He is my sin von Paradiesapfel (Be sure to notice when you’re happy. (c) Brenda Farrar) ================================================================================ Prolog: Here I go again ----------------------- Gut, das war einmal eine Vase. Fluchend beuge ich mich runter und sammle schon einmal das Gröbste auf. Wenn das nicht ein Zeichen dafür ist, dass ich wieder zuhause bin, dann weiß ich auch nicht weiter. “Joey.” Meine Mutter. “Joey. Ah! Bruderherz!” Und das meine Schwester. Wie lange bin ich jetzt nicht mehr hier gewesen? Fünf Wochen? Mir kommt es vor wie fünf Tage. Ich glaube, den beiden wie fünf Jahre. Gerade erst war ich ins Taxi zum Flughafen gestiegen und gerade erst wieder vom Flughafen gekommen. Seltsames Gefühl. So ist es bei uns. Lustig. Lieb. Und ungeheuer anstrengend. Ich folge der Stimme meiner Mutter hin zur Küche und werfe die Scherben sporadisch in den Müll, wasche meine Hände ab, um die letzten feinen Splitter von ihnen zu befreien. Danach erst kann ich Calista Schinkert in die Arme schließen. Meine Mutter. Gerade einmal vierzig Jahre ist sie alt und studierte Dolmetscherin. Zur Zeit arbeitet sie daheim an einem Buch, das sie nicht nur aus dem Spanischen ins Deutsche sondern auch noch ins Englische übersetzen soll, in ihre Muttersprache. “Ist Papa nicht zuhause?” Ich schaue mich um. Es sieht also immer noch so aus wie vor fünf Wochen. Keine neuen Bilder, keine neuen Notizen an der Kühlschranktür. Meine Eltern mussten richtig gearbeitet haben. “Alexander ist noch im Studio. Ich glaube, dass er einfach einmal einen Saunagang außerhalb des Hauses brauchte. Er hat noch von der Kanzlei aus angerufen. Willst du etwas essen?” Meine Mom zieht die Kühlschranktür auf und verzieht kurz darauf dann das Gesicht. “Okay, entweder etwas das du kämmen kannst oder Fleisch.” “Weder noch. Danke. Sagt mal, wart ihr in den letzten Tagen überhaupt da?” Gedanklich habe ich allerdings schon längst zum Telefon gegriffen und etwas bei meinem Lieblingsitaliener geordert. Ich mag keine Dinge essen, zu denen ich sprechen kann. Weder Tiere noch Gemüse mit Haaren. Meine Eltern sind sonderbar. Ich vermute, das ist der wahre Grund, weswegen ich sie so sehr mag. “Da schon, aber gegessen haben wir auswärts. Papa in der Kanzlei. Ich mit Sanne bei ihrer Schule ums Eck. Da hat ein neuer Thailänder aufgemacht. Ist nur zu empfehlen.” Sanne ist ihre beste Freundin seit vielen Jahren. Lächelnd betrachte ich meine Mutter. Sie steht vor mir. Mit zerzausten schwarzen Haaren und funkelnden grünen Augen. Mein Vater sagt immer, dass sie funkeln wie Smaragde. Deswegen hat er sich in seinem Auslandsjahr in Mama verliebt. In Irland. Ihrer Heimat. Und dann hat er sie entführt. Nach Deutschland. Und genau dort heiratete er sie. Knapp fünf Monate später. Und schon war ich geboren. Zack. Ein kleiner Junge mit den braunen glatten Haaren meines Vaters und den grünen Augen meiner Mutter. Vielleicht nicht ganz so grün, aber ein schönes grün. Funkelnd. Zumindest sagen es meine Freunde. Naja und dann gibt es inzwischen noch Anne Mary. Seltsamer Doppelname, ich weiß. Aber lieb ist sie. Meine kleine Schwester. Sechzehn Jahre alt, absolut in der Pubertät und absolut süß. Ich meine, ich habe auf sie aufgepasst, als sie klein war. Und ich würde es jetzt noch tun. Aber ich glaube, sie findet das dann eher lästig. Sie versucht jetzt schon die Große zu sein. Und plötzlich habe ich einen kleinen Floh um den Hals hängen. “Hey May.” Der kleine Wirbelwind hat die Haare meiner Mutter und die blauen Augen meines Vaters und genau diese mustern mich jetzt interessiert. “Wie war Lima, Großer?” “Interessante große Stadt, Maus.” “Hast du etwas mitgebracht?” “Aus Peru? Sicher. Darf ich aber vielleicht erst einmal ankommen?” Auch wenn ich meine Schwester wirklich liebe und meine Eltern ohne Wort auch, nach einem Tag anstrengenden Flügen und einem gecancelten Flug über