Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 16: Wind und Schatten ----------------------------- Eine tiefgehende Stille lag über dem Wald, nachdem Slyk geendet hatte. Jeder hing seinen Gedanken nach und das war nicht einmal schlecht. Sie alle mussten erst einmal das verarbeiten, was sie gehört hatten. Irgendwann stand Mana auf. Fylgien war unbemerkt hinzugetreten und mit einemmal sehnte sie sich nach seiner Nähe. »Komm mit mir«, flüsterte der goldene Wolf und wandte sich ab. Und Mana folgte ihm. Sie gingen zu einem stück Wiese, das abseits lag, ließen sich dort eng aneinander gekuschelt nieder. »Erzählst du mir, was dir geschehen ist?«, fragte er leise. Und natürlich erzählte sie es ihm. Und verriet auch ihm dabei ihren Schülernamen, was Fylgien durchaus wahrnahm, aber unkommentiert ließ. Andererseits sprachen seine Augen ihre eigene Sprache, die viel deutlicher zu verstehen war. Nachdem sie geendet hatte, rollte sie sich an seiner Seite zusammen. »Fylgien, ich möchte schlafen«, erklärte sie leise und ohne das sie verstand, wieso, rollte eine Träne über ihr Fell, ihre Wange hinab. »Dann schlaf. Ich werde bei dir bleiben, ich werde auf die aufpassen«, flüsterte Fylgien ihr ins Ohr. Und das tat sie. Nur Augenblicke später war sie in der samtigen Schwärze ihrer Träume entschwunden. Sie wurde von der Sonne geweckt, die hoch am Himmel stehend, auf sie hinab schien. An ihrer Seite döste Fylgien, den Kopf auf seinen Pfoten gebettet. Mana stand langsam auf. Sie wollte ihn nicht stören und er schien kurz davor, einzuschlafen, da wollte sie ihm die Ruhe gönnen. »Mana«, hörte sie, wie sie leise gerufen wurde. Als sie sich umschaute, da gewahr sie Ahkuna, die eindeutig fragend, aber auch mit einer freudigen Erwartung erfüllt zu ihr blickte. »Was ist?«, wollte Mana wissen, wissend, das irgendetwas geschehen war. »Skadi sagt, das wir alle kommen sollen, sie erwartet Besuch, der uns helfen wird, von der Insel hinunter zu kommen«, erklärte sie leise. Dabei wanderte ihr Blick immer wieder fragend zu Fylgien. Mana verstand diese stummen Fragen sehr wohl, doch sie wollte einfach nicht darauf eingehen. Sie errötete unter dem weißen Fell und hoffe inständig, das Ahkuna nichts davon sah. Manche Dinge musste sie einfach nicht wissen. »Wo sind die Jungen?«, wechselte sie stattdessen das Thema. »Die sind mit Llew vorhin irgendwohin gerannt«, antwortete ihre Cousine. Mana schaute noch einmal nachdenklich auf Fylgien, dann beschloss sie, ihn schlafen zu lassen. Stattdessen seufzte sie leise, nickte und deutete Ahkuna, vorauszugehen. Skadi saß alleine auf einem Felsen und hörte nachdenklich den beiden Raben zu, die leise mit ihr sprachen. Das wunderte Mana ein wenig, denn obwohl die drei zwar nicht offen feindschaftlich auftraten, hatte sie dennoch angenommen, dass sie sich nach Möglichkeit aus dem Weg gingen. Dieses traute Beisammensein passte dabei einfach nicht ins Bild. Doch sie hatte keine Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen, da schaute sie Munin direkt an und krächzte Skadi was zu. Die antwortete leise, wandte sich dann um, während die Raben davon flatterten. »Mana, Ahkuna, ich hab euch schon erwartet«, lächelte sie und sprang zu ihnen hinab. »Die Jungs habe ich nicht gefunden«, antwortete Ahkuna und setzte sich. »Macht nichts, die werden schon wieder auftauchen. Ich habe einen Freund von mir darum gebeten, euch zu helfen. Ich weiß nicht, wann genau er kommt, aber ihr solltet nicht erschrecken, wenn ihr ihn seht. Er ist harmlos, auch wenn er nicht so wirkt«, erklärte Skadi. »Wer genau ist es?«, erkundigte sich Mana, doch Skadi antwortete nicht, sondern nickte hinter sie. Als sich die Mädchen umwandten, standen dort zwei Tiere. Das eine war eine Polarfüchsin mit roten Augen und seltsamen schwarzen Abzeichen, das andere war ein verwirrt aussehender, grauer Wolf mit graublauen längststreifen. Da rief Ahkuna laut auf und stürzte zu dem gestreiften Wolf, warf ihn zu Boden und kuschelte sich eng an ihn. Mana spitzte verwirrt die Ohren, auch die anderen beiden wirkten verunsichert. »Das ist ja mal eine nette Begrüßung«, lachte die Füchsin, während der Wolf versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. »Schön dich wieder zu sehen, Wüstenprinzessin«, lachte er und stieß sie von sich hinunter. »Du bist ja gar kein Bär, wieso?