Gegen Gottes Gebot von abgemeldet ================================================================================ Prolog: .Schlaf --------------- Ein leises Scheppern hatte ihn geweckt. Verschlafen blinzelte Ryou und versuchte, das Geräusch zuzuordnen. Nichts. Es war wieder still. Müde wandte er den Blick zur Uhr, welche 5:00 anzeigte und wollte sich schon wieder umdrehen und weiterschlafen, als erneut ein Scheppern ertönte. Natürlich - das Fenster. Irritiert blinzelte er einen Augenblick und rieb sich den Schlaf aus den Augen, während er langsam aufstand, um nachzusehen. Ein weiteres Geräusch ertönte und Ryou brummelte leise vor sich hin, bis ihm schwante, was, oder besser gesagt wer da der Grund für sein Erwachen sein könnte. Der zierliche Junge öffnete lautlos das Fenster und spähte hinunter. Wie erwartet begegnete ihm der ungeduldige Blick seines Bruders, bedeutungsvoll untermauert mit vor der Brust verschränkten Armen. Ryou seufzte und trat einen Schritt zur Seite, nachdem er das Fenster ganz geöffnet hatte, während Bakura sich daran machte, das wackelige Gerüst, an welchem wild der Efeu rankte, nach oben zu klettern. Wenig später schwang er seine Beine auch schon über die Fensterbank und glitt wie ein Schatten ins Zimmer. "Mann, Krümel", murrte er und bedachte Ryou mit einem tadelnden Blick, "Wenn deine Reaktionszeit immer so außerordentlich schnell ist, würdest du gnadenlos verbrennen, wenn unser Haus in Flammen stünde." "Was passieren wird, wenn du weiter heimlich in deinem Zimmer rauchst", gab Ryou vorwurfsvoll zurück und strich sich über die Oberarme, da er eine Gänsehaut von der kühlen Nachtluft bekam. "Wo warst du eigentlich so spät noch? Morgen ist Schule." Bakura rollte genervt mit den Augen und wuschelte Ryou kurz durch die Haare. "Erwachsenensachen machen", lautete die knappe Antwort. "Und dazu musst du mich wecken, ja?" "Logisch, der Alte steht um die Zeit immer auf und ich hab keinen Bock, ihm über den Weg zu laufen." Ryou gähnte unterdrückt und schloss dann das Fenster wieder, während er missbilligend die Schlammspuren bemerkte, die Bakura mit seinen Springerstiefeln auf dem Laminatboden seines Zimmers hinterließ, als dieser zu Ryous Bett schlurfte, um sich dort hinzusetzen. Dann zog er sich in aller Ruhe die Stiefel aus. Der Jüngere schüttelte leicht den Kopf, als Bakura anschließend einen Soldatengruß machte und sich schließlich still und leise aus dem Zimmer verdrückte. Aber so war er, sein Bruder. Rebellisch, unberechenbar und auf eine gewisse charmante Art und Weise unverschämt. Er tat stets, wonach ihm der Sinn stand und er lebte Ryou die Freiheit vor, nach der er sich insgeheim sehnte. Und auch, wenn er immer derjenige war, der Bakura ins Gewissen redete, der einzige, auf den dieser ab und an mal hörte und der einzige, von dem er sich besänftigen ließ, so beneidete Ryou seinen älteren Bruder. Um alles, was er war. Kapitel 1: .Groll ----------------- Mit noch halb geschlossenen Augen saß Bakura am Frühstückstisch und versuchte, nicht mit dem Gesicht voran in seine Schüssel mit Cornflakes zu klatschen, gnadenlos den schadenfrohen Blicken seines Bruders ausgesetzt. Der Plan war heute ursprünglich gewesen, auszuschlafen und Schule Schule sein zu lassen, aber da hatte er die Rechnung ohne seine Mutter gemacht, die ihn solange genervt hatte, bis er endlich aufgestanden war. "Uhnn", gab er demonstrativ gequält von sich und sah seine Mutter Mitleid heischend mit geröteten Augen an. Sharon Yagizawa jedoch zeigte kein Mitleid. Sie überging das erbärmliche Erscheinungsbild ihres Sohnes dezent und plapperte stattdessen munter von ihren Orchideen, die frische Knospen gebildet hatten. Bakura stöhnte leise. Das war doch nicht fair. "Kommt davon", ertönte im nächsten Moment die Stimme seines kleinen Bruders. Bakura starrte ihn finster an. "Noch so eine Bemerkung und du hast 'ne Ladung Kelloggsmatsche im Gesicht", brummte der Ältere und manschte demonstrativ in seinen Cornflakes herum, von denen er noch keinen Bissen angerührt hatte. "Versuchs", erwiderte Ryou mit einem Grinsen. Er für seinen Teil hatte eine prima Laune. Und Bakuras war gerade deswegen noch weiter in den Keller gerutscht. Mit finsterer Miene hob er einen Löffel an und zielte damit auf Ryou, welcher sich anschickte, in Deckung zu gehen, allerdings kam ihm seine Mutter zuvor, welche ihm mit der flachen Hand leicht auf den Hinterkopf schlug, von wegen, dass er der Ältere sei und sich gefälligst beherrschen solle. "Und jetzt raus mit euch, sonst kommt ihr noch zu spät!" Wenig später befanden sich die Brüder auf dem Weg zur Schule, welche gar nicht allzu weit von ihrem Wohnviertel entfernt war und irgendwann reichte es Bakura und er zischte: "Kannst du mir mal verraten, warum du so ekelhaft gute Laune hast?" Ryou lächelte scheinheilig. "Och nichts, ich hatte nur vorhin eine echt tolle Idee." Bakura zog misstrauisch die Augenbrauen in die Höhe. "Aha?" "Ja. Und zwar, dass du mich mal mitnimmst, wenn du mal wieder abends weggehst, weil ich sonst Mama und Papa verraten werde, dass du dich dauernd irgendwo rumtreibst, während du eigentlich friedlich in deinem Bett liegen und schlafen solltest und dass dadurch deine Schulnoten leiden..." Bakura klappte der Unterkiefer herunter und er sah seinen kleinen Bruder entgeistert an. Wann bitte hatte sich Ryou zu so einem berechnenden Früchtchen entwickelt? "Vergiss es!", schnappte er, obgleich er wusste, dass Ryou ein ziemlich gutes Druckmittel hatte - sollte sein Vater davon Wind bekommen, dann würde der ihm das Taschengeld glatt ganz streichen, wenn es gut lief (gekürzt worden war es ja schon) und wenn es schlecht lief, würde er ihn wahrscheinlich so verprügeln, dass Bakura eine Woche lang nur mit Strohhalm seine Nahrung würde zu sich nehmen können. Ryou lachte leise und tänzelte vor ihm her, ohne auf den Weg zu achten. "Du hast eigentlich keine Wahl, wenn du-" Jäh wurde er unterbrochen, da er gegen ein Hindernis prallte, das Gleichgewicht verlor und schmerzhaft auf seinem Hintern landete. "Autsch..." "Oh je, das tut mir leid, wirklich", ertönte auch schon kurz darauf eine warme Stimme und als Ryou aufblickte, bemerkte er, dass sie zu einem Jungen etwa in seinem Alter gehörte, welcher sich nun anschickte, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Da hatte er die Rechnung allerdings ohne Bakura gemacht - der war mit kurzen, schnellen Schritten bei den beiden und schubste den Fremden gnadenlos weg, während er Ryou selbst wieder auf die Beine zog. "Kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst?", fauchte der Ältere der Brüder auch schon schlecht gelaunt, während er den Fremden mit Todesblicken durchbohrte. Selbiger runzelte die Stirn und motzte mit derselben schlechten Laune zurück: "Reg dich mal wieder ab, das war ein Versehen, tut mir ja leid!" Bakura schnappte schon nach Luft, um irgendetwas Hässliches zu erwidern, da spürte der die Hand seines kleinen Bruders auf dem Oberarm. "Kura, bitte, lass gut sein, ich lebe ja noch." "Tse." Der Ältere verengte grantig die Augen und erwiderte nichts mehr, nahm sich aber vor, wenn dieser Kerl nur irgendeine kleine Dummheit tat, ihm den Kopf abzureißen. Das mochte auf den ersten Blick wohl immens übertrieben wirken, aber man musste Folgendes bedenken: Bakura hatte nicht viel Schlaf abbekommen und ohnehin schon miese Laune und seine Laune war vorhin, als Ryou ihm seinen tollen Plan mitgeteilt hatte, noch mieser geworden. Da war ihm jeder Vorwand Recht, um ein bisschen Dampf abzulassen und es lag auf der Hand, dass, wenn Ryou nicht gewesen wäre, er wegen dieser Lappalie ernsthaft eine Schlägerei vom Zaun gebrochen hätte. "Meine Güte, ist der immer so?", murrte der Fremde, mit dem Ryou eilig ein paar Schritte voraus gegangen war (Sicher war sicher). Ryou seufzte. "Es tut mir wirklich leid. Wenn Kura schlechte Laune hat, dann ist er unberechenbar." Der Junge schüttelte den Kopf und meinte dann versöhnlich: "Scheint ja einen ausgeprägten Beschützerinstinkt dir gegenüber zu haben, was?" Ryou kratzte sich verlegen am Oberarm, eine Antwort blieb ihm jedoch erspart, da der Andere hinzufügte: "Oh, tut mir leid, ich hab vergessen, mich vorzustellen - ich bin Malik, wir sind hierhergezogen, weil meine große Schwester die neue Kuratorin des Nationalmuseums ist." Ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit. Malik also. Ryou war vom ersten Augenblick an das orientalische Erscheinungsbild des anderen Jungen aufgefallen, aber so recht zu fragen traute er sich dann doch nicht, er empfand es als aufdringlich. "Ich bin Ägypter", meinte Malik augenzwinkernd, wie als habe er Ryous Frage von dessen Augen ablesen können. Dieser erwidere leicht ertappt: "Entschuldige, ich wollte nicht starren..." "Ach was, das kommt automatisch ... Verzeih mir aber die Frage, nur aus Neugier, du scheinst auch kein Japaner zu sein...?" "Naja, zum Teil", erwiderte Ryou, "meine Mutter ist Britin, wir sind auch zweisprachig aufgewachsen..." Malik nickte. Irgendetwas in der Richtung hatte er sich schon gedacht. Dann fiel ihm etwas ein und ein wenig verlegen sich an der Nasenspitze kratzend meinte er: "Ähm, wir sind doch auf dem Weg zur Domino Highschool, oder? Nicht, dass ich jetzt in die völlig falsche Richtung renne, ich glaub, bevor wir zusammengestoßen sind, hab ich mich ein wenig verlaufen." Ryou lächelte. "Keine Sorge, da müssen wir auch hin." Maliks Gesicht hellte sich auf. "Na, da hab ich aber einen Dusel, dass ich mit dir zusammengerempelt bin, sonst wär' ich womöglich nie angekommen - kann es sein, dass ich gerade Schwachsinn rede?”, fügte der Ägypter leicht belustigt hinzu. Ryou musste leise kichern. “Ach was, Unsinn...” Es dauerte nicht lange, bis Malik und Ryou Freunde wurden. Ryou hatte ohnehin ein offenes Wesen und schloss jeden in sein Herz, der nett zu ihm war (was auch nicht immer von Vorteil war und Bakura sah die potentiellen Serienkiller und Vergewaltiger schon Schlange stehen), und Malik war froh darum, so schnell Anschluss gefunden zu haben. Auch wenn er eigentlich selbstbewusst war, so hatte er sich doch so seine Gedanken gemacht. Sie waren viel umgezogen in der letzten Zeit und oft war er angeeckt, wegen seines orientalischen Aussehens und seines Akzentes und was sonst noch allem ausgeschlossen worden. Soviel zum Rassismus der Moderne. Bis Bakura den Ägypter einigermaßen akzeptiert hatte, waren schon ein paar Wochen vergangen. Er war noch nie besonders kontaktfreudig gewesen, allerdings hatte sich das radikal geändert, als Malik Ryou irgendwann einmal gegen zwei Schlägertypen verteidigt hatte. Seitdem hatte Malik in Bakuras Augen so etwas wie eine offizielle Existenzberechtigung. So wurde auch kurzerhand beschlossen, dass Malik mitkam, wenn Bakura sein erpresserisches Versprechen einlösen musste. Vielleicht wurde es ja dann etwas erträglicher. Da Ryous Mutter ihm wohl sonst aufs Dach gestiegen wäre, mussten sie sich etwas zur Tarnung einfallen lassen und so hatten sie auf einen doch relativ simplen Trick zurückgegriffen; Ryou behauptete einfach, mit Malik für die bevorstehende Lateinklausur lernen zu müssen und deshalb von Freitag auf Samstag bei ihm übernachten wollte und Sharon hatte dabei keinen Verdacht geschöpft, während Ryous Vater ohnehin nichts davon mitbekommen hatte, da an diesem Abend ein Spiel lief und er die wenigen Stunden davor und besonders währenddessen absolut nicht mehr ansprechbar war. Als es an der Tür klingelte, hüpfte sein Herz ein bisschen höher. Das musste Malik sein, ohne Zweifel, und Ryou hoffte nervös, seine Mutter würde sich nicht irgendwie quer stellen. Dann fiel ihm ein, dass das eigentlich Schwachsinn war - was sollte seine Mutter schon für ein Problem mit Malik haben? Selbiger lächelte ihn an, als er die Tür öffnete und hob die Hand zum Gruß. "Hey, können wir?" Ehe Ryou antworten konnte, hatte sich seine Mutter an ihm vorbei gedrängt und musterte Malik intensiv, wie als wolle sie allein durch einen Blick ergründen, ob Malik ein anständiger Junge war. "Hallo, freut mich einen Freund meines Sohnes kennenzulernen", sagte sie schließlich freundlich und Ryou nahm es als Zeichen dafür, dass Malik genehmigt war. "Seid schön fleißig", murmelte Ryous Mutter mit einem Augenzwinkern und wandte sich dann ab, um sich in der Küche weiter um den Abwasch zu kümmern. Als sie dann wenig später Seite an Seite den Weg zu dem Treffpunkt mit Bakura zurücklegten, meinte Ryou schließlich peinlich berührt: "Tut mir leid wegen meiner Mum, sie ist manchmal ein wenig ... Naja, sehr mütterlich..." Malik lachte erheitert. "Das muss dir nicht peinlich sein. Meine Schwester ist genauso." Dabei knuffte er Ryou freundschaftlich gegen die Schulter und Ryou getraute sich nicht zu fragen, was mit Maliks Mutter war. Malik verzog das Gesicht. "Frauen eben." "Dann bin ich beruhigt, dass ich nicht der Einzige bin, der sich manchmal für seine Familie schämen muss..." Schon bald waren sie in eine kleine Plauderei vertieft und so bemerkten sie beide den Schatten nicht, der sich ihnen unauffällig näherte. "... und deshalb-" "BOOOH!", drang plötzlich ein lauter Schrei an ihr Ohr, während jemand vor ihnen aus einer kleinen Gasse auf den Weg sprang und Malik und Ryou so dazu brachte, einen Satz zurück zu machen. "Oh, Kura, du bist so ein Arsch!", empörte sich Malik schließlich, als er den Übeltäter erkannte und schlug Bakura unsanft gegen die Brust, der dreckig lachte. "Mann, Leute, ihr hättet mal eure dummen Gesichter sehen sollen!" Ryou, dessen Herz noch unglaublich schnell schlug, bedachte seinen Bruder noch mit einem vorwurfsvollen Blick, sagte jedoch nichts, Maliks Standpauke musste genügen. Kurz glitt Bakuras Blick über Ryou, dann sah er Malik mit einer hochgezogenen Augenbraue an, der daraufhin erwiderte: "Ja, ich weiß doch, er konnte ja schlecht schlampig aus dem Haus gehen..." Ryou sah vom einen zum anderen und verstand nur Bahnhof. "W-was meint ihr mit...?" Kollektives Grinsen empfing ihn. "Krümel, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die dich so, wie du aussiehst, in einen Club reinlassen", schnurrte Bakura und wuschelte seinem Bruder lachend durch die Haare. Ryou schaute offenbar ziemlich unglücklich drein, denn Malik meinte freundlich: "Keine Sorge, ich hab noch ein paar Klamotten, die könnten dir passen, wir schauen gleich mal, ja?“ Ryou nickte unsicher, da ihm allerdings keine Wahl blieb, wie es schien, beließ er es dabei. Wenig später stand der Jüngere der Brüder mit entgleisten Gesichtszügen vor Maliks Spiegelschrank. "Um Gottes Willen, so kann ich doch nie im Leben nach draußen gehen, ich sehe aus wie eine Schwuchtel." Bakura und Malik tauschten dabei abermals einen Blick aus und Bakura wollte seinen kleinen Bruder schon eines Besseren belehren, doch Malik kam ihm zuvor. Die Hände in die Hüften gestemmt meinte er: "Ryou, es ist wirklich erstaunlich - wie schaffst du es eigentlich, jetzt noch so unschuldig auszusehen, als könne dich kein Wässerchen trüben?" Ryou zuckte hilflos mit den Schultern. Noch konnte er sich nicht wirklich mit der Vorstellung anfreunden, als Junge bauchfrei herumzulaufen - das war etwas typisch Frauenhaftes - und auch der Kajal um seine Augen hatte irgendwie etwas Befremdliches. Ryou fühlte sich unwohl. Er war sich sicher, dass ihn so jeder anstarren würde, und wenn es etwas gab, das er nicht leiden konnte, dann war es angestarrt zu werden. Da wurde er immer schrecklich nervös. Aber er konnte jetzt keinen Rückzieher machen, immerhin war er es, der seinen Bruder erpresst hatte, wenn er das nicht durchzog, dann würde er monatelang zur Zielscheibe von dummen Sprüchen seitens Bakura werden. Und das wollte er vermeiden, immerhin lag es ihm am Herzen, seinem Bruder wieder näher zu kommen und er glaubte, das zu schaffen, indem er einmal in dessen Welt eintauchte. Irgendwie hoffte Ryou insgeheim, dass man sie nicht reinließ, weil sie alle noch minderjährig waren, aber die Hoffnung wurde jäh zerschlagen, als der eine Türsteher Bakura sogar mit Wohlwollen zunickte und sie dann hineinwinkte. Ryou schaute nur hektisch in der Gegend umher und wünschte sich mindestens drei Augenpaare mehr. Er war das erste Mal in einem Club und dementsprechend aufgeregt. Diese ganzen Eindrücke, die Musik mit dem dumpfen Bass, die vielen Lichter, die einen nach längerer Zeit richtig schwindelig machten, und der allgemeine Geräuschpegel. Es irritierte ihn zwar etwas, dass sich fast nur Männer auf der Tanzfläche räkelten, aber da der Junge ohnehin wenig Interesse an weiblichen Bekanntschaften hatte, war ihm das eigentlich egal. Die Musik war gut und riss mit und eine Weile beobachtete er die Menge auf der Tanzfläch. Mit unverhohlenem Interesse beobachtete er, wie zwei junge Männer eng aneinander tanzten, sich gegenseitig herauszufordern schienen und dabei stets den Blickkontakt hielten. Wandte den Blick jedoch bald beschämt ab, als er bemerkte, wie sie sich aneinander rieben, an Stellen berührten, an denen man sich nicht in der Öffentlichkeit berühren sollte. Langsam beschlich Ryou das Gefühl, dass Bakura sie hier allen Ernstes in eine Schwulenbar geschleppt hatte... Wenn er es so betrachtete, dann war er eigentlich ein ziemlicher Spätzünder und bei diesem Gedanken verzog er das Gesicht. Kein Wunder, dass die beiden ihn so hergerichtet hatten. Im Grunde hatte er auch schon immer ein bisschen geahnt, dass Bakura irgendwie nicht ... so ganz normal war, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Die Mädchen sahen ihm zwar oft hinterher, aber soweit er sich erinnern konnte, hatte er bis heute nie auch nur eines von ihnen mit nachhause gebracht. Ryou biss sich auf die Unterlippe. Irgendwie kam er sich plötzlich wie ein Vollidiot vor. Manchmal sah er den Wald vor lauter Bäumen nicht. Bakura indes hatte momentan wenig für seine beiden Bremsklötze, Verzeihung, Begleiter übrig, seine Augen glitten suchend über die Menge - er hielt Ausschau nach seinen Leuten. Zu seinem Leidwesen ließ sich auf den ersten Blick allerdings niemand ausmachen und so beschloss er, ein wenig frustriert, dass er eben doch mit Malik und Ryou herumhängen würde. Zugegeben, Malik war keine schlechte Gesellschaft, wenn man es mal vom körperlichen Aspekt betrachtete, und für Ryou musste er dann wohl oder übel Beschützer spielen, da er schon ahnte, dass dieser von den meisten hier als Frischfleisch angesehen würde. So gesehen war es vielleicht doch besser. Himmel, worauf hatte er sich da nur eingelassen? So lotste er seine Begleiter zu einem der Tische, die abseits der Tanzfläche standen. "Was wollt ihr trinken?" "Wie bitte?", fragte Malik nach und hielt sich eine Hand ans Ohr, um zu symbolisieren, dass er ihn in dem Lärm nicht verstanden hatte. "Was ihr trinken wollt?!", rief Bakura etwas lauter zurück. "Und Krümel, ich sags dir gleich, du kriegst keinen Alkohol! Also?" "Also, ich denke, ich nehm 'ne Cola", entschied Malik schlicht, während Ryou einen Schmollmund zog. "Du tust gerade so, als würd ich gar nichts vertragen", beschwerte er sich und Bakura fauchte gereizt: "Ich muss dich ja nicht an letztes Sylvester und die zwei Gläser Sekt erinnern!" "Na, schön, dann nehm ich ein Ginger Ale", gab sich der Jüngere geschlagen und stützte dann das Kinn in die Handfläche, um die Tanzenden zu beobachten, während Bakura sich zur Theke entfernte, um die Getränke zu holen. Tanzen würde er auch gern, allerdings hatte er ein wenig Hemmungen das zu machen, wenn er nicht alleine in seinem Zimmer war, sondern dutzende Leute um ihn herumstanden. "Du, Ryou, ich geh mal eben pissen, bin gleich wieder da", sagte Malik, als wäre ihm das plötzlich eingefallen, und erhob sich, um kurz darauf in der Menge zu verschwinden. Ryou nickte und blieb für eine kurze Weile allein zurück. So saß er ein paar Minuten herum, bis ihn plötzlich eine Hand auf seiner Schulter, gefolgt von einem "Hey, Kura", zusammenzucken und herumwirbeln ließ. "Oh, sorry, du bists ja gar nicht ..." "Du ... bist Otogi, richtig?", entgegnete Ryou etwas unsicher. Es kam häufiger vor, dass man ihn und Bakura auf den ersten Blick verwechselte. "Ja, genau der - Und du musst dann Kuras Bruder sein - Ryou, wenn mich nicht alles täuscht?" "Wie bitte?" "Du bist sicher Ryou!", sagte Otogi noch einmal etwas lauter und ließ sich dann ebenfalls an den Tisch plumpsen. "Ich geh mal davon aus, dass es dich nicht stört, wenn ich hier auf ihn warte, oder?" Ryou zuckte mit den Schultern. "Warum sollte es?", entgegnete er daraufhin freundlich, "er holt gerade Getränke ..." "Eine Schande, dass Kura kaum von dir redet, du bist echt süß." "E-eh...?" "Ja, Alter, wenn ich das sage, muss es stimmen", entgegnete der Schwarzhaarige verschmitzt und zwinkerte, wobei er einen Schluck von seinem Bier nahm, das er mit sich herumgetragen hatte. "Lust, nachher mit auf die Tanzfläche zu kommen?" "Oh, ich-" "Otogi, hör auf Ryou anzuflirten und sag mir lieber, wo du die ganze Zeit gesteckt hast, du Penner", wurde das Gespräch von Bakura unterbrochen, welcher die Getränke auf dem Tisch abstellte und dann seinem Freund einen unsanften Knuff gegen die Schulter verpasste. "Ich war die ganze Zeit da, ich hab versucht, dich aufm Handy zu erreichen, aber wenn du das Ding aus hast, kann ich ja wohl nichts dafür." "Jaja - wo ist Malik eigentlich abgeblieben?", erkundigte Bakura sich dann kurz darauf bei Ryou. "Auf'm Klo." "Ich warte bis er wieder kommt, dann geh ich mal ein bisschen zu meinen Leuten..." "Du musst nicht warten", erwiderte Ryou leicht niedergeschlagen. Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt. Er hätte sich gewünscht, dass Bakura ihn seinen Freunden vorstellte, aber jetzt hatte er vor, ihn hier zu parken. "Na, dann ist ja gut", entgegnete Bakura achselzuckend, "ich komm bald wieder, bis nachher." "Bis dann", murmelte Ryou und nippte ein bisschen an seinem Ginger Ale. Na toll. Und jetzt? Wenn er nicht so schüchtern wäre, dann würde er jetzt auf die Tanzfläche und sich ein wenig amüsieren gehen, aber nada. Malik ließ sich irgendwie auch nicht mehr blicken und Bakura war das schließlich zu doof geworden und er hatte sich verdünnisiert. Toller Freund, musste man wirklich sagen. Ryou seufzte. Irgendwie hatte er sich den heutigen Abend ein wenig anders vorgestellt. Ryou saß mindestens eine halbe Stunde rum, ehe es ihm zu blöd wurde, und er beschloss, einfach nachhause zu gehen. Und zwar ohne jemandem Bescheid zu sagen. Wenn sich Bakura sorgen sollte, sollte ihm das nur recht sein, auch wenn er nicht wirklich daran glaubte. Wahrscheinlich konnte er auf dem Heimweg überfallen werden und keiner würde es merken. Gut, jetzt wurde er selbstmitleidig. Ryou leerte den letzten Rest seines Getränkes und stand dann auf. Hier hielt ihn ja nichts mehr. Bakura würde sich wohl nicht mehr blicken lassen und was mit Malik war, da hatte er gerade auch absolut keine Ahnung. Ein wenig traurig trat er später nach draußen, wo ihm die kühle, frische Nachtluft entgegenschlug. Ryou atmete einmal tief ein- und aus. Wann hatten sie eigentlich begonnen, sich so zu entfremden ...? "Kura, lass sie, du tust ihr weh!", empörte sich ein kleiner Lockenkopf mit weinerlichem, hellen Stimmchen und Angesprochener streckte ihm die Zunge raus, während er das Kätzchen fester an sich drückte. "Na und, ich will sie auch mal halten, du hattest sie schon die ganze Zeit!" "Aber, Kuraaa ..." Die Katze fauchte plötzlich und begann um sich zu kratzen und ein normaler Mensch hätte das Tier jetzt wohl erschrocken losgelassen, um nicht verletzt zu werden. Der achtjährige Bakura allerdings nahm die Herausforderung an und verstärkte den Griff um die Katze nur. "Du blödes Vieh, warum bleibst du bei Ryou und bei mir nicht - AU!", schrie er plötzlich, da die Katze ihm einen wütenden Hieb mitten ins Gesicht verpasst hatte, und ließ sie nun doch fallen. Er presste sich sofort die Hände vors Gesicht. "Mistvieh!" "Kura ...", jammerte Ryou und schlich zu seinem Bruder, "das hat sie nur gemacht, weil sie wegwollte, das hat sie nicht gemacht, weil sie böse ist ... tuts sehr weh?" "Lass mich", murmelte der Ältere und drehte sich weg. Ryou konnte eine Träne im Augenwinkel seines großen Bruders schimmern sehen. "Jetzt zeig doch mal", sagte der Kleinere flehend und zog Bakura die Hand vorm Gesicht weg. Die Katzenkralle hatte eine schöne Kratzspur quer über die Wange hinterlassen. Bakura schmollte. "Bist du jetzt zufrieden?" Ryou sah Bakura mit großen Kulleraugen an, in welchen immer noch Tränen schimmerten. "Du wirst es doch nicht Papa sagen, oder?" Wenn er das tat, dann würden seine Eltern Flöckchen bestimmt weggeben und das würde Ryou sicherlich das Herz brechen. Bakura brummte, dann sah er weg und murmelte ein "Nein". Dagegen konnte er einfach nichts machen. Das war Ryous angeborener Charme, sein Bruder brachte ihn immer wieder dazu, weich zu werden. Ryous Mine hellte sich auf und er warf sich Bakura an den Hals. "Danke! Du bist der beste Bruder, den es gibt!" Dann gab er ihm ein Küsschen auf die Wange. Bakura drückte ihn angeekelt weg. "Du bist doof, so was machen doch nur Mädchen!" Ryou kicherte leise bei dem Gedanken an das Geplänkel von damals, wurde doch dann schnell wieder ernst. Flöckchen war eine Woche später ausgebüchst, über die Straße gerannt und prompt von einem Auto platt gefahren worden. Ryou, der das damals hilflos hatte mit ansehen müssen, hatte sich von diesem Schock lange nicht erholt. Er hatte geschrien und geweint, bis seine Kehle heiser war und selbst dann hatte er nicht aufgehört, das ging so lange, bis er fast erstickte. Erst als sein Bruder zu ihm ins Bett gekrochen war, ihn in den Arm genommen und ihm immer wieder über den Kopf und den Rücken gestreichelt hatte, hatte er sich langsam beruhigt. Und ab da hatte er wochenlang regelrecht an Bakura geklammert. Seine Mutter fand das sehr süß und auch, wenn sie die beiden irgendwo mithatte, dann waren erst einmal alle anwesenden Personen dem Charme der beiden Kinder verfallen. Auch wenn Bakura immer ein Wildfang gewesen war, seltsamerweise war er immer viel umgänglicher gewesen, wenn Ryou in der Nähe war. Ryou hegte so die leise Vermutung, dass seine Mutter sie deshalb immer gemeinsam zu allen möglichen Terminen geschleift hatte. Früher waren sie wirklich ein Herz und eine Seele gewesen. Und jetzt ...? "Hey, sorry, hast du mal Feuer?" Ryou hob den Kopf. Er kannte den jungen Mann nicht, der ihn soeben angesprochen hatte. "Nein, tut mir leid, ich bin Nichtraucher ..." "Hm, Mist", erwiderte dieser. "Naja, trotzdem danke ... Was machst du eigentlich so ganz allein hier draußen?" Ryou blickte sich um. Ohne es zu merken war er ein bisschen gelaufen, nicht sonderlich weit weg vom Club, aber die Geräusche waren nicht mehr zu hören. "Ich ... wollte frische Luft schnappen?" Ryou fröstelte es plötzlich. Vielleicht sollte er doch besser wieder reingehen. "Soso ... Weißt du nicht, dass es in dieser Gegend hier für welche wie dich gefährlich sein kann?" "Welche wie mich? W-wie ... meinen Sie das?" Der Mann grinste und strich sich eine Strähne seines blonden Haares aus dem Gesicht. Die Augen wurden von einer Sonnenbrille verdeckt. Auf einmal war der Mann Ryou unsympathisch. Er mochte keine Menschen, die etwas zu verbergen hatten. "Naja, wer in diesem Viertel nicht auf der Jagd ist nach einem Leckerbissen wie dir, der nimmt dich eben als Opfer, um dich auszurauben. Du bist wirklich unvorsichtig." "Ich sollte jetzt wieder reingehen", sagte Ryou kurz angebunden und drehte sich weg, allerdings versperrte der Mann ihm den Weg, indem er den Arm ausstreckte und sich an der Mauer abstützte, an der Ryou bist eben gestanden hatte. Diesem wurde langsam unwohl. "Aber vielleicht solltest du auch hier bei mir bleiben. Ich tu dir doch nichts, ich kann dich vor diesen Verbrechern beschützen." "Ich brauche keinen Schutz, danke." Plötzlich spürte Ryou eine Hand, die seine Wangen zusammenquetschte und sein Kinn schmerzhaft in eine bestimmte Richtung drehte. "Gut, dann drück ich mich jetzt deutlicher aus. Ich hab 'ne Scheiß-Woche hinter mir; meine Freundin hat mich verlassen, mein Chef droht, mich rauszuwerfen und mir wurde mein Motorrad geklaut. Außerdem sitzt mir mein Vermieter im Nacken, weil ich meine Miete nicht zahlen kann. Da kann man mir doch mal ein wenig Entspannung gönnen, huh? ... Du hast einen sehr schönen Mund ...", fügte der Mann hinzu und grinste lüstern. Solche Münder waren nicht zum Küssen da, solche Münder konnten von Natur aus außergewöhnlich gut blasen. "Komm, lutsch mir den Schwanz, mehr will ich gar nicht, ich stock auch dein Taschengeld ein kleines bisschen auf, wenn du willst ..." Ryou ekelte es und fieberhaft dachte er nach, wie er dieser schrecklichen Situation entkommen könnte. Allerdings wurde ihm diese Entscheidung abgenommen, als er im nächsten Moment die eisige Stimme seines Bruders hörte, "Lass ihn in Ruhe, Keith, sonst reiß ich dir so dermaßen den Arsch auf, dass du in Zukunft eine Windel brauchst." Ruhig, drohend, mit dieser unterschwelligen Note, dass es jetzt höchste Zeit war, sich aus dem Staub zu machen, da sonst ein Unglück geschah. Ryou sah schon irgendwelche Horrorszenarien vor sich von sich prügelnden Männern, fließendem Blut und gebrochenen Knochen, aber nichts dergleichen geschah. Keith, wie sein Bruder den Mann genannt hatte, schenkte diesem nur einen abgrundtiefen Blick und knurrte ein leises "Wir sehen uns" und damit trollte er sich. Ryou schenkte Bakura ein unsicheres, dankbares Lächeln, dessen Miene allerdings blieb kalt. "Ich weiß genau, warum ich dich nie wohin mitnehmen wollte", sagte er kühl, "weil du solche Deppen einfach anziehst." Ryou war verletzt. "Du hast mich doch einfach da drinnen sitzen lassen." Bakura wirbelte herum und fauchte erbost, "Ach, bin ICH jetzt schuld, dass du fast vergewaltigt worden wärst?" Ryou zuckte zusammen. "N-natürlich nicht. Es tut mir leid..." Bakura schnaubte. "Vergiss es. Ich bring euch sofort nachhause, Malik hat sich nämlich so abfüllen lassen, dass er kaum einen geraden Schritt mehr machen kann." Ryou fühlte sich so klein mit Hut, als er wenig später hinter Malik und Bakura her trottete, wobei letzterer alle Hände voll damit zu tun hatte, Malik in die richtige Richtung zu bugsieren, da der es wirklich in kürzester Zeit geschafft hatte, sich sternhagelvoll laufen zu lassen. "Das ist 'n neuer Rekord", murmelte Bakura finster und Ryou schwieg sich aus. Er war geknickt. Nicht nur dass der Abend absolut beschissen verlaufen war, jetzt war sein Bruder auch noch wütend auf ihn und eigentlich war das so das komplette Gegenteil von dem, was er geplant hatte. Kurz darauf half Ryou Bakura, Malik in die Straßenbahn zu bugsieren, welcher gerade von einem Lachanfall geschüttelt wurde. Diese blinkenden Lichter waren aber auch zu komisch. In der Bahn ließ er sich wie ein Schluck Wasser auf die Sitze fallen und kippte mit dem Kopf auf Bakuras Schulter, der das genervt zur Kenntnis nahm. Ryou setzte sich den beiden gegenüber und kauerte sich unbewusst zusammen. Er warf immer mal wieder einen scheuen Blick zu Bakura hin, aber der schien es irgendwie zu vermeiden, ihn anzusehen. Übertrieb er es nicht ein bisschen? Gut, Ryou hätte vielleicht nicht einfach gehen sollen, aber dass Bakura gleich so ausflippen würde, nur weil er mal einen Fehler gemacht hatte, hatte er sich beim besten Willen nicht vorstellen können. Und so gesehen hatte Ryou eigentlich keinen Fehler gemacht, Bakura war es gewesen, der ihn alleine gelassen hatte, dachte er ein wenig trotzig. Was Ryou nicht ahnte, war, dass es etwas ganz Anderes war, das Bakura aufregte. Gut, natürlich war er auch wütend, dass der heutige Abend schon um kurz nach Mitternacht vorbei war, das war doch keine Uhrzeit, da legte er noch nicht mal richtig los. Oder dass Malik sich so hatte volllaufen lassen, dass er nur beten konnte, dessen Mageninhalt würde sich nicht irgendwann auf seine Kleidung entleeren. Es hatte ihn in erster Linie wütend gemacht, dass dieser Bandit Keith es so kackendreist gewagt hatte, sich an Ryou ranzumachen und dass er selbst erst so spät bemerkt hatte, dass sein kleiner Bruder nicht mehr da war, wo er ihn zurückgelassen hatte. Er hätte besser aufpassen müssen. Gut, er kannte Keith, in der Szene kannte eh fast jeder jeden, und er glaubte nicht daran, dass dieser Ryou wirklich vergewaltigt hätte, aber er hatte ihn angefasst und das war schon zu viel. Immerhin konnte doch jeder sehen, dass Ryou mit ihm verwandt war und Bakura selbst hatte einen gewissen Ruf, sodass die meisten es nicht unbedingt darauf anlegten, ihn wütend zu machen. Außerdem sollte grundsätzlich niemand Ryou anfassen. Sein Gesichtsausdruck wurde kurz finster. Es war nur logisch, dass der kleine Spätzünder auch irgendwann einmal seine Sexualität entdecken würde, aber wenn es nach Bakura ging, dann musste das noch nicht in den nächsten paar Jahren sein. Die Vorstellung, dass jemand mit Ryou einfach so rummachte behagte ihm nicht. Ryou war immer sein Gegenpol gewesen, sozusagen seine gute Seite und es passte einfach nicht ins Konzept, dass der dann womöglich genauso anfing, wie er selber. Damals war es bei ihm auch erst ein harmloser Flirt gewesen und ehe er es sich versah, hatte er Blut geleckt und war damit immer weiter abgerutscht. Und das was er erlebt hatte, war schon eine Leistung für einen 18-jährigen. Nein, Ryou sollte lieber fein daheim bleiben und sich um seine Schule kümmern. Immerhin war Ryou ein anständiger Junge, aus dem noch was werden konnte. Bei sich selbst machte Bakura sich keine Hoffnungen mehr, wozu auch? Er genoss das Leben lieber auf seine Art. "Hasst du mich jetzt?", fragte Ryou, als sie später bei Malik zuhause waren und sie selbigen auf seinem Bett geparkt hatten, wo er dann sofort in einen komatösen Tiefschlaf gefallen war. Bakura zog eine Augenbraue hoch. "Man kann auch blöde Fragen stellen. Ich meine, du hast mir den Abend versaut, ich durfte Babysitter für zwei Kleinkinder spielen, aber sonst ist alles in Ordnung!" Bakuras Stimme triefte vor Sarkasmus und Ryou sank noch mal in sich zusammen. Eigentlich sollte er Bakura sagen, was in ihm vorging, aber er traute sich schlicht nicht und außerdem glaubte er, dass jetzt ohnehin nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas war. Nicht, wenn Bakura so dermaßen angepisst war. "Ich wollte dir den Abend nicht versauen", murmelte Ryou kleinlaut. "Lass stecken, Krümel", entgegnete der Ältere unwirsch, "ich glaub, ich mach mich selber nochmal auf den Weg, ohne diesen Zirkus, das hätte ich von Anfang an machen sollen." Ryou nickte. "Is' gut. Viel Spaß." Bakura schenkte seinem Bruder noch ein knappes Kopfnicken, kurz darauf war er aus dem Raum verschwunden. Ryou warf einen Blick zu Malik hin. Na, mit dem war heute nichts mehr anzufangen. Er seufzte. Ein wenig müde war er ja schon, also packte er sich seine Sachen, um sich zu waschen und sich umzuziehen. Erst als die Kleider abgelegt hatte, bemerkte er, wie sehr die eigentlich nach Rauch und Kneipensiff stanken, obgleich er weder getrunken, noch geraucht hatte. Er verzog kurz das Gesicht und beschloss, dass das erste, was er morgen tat, wenn er nachhause kam, ein Bad zu nehmen, um diesen Geruch loszuwerden. "Hey, Yagizawa, wo hast du denn deinen niedlichen Bruder gelassen?", begrüßte ihn eine feixende Stimme, als er wieder zurückkam. "Hey, Otogi, wieso hältst du nicht deine dumme Fresse?", gab er brummend zurück, während er sich eine Kippe ansteckte, um gemeinsam mit seinem Kumpel eine zu rauchen. "Was is' dir denn über die Leber gelaufen, Alter?" "Keine Ahnung. Ein ganzer Wanderzirkus an Kleinkindern, die nicht auf sich selbst aufpassen können." "Also, ich pass das nächste Mal gerne auf ihn auf, wenn du also..." "Nein! Hörst du jetzt endlich mal auf, dauernd diese elenden Andeutungen in Richtung Ryou zu machen? Den kriegst du nicht ins Bett, solange ich lebe, und basta!" Otogi grinste. "Gut, dann muss ich dich wohl umbringen." Kapitel 2: .Verwirrung ---------------------- “Na endlich”, murmelte Ryou, als er am Sonntag nachhause kam. Kaum, dass er sein Zimmer betreten hatte, riss er sich die Kleidung vom Leib, schnappte sich seinen Bademantel und tappte ins Bad, um sich Wasser in die Wanne zu lassen. Das Wochenende war ganz schön anstrengend gewesen, obwohl er gar nicht viel gemacht hatte. Bakura hatte er seit dem einen Abend nicht mehr gesehen, der war schon vor ihm nachhause, und so hatten Ryou und Malik die Gunst der Stunde genutzt und sich ein schönes Wochenende gemacht. Man war lang aufgeblieben, hatte Horrorfilme geschaut und Unmengen ungesundes Zeug in sich hineingestopft. Es war eigentlich ganz witzig gewesen. Bis auf den kleinen, fahlen Beigeschmack, dass er offensichtlich Zoff mit seinem großen Bruder hatte. Vielleicht sollte er ihm erst mal ein paar Tage aus dem Weg gehen, bis dessen Groll verflogen war. Bakura für seinen Teil hatte seine schlechte Laune am Wochenende komplett weggesoffen, sodass er am Sonntagabend zwar relativ fertig, aber dafür nicht mehr ganz so geladen nachhause kam. Mit einem Blick in den Flur, wo Ryous Schuhe schon standen, vergewisserte er sich, dass dieser schon da war und verkrümelte sich erst einmal in sein Zimmer. "Meine Güte", murmelte er, während er sich später von seinen Klamotten befreite, "ich stinke wie ein ostsibirischer Wanderpuff." Die Kleidung musste also postwendend in die Wäsche. Und wenn er schon dabei war, stellte er mit einem Blick auf das Chaos in seinem Zimmer fest, konnte er auch noch den Rest seines Kleiderschranks, welcher sich auf dem gesamten Boden erstreckte, in den Wäschekorb befördern. Seine Eltern waren wohl nicht zuhause. Er vermutete stark, dass sein Vater sich mal wieder bei irgendwelchen Weibern herumtrieb und seine Mutter ... Nun gut, das wusste er wirklich nicht. Vermutlich war sie arbeiten. Nur einer von vielen Gründen, warum er mit seinem Vater nicht klarkam: Er war sich hundertprozentig sicher, dass dieser seine Mutter betrog, hatte es ihm aber noch nicht beweisen können und so war die Abneigung beständig gewachsen Bakura hatte nun seine schmutzige Wäsche zusammengepackt auf dem Arm (nicht ohne einmal selbst die Nase zu rümpfen) und stieß die Türe zum Badezimmer auf. Sofort schlug ihm der Duft von teurem Badezusatz entgegen. Er rümpfte die Nase. Kurz nachdem er seine Sachen in eine Ecke hatte fallen lassen, wandte er mehr zufällig den Blick zur Seite, wo Ryou nackt auf dem Wannenrand saß und sich gerade ins Wasser hatte gleiten lassen wollen. Selbiger blickte ihn unschuldig an, dachte sich nichts dabei - wieso auch sollte es schlimm sein, sich gegenseitig nackt zu sehen, immerhin waren sie Brüder. Bakuras Blick allerdings weilte einen Augenblick zu lange auf dem Körper seines Bruders. Als er sich dieser und noch einer ganz anderen Tatsache bewusst wurde, machte er auf dem Absatz kehrt und hastete, die Tür hinter sich zuschlagend, in sein eigenes Zimmer. An der geschlossenen Zimmertür lehnte er sich schwer atmend an. Sah an sich herunter. "Komm schon, das ist doch jetzt nicht dein Ernst!", fauchte er die Erhebung an, die sich leicht unter seiner Hose abzeichnete. Er wischte sich über die Stirn. Kalter Schweiß? "Gott, wie lange hatte ich keinen Sex", knurrte er leise mit zittriger Stimme. Das musste die Erklärung sein. Sein Mini-Me hatte ein Eigenleben entwickelt, da er es wohl sträflich vernachlässigt hatte, aber warum zum TEUFEL reagierte es ausgerechnet auf seinen kleinen Bruder? Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken daran. Wenn man es so betrachtete, sein kleiner Bruder war wirklich hübsch. Eigentlich genau der Typ Junge, der normalerweise in sein Beuteschema fiel. Nur, dass es nicht normal war. Auf seinen Bruder wurde man nicht einfach mal so geil. Bakura betrachtete sich im Spiegel. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, er hatte sich heute noch nicht gekämmt, und sein Gesicht wirkte erhitzt, seine Hände schwitzig. Abwesend tatschte er an seine Wangen an, um sie kurz zu knautschen. "Schluss jetzt damit. Das war sicher nur Zufall." Ryou blinzelte nur verwundert, als Bakura sich so postwendend aus dem Staub gemacht hatte. Er ahnte nicht im Entferntesten, was in diesem vorging. Er mutmaßte, dass er vielleicht noch wütend sein könnte und schlicht und ergreifend keinen Bock auf ihn hatte. Mit einem Seufzen ließ er sich schlussendlich ins Wasser gleiten. Der Gedanke verletzte ihn irgendwie. So schrecklich hatte er sich nun auch wieder nicht verhalten. Das Wasser tat ihm gut, wirklich gut, und langsam entspannte er sich und schaffte es sogar wieder, Optimismus zu tanken. Er sollte einfach die richtige Situation abpassen und dann mit Bakura reden. Allerdings kam ihm da noch eine andere Idee, wie er Bakuras Sympathie wieder gewinnen konnte ... Bakura hatte das Bad in Beschlag genommen, nachdem Ryou es verlassen hatte und diesem kam das gerade Recht. Denn dann hatte er nämlich die Küche für sich. Er würde es nun nicht als sein Hobby bezeichnen, aber ab und zu kochte Ryou ganz gerne und er tat es auch öfter, wenn die Eltern einmal nicht da waren. Bakura hatte sein Essen immer geliebt und mit gutem Essen war es schon immer leicht gewesen, ihn zu ködern. Für was auch immer. Oder, wie in diesem Fall, um Verzeihung zu bitten. Inzwischen war er nämlich der felsenfesten Überzeugung, es beziehe sich auf den gestrigen Abend, eine andere Erklärung konnte er einfach nicht finden. Bakura stieg der Essensgeruch schon in die Nase, als er das Badezimmer verließ und irritiert rümpfte er die Nase. Das roch verteufelt gut. Unter normalen Umständen hätte er es jetzt tunlichst vermieden, seinem Bruder über den Weg zu laufen, aber da war immer noch sein Magen, der ihm erklärte, dass er es schon eine viel zu lange, unmenschliche Zeit ohne Essen ausgehalten hatte und so schlich Bakura, nachdem er sich angezogen hatte, in die Küche. Eine Weile beobachtete er Ryou von hinten, der ihn noch nicht bemerkt hatte, ehe er auf sich aufmerksam machte. Er räusperte sich leise. "Was wird das hier?" Ryou drehte sich um und lächelte nervös. "Ich ... dachte, ich koch dir dein Lieblingsessen, um mich für gestern zu entschuldigen. Ich wollte dich nicht wütend machen." Bakura blieb einen Moment unbewegt im Türrahmen stehen, als ihn allerdings Ryous Blick traf, konnte er ihm plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Das, was er vorhin unter der Dusche getan hatte, erschien ihm plötzlich so abartig und krank. "Ach so", murmelte er nur ausweichend, "das ist ..." Er rang einen Moment um Worte und fügte dann ein unbeholfenes "Nett" hinzu. Ryous Miene hellte sich auf. "Setz dich doch, ist gleich fertig." Bakura presste die Lippen aufeinander und ließ sich langsam auf einen Stuhl plumpsen, wo er dann das Kinn in der Handfläche abstützte. Still beobachtete er, wie Ryou das Essen aus der Pfanne in zwei Teller füllte und diese dann zum Tisch trug. Er brummte etwas, das wohl als "Danke" geboren werden sollte und nahm dann die Gabel auf, um sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund zu stopfen. Das war auch gut so, denn je voller er den Mund hatte, desto weniger musste er mit Ryou reden und er wusste gerade tatsächlich nicht, was er sagen sollte. Bakura schluckte. Gerade fiel ihm das erste Mal auf, wie sehr sie sich voneinander entfernt hatten. Und wieso reagierte dann sein Körper so? Plötzlich wurde ihm wieder schlecht und er würgte leicht. "Stimmt was mit dem Essen nicht?", drang Ryous verunsicherte Stimme zu ihm durch. "Ich hab mich nur verschluckt", erwiderte Bakura steif und starrte weiterhin stur auf seinen Teller. "Bakura, wo willst du denn hin?" "Das geht dich einen Scheiß an", knurrte der Elfjährige zurück. "Und wehe du verpetzt mich bei Mama und Papa, dann reiß ich dir den Arsch auf." "Aber ... Ich will mit!" "Dazu bist du viel zu klein und jetzt nerv mich nicht." "Kuraaa", kam es weinerlich und der Angesprochene verdrehte die Augen. "Also schön, aber du hörst gefälligst auf mich, kapiert? Wehe, du machst irgendeinen Blödsinn." Ryou strahlte über das ganze Gesicht. "Nein, den mach ich bestimmt nicht, versprochen!" Sie schlichen sich gemeinsam aus dem Haus. Wenig später trafen sie auf Freunde von Bakura, welche Ryou nicht bis kaum kannte. Die Jungen hatten sich einen heimlichen Ort zum Rauchen gesucht und Ryou rümpfte die Nase darüber, denn er konnte nicht verstehen, was daran so toll sein sollte. Es stank fürchterlich und es kratzte ihm übel in den Lungen - immerhin hatte er Asthma und reagierte sensibler auf solche Dinge als andere Menschen. Aber er ließ sich nichts anmerken. Zu sehr genoss er die Zeit, die er mit seinem Bruder verbringen konnte. "Hey, Leute", meinte ein blonder Junge namens Keith plötzlich, "was haltet ihr davon, wenn wir auf den Schrottplatz gehen, später? Der alte Tendo wird auch immer seniler." Bakura zeigte sich sofort begeistert von dieser Idee und auch die zwei anderen Jungen, die noch dabei waren, Ryou allerdings legte den Kopf schief. "Was ist denn mit dem Schrottplatz?" Er hatte die Kinder immer nur erzählen hören. "Das, Brüderchen", meinte Bakura grinsend, "ist ein wundervoller Ort, wo man sehr viel Spaß haben kann. Und außerdem..." Er sah die anderen Jungen an, welche seinen Blick mit einem verborgenen Grinsen erwiderten, "wenn du mit uns abhängen willst, musst du noch deine Mutprobe bestehen." "M-Mutprobe?", stotterte Ryou unsicher und er trat von einem Bein aufs andere. "Ja, na klar", fügte Bakura hinzu und dachte im Stillen: 'Das wird dir wohl eine Lehre sein.' "Haben wir doch alle gemacht." Beipflichtendes Nicken von den anderen. "Willste kneifen?" Ryou nahm seinen ganzen Mut zusammen. "N-nein, ich machs." "Gut. Dann beraten wir uns kurz." Die anderen gingen kurz ein wenig abseits und steckten die Köpfe zusammen. Dann drehten sie sich wieder um und Keith meinte grinsend: "Also, du musst über den Zaun klettern und dem alten Tendo irgendwas persönliches Klauen und das dann zu uns bringen. Die Schwierigkeit an der Sache ist sein Köter, er hat nämlich 'nen scharfen Kampfhund und wenn der dich kriegt, gehts dir schlecht." Ryous Herz rutschte ihm in die Hose. Aber er konnte ... wollte keinen Rückzieher machen. Nicht, wo sein älterer