Despair von Noveen (Abgründe einer Seele) ================================================================================ Prolog: -------- Wenn man keine Kraft mehr zum leben hat und einen alles sinnlos erscheint - was tut man dann? Wenn einen niemand liebt, dich jeder beschimpft und verachtet - was tut man dann? Wenn man mit seinem Schicksal nicht klar kommt, einfach nur noch sterben will - was tut man dann? Wenn man sich misshandelt und ausgelaugt fühlt - was tut man dann? Wenn alle einen verlassen, die man liebt - was tut man dann? Wenn jeder einen ignoriert, links liegen lässt und man das Gefühl hat nichts wert zu sein - was tut man dann? Wenn selbst am sonnigsten Tag in deinem Herzen nur Dunkelheit wohnt - was tut man dann? Wenn man von allen verraten, belogen und betrogen wurde - was tut man dann? Wenn man sich selbst hasst, sich verletzen und bestrafen will, bis man schreit - was tut man dann? Wenn man Vergewaltigt wurde und nicht damit fertig wird - was tut man dann? Wenn unsichtbarer Schmutz auf einen lastet, der nicht abzuwaschen ist - was tut man dann? Wenn alle diejenigen dich verraten, denen du vertraust - was tut man dann? Wenn dein Herz leer ist und man sich sicher ist nichts mehr fühlen zu können - was tut man dann? ... Richtig. Man bereitet seinen Leben ein Ende. Das befreiende Aus, ohne jegliche Erinnerung an die schreckliche Hölle, die sich leben nennt. OoOoO Langsam zog die Klinge über den schmalen Arm... Zerschnitt die Haut... Mit leichten Druck...noch mal...tiefer... Jetzt der andere Arm... Die Schlagader entlang... Rotes, warmes Blut...so viel Blut... Herrlich rot... Die sicht verschwimmt... die Augen brennen... Weinte er etwa? Hatte er Angst vor dem Tod? Vielleicht etwas... Der ganze Körper wird taub...der Schmerz verschwindet fast völlig... Schwarze Punkte tanzen vor den Augen... Sanfte Ohnmacht legt sich über ihn... Wie schwarze Schwingen, die ihn umhüllen... Mitnehmen auf eine spannende, völlig unbekannte Reise... Weit weg von hier... Und dann, ganz langsam sinkt der leblos Körper zu Boden. OoOoO „Die Zeit heilt alle Wunden, hab ich geglaubt Der Schmerz sitzt zu tief, ich hab dir vertraut Die Sterne fallen ins Dunkel Ihr Licht ist lange aus.“ Kapitel 1: Scherben ------------------- „Oh mein Gott! Schnell er muss sofort ins Mary Hope!“ „Puls Null-... Kein Herzschlag.“ „Nehmen sie ihn in ihren Wagen, ich kümmere mich um die Widerbelebung!“, schrie de Hexe mit den langen dunklen Haaren fast hysterisch. Während sie sich über den zierlichen Jungen, mit Blutleeren Gesicht beugte und begann eine Herzdruckmassage durchzuführen. „Bleib bei uns, Junge. Komm zurück!“, flehte sie leise zum Himmel. „Immer noch nichts!“, sagte der junge Mann neben ihr. Die Frau antwortete nicht... pumpte weiter... Nein! So hatte es keinen Sinn... sie musste es wohl oder über von innen machen! „Hol mir meine Arzttasche, Cesare. Ich werde ihn operieren.“ OoOoO Er segelte durch die Dunkelheit hindurch, fühlte sich schwerelos und frei. Wie ein Vogel der seine Runden flog. Doch langsam lichtete sich das Dunkle und er tauchte in gleißendes Licht. Plötzlich hörte er Stimmen laut durcheinander schreien. Viel zu viele auf einmal...er verstand kein Wort. Was war denn nun los? Ein stechender Schmerz kehrte in sein Bewusstsein ein...machte ihm klar, das irgendwas nicht stimmte. Seit wann fühlte man den Schmerzen wenn man tot war? Außer natürlich... man war gar nicht tot!! Nein! Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wie im Rausch nahm er die Stimmen war, verstand die Worte, aber nicht ihre Bedeutung. Immer mehr klärte sich sein Verstand...machte das unbegreifbare begreifbar... er lebte noch! Das durfte nicht sein...das konnte nicht sein...! er hatte doch alles so genau geplant! Warum hatten die ihn gerettet? Um ihn weiter zu quälen? Der Schwarzhaarige Junge riss die Augen auf, als etwas kaltes seine Stirn berührte. Bemerkte diesen Reflex nicht mal... Er sah eine junge Frau, die sich über ihn beugte und mit einem Lappen seine Stirn abtupfte. Als sie merkte das er wach war, lächelte sie. „Na...wie geht es dir denn? Es ist alles gut. Du bist im Krankenhaus Mary Hope.“ Er blickte sie nur ausdruckslos an. Er verstand die Worte nicht, konnte ihre Bedeutung nicht zuordnen. Starrte bloß das Gesicht vor sich an. Der pochende, alles verschlingende Schmerz nahm ihn nun völlig in Besitz. Unsanft biss er sich auf die Lippe. „Mhm... ruh dich noch etwas aus... ich besuche dich nachher noch einmal, okay?