremden Frauen ist es mir ja egal, aber sag mir, dass auch irgendwelche Gefühle im Spiel waren." "Natürlich! Mann, ich bin schon Jahre mit Hong befreundet, er hat mich gejagt so wie ich dich und wir haben einfach etwas ausprobiert. Wirklich, Touya, es ist meine Sache, du spielst dich auf wie ein Vater." Warum erzählst du es mir dann überhaupt?!, wollte Touya schreien, doch er entschied sich dagegen. Shindo hatte niemand anderen, mit dem er darüber reden konnte, genauso wie Touya nur Shindo hatte. Er sollte es eher schätzen, dass der andere ihm vertraute. "Du bist jetzt also schwul?" fragte er schließlich resigniert. "Hmm... nein. Sagen wir, ich habe meine Interessen erweitert." Ein Schatten seines alten Grinsens huschte über Shindos Gesicht. "Lass uns noch eine Partie spielen", meinte Touya schließlich, doch Shindo streckte sich faul auf seinem Bett aus. "Touya, es ist zwei Uhr und die Zeremonie beginnt um zehn. Als Manager solltest du pünktlich sein." "Noch ein Grund, warum du den Job nie bekommen wirst", erwiderte Touya. Er stand auf und reckte seine steifen Beine und Arme. "Fühlst du dich auch manchmal so alt?" Shindo grinste und es sah jung und flegelhaft aus. "Touya, du bist schon alt, seit du zwölf bist, dein Körper holt nur langsam auf." Touya warf sein Kissen auf Shindo, doch dieser fing es leichthändig auf und warf es Touya zurück. Shindo trabte zur Tür und schaltete das Licht aus, bevor er sich hinlegte. Eine Weile war es still und Touya war fast eingeschlafen, als Shindo sprach. "Touya?" Er überlegte sich kurz, ob er sich schlafend stellen sollte. Er hatte die schwere Vermutung, Shindo würde dann versuchen, ihn zu wecken. "Hmm?" "Sag mal... ist was passiert, bevor wir herkamen?" Touya seufzte. Es war nunmal Shindo, natürlich würde er etwas merken. "Wieso?" "Es ist doch offensichtlich..." Verhielt er sich neuerdings seltsam? "Inwiefern?" "Mann, Touya." Shindo klang hinreichend entnervt. "'Inwiefern?' Na im Go natürlich. Deine plötzlichen eingestreuten sanften Züge, die absolut untypisch sind." "Jaja... also..." Touya atmete tief durch. "Ich habe da jemanden kennengelernt." Shindo horchte auf, was daran zu merken war, dass er kurz ganz still war. "Waaas? Erzähl schon!" "Bei dem Bankett mit den Sponsoren..." "Was für ein Bankett?!" unterbrach Shindo ihn. "Das Bankett, das du geschwänzt hast", erwiderte Touya genervt. "Jedenfalls... habe ich mich dort mit Kanegawas Tochter unterhalten. Und sie war... bezaubernd." "Nur alte Opas sagen 'bezaubernd'." Touya erwiderte nichts, stattdessen dachte er an den Abend zurück, an dem er Kanegawa Ayumi kennengelernt hatte. Sie hatte ihn angesprochen, als er alleine am Rand stand und sich die frisch gedruckte Broschüre zum Wettkampf ansah. Sie arbeitete in dem IT-Unternehmen ihres Vaters, der einer der kleineren Sponsoren war. Die Unterhaltung war ihm leichtgefallen – unter dem Umstand, dass es nicht um Go ging, war dies ein kleines Wunder. Es hatte von Anfang an gefunkt und Touya war fest entschlossen, alle Register zu ziehen, wenn er wieder in Japan war. "Brauchst du Ratschläge in Sachen Liebe?" Shindos Grinsen war deutlich zu hören. Touya prustete verächtlich. "Hier geht es um Liebe, Shindo, nicht ums Rumschlafen." "Das war fies." "Ich weiß", seufzte Touya. "Tut mir leid." Und es stimmt ja doch, dachte er bei sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)