Seven years from now von Ninjagirl ================================================================================ Kapitel 3: Yongha, Suyong ------------------------- "Interchanging mind control Come let the revolution takes its toll If you could flick the switch and open your third eye You'd see that, we should never be afraid to die (So come on) They will not force us They will stop degrading us They will not control us We will be victorious So come on" (Muse - Uprising) Touya stand auf der Bühne und versuchte so gut wie möglich, sich seine Müdigkeit nicht anmerken zu lassen, während die Organisatoren sich am Mikrofon gerade selbst beweihräucherten. Gleich würde Ko Yongha als Gastgebervertreter reden dürfen, danach die koreanischen Repräsentanten. Touya starrte in die Menge. Nimm dich zusammen, dachte er erfolglos. Er hatte die halbe Nacht über Ayumi nachgedacht. Die Müdigkeit verflog allerdings plötzlich, als er Shindo und Hong Suyong zusammenstehen und reden sah. Sie wirkten wie normale Freunde, dachte Touya. Nicht, als hätten sie am Vorabend intensive... 'Gespräche' geführt. Suyong musste jetzt achtzehn oder neunzehn sein, gerade so legal. Seine Kleidung ähnelte der Shindos: bequeme Hosen, loses T-Shirt, dazu Turnschuhe. Zusätzlich trug er ein Basecap, unter dem seine glatten schwarzen Haare hervorstanden. Als Shindo merkte, dass Touya sie beobachtete, grinste er und winkte ihm zu. Der Ouza wandte hastig den Blick ab. Das erste Brett stieß ihn an. Ah, er hatte seinen Einsatz verpasst. Er ging zum Mikro und räusperte sich, bevor er seine kurze Rede hielt. Er dankte den Gastgebern und wünschte allen Teilnehmern viel Erfolg, bevor er sich wieder einreihte und seinen Schützlingen zusah, die einige zögernde Worte an das Publikum richteten. Vor der Bühne sah er den Fotografen, Sawaki, in dessen Sucher er sich gerade befand. Er würde ihn überreden müssen, sämtliche Fotos von diesem Morgen zu löschen. Die Teilnehmer hatten nach der Eröffnung noch fast zwei Stunden, um sich noch mal zu sammeln. Touya blieb bei seinen Schützlingen und auch Shindo fand sich zwischendurch ein, um die Jungs aufzubauen. Vertrauensvoll, obwohl er die drei zum ersten Mal sprach, legte er zweien die Hände auf die Schultern und redete ihnen Mut zu. Danach winkte er Touya heran und wollte, dass sie alle fünf ihre Köpfe zusammensteckten, doch der andere verschränkte störrisch die Arme. "Shindo, wir sind hier nicht beim Football." "Ist er euch nicht viel zu langweilig?" fragte Shindo die Jungen halblaut, doch sie sahen ihn nur mit großen Augen an. "Ouza-san hat uns sehr unterstützt", sagte Miyagi und schürzte angriffslustig die Lippen, Hikaru-kun neben ihm nickte lebhaft. Touya seufzte und meinte: "Ich hab dir doch gesagt, du kannst mich einfach Touya nennen." "Ja, Touya...san", nuschelte Miyagi und Touya musste lächeln. Die vorige Anspannung der drei schien kurzzeitig vergessen, was sie vermutlich Shindo verdankten. Dieser grinste Touya schief an. Als sie später im Publikum saßen und den Partien zusahen, meinte Shindo: "Deine Jungs himmeln dich ja ganz schön an, Touya." Touya warf ihm einen Seitenblick zu. "Bist du etwa neidisch?" fragte er trocken. Shindo kratzte sich am Hinterkopf, um Verlegenheit vorzutäuschen. "Ein bisschen vielleicht. Ich wäre auch gern ihr Held." "Du hast den Managerjob immer abgelehnt", hielt Touya dagegen. "Oh, glaub mir, drei strahlende Gesichter machen keinen wochenlangen Stress wett." Oh doch, das machten sie. Touya hatte sich schon im letzten Jahr mit den Teilnehmern angefreundet; der Cup schuf Verbindungen, die weit länger hielten als der Organisationsstress. Aber das würde er Shindo nicht