“ Wieder keine Reaktion von ihm. Seufzend ging sie und schloss die Tür leise hinter sich. Der Junge sah ihr eine Weile nach, richtete seinen Blick dann aber auf die schneeweiß Decke des Zimmers. Weiß... so weiß und doch so leer... Minuten lang starrte er an die Decke und versuchte sich an irgendetwas zu erinnern, was passiert war. Er durchforstete sein Gedächtnis auf der Suche nach Antworten auf seine Fragen... doch da war nichts... Sein Gedächtnis war leer, wie die weiße Decke über ihm. Ergeben schloss er nach ein paar missglückten Versuchen die Augen und versuchte den Schmerz auszublenden... war gar nicht so einfach war. Dieser hämmernde Schmerz, war kaum auszuhalten...am liebsten hätte er laut geschriene. Doch dazu fühlte er sich noch nicht in der Lage, wusste nicht einmal genau, ob er überhaupt eine Stimme besaß. Aber das allerschlimmste an den Schmerzen war, das sie ihn daran erinnerten, das er noch lebte... OoOoO Die junge Ärztin kehrte zurück in das Beratungszimmer der Station und wurde sofort von ihren Kollegen mit Fragen bombardiert. „Wie geht es ihm?“ „Ist er wach?“ „Hat er schwere Verletzungen?“ Die Frau lächelte nachsichtig. Ja, diese Sache hatte alle ziemlich mitgenommen und aufgekratzt. Sie hatten sich ja auch alle rätlich bemüht das Leben des Jungen zu retten. Da konnte sie es den Andern nicht verübeln, das sie viele Fragen hatten. Sie setzte sich auf den einzigsten freien Stuhl und griff sich einen Apfel aus dem Früchtekorb auf dem Tisch. „Sein Zustand ist stabil. Die Schnitte an den Armen sind das schlimmste, aber ich denke außer vielleicht ein paar Narben, wird nichts schwerwiegendes zurück bleiben. Der Kleine ist grad wach geworden, hat aber noch kein Wort gesagt.“, informierte sie also ihre Kollegen großzügig, ehe sie in den Apfel biss. Die Anderen hatte ihr gespannt zugehört und atmeten nun sichtlich auf. „Dann kann es ja nur besser werden“, stellte Cesare, der junge Student, fest, der bei der Einlieferung ebenfalls dabei gewesen war. „Ja“, bestätigte die Blonde und biss noch ein Stück von ihrem Apfel ab. „Ich kann dich jetzt ablösen, Yulia.“, kam nun plötzlich eine Stimme von der Tür. „Oh, Jin. Schon fertig mit deiner Visite?“, fragte die junge Ärztin überrascht. Der Angesprochenen nickte. „Du kannst dann Feierabend machen. Dein Tag war ja ziemlich aufregend, wie man gehört hat.“ Yulia nickte etwas müde und schmiss das Kerngehäuse ihres Apfels in den Mülleimer. „Ja, das ist nett von dir. Aber könntest du mir einen Gefallen tun?“ Der dunkelhaarige Arzt sah sie fragend an. „Klar, der da wäre?!“ „Bitte, schau immer mal bei meinem neuen Patienten in Zimmer 88 vorbei. Du weiß schon, der heute eingeliefert wurden ist. Er ist zwar stabil, aber ich mach mir schon ziemliche Sorgen!“, bat sie und stand auf. Der Mann nickte nur und hielt ihr den Mantel hin. „Natürlich. Bei mir ist er in den besten Händen. Mach dir mal keine Gedanken.“ „Das weiß ich doch, Jin“, lächelte sie und schlüpfte in ihren Mantel. „Bis morgen, Leute. Und schönen Abend noch.“ „Bis dann, Yulia. Dir auch.“ „Bye.“ OoOoO Jinai Hatori betrat leise das Zimmer 88. Der Junge mit dem schwarzen Haarschopf lag still in seinem Bett. Das bleiche Gesicht wollte so gar nicht zu den pechschwarzen Haaren passen, die sich stark vom Blütenweißen Bettzeug abhob. Die zierlich Gestalt war unter der Massige Decke kaum auszumachen. Langsam kam der Arzt näher. Blickte den Jungen an, der mit angespannten Gesicht tief in den Kissen vergraben war. Feine Tränenspuren glitzerten auf seinen Wangen. Sie schienen noch relativ frisch zu sein. Ob er starke Schmerzen hatte? Jin zog sich den Stuhl, der eigentlich für die Besucher vorgesehen war, ans Bett heran und ließ sich darauf sinken. „Bist du wach, Kleiner?“, fragte er leise. Und tatsächlich bewegte sich der Angesprochene etwas. Sein Kopf wand sich zu ihm und die Lieder der Augen öffneten sich. Darunter erschienen die schönsten, smaragdgrünen Augen, die er je gesehen hatte. Doch sie waren tot... fern von jeglichen Gefühlen. So als wüssten sie nicht was das Wort Emotionen bedeutete. Es waren die leersten Augen die Jin je gesehen hatte. Er schluckte leicht. Was war dem Kleinen nur angetan wurden? ... So ohne weiteres wollte man ja auch keinen Selbstmord begehen. „Hast du große Schmerzen?“, fragte er und wollte nach vorne greifen um den Kleineren die Tränen wegzuwischen. Im nächsten Moment sah er die erste Regung auf dem Gesicht seines Gegenübers. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, doch er sah sie deutlich. Panik. Dann zuckte der Kleine wimmernd zurück, rollte sich ängstlich zusammen und verzog schmerzvoll das Gesicht. Ein tiefer Stich fuhr durch das Herz des Arztes. Sofort zog er die Hand zurück und legte sie wieder auf seine Knie. „Shht ist okay, Kleiner. Wenn du es nicht willst, fass ich dich auch nicht an.“, sagte er mit sanfter Stimme. Er glaubte noch nie in seinem Leben mehr Mitleid mit irgendeinem Lebewesen gehabt zu haben, als jetzt. Die Reaktion des Jungen zeigte ihm deutlich, das irgendwas nicht stimmte. Irgendwas schreckliches war mit ihm passiert. „Du hast doch sicher Schmerzen“, fing er nach wenigen Minuten wieder an, als er merkte, das sich der Jüngere etwas beruhigt hatte. „Darf ich dir helfen?!“ Der Schwarzhaarige sah ihn mit großen Augen an. In denen immer noch keinerlei Gefühle zu sehen waren. Nicht einmal der Schmerz, schien richtig in sie durchzudringen. Es war fast so, als würden diese Augen überhaupt nicht zu dem Jungen gehören... als wüssten sie gar nicht was er fühlte. Jin begriff schnell, das der Junge nicht antworten würde und fuhr deswegen fort: „Ich würde dir gern ein Mittel gegen die Schmerzen geben...damit du schlafen kannst. Was meinst du? Darf ich das?“ Ein sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er das schwache Nicken bemerkte. Er stand langsam auf, ging durchs Zimmer und las an der Tafel die Dosierung, die Yulia festgelegt hatte. Dann wand er sich nickend um und ging zurück zum Krankenbett. Aus der Schublade des Nachttischchens holte er eine Spritze, nahm die Sicherungskappe ab. Prüfen hob er die schon gefüllte Spritze in die Höhe und drückte einmal prüfend zu. Aus der Spitze stäubte das Serum in die Luft. Zufrieden nickend überprüfte er noch mal die Dosis Zahl und wandte sich dann wieder zu dem Jungen um. „Leg deine Hand bitte mit den Unterarm nach oben aufs Bett und mach eine Faust, ja?“ Es war kein Befehl sondern eine Bitte, mit einem lieben Lächeln. Und das war wahrscheinlich der einzigste Grund warum der Kleiner gehorchte ohne zu zögern. Jin musterte den Verbundenen Arm, der sich ihm präsentierte. Er wusste genau das Amber den Arm hatte nähen müssen, so tief hatte der Kleine geschnitten. Er schluckte ein paar mal. Sein Mund war plötzlich staubtrocken. Vorsichtig schob er den Verband ein wenig zurück. „Es pickst ein bisschen. Aber das hältst du sicher aus.“ Er tastete nach der richtigen Stelle und als er sie gefunden hatte, drückte er die Haut des Kleineren zwischen zwei Fingern zusammen, setzte er die Spritze an und führte sie mit einer schnellen Bewegung ein. Dann drückte er das Serum in die Blutbahn des Jüngern. Der Körper zuckte leicht zusammen, aber er bewegte seinen Arm keinen Millimeter, sah stumm zu wie die farblose Flüssigkeit langsam in seinen Körper gedrückt wurde. Nach nicht einmal einer Minute war es vorbei. „Das hast du toll gemacht. Jetzt kannst du in Ruhe schlafen, okay? Ich sehe nachher noch mal nach dir.“ Damit verließ Jin das Zimmer des Kleineren. OoOoO „Es macht mich traurig so was zu sehen“, meinte Jin gerade zu seinem Kollegen Adam Richards. „Er hatte Angst vor einem direkten Körperlich Kontakt. Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit ihm passiert ist!“ Adam nickte traurig. „Ja, es muss was schreckliches gewesen sein...wenn er versucht es so zu lösen“, meinte er leise. Der Dunkelhaarige lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte schon zum wiederholten male, an die leeren, grünen Augen. Was nur war mit ihm passiert? Was hatte ihn dazu veranlasst sich selbst umbringen zu wollen? Wieso hatte er so tief in sein eigenes Fleisch geschnitten, das es mit vier Stichen genäht werden musste? Jin seufzte. „Ich weiß nicht. Er tut mir so unendlich leid. Aber wie kann ich ihm schon helfen?“, meinte er nun laut und sah gedankenverloren aus dem Fenster der Abteilung. Es war inzwischen Abend geworden und es dämmerte bereits. Der Himmel färbte sich in den schönsten Rottönen und nahm langsam seine Dunkle Nachtfarbe an. Die sonne war nur noch ein Halbkreis hinter den Schatten den riesigen Schatten der Häuser. Das kräftige Rot blendete Jin, so dass er die Augen zusammen kneifen und wegsehen musste. „Du kennst ja meine Meinung über solche Fälle. Aber wenn du was tun möchtest, dann sei für ihn da, wenn er dich braucht. Zeig ihm das er dir vertrauen kann. Das ist das einzige was du wirklich tun kannst. Der Rest liegt an ihm“, erwiderte Adam. Oh ja, Jin wusste nur zu gut, das Adam überhaupt nichts davon hielt, wenn ein Arzt sich zu sehr auf einen Patienten konzentrierte, weil es so leicht vorkam, das er andere Patienten darüber vernachlässigte. Doch in erster Hand, war der Grund für diese Sicht wohl eigene bittere Erfahrung gewesen. Trotzdem war er dem Anderen dankbar für seinen Rat. Er nickte nur und meinte dann: „Danke, Adam. Du hast wahrscheinlich Recht.