Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 2: Vater und Tochter ---------------------------- Es war früher Morgen. Das Zimmer war kalt, Kondenswasser hatte sich an der Scheibe gesammelt und lief in dicken Tropfen daran hinab. Draußen war so dichter Nebel, dass man keine zwei Meter weit sehen konnte. Das bereitete Mana ein wenig sorgen, denn wenn sie sich im Nebel verirrte, konnte das böse enden, doch für den Moment kämpfte sie stattdessen mit ihrem roten Haar. Als sie heute Morgen in den Spiegel geblickt hatte, war ihr ziemlich klar gewesen, dass ihr Vater und Kekoa sie so sofort erkennen würden. Außerdem waren die langen Haare mehr als hinderlich. Also hatte sie beschlossen, dass es jetzt an der Zeit war, sich eine neue Frisur zuzulegen. So stand sie nun da und schnitt sich die Haare kurz. Anfangs hatte sie über eine Jungenfrisur nachgedacht, doch dann hatte sie beschlossen, dass es so kurz nicht werden sollte. Stattdessen wollte sie es nun etwa Schulterlang und war auch ganz gut dabei. Sie sah selbst, das sie nicht gerade gleichmäßig geschnitten hatte, nach vorne hin waren die Haar länger als hinten, dennoch legte sie nun ihr Messer aus der Hand und verflocht zwei Strähnen, die jeweils links und rechts ich Gesicht einrahmen sollten. Sie betrachtete sich noch einmal prüfend im Spiegel, dann nickte sie zufrieden und ging zu ihrem Bett. Alles lag schon bereit. Sie warf sich den Umhang über, nahm die Tasche auf und war bereit, loszuziehen. Sie wollte weg sein, bevor ihr Vater und ihr Bruder aufbrachen, damit sie nicht entdeckt wurde. So schaute sie sich noch einmal im Zimmer um, entdeckte dabei den Anhänger. Sie zögerte kurz, doch dann ging sie hin und nahm ihn auf. Sie überlegte, ob sie ihn mitnehmen sollte, entschied sich dann dafür. Vielleicht konnte er ihr ja irgendwie helfen, das konnte sie ja jetzt noch nicht wissen. Dann seufzte sie, verließ das Zimmer, ohne zurück zu blicken. Sie schlich sich die die Gänge nach unten, raus in den Stall. Janury begrüßte sie mit einem leisen Wiehern. Sie trat an die Boxentür und gab der weißen Stute einen Kuss auf die Nüstern, ließ sie dann hinaus. Dass die Stute einfach davonlaufen würde, davor hatte sie keine angst, denn sie besaß ein ausgesprochen kluges Pferd. So konnte sie in aller ruhe den Sattel und die Trense holen, während das weiße Tier geduldig wartete. Mana sattelte Janury mit geübten Bewegungen und führte sie hinaus in den dichten Nebel. Er hatte sich nicht nennenswert gebessert, doch obwohl weder ein Lichtstrahl, noch ein Laut zu ihr hinunter drangen, wusste sie, dass es jetzt Zeit war. So kletterte sie geschickt in den Sattel und ließ die weiße Stute in den Nebel laufen. Sie vertraute auf Janurys Trittsicherheit, ihr blieb kaum etwas anderes übrig. So zog sie alleine los. Sie wusste, das sie einfach immer nur nach Süden musste, doch… wo war Süden? Es dauerte nicht einmal lange, bis sie sich eingestehen musste, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war, und der Nebel war auch nicht gerade lichter geworden. Sie ritt stundenlang und obwohl es mittlerweile hell geworden sein musste, löste sich der Nebel nicht auf. Langsam bekam Mana angst. Was sollte sie nur tun, wenn sie sich immer weiter verirrte? Sie hatte versucht, den Rückweg zu finden, doch alles was sie sehen konnte, waren weiße Nebelschwaden. Sie begann zu weinen. Sie wusste, dass sich der Nebel irgendwann lichten würde, doch im Moment fühlte sie sich, als wäre der Nebel in ihrem Herzen. Sie spürte angst vor dem seltsamen Weiß um sich herum. »Ich wusste, das du uns folgen würdest.