Argentinien, wollte ich mich eigentlich hinlegen. “Sicher Bruderherz. Du schaust aus, als könntest du ein heißes Bad gebrauchen.” Ich ziehe mit den Zähnen an dem Ring in meiner Unterlippe. Eine Badewanne. Schöne Idee. Und in der Zeit kann mein Lieblingsitaliener meine Pizza auch fertig machen. Gute Idee. Sehr schöne Idee. “Ich hab dir Wasser eingelassen. Schokoladenbad. Ist zum entspannen.” Sagte ich schon, dass ich sie knuddeln möchte? Wahrlich, sie ist eine Schwester, wie man es sich wünscht. “Danke Mary.” Ich umarme sie noch einmal und hauche ihr einen Kuss auf den nicht vorhandenen Scheitel. Sie ist cool und ich hoffe im Stillen, dass die Jungen sie in Ruhe lassen. Ich kann echt ein großer Bruder sein. Ätzend manchmal, aber ich hätte mir einen solchen gewünscht. Und wieso jetzt nicht für Mary ein solcher sein? Bevor ich ins Bad sprinte, schnappe ich mir mein Telefon und lasse einen kurzen Blick über mein Zimmer schweifen. Meine Mutter hat das Bett neu bezogen und mir eine große Peruflagge über das Bett gepinnt. Es ist so schön wieder nach Hause zu kommen. “Pizzeria Emilio. Guten Tag?” “Josh Schinkert hier. Ich hätte gerne die Nummer acht, die Spinatpizza mit Extra Knoblauch und Peperoni. Und bitte extrascharf.” “Gerne Josh”, ertönt eine mir sehr fremde Stimme. Aber sie ist angenehm. Angenehm warm und vor allem angenehm männlich. Und sie ist anders. Mit Akzent, der ausschließt, dass er nur Deutsch ist. Ich ziehe gerade meine Hose aus und stolpere dem Badewasser entgegen. “Möchten Sie sonst noch etwas bestellen?” Bei Emilio ist es normal, wenn ich mich mit Vor- und Nachnamen meldete, werde ich mit Vornamen angesprochen aber trotzdem gesiezt. Nur nach den Wochen in Peru kommt es mir seltsam vor. Wenn man sich daran gewöhnt nur geduzt zu werden. Von allen, selbst völlig Fremden. “Ehm, noch eine Flasche Cola bitte. Geht das in einer halben Stunde?” Die warme Stimme wendet sich an jemandem im Hintergrund und fragt nach, ob mein Zeitwunsch mit Lieferung passen würde und ich meine, dass ich ein Lächeln hören kann. “Aber natürlich. Jetzt bräuchte ich nur noch ihre Adresse?” Meine Boxershorts folgt meiner Jeans auf den Boden und ich lasse mich in das warme Wasser gleiten. “Marktstraße acht, nur ein paar Straßen von der Pizzeria entfernt. Schinkert ist der Name.” Meine rechte Hand gleitet durch das milchige Wasser. Betörender Schokoladengeruch steigt mir in die Nase und genüsslich lehne ich mich zurück. “Wird gleich gemacht. Wirklich extrascharf?” Er muss neu bei der Pizzeria arbeiten. Ich kenne seine Stimme noch nicht. Macht er nur Telefonservice oder liefert er auch aus? “Extrascharf. Da steh ich drauf.” Gleichzeitig ziehen meine Zähne wieder an dem kleinen Ring in meiner Unterlippe. Würde er darauf anspringen? Ich meine, wie hoch ist die Chance, dass er auf Männer steht? Eins zu einer Millionen? Und selbst wenn nicht, wie hoch steht dann die Chance ihn gedreht zu bekommen? “Gut zu wissen.” Ein heiseres Lachen. So wie er es sagte und wie er lachte, erscheint mit die Möglichkeit, dass er auf Männer steht plötzlich sehr groß. “Wer macht die Pizza denn?”, erkundige ich mich und weiß eigentlich die Antwort. Es ist Freitag. Freitags macht immer Emilios Sohn Angelo die Pizza. Angelo- Engel. Der Kleine sieht auch aus wie ein Engel in braunhaarig. Ein junger Mann mit braunen dichten Locken und einem strahlenden Lächeln. “Angelo. Er hilft doch dreimal die Woche inzwischen aus.” Irgendwie gibt der Kleine gerne Antwort. Ich schiebe mit dem großen Zeh den Wasserhahn wieder auf. Heißes Wasser tut gut. Vor allem meinen müden Gliedern. “Höre ich Wasser im Hintergrund?” “Ja, Wasser.” “Sie baden?” “Und du bist neugierig.” Warum auch immer ich ihn duze. Vielleicht ist er ja auch älter als ich. Andererseits hat mich das noch nie gestört. Das habe ich wohl von meiner Mutter. Die hat auch eine große Klappe. Immer gerade heraus. Wenn jemand ihr etwas