Pirat Jean Stath von TommyGunArts (Short storys) ================================================================================ Kapitel 2: Es! -------------- >>Ich bin krank«, sagte ich und schüttelte unablässig den Kopf. »Na und? Jeder ist mal krank, Jean. Das wird dir schon nicht den Hals zerschneiden« »John, ich bin wirklich sehr krank!« »Was hast du denn? Die Pest?«, lachte er bitter und sog an seiner Zigarre. Der Qualm, den er auspustete stieg mir in die Nase und verursachte ein Kribbeln. Der Geruch war ekelerregend und ich musste husten. »Ich habe etwas in meinem Kopf«, versuchte ich das Gespräch wieder in den Griff zu bekommen, »Der Doktor sagt, es sei ein Ding, das so groß ist, wie ein Augapfel. Es drückt auf mein Gehirn« Wieder lachte John und nahm einen Schluck Rum. »Nimm dir den Quatsch nicht so zu Herzen, das bringt dich nicht weiter« Er nahm mich nicht ernst. Warum auch? Hätte ich mich ernst genommen? Eher nicht. Aber es war ernst. Sogar todernst! Wenn ich mir vom Arzt kein Loch in den Schädel bohren lassen wollte –was für seltsame Heilungsmethoden es doch waren- musste ich damit leben, dass ich eines Tages an diesem Ding in meinem Kopf sterben würde. Doch wenn John mir keinen Glauben schenken wollte, dann konnte ich es auch lassen, über meine Probleme zu sprechen. Tränen drängten sich mir auf und ich konnte sie nur knapp zurückhalten. Nein, ich konnte jetzt nicht weinen. Ein Kapitän weint niemals. Und schon gar nicht vor anderen. Ich stand auf und verließ meine Kajüte, um an Deck etwas frische Luft zu schnappen. Regen und Wind peitschten mir mit roher Gewalt ins Gesicht, als ich im Freien ankam. Welch trauriger Tag, dachte ich und sah zum Himmel hinauf. Beinah hätte man meinen können, die schwarzen Wolken kämen hinunter gesaust und wollten mich erdrücken. Wer bin ich?, stellte ich mir plötzlich die Frage. Unweigerlich drängte sich auch sogleich eine Antwort auf: Ich bin Jean Stath, 32 Jahre, geboren als Sohn eines Königs. Ich habe vor langer Zeit beschlossen mein gutes Leben aufzugeben und Pirat zu werden. Auf meinen Kopf sind 200.000 Goldmünzen ausgesetzt, womit ich der berühmteste Pirat der Welt bin. Ich habe die Meere bereist, Schiffe gekapert, gemordet und Leben gerettet. Ich habe ein Ding in meinem Kopf so groß wie ein Augapfel. Und ich habe nur noch ein Jahr zu leben. »Kapitän!«, vernahm ich einen Ruf zwischen Wind und Regen. Ich drehte mich um und erkannte den Jüngling namens Koy, den ich vor kurzem aufgenommen hatte. Er war völlig durchnässt. »Kapitän!«, japste er wieder. In seinen Augen stand helle Panik. »Ein Schiff kommt auf uns zu! Ich glaube es ist ein Kriegsschiff!« »Keine Sorge, kleiner. Ich kümmere mich darum. Geh du hinein und sage den anderen, sie sollen sich Kampfbereit machen. Du versteckst dich so lange, bis alles vorbei ist, verstanden?« Koy nickte kurz und ging. Ich zog ein Fernrohr aus der Hosentasche und sah in die Dunkelheit, die das Unwetter mit sich brachte. Erst erblickte ich gar nichts, doch plötzlich tauchte aus dem Nebel ein Schiff auf, das die Flagge des hiesigen Königs trug. Es war wie der Jüngling gesagt hatte, ein Kriegsschiff. Inzwischen hatten sich meine Männer an Deck eingefunden; bewaffnet. Ich ging die Treppe zum Steuer empor und John, mein treuer Freund, nahm den Platz neben mir ein, als ich zu meiner Crew sprach. »Ein Kriegsschiff ist auf Kurs und es ist nicht mehr weit entfernt. Seit gewiss, dass die Männer an Bord versuchen werden uns unser Hirn aus dem Schädel zu schießen, mit allem, was sie haben!«, begann ich gegen dem Wind schreiend, »Sie glauben sie seien etwas Besseres ! Pah! Sehen werden sie, dass ihr Gold sie nicht vor unseren Kanonen schützen kann!« Jubel ertönten. »Also lasst uns das tun, was sich nicht vermeiden lässt: Schlachten wir sie ab!