auf die Nase binden. Manchmal vermutete er, der Meijin glaubte, er sei Touyas einziger enger sozialer Kontakt. Er war zwar der engste, aber die Zeit, in der Touya nur auf ihn fixiert gewesen war, war eindeutig vorüber. Dafür war er sich seines Platzes in Shindos Leben viel zu sicher. Shindo sog plötzlich scharf die Luft ein und Touya schreckte auf. "Was?" fragte er irritiert. Shindo deutete auf den mittleren Bildschirm. "Miyagi... dieser Zug war schrecklich." Touya sah auf. Es war deutlich, welchen Stein Shindo meinte. Touya deutete ein Lächeln an. Die Jungs waren eben noch jung, ungestüm. Dieser Zug war ein sehr wilder Versuch, der ihn wieder an sich selbst erinnerte. "Wäre es dein Zug, wäre er brillant", meinte Touya und sie lächelten sich schwach an. "Miyagi fehlt allerdings deine Erfahrung, um die Position effektiv zu nutzen." Stumm beobachteten sie die nächsten Züge, die Touyas Aussage bewahrheiteten. Er fand es schade, denn dieser Zug war tatsächlich sehr kreativ und ein Sprung nach vorne gewesen. Doch ein zu großer, und die Lücke ließ sich nicht so einfach schließen. "Weißt du noch, wie du damals dort gesessen hast wo Sageki jetzt sitzt?" Shindo neben ihm verschränkte die Arme und ließ sich etwas im Stuhl zurücksinken. Touya wusste, dass der andere dachte, er meinte die Episode nach der Partie, als er heulend vor dem Goban gesessen hatte, weil er verloren hatte. "Ich war eben noch jung." Voller Leidenschaft waren sie gewesen, völlig entbrannt, sich zu beweisen und andere niederzustrecken. Touya hatte es damals nicht so sehr gezeigt, doch auch ihn hatte der Kampfesmut der anderen damals angesteckt. Sieben Jahre war das her. In sieben Jahren konnte viel passieren. Shindo und er standen immer noch Seite an Seite in der Go-Welt, aber sie mussten sich nicht mehr krampfhaft beweisen, sie hatten sich ihre Lorbeeren früh genug verdient. "Weißt du noch, wie ich damals den Ouza gewonnen habe?" murmelte er Shindo zu. Dieser sah ihn von der Seite her an. "Du meinst das erste der drei Male?" Touya lächelte. Er fragte sich, ob Shindo auch bei fünf Titeln noch wüsste, welchen er wie oft verteidigt hatte. "Da bist du wirklich wie ein Phönix aus der Asche aufgestanden. Von da an begann der Kriegszug des Touya Akira, als du in allen Turnieren mehrere Runden ungeschlagen gingst. Erst als wir uns im Gosei-Turnier trafen, habe ich deine Glückssträhne beendet." "Ja, aber halb so wild. Touya Gosei klingt sowieso seltsam. Ich meinte eher das zweite der fünf Spiele für den Ouza. Auch ich war danach am Boden zerstört, aber es ist egal, was man in solchen Momenten tut oder wie viele Tränen man vergießt – solange man daraus neue Kraft schöpft. Genau das hast du mir damals gesagt." Shindo kicherte. "Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen, dann wäre Ogata ein weiteres Jahr Ouza geblieben." "Aber du hattest Recht. Und genau das hast du nach deiner Niederlage vor sieben Jahren auch getan. Du hast dich auch aus der Asche erhoben und bist plötzlich wie ein Wirbelwind durch die Go-Welt gefahren." Es hatte nicht lange angehalten, doch ein paar Wochen lang hatte Shindo damals die Pros den Atem anhalten lassen. Touya bemerkte, wie die anderen Zuschauer um sie herum ihnen mürrische Blicke zuwarfen. Er sah Shindo an und wippte mit dem Kopf in Richtung Ausgang. Gemeinsam standen sie auf und verließen den Saal, um sich das Spiel in der Eingangshalle des Veranstaltungsortes anzusehen, wo es weit geschäftiger und lauter zuging. Für sie war Ablenkung neben Go-Spielen kein Problem, sie konnten sich gut auf alle drei Spiele und auf eine Unterhaltung konzentrieren. "Ich bin wirklich gespannt, welcher deiner