Seven years from now von Ninjagirl ================================================================================ Kapitel 4: Rückkehr; Vorfreude ------------------------------ "I'm hungry for some unrest I want to push this beyond a peaceful protest I wanna speak in a language that they'll understand Dedication to a new age Is this the end of destruction and rampage? Another chance to erase then repeat it again Counter balance this commotion We're not droplets in the ocean Ocean" (Muse - Unnatural Selection) Genervt beobachtete Touya, wie Hikaru-kun schwankend zum Bett ging, um sich darauf zu setzen. Auf dem Tisch standen mindestens neun Gläser, soweit er das einschätzen konnte, alle waren leer. "Was habt ihr euch dabei gedacht??" keifte er wütend. "Aber Sie sagten doch, wir sollen unseren Sieg etwas feiern", murmelte Sageki kleinlaut. Alle drei hatten ihr Grinsen verloren, als Touya sie beim Reinkommen angeherrscht hatte. "Ich sagte auch, ihr sollt euch auf euer nächstes Spiel vorbereiten – wie ich sehe, habt ihr den Teil überhört!" Touya sah auf die reuevoll gesenkten Köpfe hinab und seufzte. Er wollte nicht der sein müssen, der sie in ihre Schranken wies, dafür hatten sie ihre Eltern. Aber als Manager fielen ihm auch solche Aufgaben zu. Er sah, wie Hikarus Schultern zuckten und wusste nicht, ob dieser weinte oder lachte, aber eigentlich wollte er es auch gar nicht wissen. Er seufzte ergeben und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. "Ihr trinkt jetzt einen Liter Wasser, spielt bis um zehn Go und legt euch dann schlafen, verstanden?" Sie nickten scheu und Touya verließ den Raum. Davor blieb er stehen und atmete tief ein und aus. Was dachten sich diese Jungspunde nur manchmal? Sie wären damals nie auf eine solche Idee gekommen, ihnen hatte Go an sich immer gereicht. Erschöpft schlurfte er den Gang hinab. Als Touya ins Zimmer zurückkam, sah er Shindo auf dem Bett dösen. Vorsichtig schloss er die Tür und genoss die Stille im Raum. Stille und ein schlafender Shindo schlossen sich sonst aus. Vermutlich war er todmüde, dachte Touya und wollte gar nicht wissen, warum. Möglichst leise schlüpfte er aus seinen Schuhen und seinem Jackett. Es war früher Abend und sein Magen grummelte vor sich hin. Shindo stöhnte im Schlaf und es klang schmerzvoll. Touya hätte ihn geweckt, hätte er nicht gewusst, dass Shindo öfter so träumte und sich nur zu Tode erschreckte, wenn man ihn anrührte. Also ließ er den anderen zu Ende träumen und setzte sich stattdessen vor das Goban, um Partien nachzuspielen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, aber Shindo blieb stumm und warf sich nur im Bett hin und her, auch ein Zeichen für seine schlechten Träume, wusste Touya. Schließlich erwachte er mit einem erschrockenen Keuchen und setzte sich auf. Sein Zimmergenosse konnte sehen, dass er verschwitzt und unausgeruht war, obwohl er bis eben geschlafen hatte. Shindo sagte nichts, sondern schlurfte nur leise ins Bad und überließ Touya sich selbst. Dieser fühlte sich meist hilflos, wenn er Shindo bei einem seiner Alpträume nur zusehen konnte, doch der andere wollte ihm nie etwas dazu sagen. Er redete nie im Schlaf, sondern stöhnte, ächzte und wälzte sich, ohne Aufschluss darüber zu geben, was ihn quälte. Nur wenn er eine Geräuschkulisse im Zimmer hatte, wurde es besser. ~x~ Am nächsten Tag, als China gegen Korea spielte, blieben Touya und Shindo gleich in der Eingangshalle, um von dort aus die Spiele zu verfolgen. Japans Manager hatte bereits vermutet, dass das chinesische Team sich noch nicht von seiner Niederlage erholt hatte. Nur der gestrige Gewinner am ersten Brett lieferte seinem Gegner einen zähen Kampf, doch als es in die Pause ging, war für die beiden Japaner in der Eingangshalle bereits ersichtlich, wer gewinnen würde. "Tut mir leid, dass wir dich gestern mit Yongha alleine