will, dann kann sie ungemütlich werden. Aber wenn sie etwas möchte, kann sie unglaublich charmant oder unglaublich schnell bei den Menschen familiär werden. “Entschuldigung.” Okay, er scheint mir eher der kleine Kater sein. Kann er nicht einfach mit einem frechen Spruch zurückschießen? Dann eben nicht. “Aber ja. Ich bade. In einem Schokoladenbad. Hat meine Schwester für mich vorbereitet”, gebe ich ihm bereitwillig Auskunft. Habe ich ihn jetzt erschreckt? Ein wenig scheinbar. Meine Hand ist auf meinem Bauch zum Liegen gekommen und krault ihn ein wenig. Ich bräuchte jetzt irgendwie kleine Kraulereien. Ob ich Maja wohl anrufen könnte? Maja, meine beste Freundin seit dem Sandkasten. Meine Kummerkastentante, obwohl meistens ist es umgekehrt. Und ein schöner Nebenaspekt ist, dass sie massieren kann. Nicht einfach nur massieren, wie andere Menschen es aus Spaß machen, sonder richtig. Denn ihre Cousine ist Masseuse und hat ihr das ein wenig beigebracht. Mein Glück. Ich bin nämlich ihr persönliches Übungsobjekt. Da sie die Freunde schneller wechselt, als ich mir den Namen merken kann, darf ich alles erlernte mitbekommen. Ich liebe Maja. Sie ist lieb und mindestens so kuschelbedürftig wie ich. “Das ist aber nett.” Kater. Vielleicht noch in dem Stadium in denen sie über ihre eigenen Pfoten fallen. Kennt ihr das? Das ist lustig. Deswegen finde ich Tiere so toll. Okay, zurück zu meinem Telefonpartner. “Das ist es. Wie weit ist meine Pizza?” Ich weiß, dass er sich jetzt umdrehen muss, um zu Angelo schauen. Und der wird ihm zu verstehen geben, dass das Telefon frei sein muss. Aber wozu? Es gibt zwei Serviceleute und es gibt zwei Telefone. Also... “Sie ist im Ofen und gleich fertig.” Meine Zähne bearbeiten meine Unterlippe, ziehen den Piercing zurück und lassen ihn dann los. Das Gefühl, das mich dabei durchströmt, ist unbeschreiblich gut und ich weiß wieder, weshalb ich mir meine Ringe hab stechen lassen. Warum ich den ein oder anderen Schmerz ausgehalten habe. “Wunderbar, dann sollte ich jetzt zu Ende baden. Danke für das Telefongespräch. Tat gut wieder Deutsch zu sprechen. Auf Wiederhören.” “Ja, auf... Wiederhören.” Ha, er hat es auch gesagt. Und ich weiß, wie ich ihn erreichen kann. Ich schmeiße das Telefon auf die Hose und tauche mit dem ganzen Kopf unter Wasser. Normalerweise nehme ich meine Piercings raus, bevor ich in die Wanne gehe, aber heute war ich zu faul. Neben meinem Ring in der Unterlippe, gibt es noch mehr. Doch es ist und bleibt mein Lieblingspiercing. Meine Mutter fand das damals cool, meine Schwester abgefahren und mein Vater knurrte. Aber er war einverstanden. Damals war ich gerade einmal sechzehn, so alt wie Anne Mary und es war mein erstes gestochenes Loch. Und mein Markenzeichen. Danach folgte mein Augenbrauenpiercing, zeitweise sogar einer durch die Zunge, aber den hatte ich schneller wieder draußen, als dass die Zunge abschwellen konnte. Es sah primitiv und billig aus. Bei meinem Ohr ist auf einer Seite der Knorpel durchstochen und dann habe ich mich vor drei Monaten entschieden auch noch die Brustwarzen durchstechen zu lassen. Das gibt ein gewisses, geiles, Gefühl, wenn das Shirt drüber streift. Oder der Pullover. Oder eine andere Hand. Ich schließe die Augen und lasse meine Hand zu den Stäben gleiten, die durchgestochen sind. Ich hatte mich absichtlich gegen neue Ringe entschieden und für die Stäbchen. Mein Piercer Steffen, seines Zeichens ein Ex- Lover von mir, hat mir gezeigt, dass es für Männer angenehmer war, nur die Stäbchen zu nehmen. Ja, ich könnte ihn dafür immer noch küssen. Mein Blut schießt eine Etage tiefer, während ich mich weiter meinem Körper widme. Verdammt, wie lange hatte ich keinen Kerl mehr unter mir? Wochen? Jahre? Doch im gleichen Moment flaut das tolle Gefühl ab und ich werde aus den Grübeleien gerissen. “Josh!” Meine Mutter. Und zwar direkt vor der Badezimmertür. “Schläfst du?”