Jungs in sieben Jahren wie wir sein wird", meinte Shindo nachdenklich. "Wir waren die neue Welle, seitdem kam kein vergleichbarer Strom jungen Blutes." Touya massierte sich den angespannten Nacken und betrachtete einen interessanten Zug des chinesischen Gegners auf dem dritten Brett. Hikaru konterte nicht optimal, doch der Angriff war unschädlich gemacht worden. "Alle drei brauchen noch eine Menge Arbeit. Ich überlege, eine Lerngruppe zu gründen, so wie mein Vater damals." Shindo sah auf. "Sollte ich das dann auch machen? Du weißt ja, mein Lehrer stand mit deinem im Konkurrenzkampf." "Was?" fragte Touya verwirrt. "Wie – du weißt es nicht? Morishita-sensei wollte ständig, dass wir es den Touya-Schülern zeigten. Naja, geklappt hat es irgendwie nie, so wie er nie den Meijin geschlagen hat. Aber vielleicht wäre ich ein guter Lehrer, was meinst du?" Touya ließ ab von seinem Nacken und beobachtete weiter die Bildschirme, während er eine Weile darüber nachdachte. Shindo konnte sehr gut erklären und Tipps geben, er wusste, wie man solide spielte – auch wenn er diesen Stil für sich selbst nie wählte. "Ich denke, du wärst ein toller Lehrer", erwiderte er schließlich. "Solange du nicht auch so ein Konkurrenz-Gerede startest und ihnen damit unnötige Hoffnungen machst." Er war versucht, Shindo anzuzwinkern, aber ein selbstsicheres Halbgrinsen würde reichen. "Also wirklich, als ob, Touya! Als ob!" Sie grinsten die Fernseher an und beobachteten den weiteren Verlauf der drei Partien schweigend. Touya begann, tatsächlich über das Gründen einer solchen Gruppe nachzudenken. Er wollte gerne aktiv am Prozess seiner Schüler beteiligt sein, aber er war sich nicht wirklich sicher, ob er auch gut unterrichten konnte. Shidougo war etwas anderes, da ging es um Grundlagen und nicht um Feinheiten. Aber es würde reichen, dachte er. Nach eineinhalb Stunden wurde eine recht lange Pause gemacht, doch die drei japanischen Vertreter zogen es vor, bei ihren Partien zu bleiben und sich weiter zu konzentrieren. Nach der Pause gingen sie zwar hungrig aber auch sehr angespannt in die zweite Hälfte ihrer Partien. Am Ende gewannen Hikaru und Miyagi, nur das erste Brett, Sageki, musste einen Verlust einstreichen. Touya ging in das Zimmer, in dem die Partien ausgetragen wurden, um seinen Spielern zu gratulieren und sich bei dem chinesischen Manager und Team zu bedanken. Als er eintrat, sah er Sageki auf seinem Stuhl, in sich zusammengesunken und Tränen rollten ihm stumm über die Wangen. Die anderen beiden standen ratlos neben ihm. Dieses Déjà-vu kam Touya sehr eindrucksvoll vor, denn genau so war es vor sieben Jahren gewesen. Nur dass zwei von ihnen verloren hatten und Shindo seinem Frust viel lauter Luft gemacht hatte. Er war mit wenigen Schritten bei den Jungen. Den beiden Gewinnern legte er eine Hand auf die Schulter und nickte lächelnd, dann schob er sie in Richtung Ausgang. Danach kniete er sich vor den immer noch stumm weinenden Jungen. "Es tut mir leid", murmelte Sageki, und seine Stimme klang höher als sonst. Das Wasser rann ihm aus Augen und Nase und Touya reichte ihm milde lächelnd ein Taschentuch. "Kopf hoch, ihr habt trotzdem gewonnen. Dafür seid ihr doch ein Team – damit man sich mal einen Fehltritt leisten kann. Du solltest den beiden nachher danken." Sageki schniefte in das Taschentuch und Touya wartete ruhig ab. Normalerweise war dieser Junge immer gefasst und eher fröhlich. Wie Shindo damals, ging ihm auf. "Ich... wollte so gerne gewinnen", brachte er heraus, obwohl er sich halb an seinem eigenen Schluchzen verschluckte. Touya strich ihm durch die Haare und lächelte breit. "Nicht für mich. Sondern... für Sie. Sie