«, fragte Ahkuna neugierig, denn sie hatte ihren Windbären sofort erkannt. »Ja, das wüsste ich auch gerne«, antwortete der Wolf und schaute fragend auf die Füchsin. »So reist es sich besser, als Bär bist du zu groß, zu schwer, zu langsam und zu dick«, erklärte die und grinste. »Ich bin der Wind, ich bin für nichts zu schwer und zu langsam«, widersprach der Wolf, schüttelte dann aber nur noch den Kopf. »Hallo Skadi, schön dich wieder zu sehen.« »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Kenai«, lachte die schwarze Wölfin und begrüßte erst die Füchsin, dann den Wolf mit einem Nasenstups. »Kenai?«, stutzte Mana. Der Cousin ihres Vaters hieß so, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Wolf und der Mann ein und dieselbe Person sein mochten. »Du bist Lugh Akhtars Tochter, oder?«, erkundigte sich der Wolf und betrachtete sie aufmerksam. Sie nickte zögernd. »Du musst wissen, dass dieser Kenai hier der Bruder deines Großvaters ist«, erklärte Skadi, denn ihr war die Verwirrung nicht entgangen. Und Mana nickte erstaunt. Seltsamerweise hatte sie nie bewusst darüber nachgedacht, dass sie natürlich auch Großeltern väterlicher Seite hatte. Für sie hatte es nur die Eltern ihrer Mutter gegeben. »In meinem alten Leben«, betonte der Wolf einige Grade kühler. »Jetzt bin ich der Wind.« »Für mich bist und bleibst du Kenai. Und nicht nur für mich«, erklärte Skadi herausfordernd. Die beiden starrten sich einen Moment an, als wollten sie gleich aufeinander losgehen, dann jedoch lachten sie. »Du hast dich kein bisschen verändert, Skadi«, fand der Wind. »Du auch nicht. Aber jetzt mal eines nach dem anderen, ich glaube, die Mädchen sind verwirrt«, die schwarze Wölfin wandte sich an Mana und Ahkuna. Da kamen Lif, Slyk und Llew angerannt. »KENAI!«, rief letzter begeistert und stürzte sich ebenso auf den Wind, wie Ahkuna es getan hatte. Doch er ließ es wenigstens zu, dass der Wolf aufstand und sich ein wenig genervt hinsetzte. »Ihr müsst mir nicht alle demonstrieren, dass ihr einen alten Mann umschmeißen könnt«, brummte er unwillig, während die anderen beiden Jungen zögernd näher kamen. »Wer ist das?«, wollte Lif wissen. »Der Bruder unseres Opas… Oder er war es zumindest mal… ich bin verwirrt«, Ahkuna setzte sich ebenfalls hin. »Ich habe mich dem Herbst angeschlossen«, meinte der Wind, als wäre das alle Erklärung, der es bedurfte. »Wisst ihr, wer sich einem der Jahreszeiten anschließt, der gibt damit seine Vergangenheit auf. Seine Familie und seine Freunde, alles was man kannte und alles was man liebte«, erklärte die Füchsin und setzte sich auch dazu. »Aber wieso?«, wollte Slyk mit gerunzelter Stirn wissen und stellte sich in einer beschützerischen Geste neben seiner Schwester. »Weil wir nicht mehr die Zeit haben, unseren Tag so zu gestalten, wie wir es möchten. Es gibt jene, die wenig zu tun haben, auch während ihre Jahreszeit an der Macht ist, aber selbst sie können nicht einfach gehen und ihre alten Freunde wieder besuchen. Die Jahreszeiten selbst haben dergleichen nie von uns verlangt, aber es war uns allen trotzdem immer schon klar«, der Wind lächelte traurig. Mit seinen Gedanken schien er weit fort. »Nun, ist auch egal. Wir sind auf jeden Fall im Auftrag des Winters hier um euch zu helfen«, erklärte die Füchsin und schaute Beifall heischend von einem zum anderen. »Und wer genau bist du?«, wollte Llew verwundert wissen. Selbst er schien die Füchsin nicht zu kennen. »Und seid wann nimmst du Befehle vom Winter entgegen? Ausgerechnet du?«, die Raben waren wieder zurück und saßen auf der Wurzel der Esche Yggdrasil. »Der Winter erteilt keine Befehle, der Winter bittet bloß um gefallen«, fauchte die Füchsin böse. »Mal ganz davon abgesehen glaube ich nicht, das euch in irgendeiner Weise irgendetwas angeht, was ich tue oder eben auch nicht!