Babysitting?! von abgemeldet (I'm here for you) ================================================================================ Kapitel 2: Step 2 ----------------- Der Rest des Abends verlief merkwürdigerweise ohne weitere Ereignisse. Der Kleine verzog sich in sein Zimmer und kam nicht mehr heraus. Nach einer Stunde machte ich mir dann doch Gedanken, und ging nach oben. Es war ungewohnt, Treppen zu nutzen, die von einem Teppich überzogen waren. Man sollte meinen, dass sowas im einundzwanzigsten Jahrhundert ziemlich ungewöhnlich war. Aber hier schien es das normalste der Welt sein, zumindest für die Hausbewohner. Mir war etwas unwohl dabei, da ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, der Teppich würde jeden Augenblick wegrutschen. Wie kam man auch bitte auf die Idee, einen Teppich auf einer Treppe zu positionieren? Und dann auch noch einen blauen? Wenn er rot wäre, dann hätte man es noch auf die alten Zeit, wo es noch Könige und Kaiser und so einen Kram gab, verschieben können. Aber blau? Über diese Gedanken den Kopf schüttelnd suchte ich in der oberen Etage nach dem Zimmer meines Schützlings. Und siehe da: Es war definitiv einfach zu finden, da ein ziemlich ausgeschmücktes, schwarz-blaues ‚R‘ auf der Tür zu erkennen war. Die Form erinnerte mich stark an einen der detailierten und verschnörkelten Buchstaben, die in den älteren Büchern immer am Anfang eines neuen Kapitels zusehen waren. Ich musste gestehen, dass ich kein sonderliches Interesse, an dieser Art der Kunst hatte, aber irgendwo war es doch schon ein wenig faszinierend. Ich klopfte an die Tür und lauschte. Stille. Ich runzelte kurz die Stirn. Hörte er Musik? Vorsichtig drückte ich die Türklinke herunter und schob die Tür auf. Verwundert stellte ich fest, dass das Licht vom Flur wie ein Kegel auf den Zimmerboden fiel und offensichtlich die einzige Lichtquelle bot. Dunkelheit hielt den Rest des Raumes umschlossen. Ein kurzer Blick zur Zimmerdecke verriet mir, dass ich mir das nicht nur einbildete. Das Licht war wirklich gelöscht. Suchend ließ ich meine Finger über die Wand neben der Tür fahren, bis ich den Lichtschalter fand und ihn betätigte. Augenblicklich flammte die Lampe auf und erhellte den Raum. Mir bot sich der Anblick eines typischen Teenager-Zimmers. Poster an der Wand, ein paar Klamotten auf der Erde, ein von Schulsachen und CDs überfüllter Schreibtisch, Regale voller Bücher, eine kleine schwarze Couch mit roten Kissen, diesem gegenüber ein Fernseher mit angeschlossenen Konsolen... das übliche eben. Allerdings bot sich mir ein ziemlich seltsames Bild. Roxas lag in seinem Bett und kuschelte sich friedlich schlummernd in sein Kissen. Ich blinzelte mehrmals, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht versah. Der schlief doch ernsthaft schon. Es war noch nicht mal halb zehn und der Junge schlief. Das war doch... mir fehlten jegliche Wörter, die die Situation beschreiben konnten. Der Blondschopf war wirklich kein gewöhnlicher Teenager. Nie zuvor hatte ich einen Fünfzehnjährigen vor Zehn im Bett gesehen. Niemals. Und ich hatte schon verdammt viel erlebt. Etwas verwundert betrat ich das Zimmer und schloss leise die Tür. Wenn er wirklich schlief, brauchte ich ihn nicht zu wecken. So war er immerhin definitiv am leichtesten zu handhaben. Dennoch vertraute ich dem Frieden nicht ganz. Wie kam es bitte, dass ein Junge, ein fünfzehnjähriger Rockmusik-Liebhaber, jetzt schon schlief? Das ergab einfach keinen Sinn. Vorsichtig näherte ich mich dem schlafenden Teenager. Er erschien richtig entspannt und friedlich, nicht so schüchtern und besorgt, wie ich ihn vorher kennen gelernt hatte. Und dieser unbesorgte Ausdruck gefiel mir auf seinem Gesicht wirklich besser. Es passte irgendwie nicht zu ihm, so in sich gekehrt zu sein, soweit ich das behaupten konnte. Immerhin hatte ich ihn auch schon einmal so erlebt, als er sich mit meiner Süßen beschäftigt hatte. Unweigerlich musste ich leicht grinsen und zog die Bettdecke aus der Ecke, in die der Kleinere sie wohl im Schlaf getreten hatte. Sie war relativ dünn, einer Wolldecke ähnlich, und doch umhüllte sie ein weißer Bezug mit Drachenaufdruck. Ich tendierte stark zu Mikrofaser. Ich sah mich noch einmal nach einer anderen Decke um, fand jedoch keine. Demnach musste das wirklich die Bettdecke des Kleinen sein. Skeptisch musterte ich sie. Vielleicht hatte er im Winter ja eine