Red Moon von HiYasha (Bellas Leben nimmt eine völlig ungeahnte Wende: sie wird zum Werwolf) ================================================================================ Kapitel 1: Grenzenlos frei -------------------------- Ich war erschöpft, müde, völlig erledigt. Wir hatten sie besiegt. Wir, na ja, ich selbst hatte nicht allzu viel dazu beigetragen. Eine ganze Armee Neugeborener, und ich hatte sie gerade mal ablenken können. Ablenken. Das war alles gewesen, aber immerhin, es hatte genützt. Jetzt war der Wald wieder sicher, es gab keine Toten mehr in Seattle, keine Sorgen, keine Angst mehr. Ich konnte wieder überall hin, ohne Begleitschutz, ohne Absprachen, wer mich beschützen musste. Ich war wieder frei. Und auch nicht. Und ich war mal wieder alleine. Alice hatte Edward in Beschlag genommen. Einkaufen, organisieren, Maß nehmen. Alles sollte nur vom Feinsten sein. Ich hatte keine Ahnung, wo sie die ganzen Sachen auftrieb, die Alice für absolut unabdingbar hielt für eine standesgemäße Hochzeit. Mir wurde ganz schlecht, wenn ich nur daran dachte. Standesgemäß für wen? Zu mir passte das alles nicht, und mir wurde immer unwohler, je näher der Termin rückte. Allein diese Einladungskarten. Sie waren edel, bestimmt. Und Alice hatte sie schon an die halbe Welt verschickt. Ich ächzte bei dem Gedanken an die vielen Leuten, nein, Vampire, die ich nicht mal kannte. Ich hatte sie gewähren lassen, versuchte, mich mit ihr zu freuen. Aber es gelang mir immer weniger, und inzwischen war es mir sogar Recht, dass ich alleine war. Es strengte mich an, zu lächeln und zu nicken zu all ihren Vorschlägen. Trotzdem werde ich das durchstehen – bis zum bitteren Ende. Aber ich hatte mein Veto eingebracht. Sie hatte diese schweren, dicken Umschläge tatsächlich nach La Push schicken wollen, zu ihm, zu Jacob, wie ich schon befürchtet hatte. Aus Anstand. Sie hatte wirklich Jacob einladen wollen. Ich seufzte. War es denn nicht genug, was sie ich ihm antun musste? Warum verstand sie denn nicht, dass die Wunde viel zu groß war, als dass sie noch darin herum bohren durfte? Schon gar nicht aus Anstand. Nein, diese Einladung durfte nie zu ihm gelangen. Und nun stand ich auch noch da, vor seinem Haus. Ich hätte nicht kommen dürfen. Ich hatte Jake versprochen, dass er bestimmen sollte, ob er mich überhaupt wieder sehen wollte. Und dann würde er sich melden. Aber ich hatte es nicht mehr ausgehalten, nichts von ihm zu wissen, und ich war zu feige gewesen, anzurufen. Und so hatte ich meine freie Zeit ausgenutzt und war hinüber nach La Push gefahren. Das heißt, eigentlich hatte ich erst gemerkt, was ich tat, als ich schon fast da war. Ich war meinen Gedanken nachgehangen, nur hier alleine im Auto konnte ich so traurig sein, wie ich wollte, konnte weinen, ohne jemanden zu verletzen, ohne mich zusammen reißen zu müssen. Und ich genoss die Momente, wo ich einmal ich selbst sein durfte… auf wenn mich dann die Trauer übermannte. Ich hatte sie verdient. Ich hatte es Jacob versprochen, mich nicht zu rühren, und trotzdem war ich losgefahren, trotzdem hatte mich mein Weg automatisch zu der Hütte geführt, in der mit seinem Vater wohnte. Aber um mein Versprechen ja nicht zu brechen, ging ich nicht auf die Eingangstüre zu, sondern schlich ich um das Haus herum in die Werkstatt, die dahinter lag. Deren Türe war nur angelehnt, und ich öffnete sie und schaute in den Raum, der in so vielen düsteren Wochen meine zweite Heimat geworden war. Hier hatte ich gesessen, ein Häufchen Elend, und hatte Jacob zugeschaut, wie