“ Dann herrschte Minutenlang stille. Die Beiden Männer saßen da und hingen jeder für sich ihren Gedanken nach. Jin blickte nun wieder aus dem Fenster. Die Sonne war nun nicht mehr als ein schmaler Streifen am nächtlichen Himmel. Bald würde sie der Finsternis platz machen müssen. Wieder seufzte er und dachte an den Jungen in Zimmer 88, der nun sicher seelenruhig schlief. Still beschloss er nachher noch einmal nach ihm zu sehen. Zwar wusste er das Adam Recht hatte, doch konnte er dieses tiefe Gefühl für den Kleinen nicht verdrängen. Er wollte ihm helfen, irgendetwas tun, das der Junge sich besser fühlte. Wieder sah er diese leeren Augen vor sich. Die smaragdgrünen Seelenspiegel, die so aussahen, als gehörten sie nicht zu diesem Körper. Und plötzlich viel ihm ein, an was ihn dieser Junge erinnerte. Diese Augen schienen die Spiegel seiner zerbrochenen Seele zu sein. Tausend Scherben schienen in seinem Inneren zu stecken. Vielleicht schmerzten sie ihn mehr, als die Schnittwunden an seinen Unterarm. Traurig dachte er an die Reaktion zurück, als er ihn berühren wollte. Diesem Jungen war etwas Unaussprechliches geschehen. Dieses Grauen hatte seine Seele zerstört und keiner der Ärzte auf dieser Station wusste ob dieser Junge je wieder normal leben konnte. In diesen kurzen Moment hatte er das unaussprechliche Entsetzen in den Augen des Kindes gesehen... Natürlich konnten sie seine Wunden heilen, aber seine Inneren Wunden konnte nur er selbst behandeln. Die Scherben, konnte er nur selbst herausziehen und zu Tage fördern. Aber das war mit Angst, Verzweiflung und unendlichen Schmerzen verbunden. Das wusste Jin aus Erfahrung. Und ob der Kleine die Kraft dazu aufbringen konnte, stand noch in den Sternen... Denn meistens brauchte man etwas, für das man bereit war, dies alles in Kauf zu nehmen... eine Person die man liebte, oder etwas anderes wichtiges... etwas, das einen motivierte zu leben...! OoOoO „ Nur noch ein allerletzter Kuss und dann will ich sterben, warum, es so tragisch enden muss? Ein Herz in tausend Scherben!!“ Kapitel 2: Zerbrochene Seele ---------------------------- - einige Tage später - Jin gähnte und rieb sich die Augen. Er hatte seit Stunden nicht mehr richtig geschlafen. Er zog sich schnell seinen Kittel über und ging dann durch die Gänge um die Morgenvisite zu beginnen. Eine Nachtschicht und eine Morgenschicht zu übernehmen war wahrscheinlich absolut falsch gewesen ... er hatte nur 3 Stunden Schlaf gehabt. Doch das war nun einmal notwendig. Noch immer mit der Müdigkeit ringend, betrat er das Aufenthaltszimmer der Ätzte. Schnell brühte er sich einen Kaffee auf und trank die Hälfte aus um nicht gleich umzukippen und auf den Flur zu schlafen. Danach begann er seine Visite im untersten Gang. Es ging Routinemäßig und ohne jegliche Zwischenfälle von Statten...jedenfalls bis er auf den Flur der Etage kam. Abrupt blieb er stehen, als er Schluchzer hörte. Er sah auf das Zimmer vor dem er stand... Zimmer 88. Das war doch das Zimmer von dem Jungen, der Gestern eingeliefert wurde und dem er gestern das Schmerzmittel verabreicht hatte. Vorsichtig und leise öffnete er die Tür und trat hinein. Vor ihm stand das Bett, auf das sich der Schwarzhaarige Junge zusammengerollt hatte, wie ein Igel. Er war eine kompakte Kugel, an die keiner mehr herankam, so als wolle er sich vor irgend etwas schützen. Sein ganzer Körper bebte unter den heftigen Schluchzern. Unschlüssig was nun zutun war, trat Jin einen kleinen Schritt auf ihn zu. „Kleiner?“, fragte er zögernd und so sanft wie es ihm möglich war. Doch trotz dieser Sanftheit fuhr der Junge zusammen, als hätte man ihn angeschrieen. Doch eine weitere Reaktion blieb aus. Nur seine Schultern hoben und senkten sich immer noch im gleichen Takt. Anscheinend hatte er einen Weinkrampf. „Kleiner?“, versuchte es Jin erneut leise. Nun wand sich der Schwarzhaarige um und sah ihn mit großen angstgeweiteten Augen an. „Was hast du denn? Hast du Schmerzen?