« Sie erschrak heftig, doch wusste sie sofort, das sie die Stimme kannte, deswegen fürchtete sie sich nicht. Sie fuhr im Sattel herum, doch durch den dichten Nebel konnte sie nichts erkennen. Sie ließ Janury rückwärts laufen, bis sie dunkle Schemen erkannte. Es war ein Baum und daran angelehnt stand ihr Vater, der ihr ernst und abweisend entgegenschaute. »Papa«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Dann rutschte sie aus dem Sattel und stürzte sich weinend in seine Arme. »Bitte sei mir nicht böse.« Anders, als man erwartet hätte, legte Lugh Akhtar nicht seine Arme um sie, um sie damit zu trösten, sondern machte zwei Schritte zurück, entzog ihr dabei seinen Schutz und verschmolz dabei wieder fast mit dem Nebel. Mana schaute ihn aus großen Augen ängstlich an. Sie verstand nicht, was er da tat. Warum er es tat. »Mana, ich hatte dir verboten, das Haus zu verlassen«, fuhr Lugh Akhtar fort, als wäre nichts geschehen. »Ich wollte aber so unbedingt mit euch kommen. Ich hatte nicht erwartet, das es so dichten Nebel geben würde, ich… es tut mir Leid«, murmelte sie. »Mana, wenn ich dich nicht mitnehmen möchte, dann hat das seinen Grund. Meinst du, ich verweigere es dir aus spaß? Denkst du nicht, das ich meine Gründe habe?«, erkundigte er sich hart. »Du könntest sie mir einfach sagen. Es ist so schwer, sich an Regeln zu halten, dessen Sinn man nicht kennt«, antwortete sie leise. »Das weiß ich, aber…«, er seufzte, schüttelte den Kopf und flüsterte leise etwas. Sogleich wurde der Nebel lichter, wenngleich er nicht völlig verschwand. »Mana, mein schönes Kind, ich denke, das du hier viel besser aufgehoben bist. Ich kenne dich, du bist so wild und unzähmbar wie der Wind, ich denke nicht, dass du dich in einer Stadt wie Altena Wohlfühlen würdest. Selbst Lanta war schon fast zu viel für dich, und Altena ist viel größer. Auch dich hätte ich irgendwann dorthin mitgenommen, doch fand ich, das es jetzt noch nicht an der Zeit war.« »Warum darf ich nicht selbst entscheiden, wann etwas an der Zeit ist?«, fragte sie leise und schaute sehnsüchtig in die vielfarbigen Augen ihres Vaters. »Wie soll ich denn jemals erwachsen werden, wenn du mich nicht lässt?« Da schnaubte Lugh Akhtar und ein belustigtes Lächeln spielte sich um seine Mundwinkel als er antwortete: »Am besten gar nicht, am besten bleibst du immer das kleine Mädchen, das du jetzt bist.« Doch er wurde schnell wieder ernst. Er schaute ihr nachdenklich in die türkisenen Augen, dann seufzte er. »Mana, ich wollte, das du zu Hause bleibst, weil das dein eigentlicher Platz ist. Es gibt Dinge, die du nicht weißt, aber es liegt nicht an mir, sie dir zu erzählen. Doch wenn es dein Wunsch ist, dann komm mit nach Altena«, meinte er leise. Erstaunt schaute Mana ihn an. Damit hätte sie nicht gerechnet. »Ich darf mit?«, der Unglaube schwang wohl deutlich in ihrer Stimme, denn Lugh Akhtar lächelte belustigt. Dann trat er vor sie und umarmte sie nun doch. »Wenn es dein Wunsch ist, dann ja. Ich kann dich ja schlecht bei so einem Nebel alleine nach Hause irren lassen«, erklärte er leise, doch da verschwand das dunstige Weiß soweit, das nur noch vereinzelte Schwaden übrig blieben. Da kam Mana ein Gedanke. »Den Nebel hast du gemacht!«, entfuhr es ihr. »Nein, aber so ganz unschuldig bin ich daran trotzdem nicht«, lächelte Lugh Akhtar. »Das ist wirklich gemein von dir!«, Mana schaute ihren Vater entrüstet an. »Findest du? Sieh es als Strafe dafür, dass du ungehorsam warst«, erwiderte er, deutete dann auf Janury. »Steig auf, Kekoa wartet bestimmt schon.