er die Motorräder wieder zusammen geflickt hatte, die ich ihm gebracht hatte. Ich dachte daran, wie er mich wieder ins Leben zurück geholt hatte, als ob er mich repariert hatte, als ich am Boden zerstört war. Wie er mit seinem unerschütterlichen Optimismus die alten Mühlen wieder in Gang brachte, und wie er mir meine Seele gerettet hatte. Gedankenverloren strich ich mit den Fingern über das Schutzblech meines Motorrads, das in der Ecke stand. Es sah aus wie neu, und natürlich hatte er es nicht verkauft, wie ich ihm gesagt hatte. Aus einem Impuls heraus blickte ich zu dem Brett an der Wand, und wirklich hing der Schlüssel dort an dem Nagel. Wie in Trance schnappte ich ihn mir, steckte ihn ins Schloss und schob die Maschine nach draußen. Ich war nie mehr gefahren seit meinen waghalsigen Versuchen damals, mir Edwards Stimme zurück zu gewinnen, wenn ich mich in Gefahr brachte. Und nachdem Jacob seine schwere Verletzung als Motorradunfall ausgegeben hatte, hätte Charlie mich eh umgebracht, wenn ich auch nur das Wort Motorrad in den Mund genommen hätte. Ich trat den Kickstarter durch, die Maschine wummerte leise vor sich hin, und ich schwang mich hinauf und fuhr einfach davon. Ich hatte keine Ahnung, ob mich jemand sah, und es war mir in diesem Augenblick auch egal. Sie waren bestimmt eh alle sauer aus mich, nachdem, was ich Jacob angetan hatte. Ihn zu küssen und dann doch den anderen zu heiraten. Ich weiß nicht, warum ich das getan hatte, warum mir gerade der Sinn nach Motorradfahren stand. Bestimmt nicht, um Edwards Stimme zu hören, die konnte ich vernehmen, sobald er wieder zurück war. Und er würde mit Tadel bestimmt nicht gerade sparen. Es tat mir einfach gut, so auf dem kleinen Waldweg entlang zu fahren. Ich kam gut mit der Maschine zu Recht, kein schlingern mehr, kein unsicheres Gefühl. Ich genoss die Beschleunigung, den Wind in meinen Haaren, die Sonne wärmte mein Gesicht, und ich hatte das Gefühl, meinen Sorgen und dem unguten Gefühl, was diese Hochzeit betraf, einfach davon fahren zu können. Es war heiter, ein sonniger Augusttag. Die Sonne hatte viel Kraft, und mir war warm, obwohl ich ohne Jacke fuhr. Ich hörte nur das Rauschen des Windes und ein paar Vögel, die aus dem Dunkel des Waldes zwitscherten. Ich wollte mehr, wollte noch schneller werden und so bog ich auf die befestigte Straße ein, die zur Küste führte. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, wo ich doch sonst eher der ängstliche Typ war, aber heute fühlte ich mich außer Rand und Band und konnte nicht genug kriegen von der Kraft des wummernden Motors unter meinem Sitz. Es befreite mich, mal nicht das Dach meines klapprigen Transporters über mir zu spüren, sondern den herrlichen Duft nach Wald und Harz, nach Moos und üppig süßen Beeren direkt in der Nase zu haben und den Wind zu spüren, der an mir zerrte. Es blies mir den Kopf frei, und das war es, was ich dringend brauchte. Zuletzt war ich mit Jacob zusammen gefahren, und vielleicht fuhr ich auch, um ihm irgendwie näher zu sein. Aber das Beste für ihn war wohl, wenn er mich gar nie wieder sah. Es würde seinen Schmerz nur vergrößern. Ich hatte mich entschieden. Es war von Anfang an eindeutig gewesen, und ich hätte ihm nie solche Hoffnungen machen dürfen, auch wenn mir inzwischen klar war, dass ich ihn liebte. Ich hatte mit seinem Herz gespielt. Und es ihm zerrissen. Nein, ich wollte nicht daran denken, versuchte nur, die Sonne zu genießen, das Spiel von Licht und Schatten, wenn ich durch den lichten Wald fuhr. Trotzdem fielen mir