« Ich setzte ein wildes Grinsen auf, als ich sah, wie gut meine Ansprache gewirkt hatte. Eine starke Hand klopfte mir auf die Schulter. »Gut, das du dein sentimentales Kauderwelsch gelassen hast und wieder der alte bist«, sagte John lächelnd. Sein schwarzer Bart war zu langen Zöpfen geflochten, was mich immer wieder in staunen versetzte. Schließlich hatte er keinerlei Haare auf seinem Haupt. Als ich ihn kennen lernte war das erste, was ich sagte »Sind dir die Haare vom Kopf ausgefallen und habe sich nun zu meterlangen Bartzöpfen entwickelt?« Manchmal fragte ich mich noch heute, ob diese Zöpfe ihn nicht in vielerlei Hinsicht behinderten. Man stelle sich nur vor, er verhedderte sich während eines Kampfes. Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, dass sein Bart ihn eines Tages töten könnte. Doch es dauerte nicht lange, da verging mir das Lachen. Und zwar, als sich das feindliche Schiff neben dem Meinen aufbäumte. Mir blieb die Luft weg, als ich den Koloss erblickte, der sogleich das Feuer eröffnete. Mir bleib keine Zeit um das prachtvolle Schiff zu begutachten. Instinktiv suchte ich Schutz hinter dem Steuer, das eigentlich reichlich wenig Deckung bot. John tat es mir gleich. Schneller und schneller schlug mein Herz und zwang mich, unten zu bleiben. In Sicherheit. War dies ein Anflug von Angst? Ein Kapitän hat keine Angst! Ich sah Menschen, die vom Kriegsschiff auf meines übergingen und den Kampf beginnen ließen. Sie sahen aus wie kleine Ameisen, die sich gegenseitig die Kehlen aufschlitzten. Ein seltsamer und gewohnter und doch erschreckender Anblick. Schwermütig richtete ich mich auf, um meinen Männern zu Hilfe zu eilen. Ich zückte meine Waffe und schoss dem Nächstbesten in den Schädel. Dieser sackte zu Boden, auf dem sich eine Blutlache ausbreitete. Das Licht des Lebens wich aus seinen Augen und machten sie leer und kalt. Der Hinterkopf des toten war aufgesprengt. Ich beugte mich zu ihm herunter. Beinah konnte ich spüren, wie seine Seele aus ihm wich. Und eines Tages wird mich ein ähnliches Schicksal ereilen. Ich wandte mich ab von dem leblosen Körper, der am Boden lag und sah in die Runde. Geschrei und Waffenklirren. Kugelhagel. Welch ohrenbetäubendes, gewöhnliches Geräusch. Menschen rannten hin und her, kämpften, töteten, starben. Ein tödliches Schauspiel. So stellte ich mir ein Theater vor. Nur das dies die grausame Realität war. Aus meiner Hosentasche zog ich eine weitere Kugel und steckte diese in den Lauf. Erneut zielte ich. Treffer. Versenkt. Diese Abfolge von Ereignissen wiederholte sich stetig, bis mir auffiel, dass ich keine Kugeln mehr übrig hatte. Verzweifelt sah ich noch einmal nach. Nichts. Ich hörte Schüsse und Schreie, die den vorher noch so heulenden Wind übertönten. Ich warf meine Schusswaffe beiseite und zog einen kleinen Dolch hervor. Ich sah zu John herüber, der gerade einem Mann das Genick brach. Anscheinend hatte er das gleiche Problem wie ich. Dann blickte ich die Treppe hinab. Unten kämpften noch zahlreiche meiner Männer gegen die des Königs. Ich setzte mich in Bewegung, wollte nicht untätig sein und betrat die erste Stufe. Plötzlich wurde mir schwindelig. Auf der Zweiten bemerkte ich, dass mein rechtes Bein begann, sich meinen Befehlen zuwider zu verhalten und einknickte. Doch ich gab nicht auf, sondern betrat auch noch die dritte Stufe. Mit einem Mal sackte mein Körper in sich zusammen. Ich spürte noch wie meine Umgebung in Unschärfe versank und ich die Treppe hinab fiel. Mein Körper kam zuckend am Boden auf. Dann zog es mich in ein anderes Reich. In das Reich der Unbegrenzten Möglichkeiten. Das Reich der Träume. Doch ich träumte nicht. Als ich die Augen öffnete, sah ich noch verschwommen. Der Raum, den ich nur als Kajüte erahnen konnte, drehte sich unablässig und verzerrte sich mit jedem Augenaufschlag um ein weiteres. Mir war übel. Ein Spuckefaden hin aus meinem Mundwinkel und tröpfelte langsam aufs Bettkissen. Ich wischte diesen mit der Hand weg. Ich versuchte die Orientierung zu gewinnen indem ich mich drehte. Dabei verlor ich jedoch den halt und stürzte aus dem Bett. In meinem Kopf hämmerte und bohrte es wie wild. Der Schmerz plagte mich. »Jean, du bist wach!