Bruder neben ihm stand und ihn sonst für einen Versager hielt. Er spürte die grinsenden Blicke der anderen Jungen im Rücken, als er bang an dem Zaun nach oben blickte. Er kam ihm so hoch vor wie der Mount Everest und er war sich nicht mal sicher, ob er es überhaupt schaffen würde, ÜBER den Zaun zu gelangen. Geschweige denn, von der anderen Seite irgendetwas zu stehlen. Er schluckte noch einmal, dann verhakte er die Finger in dem rautenförmigen Zaungitter, während er mit den Schuhspitzen einen dürftigen Halt in den schmalen Löchern fand. Tapfer zog er sich weiter nach oben und Ryou war verblüfft über sich selbst, dass er es schließlich tatsächlich schaffte, sein Bein hinüber zu schwingen. Dann allerdings hielt er inne. Raufkommen war eine Sache. Wieder hinunter gelangen, eine ganz andere. "Mach schon, oder willst du doch kneifen?", rief einer der anderen von unten hinauf. Ryou kniff die Augen zusammen und ließ sich fallen. Er kam hart auf den Fußsohlen auf, stolperte ein paar Schritte und schaffte es gerade noch so, sein Gleichgewicht zu wahren. Dann richtete er sich wieder einigermaßen auf und sah sich um. Von einem Hund oder dergleichen war nichts zu hören. Einen letzten Blick über die Schultern zurückwerfend, ging er schließlich los, wobei er das bange Gefühl nicht loswurde, das ihn beschlichen hatte. Ja, er hatte wirklich Angst. Der Schrottplatz war verhältnismäßig klein, allerdings dafür sehr unübersichtlich und Ryou musste gelegentlich ein bisschen klettern, weil er sonst nicht weitergekommen wäre. Bald schon sah er den Zaun nicht mehr, wenn er sich umdrehte. Dann allerdings kam die Behausung des Besitzers in Sicht. Es wirkte sehr leer. Ryous Hoffnung stieg, dass der Mann vielleicht einfach nicht da war. Mit pochendem Herzen schlich er sich näher, bis er bei einem Fenster angelangt war, wo er dann seine Nase dagegen presste. Die Hütte war sehr spartanisch und auch sehr unaufgeräumt und sie bestand nur aus einem einzigen Raum. Den Mann konnte er nicht entdecken. Wie kam er da jetzt rein? Kurz darauf probierte er es einfach mal an der Tür - und erschrak heftig, als sie unter einem lauten Quietschen nachgab. Aber es schien niemand darauf aufmerksam geworden zu sein. Zaghaft tapste er in das Innere der Hütte und sah sich um. Was sollte er nun mitnehmen? Hier stand nur Gerümpel herum und das würde sicher nicht so aussehen, als hätte er es aus der Hütte geholt. Plötzlich fiel der Blick des Jungen auf eine gläserne Vitrine und er trat neugierig näher. Nichts Besonderes. Nur ein paar eingerahmte Erinnerungsfotos, die er da wohl hineingestellt hatte, damit sie nicht so schnell verstaubten. Bilder von ihm und seinem Hund waren da, aber auch andere, zum Beispiel bemerkte er ein älteres, schon etwas verblasstes, das einen jungen Mann, eine Frau und einen kleinen Jungen zeigte. Sie alle lachten. Ryou musste lächeln. Doch die Stille nahm jäh ein Ende, als ihn ein scharfes "Hey, Junge, was hast du hier zu suchen?", zusammenzucken ließ. Panisch wirbelte er herum, nur um den wütend aussehenden Schrottplatzbesitzer zu erblicken, welcher einen knurrenden Rottweilermischling an der kurzen Leine hielt. Ryou begann, schwer zu atmen, er bekam richtige Angst und suchte fieberhaft nach einer Erklärung. Sein Blick flackerte hektisch im Raum umher - die Tür wurde ja gerade versperrt, aber das Fenster ... das Fenster war geöffnet, auch wenn der Wind es leicht zugeweht hatte. "Ich hab dich was gefragt, antworte, oder mein Kenji zerfetzt dir deinen kleinen, weißen Hals!" Da fackelte Ryou nicht mehr lange, mit einer blitzschnellen Bewegung hechtete er zum Fenster, betete, dass es wirklich nur angelehnt war - während Tendo empört aufschrie und ihm nachsetzte - ein Glück, dass Ryou so klein und wendig war, so glitt er ihm durch die Finger und mit einem verzweifelten Hechtsprung rettete sich der Junge aus dem Fenster. Auf der anderen Seite kam er ziemlich schmerzhaft auf der Seite auf, doch er rappelte sich schnell wieder auf, da er ahnte, dass Tendo - oder noch schlimmer dieser Köter, der fast so groß war, wie er selbst - seine Verfolgung aufnahm. Und er sollte Recht behalten. Keine Sekunde später, während er schon längst um sein Leben rannte, hörte er einen Befehl und schließlich die donnernden Pfoten hinter ihm. Scheiße, so schnell schaffte er es niemals, wieder auf den Zaun zu klettern und während er rannte und seine Lungen empört aufschrien, weil sich das Asthma durch den Stress langsam bemerkbar machte, glitt sein Blick am Zaun entlang und dann sah er etwas, was seine Rettung sein könnte. Am Rand war ein Schrotthaufen so aufgestapelt, dass er gute Chancen darin sah, daran hochzuklettern und auf der anderen Seite des Zaunes wieder herunterzuspringen. So verlangte er seinen brennenden Lungen nochmal alles ab, setzte an und kletterte den rampenartigen Haufen hinauf, doch - es war zu spät. Plötzlich spürte er einen Schmerz an seinem Knöchel und er brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass der Hund seine Zähne darin versenkt hatte und daran zerrte - Ryou schrie auf, dann verlor er das Gleichgewicht, er stürzte und ihm wurde schwarz vor Augen ... Bakura und die anderen hatten es gehört und noch während Bakura mit seinem Gewissen rang, hatten die anderen längst das Weite gesucht. Er sah seinen Bruder aus der Ferne, sah, wie der Hund hinter ihm her war und sah ihn schließlich stürzen. Aber er hatte Angst. Er hatte wirklich Angst und so tat er etwas, das er sich niemals verzeihen würde. Er haute ab. "Hey, Kleiner, ich hab gefragt, ob ich noch Nachschlag haben kann." Ryou schreckte jäh aus seinen Gedanken. "Oh, äh, ja, ja, natürlich", meinte er und stand umständlich auf, wobei er den Stuhl beinahe umstieß. Er selbst hatte sein Essen kaum angerührt, was Bakura mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm, während Ryou kurz in die Küche verschwand. Als er mit einem Teller wiederkam, ließ Bakura kurz den Blick über seinen kleinen Bruder schweifen. "Du wirkst irgendwie abwesend", stellte er schließlich fest. Ryou zuckte nur mit den Schultern und lächelte. "Ich hab nur an die Sache damals auf dem Schrottplatz denken müssen, ich weiß auch nicht, wieso ..." Bakuras Blick verdüsterte sich leicht. Er hatte es natürlich nie zugegeben, aber seit diesem Zeitpunkt hatte er wirklich begonnen, sich enorme Vorwürfe zu machen. Ryou war an diesem Tag erst sehr, sehr spät nachhause gekommen, übersäht mit Blessuren, Schrammen und das linke Hosenbein war Blut durchtränkt - seine Eltern waren hellauf entsetzt gewesen und Bakura hatte natürlich so getan, als wüsste er von nichts. Ryou hatte ihn nicht verraten. Was aber wirklich genau geschehen war, das wusste Bakura bis heute nicht. Und er verspürte auch nicht den Drang es zu erfahren. "Hey, Ry, alles klar?", wurde er am nächsten Tag auf dem Schulweg überschwänglich von Malik begrüßt. Ryou rang sich ein Lächeln ab. "Naja, wie man es nimmt", meinte er dann mit einem Seufzen. "Stress mit deinem Bruder?" Ryou ließ die Schultern hängen. "Naja, nicht direkt, aber irgendwie ... seit dem Wochenende ist irgendwie so eine ganz komische Stimmung zwischen uns. Ich hab das Gefühl, er weicht mir aus und ich kann mir nicht erklären, wieso." "Hm, komisch. Gut, ich kenn ihn jetzt auch nicht so wirklich ... Meinst du, er ist immer noch sauer deshalb oder kann das einen anderen Grund haben?" Ryou zuckte die Schultern. Er schwieg. Manchmal ... da war ihm Bakura selbst ein Buch mit sieben Siegeln. Kapitel 3: .Eifersucht ---------------------- Malik war vollkommen durchnässt, als er an Ryous Tür klingelte. Die beiden hatten sich zum Lernen verabredet und kaum war Malik auf halber Strecke, war über ihn ein Wolkenbruch niedergegangen. Ryou öffnete und verzog das Gesicht. "Herrje, du Ärmster, komm rein..." "Danke", murmelte Malik trocken und schüttelte sich im nächsten Moment wie eine nasse Katze, nur um kurz darauf seinen völlig durchnässten Kapuzenpulli loszuwerden. "Willst du was zum Wechseln haben?", rief ihm Ryou wenig später aus dem Bad zu, wo er die nassen Sachen zum Trocknen aufhängte. "Hm, wär nicht schlecht, sonst verteile ich hier in eurer gesamten Wohnung nasse Flecken." Ryou nickte. "Ich werd‘ Kura fragen, ich glaub, meine Sachen sind dir ein bisschen zu klein, aber ihr habt ja ungefähr dieselbe Größe...", meinte er dann und stiefelte mit Malik im Schlepptau ins Wohnzimmer. Bakura saß vor dem Fernseher und schaute Nachmittagscartoons. Er wandte nicht einmal den Kopf, als die beiden ins Wohnzimmer traten. "Kura, wir brauchen Klamotten von dir, Malik hat den halben Pazifik eben abbekommen." Bakura brummte nur, "Weißt ja, wo mein Schrank ist“, die Augen noch immer auf den Fernseher geheftet. Maliks Blick verdüsterte sich plötzlich und mit wenigen Schritten war er bei dem Älteren der Brüder und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. "Bakura, du bist einfach UNMÖGLICH!" "Ey, was hastn du für ein Problem?", zeterte der Gepeinigte im nächsten Moment verdattert zurück. Ryou seufzte, bis ihm plötzlich siedend heiß etwas einfiel. "Fuck, ich hab ganz vergessen, dass ich Mama versprochen hab, für sie was aus der Reinigung zu holen." Bakura rollte nur mit den Augen und meinte: "Nur ein Vollidiot würde jetzt bei diesem Wetter nach draußen gehen." Ryou erwiderte darauf nichts, sondern zog sich an und verabschiedete sich. Und Malik hatte gerade keine Ahnung, warum er plötzlich so nervös wurde, als er Bakuras Blicke auf sich spürte. "Was ist?", murmelte er. Die dunklen Augen. Lüstern. Irgendwie verspottend. Ein Lächeln schlich sich auf Bakuras Lippen. "Malik, hast dus eigentlich schon mal mit 'nem Kerl getrieben?" Malik ging der Mund auf. Auf so eine Frage war er nicht vorbereitet gewesen. Dann ging alles relativ schnell. Plötzlich fand er sich in Bakuras Zimmer wieder. Seine Klamotten auf dem Boden. Mit dem Gesicht in die Laken gepresst. Und dann machten sich Schmerz und Lust bald gleichsam in ihm breit. Und das war der Auslöser. Für etwas ganz Großes. Ryou hatte sich beeilt, um durch den Regen zu kommen und als er die Tür hinter sich zuschlug, schüttelte er sich erstmal wie ein nasser Hund. "Scheißwetter", fluchte er und trug seine nassen Chucks mit den Fingerspitzen ins Bad, wo er sie dann zum Trocknen einfach in die Badewanne schmiss. Dann ging er in sein Zimmer, um sich etwas anderes anzuziehen, aber als er an Bakuras Tür vorbeikam, stockte er. Runzelte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf, klopfte an und öffnete ohne eine Antwort abzuwarten die Tür. "Also, wenn ihr euch schon einen Porno anschauen müsst, hättet ihr das auch etwas leiser-" Urplötzlich stockte Ryou. Und ein eiskalte Schauer, gefolgt von einem nagenden, heißen Gefühl kämpften plötzlich in seiner Brust miteinander. Er starrte wie angewurzelt auf das Bild, das sich ihm bot. Es war so eindeutig, mit nichts zu erklären, durch nichts schönzureden. Und als Ryou sich wortlos umdrehte, die Flüche seines Bruders in seinem Rücken ignorierend, wusste er plötzlich, dass das alles nicht normal war. Er zog sich nicht mal die Schuhe an, als er wieder hinaus in den Regen trat und zu laufen begann. Wie in einem schlechten Film. So eine Scheiße. Er begann zu laufen. Sein Herz trommelte schmerzhaft gegen das Innere seiner Rippen. Seine Lungen rebellierten. Ein Autoreifen quietschte, als er ohne nach rechts und links zu sehen eine stark befahrene Straße überquerte: Es war pures Glück, dass er nicht erfasst wurde. Dass sich seine Eingeweide nicht in einer blutigen, breiigen Masse auf dem Asphalt verteilten und mit dem Regen vermischten. Die Flüche der Fahrer gingen in der Dumpfheit der Situation unter. Wo war er eigentlich? Und wieso tat ihm plötzlich das Herz so weh? Wo kam dieser ungekannte Schmerz her, dieses ekelhafte Stechen? Er war eifersüchtig! So eifersüchtig und verdammt, er war es nicht auf Bakura, sondern auf Malik. Ryous Nägel gruben sich in seine Handflächen, seine Lungen protestierten immer stärker, die kalte Luft schnitt übel in seine Kehle, in die tiefsten Winkel seiner Lungen. Aber es reichte nicht aus, um dieses grässliche Gefühl zu vertreiben. Warum hatte er das nur gesehen, warum? Plötzlich war alles so klar. So unendlich klar. Ryou stolperte und schlug der Länge nach auf den Asphalt. Schürfte sich die Ellenbogen komplett auf und die Knie. Der Schmerz wurde verschluckt. Sie verschluckte alles. Die Eifersucht. Und das andere Ding, das da plötzlich in ihm war. Diese verbotene, sündige Liebe, die er schon so lange für seinen Bruder hegte. Dieses unendlich schlechte, ohnmächtige Gefühl. So groß, dass er es nicht mehr schaffte, es zu unterdrücken. Ryou schlug mit den Fäusten auf den Boden, Wasser spritzte auf. Am liebsten wäre er einfach liegen geblieben, er rollte sich auf den Rücken und stierte mit aufgerissenen Augen in den leichengrauen Himmel, die Regentropfen schmerzten in seinen Augen und nahmen die Tränen mit sich. Er spürte den harten Asphalt in seinem Rücken. Er spürte, dass er aufstehen müsste. Spürte, dass er nicht wollte. Dass er einfach liegen bleiben wollte. Und vergessen. Für immer vergessen, was er fühlte. Er presste sich eine vor Kälte fast taube Hand auf die Brust, als ihn das Bild von Bakura und Malik, eng im Liebesakt miteinander verschlungen, überrollte. Wie lange ging das schon so? Vielleicht schon vom ersten Tag an? Immerhin stand jeder auf seinen Bruder. JEDER. Sein Bruder war der verdammt nochmal geilste Typ der Stadt. Aber er war ... sein Bruder. Ihm wurde schwindelig, obwohl er schon lag. Passanten gingen gelegentlich an ihm vorbei, doch ohne auf ihn zu achten, mit eingezogenen Köpfen und hochgeschlagenen Mantelkrägen, es eilig habend aus dem Regen herauszukommen. Niemand achtete auf ihn. Wie es immer war. Wieso? Er hatte keine Probleme mit seiner Homosexualität, aber sein Bruder! Verdammt! Ryou hatte plötzlich dieses schreckliche Gefühl um ein Wissen, ein Geheimnis, das ihn zu erdrücken drohte, weil er wusste, dass er es keinem Menschen auf der Welt würde anvertrauen können. Er schloss die Augen. Und irgendwann wurde es ganz dunkel. In Bakura brodelte es. Die Lust war ihm vergangen sofort in jenem Moment, als er des ungläubigen Blickes gewahr geworden war. Er hatte zurück gestarrt. Und als Ryou umgekehrt war, da hatte er Malik von sich gestoßen, lieblos und gleichgültig, weil er plötzlich das Gefühl hatte, das seltsame Gefühl, einen absolut grenzenlosen Fehler gemacht zu haben. Ryou hätte das niemals mit ansehen dürfen. Nie. Er hätte seinen dumpfen Trieben niemals nachgeben dürfen. Es war ihm scheißegal, dass er Malik dazu nur benutzt hatte, das einzige, was ihn nun biss, war der Gedanke an seinen kleinen Bruder. "Du solltest jetzt besser gehen", sagte er schroff zu Malik, welcher gerade absolut verwirrt und gedemütigt war und aufgrund dessen kein vernünftiges Wort herausbrachte. Mit immer noch leicht gerötetem Gesicht und sich sterbenselend fühlend, sammelte der Ägypter wortlos seine Siebensachen zusammen und verschwand bald nach Ryou aus der Wohnung. Ryou war nicht da. Bakura biss sich auf die Unterlippe. Verdammt, dieser kleine ... Ob es wohl angeboren war, dass ihm sein kleiner Bruder immer wieder den Spaß an absolut allem versauen musste? Er war wütend. Und im Stillen war er dankbar, dass Ryou abgehauen war, da er sich nicht sicher war, was er sonst gemacht hätte. Vielleicht hätte er ihm einfach links und rechts eine geballert. Aber dennoch. Auch, wenn Bakura sich einzureden versuchte, dass er diesen Groll alleinig aus dem Grund verspürte, dass ihm jetzt eine Chance auf ziemlich heißen Sex entgangen war, so spürte er im Grunde seines Herzens, dass das nicht der einzige Grund war. So ein Dreck. Und jetzt? Irgendjemand stieß Ryou. Stieß ihn unangenehm, sodass er aus der Dunkelheit empor kriechen musste. Er brummte unwillig. Er spürte seinen Körper nicht mehr. "Ryou-kun? Hey, lebste noch?" Ryou blinzelte und als sein Blick sich langsam schärfte, erkannte er ein Gesicht über sich, das er vorerst nicht zuordnen konnte. "Kannste mich hören? Das is 'ne ziemlich blöde Idee bei so einem Wetter ein Nickerchen aufm Bordstein zu machen." Die Stimme klang leicht scherzend, aber gleichsam war auch ein gewisses Maß an Sorge herauszuhören. Die pechschwarzen Haare umrahmten in leicht feuchten Strähnen das fein geschnittene Gesicht und die grünen Augen musterten ihn neugierig und skeptisch zugleich. "Otogi?", murmelte er fast tonlos. Der Schwarzhaarige schien erleichtert. "Hey, du lebst ja doch noch." Dann legte er den großen roten Regenschirm kurz zur Seite, den er gerade noch in der Hand gehalten hatte, um Ryou besser unter die Arme greifen zu können. Der Weißhaarige versuchte leicht benommen mit Otogis Hilfe auf die Beine zu kommen und stand dann auch recht wackelig da. Kurz darauf ergriff der Otogi seinen Regenschirm wieder und fasste Ryou, der sich schwächlich an ihm festhielt, um die Hüfte. "Ich hab zwar keine Ahnung, was bei dir los ist, aber du kommst am besten erstmal mit." Ryou nickte, ohne etwas zu sagen. Wenig später hatte Otogi Ryou an seiner überraschten Mutter vorbei ins Bad geschubst, damit er eine heiße Dusche nahm. "Gehts, oder brauchst du irgendwie Hilfe?" Ryou verzog das Gesicht und verneinte. Die Situation war ihm schon unangenehm genug. Aber der Gedanke, jetzt nachhause zu gehen, war noch ätzender. Otogi ließ ihn alleine und während selbiger nun seiner Mutter die Situation zu erklären versuchte, hing Ryou seinen eigenen Gedanken nach. Das heiße Wasser brachte die Lebensgeister einigermaßen zurück. Es fühlte sich heißer an als es war auf seiner Haut, da er sehr unterkühlt war, aber genau dieses vermeintlich verbrennende Gefühl tat ihm gerade sehr gut. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wäre Otogi nicht vorbeigekommen, wäre er wohl den ganzen Nachmittag, vielleicht sogar den Abend dort liegen geblieben. Und wer weiß, was ihm dann passiert wäre. Ryou erkannte sich selbst kaum wieder in der letzten Zeit, die Ereignisse schienen sich ja regelrecht zu überschlagen. So ein leichtsinniges Verhalten passte viel eher zu seinem großen Bruder. Er war immer der Vernünftige gewesen, er hatte immer ... Ryous Augen verengten sich. Sie brannten, weil er vorhin geheult hatte, seine Augen fühlten sich immer noch unangenehm geschwollen an. Wie sollte er Bakura nur jemals wieder unter die Augen treten? Und was sollte er Otogi sagen, den er ja im Grunde kaum kannte? Er konnte doch unmöglich sagen, warum er so außer sich gewesen war. Plötzlich klopfte es an der Badtür. "Hey, alles klar bei dir?" Ryou hatte nicht gemerkt, dass er inzwischen schon seit fast einer halben Stunde unter der Dusche stand. "J-ja, ich komme sofort", rief er zerstreut zurück und stellte kurz daraufhin das Wasser ab, griff sich ein Handtuch und stieg vorsichtig, um nicht auszurutschen, aus der Dusche heraus. "Ryou, meine Mum meint, dass du gerne ihren Bademantel haben kannst - du kriegst dann gleich Klamotten von mir, okay?" Otogis Stimme klang ein wenig belustigt und als Ryou den Bademantel erblickte, musste er auch ein wenig schmunzeln. Rosaflauschig mit Blumendruck. Wenig später, als er umgezogen am Tisch saß, wo ihm Otogis Mutter einen Teller mit heißer Suppe vorsetzte, fühlte er sich schon weniger tot. Er spürte zwar bereits jetzt ein Kratzen im Hals und war sich ziemlich sicher, bald eine fette Erkältung zu haben, aber das war wohl die Strafe für sein leichtsinniges Verhalten. Seine überstürzte Flucht kam ihm immer dämlicher vor. Als die Frau sich entfernte, um sich ein wenig um ihren Haushalt zu kümmern, verschränkte Otogi die Unterarme und stützte, Ryou dabei unverwandt ansehend, das Kinn darauf. “Magst du mir nicht verraten, was mit dir los ist? Ich weiß, wir kennen uns nicht sonderlich gut und das nur durch deinen Bruder, aber-” Er stockte, wirkte, als wüsste er nicht so ganz, was er sagen sollte. Ryou ließ den Löffel sinken und starrte kurz resignierend in seinen Teller. “Ich kann nicht darüber sprechen...” “Hattest du Streit mit Bakura?” An Ryous zusammensinkender Haltung erkannte der ältere Junge, dass er ins Schwarze getroffen hatte. “Hey, Kopf hoch, ich bin sicher, das renkt sich wieder ein - was war denn? Hat er wieder einen seiner Ausraster gehabt und dich damit aus dem Haus gescheucht?” Jetzt sah Ryou auf. Wie viel wusste Otogi eigentlich über das Verhältnis, das er mit Bakura hatte? Er wusste ja nicht mal, was Bakura seinen Freunden eigentlich erzählte oder eben nicht. Nervös biss er sich auf die Unterlippe und schüttelte nicht ganz so überzeugend den Kopf. “Ich weiß es nicht”, gestand er schließlich und fügte murmelnd hinzu: “Ich ... es ist etwas seltsam zwischen uns in der letzten Zeit. Und ich weiß nicht, was das ist ... R-redet Bakura mit euch da eigentlich drüber?” Jetzt sah auch Otogi etwas nachdenklich aus, dann schüttelte er langsam den Kopf. “Naja ... nicht so wirklich. Er beschwert sich halt manchmal, dass du so weich und zerbrechlich bist - keine Ahnung - aber irgendwelche genauen Sachen erwähnt er nie. Es wirkt meistens eher so wie der übliche Groll, den man seinen Geschwistern gegenüber hegt - nicht, dass ich da jetzt groß Ahnung hätte”, fügte er kurz lachend hinzu und Ryou meinte sich entsinnen zu können, dass Otogi Einzelkind war. “Aber ich krieg das ja von mehreren Seiten mit und mir ist jetzt so gesehen nicht aufgefallen, dass da bei euch etwas Ungewöhnliches gewesen wäre.” Ryou nickte langsam. Ein bisschen erleichterte es ihn zwar, aber andererseits war er jetzt immer noch nicht schlauer, was Bakura gelegentlich für Probleme hatte. “Otogi?” “Kannst mich ruhig beim Vornamen nennen.” Ryou lächelte “Ok. Ryuji?” “Ja?” “Dürfte ... ich vielleicht heute hier übernachten? Ich hab irgendwie ... ein wenig Schiss, nachhause zu gehen”, gestand er. “Klar, kein Problem. Willst du deinen Eltern Bescheid sagen?” Als Ryou am nächsten Tag aufwachte, fühlte er sich, als wäre ihm ein Laster über den Kopf gefahren. Mit einem Ächzen erhob er sich von dem Futon, auf dem er übernachtet hatte. Otogi, der schon seit längerer Zeit wach war, warf ihm einen Blick zu. “Na, Schneewittchen, ausgeschlafen?” Ryou murmelte irgendetwas Unverständliches und wimmerte leicht. “Habt ihr Kopfschmerztabletten?” “Glaub schon, ich schau gleich mal - wow, du siehst echt nicht gut aus, Junge...” “Danke für das Kompliment”, erwiderte Ryou trocken, “krieg ich trotzdem ‘ne Kopfschmerztablette?” “Klar”, murmelte der Ältere schulterzuckend, nur um zu verschwinden und kurz darauf mit einer in Wasser aufgelösten Aspirin wiederzukommen. Ryou trank das Glas mit wenigen Schlucken leer. “Danke.” “Also echt, mich wundert es nach dieser Aktion da gestern nicht”, sagte Otogi und patschte Ryou mit einer Hand ins Gesicht. “Was soll denn das?” “Will nur schauen, ob du Fieber hast”, erwiderte er, doch Ryou entging nicht, dass die Hand einen Augenblick zu lang auf seiner Wange lag. “Also, Temperatur haste auf jeden Fall”, stellte Otogi altklug fest. “Soll ich deine Mum anrufen, dass die dich irgendwann später abholt?” “Das wär nett”, murmelte Ryou und ließ sich zurück auf die Matratze plumpsen. Er hatte es nicht besser verdient und so musste er sich wohl seinem Schicksal hingeben. Auch als seine Mutter ihn ein paar Stunden später abholte, kam er nicht zur Ruhe. Wie Mütter eben waren hatte sie sich bis zu seinem Anruf hin Sorgen gemacht und überhaupt, wie man bei so einem Wetter überhaupt draußen sein konnte, gerade er, der ohnehin ein schwaches Immunsystem hatte dank einer Erberkrankung und überhaupt. Normalerweise liebte Ryou seine Mutter abgöttisch, aber das gerade war ihm einfach zu viel. “Können wir diese Diskussion vielleicht auf wann anders verschieben?”, murrte er resignierend. “Ich habe ohnehin schon Kopfschmerzen.” Ryous Mutter schaute ihn ein wenig überrascht an, aufgrund seiner Widerworte, murmelte noch etwas vor sich hin und sah dann wieder auf die Straße - aber wenigstens ließ sie ihn erstmal in Ruhe. Allerdings war sie zuhause dann gnadenlos und stopfte ihn ins Bett wie ein kleines Kind. Ab und an genoss es Ryou zwar zugegebenermaßen so betüddelt zu werden, aber gerade wollte er eigentlich lieber seine Ruhe haben und mit sich und seinen Gedanken alleine sein. Als sie ihn wenig später endlich alleine ließ, schloss er einen Moment die Augen. Sein Schädel dröhnte. Er hatte seinen Bruder noch gar nicht gesehen. Ob er wohl zuhause war? Und plötzlich musste er auch an Malik denken. Für den war die Situation bestimmt auch sehr unangenehm gewesen. Ob er ihn mal anrufen sollte? Er schielte zu seinem Laptop und beschloss kurz darauf, ihn anzumachen, vielleicht war der Ägypter ja online, wofür die Chancen relativ gut standen, immerhin war Sonntag und heute ein genauso beschissenes Wetter wie gestern. Als er in Skype ging, hatte er tatsächlich Glück - Malik war online. Seine Statusnachricht lautete: “Das Leben ist scheiße, aber die Grafik ist geil!” Ryou schmunzelte und schrieb ihn kurz darauf, doch ein bisschen nervös, an. Change-of-Heart: Hey ._. Es dauerte eine Weile, bis eine Antwort kam. CottonMouth: Hey... Change-of-Heart: ähm ... das mit gestern ... Tut mir leid, ich wollt dich nicht in eine unangenehme Situation bringen ... CottonMouth: Du brauchst dich nich entschuldigen ... gut, es war übelst peinlich, aber jetzt weiß ich wenigstens, dass dein Bruder ein absolutes arschloch ist... nix für ungut Change-of-Heart: Schon gut, er treibt mich manchmal ja selbst an den rand des Wahnsinns du bist mir also nicht sauer? CottonMouth: ne, wenn dann bin ich sauer auf mich selbst ... Change-of-Heart: ? CottonMouth: naja, behalt es bitte für dich, aber ich glaub, ich hab mich ziemlich heftig in deinen Bruder verliebt ... und jetzt ärger ich mich nicht nur, weil ich mich von dem scheißkerl hab entjungfern lassen, sondern auch, weil ich sicherlich wieder mit ihm in die Kiste hüpfen würde, wenn er nur mit dem finger schnippen würde. Change-of-Heart: oh ... das tut mir leid ... CottonMouth: Ne mitr tuts leid, es ist dir sicher unangenehm, über sowas zu reden ...