Andere und nutzte die dünne hier nur im Frühling und Sommer? Möglich. Ich hielt es bei den aktuellen Temperaturen auch nie wirklich lange unter meiner Decke aus, weil die einfach zu dick und warm war. Immer noch ein wenig mit dem Thema beschäftigt, breitete ich die Decke über dem Jungen aus. Wenn er sie wirklich nicht brauchte, würde er sie wieder in die Ecke befördern, davon war ich überzeugt. Also brauchte ich mir keine Gedanken zu machen. Kurz musterte ich den Jüngeren noch einmal. Japp, ihm stand dieser entspannte Ausdruck definitiv besser. Das würde ich ihm auch sagen, sollte ich ihn nach heute noch mal sehen. Vielleicht zumindest. Aber vorerst würde ich es wohl für mich behalten. Rasch und ebenso leise verließ ich das Reich meines kleinen Schützlings wieder und schaltete das Licht aus. Wenn er schon einmal schlief, wollte ich ihn auch schlafen lassen. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. So. Hatte ich nun also unverhoffter Weise doch noch einen Abend für ‚mich‘. Ohne groß auf ein Kind achten zu müssen und, was noch besser war, ohne Erziehungspersonen, alias Eltern! Eventuell wurde das heute ja doch noch richtig angenehm. Blieb nur noch zu hoffen, das Roxas nicht in einer Stunde wieder aufwachte. Aber solang ich nicht unbedingt den Krach des Jahrtausends veranstaltete, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering. Erneut über den Teppich den Kopf schüttelnd, ging ich wieder die Treppe hinab und verzog mich in das Wohnzimmer. Meine Gitarre bezog, wie nach der raschen Reaktion des Jüngeren vor dem Abendessen zu erwarten war, auf der Couch Stellung. Ich musste ein wenig schmunzeln. Irgendwie war es ja schon niedlich gewesen, wie verkrampft der Kleine vorher versucht hatte, die Gute zu spielen. Aber im Endeffekt hatte er es ja dann auch hinbekommen. Mit Sicherheit würde der Blondschopf das nächste Mal gleich entspannter mit einer Gitarre umgehen, wenn er eine in die Finger bekam. Ein wenig triumphierend verstaute ich die Gitarre wieder in ihrem Koffer. Verwenden würde ich sie heute ohnehin nicht mehr, da ich nicht riskieren wollte, den Jüngeren doch wieder aufzuwecken. Also musste nun mein guter alter Freund, der I-Pod, herhalten. Man sollte meinen, dass ein I-Pod nicht wirklich viel Bedeutung im Leben eines Abiturienten haben sollte, aber das hatte er. Und wie er das hatte. Ohne das Teil wäre ich im Leben ziemlich aufgeschmissen. Nicht, weil ich die stundenlangen Reden meiner Lehrer darauf abgespeichert hatte (die nebenbei nicht ganz erlaubter Weise darauf gelandet waren), sondern eher, weil ich alle meine Musik-Dateien drauf gezogen hatte. Von A bis Z war wirklich alles aus meiner Musiksammlung dabei – natürlich mit Ausnahme der Phil Collins-, Genesis- und Pur-Songs meiner Mom, von denen zugegebener Maßen nicht alle so schrecklich waren, wie ich gern behauptete. Flink wühlte ich den schwarzen Player aus meiner Tasche und schaltete ihn ein. Oder eher, ich versuchte ihn einzuschalten. Aber Fehlanzeige. Immer, wenn ich dachte, dass er jetzt endlich anging, verabschiedete sich das Teil direkt wieder. Das Symptom sprach Bände. Akku leer. Na prima. Dabei hatte ich den doch heute morgen erst aufgeladen. Naja, im Laufe des Tages lief der I-Pod ununterbrochen, das war mit großer Wahrscheinlichkeit der Grund für die nun fehlende Energie. Mist. Und jetzt? Jetzt musste wohl oder übel mein Handy herhalten. Zwar war die Auswahl an Titeln nicht ganz so groß, wie bei meinem Player, aber dafür befanden sich auf dem Handy nur meine Favoriten. Auch irgendwo ein Vorteil. Leider kam ich gar nicht mehr zum Hören, da ich auf dem Display meines Handys erkannte, dass jemand versucht hatte, mich anzurufen. Irritiert runzelte sich die Stirn. Wer rief mich bitte an einem Mittwochabend an? Zudem an diesem? Ich hatte den Jungs gesagt, dass ich heute nicht konnte, da ich auf Roxas aufpassen musste. In solchen Fällen wagte es eigentlich keiner aus der Truppe, mich anzurufen. Allerdings schien es heute anders zu sein. Denn nun verriet der Display, dass Demyx der Übeltäter war. Merkwürdig. Rasch betätigte ich die Rückruftaste und lauschte dem regelmäßigen Tuten, welches von Demyx‘ nervigen Freizeichenton begleitet wurde. Seit er sich diesen Ton zugelegt hatte, hegte ich einen tiefergehenden Hass auf das Spiel Tetris, über den die Anderen sich gerne amüsierten, indem sie gerade dieses Spiel jeden Sonntagabend vorschlugen. Nach dem ersten Durchlauf der Melodie, befreite Demyx mich allerdings von der Qual: „Hey, Ax! Wie schaut’s aus?