haben so viel für uns getan, wir hatten uns alle drei abgemacht, zu gewinnen, um Ihnen zu danken." Er hielt inne, immer noch mit der Hand am Schopf des Jungen. Touya war ehrlich gerührt und sein Lächeln wurde väterlich. So etwas hatte ihm noch niemand bisher gesagt. Er rang sich dazu durch, Sageki in den Arm zu nehmen, obwohl er Körperkontakt sonst skeptisch begegnete. "Keine Sorge, mein Junge", meinte er schließlich. "Ich bin sehr stolz auf euch drei. Ihr habt toll gespielt, da ist es nicht wichtig, ob man gewinnt oder verliert." "Das ist aber kein guter Trost", schniefte der Junge und sie mussten etwas lachen. "Komm, wir haben gewonnen, lass uns das feiern." Sageki wischte sich die Tränen von den Wangen und klatschte sich einmal mit beiden Händen ins Gesicht, um sich wieder zu fangen. Dann straffte er sich und ging Touya hinterher nach draußen, wo sie Reporter, Gratulanten und die anderen Teammitglieder empfingen. Der Junge lief zu den anderen beiden. "Tut mir leid, ich habe euch noch gar nicht gratuliert", sagte er und umarmte sie gleichzeitig fest. Ihr japanischer Fotograf war sofort zur Stelle, um die drei Gewinner abzulichten, auch Touya wurde zu ihnen gestoßen und bemühte sich, möglichst nett zu schauen. Er war wirklich überhaupt nicht fotogen. Hinter den anderen Fotografen sah er Shindo, der ihm einen Daumen entgegenreckte und er grinste zurück. "So, Jungs, ab ins Hotel, bereitet euch auf übermorgen vor." Pflichtbewusst nickten die drei und ließen sich von anderen Mitgliedern der Crew zum Ausgang bugsieren. Gerade als Touya auch gehen wollte, wurde ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. "Herzlichen Glückwunsch, Touya Tengen", hörte er Ko Yongha in seinem charmanten Japanisch sagen, während er halb freiwillig herumgedreht wurde. Er deutete eine Verbeugung an. "Vielen Dank." Mehr wusste er nicht zu sagen. Shindo war es, der sonst mit Yongha quatschte, Touya saß meist nur daneben. "Euer drittes Brett hat einige interessante Züge gezeigt, ich hoffe, den Jungen sehe ich nächstes Jahr wieder", meinte Yongha gerade, als Touya sich schon fast verabschieden wollte. Stattdessen lächelte er und dankte noch einmal. Hinter sich hörte er Shindos Stimme herannahen. "Jaja, Hikaru-kun hat definitiv Talent. Muss wohl am Namen liegen." Er lachte fröhlich und schüttelte Yonghas Hand, als er ihn erreichte. Neben ihm ging Hong Suyong, den Touya im ersten Moment nur dumpf anstarrte. Als ihm das bewusst wurde, schluckte er trocken und nickte auch ihm zu. Suyong lächelte und stellte sich zu Touya. "Touya Ouza, ihr habt tolle Arbeit geleistet. Euer Team scheint euch sehr zu vertrauen." "Danke", erwiderte er und musste auch etwas lächeln. "Wann werden wir dich denn mal als koreanischen Manager sehen, Suyong?" Dieser wedelte lachend mit einer Hand. "Ich weiß nicht, ob das was für mich ist. Ich würde die Kleinen vielleicht einschüchtern, weil ich an so etwas zu verbissen rangehe. Außerdem habe ich noch nicht mal einen Titel." "Im letzten Turnier warst du aber kurz davor, nicht wahr?" mischte sich Shindo ein und legte dem Koreaner eine Hand auf die Schulter. "Es gibt aber keinen Titel, der 'kurz davor' heißt, Shindo", erwiderte Suyong zwinkernd. Die vier lachten vertraut und wandten sich schließlich gemeinsam zum Gehen. Shindo ließ sich neben Touya zurückfallen und überließ die beiden Koreaner sich selbst – die begannen, angeregt über Suyongs verlorenes Turnier zu diskutieren. "Kommst du heute mit?" fragte Shindo seinen japanischen Freund. Dieser zuckte mit den Schultern. Er hatte nichts Besseres vor. Die Jungen würden sowieso noch eine Weile von Reportern belagert werden. Und er wollte sie ihre