« Mana lächelte und nickte. Sie schwang sich geschickt in den Sattel und hielt sich fest, während Lugh Akhtar die Zügel ergriff und sie führte. Der restliche Nebel um sie herum blieb, doch da Mana jetzt nicht mehr alleine war und auch wieder sehen konnte, was vor ihr lag, störte es sie nicht mehr. Sie waren schon wieder eine Weile unterwegs, als sich Mana plötzlich beobachtet fühlte. Sie schaute sich suchend um, doch konnte sie nichts Verdächtiges sehen. »Was suchst du?«, erkundigte sich Lugh Akhtar und blickte zu ihr auf. »Ich weiß nicht, ich fühl mich so beobachtet…«, antwortete sie leise. »Das sind die wilden Tiere. Und der Nebel«, meinte ihr Vater. »Nein, da ist… etwas anderes…«, Mana wusste, das da noch etwas anderes war, doch sehen konnte sie nach wie vor nichts. »Stimmt, aber nichts, was für dich von Bedeutung wäre«, antwortete Lugh Akhtar. »Du weißt, was es ist?«, fragte sie ihn erstaunt. »Ja«, bestätigte der Zauberer und blieb stehen. Er schaute nachdenklich in den Nebel. »Was ist es? Ein Zauber?« Sie blickte ihn aus großen Augen erstaunt an, doch er antwortete ihr nicht. Stattdessen lächelte er. »Lauf! Lauf zurück zu deinen Freunden und vielen Dank für deine Hilfe! Und Grüß den Wind von mir!«, rief er laut ins Nichts. Mana blinzelte verblüfft, doch sagte sie nichts. Sie kannte ihren Vater, er sprach oft mit niemanden. Mit dem Regen etwa oder dem Wind, dem Schnee, dem Frost oder der Wärme im Sommer. Oder eben mit dem Nebel. Als sie klein war, hatte sie ihn einmal deswegen gefragt. Er hatte auch damals nur gelächelt, ihr aber nicht geantwortet. Das tat er sehr oft. Einfach nur lächeln, statt zu antworten. Doch genau das war etwas, was Mana sehr an ihm mochte, denn dieses Lächeln sprach von einem geheimen Wissen, das außer ihm wohl kaum einer kannte. Plötzlich musste sie lachen. »Was ist?«, fragte Lugh Akhtar neugierig und schaute erstaunt zu ihr hoch. »Ich musste gerade an früher denken. Immer wenn ich dich gefragt habe, warum du mit dir selbst sprichst, als wäre da noch jemand anderes, der dir zuhört, da hast du so gelächelt. Und da hab ich mir immer vorgestellt, dass du mit Zauberwesen sprichst, die nur du kennst und die andere nicht sehen können«, erzählte sie und legte sich auf den Pferdehals. »Ach wirklich? Und was denkst du jetzt?«, interessiert und mit einem warmen Lächeln auf den Lippen schaute er sie an. »Das du ein Geheimnis hast. Ich weiß nicht, wieso du mit dem Nebel oder dem Wind oder was auch immer sprichst, aber ich weiß, das du es nicht nur einfach so tust. Du hast noch nie etwas einfach so getan, du hattest immer einen Grund. Den hab ich nicht immer verstanden, aber da war er dennoch.« Das Lächeln verschwand aus dem Zeitlos wirkenden Gesicht und Nachdenklichkeit eroberte sich seinen Platz zurück. »Weißt du Mana, damit kommst du der Wahrheit schon sehr nah. Dass wir unseren Schwur vor dem Himmel und der Erde leisten hat einen Grund…«, begann er, doch Mana unterbrach ihn. »Ich habe niemals vor dem Himmel und der Erde geschworen. Warum nicht?« »Weil du etwas besonderes bist.« »Wieso? Was soll mich denn schon von anderen Unterscheiden?« »Alles. Und nichts.« Dann herrschte Schweigen. Mana fühlte sich seltsam. Einerseits frustrierte es sie, dass sie von ihrem Vater nie eine klare Antwort erhielt, andererseits hatte sie fast schon angst davor, dass er irgendwann mit wahrem Wort antworten würde. »Papa?«, fragte sie nach einer Weile leise. »Ja?« »Wer bin ich?« Lugh Akhtar blieb abermals stehen und schaute sie lange und nachdenklich an, bevor er antwortete. »Du bist Mana. Vergiss das nicht.