~ aber es kotzt mich einfach so an -.- du warst ja plötzlich weg, aber mich hat er kurz darauf auch ausm haus gejagt. nett, oder? Change-of-Heart: schon ok. das ist wirklich scheiße. allerdings mus sich auch zugeben, dass ich herzlich wenig Ahnung vo Kuras Sexualverhalten habe ... Wie gut, dass Malik sein Gesicht jetzt nicht sehen konnte. Es war puterrot angelaufen und das nicht wegen dem Fieber und auch nicht vor Zorn, sondern vor Eifersucht. Verdammt. Er wollte nicht, dass Bakura mit Malik schlief - oder überhaupt mit einem anderen Jungen. Er wollte, dass er nur ihn wollte. Ryou riss die Augen auf, als ihn diese Erkenntnis zum zweiten Mal traf und ihm wurde schlecht - plötzlich sprang er würgend auf und schaffte es gerade noch so ins Bad, wo er sich über der Kloschüssel übergab. Ihm drehte sich alles. Es war die einzige mögliche Erklärung, die einzige. Und plötzlich erschien es ihm alles so logisch, so verdammt logisch. Ryou erhob sich und wusch sich zitternd das Gesicht, spülte sich den Mund aus, um den widerlichen Geschmack loszuwerden. “Ryou, alles klar?”, ertönte von draußen die Stimme seiner Mutter. Er musste tief Luft holen, damit er ihr nicht irgendetwas Barsches entgegenschleuderte. Dann antwortete er: “Ja, mir war nur schlecht, liegt wohl an der Grippe.” Damit gab sie sich zufrieden und ließ ihn. Wie gelähmt trottete Ryou zurück in sein Zimmer, wo der PC noch lief. CottonMouth: Schon klar ~ ~ Noch da? Change-of-Heart: Ja - sorry, war kurz im Bad. Ich hab mich gestern erkältet und grad eben ist mir schlecht geworden... wollte das nur mit dir klären und dann wieder off gehen, mir gehts echt beschissen... CottonMouth: Ohje - wünsch dir gute Besserung... Change-of-Heart: Danke dir =) und danke, dass du mir nicht böse bist cya Wie gut, dass es so einfach war, sich übers Internet zu verstellen. Ryou fror plötzlich, als der Rechner herunterfuhr. Er hatte dieses Gefühl jetzt definiert, im Geiste benannt, aber das machte es nicht besser, nein, im Gegenteil. Es war schrecklich, es war eine absolute Katastrophe! Wieso hatte er sich nicht in Otogi verlieben können, oder in Yugi - oder ganz egal in wen, außer seinem Bruder? Ryou gab ein wimmerndes Geräusch von sich, nur um kurz darauf von einem regelrechten Heulkrampf geschüttelt zu werden. Er war verzweifelt. Er war absolut verzweifelt. Was sollte er nur machen, was sollte jetzt nur werden? Bakura durfte niemals, unter keinen Umständen, von seinen verbotenen Gefühlen erfahren, nicht Bakura und auch kein anderer Mensch auf der Welt. Oh Gott, wenn es ihm doch nur leichter fiele, auf andere Menschen zuzugehen, dann würde er sich eine Alibi-Freundin oder einen Alibi-Freund suchen, einfach nur, um sich niemals selbst zu verraten. Kraftlos ließ er sich zurücksinken und starrte an seine Decke, bis es in seinem Zimmer langsam dunkel wurde. Er fiel in einen leichten Schlaf und er hatte einen seltsamen Traum. Von Bakura. Von seinen Sehnsüchten. Bakura, der ihn in die Arme schloss. Bakura, der ihn küsste. Bakura, der schließlich mit ihm schlief, und als er wieder erwachte, war ihm schrecklich heiß und er kam sich vor wie der schlechteste Mensch der Welt, als er, mit der anderen Hand auf den Mund gepresst, um ja keinen Laut von sich zu geben, sein Verlangen stillte. Kapitel 4: .Kuss ---------------- “Hey, Ryou, alles wieder in Ordnung?” Bakura runzelte die Stirn, als Otogi seinen Bruder ansprach. Er hatte auch mitbekommen, dass Ryou bei dem Schwarzhaarigen übernachtet hatte, an dem Tag, an dem Ryou ihn und Malik erwischt hatte. Und er würde lügen, wenn er behauptete, das mache ihm nichts aus. Er versuchte sich von dem Anblick der beiden loszueisen und warf Malik, der neben Ryou stand, einen Blick zu. Als Malik seinen Blick bemerkte, wandte er demonstrativ den seinen ab. Gut, im Grunde war es scheiße, was er da abgezogen hatte, aber jetzt konnte er es auch nicht mehr ändern. Vielleicht sollte er irgendwann mal mit dem Ägypter darüber reden. Irgendwie war das eine Scheißsituation zwischen ihnen dreien momentan und dann hatte er auch noch diese Schuldgefühle, wegen Ryous erneutem Kranksein. Während Ryou ein paar Worte mit Otogi wechselte, ließ Bakura die beiden nicht aus den Augen. Ihm war nur zu klar in Erinnerung, was für Andeutungen Otogi damals in der Bar in Richtung Ryou gemacht hatte und er wusste ja, dass Jungs wie Ryou genau sein Typ waren. Dieses leicht Androgyne schien der Schwarzhaarige aber nur bei Jungs zu mögen, bei Frauen - denn er war nämlich bi - stand er auf große Titten und wohlproportionierte Körper. Wie auch immer. Ryou warf ihm einen Blick über die Schulter zu und sah dann schnell wieder weg, wie als fühle er sich ertappt und Bakura runzelte die Stirn. Er nahm sich vor, nach der Schule mal mit seinem Brüderchen zu reden, irgendwas war da doch im Busch, das war ja zum wahnsinnig werden. Ryous Herz hatte zu rasen begonnen, als er dem Blick seines Bruders begegnet war und er hatte Otogi nur noch mit halbem Ohr zugehört. "Hey, hast du grad gehört, was ich gesagt hab?" Ryou blinzelte verwirrt. "Entschuldige bitte, ich hab nicht so ganz zugehört", antwortete er kleinlaut und warf Otogi einen entschuldigenden Blick zu, welcher ihm daraufhin durch die Haare wuschelte. Bakura knurrte. Er hasste es wie die Pest, wenn jemand Ryou anfasste. Unwillig knirschte er mit den Zähnen. "Hey, ihr, lasst sofort meinen Bruder in Ruhe!" Die vier Jungs, die grinsend vor einem kleinen Jungen gestanden hatten, drehten sich in seine Richtung. Ryous große Kulleraugen hellten sich auf, als er seinen großen Bruder entdeckte und dieser Blick war es, der den Neunjährigen in seinem Vorhaben bestärkte. Das und der feine, blutende Riss an Ryous linker Augenbraue. Auch wenn ihm innerlich die Knie schlotterten, hier ging es um Ryou! Die Jungs, die mindestens schon in der sechsten Klasse waren, kamen langsam auf ihn zu. "Sieh mal an, noch so ein Windelscheißer." Bakuras Hände ballten sich zu Fäusten. "Ihr seid ganz schön erbärmlich, zu viert auf einen kleinen Jungen loszugehen!", sagte er herausfordernd. Was er machen wollte, wenn die tatsächlich auch auf ihn losgingen, wollte er sich lieber nicht ausmalen. Er schluckte. "Hey, er hat uns erbärmlich genannt", knurrte einer der Jungs und zwei von ihnen kamen auf Bakura zu, während die anderen bei Ryou blieben, der auf dem Boden kauerte und vor Angst an dem Ohr seines Stoffhasen nuckelte. Tränchen standen ihm in den Augen. Einer der Jungs packte ihn plötzlich am Kragen und mit einem Schnaufen spürte der Junge, wie er in die Höhe gerissen wurde, doch nahezu im selben Moment zog er mit seinem Knie nach und rammte es ihm direkt zwischen die Beine. Der Junge ließ ihn los und sackte zusammen, während die anderen das als Herausforderung sahen und nun zu dritt auf ihn losgingen. Bakura wehrte sich, aber er hatte keine Chance. Als sie sich wenig später lachend zurückzogen, blieb Bakura eine Weile benommen auf dem Boden liegen - bis sich der Kopf seines Bruders in sein Gesichtsfeld schob. Tränen standen diesem in den Augen und obwohl Bakura der Schädel dröhnte, fuhr er mit einem Ruck in die Aufrechte. "Hey, kein Grund zum Heulen, mir gehts gut, Krümel!" "A-aber..." "Nix aber - was wollten die eigentlich von dir?" "Die wollten mir meinen Hasi wegnehmen", nuschelte der Junge und nuckelte wieder an einem Schlappohr des schmutzigweißen Frotteestofftieres herum. Bakura rollte mit den Augen. "Du bist eh viel zu alt für das Scheißstofftier." Ryous Unterlippe begann zu zittern. Im nächsten Moment fühlte Bakura, wie sich zwei dünne Ärmchen um seinen Bauch schlangen und hörte das Schluchzen und schwor, in Zukunft jedem, der auch nur daran denken sollte, Ryou etwas anzutun, die Hölle auf Erden zu bereiten. "Hast du Lust, nach der Schule noch was zu machen?", riss Otogis an Ryou gerichtete Frage ihn wieder aus seinen Gedanken. Ok, das reichte. Ehe Ryou antworten konnte, war Bakura mit schnellen Schritten bei den beiden und hatte Otogi mit Nachdruck einen Arm um die Schulter gelegt. "Hey, Mann, hast du schon vergessen, dass wir heute feiern gehen wollten?" Otogi blickte seinen Freund verwirrt an. "Eh? Heute ist Montag..." "Ja, genau deswegen - komm mit, wir haben was zu besprechen - du entschuldigst uns, Ryou?" Ein scharfer Blick fiel auf Ryou, sodass dieser zusammenzuckte und Bakura entfernte sich mit Otogi. "Ok, hör mir zu", knurrte er leise, "wir sind Freunde, aber setz das nicht aufs Spiel, indem du dich an Ryou ranmachst, das hab ich dir schon mal gesagt." Otogi schnaubte und schubste Bakuras Arm von seinen Schultern. "Meine Güte, soll ich dich jetzt erst um seine Hand bitten, oder was? Keine Sorge, ich tu ihm schon nichts, aber ich find ihn halt ziemlich süß." "Kannst du nicht jemand anderen süß finden?" Jetzt musste der Schwarzhaarige lachen. "Kura, ich bitte dich, ist doch nichts dabei, wenn ich mal was mit ihm unternehme, dir scheint er ja eh am Arsch vorbei zu gehen..." Bakuras Augen verengten sich und mit einem Ruck packte er Otogi am Revers und schubste ihn gegen die nächste Wand. "Was zum Teufel faselst du da bitte?" Otogi verzog das Gesicht, "Wow, sachte, Alter, so wie du dich aufführst, könnte man ja glatt meinen, dass du selbst was von ihm willst." Das saß. Genauso plötzlich, wie er ihn gepackt hatte, ließ er ihn wieder los. "Wie meinst du das, er geht mir am Arsch vorbei? Wenn er das täte, dann würde ich mich nicht dauernd um ihn kümmern." Otogi glättete sich demonstrativ seine Klamotten, dann antwortete er, nach seinen Zigaretten kramend: "Naja, sagen wir so, als Ryou bei mir war, hat er mir ein bisschen sein Herz ausgeschüttet und ich finde, du hast eine sehr paradoxe Art von Bruderliebe für ihn übrig. Also ich hab keine Geschwister, aber wenn ich welche hätte, dann ... naja, is dein Bier, Alter, aber ich würde mir trotzdem mal überlegen, wie du mit ihm umgehst." Bakuras Blick verdüsterte sich und er kickte gegen einen Stein. "Ich hab zwar keine Ahnung, was er dir angeblich erzählt hat, aber ich finde es wirklich ziemlich merkwürdig, dass du dich so vehement auf seine Seite schlägst - und dass obwohl du ja eigentlich mein Freund bist." Jetzt grinste Otogi. "Alter, du musst nicht eifersüchtig sein, auch wenn ich mich für einen anderen interessiere, das zwischen uns wird immer etwas Besonderes sein." Dafür kassierte er einen Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, kurz darauf klaute sich Bakura eine von Otogis Zigaretten und dessen Feuerzeug. Sagen tat er allerdings nichts. Otogis Worte hatten ihn sehr nachdenklich gestimmt, wenn er ehrlich war. Das Verhältnis zwischen Ryou und ihm war irgendwie seltsam. Einerseits ging ihm der kleine Quälgeist unheimlich auf die Nerven und er hatte am liebsten seine Ruhe vor ihm, aber andererseits konnte er den Gedanken, dass er sich von ihm entfernte, nicht ertragen. Früher oder später würde Ryou sicherlich mal einen Freund haben und Sex vor allem, aber Bakura hatte das immer ausgeblendet. Ryou hatte so was einfach nicht zu tun, Ryou war sein kleiner Bruder und sollte das gefälligst auch bleiben. Der Gedanke daran, dass jemand ihn anfasste, erfüllte ihn mit Ekel und er hielt bis heute an seinem damaligen Schwur fest, jedem den Arsch aufzureißen, der ihm zu nahe kam. Um seine Gedanken zusammenzufassen, im Grunde wusste er selbst nicht, was er eigentlich wollte. Zwei Tage später überwand sich der Ältere der Brüder endlich, Malik auf diese Sache anzusprechen, die da zwischen ihnen war. Denn, ob er es wahrhaben wollte oder nicht, es machte ihm schon ein leicht schlechtes Gewissen, wie er ihn behandelt hatte - so etwas hatte er tatsächlich noch nie gebracht, jemanden halb angevögelt einfach aus dem Haus zu schmeißen. Da Malik ihm in der Schule auswich, hatte er irgendwann einfach beschlossen, bei ihm zuhause vorbeizuschauen. Dessen ältere Schwester Isis öffnete die Tür und schien ganz erfreut, ihn zu sehen, da sie offenbar Sorge gehabt hatte, Malik würde hier keinen Anschluss finden. Offenbar schien sie nicht zu ahnen um welche Art von Anschluss es sich da handelte. Die beiden lebten hier nicht schlecht - Isis schien offensichtlich gut zu verdienen und dann war da ja noch das Geld, das Rishid, der Älteste der Geschwister, der aber nicht mit ihnen hier zusammenlebte, gelegentlich schickte. Bakura lief durch einen kleinen Gang und klopfte dann an eine Tür, die leicht angelehnt war, um sie kurz darauf aufzudrücken. Malik hatte wohl gerade etwas für die Schule gemacht und als er von seinem Philosophiebuch aufsah und in seine Richtung blickte, wirkte sein Blick gleichzeitig überrascht und düster. "Was willst du denn hier?" "Hi erstmal", murmelte Bakura und drückte zögerlich die Tür hinter sich zu. Malik drehte sich mit seinem Schreibtischstuhl herum und sah Bakura abwartend an. Bakura lehnte mit verschränkten Armen an der geschlossenen Tür und schien nicht so recht zu wissen, wo er hinschauen sollte. "Das wegen letztens...", begann er schließlich. Fuck. Irgendwie wusste er gar nicht so recht, was er sagen sollte. Mit dem Entschuldigen hatte er es nicht wirklich, dazu war er viel zu stolz. Und Malik, der ihn abwartend ansah, machte es damit auch nicht besser. "Du hast dich aufgeführt wie das letzte Arschloch." Bakura zuckte zusammen. Ins Schwarze getroffen. Dann sah er auf und zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat. Es war einfach nur so ... ich weiß auch nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht will, dass du glaubst, dass ich finde, du wärst schlecht im Bett oder sowas ..." Malik runzelte die Stirn, presste dann die Lippen aufeinander und sah ihn schief an. "Sollte das jetzt eine Entschuldigung sein?" "Sowas in der Art, ja ..." Malik stöhnte genervt auf, dann stand er auf und trat vor Bakura hin. "Das mit dem Entschuldigen solltest du dringend noch üben", murmelte er und dann packte er ihn grob im Nacken und küsste ihn. Und Bakura erwiderte, denn es war ihm lieber als herum zu diskutieren und er ignorierte das Gefühl, dass sich hier irgendetwas einfach vollkommen falsch anfühlte ... Als Bakura nachhause kam, bemerkte er, dass seine Mutter für vier Personen gedeckt hatte. Hieß das etwa, dass sein Vater mal wieder mit ihnen aß? Seine Laune sank in den Keller. Darauf hatte er ja so gar keine Lust. Es war kein Geheimnis, dass Bakura und sein Vater kein gutes Verhältnis miteinander hatten - schon allein wegen Bakuras Lebensstil gerieten die beiden immer wieder aneinander. Er hoffte nur, der Alte hätte heute Abend mal gute Laune, ansonsten würde er in seinem Zimmer essen. "Wie macht ihr euch in der Schule?", drang auch schon bald die unliebsame Frage an sein Ohr. Bakura stopfte sich den Mund voll, um nicht antworten zu müssen, während Ryou schon wieder von seinen Bestleistungen erzählte. "... Und ich habe für meine Präsentation über die 'Boston Tea Party' 15 Punkte bekommen. Und das, wo unser Geschichtslehrer dafür berüchtigt ist, total streng zu benoten", schloss Ryou begeistert seine Erzählungen und schob sich eine Gabel mit Lachs in den Mund. Sein Vater nickte anerkennend. "So gehört sich das." Dann wandte sich sein Blick auf Bakura. "Was ist eigentlich aus deiner Matheklausur geworden?" "09 Punkte", murmelte Bakura, in sein Essen starrend, wobei er regelrecht spürte, wie missbilligend die Miene seines Vater in diesem Moment war. "Du könntest dich ruhig mal ein bisschen mehr anstrengen. Es ist schon traurig, wenn man bedenkt, dass das die höchste Punktzahl in deiner bisherigen schulischen Laufbahn ist." Ryou blickte vorsichtig von seinem Vater zu seinem Bruder. Bakura tat ihm leid. 09 Punkte war zwar keine Bestnote, aber es war auch nicht gerade eine Note, mit der man sich verstecken musste. Vor allem bei dem schweren Stoff, den Bakura gerade in seiner Klasse durchnahm und dafür, dass er so gut wie nie den Unterricht besuchte, war das schon eine ziemliche Leistung. Wenn auch kein wirkliches Argument. "Mama, das Essen ist wirklich lecker", sagte er dann laut, nur um den sich anbahnenden Streit zwischen Bakura und seinem Vater im Keim zu ersticken. Doch zu spät. "Ich denke, ich strenge mich schon genug an, überhaupt zu diesem Puff hinzugehen und unseren Arsch von Mathelehrer zu ertragen!", murrte Bakura, sichtlich verstimmt und warf seinem Vater einen finsteren Blick zu. Dieser sah aus, als könne er nicht so wirklich glauben, was sein Sohn da soeben von sich gegeben hatte. "Wie bitte?", sagte er drohend und das war eigentlich dieser Tonfall, bei dem seine Söhne früher immer rechtzeitig gemerkt hatten, dass sie lieber sofort still waren, um nicht ein großes Unheil heraufzubeschwören. Doch Bakura dachte gar nicht daran, kleinbei zu geben. "Du hast mich schon richtig verstanden, Alter", sagte er herausfordernd und Kagerou erwiderte in scharfem und deutlich lauterem Tonfall, den Zeigefinger erhoben: "Ich erwarte von dir, dass du sofort dein loses Mundwerk zügelst, sonst setzt es was!" "Pass auf, dass du beim Schreien nicht in dein Essen spuckst!", fauchte Bakura und sprang auf, was sein Vater ihm kurz zuvor gleichgetan hatte. "Jetzt reicht es mir aber!" Kagerou knallte die Faust auf den Tisch. "Geh mir sofort aus den Augen, ich will dich, solange ich hier bin, nicht mehr sehen, du missratenes Drecksbalg!!!" "Kagerou...", versuchte seine Frau sich einzuschalten, doch sie ging gnadenlos in dem Streit der beiden unter. Bakura sah einen Moment so aus, als könne er nicht wirklich fassen, was er da gerade entgegengeschleudert bekommen hatte, dann meinte er: "Schön! Mit so einem Tyrannen wie dir hält es ohnehin kein normaler Mensch aus!" Das war zu viel. Noch ehe Bakura zur Küchentür heraus war, hatte ihm sein Vater hinterher gesetzt und ihn grob am Oberarm gepackt. "Los, sofort raus hier!" "Lass mich los!" Bakura kassierte einen kräftigen Stoß, dann wurde er losgelassen und im nächsten Moment riss sein Vater die Tür auf, nur um mit wutverzerrter Miene zu zetern: "Verschwinde bloß und komm erst wieder, wenn du etwas Anstand gelernt hast!" Dann gab er ihm einen weiteren Stoß, sodass er zur Tür hinaus stolperte und knallte die Tür hinter ihm so laut zu, dass es in den Ohren wehtat. Bakura starrte auf die Tür. Sein Oberarm schmerzte noch an der Stelle, an der Kagerou ihn so grob angefasst hatte. Jetzt stand er hier in Strümpfen, Jogginghose und T-Shirt und ärgerte sich maßlos darüber, dass er seinem Vater nicht einfach mächtig eine verpasst hatte. Langsam ging er die Treppe des Hausflures hinunter. Warum zum Teufel hatte er sich nicht gewehrt? Sonst hatte er ja auch keine Probleme damit, Leute zu verprügeln, warum also ausgerechnet bei dem Typen, der es am meisten auf der Welt verdient hatte? Und jetzt hatte er nicht mal Zigaretten, um sich abzureagieren. "Scheiße!", fluchte er und schlug wütend gegen die nächste Mauer, nur um daraufhin erneut zu fluchen, da das verdammt wehgetan hatte. "So eine verfickte Drecksscheiße!" Und Ryou ... hoffentlich ließ sein Vater seine Aggressionen nicht an ihm aus. Es war zwar eher unwahrscheinlich, aber mittlerweile traute er diesem Menschen alles zu. Als die Tür zugeschlagen war und Kagerou sich wieder an den Tisch setzte, herrschte drückendes Schweigen. Schließlich fasste Sharon sich ein Herz und sagte leise: "Liebling, du hättest ihn nicht gleich rausschmeißen müssen. Wir hätten doch später über alles in Ruhe reden können. Glaubst du nicht, dass du etwas grob warst?" Kagerou schnaubte nur. "Sharon, wenn du dir mit der Erziehung bei ihm etwas mehr Mühe gegeben hättest und deine Zeit nicht nur darauf verwendet hättest, Ryou zu verhätscheln, dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen! Und jetzt möchte ich in Ruhe mein Abendessen genießen." Sharon zuckte zusammen, sagte aber sonst nichts mehr und Ryou fühlte sich unbehaglicher denn je in seiner Haut. Der Abend hatte so schön angefangen und so furchtbar geendet. Seine Gedanken waren bei Bakura. Das war doch nicht fair. Trüb blickte er auf seinen Teller. Der Appetit war ihm irgendwie vergangen, doch er zwang sich aufzuessen, um seinem Vater keinen weiteren Grund für irgendwelche Anschuldigungen zu liefern. Der Rest des Essens wurde mit eisigem Schweigen