“ Der Junge reagierte gar nicht, starrte ihn nur weiterhin wie paralysiert an und zum zweiten Mal – seit Jin ihn kannte – zeigte sich diese Regung in seinen Augen... Ein Gefühl, dass so viel mehr sagen vermochte als tausend Worte : namenlose Panik...! Der Arzt ging ohne lang darüber nachzudenken auf seinen kleinen Patienten zu und setzte sich ganz einfach auf die Bettkante des Krankenbettes. Das Kind reagierte, wie er erwartet hatte, sofort auf die ungewohnte Nähe. Verkrampft setzte er weiter zurück, so dass er fasst vom Bett segelte und wimmerte leicht. Was hatte man diesen Jungen nur angetan? Wie konnte man ein Kind dazu bringen, das Leuchten in den Augen zu verlieren und schon bei der kleinsten Nähe panische Angstzustände zu bekommen?? „Psst, Kleiner... ganz ruhig. Ich tu dir doch nichts...Ich möchte dir wirklich nur helfen...“, redete Jin ganz sanft auf den Kleinen ein. Er kannte seine Gabe als Arzt den Patienten Ruhe zu vermitteln genau und setzte sie auch dieses Mal wieder erfolgreich ein. Der Kleine entspannte sich etwas. „Falls du Schmerzen hast, kannst du mir zeigen wo, hm? Dann kann ich dir vielleicht helfen. Und wenn ich gehen soll, tu ich es auch...wenn du es willst...okay?!“, versuchte es Jin weiter. Der Schwarzhaarige sah fast schon ungläubig zu ihm auf. „Soll ich gehen?“, hinterfragte Jin noch einmal. Mit einem Lächeln nahm er das schüchtern – zögerliche Kopfschütteln als Antwort war. „Darf ich dir helfen?“ Sein Gegenüber schniefte bloß und neue Tränen bildeten sich in diesen faszinierenden Augen, die durch die Flüssigkeit wie Smaragde leuchteten. Eine zitternde Hand hob sich und legte sich dann auf die Brust, die ebenso bebte. Unverwandt sah er den Arzt an. Was sollte das bedeuten? Von neuem musterte er die Geste des Jüngern, der seinen Blick nun senkte und leise schluchzte. Doch jäh verstand Jin, in Erinnerung an seine eigenen Worte und er biss sich einmal fest auf die Lippen. /„Falls du Schmerzen hast, kannst du mir zeigen wo, hm? Dann kann ich dir vielleicht helfen.“/ Der Dunkelhaarige atmete einmal tief durch. „Tut es dir da weh?“ Als Antwort folgte ein fast undefinierbares Kopfzucken, doch Jin wusste, dass es ein Ja war. Auch wenn er sich nicht wirklich erklären konnte woher er es wusste. Ohne darüber nachzudenken packte er den Jungen und zog ihn zu sich heran. Dieser wurde in Sekundenbruchteilen steif wie ein Brett und begann sich verbissen gegen die Umarmung zu wehren. Jin der dies sofort registrierte ließ ihn bedauernd los und wartete als nächstes passierte. Ruckartig zog der Junge sich zurück und blieb an der äußersten Kante des Bettes sitzen. Dort umschlang er seine Knie und bildete wieder eine Halbkugel, die so wenig Angriffsfläche wie möglich bot...immer noch stumm weinend. Der Arzt seufzte. „Es tut mir Leid, Kleiner. Ich wollte dich nicht erschrecken...ehrlich. ich tu es nie wieder, versprochen!“ Der Schwarzhaarige hatte seinen Kopf in den Armen vergraben und kauerte sich so gut es ging zusammen... er schien niemanden mehr an sich heranlassen zu wollen. Jin war praktisch hilflos...Was sollte er nur tun...? Wie konnte er diesen Fehler wieder gut machen??? OoOoO Er spürte die heißen Spuren die, die Tränen zurückließen und das zittern seiner Lippen, als er versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. Der stechende Schmerz war wieder zum Leben erwacht und tötete alles Licht und jede Hoffnung in ihm... der Schmerz, der ihm so deutlich wie nichts anderes zeigte, dass er noch lebte. Warum? Seine Seele brannte...er wollte am liebsten nichts mehr fühlen...einfach sterben...hier und jetzt! Irgendeine schreckliche Schuld tobte wie ein Orkan in ihm und obwohl er sich nicht erinnern konnte, warum er sie empfand, wusste er doch, dass er etwas schreckliches, verabscheuenswürdiges gemacht hatte...etwas nicht zu verantwortendes. Scheu blickte er zu diesem seltsamen Mann ihn gegenüber auf, der nun aus dem Fenster sah und anscheiden auch seinen Gedanken nachhing. Diese scharfen/kantigen Gesichtszüge, die ein wenig arrogant wirkten, seine langen, schwarzen Haare, die zu einem Zopf gebunden und unter dem Kittel weitesgehend versteckt waren, die dunklen Augen...so dunkel, dass man sie fast als schwarz hätte bezeichnen können. Der gutgebaute Körper-...dies alles erinnerte ihn an irgendjemanden... an einen Menschen den er geliebt hatte...ein Foto? Es war eine schmerzhafte Erinnerung, die wie hinter einem dichten Vorhang, zwar verhanden war, aber nicht zu ergründen... was war da bloß? An wen erinnerte ihn dieser Mann? Er wollte ihn aus einem Gefühl heraus nicht gehen lassen, wollte ihm vertrauen...aber warum? Und wie