gelassen haben", meinte Shindo, während er einen nur noch lauwarmen Plastikbecher Kaffee zwischen den Händen drehte. Er war ihnen serviert worden, doch aus was auch immer in Korea Kaffee gemacht wurde, es sagte ihm rein gar nicht zu. "Ich weiß ja, dass ihr nicht so viel miteinander anfangen könnt." Touya, der seinen Kaffee längst ohne große Umschweife getrunken hatte, machte eine wegwerfende Geste. "Wir haben uns super verstanden. Ich dachte auch immer, wir wären nicht auf einer Wellenlänge, aber vielleicht warst du es, der immer die Frequenz gestört hat." Shindo schaute etwas beleidigt drein, war schließlich aber doch froh darüber, dass er kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte. "Yongha meinte übrigens, ich solle einen Go-Salon aufmachen." Der andere sah ihn überrascht an. "Du hast doch den Salon deines Vaters geschlossen, wieso solltest du wieder einen aufmachen?" Touya verdrehte die Augen. Manchmal verstand Shindo ihn wirklich überhaupt nicht. Er ließ es unkommentiert und sah dem anderen zu, wie er mit gerümpfter Nase den Kaffee schlürfte und sich schließlich umsah, wohin der den leeren Becher werfen könnte. Während Shindo in Richtung Mülleimer davontrottete sah Touya die drei japanischen Jungpros eintreten. Als sie ihn sahen, versteiften sie sich alle, doch dann kamen sie auf ihn zu. Die drei hielten vor ihm und verbeugten sich so tief, wie er es bei jungen Menschen nur noch selten sah. "Entschuldigen Sie uns, Touya-san, wir haben uns falsch verhalten und Sie beschämt", sagte Sageki klar und nach einigen Sekunden richteten sie sich wieder auf und sahen ihren Manager betreten an. Dieser lächelte milde und schubste Miyagi, der am nächsten bei ihm stand, kumpelhaft an. "Solange ihr aus eurem Fehler lernt ist es in Ordnung. Aber nun solltet ihr reingehen und euch die Partien nachstellen lassen. Korea ist schließlich morgen euer Gegner." Sie nickten und taten folgsam, was er ihnen aufgetragen hatte. Shindo kam derweil zurück und aus dem Turnierraum trat gerade Ko Yongha, der nun auch auf sie zukam. Touya lächelte ihm zu und meinte: "Drei zu null wird wieder eine sehr klare Statistik für Korea." "Ich habe nichts anderes erwartet", erwiderte der koreanische Schönling in seiner Landessprache. Er sah überaus ausgeschlafen aus und war noch dazu bester Laune, was vermutlich auch daran lag, dass sein Team auf allen drei Brettern dominierte. Shindo und er begannen, wie in alten Zeiten herumzualbern und sich spielerisch anzukeifen, während Touya ihnen nur desinteressiert zuhörte. Die zweite Hälfte begann diesmal nach einer kürzeren Pause als am Vortag, und schon nach wenigen Minuten gab der chinesische Junge am zweiten Brett auf. Yongha blieb bei ihnen und winkte seinem Sieger nur zu, als dieser aus dem Raum trat. Der Junge schien ein fröhlicher, übermütiger Zeitgenosse zu sein und schritt hibbelig auf und ab, wobei er immer wieder Blicke auf die Monitore warf. Ihm schien ebenfalls klar zu sein, dass die anderen nicht mehr lange brauchen würden. ~x~ Diesen Abend verbrachte Touya allein auf ihrem Zimmer und lag gedankenversunken im Bett herum, als es gegen sieben klopfte. Er zuckte erschrocken zusammen und setzte sich auf, während er ein 'Herein' murmelte. Als die Tür aufging steckte Ko Yongha seinen Kopf zur Tür herein. "Ich suche Shindo", meinte er nach einem kurzen Blick auf das zweite leere Bett. "Keine Ahnung, wo der sich gerade rumtreibt, tut mir leid", erwiderte Touya müde, in Erwartung, der andere würde gleich wieder abziehen, doch stattdessen trat dieser ein. "Dann ist es wohl besser, wenn ich hier auf ihn warte, oder hast du etwas dagegen?" Touya schüttelte nur den Kopf und der Koreaner schloss die Tür und ließ sich kurz darauf auf Shindos Bett plumpsen, in dem er es sich bequem machte. "Du siehst übrigens öfter so aus, als seien deine Gedanken längst nicht alle