“ „Aktuell ganz gut.“, gab ich auf die durchaus typische Begrüßung des blondhaarigen Musikers zurück, allerdings ließ mich ein kleiner Unterton in der Stimme meines Freundes ein wenig stutzen. Irgendwas war, aber ich konnte es noch nicht ganz genau zuordnen. Als Demyx dann auch noch leise zu kichern begann, war ich vollends verwirrt. „Was ist so komisch?“, forschte ich nach, als der Andere sich auch nach einigen kurzen Minuten nicht eingekriegt hatte. „Nüx! Ich freu mich nur, dassu anrufst!“, antwortete er immer noch recht amüsiert und nun wusste ich auch, was dieser seltsame Unterton zu bedeuten hatte. „Demyx? Bist du besoffen?“ „Nee! Wie kommsu denn darauf?“ Da war es wieder. Dieser nun doch ziemlich deutliche Unterton. „Du lallst!“ Mehr als ein kleinlautes ‚Oh‘ bekam ich darauf nicht als Antwort. Na toll. Ich wartete kurz, ehe ich zum Sprechen ansetzte: „De...“ „Ax? Kann ich zu dir komm‘?“, unterbrach mein Freund mich und ich stutzte kurz. Hatte er vergessen, wo ich war? „Dem, du weißt, ich...“ „Bitte!“ Autsch! Die Tonlage war mir mehr als bekannt. Irgendetwas war passiert. Irgendetwas, dass den Guten ziemlich aus der Bahn geworfen hatte. Aber ich konnte ihn jetzt eigentlich schlecht holen. Immerhin wusste ich nicht, wann Roxas‘ Eltern wieder nach Hause kommen würden. Und wenn die einen Demyx hier neben mir vorfänden, ergäbe das ziemlichen Stress. Kurz überlegte ich, schüttelte dann jedoch den Kopf. Das hier, war jetzt definitiv wichtiger, als alles andere. Demyx griff niemals unüberlegt zum Alkohol. Er war in der Regel sogar der, der unsere Gruppe davon abhielt, sich das Hirn wegzusaufen. Also musste echt etwas Weltbewegendes vorgefallen sein. Und bei Demyx konnte das ziemlich viel sein. Seine Familie, seine Beziehung, sein Job... Ich tippte auf das Zweite. Ich wusste genau, wie es aktuell zwischen Demyx und seiner Flamme aussah. Marluxia war zurzeit beruflich in Paris. Das zerrte ziemlich an ihrer Beziehung und Demyx hatte deswegen schon oft bei mir geschlafen, nur damit er nicht alleine sein musste. Er war noch nie der Typ für Fernbeziehungen gewesen. Er musste seine Liebsten immer in der Nähe und für ihn greifbar wissen, sonst war er nicht glücklich. Das Marluxia angehender Mode-Designer war, machte die ganze Sache noch um einiges komplizierter, da er dadurch wirklich oft verreisen musste und Demyx wegen seinem Job nicht mitkonnte. Die ersten Tage ging es mit der Einsamkeit bei dem Musiker meist noch, aber nach vier Tagen allein ging es dann gar nicht mehr. Dann nistete er sich meist bei einem aus der Clique ein, um Ablenkung zu finden. Bisher hatte das auch blendend funktioniert. „Klar!“, stimmte ich also zu und nannte ihm die Adresse. Er wohnte zwar keine sechs Blocks von hier entfernt, aber trotzdem hatte ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. „Sorry, dass ich dich nicht holen kann.“ „Nich‘ schlimm. Bin gleich da!“ und damit legte er auf. Langsam ließ ich das Handy wieder sinken. Innerlich hoffte ich, dass es nichts mit seiner Beziehung zutun hatte. Denn dann half vorerst nur eines: Ein Telefonat mit Marluxia, und das war um diese Uhrzeit wahrscheinlich mit das Schwerste, was man veranlassen konnte. Seufzend ließ ich mich auf das Sofa fallen und legte den Kopf in den Nacken. Problemgefüllter Abend, herzlich Willkommen im Hause Heaven. „Wer war das?“ Erschrocken setzte ich mich auf und blickte zur Tür. Roxas stand dort und sah mich fragend an. „Hab ich dich geweckt?“, versuchte ich das Thema sofort umzulenken. Er schüttelte jedoch den Kopf. „Ich habe eigentlich nicht geschlafen.“ Nicht? Mist, dann hatte er mitbekommen, dass ich in seinem Zimmer war. Na toll. Aber scheinbar hatte es ihm nichts ausgemacht, sonst hätte er mich sofort verbannt. „Also, wer war das?“, bohrte er noch einmal nach. Ergebend seufzend stützte ich das Kinn auf einer Hand ab. Er würde es spätestens in zehn Minuten ohnehin herausfinden, also warum groß hinter den Berg halten? „Ein Freund von mir. Er hat gerade offensichtlich die Kacke am dampfen und kommt vorbei.“, gestand ich dem Blondschopf und erhob mich. Sein verwirrter Blick sprach Bände. „Keine Panik. Ich werde ihn nicht rein lassen, wenn du das nicht möchtest.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)