Hochstimmung noch etwas genießen lassen, bevor er sie wieder auf den Erdboden zurückholte. Die Koreaner schlugen den Weg zu einer nahegelegenen Bar ein, in der sie schon am Vorabend gewesen zu sein schienen, denn Shindo grüßte den Barkeeper fröhlich. Yongha bestellte für sie alle Manhattans und zu viert verzogen sie sich in eine der leiseren Ecken des verwinkelten Gastraumes. Yongha erzählte davon, wie er vor wenigen Monaten auf einer Amerika-Reise gegen nordamerikanische Go-Begeisterte gespielt hatte. Er war überrascht gewesen, auf welch niedrigem Niveau die Spieler dort waren und schwor weiter auf die drei Nationen, die auch beim Hokuto-Pokal vertreten waren. Als nächstes plane er eine Chinareise, erzählte er weiter. Suyong hingegen erzählte ihnen, dass Yongha bereits einen koreanischen Titel errungen hatte, was ihm zufolge viel schwerer war, als in Japan – "immerhin habe ich Shindo ja auch geschlagen, der Meijin sollte also ein Leichtes sein." Suyong selbst schied immer wieder in den frühen Phasen der Turniere aus, was ihn selbst am meisten störte. Shindo und Touya waren beide nicht sehr gesprächig an diesem Abend. Touya wusste nicht, warum ausgerechnet sein japanischer Begleiter plötzlich so wortkarg war, aber er konnte deutlich sehen, wie er Suyong immer wieder mit Blicken taxierte. Es konnte nur an den Ereignissen vom Vorabend liegen, vermutete Touya und seufzte innerlich. Shindo war wirklich komisch im Moment. Touya fand es seltsam, dass sie schon um fünf Uhr nachmittags in einer Bar saßen und tranken, andererseits war diese Gelegenheit so selten, dass er seine Moral wohl einfach mal im Hinterkopf wegsperren sollte. Er begann selbst, zu reden. Er erzählte von Shindos letzter Titelverteidigung des Meijin gegen Kurata, um den anderen auch etwas zum Interagieren zu bewegen. Es verfehlte seine Wirkung nicht und Shindo beschrieb wortreich seine nervenaufreibenden Partien gegen den etwas in die Jahre gekommenen Kurata. Dieser war jetzt Mitte dreißig, hatte aber nichts von seinem jugendlichen Verhalten abgelegt, was Shindo und Touya regelmäßig entnervte, wenn einer von ihnen zufällig eine Partie gegen ihn spielte oder ihn bei Veranstaltungen sah. Touya beobachtete, wie interessiert Suyong Shindo zuhörte und überlegte, ob das schon immer so gewesen war oder nur deswegen. Schließlich seufzte er genervt und dachte, er müsse endlich aufhören, über Shindos Privatleben nachzudenken. Schon wenn er an die vielen gebrochenen Frauenherzen dachte, wurde ihm ganz elend zumute, aber jetzt auch noch über die Männerherzen zu lamentieren würde ihn vermutlich wirklich unglücklich machen. Obwohl es da ja erst eines gab und das war auch nicht gebrochen. Doch Touya ignorierte das, denn früher oder später würde Shindo ja doch wieder irgendeinem Unglücklichen wehtun, da konnte Vorsorge auch nicht schaden. Über sein Gegrübel hatte er gar nicht mitbekommen, wie Shindo einen Witz auf seine Kosten erzählt hatte, doch er würde es auf sich beruhen lassen. Beiläufig sah er auf die Uhr. Eine Stunde saßen sie jetzt hier. Ob die Jungs schon einen kühleren Kopf hatten? Touya sah auf, als Shindo und Suyong sich erhoben und sich entschuldigten. Sie hätten noch so viel aufzuholen seit dem letzten Jahr, meinte Shindo grinsend und winkte den beiden zum Abschied zu. Yongha schien nicht sehr glücklich zu sein, auch wenn Touya nicht wissen wollte, warum genau. "Als ob ihnen das jemand glauben würde", meinte der Koreaner augenrollend in einer Mischung aus japanisch und koreanisch. Touya sah ihn überrascht an. "Oh komm schon, selbst wenn man keine Ahnung hat – so wie Shindo ihn ansieht ist doch sofort alles klar. Er schaut, als