« Sie wusste, dass alles gesagt war. Er hatte alle Fragen beantworten und dabei doch eigentlich nichts gesagt. Wie sehr sie sich da irrte, ahnte sie noch nicht. Für den Moment war es auch eigentlich egal. Sie seufzte und machte sich stattdessen klar, dass sie nun doch nach Altena reisen würde. Sie hätte sich freuen sollen, aber stattdessen hatte sie ein schlechtes Gewissen. Der Nebel verzog sich langsam und als sie gegen Mittag ein Dorf erreichten, da war er völlig fort. Mana kannte das Dorf, sie war schon oft mit Lugh Akhtar hier gewesen und hatte beim alten Karan übernachtet. Mana hatte nie herausgefunden, woher ihr Vater und Karan sich kannten, doch es war eine seltsame Beziehung zwischen den beiden. Einerseits schienen sie einander überhaupt nicht ausstehen zu können, dann wieder gingen sie miteinander um, wie man es mit einem alten Freund zu tun pflegte. Als sie nun an die Tür der abseitsstehenden Hütte klopften, war es aber Kekoa, der öffnete. »Da seid ihr ja, ich hab mir schon sorgen gemacht«, begrüßte er sie und trat beiseite, um sie einzulassen, doch Lugh Akhtar schüttelte den Kopf. »Ich will es heute noch bis an die Grenze schaffen«, erklärte er und deutete zum Stall. »Hast du sie abgesattelt?« »Nein«, Kekoa kam heraus und schloss die Tür. Gemeinsam gingen sie hinüber und holten die Pferde heraus. Den schwarzen Araber-Hengst Sleipnir, den Lugh Akhtar einst von seinem Schwager Ice geschenkt bekommen hatte, und die zierliche Scheckenstute Sheila, die von Kenai, dem Cousin des Vaters gekommen war. Ein Geschenk zu seinem Geburtstag. Mana hat damals Janury bekommen. Die Pferde waren wirklich noch gesattelt und so zogen sie gleich los. Bis zum Abend hatten sie die Grenze erreicht. Sie übernachteten in einem kleinen Grenzdorf im Gasthaus und ritten früh am nächsten Morgen weiter. Der Weg nach Altena war weit. Sie zogen früh morgens los und kehrten erst spät abends in ein Gasthaus ein, doch mit den Pferden kamen sie recht schnell voran. Lugh Akhtar erzählt ihnen Geschichten, während sie unterwegs waren. Märchen, die er noch aus seiner Kindheit kannte, Legenden, die in Wynter schon seid Jahrtausenden existierten, und Geschichten aus seiner eigenen Jugend, von denen sich Mana und Kekoa nicht ganz sicher waren, was davon wirklich der Wahrheit entsprach, und was sich Lugh Akhtar nur ausgedacht hatte. Einmal, als sie schon sehr Nahe an Altena waren, da sahen sie eine Sternschnuppe und auch zu ihr konnte Lugh Akhtar eine wunderschöne Geschichte erzählen. Mana wusste, das sie weder aus Wynter, noch aus einem anderen Land stammte, das sie kannte, doch sie glaubte auch nicht, dass sie wahr war. Stattdessen bewunderte sie ihren Vater für seinen Einfallsreichtum, denn diese Geschichte war die Schönste von allen. So vergingen die Tage, bis sie Mitte Oktober auf einem Hügel hielten. Unter ihnen erstreckte sich scheinbar bis zum Horizont eine Stadt, die Größte, die Mana je gesehen hat. Ihr Vater hatte eine Weile hier gelebt und auch Kekoa war schon mehrfach hier gewesen, deswegen war sie die Einzige, die über diese Größe staunte. »Das, Mana, ist die Hauptstadt des Zauberreiches. Altena«, erklärte Lugh Akhtar lächelnd, als er ihr ungläubiges Staunen sah. »Ich dachte immer, Lanta wäre groß, aber das ist ja…«, begann sie und schüttelte ungläubig den Kopf. »Noch viel größer?«, schlug Kekoa vor. »Und hier bleiben wir den ganzen Winter über?«, mit glänzenden Augen blickte Mana zu ihrem Vater auf. »Ja. Und zwar dort hinten, im Turm der Zauberer«, antwortete er lächelnd. »Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren!«, freute sie sich und trieb Janury als erste den Hang hinab. Ihr Bruder und ihr Vater folgten ihr lachend. Nach Altena, der Stadt der Zauberer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)