«, meinte eine kindliche Stimme, die nur dem kleinen, zwölfjährigen Koy gehören konnte, »Wie fühlst du dich, Kapitän?« Ich raffte mich auf, stolperte und fing mich wieder. »Wie ich mich fühle? Wen interessiert das? Stell gefälligst nicht so unsinnige Fragen« Ich rieb mir die Hände durchs Gesicht, als würde ich mich waschen. »Wie geht es John und den anderen?« »Jean! Du bist zusammengebrochen! Wir dachten du bist Tod!«, beharrte Koy. Ich sah ihn finster an und forderte die Antwort auf meine ursprüngliche Frage. »John hat eine Schulterverletzung, doch er ist wohlauf. Es gibt einige tote, doch die Leichen haben wir bereits von Bord geworfen. Du hast fast einen Tag geschlafen! Aber hey, wir haben gewonnen!« Ich schüttelte dich mich und schlug dann dem Jüngling auf den Hinterkopf. »Dummkopf! Hier geht es nicht ums gewinnen oder verlieren! Es geht nur darum, zu überleben! Mach dir das klar!« Ich betrachtete Koy. Er war nur halb so groß wie ich und nicht einmal annähernd so stark. Er war ein Bübchen. Plötzlich entdeckte ich in seinem unschuldigen, weichen Gesicht blaue Flecken. »Wo hast du die her?«, fauchte ich und drückte auf einen auf der Wange, sodass Koy vor Schmerz zurückwich, »Bist du etwa gegen meinen Befehl an Deck gegangen und hast mitgekämpft?« Koy nickte trüb mit gesenktem Kopf. Ich strich mir durch die langen, filzigen Haare und sagte mit Nachdruck »Wehe du tust das noch einmal!« Denn es wäre mir undenkbar, den Sohn sterben sehen zu müssen, den ich nie hatte Plötzlich ging die Tür auf und ein großer, stämmiger Glatzkopf betrat die Kajüte. John trug einen blutdurchtränkten Verband um die nackte Schulter. Er sah besorgt aus. »Alles in Ordnung, Jean?« »Die bessere Frage ist doch, ob mit dir alles in Ordnung ist!«, meinte ich und lächelte. Dann sagten wir beide wie aus einem Munde und wie in alten Zeiten »Mit ein bisschen Rum ist alles halb so Schlimm« Lachend verließen wir den Raum, um den schwer verdienten Rum zu genießen. Am Abend saß ich noch an Deck und schaute in die sternenklare Nacht. Dieser Tag was nur der Anfang meiner Krankheit. Das Ding in meinem Kopf würde größer werden und meine Lebenszeit geringer. Doch ich überlebte diesen Tag. Einige meiner Freunde taten dies nicht. Eine Woge der Trauer erfasste mich. Hätte ich es verhindern können? Hätte ich sie retten können? Ich sah den Polarstern und fragte mich: Wer bin ich? Ich bin Jean Stath, 32 Jahre, geboren als Sohn eines Königs. Ich habe vor langer Zeit beschlossen mein gutes Leben aufzugeben und Pirat zu werden. Auf meinen Kopf sind 200.000 Goldmünzen ausgesetzt, womit ich der berühmteste Pirat der Welt bin. Ich habe die Meere bereist, Schiffe gekapert, gemordet und Leben gerettet. In meinem Kopf wächst mein Tod. Und ich habe nur noch ein Jahr zu leben. Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht, denn mir wurde bewusst, dass dieses letzte Jahr noch vor mir lag und nicht hinter mir. Ich hätte mich nicht gleich für Tod erklären sollen, denn schließlich ist ein Jahr noch eine Menge Zeit. Ich hatte es in der Hand und konnte entscheiden, wie ich es leben wollte. Meine Abenteuer waren noch lange nicht zu Ende. Schließlich hatte ich noch vieles vor. Ich wollte noch die neue Welt sehen und eine Frau kennen lernen, die ich mit auf meine reise nehmen konnte. Ich wollte noch so viele Menschen kennen lernen und so viele Schätze stehlen. Und noch hatte ich die Zeit dazu. Noch lebe ich! Ich hatte nun ein Ziel vor Augen und versank nicht mehr in Selbstmitleid. Der Polarstern leuchtete hell. Er würde mir den Weg schon zeigen! Und außerdem, dachte ich, was würde meine Crew nur ohne ihren geliebten Kapitän tun? »Zum wohl, John!«, sagte ich, trank den Rum in einem Zug leer, hüpfte auf der Reling auf und ab und sang ein altes Lied, dass mir gerade einfiel »Du wirst auch nie erwachsen!«, lachte John und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)