hier in Korea." Er lächelte hinüber und nickte, dann erzählte er von Ayumi, der Sponsorentochter, die er nach seiner Rückkehr so gern wiedersehen wollte. Der andere hörte geduldig zu und meinte schließlich: "Also wenn du Hilfe brauchst, vielleicht kann ich dir ein paar Tipps geben. Ich bin nicht umsonst verlobt." Yongha grinste ihn selbstbewusst an. "Du hast eine Verlobte?" fragte Touya verblüfft. Ko Yongha, der damals streitsüchtigste Jugendliche, würde in naher Zukunft heiraten und er selbst, ein Musterbeispiel von Anstand und Zurückhaltung, hatte gerade einmal eine einzige Unterhaltung mit der Frau seiner Träume geführt? Offensichtlich hatte er immer auf die falschen Werte gesetzt. Yongha nickte und drehte sich auf den Rücken. "Sie ist Künstlerin. Ich habe sie vor drei Jahren kennengelernt, als ich in einer Galerie ihre Werke beleidigte", gab er etwas zögerlich zu. "Tja, ich kann mit Kunst einfach nichts anfangen. Aber sie ist sehr süß, viel besser als jede, die meine Eltern gewählt hätten. Dafür kann sie weder kochen noch nähen." Touya lächelte und versuchte, sich den anderen an der Seite einer kleinen, schüchternen Frau vorzustellen. Oder ob sie eher extrovertiert war? Waren Künstler nicht so? "Wie willst du mir da denn Tipps geben? Du hast dein Mädchen offensichtlich erstmal gehörig beleidigt, so hatte ich mir unseren Anfang nicht vorgestellt." Yongha lachte fröhlich und stimmte ihm grinsend zu. "Shindo hat mir auch schon Hilfe angeboten – ich scheine ja sehr ungeschickt auf euch zu wirken." "Naja, ganz ehrlich, Touya – von dir hätte ich nicht erwartet, dass es in deinem Kopf noch etwas anderes als schwarz-weiße Go-Steine gibt, also kein Wunder, wenn Shindo dich für unfähig hält." Sie lachten gemeinsam und schließlich erzählte ihm Yongha noch etwas mehr über seine Verlobte und wie sie einander besser kennengelernt hatten. Es war eine ungewöhnliche Geschichte, mit vielen gegenseitigen Missverständnissen und viel Unverständnis. Während Yongha keinen Sinn für Kunst hatte und ihre schüchterne Art immer falsch deutete, konnte das Mädchen dem Go-Spiel überhaupt nichts abgewinnen und hielt es für einen Zeitvertreib und nicht für einen Beruf. Sie hatten einander viel beibringen müssen über die eigene Welt, bevor irgendwann die Funken sprühen konnten. Jetzt schienen sie sehr gut zu harmonisieren, sie kam sogar ab und an zu seinen Partien, auch wenn sie davon nichts verstand. Touya erfreute sich an der Geschichte, hoffte aber insgeheim, dass es ihm nicht so schwerfallen würde, Ayumi für sich zu begeistern. ~x~ Am nächsten Tag fanden die letzten drei Partien statt. Japan gegen Korea. Diesmal blieb Touya im Saal mit den anderen Zuschauern, er war nervöser als an ihrem ersten Tag. Die Jungs hatte er am Morgen nur kurz gesprochen, um ihnen Mut zuzusprechen und Fotos machen zu lassen, nun würden die Partien gleich beginnen und er saß in der zweiten Reihe und knetete seine Hände. Touya saß alleine, er hatte keine Gesellschaft von Shindo gewollt, welcher am Vorabend erst sehr spät zurückgekommen war. Er schien seinen neuen Interessen sehr viel Aufmerksamkeit beizumessen. Die Partien begannen und der koreanische Pro vorne begann etwas später, sie zu kommentieren. Sageki legte einen sehr guten Start hin, während Hikaru sehr vorsichtig heranging. Miyagi spielte wie immer, frisch aber überlegt, ein bisschen wie Touya früher, nur dass er lieber Zähne gezeigt hatte. Diese ließ er bei seinen jetzigen Pro-Partien aber meist verhüllt, nur bei besonderen Gegnern war es noch nötig, die Krallen auszufahren. Nach fünfzehn Minuten war noch alles offen. Sageki hatte seinen guten Anfang nicht fortsetzen können, aber sein kleiner Vorteil war noch nicht verspielt. Miyagi und Hikaru schlugen sich tapfer, drohten aber, dominiert zu werden. Nervös fuhr Touya sich immer wieder über Gesicht und Haare, zupfte an