die Tränen in großen Tropfen von den Wangen. Vor Edward riss ich mich immer zusammen. Ich hatte einen Tag durch geweint an seiner Schulter, und ich konnte ihm das nicht antun, noch mehr Tage völlig aufgelöst in der Ecke zu hängen. So war es besser. Der Wind nahm die Tränen einfach mit. Ich musste mich wirklich mal zusammen reißen und nicht alle Männer um mich herum zu plagen mit meinen Unzulänglichkeiten. Edward war eh so mitfühlend. Ohne jeden Vorwurf, ohne Anstalten von Eifersucht hatte er mich getröstet. Stumm hatte er meine Hand gehalten, hatte mich durch den schlimmen, ersten Tag gebracht. ‚Alles Masche‘, hörte ich plötzlich Jacobs Kommentar spöttisch aus dem Hintergrund. Hörte ich jetzt schon wieder Stimmen? ‚Er manipuliert dich! ‘ Verärgert schnaubte ich auf. Nein, Edward war einfach nur verständnisvoll. Er hatte verstanden, wie sehr mein Herz an Jacob hing, und er wusste auch, dass das meiner Liebe zu ihm nichts anhaben konnte. Ich hatte mich für ihn entschieden. Und das sogar mit all seinen Bedingungen. Freiwillig. ‚Er ist nur besser als ich darin, dich um den Finger zu wickeln. ‘ Ich sah Jakes freches Grinsen direkt vor mir. Wieder schnaubte ich. Nein. Ich hatte das alles von mir aus gemacht. Wenn Edward doch so viel daran lag. Mir bedeutete es nicht viel. Wenn er nun mal heiraten wollte - es war nicht viel dabei. Aber Alice machte viel daraus, viel zu viel. Mir schwebte immer noch die Hochzeit in Las Vegas vor Augen. Ich im Jogginganzug, und wie wir lachend und eng umschlungen in so eine kleine, kitschige Hochzeitskapelle traten, Musik vom Band hörten und nach 10 Minuten verheiratet wieder heraus kamen. Es war nicht viel dabei… nur eine Unterschrift. Aber man konnte viel daraus machen. Wieder stöhnte ich. Was hatte ich denn früher einmal für Vorstellungen von der Ehe gehabt? Sie lag vor allem in der Zukunft. Ein Freund, ein Leben zusammen, ein paar Jahre an seiner Seite, zusammen wohnen, zusammen essen, schlafen, aufstehen, die schlechten Launen und das ungewaschene Gesicht erfahren. Gute und schlechte Zeiten teilen, um sicher zu gehen, dass es klappte. Nichte ein Schnellschuss, wie bei meinen Eltern, der nach hinten los ging. Keine überstürzte Hochzeit aus wilder Romantik. Und schon gar nicht als Erlaubnis, um den anderen endlich so berühren zu dürfen, wie man wollte. Nein, wie grottig war das denn. Aber was regte ich mich auf? Ich hatte es ihm doch versprochen. Ich wollte ja auch eine schöne Hochzeit, wenn auch eigentlich nicht jetzt. ‚Du versucht es allen recht zu machen. ‘ Diesmal war es Edwards Stimme, die mich mahnte. Wieder seufzte ich auf. Ich befürchtete, dass er da doch Recht mit hatte. Da war mehr Freundschaft für Alice, mehr Freude an ihrer Freude, als dass ich eigene empfand bei dem Gedanken an diese Hochzeit. Sie sollte im Haus der Cullens stattfinden, mit dem edelsten Ambiente. Und die Gäste würden bestimmt auch edel sein, reich, erhaben, zurückhaltend, würdevoll, verschlossen. Meine Eltern würden heraus stechen wie bunte Hunde. Charlie und Renée und ihr junger Mann. Charlie würde sich bestimmt nicht wohl fühlen, und Renée würde lächeln, für mich. Und ich erst? Würde ich mich wohl fühlen? Ich zog den Gasgriff durch und fuhr schneller, als ob ich den Gedanken abstreifen und hinter mir lassen wollte. Nein, ich hatte mich entschieden, und ich wollte jetzt keinen Rückzieher mehr machen und Alice enttäuschen. Ich würde diese Feier schon hinter mich bringen, und dann war ich seine Frau, wie er es sich gewünscht hatte. Er hatte so viel Verständnis für mich, da konnte ich ihm ruhig ein wenig entgegen kommen. ‚Siehst du, er manipuliert dich doch! ‘ Jacobs Stimme spottete wieder aus der Ferne, und ich verscheuchte sie und gab noch mehr Gas. Der Motor stöhnte schon. Es war schön, so durch die Landschaft zu flitzen. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich mal so waghalsig fahren würde. Vor mir öffnete sich schon der Wald, und ich hörte das Brausen des Ozeans. Wenige Sekunden später glitzerte er vor meinen Augen in der Sonne, ein Band, das bis zum Horizont reichte und keine Grenzen zu haben schien. Da waren nur Wasser und Wellen, und ich hörte die Brandung tief unter mir gegen die Felsen klatschen. Ich erkannte den Küstenstreifen wieder. Es war genau die Stelle, wo Sam mit seinen ersten Rudelmitgliedern von der Klippe gesprungen war, wo ich von der Klippe gesprungen war. Ich hielt an, stellte das Motorrad ab und schlenderte zu der Felskante hinüber. Der Blick war herrlich, nur Weite, keine Wolken, eine Seltenheit in dieser verregneten Gegend. Mir war trotz der langen Fahrt immer noch angenehm warm, und ich schaute verträumt die steile Klippe hinab, wo die Wellen gegen den Fels klatschten. Die Strömung erschien heute nicht so schlimm wie damals, als ich mein Leben riskieren wollte, nur um Edwards schöne Stimme zu hören. Automatisch betrat ich den kleinen Pfad, der zu dem Sprungplatz hinüber führte. Ich wusste nicht so recht, was ich eigentlich vor hatte, aber schon bald stand ich vor dem Abgrund und blickte in die Tiefe. Alles trieb mich, hinab zu springen, einzutauchen in den Strudel aus Luftblasen und kaltem Wasser, anzukämpfen gegen die Strömung. War ich verrückt? Diesmal gab es keine Vampirhexe, die irgendwo da draußen auf mich lauerte, und es gab keine Todessehnsucht, die mich trieb. Aber es würde auch kein Jacob da sein, der mich rettete. Es gab nur mich. Und ich wollte springen. Ohne groß nachzudenken, stieß ich mich ab. Der Wind zerrte an meiner Kleidung, und ich wollte schon schreien, mich verdammen, wie blöd ich nur sein konnte, mich hier freiwillig die Felsen hinab zu stürzen, als mich ein Glücksgefühl überrollte, dass mir die letzten Wochen so fremd geworden war. Ich fühlte mich frei, stark, mächtig, ich fühlte mich so wild und unbändig, und als sich mein Mund öffnete, da entrang sich ihm kein Angstschrei, sondern ich juchzte vor Freude. Ich fiel lange, und ich meinte schon zu fliegen, als meine Beine durch die Wasseroberfläche brachen. Tief tauchte ich ein, spürte tausende von Blasen, die an meinem Körper hochblubberten, spürte das Zerren der Strömung, aber diesmal war ich vorbereitet. Ich strampelte kräftig und schoss nach oben zur Wasseroberfläche, ich durchstieß sie und schoss heraus wie ein geschmeidiger Delfin. Ich drehte mich gleich um und hielt Ausschau nach dem nächsten Brecher, der schon auf mich zu donnerte, holte kurz Luft und tauchte unter ihm weg. So ging es. Ich konnte schwimmen und atmen und gegen die Strömung ankämpfen. Ich kam zwar nur langsam voran, aber ich fühlte mich immer besser, immer stärker, trieb meinen Körper durch das Wasser, teilte die Wellen, wich den Brechern geschickt aus und hielt mich von der Felswand fern. Jacob wäre stolz auf mich gewesen. Bald hatte ich den nahen Strand erreicht, und die Sonne wärmte mich und trocknete meine Kleider, als ich mich auf den dunklen Sand setzte und den Wellen nachsah, denen ich getrotzt hatte. Ich fühlte mich gut. Und mein Kopf war endlich einmal leer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)