« »Du verrätst die alte Welt«, fand Munin. »Ich verrate diese Welt? Ausgerechnet ich? Ich glaube, du hast vergessen, mit wem du sprichst, Federvieh«, knurrte sie böse. Ihre roten Augen blitzten gefährlich und schienen von innen zu brennen. »Ich glaube eher, dass du vergessen hast, wer du bist, sonst hättest du den Winter angesichts einer solchen Bitte ausgelacht«, fand Hugin. »Mal ganz davon abgesehen, dass euch das immer noch so gar nichts angeht, sehe ich nicht, warum ich einen Freund für eine Bitte, die ihm so wichtig ist und mir so wenig Mühe bereitet, auslachen sollte«, die ungesprochene Botschaft der Füchsin war eindeutig, doch die Raben schienen einfach nicht verstehen zu wollen. »Weil er dich ausnutzt. Früher hättest du das auch erkannt«, fand Hugin. Und da reichte es der Füchsin. Mit einem gewaltigen Satz war sie bei den Raben oben und fletschte sie beide an. »Ich schlage vor, ihr beiden verschwindet jetzt. Das hier geht euch nichts an und ich will euch hier auch nicht mehr sehen. Bleibt mir einfach fern, verstanden? Und jetzt haut ab«, fauchte sie böse. Die Raben zögerten, doch nachdem sie noch einmal leise geknurrt hatte, flatterten sie davon. Die Füchsin seufzte und sprang wieder hinab. »Ich habe keine Ahnung, wie du es mit den beiden Nervensägen überhaupt aushältst, Skadi«, fand sie. »Man gewöhnt sich an sie. Man gewöhnt sich an einiges«, antwortete die und lächelte verkniffen. »Ich glaube, ich wollte mich gar nicht an sie gewöhnen. Ist jetzt aber auch egal«, meinte die Füchsin und wandte sich zu Llew. »Ich bin Schatten.« »Schatten?«, Skadi wirkte ehrlich erstaunt. »Ja«, grinste sie, schien aber nicht vorzuhaben, irgendetwas zu erklären. Und Skadi fragte nicht, auch wenn sie es sichtlich wollte. Das machte Mana misstrauisch. Wer war die Füchsin? »Gut, ähm… Schatten. Du hilfst uns, ja? Zum Südpol?«, wollte Lif wissen, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte. »Nein. Der Reiseleiter ist Kenai, ich bin bloß das Anstandsmädchen, das euch beschützt«, antwortete sie und ihren Augen blitzte es wieder auf. Mana brauchte einen Moment um zu verstehen, dass es diesmal Belustigung war. »Noch mal langsam, damit ich das auch richtig verstanden habe. Ihr beiden seid vom Winter geschickt worden. Er hat euch darum gebeten, das der Wind unseren Weg bereitet, und das du Schatten uns einfach nur begeleitest?«, fragte Mana. »Genau«, bestätigte der gestreifte Wolf. »Dann bring uns bitte an den Südpol, denn der war einmal unser eigentliches Ziel«, bat Lif. In diesem Moment kam auch ein verschlafener Fylgien dazu. Er wirkte nicht begeistert von dieser Bitte, aber er sagte nichts, sondern setzte sich neben Mana. »Wenn ihr dorthin wollt, dann bringe ich euch natürlich dorthin«, erklärte der Wind und lächelte sanft. Die kleine Gruppe nickte, auch wenn sie nicht verstanden, wie das gehen sollte. »Dann solltet ihr euch verabschieden, Skadi und Llew werden nämlich nicht mitkommen«, erklärte Schatten. Da horchten vor allem Slyk und Lif auf, denn sie und Llew waren gute Freunde geworden. Irgendwie war ihnen nie wirklich bewusst gewesen, dass er nicht weiter mitkommen würde. Doch eigentlich war es klar gewesen. »Ich komm euch besuchen wenn ich kann«, lächelte da der junge Wolf. Auch er wirkte traurig, aber auch sehr zuversichtlich. »Ihr werdet euch bestimmt wieder sehen, keine Angst«, meinte Schatten beruhigend. Dann stupste sie noch einmal Skadi an und flüsterte: »Wenn ich ihm etwas ausrichten soll, musst du es mir nur sagen.« »Nein. Er soll sein Leben leben, es ist besser so«, lächelte sie traurig. »Da gehörst du aber zu. Und Llew auch. Euch kann einfach niemand totschweigen und ich glaube nicht, dass er das möchte. Aber es ist deine Entscheidung. Du musst mir einfach nur bescheid geben, wenn du dich um entscheidest«, bot Schatten an und wandte sich wieder ab. »Dann mal los. An den Südpol«, lächelte der Wind. Mana und ihre Freunde nickten und kaum versahen sie es sich, da flogen sie schon leicht, wie eine Feder über den Wald. »Was passiert mit uns?«, vernahm sie Lifs Stimme. »Ihr seid jetzt Wind. Und ihr weht jetzt zum Südpol«, erklärte da Kenai ruhig. Nachdem Mana klar war, was geschah, genoss sie es, scheinbar schwerelos über das Meer zu schweben. Der nächsten Etappe ihrer Reise entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)