ob Suyong eine absolut brillante Partie Go ist." Touya lächelte schwach über den Vergleich und erwiderte, nun ganz auf Koreanisch: "Der Meijin scheint in der Tat großes Interesse an deinem Freund zu haben." "Naja, lassen wir sie ihren Spaß haben. Um noch einmal auf den Kleinen aus deinem Team zurückzukommen – dieser eine Zug in der ersten Hälfte, der war wirklich genial." Touya schüttelte den Kopf, denn er wusste genau, welchen der andere meinte. "Oh nein, hätte Shindo ihn gespielt, wäre er genial gewesen." "Hätte Shindo ihn gespielt, wäre er normal gewesen", erwiderte Yongha grinsend und auch Touyas Mundwinkel zuckten. "Na gut, dann das. Hikaru-kun kann leider noch nichts aus solchen Zügen machen, das haben wir ja gesehen." Der Koreaner beugte sich etwas zu ihm und meinte: "Aber Touya, du kannst mir nicht sagen, dass es dir nicht in den Fingern juckt, diese kleinen Rohdiamanten zu schleifen." Touya sah ihn überrascht an. Genau das hatte er ja überlegt mit seiner Lerngruppe. Hatte Ko Yongha ihn gerade zu einhundert Prozent verstanden? Es musste das erste Mal sein. "Dachte ich mir schon", erwiderte der andere, als er keine Antwort von Touya bekam. Offensichtlich war sein Gesicht Antwort genug. "Ich muss zugeben, bei unserem Nachwuchs keine wirkliche Lust dazu zu haben. Sie sind alle ganz gut, aber keiner ist herausragend, so wie ich damals. Und du. Man hat es uns angesehen, dass wir die Go-Welt umkrempeln würden. Na gut, dir vielleicht nicht so sehr", setzte er noch grinsend hinzu. Yongha hatte noch viel von dem jungen Schönling, der er beim ersten Hokuto-Cup gewesen war. Das, was damals Frechheit war, war heute Schneid, seine Art war allgemein akzeptiert worden, auch wenn er gelegentlich noch an Ecken stieß, die nicht so leicht nachgaben, so wie das Hokuto-Kommitee im Vorjahr, als er fast vom Veranstaltungsgelände geflogen wäre. "Sag mal, Touya", unterbrach er die Gedanken des Dunkelhaarigen, "hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, einen Go-Salon aufzumachen?" Touya war etwas verwirrt und fragte sich, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, doch dann begann er, mit Yongha darüber zu sinnieren, wie es wäre, hier in Korea einen Salon aufzumachen. Tatsächlich verbrachten die beiden Manager noch fast zwei Stunden gemeinsam, bevor Touya schließlich aufbrach, um nach seinem Team zu sehen. Er verließ die Bar nüchtern, weil sie nach dem Manhattan nur noch Tee getrunken hatten, dafür hatte er viele neue Ideen und Pläne im Kopf; am liebsten würde er gleich mit allem loslegen. Er hätte nie erwartet, dass ein Gespräch mit Ko Yongha ihn so inspirieren würde, doch es war auch das erste Mal gewesen, das er mit dem anderen ganz frei und gelöst geredet hatte. Vielleicht hatte es sonst geschadet, dass immer Shindo zwischen ihnen gestanden hatte. Sie hatten noch Nummern getauscht und sich dann getrennt. Sehr leichten Fußes lief Touya den kurzen Weg bis zum Hotel und nahm gut gelaunt die Treppen in den vierten Stock zu seinen Schützlingen. Vor der Tür ihres Zimmers hörte er sie drinnen schon ausgelassen lachen und lächelnd klopfte er an. Es wurde kurz still, dann hörte er Schritte in Richtung Tür. Es dauerte etwas zu lange, bis sie geöffnet wurde und als Hikaru-kun vor ihm stand, schwand Touyas gute Stimmung. Der Junge grinste ihn dümmlich und mit halb geschlossenen Augen an, vom Tisch her hörte er albernes Gekicher, das seinen Jungs wirklich nicht ähnlich sah. Touya trat schnell ein und sah hinter sich, bevor er die Tür schloss. Dann wirbelte er herum und sah die Jungen wütend an. "Ihr seid betrunken", herrschte er ungehalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)