sollte er das machen??? Konnte er eigentlich noch vertrauen? Er wusste keine Antwort auf all seine Fragen...keine einzige und das war auch das was ihn am meisten quälte... diese ganzen Fragen raubten ihm den Verstand... warum konnte er sich an nichts mehr erinnern? Der Junge löste seine Haltung etwas, versuchte auch diese schrecklichen Gedanken zu verdrängen...wenigstens für die Sekunde. Denn spätestens wenn er allein war, kamen sie wieder. So wie ein Bumerang der wieder und wieder an sein Ausgangsort zurückkehrte. Vorsichtig und immer darauf achtend wenn es sein musste schnell wieder Distanz zu nehmen, krabbelte er an den Mann heran, der immer noch still da saß. Ob er es wagen durfte? Scheu wie ein Kitz streckte er seine Hand nach dem Arm des Arztes aus. Immer näher und näher... Sein Herz schlug wie ein Presslufthammer und wollte sich einfach nicht beruhigen... Gleich...gleich würde er ihn berühren...! Und im nächsten Moment – krachte die Tür auf. Panisch schreckte der Schwarzhaarige zurück und entfernte sich wieder von dem Anderen, drängte sich in die hinterste Ecke seines Bettes. In der Tür stand ein Blonder Mann, der nun mit langen Schritten auf das Bett zuhielt. „Verdammt, Jin! Hier bist du! Wir suchen dich schon wie die Irren. Es gab einen neuen Notfall...Amber braucht dich, sofort!“, gestikulierte er aufgeregt. „Ganz ruhig! Schrei hier doch nicht so rum“, erwiderte Jin spitz und funkelte den Anderen an. Dann wand er sich zu dem Jungen, der verängstigt in der Ecke saß und wieder die Stellung eines Igels angenommen hatte. „Ist okay, Kleiner... das hier ist Adam, er tut dir auch nichts“, sprach er das Kind ruhig an. „Aber ich muss jetzt weg, weil jemand anderes meine Hilfe braucht, weißt du?“ Zögerlich hob der Kleinere den Kopf und sah den Arzt an, der ihm beruhigend zulächelte. „Ich komme dich vielleicht morgen wieder besuchen, okay?“ Damit herhob sie der Dunkelhaarige und ging hinter seinem Kollegen hastig zur Tür, um sich da noch mal umzudrehen und zum Abschied die Hand zu heben. Stumm sah er den Beiden nach und lehnte sich an die Wand zurück. Sein Name war also Jin?! Er sah an die Weiße Wand, die sich ihm gegenüber erstreckte. Zu weiß... Irgendwann wurde er hier drin noch verrückt! Alles so weiß und leer...so stumpf und farblos...einfach leblos! Er schüttelte heftig den Kopf, schloss die Augen und ließ sich von der Wand ins Kissen gleiten...er war müde. Gemütlich kuschelte er sich in seine Decke und versuchte einzuschlafen... Gleichzeitig wünschte er sich das Jin noch nicht gegangen wäre und wusste nicht einmal warum er sich so was dummes überhaupt wünschte. Jin war Arzt, er hatte noch mehr Patienten außer ihn... außerdem kannte er den Mann gar nicht. Also was sollte das? ... Jin ... OoOoO Schwarze Häuserumrisse flogen schnell an ihm vorbei. Er hörte Stimmen, um sich herum, über ihn...sie waren einfach überall... Dann hörte er einen Ruf, kaltes Lachen und einen fürchterlichen Schrei. Plötzlich verschwamm die Ansicht um ihn herum, so als ob man abrupt herumgewirbelt wird. Und plötzlich sah er drei Maskierte Männer, die mit Zauberstab auf ihn zuhielten... Lichtblitze verfehlten ihn knapp, prallten an Hauswänden und Bäumen ab und schlugen dunkle Krater in den Boden unter ihm. Als er hinunter sah, bemerkte er, dass er auf einen Besen hoch über einen kleinen Dorf schwebte... unter ihn rannten winzige Menschen um ihr Leben. Nun hob auch er seinen Zauberstab und versuchte die Maskierten von ihren Besen zu fegen, was nicht leicht war... Jäh schoss ein grüner Blitz auf ihn zu und raste in Richtung Herz...Sekundenbruchteile zu schnell, als das er die Gelegenheit gehabt hätte auszuweichen... Er kniff die Augen zusammen, rechnete mit allen...doch Minuten geschah nichts...! Als er seine Augen wieder Millimeter weit öffnete, sah er einen Besen vor sich fliegen...ohne Führer...! Panisch sah er sich in der Tiefen Schwärze unter sich um... und als ein Fluch die Sicht erhellte, sah er sie! Ihre Nussbraunen Augen waren Schreckensgeweitet... ihre genauso braunen Haare, flogen ihr wild um den Kopf, als nichts ihren Fall stoppte. „NNNNNNNNNEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNNNNN!!!!!!!!!!!