seinem Hemdsaum und streckte und überschlug die Beine fast im Minutentakt. Als eine halbe Stunde um war, begann er, sich um Hikaru zu sorgen. Der Junge hatte zwei sehr mutige Züge gewagt, bei denen Touya ihn nur wieder mit seinem älteren Namensvetter vergleichen konnte, doch wie schon am ersten Tag fiel es ihm schwer, sie richtig einzusetzen. Er verlor eine kleine Gruppe Steine und mit ihr einige Punkte an Territorium, doch das Schlagen bot ihm eine neue Öffnung seines Gegners dar. Die Pause war nach einer Stunde und wieder blieben seine Jungs vor ihren Goban sitzen, ebenso wie ihre Gegner. Die Zuschauer um Touya erhoben sich, um sich die Beine zu vertreten, oder etwas essen oder trinken zu gehen, sodass er nach kurzer Zeit alleine dasaß. Doch nicht lange, denn Shindo setzte sich zu ihm und reichte ihm einen Becher Tee. Shindo deutete auf den Bildschirm, auf dem Sagekis Partie zu sehen war. "Schade, wenn ihm jetzt nicht noch eine zündende Idee kommt, dann ist die Partie vorbei. Nur Miyagi scheint wirklich in Topform zu sein." Touya nickte nur und roch an seinem Becher. Der Wasserdampf wärmte sein Gesicht und er meinte, Jasmin zu erschnuppern. Sie saßen für den Rest der Zeit stumm nebeneinander, bis alle Partien vorbei waren, dann gingen sie gemeinsam in den Raum, wo die Jungen noch vor ihren Goban saßen. Sie würden ihn jetzt brauchen, dachte Touya. Sie saßen nur da und starrten auf die vor ihnen ausgebreitete Partie. Keiner weinte. Korea hatte sie irgendwann alle überrannt, die Spielweise war zu übermächtig gewesen, als dass sie den anderen die Stirn hätten bieten können. Doch sie hatten gut gekämpft. Touya ging zu Sageki und legte ihm die Hand auf die Schulter, wie er es mittlerweile schon öfter getan hatte. "Komm, lass uns gehen", sagte er nur, dann trat er zu Miyagi. Shindo kam mit Hikaru an seiner Seite zu ihm. Miyagi am zweiten Brett sah mit starrem Blick auf. Er schien zu stur, um die Niederlage zu akzeptieren. Er hatte allerdings auch von allen die beste Partie gespielt und nur mit einem zwei-Moku-Rückstand verloren. Zu fünft gingen sie nach draußen, wo Touya förmlich Hände schüttelte mit dem koreanischen Team und Yongha, umringt von koreanischen Fotografen, die den Triumph ihrer Spieler festhalten wollten. Zwischendrin sah er auch ihren japanischen Fotografen, der sich allerdings zurückhielt. Erst als das Siegerteam weiterzog bekam er die Chance, mit seinen Jungs zu reden. Shindo trat zu ihnen. "Wisst ihr, dass Touya und ich beim allerersten Hokuto-Cup Japan repräsentieren durften?" fragte er die drei Jüngeren. Sie nickten mit großen Augen. "Als wir damals gegen Korea gespielt haben, war ich erstes Brett. Ich verlor und habe geheult wie ein Mädchen, es war wirklich nicht schön anzusehen. Ich bin froh, dass ihr bessere Verlierer wart heute. Touya war damals übrigens der einzige, der gegen die Koreaner gewonnen hat." Das schien sie allerdings nicht besonders aufzuheitern, also erzählte Touya eine Anekdote, wie er mal in einem wichtigen internationalen Turnier von einem Kanadier geschlagen worden war, den er vorher auf die leichte Schulter genommen hatte. Langsam besserte sich die Stimmung der Jungen und Shindo verabschiedete sich vorerst, in einer Stunde wollten sie sich mit den beiden Koreanern treffen und vorher noch baden. Also ging Touya mit seinem Team langsam in Richtung Hotel. Sie setzten sich gemeinsam in die Lobby und bestellten Eistee. Nachdem ihnen eine Karaffe und Gläser gebracht worden war, erzählte Touya ihnen schließlich von seinem Plan, der sie einschloss. "Ich überlege, eine Übungsgruppe ins Leben zu rufen", erklärte er beiläufig. Die drei anderen warfen sich kurze Blicke zu und sahen dann wieder ihn an, also musste er wohl oder übel mehr sagen. Touya überlegte kurz. "Ihr seid alle drei sehr gute Spieler, aber mit dem richtigen Lehrer würdet ihr schneller