verbracht. Und später am Abend, als sein Vater es sich vor dem Fernseher mit einer Flasche Bier gemütlich gemacht hatte, hörte Ryou seine Mutter in der Küche weinen. Doch Ryou ließ es keine Ruhe. Er machte sich Sorgen um Bakura. Nicht etwa aus dem Grund heraus, dass ihm etwas zustoßen sein konnte, aber der Ältere neigte manchmal wirklich dazu, irgendeine Scheiße anzustellen, nur um sich abzureagieren und ein Ventil zu finden. Er lauschte; im Wohnzimmer dudelte noch der Fernseher und seine Mutter war offenbar zu Bett gegangen. Auf leisen Sohlen schlich er hinaus und schloss die Haustür hinter sich. Dann lauschte er ein weiteres Mal, um festzustellen, ob jemand etwas bemerkt hatte und schlich sich dann mit klopfendem Herzen das Treppenhaus hinunter. Er hatte so etwas noch nie gemacht. Etwas, das seinen Eltern vielleicht missfallen könnte. Aber gerade im Moment war es ihm herzlich egal. Wenn man es so bedachte, dann hatte ihm Bakura schon immer näher gestanden, als seine Eltern. Seine Eltern waren seine Eltern, aber Bakura ... Wieder dieses elende Gefühl, als er an neulich dachte. Er hatte so eine vage Vermutung, wo Bakura stecken könnte. Wenn er so aufgebracht war wie jetzt, dann war er nicht gerne unter Leuten, also konnte er seine Freunde schon mal knicken und da gab es einen Ort, der ziemlich wahrscheinlich war: Der verfallene Spielplatz in ihrer alten Wohngegend. Er wusste nicht, wieso, aber aus einem unerfindlichen Grund zog es Bakura in solchen Momenten dorthin. Jetzt blieb noch zu hoffen, dass er Glück hatte - und dass seine Eltern in der Zwischenzeit nicht merkten, dass er verschwunden war, das würde nämlich mächtig Ärger geben. Es war ihm verboten, nach 20 Uhr noch nach draußen zu gehen. Das hatte zwar weniger den Grund, dass seine Eltern ihn übermäßig behüten wollten, auch wenn das vielleicht auch ein kleiner Faktor war, sondern mehr, dass er sich nicht irgendwo herumtrieb, wenn er genauso gut für die Schule lernen konnte. Ryou hatte beschlossen, zu laufen, da der Bus erst in einer halben Ewigkeit fuhr und da hätte er mit Sicherheit schon die halbe Strecke hinter sich gebracht. Es war inzwischen dunkel, als er an dem verlassenen Ort anlangte. Ein Schild war aufgestellt worden: "Betreten auf eigene Gefahr", welches an einem rostigen Zaun halb herunter hing. Ryou drückte das lose Tor vorsichtig zur Seite. Es quietschte leise. Ein bisschen mulmig war ihm schon - was, wenn Bakura gar nicht hier war? Ryou lief ein paar Schritte - doch dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. Auf einer der Schaukeln konnte er schwach eine Gestalt erkennen und das Glühen einer Zigarette. "Bakura!", rief er, freudig darüber, dass er ihn gefunden hatte und lief zu ihm hin und der Angesprochene hob überrascht den Kopf. "Was zur Hölle hast du hier zu suchen?", herrschte er Ryou an, welcher ihm um den Hals fiel und sich durch den groben Tonfall seines Bruders nicht ins Boxhorn jagen ließ. "Na was wohl, dich suchen", ertönte es vorwurfsvoll, während Ryou ihn langsam wieder los ließ. "Ich hab mir Sorgen gemacht." "Beschwer dich beim Alten, ich bin ja nicht freiwillig gegangen." Ryou wirkte betrübt und nahm auf der Schaukel neben Bakura Platz. "Ist lange her, dass wir zusammen hier waren", sagte Ryou schließlich wenig später in die Stille hinein. Bakura brummte und wandte verstohlen den Blick zur Seite, um Ryous Profil zu betrachten. Das Licht des Mondes wurde leider durch die Lichter der Stadt verschluckt, aber das fahle Licht der Straßenlaternen ließ die makellose Haut gespenstisch weiß schimmern. Er schluckte und bekam plötzlich kein Wort mehr heraus. "Ryou ..." Der Jüngere sah ihn aufmerksam an. "Wie zum Teufel hältst du das alles aus?" "Was meinst du?", fragte selbiger verwirrt. Bakura stieß sich ab, schaukelte ein-, zweimal vor und zurück und ließ sich dann von der Sitzfläche zu gleiten, um auf den Füßen zu landen. Dann warf er seine Kippe weg und drehte sich um. "Ich meine diese ganze Scharade. Immer das tun, was andere von einem erwarten. Den Stereotypen des braven Vorzeigesohnes erfüllen. Diese ganze Lernerei, diese ganze Schufterei, wozu das alles?" Ryou hatte die Lippen einen Spalt geöffnet, wusste aber nichts zu sagen. "Wir könnten ... alles haben, nein, alles sein, was wir wollten, wenn wir uns nicht immer wieder unterdrücken lassen müssten. Wenn man uns nur die Chance geben würde, wenn ..." Er stockte, wusste nicht weiter. "Manchmal find ich diese Welt hier wirklich zum Kotzen. Als würd ich wo anders hingehören, in ein anderes Leben..." Bakura versteifte sich kurz, als er plötzlich spürte, wie sich Ryous Arme von hinten um ihn wanden. Ryous Stimme klang gedämpft, denn er hatte das Gesicht gegen Bakuras Rücken gepresst. "Ich bin nicht wie du, Kura. Ich hab viel zu viel Angst, dass etwas schief gehen könnte, wenn ich das tue, was ich mir wirklich wünsche. Das ich etwas kaputt machen könnte und das wäre nie wieder zu reparieren. Ich fürchte mich zu sehr vor den Konsequenzen, wenn ich versuchen sollte, aus dem auszubrechen, was ich bin, ich-" Bakura drehte sich mit einem Ruck um und wollte energisch etwas erwidern, doch dann trafen sich ihre Blicke. Auf eine Art, wie sie sich noch nie getroffen hatten und wie sie sich niemals hätten treffen dürfen. Bakuras rechte Hand wand sich um Ryous Nacken, um ihn zu sich zu dirigieren. Und dann küssten sie sich. Einfach so. Als sich ihre Lippen trennten, sah Ryou seinen Bruder mit großen Augen an und brachte kein Wort über die Lippen und jetzt, wo er ihn so ansah, wurde ihm erst klar, was sie da gerade getan hatten. Was er getan hatte. Mit seinem Bruder. "Bakura...", flüsterte Ryou, nicht wissend, was er sagen sollte, sagen wollte. Nicht wissend, was er nun tun sollte. Bakura wandte sich ab. Er wirkte plötzlich, als sei er ganz wo anders. "Wir sollten nachhause gehen, Ryou. Es ist spät. Die machen sich sonst Sorgen um dich." Schweigend gingen sie nebeneinander her, in Richtung der Wohnung. "Bakura...", versuchte es Ryou noch einmal, als sie bereits kurz vor ihrem Ziel waren. Bakura hielt einen Moment inne, dann sagte er: "Das was eben passiert ist ... ist niemals passiert. Es ist besser so." Dann schloss er die Wohnungstür auf. Kapitel 5: .Fäulnis ------------------- "Ich bin so glücklich, Bakura...", murmelte Malik zum wiederholten Male und küsste Bakura auf die Wange. Sie hatten gerade Schule aus. Waren auf dem Heimweg - Bakura hatte Malik, den er nun seinen neuen Freund nannte, bewusst zu sich nachhause eingeladen. Auch wenn er wusste, wie niederträchtig und egoistisch das war. Aber er musste es tun. Musste Ryou wehtun, damit der ihn hasste und sich von ihm abwandte. Denn das, was da vor zwei Wochen gewesen war. Das war zu viel gewesen. Zu stark. Zu intensiv. Zu mächtig. Er kämpfte dagegen an. Er war stark. Er konnte kämpfen. Aber Ryou konnte es nicht. Und deshalb musste er es für sie beide tun, ehe einer von ihnen unglücklich wurde. Und Malik diente dabei als Mittel zum Zweck. Ein schlechtes Gewissen spürte er dabei nicht. Warum auch? So war Bakura Yagizawa, so war er immer gewesen und so würde er auch immer sein. Malik ahnte von dieser Taktik glücklicherweise nichts. Wär wohl ziemlich ungesund für Bakura ausgegangen. "Sag mal, hängst du mit deinem Kopf in den Wolken oder was ist los?" "Ich hab dich schon gehört, ich muss doch nicht auf das fünfte Mal, wo du das sagst, immer noch antworten, oder?" "Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?", fragte Malik überrascht. Bakura schob die Hände in die Hosentaschen. "Nix, schon gut", murmelte er. Ryou ahnte nichts, als er später vom Unterricht nachhause kam. Irgendwie war der heutige Schultag vollkommen an ihm vorbeigezogen. Wie die letzten Tage. Seit diesem einen Abend, der alles verändert hatte. Beziehungsweise ... der es noch schlimmer gemacht hatte. Dieses unendlich drückende Gefühl, wie wenn einem im Inneren ein Ballon anschwoll, der einfach nicht zerplatzen konnte. Er war sich mittlerweile sehr sicher, was er für seinen Bruder empfand. Und es war furchtbar. Es gab keinen Ausweg, als sich dem irgendwie zu stellen. Bakuras Worte hatten ihn verletzt. Nach dem Kuss. Sie hatten wehgetan, weil sie so vernünftig geklungen hatten. Und seine Lippen. Herrisch, erotisch, dominant, anziehend. Begriffe, die er niemals gedacht hätte, mit seinem eigenen Bruder in Verbindung zu bringen. Es war zum Heulen. Schweigsam befand er sich auf dem Heimweg. Normalerweise lief er immer mit Yugi (und neuerdings auch ab und zu mit Otogi), aber den hatte er unter einem Vorwand abgewimmelt. Er wollte alleine sein. Ein leidendes Seufzen verließ seine Lippen. Irgendwie war ihm das Leben immer so herrlich einfach vorgekommen, ehe er gemerkt hatte, was er für Bakura empfand. Bis zu diesem Kuss. Er hatte gute Noten in der Schule, war nicht gerade unbeliebt bei seinen Mitschülern und Lehrern, hatte Eltern, die ihn liebten. Doch seit dem Kuss ... Fiel es ihm neuerdings schwer, mit dem Tempo in der Schule mitzuhalten, da sie sich langsam auf den richtig schwierigen Hochschulstoff zu bewegten und jeder Lehrer der Auffassung war, sein Fach sei das wichtigste, er merkte, dass es auch Schüler gab, die hinter vorgehaltener Hand über ihn lästerten und vor allem fiel ihm neuerdings immer öfter auf, wie sich seine Eltern stritten und wie distanziert sie sich zuweilen am Tisch zueinander verhielten, auch wenn sie sich bemühten, dass ihre Kinder von der deutlichen Anspannung nichts merkten. Ryou war es plötzlich, als hätte er sein halbes Leben hinterm nächsten Stern rechts verbracht und plötzlich vom einen Tag auf den anderen feststellen müssen, dass er dort nicht mehr bleiben konnte, da er langsam erwachsen wurde. Und Erwachsenwerden brachte scheinbar wirklich eine Menge Probleme mit sich. "Ich krieg noch die Krise", murmelte er vor sich hin und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Aber die einzige Lösung sah er momentan darin, dass er vielleicht erstmal mit Bakura sprach. Der hatte zwar gesagt, dass sie das totschweigen sollten, aber irgendwie ... passte Ryou das nicht. Dass er mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen vielleicht schon weiter war als Bakura es war, kam ihm dabei nicht in den Sinn. Wenig später schloss er die Wohnungstür auf. Der Fernseher im Wohnzimmer dudelte, also war logischerweise jemand zuhause. Er lief ins Wohnzimmer, um zu seinem Zimmer zu gelangen, doch plötzlich stockte er. Und starrte. Malik hatte überrascht aufgesehen und Bakura war seinem Blick gefolgt, wohl etwas missmutig, dass sie das Küssen hatten unterbrechen müssen. Bakura wirkte mehr genervt, während Malik verlegen grinste. "Hey, Honigbacke", meinte Letzterer. "Sorry, wir wollten uns hier nicht so ausbreiten..." Bakura rollte mit den Augen. "Doch, wollten wir", kommentierte er trocken und mied demonstrativ Ryous Blick. Demonstrativ? Oder konnte er ihn nur nicht ansehen? Wollte er nicht? Wahrscheinlich hatte er Angst. Angst vor dem, was er in Ryous Gesicht sehen würde, wenn er ihn ansah. Wahrscheinlich Verständnislosigkeit. Verletztheit. Als ob in ihm irgendetwas zerbrochen wäre. Bakura sah ihn nicht an. Hörte nur die Tür schlagen. Aber er hatte gespürt, wie Ryou ihn angesehen hatte. Und er fühlte sich wie das größte Arschloch auf Erden. Er war so wütend. So wütend! So unendlich wütend!!! Oh, er hätte ihm den Hals umdrehen sollen. Malik. Bakura. Am besten allen beiden. Obwohl Malik ja so gar keine Ahnung hatte, was mit Ryou los war und er ihm rein neutral betrachtet keinen Vorwurf machen durfte. Aber ein Mensch mit einem gebrochenen Herzen dachte weder neutral noch rational. Der wollte einfach nur Erlösung. Oder er wollte Rache. Es war erstaunlich, wie schnell sich in Ryous Kopf ein Vorhaben bildete, wie schnell sein Denken plötzlich von naiv und freundlich in egoistisch berechnend umschlug. Er musste vergessen. Verdrängen. Und Bakura eins reinwürgen. Versuchen, ihm irgendeine Reaktion zu entlocken. Wenig später klingelte er an Otogis Tür. "Hey", meinte er atemlos, als dieser öffnete, "kann ich reinkommen?" "Öh klar, warum nicht, du bist mir immer willkommen", antwortete Otogi mit einem Grinsen und drückte hinter Ryou die Tür wieder zu. "Willst du irgendwas trinken?" Ryou ließ sich auf der Couch in Otogis Zimmer nieder und schlug die Hände vors Gesicht. "Im Moment will ich eigentlich nur heulen", kam es dumpf dahinter hervor. Der Schwarzhaarige zog die Augenbrauen hoch und ließ seinen Blick kurz über Ryou gleiten. "Magst du vielleicht ein Glas Rotwein? Meine Mutter hat noch einen offen, sie ist jetzt aber eine Woche weg, wär also schade, wenn er schlecht wird." Ryou sah auf. Überlegte kurz und nickte dann. "Klingt gut", sagte er leise. Wenig später nippte er an dem halbvollen Rotweinglas, schwenkte es dann ein bisschen. Otogi hatte den Fernseher angemacht, welcher leise nebenbei etwas lief, nur damit es nicht ganz so still war. Draußen wurde es schon dunkel. Triviale Dinge, die man feststellte, wenn man andere Dinge verdrängen wollte. "Was ist los mit dir, Ryou?", hakte Otogi schließlich nach, als Ryou keine Anstalten machte, von selbst zu sprechen. Der Weißhaarige seufzte. "Ich ..." Stockte. Er konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Stattdessen kamen ihm plötzlich die Tränen und um das zu überspielen, trank er mit einem Zug das Glas in seinen Händen leer. "Ich hasse es!", platzte es schließlich aus ihm heraus. "Zu sein, wer ich bin! Ich wünschte, ich wäre jemand anders, jemand ... jemand anders!" Otogi war näher an ihn herangerutscht. Nahm ihn in die Arme und dann ... spürte Ryou, wie weiche Lippen die Spuren seiner Tränen nachzogen, spürte den Trost, den man ihm dadurch entgegenbrachte und schließlich war Ryou es, der den anderen zuerst küsste. Verzweifelt, einsam, bittend. Um Otogis Lippen schlich sich ein Lächeln und er löste sich kurz, um in Ryous schimmernde Augen zu sehen. "Wow", murmelte der Schwarzhaarige leicht, "wow, Ryou, also du überrascht mich wirklich ..." Dann fasste er Ryou zärtlich im Nacken und küsste ihn auf die heiße Stirn. "Ryou, ich ... will was von dir und ich weiß nicht, was. Und, wenn du mich jetzt machen lässt, dann kann ich echt für nichts garantieren, ich hoffe, das ist dir klar?" Ryou nickte, sah ihm dabei direkt in die Augen. Und dann spürte er ihn. Überall. Seine Lippen. Auf seiner Haut. Dort, wo Bakuras Lippen sein sollten. Seine Hände. Die sich lüstern in seinen Körper krallten. Die ihn anfassten. Dort, wo Bakura ihn anfassen sollte. Sein Körper. Schwer auf seinem. Dort, wo Bakuras Körper sein sollte. Ryou gab sich dem hin. Es musste sein. Es musste. Er musste vergessen. Vielleicht, wenn er sich so sehr hineinsteigerte, dass er es wollte, dass er vielleicht sogar Gefühle für Otogi entwickeln konnte, dann ... würde vielleicht alles gut. Ryou entspannte sich, als er die Lippen an einer von Lippen bisher unberührten Stelle spürte. Gab sich dem Gefühl hin. Konzentrierte sich einzig darauf. Stöhnte leise, wonnevoll. Ryou schrie nicht vor Schmerzen auf, als Otogi in ihn eindrang, obgleich es sehr wehtat. Er begrüßte den Schmerz wie einen Freund. Einen Freund, der gekommen war, um ihn zu retten vor dieser grausamen Selbstkasteiung, die ihn seine Gefühle für seinen Bruder durchmachen ließen. Der Schmerz brannte heiß in ihm. Heiß und grell und unwiderruflich. Irgendwann sah er Sterne. Spürte nur Schmerz und verzweifelte Lust. Und er kam. Kam, mit einem bittersüßen Schrei auf den geschwollenen Lippen und beinahe wäre es Bakuras Name gewesen, den er herausgeschrien hätte. Aber er war es nicht. Würde es nie sein. Er hatte seine Unschuld verloren. Und musste nun nie wieder die traurige Hoffnung haben, dass Bakura, den er so viel mehr liebte wie einen Bruder, der einzige sein würde, der ihn jemals berührte. Es machte es erträglicher. Der Ballon war geplatzt. Wenig später, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, ruhte Ryou in Otogis Armen. Auch wenn er keine Gefühle für ihn hatte, fühlte er sich wohl, fühlte er sich getröstet und nicht allein. Und er wusste, dass er sich schlecht fühlen musste, weil er Otogi im Grunde nur egoistisch ausnutzte, aber er tat es nicht. "Oh Mann, dein Bruder wird mich umbringen, wenn er davon erfährt", murmelte Otogi schließlich belustigt und pflanzte Ryou einen spielerischen Kuss auf die Schläfe. Ein finsteres Lächeln erschien auf Ryous Gesicht. Ja, vielleicht würde er das. Im Grunde war Ryou gespannt auf die Reaktion Bakuras. Er würde es ihm zwar nicht unbedingt auf die Nase binden, das wäre zu auffällig, aber was einem rausrutschte, rutschte einem raus. Von diesen Gedanken ließ er nichts an die Oberfläche dringen. Stattdessen meinte er scheinheilig: "Meinst du, er ist böse?" "Wenn, dann nur auf mich, Honeybee, mach dir keine Sorgen. Ich steck das schon weg. Außerdem muss er es ja nicht sofort erfahren. Wobei es mir eigentlich egal ist. Wie ist es mit dir?" Ryou zuckte nur mit den Schultern. Dann schwiegen sie eine Weile. Schließlich sagte Ryou in die Stille hinein: "Ryuji?" "Mh?" "Hast du ... schon mal jemanden so sehr geliebt, dass du dachtest, du bekommst keine Luft mehr?" "Du stellst vielleicht Fragen ..." "Hast du?" "Hm ... Also ... Es gab da mal ein Mädchen, mit dem ich ein Jahr zusammen war. Irgendwann hab ich rausgefunden, dass sie mich beschissen hat und das war ... ja ... richtig schlimm, ich dachte, ich krepier. Aber das ist lang her. Wieso fragst du das?" Abermaliges Schulterzucken. "Nur so." "Benutzt du mich etwa gerade als Ablenkung, weil du deine einzig wahre Liebe niemals kriegen kannst?", ertönte es dann belustigt und Ryou zuckte zusammen. "Ha, hab wohl ins Schwarze getroffen." Ryou schwieg betreten. "Hasst du mich jetzt?" Otogi reckte sich ein wenig und biss Ryou zärtlich in den Hals. "Quatsch ...", knurrte er leise. "Das macht es nur umso reizvoller, dich für mich zu gewinnen. Und wenn nicht ..." Er sog genüsslich den Duft von Ryous Haar ein. "Dann bilde ich mir immer noch ein, derjenige zu sein, der dich entjungfert hat. Und den Kerl, der einen entjungfert hat, den vergisst man so schnell nicht mehr." "Ryou!" Ryou schloss die Augen. Jeder, nur nicht der. "Hey, Malik", antwortete er neutral. "Mensch, wo warst du denn so lange, wir haben uns echt Sorgen gemacht!?" Ryou war eine Woche lang nicht in der Schule und auch nicht zuhause gewesen. "Ist das nicht meine Sache?" Malik sah ihn verwirrt an. "Sag mal, hab ich dir irgendwas getan?" Klang er etwa verletzt? Es war Ryou egal. "Nein, wie kommst du darauf?", knurrte er leise und lief unbewusst ein bisschen schneller Richtung Schulgebäude. "Naja, lass mich überlegen - du meldest dich nicht mehr bei mir und jetzt, wo wir uns nach einer Woche wieder sehen, bist du so abweisend zu mir. Ryou, was soll das?" Malik hatte sich vor ihm aufgebaut und ihn an den Schultern gepackt, damit er nicht weitergehen konnte und sich ihm stellen musste. Ryou mied seinen Blick. "Ich sagte doch, es ist nichts, das bildest du dir ein. Lässt du mich jetzt bitte los?" Aber Malik dachte nicht daran. "Ich glaub dir nicht", sagte er schlicht. Dann wirkte er, als ginge ihm ein Licht auf. "Ist es, weil ich jetzt mit Kura zusammen bin? Oh, Ryou, du musst doch nicht eifersüchtig sein, Kura hat dich doch jetzt als Bruder nicht weniger lieb!" "Hör gefälligst auf, ihn dauernd Kura zu nennen!", fauchte Ryou so plötzlich, dass Malik ein, zwei Schritte zurückstolperte und beschwichtigend die Hände hob. "Wie kommst du eigentlich dazu, hier einfach aufzutauchen und dich in unser Leben einzumischen, geh doch zurück in dein beschissenes Ägypten!" Dann dampfte er wütend ab und ließ einen sehr verwirrten Malik zurück. Und Malik wusste, dass er eigentlich wütend und verletzt sein sollte, aber da er nun mal der war, der er war, begann er vielmehr, sich Sorgen zu machen. So hatte er Ryou nicht kennengelernt. Seit er Ryou kannte, hatte er nie mitbekommen, dass er jemals einem anderen gegenüber ausfallend geworden wäre, schon gar nicht einem von seinen Freunden. Nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkauend setzte er sich selbst wieder in Bewegung. Ob Ryou vielleicht irgendetwas passiert war, in der Zeit, in der er jetzt in der Schule gefehlt hatte? War ihm etwas zugestoßen, das ihn so verändert hatte? Oder ... plötzlich traf ihn die Erkenntnis. War Ryou vielleicht in ihn verliebt? Das würde zumindest ziemlich viel erklären. Auch wenn es logischer wäre, wenn er auf Bakura losgegangen wäre, aber es wäre durchaus denkbar. Wenn man verliebt war, verhielt man sich nicht immer logisch und rational. Und Malik hatte nichts gemerkt. Und war jetzt mit Ryous Bruder zusammen. Stöhnend fuhr er sich durch die Haare. "Malik Ishtar, du weißt wirklich, wie man sich in einer neuen Stadt Freunde macht und sie in kürzester Zeit wieder vergrault..." Und als wäre das nicht genug, als würde Ryou nicht selbst schon an seinem eigenen schlechten Gewissen zugrunde gehen, wurde er auch noch zuhause von Bakura zur Rede gestellt. "Kannst du mir mal sagen, was das heute Morgen mit Malik sollte?!" "Ich kann vieles, Bakura, ob ich will, ist eine andere Sache", sagte Ryou leise, doch mit einer Eiseskälte in der Stimme, die sogar den Älteren der Bruder überraschte. "Wenn du mich entschuldigst, ich habe Hausaufgaben, um die ich mich kümmern muss." Doch er ließ ihn nicht gehen. Packte Ryou grob am Handgelenk. "So nicht! Ryou, was ist eigentlich los mit dir, ich erkenne dich gar nicht wieder!", knurrte Bakura bedrohlich. "Du tust mir weh, zur Hölle!", sagte Ryou laut und gereizt und riss sich von Bakura los - welcher im nächsten Moment abermals nach Ryous Handgelenk grabschen wollte. Da holte Ryou aus und schlug ihm mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, mitten ins Gesicht. Bakura war so baff, dass er nicht mal mehr sauer werden konnte, sondern einfach nur losließ und seinen kleinen Bruder verblüfft anstarrte. "Was zum ..." "Ganz ehrlich, Bakura, wundert es dich SO SEHR?" "Ich verstehe nicht ..." "Schwer von Begriff warst du ja immer schon, aber so wie du dich verhältst, ich- Bakura, du kannst mich nicht einfach so küssen und dann mit Malik zusammen sein! Das geht nicht! Das kannst du mir nicht antun!" Bakura blinzelte, wirkte immer noch perplex und das, was Ryou sagte, mochte in seinem Kopf nicht wirklich einen Sinn ergeben. Tatsächlich hatte er die Geschichte mit dem Kuss fast schon komplett sehr erfolgreich verdrängt. Ryou wartete darauf, dass Bakura etwas sagte, als dieser aber keine Anstalten machte - entweder weil er keine Worte fand oder weil er nichts zu sagen hatte - fuhr er sich durch die Haare und schlug wieder einen einigermaßen neutralen Tonfall an. "Ich hab mit Otogi geschlafen." Grabesstille. Und plötzlich war es Bakura, in dem eine eiseskalte, unbändige Wut anschwoll. "Du hast was getan?", knurrte er und Ryou bekam für einen Augenblick tatsächlich Angst. Fing sich jedoch bald wieder und entgegnete trotzig, grinsend: "Ich versuch es mal in deiner Sprache: Otogi hat mich gefickt. Und, OH GOTT, es war so GUT! Ich würde mich jederzeit wieder von ihm ficken lassen, er hats mir so