. “Ich glaube, wenn du dein Essen bekommst, dann musst du selber an die Tür gehen. May ist bei Lavendel am Stall und Alexander noch mit George etwas essen gegangen. Der steht nicht so auf Gurke mit Flaum. Die ich im Übrigen in den Mülleimer verfrachtet habe.” Danke Mama für diese ausführliche Beschreibung. Hauptsache das eklige Haustier ist weg. “Und ich gehe jetzt auch duschen.” Widerwillig greife ich zum Handtuch und steige aus der Wanne. Ja, ich werde selber gehen. “Schon in Ordnung, Mom. Du hattest bestimmt harte Tage.” “Danke, Sohnemann. Ich liebe dich.” “Ich dich auch!” Schnell schlüpfe ich in die blaue Shorts und die blaue Jogginghose. Mit dem Handtuch auf den Schultern laufe ich ins Erdgeschoss, um mir schon einmal Besteck und Geschirr zu nehmen. Ich kann wahnsinnig faul sein und wenn das Essen kommt, bevor ich mir die Sachen genommen habe, dann würde ich die ganze Pizza ohne Hilfsmittel durchs Zimmer verkrümeln. Echt, dann hätte man alles überall gefunden. “Joey, machst du auf?” Die Türklingel. Ich sollte etwas an meinem Gehör tun. Das lässt irgendwie nach. Mit der linken Hand trockne ich noch meine linke Hälfte der Haare ab, als ich die Tür aufmache. Ein Kätzchen steht da vor. Nun ja, eigentlich kein richtiges Kätzchen. Aber er sieht so aus. Darf der überhaupt schon Auto fahren? “Ehm, Ihre Pizza?!” Ich muss den Kater angestarrt haben. “Danke, wie viel bekommst du?” Na also, da war ich wieder der Alte. “Acht Euro, dreißig Cent.” Irgendwie hat die Stimme etwas interessantes. Dieser leichte Akzent. Ist er Niederländer? Ich zücke einen Geldschein und er bedankt sich höflich. “Der Rest ist für dich”, zwinkre ich und beobachte, wie er leicht errötet. Bevor er gehen kann, fällt mir etwas ein. “Hey, was ich mit meiner Cola?” “Shit. Moment. Ach, verdammt.” Oh, fluchen kann der Kater auch noch. Ich sehe seinen blonden Haarschopf noch von hinten, als er zum Auto eilt und dann in helle blaue Augen, als er wieder zurück ist. Der ist ja niedlich. Große Babykatzenaugen. Wie die von der Britishkurzhaar, wenn sie gerade die Äuglein öffnet. Süß. Unschuldig. Niedlich. Reizend. Mir fallen noch tausende Attribute ein, um ihn zu besschreiben. Und die zerzausten Haare riefen danach, sie weiter zu verwuscheln, um sie danach wieder zu ordnen. Meine Gedanken werden immer verbotener. Und als er mir die Flasche mit Tausenden Entschuldigungen in die Hand drückt, da bin ich mir sicher, dass es die warme Stimme vom Telefon ist. Und jetzt klingt sie so weich. Sensationell. “Ist schon okay. Sag mir deinen Namen, lass deine Nummer hier und ich lad mich auf einen Kaffee ein.” Der Blick ist noch besser als seine Stimme. Für einen Moment sieht es aus, als wolle er zögern, doch dann zieht er ein Stück Papier aus der Tasche, einen Stift, kritzelt etwas darauf und reicht es mir. Schneller als ich gucken kann, sehe ich wieder nur den blonden Hinterkopf und das wegfahrende Auto. Ohne ein Tschüss und ohne einen weiteren Blick. “Falls du es wieder mal scharf möchtest. Ruf mich einfach an. Am besten ab sechs Uhr abends. Jannis” Dann folgt die Nummer und mein Lächeln gefriert, denn mit ‘scharf’ ist sicherlich nicht die Pizza gemeint. Das Kätzchen zeigt Krallen. Und dabei kennt es mich nicht einmal. Sollte sich mit meiner Rückkehr nach Deutschland alles verändert haben? Neue Menschen? Neue Männer? Ich nehme die Pizza und die Cola und trage sie auf mein Zimmer. Ich sollte Maja anrufen. Und gleich fragen, was sie davon hält. Und dabei die leckere Pizza genießen. Und verdammt. Er reizt mich. Und ich weiß eins. Ich werde nicht ruhen, bis ich ihn hatte. ************************* Veränderung- So wie die Felsen nicht zerbrechen, wenn die Wellen an die Küste schlagen, sondern zu schönen Formen geschliffen werden, so kann Veränderung auch unseren Charakter formen und unsere harten Kanten rund polieren. (Sogyal Rinpoche) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)