wachsen. Ich glaube, dieser Lehrer könnte ich sein." Auf Sagekis Gesicht breitete sich ein Strahlen aus und er stieß Hikaru neben sich an. "Ich hab doch gesagt, das wäre eine tolle Idee!!" Dann besann er sich und deutete eine Verbeugung in Richtung Touyas an. "Also ich wäre dabei. Ihr seid ein klasse Lehrer, Touya-san!" Dieser grinste ebenfalls und lehnte sich zurück. Die Jungen plapperten drauflos, darüber, dass sie sich erst am Vortag über diese Idee unterhalten hatten und wie begeistert sie da schon gewesen waren. Plan eins abgeschlossen, dachte er zufrieden. ~x~ Noch am späten Abend ging ihr Flieger. Touya hatte mit Shindo, Yongha und Suyong vorher noch angestoßen und geplaudert, doch seine Gedanken waren schon längst in Japan gewesen. Er hatte es kaum erwarten können, endlich aufzubrechen, obwohl ihm der Gedanke an den Flug nicht gerade gefiel. Shindo schlief diesmal im Flugzeug und so musste Touya sich alleine mit einer Zeitschrift und seinem magnetischen Goban ablenken. Es brachte alles nicht viel und so war sein einziger Zeitvertreib schließlich, die Minuten bis zur Landung zu zählen. Zurück in der Heimat wurden sie von einigen Sponsoren begrüßt. Touya stützte den müden Shindo auf dem Weg den Gangway entlang und ließ einige Fotos über sich ergehen, bei denen sie erschöpft in die Linse lächelten. Dann verabschiedete er sich schnell von der Crew und sie nahmen sich zu zweit ein Taxi zu ihrem Apartment-Komplex. Es war mitten in der Nacht, als sie eintrafen, und fast sah es so aus, als schaffe es Shindo nicht mehr zu seiner eigenen Wohnung, doch Touya schob ihn noch die Hälfte der Treppen nach oben, bevor er zurück zu seiner eigenen Wohnungstür trottete. Seine Tasche ließ er drinnen gleich neben der Tür stehen, dann schlurfte er auf direktem Wege in sein Zimmer, wo er es gerade so schaffte, Jacke und Hose abzulegen, Hemd und Socken blieben an, dafür war er einfach zu schnell eingeschlafen. ~x~ Als Touya am nächsten Morgen zu seinem Briefkasten schlurfte erwartete ihn ein ziemlicher Schock. "Was zum–?" Er erstarrte beim Anblick dessen, was vorher sein Briefkasten gewesen war. Er schien von innen ausgebeult, die kleine Tür stand an den Seiten ab und wurde nur noch durch ein Scharnier gehalten. Er kramte seinen Schlüssel hervor und konnte den Kasten nur mit viel Pressen und einigen wohlplatzierten Schlägen öffnen. Offensichtlich hatte ihm jemand einen Böller hineingeworfen, seine Post lag in Fetzen und angesengt da und Touya starrte sie nur entsetzt an. Nach einigen Minuten dumpfen Starrens klaubte er die Briefreste hervor und ließ die Tür offen hängen, bevor er wieder nach oben ging. War das am Vorabend schon so gewesen? Sie waren wohl beide zu müde gewesen, um darauf zu achten. Anscheinend hatte in ihrer Abwesenheit ein Jugendlicher die Zeit genutzt, etwas aggressive Energie abzulassen, dachte Touya säuerlich, als er gerade die Postfetzen entsorgte. Dann rief er im Institut an, um zu erfragen, ob sie ihm Briefe geschickt hatten. Tatsächlich war unter der zerstörten Post wohl sein Match-Plan für den nächsten Monat, also bat er um einen erneuten Brief, den er am Montag abholen würde. Danach griff er seinen Autoschlüssel, Hausschlüssel und etwas Geld und ging zur Tür hinaus. Es war gerade erst zehn Uhr, Shindo würde noch einige Stunden lang schlafen. Vermutlich würde er sauer sein, wenn er erfuhr, dass Touya ihm nicht bescheidgesagt hatte wegen der kleinen Lappalie, wie Touya es bezeichnen würde. Er zuckte die Schultern und verließ gemächlich den Komplex. Auf dem Parkplatz davor wartete bereits sein wunderschöner Sportwagen. Er strich über die Kühlerhaube und die Fahrertür und merkte, wie er sofort ruhiger wurde. Als er in den tiefen Sitz sank, atmete er erst einmal tief durch. Es war nur ein Kinderstreich, sagte er sich. Nur warum war er plötzlich von solcher Unruhe erfüllt? Es