richtig besorgt-" "Halt die Schnauze!", schrie Bakura plötzlich auf, in der doppelten Lautstärke, und diesmal war er es, der ihn schlug. Heftig. Stark. Erbarmungslos. Ryou riss es den Kopf zur Seite und er stolperte. Fing sich wieder. Spürte, dass er es verdient hatte. Benommen. "Wie kannst du nur so stolz darauf sein, so eine kleine Drecksschlampe geworden zu sein!?", setzte er nach und in seiner Miene war kein Erbarmen, da war kein Mitleid. Nur Kälte. Und Zorn. Getrieben durch Eifersucht. Ryou zitterte, gleichsam vor Wut wie vor Angst. Zu Bakuras Überraschung lächelte er und es war das Lächeln eines gefallenen Engels. Blutspritzer entstellten die sonst so makellose Haut. "Was macht mich jetzt so anders als dich, Bakura? Was? Was tust du denn die ganze Zeit? Du hurst rum. Du hurst richtig übel rum. Bakura, DU bist das Miststück, du allein. Erzähl mir doch nicht, dass du Gefühle für Malik hast, denn jemand wie du kann keine Gefühle empfinden. Und ihn quälst du genauso wie mich. Nur dass es mich erschreckt, wie egal es dir geworden zu sein scheint, wie du mit mir umspringst. Bakura, du bist sowas von zum Kotzen." Ryous Stimme brach und er wandte sich ab. Weil er sich plötzlich so schwach fühlte. Ekelhaft schwach. Den ganzen Mut, den er vorhin aufgebracht hatte, hatte er verbraucht. Jetzt war da nur noch Leere. Ihm war kalt. Bakura öffnete ein paar Mal den Mund, um etwas zu sagen. Schloss ihn dann wieder. Er fand keine Worte. Vielleicht das erste Mal in seinem Leben. "Dein Schweigen sagt alles", murmelte Ryou und wandte sich ab. "Halt, warte", hörte sich Bakura sagen, ohne zu wissen, was er sagen wollte. Ryou blieb stehen, sah sich aber nicht um. "Was?" Bakura presste die Lippen aufeinander. “Ryou ... nicht Otogi.” “Wieso nicht? Nenn mir einen guten Grund. Du hast Malik, ich habe Otogi. Wir sollten beide glücklich sein. Hey, Malik ist wirklich bis über beide Ohren verliebt in dich, das ist ein Grund, sich zu freuen.” Bakura schüttelte langsam den Kopf. “Du verstehst nichts”, sagte er. “Rein gar nichts.” Dann drehte er sich um und ging und tat damit das Gegenteil von dem, was er eigentlich hatte tun wollen. Gott, wie sehr er sich in diesem Moment selbst hasste. Die Tage vergingen, ohne dass irgendetwas geschah. Die Tage wurden zu Wochen. Seltsamerweise verbesserte Bakura sich in der Schule, während Ryou immer öfter fehlte und immer weiter absackte. Er ertrug es nicht. Konnte es nicht ertragen, Bakura, der immer noch so tat, als sei nichts gewesen, mit Malik zu sehen. Er begann zu schwänzen. Begann, zu rauchen. Manchmal mit Otogi zusammen, in dessen Arme er sich jetzt immer öfter flüchtete. Er verstand sich gut mit Otogi. Er mochte das Gefühl, begehrt zu werden, das dieser ihm gab, wenn sie zusammen waren. Auch wenn er Otogi klar gemacht hatte, dass er wohl niemals würde Gefühle für ihn aufbringen können. Aber dem war das egal. Er fand, Ryou war gut im Bett und solange er mit ihm fickte, tröstete ihn das über fehlende Gefühle hinweg. Ryou verdrängte das Gefühl, dass sich anfühlte, als würde er von innen verfaulen. Er hörte auf, sich auszumalen, wie es wäre, wenn er und Bakura ... Das war zu fantastisch, als dass es jemals wahr würde. Sein 16. Geburtstag verging, ohne dass sich groß etwas änderte, ohne, dass er sich jetzt erwachsener fühlte. Nur kälter fühlte er sich und toter und plötzlich, jetzt wo er es drauf anlegte, schauten ihm die Kerle immer häufiger hinterher. Und manchmal, gelegentlich, da ließ er sich auch von jemand anderem ficken als von Otogi. Hinter Bakuras Rücken. Es war ihm egal, ob er es merkte oder ob nicht. Er wollte Schmerzen, er wollte vergessen, er wollte Schmerzen, die stärker waren, als die seines schreienden, klagenden Herzens. Er war ein Mensch und er war schwach. Und er hasste es, er fand es zum Kotzen. Manchmal fragte er sich, was Bakura wohl machen würde, wenn er sich umbrachte? Nicht, weil er unbedingt sterben wollte, einfach nur, um Bakura eins reinzudrücken, der in seiner wundervollen, perfekten Scheinbeziehung mit Malik lebte und sich einen Dreck um ihn scherte und sich dabei wohl auch noch fühlte, als täte er das Richtige. “Ryou, ich mache mir wirklich Sorgen um dich”, sagte Malik bedrückt und strich seinem Freund liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht. Trotzig schüttelte Ryou die Strähne wieder zurück und steckte sich eine Zigarette an. “Magst du mir nicht sagen, was los ist mit dir? Du ziehst dich vor mir zurück momentan.” Ryou zuckte mit den Schultern. “Das bildest du dir ein”, sagte er steif. Nicht ausgerechnet vor Malik wollte er seine Schwäche zugeben. Er hasste Malik auf eine Weise, dass er ihm seinen Bruder und den Geliebten weggenommen hatte, den er niemals haben konnte, aber gleichzeitig mochte er ihn immer noch als Freund, wie er ihn kennengelernt hatte, und dieser Zwiespalt war einfach furchtbar. Er sah sich selbst, sah, wie eklig er sich dem Ägypter gegenüber manchmal verhielt und zwang sich dann oft, etwas netter zu sein. Aber mittlerweile wurde es erträglicher. Jetzt, wo er nicht mehr dauernd an seine Liebe zu Bakura denken musste, wo ihm diese namenlosen Kerle, die ihm nie mehr bedeuteten, als den Fick, den sie ihm schenkten, die Gedanken aus dem Hirn stießen, fiel es ihm leichter. Aber sich Malik öffnen? Niemals. Das könnte er nicht. Er würde es nicht verstehen. Niemand würde das. Und Malik schon gar nicht. “Ich bilde mir mit Sicherheit nichts ein, Ryou”, sagte Malik bestimmt und suchte seinen Blick. Ryou mied ihn. Mochte ihn nicht ansehen. Es gefiel ihm nicht, welche Richtung dieses Gespräch einschlug. “Ryou, ich bin ehrlich, ich hab hier wirklich nicht viele Freunde. Die Japaner sind nun mal ein scheiß-fremdenfeindliches Volk und du warst von Anfang an aufrichtig nett zu mir. Du gibst mir manchmal das Gefühl, als hätte ich dir irgendwas getan, worüber du nicht reden willst, du gibst mir das Gefühl, ein Scheißfreund zu sein, weil ich nicht zu dir durchdringe und ich sehe dann gleichzeitig, wie radikal du dich in den letzten drei Monaten verändert hast, ich meine, gib dir das mal, du rauchst, was Bakura richtig zum Ausflippen bringt, du säufst und mal ehrlich - glaubst du, das hätte nicht die Runde gemacht, dass du neuerdings für jeden, der einigermaßen so aussieht, als hätte er genug Kohle, um dich auf ein paar Drinks einzuladen, die Beine breitmachst - sag mal, bist du dir nicht zu schade irgendwo?” Ryou starrte gerade aus. Mit ausdruckslosen Augen. Rauchte. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er: “Nein.” Malik schüttelte ungläubig den Kopf. Fuhr sich durch die Haare. “Mann, du bist wirklich anstrengend, weißt du das?” “Ich zwing dich nicht, dich mit mir abzugeben”, sagte Ryou leise. Malik schnaubte ärgerlich. “Du weißt genau, dass das so nicht gemeint war, aber du machst es mir wirklich nicht einfach, dich zu verstehen. Ryou, du bist 16, ich will nicht, dass dir irgendwas passiert, wenn du so weitermachst!” Irgendwas passiert. Hm ... Natürlich konnte ihm etwas passieren. Er könnte von einem Auto überfahren werden, irgendjemand könnte ihm Drogen in den Drink schmeißen, ihn entführen, vergewaltigen, ihn mit aufgeschlitzter Kehle in einer Gasse sterben lassen. Ryou kamen plötzlich die Tränen. Aus Selbstmitleid. Und aus Erschöpfung. Er schniefte, versuchte hartnäckig, sie wegzublinzeln. Spürte Maliks Arm, wie der sich um seine Schultern legte, mitfühlend und Trost spendend und Ryou fühlte sich, als habe er diesen Trost nicht verdient, er fühlte sich falsch, als wäre er der schlechteste Mensch der Welt und hätte weiß Gott was verbrochen, er ekelte sich vor sich selbst, aber was? Was gab es für einen Ausweg? Es gab keinen Ausweg? Es gab keinen! Ryou heulte plötzlich. Heulte wie ein Schlosshund, die brennende Zigarette noch in der einen Hand, während er Maliks Oberteil nass heulte und irgendwie gar nicht mehr aufhören konnte. “Malik, es tut mir so leid, was ich neulich zu dir gesagt habe...” Malik sagte daraufhin nichts. Er war ihm längst nicht mehr böse. Er wollte ihn einfach nur verstehen. “Was hast du denn nur ...?”, drang die warme Stimme des Ägypters an Ryous Ohr. Er konnte nicht antworten. Später fühlte er sich noch schlechter. Fühlte sich nicht erleichtert, wie man sich normalerweise nach dem Heulen fühlen sollte. Er fühlte sich schwach und matt und ausgelaugt. Und er machte bald weiter wie bisher. Ließ sich lieblos ficken, trank, rauchte und dann zog er irgendwann mal eine Line Koks, einfach so, dachte sich nichts dabei, traf sich weiter mit Otogi. Und Bakura bekam von alledem tatsächlich kaum etwas mit. Auch nicht seine Eltern. Und plötzlich ... War Ryou verschwunden. Einfach so. Spurlos. Kapitel 6: .Erlösung -------------------- “Wir sollten die Polizei benachrichtigen!” Die Stimme seiner Mutter klang schrill. Schrill und unangenehm vorwurfsvoll in seinen Ohren. Bakura hörte stumpf, was sie sagte. Sie war panisch. Weil Ryou seit einer Woche nicht nachhause gekommen war und sie den Vater nicht erreichte. Ihr keiner seiner Freunde sagen konnte, wo Ryou war. Und Bakura? Dem war es, als hätte sich ein mächtiger, unendlich schwerer Stein auf ihn herabgesenkt. Was war passiert? Sie waren doch eben noch Kinder gewesen. Und dann ... hatte er ihn küssen müssen. Und jetzt, wo er weg war, irgendwo, vielleicht bei einem anderen, oder, schlimmer, ihm war etwas zugestoßen und vielleicht sah er ihn nie wieder, jetzt, jetzt, verdammte Scheiße, wurde ihm klar, was für einen Riesenfehler er gemacht hatte. Er war sich Ryous Bewunderung, seiner Hingabe, seiner Zuneigung seit Kindesbeinen an bewusst und jetzt, wo er ihm entglitt ... Bakura starrte hinaus in den Regen. Und plötzlich vermisste er sie, die Lippen, die er nicht hatte wahrhaben wollen. Die Lippen, die er verleugnet hatte. Die er verstoßen hatte. Ihm wurde speiübel, wenn er daran dachte, zu was er Ryou getrieben hatte. Als er davon Wind bekommen hatte, war es längst zu spät gewesen. Er hatte sich mit Otogi geprügelt und dann hatte der ihm wüst entgegengeschrien, mit wem es Ryou trieb, wenn nicht mit ihm, und da war es Bakura, als risse ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. Er stieß Malik von sich weg, genauso wie es Ryou getan hatte und nun waren drei Personen unglücklicher, als sie es verdient hatten. Bakura öffnete den Mund, er hatte das Gefühl durch die Nase gerade nicht genug Luft zu bekommen. Ihm drehte sich alles. Sein Herz, sein verfluchtes, verkommenes Herz schrie. Es schrie nach Ryou. Und sein Geist schrie ihn an, dass er alles kaputt gemacht hatte. Dass sie Brüder waren, war ihm vom einen Schlag auf den anderen egal. Da war plötzlich nur noch dieses Gefühl, dass sie allein füreinander bestimmt waren, dass niemand sich zwischen sie drängen durfte, niemand. Nur sie beide. Alleine. Gegen Gottes Gebot. Du sollst nicht deinen Bruder lieben wie deinen Gatten. Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einem Weibe. Bakura schnaubte, öffnete das Fenster. Der Himmel war grau. Grau in Grau. Es regnete. Und Ryou war weg. Sein kleiner, unschuldiger, fröhlicher Ryou, verdorben, unbewusst verstoßen und für immer verloren. Er hörte nur dumpf, wie seine Mutter in der Küche telefonierte. Aufgebracht, besorgt, wie es Mütter eben waren. “Ryou...”, sagte er leise. “Warum hast du mir nicht früher gesagt, was für ein Riesenarsch ich bin ...” Ihm war zum Kotzen. Schlicht und ergreifend einfach zum Kotzen. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Bakura so fühlte. So drückend, überwältigend, sehnend. Er war schon längst in den Regen hinausgelaufen, nur im T-Shirt, weil er den prasselnden Regen auf seiner Haut spüren musste, als er in die Stille schrie: “Ryou, verdammt, wo bist du?” Er war überall gewesen. Bei Otogi. Bei anderen Männern. Und dann ... konnte er niemanden mehr sehen und er war einfach gelaufen. Und nicht mehr stehengeblieben. Er wollte nicht nachhause, alles andere egal. Ryou kannte das Stadtviertel nicht, in dem er nun war. Er kannte die Leute nicht, die ihn nun umgaben. Das war angenehm. Nicht gekannt zu werden. Er war gelaufen. Bestimmt schon öfter dieselbe Strecke. Sollte er die Stadt verlassen? Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr. Er wollte weg. Aber ob er aus diesem Leben weg wollte oder nur aus der Stadt, wusste er nicht. Fühlte sich wie ein Neugeborenes, das man aus dem Uterus gerissen und auf die Straße geworfen hatte. Hilflos, schutzlos. Und dann ... kam er zu einer westlichen Kirche. Es gab die ein oder andere in der Stadt. Er blieb stehen und schaute an ihr hinauf. Sie musste wohl erst dieses Jahrhundert gebaut worden sein, war aber einem Barockstil nachempfunden, was sie alt wirken ließ. Er blinzelte, betrachtete die einzelnen Türmchen. Dann ging er die Treppen hoch. Die Türen sahen schwer aus. Drückte dagegen. Sie ging langsam auf. Drinnen war es düster, aber nicht unangenehm düster. Es war kerzendunkel. Ryou machte ein paar Schritte hinein. An einer Seite brannten die roten Totenlichter. Flackerten lautlos und tröstlich. Ryou lächelte unbewusst ein schwaches Lächeln. Dann ging er hin, warf eine Münze in den Sammelkorb und zündete dann selbst eine an. Für wen, keine Ahnung. Vielleicht für sich selbst. Ganz egoistisch für sich selbst. Das letzte Licht in seiner Welt. Es fröstelte ihn. Dann trat er auf den Mittelgang und ging langsam durch das Kirchenschiff nach vorne zum Altar. Auf dem Altar brannten große, weiße Kerzen mit zarten, goldenen Verzierungen. Die Kirchenbilder an der Seite zeigten den Kreuzgang. Ryou schüttelte den Kopf, dann sah er, am Altar angekommen, nach oben. Der Christus am Kreuz. Ihm versagten die Knie und er sank auf den Altarstufen nieder. Tränen füllten seine Augen und er faltete die Hände, um zu beten. Ein stummes, ungehörtes Gebet. Er bat um Verzeihung. Für alles. Dass er so geworden war. Dass er so unendlich liebte. Dass er sich dieser Liebe nicht erwehren konnte und dass er so schwach war, davonzulaufen. “Verzeih mir”, schluchzte er immer wieder leise, “verzeih mir, verzeih mir doch irgendwer ... Ich kann nichts anderes tun, als ihn zu lieben und wenn ich dafür sterben soll, ich kann es nicht ...” Bakura wusste nicht, wo er ihn suchen sollte. Er wusste nur, dass er ihn finden wollte. Ihm begreiflich machen wollte, dass ... ja, was? Dass er doch zu ihm gehörte? Dass ihm plötzlich alle Konventionen egal waren? Waren das nicht seine eigenen Worte gewesen, damals auf dem Spielplatz als Ryou ihn heimgeholt hatte? Ein Stich. Wenn er es so bedachte, dann war Ryou es immer gewesen, der Einzige, der ihn je heimgeholt hatte. Der Einzige, der das Licht gehalten hatte, wenn er drohte, sich zu verlieren. Und er hatte ihn im Laufe der Jahre immer weiter von sich weggestoßen und sich plötzlich wundern müssen, wie fremd er ihm geworden war. Aber warum? Warum hatte er ihn weggestoßen? Vielleicht weil er im Grunde seines Seins schon immer gespürt hatte, dass das nicht alles war, was zwischen ihnen war? Einfache, naturgegebene Bruderliebe? Inzest ... Ja, das kam vor, er selbst hatte es nie verurteilt, im Grunde hatte er nie jemanden verurteilt. Aber als Mann mit seinem eigenen Bruder? War so was überhaupt schon vorgekommen? Hatte so etwas überhaupt eine Chance? Nein. Wenn er ehrlich war, nein. Zumindest wenn man die Vernunft fragte. Wenn man das Herz fragte, hörte man ganz andere, erstaunliche Antworten. Ein Herz, von dem Bakura nicht gewusst hatte, dass er es besaß. Im Grunde hatte er es genauso gemacht wie Ryou momentan. Er hatte sich durch die Gegend gevögelt, um zu vergessen, was er wirklich empfand. Und es war ihm gelungen. Nein, er war sogar noch einen Schritt weitergegangen und war bewusst eine Beziehung eingegangen mit einem Jungen, für den er zwar Sympathien hegte, den er aber nicht liebte. Wie egoistisch. Er musste mit Malik Schluss machen. Würde ihm einfach irgendeinen Mist auftischen. Dessen Gefühle waren ihm gerade herzlich egal. Alles, was ihn interessierte war, Ryou wiederzufinden. Ihn in die Arme zu schließen. Ihn zu riechen. Ihn zu spüren. Ihn zu küssen. Es war längst Abend geworden, während er so ziellos und langsam ziemlich hoffnungslos durch die Stadt lief. Und kalt war es geworden. Ryou wurde leicht krank. Hoffentlich ging es ihm gut. Bakura knurrte. Der Knirps konnte doch nicht auf sich selbst aufpassen. Er hatte es sich doch vor unendlich vielen Jahren geschworen, immer auf ihn aufzupassen, dieses Versprechen konnte er doch jetzt nicht einfach brechen, zur Hölle. Wut stieg hoch in ihm. Heiß und ohnmächtig und er wünschte sich, dass ihm jemand blöd käme, nur damit er einen Grund hatte, sich zu prügeln und sich abzureagieren. Plötzlich stieß Bakura einen Schrei aus und schlug mit der nackten Hand gegen eine Steinmauer. Haut platzte auf, Blut rann über die Knöchel, seine Hand fühlte sich taub an. “Mist”, fluchte Bakura leise, als ihm eine Idee kam. Es war sehr unwahrscheinlich, denn wenn Ryou nicht gefunden werden wollte, dann würde er sicher nicht zu so einem Ort gehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Ryou sich in irgendeiner Bar aufhielt, oder sich bei jemandem herumtrieb. Er wusste nicht, wieso er das wusste, aber er wusste es. Früher hatten sie sich manchmal gegenseitig gespürt oder hatten sich das vielleicht gerne eingebildet. Jahrelang hatte Bakura das schlichtweg vergessen, doch jetzt ... Ein schnaubendes Lachen kam ihm über die Lippen. Anstatt diesen Ort aufzusuchen, beschloss er, der nächsten Bar einen Besuch abzustatten. Es führte ja doch zu nichts. Und so wollte und konnte er seiner Mutter unmöglich unter die Augen treten. “Ich krieg ‘nen Kurzen. Egal was, Hauptsache er ist stark.” Die Barfrau nickte und stellte ihm kurz darauf zwei Gläser mit teurem Wodka vor die Nase. Ließ ihn dann wieder in Ruhe. Scheinbar kamen hier nur Leute her, die für sich sein wollten. Bakura starrte die klare Flüssigkeit vor sich an, während sein bisheriges Leben an ihm vorbeizog. Dann kippte er den ersten rein, als er bei seiner Teenagerzeit angelangt war und den zweiten, als er da war, wo sein Vater ihm das erste Mal eine reingehauen hatte. Ryou hatte nie etwas davon erwähnt, dass er auch je von ihm angefasst worden war, aber was wenn doch? Wieso hatte er plötzlich solche Gedanken? Waren sie gekoppelt an die Schuldgefühle, die er jetzt hatte? Die immer stärker wurden? Wenn er jetzt erst bemerkt hatte, dass Ryou sich durch die Gegend vögelte, rauchte und soff, war es da nicht sehr wahrscheinlich, dass Bakura auch etwas übersehen haben könnte, was sich direkt vor seiner Nase abgespielt hatte? Und Ryou hatte natürlich nichts gesagt, wie er nie etwas gesagt hatte und ja, Ryou hatte Recht mit allem, er brauchte sich kein Stück über diesen Ausbruch wundern, den der Jüngere gehabt hatte, er war wohl längst überfällig gewesen. Er trank noch einen Schnaps und stand dann in einem unbemerkten Moment auf, ohne zu bezahlen. Jetzt spürte er die Kälte nicht mehr ganz so sehr. Er hatte ja nicht viel getrunken, aber es war jetzt angenehmer. Bakura beschloss, nun doch den Spielplatz aufzusuchen und, wenn er ihn dort nicht fand, es endgültig gut sein zu lassen. Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben und den Blick auf den Boden gerichtet, suchte er langsam seinen Weg zu dem vertrauten Ort. Und ... er fand ihn. Ryou saß auf einer Schaukel. Genaugenommen auf derselben, auf der Bakura gesessen hatte. Hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte darauf. Ryou sah auf, als Bakura näher kam, öffnete den Mund leicht überrascht. Bakura starrte ausdruckslos auf ihn herab, dann ... riss er ihn hoch und - schlug ihn. Mit der flachen Hand ins Gesicht. Es war die Anspannung, die Angst, der Zorn über sich selbst und alles andere, was sich in ihm entlud und kaum hatte er sich gesammelt, sah er sich selbst Ryou an den Schultern packen, er kam ihm mit dem Gesicht ganz nahe, sah, wie gerötet es war von dem Schlag und im selben Moment tat es ihm leid. “Ryou, du kannst doch nicht einfach so abhauen!”, sagte er, doch seine Stimme klang weniger böse als sie klingen sollte. Ryous Lippen waren immer noch leicht geöffnet, als fände er keine Worte. Die Ohrfeige hatte er kaum gespürt. “Ich liebe dich, Bakura”, sagte er dann und sah ihm direkt in die Augen dabei, “ich liebe dich.” Bakura schloss die Augen nach diesen Worten, sank in sich zusammen, hielt ihn aber immer noch fest bei den Schultern. “Ryou, du ... bist so dumm”, dann küsste er ihn. “Du bist so unendlich dumm!” Küsste ihn abermals, ließ dann ab und fragte leicht atemlos: “Warum zitterst du denn nur so?” Ryou lächelte nervös, eine Träne rollte über sein Gesicht, weil ihn seine Gefühle überwältigten. “Du zitterst doch selber...” “Oh...” “Idiot.” “Ryou...” “Bitte sag mir, dass du mich auch liebst, Bakura. Bitte ...” “Ich liebe dich auch”, flüsterte er gegen das kristallene, weiße Haar, das diesen Duft barg, der ihm so kostbar war, und dann küssten sie sich abermals und als sie es jetzt taten, taten sie es als Liebende. Bakura fasste Ryou bei der Hand und Ryou erwiderte den leichten Druck. Er führte ihn nicht nachhause. Er wollte mit ihm schlafen. Jetzt. Er wollte ihn so sehr. Aber doch nicht zuhause. Da wartete seine Mutter darauf, dass er ihn nachhause brachte. Er hatte den Schlüssel von seinem Cousin Akefia, da die Brüder diesem versprochen hatten, während dessen Urlaubes seine Pflanzen zu gießen und sich um die Post zu kümmern. Die Tür schlug sacht hinter ihnen zu. Bakura steckte den Schlüssel ins Schloss, damit man von außen nicht aufschließen konnte. Nicht, dass er damit rechnete, aber sicher war sicher. Sie machten kein Licht an. Küssten sich. Immer wieder. Zärtlich. Bahnten sich küssend einen Weg zum Bett und wie von selbst fanden ihre Hände den Weg unter die Kleidung des jeweils anderen. Bakura entledigte Ryou seiner Kleidung und er sah diesen wunderschönen Körper das erste Mal mit den Augen des Mannes, der er war und nicht mit denen des älteren Bruders. Er biss ihm zärtlich in den Hals und Ryou stöhnte auf, während er ungeduldig an dem T-Shirt zerrte, das der Ältere noch trug. Bakura ließ kurz von ihm ab, um es sich über den Kopf zu ziehen. Es landete in der nächsten Ecke. Beinahe andächtig fuhr Ryou über den durchtrainierten Oberkörper. Fuhr mit Zeige- und Mittelfinger jeden Muskel nach, beugte sich dann vor und küsste ihn andächtig. Küsste den Weg, den er soeben mit seinen Fingern nachgefahren hatte, weiter nach unten und fasste ihm dabei in den Schritt. Bakura ließ ihn machen, schloss die Augen einen Moment, biss sich auf die Lippen, um nicht stöhnen zu müssen. Ryou nestelte kurz an dem Reißverschluss seiner Hose und dann blies er ihm einen, tat es so sehnsüchtig, so lustvoll, dass der Ältere sich ein Stöhnen bald doch nicht mehr verkneifen konnte. Scheiße. Sein Bruder ... Nein, Ryou ... er … Als hätte er nie etwas anderes getan. Und tat es dennoch so, als würde er es nur für ihn tun, niemals für einen anderen. Er ließ ihn eine ganze Weile machen. Das Pulsieren seiner Körpermitte wuchs, schwoll an zu einem überwältigenden Gefühl, er begann, in Ryous Mund zu stoßen und