“ Wie ein Wahnsinniger stürzte er hinterher in die Tiefe, von der Angst getrieben zu spät zukommen ... Und das letzte was er wahrnahm, war, wie ihr Körper in einen 90° Winkel am Boden aufkam und von einem haaressträubenden Knacken begleitet wurde. ~ Blende ~ Ein kleiner, schwarzhaariger Junge mit viel zu großen Klamotten und ramponierter roter Brille, saß in einem kleinen Raum und weinte lautlos. Draußen hörte er heitere Stimmen die Lieder anstimmten und scharrende Geräusche von Besteck, dass auf Tellern klirrte. Vorsichtig um ja kein Geräusch zu verursachen, lehnte er seinen Kopf an die Wand, von der Putz in sein Gesicht bröselte. Unter größter Anstrengung verkniff er sich ein Niesen und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatten sie sich an die Dunkelheit gewöhnt und er sah seine Umgebung wieder einigermaßen scharf. In der Decke war eine Schräge unter der zahlreiche Eimer und Kartons gestapelt waren, neben ihn standen Besen Mopp und Kehrblech und den Kleinen Platz, den sein Körper vereinnahmen durfte, war mit altem, gammeligen Teppich ausgelegt. „Happy Birthday to you! Happy Birthday to you… Happy Birthday dir Dudley! Happy Birthday to you!”, hörte er es von draußen mit viel Gelächter hineinwehen. Und in diesem Moment fühlte er sich so unglaublich schrecklich einsam wie noch nie in seinem Leben zuvor! ~ Blende ~ Er spürte die Eisenketten, die ihn der kalten Mauer halten, roch den schimmligen Moder des gammlig – feuchten Strohs unter ihm. Die Stimmen und das Gelächter über ihm. Das ihn verspottete und erniedrigte,... Dann wurde sein Kopf hochgerissen und er sah in eines der Maskierten Gesichter. KLATSCH Sein Kopf ruckte zur linken Seite und er spürte wie seine Lippe platzte... Der Schwarzhaarige schloss die Augen und spürte wie heißes Blut sein Kinn hinunter rann und seinen Hals entlang lief. Als Nächstes spürte er einen Körper dicht an seinen....eine Erregung pochte an seinem Knie...eine Heiße Zunge glitt der Spur aus Blut hinterher und leckte es genüsslich von seinem Hals. „Mach die Augen auf! Elender Schwächling! ... Los doch Potter, sieh mich an!“, fuhr ihn eine kalte, herrische Stimme an. Er gehorchte ohne zu zögern. Ein Wimmern entrang sich seiner Kehle, als der Maskierte an seinem Hals kräftig in die Zarte Haut biss. „Brav... vielleicht töten wir dich ja doch nicht sofort!“ Gelächter erfüllte den Raum um ihn. „Also los! Fangen wir an!“ Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Arme, während die Maskierten Männer ihn an seinen Ketten hochzogen... die Eisenketten wurden fester gezurrt...so, dass Harry nun aufrecht an ihnen stand... Er stöhnte gequält auf, seine Schulterblätter fühlten sich stark danach an, als wären sie ausgekugelt und seine Beine gaben unter ihm nach. Der Mann, der eben noch seinen Hals bearbeitet hatte, war nun ebenfalls aufgestanden. „Wenn du endlich das sagen würdest, was wir hören wollen, wäre alles vorbei,“ hauchte er in das Ohr des Schwarzhaarigen. „Es reicht! Fang endlich an!“, schnitt die herrische Stimme wieder durch die Zelle. „Wie ihr wünscht, Meister“, erwiderte der Mann. Mit einem Ruck, riss er das schmutzige T - Shirt von dem abgemagerten Körper und ließ es in Fetzen auf den Boden fallen. Sein gieriger Blick zuckte über die geschundene Brust des Gefangene, dessen Atem nun stoßweiße kam. Ein sadistisches Grinsen zierte nun sein Gesicht und er beugte sich zu ihm vor. Mit aller Ruhe leckte er über eine der zahlreichen Wunden und biss mitten hinein. Der Körper zuckte nach vorne und bebte vor Schmerz... doch in den Augen war, weder Angst noch Schmerz zu sehen... nur endlose Leere. Harry schloss die Augen und sich verzweifelt auf was anderes außer den Schmerz zu konzentrieren...was kläglich misslang... Als er die Augen langsam wieder öffnete, sah er die riesige Zange die der Maskierte nun in die Höhe hielt. NEIN.... Er riss die Augen auf, als das gewaltige Gerät auf ihn zu kam... BITTE... Er spürte den kaum aushaltbaren Schmerz und Schrie auf,... Und dann.... Wurde alles Schwarz.... OoOoO Schweißgebadet und noch immer unkontrollierbar zitternd erwachte er aus seinem Alptraum. Hektisch sah er sich im Raum um und ließ sich – als er nichts weiter entdeckte – wieder zurück ins Kissen fallen... Was um Himmels willen war das denn??? OoOoO „Jahre die ich lebte, ziehn Sekundenschnell vorbei... Und doch find ich keine Antwort, auf die Frage wer ich bin...auf der Suche...auf der Suche nach dem Sinn!