hätte genauso gut Shindo treffen können, es war reiner Zufall. Er hatte niemanden erzürnt. Touya startete den Motor und hörte das angenehme Knirschen der Reifen auf dem Asphalt, als er aus der Ausfahrt fuhr. Er fuhr nicht weit, eigentlich hätte er auch laufen können, aber er wusste, dass die Fahrt ihn in bessere Laune versetzen würde. Schließlich hielt er vor dem Laden, in dem er schon seinen letzten Briefkasten gekauft hatte, weil der seiner Vormieter ihm nicht gefallen hatte. Er ging hinein, lehnte die Hilfe des Verkäufers freundlich ab und sah sich um. Er fand, was er suchte, und ging zu den ausgestellten Kästen. Waren die alten auch so hässlich gewesen? Er hatte eigentlich gedacht, beim letzten Mal waren hier nur welche gewesen, die ihm gefallen hatten, aber diesmal fand er keinen einzigen. Wozu überhaupt einen Briefkasten, dachte er kurz. Nach kurzem Zögern wählte er einen der hässlichen aus, es war ein schlichter, klobiger, weißer Kasten mit komischen Verzierungen, die an Elefanten erinnerten. Der Verkäufer lächelte ihm begeistert zu und Touya fragte sich, ob dieser Mann selbst die Artikel im Laden auswählte, denn dann hätte er wohl den schlechtesten Geschmack der Welt. Und das sagte er, dem Shindo immer vorhielt, ein hoffnungsloser Fall zu sein, was so etwas anging. Auf dem Weg nach Hause besserte sich seine Laune nicht mehr, trotz wunderschönem Auto und allem. Sein Briefkasten war zerstört worden und er hatte nicht einmal einen ähnlichen schönen finden können, sondern stattdessen würde sein Name ab demnächst auf einem schrecklichen weißen Klotz kleben, der ihn immer wieder an diesen verkorksten Morgen erinnern würde. Vermutlich würde er bald einen neuen kaufen gehen, redete er sich ein. Daheim angekommen holte er Werkzeug aus seiner Wohnung und machte sich daran, seine Errungenschaft anzubringen. Irgendwann gegen halb elf kam Shindo die Treppe hinuntergeschlurft. Touya, der gerade seinen alten Briefkasten abgeschraubt hatte, sah auf und dem anderen entgegen. Er sah ziemlich verschlafen aus, die Haare zerzaust und verknotet, außerdem trug er eine alte Jogginghose und ein ausgeblichenes Shirt mit einer hellen "5" darauf. Diese Klamotten trug er sonst nicht mehr. Als Shindo ihn erkannte blieb er kurz stehen und kam dann zu ihm und nahm ihm den zerbeulten Kasten aus der Hand, um ihn mit gerunzelter Stirn zu betrachten. "Verdammte Teenager", murmelte er wütend. "Brauchst du Hilfe hier?" Touya schüttelte den Kopf, nahm seinen alten Briefkasten an sich und legte ihn am Boden ab, bevor er begann, den neuen in die Lücke zu halten und anzuschrauben. Es dauerte nicht allzu lange und Shindo lehnte die ganze Zeit neben ihm an der Wand, schaute fachmännisch zu und gähnte ab und zu leise. Schließlich war Touya fertig und Shindo tat endlich, wofür er eigentlich gekommen war: seine Post holen. "Was machst du heute?" fragte er verschlafen und kratzte eine Stelle bei der "5" auf seinem Shirt. Touya zuckte nur die Schultern. "Keine Ahnung. Du kannst vorbeikommen, wenn du Lust auf eine Partie hast. Ansonsten muss ich nur ein Protokoll schreiben über die Tage in Korea. Montag ist ein abschließendes Meeting mit den Sponsoren, danach laden sie auf eine kleine Party ein." Shindo sah ihn eine Weile lang an, dann ging er Touya voran die Treppen hinauf. Auf Touyas Stockwerk drehte er sich noch mal kurz um und fragte: "Siehst du sie dann am Montag?" Touya starrte kurz zurück und merkte, wie die Zahnräder in seinem Kopf im Schneckentempo anliefen. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht, seit er vor zwei Stunden den zerstörten Briefkasten vorgefunden hatte, aber Shindo hatte Recht. "Ich schätze schon", erwiderte er und ging dann mit nur einem weiteren Nicken in seine Wohnung. Er würde sie wiedersehen. SIE. Ayumi. Seine Traumfrau. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)