dieser nahm ihn weiter auf als sei es das Normalste der Welt. Plötzlich löste Bakura sich aus seiner Starre, griff Ryou in die Haare und zog ihn nach oben, sodass er vor ihm im Stand kniete. Beide atmeten schwer. Bakura entledigte sich erst selbst endgültig seiner Sachen. Dann schubste er Ryou zurück in die Laken und riss ihm die letzte Kleidung, die er trug, förmlich vom Leib. Schamlos glitt sein Blick in jeden Winkel seines Körpers. Schließlich saugte, knabberte er an den rosigen Brustwarzen, abwechselnd, die, die nicht von den Lippen umschlossen waren, wurden von den Händen gnadenlos gereizt und Ryou, der so sehr empfindlich war, konnte irgendwann nicht mehr an sich halten und stöhnte und es war erleichternd, so hemmungslos seine Lust herauslassen zu können. Seine Brustwarzen waren irgendwann so überreizt, dass ihm fast schwindelig wurde und plötzlich spürte er einen eisernen Griff an seinem Hals, die Luft blieb ihm weg und gleichzeitig ein herrischer Kuss, der ihm aufgezwungen wurde und Ryou machte das unendlich an, dieses Gefühl der Kontrolllosigkeit, dem Menschen ausgeliefert zu sein, den er liebte. Als Bakura ihn wieder zu Atem kommen ließ, war er so schrecklich hart, dass es schon wehtat. Er keuchte. Wand sich hin und her. Doch Bakura wollte ihm so schnell keine Erlösung geben. Nicht jetzt. Noch nicht. Nicht, wo er ihm so herrlich ausgeliefert war und er nicht wusste, ob er das jemals wieder sein würde. Er spürte, wie sich Bakuras Hände unter seine Oberschenkel schoben, unter seine Hüfte, diese leicht anhoben, sodass seine Beine sich automatisch spreizten und über Bakuras Schultern zum Liegen kamen. Spürte, wie Bakura ihm über die Innenschenkel leckte und dann ... schrie er leise auf, da es ihn durchzuckte wie ein Stromschlag. Bakura leckte ihn. Ausgiebig und intensiv und wenn das Ryous erstes Mal gewesen wäre, dann wäre er sicher schon längst gekommen. So verdrehte er nur die Augen, dass fast nur noch das Weiße zu sehen war, und stieß immer wieder laute, lustvolle Schreie aus. Diese Schreie jagten Bakura eine Gänsehaut über den Körper. Es gab ihm ein Gefühl von Macht, dass er Ryou so in der Hand hatte. Ryou würde sicher gerade alles mit sich machen lassen. Schließlich ließ er von jener Stelle ab und leckte ihm über das harte, zuckende Glied, wollte ihn bis zum Äußersten reizen. Wollte ihn das sagen hören, was er hören wollte. Und schließlich sagte er es. “Bitte nimm mich, Bakura ...” Bakura sah einen Moment mit undefinierbarem Blick auf ihn herab und in dem einen Moment war es für sie beide, als würde die Welt explodieren. Ryou schrie laut auf, als Bakura anfing, in ihn zu stoßen und es war beinahe wie eine Erlösung. Mit jedem Stoß kamen sie der Erlösung näher. Es gab nur sie. Ryou und Bakura. Sie waren Eins. Sie waren Liebende. Dass sie Brüder waren, wussten sie nicht mehr. Als Ryou kam, schrie er auf und dieser Schrei wurde lauter, fast hysterisch laut, dass es Bakura beinahe in den Ohren schmerzte und Ryou kam und er ergoss sich keine Sekunde später tief und heiß in Ryou, füllte ihn mit seiner Essenz und markierte ihn damit unwiderruflich als das Seinige. Bakura rauchte eine Zigarette. Ryou duschte. Immer noch. Vor einer halben Stunde war er bereits unter die Dusche gegangen. Aber Ryou duschte immer lang. Das war nichts Neues. Bakura war müde. Seltsamerweise war da nicht mehr. Kein schlechtes Gewissen, keine Reue. Nur ein ganz normales Gefühl der Müdigkeit, wie er es sonst auch immer nach dem Sex verspürte. Nur dass dieser Sex etwas ganz Besonderes gewesen war. Tausendmal intensiver als alles, was er sonst bisher erlebt hatte. Die Dusche wurde abgestellt. Ryou kam auf nackten Füßen zu ihm getapst, gehüllt in einen Bademantel von Akefia, der ihm viel zu groß war. Dann kuschelte er sich zu Bakura, welcher das hinnahm, denn er war nie ein großer Freund von Zärtlichkeiten danach gewesen. Nach einer Weile sagte er: “Wo warst du eigentlich die ganze Zeit, Ryou?” Der Jüngere zuckte mit den Schultern. “Du wirst lachen, ich war in der Kirche, als ich die Menschen nicht mehr ausgehalten habe.” Bakuras rechte Augenbraue zuckte verräterisch, ansonsten blieb eine Reaktion jedoch aus. “Wie sollen wir damit umgehen, Kura?”, fragte Ryou schließlich und er klang das erste Mal seit langem wieder unbeschwert und nicht bedrückt, wie man es nach so einem Erlebnis eigentlich erwarten sollte. “Hm...” Bakura ließ sich zurück sinken. “Ich denke, uns bleibt keine andere Wahl, als es geheim zu halten.“ Ryou nickte. “Tu mir nur einen Gefallen.” “Der denn da wäre?” “Trenn dich von Malik. Das bringt mich um." Kapitel 7: .Lüge ---------------- "Bakura, du weißt, dass ich dich liebe...", sagte Malik mit hohler Stimme. Bakura nickte steif. "Ich weiß." "Warum tust du mir das dann an? Warum machst du mit mir Schluss?" "Weil ich dich nicht liebe. Ich hab dich nie geliebt. Wir können nicht länger zusammen sein." Wie ein Dolch mitten ins Herz. Malik schüttelte ungläubig den Kopf. "Weißt du, manchmal ... da hab ich schon gespürt, dass da irgendwas in dir ist, das mich nicht so sehr liebt wie ich dich, aber ..." Er stockte kurz, suchte nach den richtigen Worten. "Ich dachte immer, das kommt schon noch, irgendwann, mit der Zeit. Das ist nicht fair." Bakura starrte einen Fleck an der Mauer an, neben der sie standen. "Malik, das Leben ist nun mal nicht fair. Ehrlich, ich wünschte, ich könnte dich lieben, dann wäre alles so viel einfacher, ich wünschte, ich könnt's, aber ich kann's einfach nicht, da würde ich mich nur selbst mit belügen." Malik schüttelte abermals den Kopf, wie mechanisch. "Hast du einen Anderen?" Bakura überlegte kurz. Schüttelte den Kopf. "Nein." "Du lügst." Erwischt. "Wer?" Bakura schwieg. "Ich habe eine Recht darauf, es zu erfahren, Bakura." Bakura schüttelte den Kopf und drehte sich um. Es war nicht so, als wäre ihm Malik vollkommen egal. Vielleicht konnte er ihm genau deshalb gerade nicht in die Augen sehen. "Bakura!" "Sorry. Das ist nicht so einfach. Malik, mach dich nicht unnötig unglücklich, indem du versuchst, es herauszufinden." Dann ging er. Und ließ Malik buchstäblich im Regen stehen. "Er hat mit mir Schluss gemacht und ich weiß nicht, wieso!", brach es aus Malik heraus und Ryou überkam augenblicklich ein schlechtes Gewissen, als er Malik so sah. Er sagte nichts, sondern warf seinem Freund nur einen mitfühlenden Blick zu. "Das tut mir so leid, Malik..." "Du kannst ja nichts dafür, dass dein Bruder so ein Arschloch ist", murmelte Malik und nahm frustriert einen Schluck von dem heißen Tee, den seine Schwester ihnen beiden vorhin gemacht hatte. "Er hat durchscheinen lassen, dass er einen anderen hat. Wenn ich nur wüsste, wer, ich schwörs, ich würd dem Kerl so den Arsch aufreißen!" Ryou schluckte beklommen und erwiderte: "Ach, Malik, Bakura ist einfach kein Beziehungsmensch, das war doch von vorneherein zum Scheitern verurteilt..." "Also, nimms mir nicht übel, Ry, aber du hast echt keine Ahnung, wie man jemanden aufbaut." Ryou ließ den Kopf hängen. "Tut mir leid." "Weißt du wirklich nicht, wer es sein könnte?", hakte Malik schließlich nach. "Du bist immerhin sein Bruder, es kann doch nicht sein, dass du gar nichts mitbekommen hast." Ryou rutschte auf seinem Sitzplatz herum. Konnte es eigentlich eine Situation geben, die noch unangenehmer war als diese? Wohl kaum. Wenn er doch nur irgendwie das Thema wechseln könnte. Es war aber auch eine Scheißsituation. Er war erleichtert, dass Bakura endlich Schluss gemacht hatte und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen wegen Malik. Immerhin ging es dem jetzt beschissen und er musste ihn auch noch anlügen. Nicht auszudenken, wenn der jemals die Wahrheit herausbekam. Immerhin war Malik ihm nie ein schlechter Freund gewesen, im Gegenteil. Was für ein Dilemma. "Malik, ich hab wirklich keine Ahnung", sagte er resignierend. "Ich werd meistens selbst nicht schlau aus Bakura. Hey, was hältst du davon, wenn wir Singstar spielen, das muntert dich bestimmt auf!" Malik grinste schief. "Stimmt, deine schiefen Töne bringen einen immer zum Lachen..." "Bakura, spinnst du, was ist, wenn uns hier jemand sieht!", zischte Ryou panisch und blickte nervös um die Ecke. Die Pause war bereits zu Ende gewesen, als Bakura Ryou am Handgelenk gepackt und ihn in eine relativ verborgene Ecke des Schulhofes gezogen hatte, um ihn zu küssen. "Mir doch egal", knurrte er, "hier is eh kein Schwein - außerdem, wo bleibt deine Abenteuerlust?", fügte er verschmitzt hinzu und küsste sich einen Weg von Ryous Mundwinkel über den Kiefer bis zum Ohr hoch. Ryou hatte ein wenig Mühe ihn wegzudrücken. "Kura, bei aller Liebe, meine Abenteuerlust hat viel zu viel Schiss, dass wir entdeckt werden, ist dir eigentlich klar, was das bedeuten würde, wenn-" Ein leises Stöhnen ließ ihn abbrechen. Bakura hatte ihm in den Schritt gefasst. Einen Moment ließ Ryou sich massieren, mit leicht geröteten Wangen und die Lippen zu einem Spalt geöffnet, ehe er es schaffte, sich vollständig von Bakura loszueisen. "Bakura, ich mein es ernst, für solche Abenteuerchen bin ich noch nicht bereit. Es ist gerade mal einen Monat her, seit wir ... uns einig über uns sind", fügte er hinzu, da er ein wenig nach den richtigen Worten gesucht hatte. Bakura schnaubte. Im Grunde hatte Ryou ja recht und trotzdem. Jetzt, wo er sich eingestanden hatte, was er von seinem Bruder wollte, war das Verlangen immer schlimmer und das trieb ihn gerade schon so weit, dass er drauf und dran gewesen war, hier und jetzt mit Ryou zu vögeln. Der Ältere verdrehte die Augen. Grinste dann. "Und jetzt willst du mit einer Latte herumlaufen oder wie?" Ryou blickte sauer drein. "Nein, ich warte, bis sich das gelegt hat und komme einfach später in den Unterricht." "Wie kann man sich nur so anstellen ..." "Bakura, ich hab wenig Lust, mich zu wiederholen." Selbiger zuckte mit den Schultern. "Bitte, wie du willst." Die Tage und Wochen vergingen, ohne dass man sagen konnte, etwas Besonderes fiel vor. Wenn Ryou am Anfang noch übervorsichtig gewesen war, so legte sich das mit der Zeit und er ließ sich von der Abenteuerlust seines Bruders ... Nein, Liebhabers mitreißen. Zuhause taten sie es nur, wenn die Eltern nicht da waren. An anderen Orten nur dann, wenn sie weit genug weg waren von Zuhause. Dass das nicht auf lange Zeit hinweg gut gehen konnte, hätte gewiss absehbar sein müssen. "Kura, meinst du, das ist eine gute Idee mit den anderen was trinken zu gehen?" "Ja, bis auf die Tatsache, dass ich was trinke und du nicht, schon." Ryou verzog skeptisch die Augenbrauen. "Ich weiß ja nicht. Es ist die eine Sache, wenn wir in Clubs zusammen sind, wo uns keiner kennt, aber etwas ganz anderes, wenn wir uns unter unsere Freunde mischen sollen." "Betrachte es doch als Test", erwiderte Bakura grinsend. "Wenn niemand was bemerkt, brauchen wir in Zukunft nichts mehr zu befürchten." Ryou schüttelte lächelnd den Kopf. Als ob Bakura jemals etwas befürchtet hätte. Aber wieso nicht? Sie machten sich wahrscheinlich eher verdächtig, wenn sie nicht langsam mal wieder unter ihre Freunde gingen. Und mittlerweile schleppte Bakura Ryou weitaus lieber mit in die Clubs, in die er ging, als zu wissen, dass er sich irgendwo alleine herumtrieb. Die Zeit, in der sich Ryou durch die Gegend gevögelt hatte, war ihm nur noch zu allgegenwärtig. Und Bakura war ein sehr eifersüchtiger Mensch. Der Club war stickig und laut. Aber es war vertraut. Alles. Die Musik, die Menschen, mit denen sich Bakura immer umgeben hatte. Alles war wie immer. Fast. Ein paar Unterschiede gab es. Er und Otogi redeten nicht mehr miteinander, obwohl sie dank ihres gemeinsamen Freundeskreises zwangsläufig miteinander zu tun hatten. Das mit Malik war komisch. Der Ägypter schoss gleichzeitig feindselig-hasserfüllte, wie sehnsuchtsvolle Blicke in Bakuras Richtung ab und er und Ryou versuchten zwanghaft, es so wirken zu lassen, wie immer. Wortkarg nippte Bakura an seinem Drink. Irgendwie war ihm heute doch nicht so nach Gesellschaft. Es kam ihm alles so geheuchelt vor plötzlich. Etwas kotzte ihn an. Und das ganz gewaltig. Mit halb zusammengekniffenen Augen beobachtete er die Menge auf der Tanzfläche. Vielleicht sollte er sich ein bisschen ablenken. Ablenken von dem verzweifelten Versuch von Ryou, nicht so zu tun, als sei er ihm vollkommen verfallen und ablenken von Malik, der so aussah, als könne er sich nicht entscheiden, ob er Bakura gnadenlos ignorieren oder ob er nochmal auf ihn zugehen sollte. Er rollte schließlich mit den Augen, nahm noch einen tiefen Schluck von seinem Drink, stellte selbigen hin und bewegte sich schließlich auf die Tanzfläche. Mit gemischten Gefühlen sah Ryou Bakura hinterher. Bakura war schon immer ein absoluter Männermagnet in der Szene gewesen und er wusste, wie er sich teilweise verhalten hatte. Das war jetzt das erste Mal seit langem, dass sie gemeinsam irgendwo waren. Und das erste Mal, dass sie es als heimliches ... Paar? Konnte man sie so nennen ...? ... waren. Er presste die Lippen zusammen und versuchte, den weißen Haarschopf in der Menge im Auge zu behalten. Was gar nicht so einfach war - denn im nächsten Moment wurde er von der Seite angesprochen. "Hey, ich dachte schon, ich treff dich nie ohne deinen Wachhund an." Ryou verzog schuldbewusst das Gesicht. "Das mit Bakura und dir tut mir leid - ich wollte nicht, dass es so ausartet..." Mit einem treuherzigen Blick sah er Otogi an, doch der winkte ab. "Ach was, ich bin hart im Nehmen. Es ist nicht so, als hätten Bakura und ich uns das erste Mal geprügelt..." Ryou legte den Kopf zur Seite und grinste schief. "Na, ich weiß nicht so recht, ob mich das beruhigen soll..." "Wird sich schon wieder einrenken. Aber du, hör mal, was anderes...", begann der Schwarzhaarige. Ryou sah ihn aufmerksam an. "Können wir vielleicht kurz in den Gang gehen, da ist es weniger laut?" Ryou nickte und folgte ihm wenige Augenblicke später. Die Tür schlug hinter ihnen zu und die Musik war nur noch gedämpft zu hören. Otogi schwieg eine ganze Weile und Ryou begann irgendwann nervös mit seinen Haarspitzen zu spielen - er hatte es noch nie leiden können, wenn Menschen offensichtlich etwas sagen wollten und es einfach nicht herausbekamen. Da bekam er immer ein komisches Gefühl in der Magengegend. Otogi schob die Hände in die Hosentaschen. "Was ist eigentlich aus dem Kerl geworden, den du liebst?" Ryou war etwas überrascht über diese Frage. Dann beschloss er, dass es klug wäre, nicht den geringsten Verdacht aufkeimen zu lassen und zuckte schließlich mit den Schultern. "Das hat sich irgendwie erledigt ..." Otogis Gesicht hellte sich deutlich auf. "Das kommt mir ehrlich gesagt sehr gelegen." "Wie?" "Komm schon, Ryou, das kann doch nicht so schwer zu übersehen gewesen sein. Naja. Ich fänds cool, wenn du mein fester Freund sein würdest. Du bist süß, du bist klug, du bist gut im Bett, was will man eigentlich mehr." Ryou blinzelte einen Moment perplex und versuchte dem frechen Grinsen des anderen standzuhalten. "Ich ..." Er bemerkte, wie sich Otogis Hände bei dessen Rede verdächtig eng um seine Taille gewunden hatten und behutsam griff er an dessen Handgelenke, um sie wieder von sich wegzuschieben. "Ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt, aber ich genieße meine Freiheit", sagte er dann dumpf, wobei er Otogi nicht ins Gesicht sehen konnte. Der schien alles andere als erfreut. "Hey, sachte, was ist denn plötzlich los mit dir? Wir hatten doch eine schöne Zeit und ganz ehrlich, es gibt viele, die sich darum reißen würden, so eine Frage mal von mir zu hören." Otogi schien zu allem Überfluss noch in seinem Ego verletzt. Was vielleicht auch daran liegen konnte, dass er etwas betrunken war, wie Ryou merkte. "Otogi", sagte Ryou und er nannte ihn bewusst nicht beim Vornamen, "ich meine es ernst - ich hab dir damals schon gesagt, dass ich jemand anderen mag-" Ryou zuckte zusammen, als Otogi blitzschnell mit der Faust an ihm vorbei schlug und die Wand traf. Ganz nah kam er ihm dabei. Ryou hatte die Augen aufgerissen und setzte gerade dazu an, sich zu sammeln und etwas zu erwidern, als eine andere Stimme ihm zuvor kam. "Du hast ihn doch gehört", knurrte Bakura erbost. "Geh sofort weg von ihm, wenn du nicht willst, dass ich mich vergesse." Otogi rollte mit den Augen und drehte sich dann langsam um. "Kura, du fängst wirklich langsam an, zu nerven. Ich habe hier etwas mit Ryou zu klären, das geht dich nichts an." Er fing sich einen hasserfüllten Blick von Bakura ein und Ryou ahnte, dass die Situation sicherlich gleich eskalieren würde. Hektisch blickte er sich um. Waren hier denn gar keine Securitys? Als er noch überlegte, wie er die Situation retten konnte, gingen die beiden sich schon an die Gurgel. Bakura hörte den Schrei seines Bruders gar nicht mehr. Dieser verdammte Scheißkerl war zu weit gegangen. Dass er ihn in seinem damals eher scherzhaft geäußerten Verdacht so nur mehr bestätigte, daran dachte Bakura in diesem Moment nicht. Er war wütend. Einfach nur wütend. Auf die ganze Situation. Als ob es so leicht werden würde. Da hatten sie sich beide keine Illusionen gemacht. Es war schwer. Als Mann eine Beziehung mit seinem Bruder zu führen. Wenn man es so betrachtete war es eigentlich keine Beziehung. Es war ... er konnte es nicht benennen. Aber das Wort Beziehung gefiel ihm dafür nicht, erschien ihm nicht als angebracht. Denn als die Brüder, die sie waren, würden sie niemals eine Beziehung miteinander führen können, wie es andere Menschen taten - selbst in einer anderen Stadt, sogar wenn sie bis ans Ende der Welt flüchteten, man würde sie immer als Brüder erkennen, weil sie sich zu ähnlich sahen. Und jetzt gerade ließ er die gesamte Ohnmacht über diese Situation, die Gereiztheit, die Anspannung, an dem aus, der eigentlich all die Jahre als treuer Freund auf seiner Seite gestanden hatte. "Fass ihn noch einmal an und ich bring dich um!" Mit diesem Schrei verpasste er Otogi einen Kinnhaken - selbiger hätte dem wahrscheinlich locker ausweichen können, wenn ihn nicht eine Tatsache ins Wanken gebracht hätte. Otogi hielt inne. Ganz plötzlich, eben noch die Hand zum Gegenschlag erhoben, die Nase blutend, die Unterlippe aufgeplatzt - und Bakura sah nicht besser aus - und sah den Weißhaarigen an. Lange. Mit einem undefinierbaren Blick. Und plötzlich fühlte Bakura sich schuldig. Otogi schüttelte langsam den Kopf. "Komm endlich mal klar auf dein Leben, Bakura", sagte er schließlich nur tonlos, dann marschierte er leicht wankend an Bakura vorbei und auch an Ryou, welchen er keines Blickes mehr würdigte. Und Bakura stand da, schwer atmend und mit einem Scheißgefühl, und wusste plötzlich nicht mehr, was er machen sollte. Ein leises Schluchzen drang an sein Ohr, er hob den Kopf und im selben Moment packte ihn Ryou am Handgelenk und zog ihn hinter sich her, nach draußen an die frische Luft. Sie entfernten sich ein paar Meter vom Eingang, da ihnen einer der Türsteher seltsame Blicke zuwarf. Ryous dunkle Augen waren schmerzerfüllt. "Bakura, du machst alles kaputt, wenn du so weitermachst!", sagte er verzweifelt und fasste seinen großen Bruder leicht bei den Schultern. Bakura machte sich los und verschränkte die Arme vor der Brust und wandte den Blick leicht ab. Trotz keimte in ihm hoch und böse erwiderte er: "Ich kanns nicht leiden, wenn man dich bedrängt, das mochte ich schon früher nie." Als wäre das eine Rechtfertigung. Seinen besten Freund zu verprügeln. Nein, schlimmer noch. Seinem besten Freund mit dem Tod zu drohen. Bakura kannte sich ja selbst nicht mehr. Gut, leicht reizbar war er schon früher immer gewesen, aber so etwas ... hätte er sich niemals zu träumen gewagt. Es war einfach furchtbar, in dieser Situation zu stecken, in der sie gerade steckten, das wurde ihm mit einem Mal mehr bewusst. Man war praktisch alleine. Konnte, durfte sein Verhalten vor anderen nicht erklären. Wäre Ryou nicht sein kleiner Bruder, dann hätte er ihn offen als das Seinige verkündet, dann hätte niemand von seinen Freunden es gewagt ihm zu nahe zu kommen, das war in ihrer Clique quasi so etwas wie ein Ehrenkodex, eine Richtlinie, die niemals offen festgelegt worden war, aber an die sich trotzdem ausnahmslos alle hielten. So war es also, wenn man außer demjenigen, der mit einem im Boot saß, niemanden hatte. Ryou sah ihn an, er wusste, dass er ihn ansah, auch wenn er ihm den Blick abgewandt hatte. "Kura, du wirst damit leben müssen, dass es immer wieder andere geben wird, die sich vielleicht für mich interessieren, aber um uns nicht zu verraten, wäre es vielleicht wirklich besser, wenn wir wenigstens das ein oder andere mal so ein Spielchen mitspielen." Nun wurde die Miene Bakuras höhnisch, dann packte er Ryou grob am Kinn und riss ihn nach oben, dass er ihm direkt in die Augen sah. "Entsinne ich mich falsch oder warst du es nicht, der mich genötigt hat, mit Malik Schluss zu machen?" Ryou zuckte ertappt zusammen, dann verengte er die Augen. "Malik ist etwas anderes. Mit ihm bin ich befreundet, euch müsste ich dauernd zusammen sehen!" "Und mit Otogi war ich es nie, oder was?" Ryou riss sich los. Wusste nichts mehr zu sagen. Schlang die Arme um den Oberkörper und zitterte. Draußen war es doch ziemlich kalt. Ryou fühlte sich sehr verloren mit einem Mal. "Ich weiß auch nicht", sagte er niedergeschlagen, den Blick zu Boden gerichtet. "Kura, sag du mir, was wir machen sollen, wie es weitergehen soll. Öffentlich machen geht nicht, aber als Alibi mit einem anderen zusammen sein offenbar auch nicht. Aber es wäre die beste Lösung, auch wenn es mich zerreißt..." Bakura sagte nichts. Er streckte aus einem Impuls heraus die Hand aus und strich Ryou sanft über die Wange, dieser hob den Blick und sah ihn direkt an. Sie wussten beide, was das richtige war, was logisch, was vernünftig war. Aber was war denn Liebe? Eine logische, rational erklärbare und mathematisch belegbare Sache? Nein. Eben nicht. Und das machte die ganze Sache erst so tragisch. Das Leben ist eine Komödie für die, die denken und eine Tragödie für die, die fühlen. Ryou hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen und sie küssten sich. Verzweifelt, verloren. Wie es weitergehen sollte? Keine Ahnung. Alles, was sie in diesem Moment hatten, um die Stille der Ratlosigkeit überbrücken zu können, war dieser Kuss. "Ich find' schon eine Lösung, Ryou, versprochen", murmelte Bakura gegen dessen Lippen, ohne dass er wusste, wo er mit der Suche beginnen sollte. "Das war also der Grund." Sie fuhren auseinander, wie von der Tarantel gestochen und wandten gleichzeitig den Blick gehetzt in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Es war Malik. Er sah sie an, beide abwechselnd. Sie wirkten wie versteinert. "Ich bin nach draußen gegangen, weil ich ein komisches Gefühl hatte. Otogi sagte, ihr habt euch geprügelt, ich war in Sorge." Immer noch betretenes Schweigen. Bakura schluckte schwer und seine Kehle fühlte sich an, wie Schleifpapier, während Ryous Atmung durch den beschleunigten Herzschlag flach ging und er Malik mit aufgerissenen Augen anstarrte. Malik wirkte, als ringe er selbst um Fassung. Als wäre das, was er eben gesehen hatte, absolut unmöglich, als hätten ihm seine Augen einen Streich gespielt. "Ihr wisst schon, dass das krank ist, oder...?", sagte er langsam und sein Blick ruhte dabei vor allem auf Ryou, welcher unangenehm berührt den Seinen abwandte. Bakura öffnete den Mund um etwas zu sagen. Schloss ihn dann wieder und kam stattdessen ein paar Schritte auf Malik zu. Packte ihn bei den Schultern. "Bei allem, was mir heilig ist, Malik, ich weiß, dass du nicht den geringsten Grund hast, irgendwas für mich zu tun", presste er durch die zusammengebissenen Zähne hervor. "Aber wenn du das hier irgendjemandem erzählst ..." Er brach ab. Was dann? Würde sein und Ryous Leben vorbei sein? Wäre das eine totale Katastrophe? Malik machte sich mit einem Ruck los. "Du hast Recht", sagte er kalt, "ich habe nicht den geringsten Grund, irgendetwas für dich zu tun." Bakura trat einen Schritt von dem Ägypter weg und taxierte ihn. Malik straffte seine Gestalt. "Allerdings würde mir das ohnehin niemand glauben, also hätte ich im Grunde auch nichts davon", räumte er ein. Bakura traute dem Frieden nicht so ganz und sah ihn weiterhin misstrauisch an, während Ryou schon etwas hoffnungsvoller aussah. Malik und Bakura taxierten sich noch eine Weile, dann sagte Bakura böse, so böse, dass selbst Malik in diesem Moment eine Gänsehaut bekam: "Wenn du irgendjemandem davon erzählst, wird es dir leid tun. Nicht um meinetwillen, sondern um seinetwillen. Ryou würde daran zerbrechen." Malik sagte nichts und Bakura wandte sich abrupt ab um davon zu gehen. Er konnte gerade keine Menschen mehr ertragen. Ryou blieb zurück mit Malik. Er fühlte sich sehr unwohl, wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich entschied er sich für ein einfallsloses, "Malik ..." Der Ägypter sah ihn nur an und schüttelte den Kopf. "Ich dachte, wir sind Freunde, Ryou", sagte er langsam. "Ich komm mir gerade wie ein absoluter Idiot vor. Ich kotze mich bei dir aus und du nickst und lächelst und lügst mir dabei einfach mitten in die Fresse." "Es tut mir so leid, Malik", sagte der Weißhaarige verzweifelt. "Bitte versteh mich doch, wie hätte ich dir denn die Wahrheit sagen können?" Malik zuckte mit den Schultern. "Ist das mein Problem? Nein, ich denke nicht. Weißt du, ich finde die Vorstellung sehr befremdlich, so befremdlich, dass ich nicht mal eifersüchtig sein kann, aber glaubst du allen Ernstes, wenn du ehrlich gewesen wärest, dass ich mich sofort mit einem Megafon in die Fußgängerzone gestellt und es in die Welt hinaus gebrüllt hätte?" Ryou biss sich auf die Unterlippe. Maliks Stimme klang schroff, aber er hörte eine leichte Verletztheit heraus. "Ich dachte, wir sind Freunde", wiederholte er dann noch einmal. "Ich komm mir so verarscht vor von euch beiden. Von dir sogar noch ein Stück mehr." "Malik, wir sind auch Freunde", sagte Ryou verzweifelt. "Ich musste erstmal mit mir selbst klar kommen, das hat mich zu-" Eine Ohrfeige brachte ihn zum Verstummen. Das Klatschen hallte in der leeren Gasse gespenstisch nach. "Lass es, Ryou. Red dich nicht raus und mach es nicht schlimmer, indem du nicht zu dem Scheiß stehst, den du baust." "Bitte, Malik ... Ich ..." "Lass es gut sein. Ich brauch Zeit zum Nachdenken. Wirklich. Im Moment kann ich keinen von euch beiden mehr ertragen." Malik warf ihm noch einen letzten Blick zu und die Enttäuschung, die in seiner Stimme mitgeschwungen war, traf Ryou sehr und das schlechte Gewissen brach endgültig über ihn hinein. Schließlich ließ ihn der Ägypter alleine dort stehen, wo er war, und Ryou fühlte sich plötzlich sehr verloren. "Scheiße", jammerte er leise und fischte geistesabwesend nach seinen Zigaretten, um sich eine anzuzünden. Der Qualm stieg bläulich in den Himmel, während er langsam nachhause ging. Wo Bakura jetzt wohl hingegangen war? Wohl kaum nachhause. Das konnte er sich nicht vorstellen. Die nächsten Tage kamen und gingen. Ryou wirkte zusehends nervöser und auch Bakura war eine gewisse Anspannung anzumerken. Belastend hinzu kam jetzt auch noch, dass aktuell wieder Klausurenphase war, etwas wofür keiner der Brüder wirklich einen Kopf hatte, aber was musste, das musste. Bakura schaffte es doch tatsächlich, sich in seinen Büchern zu vergraben, auch um sich abzulenken, nein, eher in erster Linie zur Ablenkung, während Ryou die Sache mit Malik immer noch sehr belastete. Aber er sprach nicht mit ihm. In der Schule wich er ihm aus und irgendwann verließ Ryou einfach der Mut, es zu versuchen. Ryou und Bakura vermieden es unterdessen tunlichst, dass man sie in der Schule zusammen sah. Es war brenzlig genug, dass Malik, der von Bakura so gesehen nur benutzt worden war, davon wusste, da musste man ihm nicht auch noch einen Grund geben, sie zu verraten. Kapitel 8: .Flucht ------------------ "Bakura, mir ist da etwas Merkwürdiges zu Ohren gekommen." Bakura merkte auf. Sein Vater war schon den ganzen Abend so seltsam still gewesen, was schon Verdacht hätte aufkeimen lassen müssen. Irgendwie schrillten jetzt seine Alarmglocken. Er nahm sich langsam eine Dose Limo aus dem Kühlschrank und erwiderte, ohne seinen Vater anzusehen: "Ach ja?" Bakura spürte den stechenden Blick seines Vaters im Rücken und tatsächlich keimte seit Jahren in ihm das erste Mal so etwas wie Nervosität in ihm auf. Ganz ruhig, dachte er sich, er kann unmöglich wissen ... "Ich habe heute Morgen eine interessante Email bekommen. Ich war sicher, da wollte sich jemand nur einen Scherz erlauben - bis ich das Foto im Anhang sah." Bakura drehte sich langsam um. "Was für ein Foto?", erwiderte er betont gelangweilt - und erstarrte. Bereits aus der Ferne erkannte er den weißen Haarschopf von sich und seinem Bruder wieder und als er das Bild endlich von Nahem sehen konnte, lief ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sein Vater blickte ihn weiterhin an. Auf eine Erklärung wartend. Bohrend. "Nun?" Bakura hörte die allzu deutliche Drohung in der Stimme. Ihm brach der Schweiß aus. "Das war ..." Scheiße, wieso fiel ihm auf die Schnelle nichts ein? "Flaschendrehen", probierte er es auf gut Glück. "Du weißt schon, dieses saudumme Spiel, bei dem man den küssen muss, auf den die Flasche dann zeigt." Kagerou sah ihn skeptisch an. So ganz überzeugt schien er nicht. Allerdings schien die Vorstellung, dass seine beiden Söhne tatsächlich etwas miteinander haben könnten, ebenso abstrus, wenn nicht sogar abstruser, wie jemand, der Flaschendrehen in einem Hinterhof spielte, wo das Foto aufgenommen worden war. Allerdings war es wohl auch so, dass ihm die Erklärung, die ihm sein ältester Sohn geliefert hatte, weitaus angenehmer war, als sich mit dieser abartigen Vorstellung auseinandersetzen zu müssen. Kagerou nickte langsam. "Ich bin sehr geneigt, dir zu glauben, Bakura." Bakura wäre fast ein abfälliges Schnauben entkommen, da ihm sein Vater ansonsten jedes Wort im Mund herumdrehte, aber er war sich der Brenzligkeit der Situation durchaus bewusst. "Ich will nur, dass dir trotzdem klar ist, dass, solltest du deinem Bruder gegenüber tatsächlich solche schändlichen Gedanken hegen, ich strenge Maßnahmen ergreifen werde und die würden weder euch noch eurer Mutter gefallen, also sieh dich vor, mein Sohn." Das war mal eine klare Ansage. Bakura nickte betont gelangweilt und verließ die Küche und musste sich dabei zusammenreißen, das nicht fluchtartig zu tun. Das Herz schlug ihm bis zum Halse. Scheiße. Wenn es eine Person gab, vor der er wirklich Angst haben konnte, wenn er ernst machte, dann war das sein Vater. Wütend über sich selbst kniff er die Augen zusammen. Er war immer einer derjenigen mit der größten Klappe gewesen, in der Schule, in seinem Freundeskreis, und hatte nie vor etwas den Schwanz eingezogen, aber sein Vater schaffte es doch immer wieder, dass er sich regelmäßig wie ein unsicherer kleiner Junge fühlte. Er schloss die Tür seines Zimmers langsam hinter sich. Verdammte Scheiße. Welches Arschloch hatte seinem Vater da nur diese Email geschrieben? Sofort kam ihm Malik in den Sinn. Das würde zu dem Ägypter passen. Er hatte es ja nie verwinden können, dass Bakura mit ihm Schluss gemacht hatte und er bereute es auch inzwischen zutiefst, überhaupt mit ihm zusammengekommen zu sein. Malik war ihm ja immer noch verfallen, auch wenn sie nicht mehr so viel miteinander zu tun hatten wie früher, so etwas spürte und merkte man einfach. Einen Augenblick musste er auch an Otogi denken, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sein ehemaliger bester Freund zu so etwas im Stande war. Egal, was vorgefallen war. Entweder man ließ die Fäuste sprechen oder man ignorierte sich, aber man sponn keine Intrigen gegeneinander. Das war unehrenhaft. Aber ein kleiner Teil in ihm konnte diesen Verdacht nicht fahren lassen. Ryou seufzte. "Bakura, was ist denn los?", murmelte er und streckte die Hand aus, um ihm über die Wange zu streichen. Der Ältere wirkte den ganzen Abend schon so nachdenklich. Bakura entwand sich der Zärtlichkeit, woraufhin ihn Ryou verwirrt ansah, und meinte: "Ryou, was denkst du, wie lange wir das noch so weitermachen können?" Ryou blinzelte und ließ die Hand sinken, um sie in seinem Schoß mit der anderen verschränkt zur Ruhe kommen zu lassen. Dann zuckte er mit den Schultern. "Ich weiß es nicht", antwortete er dann ehrlicherweise. "Aber wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf?" Bakura zögerte einen Augenblick. "Jemand hat unserem Vater ein Foto von uns zukommen lassen." Ryou sah ihn entsetzt an und Bakura fügte beschwichtigend hinzu: "Keine Sorge, ich hab ihm eine einigermaßen glaubhafte Lüge auftischen können, aber du weißt, wie er ist, wenn der erstmal Lunte gerochen hat ..." Er musste den Satz nicht vollenden. Ryou kroch zu ihm - sie saßen beide auf Bakuras Bett - und schlang die Arme um seinen Körper, denn die Nähe brauchte er jetzt. Sie war es immer, die ihm Sicherheit und Schutz bot, wenn ihn irgendetwas beschäftigte. Gedankenverloren zog Bakura ihn zu sich. Es war fast dunkel im Zimmer. Die Dämmerung war vor einiger Zeit hereingebrochen und keiner von ihnen hatte Muße gehabt, irgendein Licht einzuschalten. So war es auch sicherer. Die Dunkelheit beschützte und barg. Ryou hatte früher als Kind immer Angst im Dunkeln gehabt. "Wirklich frei werden wir nur sein können, wenn wir von hier weggehen. Vielleicht sogar in ein anderes Land. Unser Aussehen verändern, damit man uns nicht überall gleich als Brüder erkennt." Ryou starrte ins Leere, während seine Finger gedankenverloren auf Bakuras nacktem Unterarm trippelten. "Alles zurücklassen? Für immer?" Eine gruselige Vorstellung. Ryou hing an seinen Freunden. Er liebte seine Mutter. Und auch irgendwie seinen Vater. Außerdem waren sie beide noch minderjährig. Wenn wenigstens Bakura bereits die Volljährigkeit erreicht hätte, aber bis dieser 20 wurde, waren es noch knapp zweieinhalb Jahre. Eine Zeit, die unmöglich durchzuhalten schien. Zwei Jahre verstecken und einfach normal weiterleben, als wäre nichts. Ryou wimmerte leise in sich hinein. "Manchmal glaube ich, Gott will uns prüfen ..." Bakura schnaubte verächtlich. "Wie kommst du denn auf den Scheiß?" Ryou zuckte mit den Schultern. Komplett war ja die, wenn auch nicht streng, christliche Erziehung seiner Mutter nicht an ihm vorbeigerauscht. "Ich weiß nicht, es kommt mir nur manchmal so vor, als dürfte man erst im Tod glücklich sein." "So ein Blödsinn, mit sowas darfst du gar nicht erst anfangen." "Bakura, was hältst du davon, wenn wir bald mal wieder ans Meer fahren ...?" Ryou schlief noch in seinem Kindersitz, wie Bakura mit einem Seitenblick bemerkte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen - sie waren extra früh aufgestanden, damit sie den Sonnenaufgang über dem Meer betrachten konnten. Die dunklen Augen des Jungen ruhten kurz auf dem Viertelprofil seiner Mutter, dann auf dem leicht bulligen Nacken seines Vaters, dann sah er aus dem Fenster. Sie waren schon eine Stunde unterwegs, lange würde es wohl nicht mehr dauern. Ein abermaliger Blick zu Ryou, als dieser im Schlaf leise schmatzte und sich ein wenig regte. Ein unbewusstes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Plötzlich begegnete ihm der liebevolle Blick seiner Mutter; sie hatte sich zu ihm umgedreht. "Freust du dich schon, mein Schatz?" Bakura nickte eifrig. "Wann sind wir endlich da?" Sein Vater brummelte etwas und seine Mutter antwortete: "In etwa einer halben Stunde." Der Sand war noch kühl, aber Bakura wollte unbedingt barfuß laufen. Begeistert zog er Ryou, der noch halb verschlafen war, an der Hand hinter sich her. "Schau mal, die Sonne geht gleich auf!" "Ja, wirklich?", erwiderte Ryou, in den auch langsam etwas mehr Leben kam, und rieb sich mit der rechten Faust über das Auge. Während sich ihre Eltern Zeit ließen und gemütlich hinter ihnen her schlenderten, liefen die Kinder übermütig Richtung Wasser. Bakura tauchte wagemutig seinen nackten Fuß ins Wasser der leichten Brandung. "Ist gar nicht kalt!", sagte er aufmunternd zu seinem kleinen Bruder und dieser zog sich, daraufhin ermutigt, auch die Schuhe aus, um fröhlich in dem seichten Wasser herumzuplanschen. Staunend drückte er seinen Fuß in den nassen Sand, um zu beobachten, wie sich innerhalb von kürzester Zeit der Abdruck wieder auflöste, als die nächste Welle kam. "Komm, wer mehr Fußstapfen machen kann, ohne dass sie weggespült werden, gewinnt!", rief er fröhlich aus. "Ok!" Und daraufhin liefen sie um die Wette, lachend, während die Sonne aufging und ihre hellen Gesichter anstrahlte und wärmte und die Fußspuren waren bald vergessen. Ryou stolperte irgendwann und hielt sich an Bakura fest, sodass dieser auch das Gleichgewicht verlor und sie beide in den feuchten Sand fielen. "Ihh!", quiekte Ryou und Bakura begann zu lachen. "Du hast Sand auf der Nase!" Ryou schielte und versuchte, seine Nase zu sehen, während sein Bruder sich vor Lachen schüttelte. "Du bist gemein!", brummte der Jüngere und schnappte sich eine Ladung nassen Sand, um sie Bakura an die Stirn zu klatschen. Dieser sah einen Augenblick verblüfft aus, doch dann grinste er. "So, das bedeutet Krieg!" Nachdem sie eine Weile miteinander gerangelt hatten, hielt Ryou inne. "Puh, ich kann nicht mehr!" Bakura setzte sich schnaufend auf seinen Hosenboden. "Schlaffi", kommentierte er nur, aber auch ihm war bereits die Puste ausgegangen. Plötzlich wandten sich ihre Blicke beinahe gleichzeitig zu der Wasseroberfläche und dann zum Himmel darüber. Die Sonne war schon zur Hälfte aufgegangen. Wunderschön sah es aus. Ryou suchte unbewusst die Hand seines Bruders und drückte sie leicht, obwohl sie voller matschigem Sand war. Dann lehnte er sich an den Älteren und schaute sich dabei den Sonnenaufgang an. "Kura, ich hab dich lieb ..." Versunken in die Erinnerung, versunken in einem Kuss. Innig. Und schließlich geschah das, was geschehen musste. "Es war also doch keine Lüge..." Ryou war es, als habe ihm jemand einen Beutel Eiswürfel direkt in den Magen gekippt. Bakura hatte von ihm abgelassen und beide starrten sie nun mit schreckensgeweiteten Augen in Richtung Tür, wo ihr Vater stand und das Bild, das sich ihm bot, nämlich seine beiden Söhne, von denen der Ältere den Jüngeren gerade ziemlich eindeutig berührt hatte und welche nun beide wirkten, als habe man sie bei etwas Verbotenem ertappt. Und um es noch schlimmer zu machen - hinter ihm im Türrahmen, die Mutter, welche einen absolut verwirrten und ungläubigen Gesichtsausdruck machte und sie einfach nur mit großen Augen anstarrte. Bakura stand auf und straffte seine Haltung, machte sich innerlich bereit für die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens, während Ryou auf der Couch wie festgefroren wirkte. Doch nichts dergleichen geschah. Der Blick ihres Vater war ausdruckslos. Langsam und mit ebenso ausdrucksloser Stimme sagte er: "Bakura, ich will, dass du deine Sachen packst. Sofort. Du wirst vorläufig bei Akefia leben. Und dann bespreche ich mit deiner Mutter, wie es weitergeht." Weiter nichts. Bakura hatte den Mund geöffnet, um zu protestieren, doch dann begegnete ihm plötzlich der Blick seiner Mutter und er entwaffnete ihn und ließ ihn sich schuldig und schlecht fühlen. Er schloss den Mund wieder, mied den Blick zu Ryou und verließ dann nach seinen Eltern wortlos den Raum. Das war wohl das erste Mal seit Jahren, dass er seinem Vater gehorchte. Im Endeffekt hatte der alte Mann ihn doch in die Knie gezwungen. "Meine Güte, was hast du denn jetzt schon wieder für einen Stress mit deinem Vater?", fragte Akefia kopfschüttelnd und sah Bakura, welcher sich niedergeschlagen auf die Couch hatte fallen lassen, aufmerksam an. Bakura mied seinen Blick. "Das kann dir doch egal sein." Akefia hob eine Augenbraue und nahm einen Schluck aus der Bierdose, die er sich soeben geöffnet hatte. "Naja, da ich dich jetzt an der Backe habe, finde ich schon, dass ich eine Erklärung verdient hab, nicht?" "Das ist ... etwas kompliziert", erwiderte Bakura unwillig und etwas steif. "Sagen wir so - ich habe wohl eine Grenze überschritten, die ich niemals hätte überschreiten dürfen." Plötzlich lachte Akefia und Bakura sah ihn genervt an. "Sag mir nicht im Ernst, dass ausgerechnet DU einen Fehler einsieht!" Bakura schloss die Augen, damit sein Cousin nicht die darin schimmernden Tränen bemerkte. "Dieses eine Mal vielleicht schon ..." "Ryou, bitte sieh mich doch an, wenn ich mit dir rede...", seufzte Sharon und ergriff die Hand ihres Sohnes. "Bitte, erkläre mir doch, was ich da eben gesehen habe, ich verstehe es nicht!" "Du hast gesehen, was du gesehen hast", sagte Ryou gedämpft mit immer noch gesenktem Blick. "Da gibt es nichts zu erklären. Ich liebe Bakura auf eine andere Art. Es ist, wie es ist, so gerne ich es ändern würde, aber ich kanns nicht. Es tut mir Leid, Mama. Bitte hass mich nicht dafür." Ryou nahm ein leises Schluchzen wahr und fühlte sich unbehaglich. Seine Mutter weinte sonst nie. "Ryou, ich bin sicher, dass es da eine Erklärung gibt. Wir werden dir einen Platz bei einem guten Psychologen besorgen. Schatz, es wird bestimmt alles gut, ja?" Da hob Ryou das erste Mal den Blick. Seltsamerweise lächelte er. Zu einem Psychologen? Glaubten sie jetzt tatsächlich, dass er geistesgestört war? Weil er Bakura liebte? Andererseits, normal war es ja nicht. Aber Ryou war nicht verwirrt. Er wusste, was er wollte. Und das war Bakura. Plötzlich wurde ihm alles klar. Alles erschien ihm so logisch. "Ja, Mama, wahrscheinlich hast du Recht", sagte er sanft und er konnte regelrecht die Erleichterung seiner Mutter dabei spüren. Dann umarmte ihn seine Mutter. "Ich bin froh, dass du das auch so siehst, Ryou", wisperte sie. "Du bist mein lieber Junge..." "Kannst du mir mal sagen, was diese Scheiße sollte?", brüllte Bakura und Malik wurde nahezu von der Wut in dessen Stimme überrollt. "Wovon bitte redest du?", fauchte er zurück und stemmte die Hände in die Hüften. Bakura packte ihn plötzlich am Kragen. "Von den verfickten Fotos, die du meinem Alten hast zukommen lassen!" "Was für Fotos und wieso zum Henker glaubst du, dass ich die Emailadresse deines Vaters habe?" Plötzlich ließ Bakura ihn los und grinste. So, dass Malik nervös wurde. "Was?" "Ich habe dir nie gesagt, dass er die Fotos per Email erhalten hat." Malik schien es mit einem Mal zu dämmern und plötzlich fiel alles von ihm ab. Er rollte mit den Augen. "Ja, mein Gott, dann habe ich ihm eben diese blöden Bilder geschickt, aber, Bakura, ganz ehrlich, wundert es dich? Ich habe auch meinen Stolz, glaubst du allen Ernstes, dass ich mich von dir wie ein Stück Scheiße behandeln lasse und das einfach so hinnehme?" Die lavendelfarbenen Augen blickten direkt in seine. Bakura wusste dem nichts mehr entgegenzusetzen. "Gut, ok, ich gebe zu, das war falsch, aber kannst du dir eigentlich nur ansatzweise vorstellen, was du damit alles kaputt gemacht hast? Meine Eltern überlegen, mich nach England zu meiner Tante zu schicken - das ist furchtbar, ich hasse dieses blöde Wetter da und in dem Haus meiner langweiligen Tante stinkt es überall nach Katze!" "Und natürlich musst du dich doch so langfristig von Ryou trennen", fügte Malik zynisch hinzu, woraufhin Bakura die Arme verschränkte und irgendetwas vor sich hinbrummelte. Plötzlich spürte Bakura eine Hand auf seiner Schulter und überrascht wandte er sich um. "Bakura, ich ... denke, wir sind quitt. Ich werde sicher nicht rumschnulzen von wegen, dass ich euch wünsche, dass ihr glücklich werdet, denn das wäre gelogen, weil ich mir in Wahrheit wünsche, dass ihr merkt, was für einen fürchterlichen Fehler ihr da macht und du merkst, dass du immer nur mich geliebt hast und zur mir zurückkehrst und ich werde mir wahrscheinlich so lange einreden, dass das irgendwann passieren wird und daraufhin irgendwann todunglücklich werden, aber ... Naja ... Ich werd euch nicht mehr im Weg stehen. Es reicht, wenn nur einer von uns Dreien unglücklich ist." Bakura sah den Ägypter sprachlos an. Alles hatte er erwartet. Alles, nur das nicht. "Schon ok, sag lieber nichts, was irgendwie peinliches Schweigen verursachen könnte", sagte Malik mit einem schiefen Grinsen und schlug Bakura dann kumpelhaft auf die Schulter. "Ich muss los." Als Bakura an diesem Abend nachhause kam, oder besser gesagt dorthin, wo er vorübergehend lebte, sollte ihn noch eine ganz andere Überraschung erwarten. Ryou. "Was machst du denn hier?" Und plötzlich fiel ihm das blaue Auge auf, das Ryou hatte. "War er das?", zischte er wütend. Seltsamerweise wirkte Ryou irgendwie glücklich. "Ja. Aber weißt du was? Es ist mir egal. Ich hab meine Sachen gepackt und heute früh, als Papa aus dem Haus war, bin ich hierhergekommen und seitdem warte ich auf dich. Ich hab Papas Ersparnisse geklaut - ich wusste schon immer, wo er sie versteckt hatte, aber - Bakura, das sind 800 000 Yen, damit können wir überallhin, wo wir wollen!" Bakura fasste Ryou an den Wangen. "Bist du verrückt?" "Ja, absolut!", lachte dieser. "Los, pack deine Sachen, Kura, bevor Papa irgendwas davon merkt!" "Was, wenn Akefia uns verpfeift?", erwiderte er misstrauisch. "Wird er nicht." Und Bakura vertraute ihm. Epilog: .Fußspuren ------------------ Bakura hatte noch die Sache mit Otogi bereinigt, bevor sie gegangen waren. Nun standen sie hier am Strand und hielten sich an den Händen, wie zwei kleine Jungen, nur, dass sie nun keine kleinen Jungen mehr waren. Und sie waren auch keine Brüder mehr. Die frische salzige Meeresluft einzuatmen wirkte befreiend und stärkend. Der kühle Wind, der vom Meer herkam, ließ ihre Haare flattern und durch diese Bewegung wirkte das Sonnenlicht wie das Schimmern von Diamant. Sie sahen beide aufs Meer hinaus. Verloren keine Worte. Sie waren jung. Unglaublich jung und wenn man so jung war, dann war es schwer, sich in der Welt zurechtzufinden. Wie es weitergehen würde, konnte keiner wissen. Aber es würde weitergehen. Irgendwie. Irgendwie gab es für jedes Problem eine Lösung. Außerdem hatten sie sich. Und das war die Hauptsache. "Bakura?" "Hm?" "Komm, wer mehr Fußstapfen machen kann, ohne dass sie weggespült werden, gewinnt...!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)