“ Kapitel 3: Harry Potter, der Junge der überlebt hat - 3 Mal ----------------------------------------------------------- Der kleine Schwarzhaarige hatte sich unter seiner Decke zusammengerollt und so gewartet bis der Tag hereinbrach. Die Sonne kam nach etlichen Stunden endlos erscheinenden Warten zum Vorschein und blinzelte ihm sanft ins Gesicht. Er hatte Angst vor Einschlafen gehabt...wollte nicht noch einmal solche schrecklichen Sachen träumen...hatte sich zu sehr gefürchtet seine Augen noch einmal zu schließen. Nun war er vollkommen übermüdet. HARRY... HARRY... HARRY... HARRY ... HARRY , schrillte es durch seinen Kopf. Grausam... schrill... bestimmend... allumfassend. Was war das für ein Name? Seiner? Schwache Lichtfetzen der Erinnerung erschienen am Rande seines Bewusstseins... ja. Harry war sein Name gewesen... vor langer Zeit. Völlig erschöpft drängte er alle Gedanken zurück und konzentrierte sich auf seine Atmung. Aus und ein... aus und ein... aus und ein. Er dachte an nichts. Radierte alles aus. Schwarz. Eine tröstliche Farbe. Er versteckte sich unter der Decke vor dem grellen Licht und ließ keinen Gedanken an die Nacht zu, die er gerade überstanden hatte. Sein Kopf war vollkommen leer und so starrte er auf die weiße Decke, die ihn völlig verschluckte. Weiß...leblos... Wie alles in diesem Zimmer...er sehnte sich nach Farben, Wärme...Geborgenheit und Stimmen...Jemanden der um ihn war, nicht nur um ihn mit Medikamenten voll zu stopfen und zum essen zu zwingen, sondern jemand der kam, weil ihm etwas an ihm lag. Unwillkürlich dachte er an den jungen Arzt, der gestern noch hier bei ihm gesessen und ihn umarmt hatte. Komisch nur, das ihm dass so überhaupt nicht unangenehm gewesen war, auch wenn sein Körper aus reinem Reflex abweisend reagiert hatte. ...Jin... so hieß er. An wen erinnerten ihn diese markanten Züge? Und warum verspürte er das Bedürfnis bei ihm zu sein? Wenn er sich die Sache recht überlegte, war Jin eigentlich der Einzige, in dessen Anwesenheit er sich hier auch nur annähernd wohl fühlte. Es war ihm unbegreiflich wie ein Mensch soviel Ruhe, Kraft und Verständnis ausstrahlen konnte. Er konnte nicht sagen, dass Jin netter war als die Anderen Ärzte und Schwestern hier, die er bis jetzt kennen gelernt hatte. Doch nur bei ihm hatte er das Bedürfnis zu vertrauen-... aber warum? Er kannte diesen Mann doch gar nicht... Und doch hatte er ihn gestern fast berührt...er hätte sich sicher getraut, wären sie nicht so unliebsam unterbrochen wurden. Schon so lange hatte er kein Bedürfnis mehr gehabt einen Menschen von sich aus zu berühren... Was war bloß los mit ihm? Warum spielten seine Gedanken nur so verrückt, wenn er Jin sah?! Er schüttelte entschieden den Kopf. Diese Gedanken würden zu nichts führen, höchstens zu noch mehr Verwirrung. Antworten würde er durch Grübeln allein eh nie bekommen. Der Kleine seufzte und schloss die müden Augen, die schon brannten vor Anstrengung. ...doch er würde nicht einschlafen! Zuviel Unheil lauerte im Schlaf. OoOoO Jinai Hatori wurde von dem schrillen Klingeln seines Handys aus dem ruhigen Nachtschlaf gerissen. Er brauchte eine Weile und das Geräusch zu definieren, doch dann saß er in wenigen Sekunden senkrecht im Bett. Scheiße, dachte er und blickte sich um. Ein Blick zum Fenster und die Uhr sagte ihm dass er gnadenlos verschlafen hatte. Frustriert griff er zu dem Gerät, das ihm wahrscheinlich gerade den Job gerettet hatte und hatte schon eine Ahnung wen er nun gleich hören wurde. Er klappte das Handy auf und meldete sich mit einem. „Hallo?“ „Jin? Scheiße, Mann, wo steckst du denn? Ich versuche seit geschlagenen 3 Minuten dich zu erreichen!“, hörte er die Stimme seines besten Freundes schimpfen. „Sorry. Ich habe total verpennt. Hatte gestern einen anstrengenden Abend, ist etwas länger geworden. Hättest du nicht angerufen, hätte ich wahrscheinlich munter weitergeschlafen...“, murmelte Jin und versuchte so einigermaßen wach zu werden. Er hörte das missbilligende Schnauben aus dem Handy, doch als Adam sprach, klang seine Stimme ungewohnt sanft. „Mach dich deswegen nicht so fertig, hörst du? Es wird alles gut gehen... und was die Beerdigung angeht solltest du dich nicht so stressen, das führt nur zum völligen Zusammenbruch, Jin. Weder dir noch irgendwem sonst nutzt es, wenn du dich wegen diesem Scheiß zu Grunde richtest, okay?!“ Jin seufzte. „Ich weiß. Aber ich will es schnell hinter mich bringen, verstehst du? Und ich bin immer noch der Meinung, sie hat nur das beste verdient“, erwiderte er und konnte nicht verhindern das leise Melancholie in seiner Stimme mitschwang. „Versteh ich zu gut, der gleichen Meinung bin ich auch. Und wenn du es wirklich schnell hinter dich bringen willst lass mich dir helfen.“ „Du könntest-...ich mein...du würdest...wirklich -“, wusste Jin gar nicht was er sagen sollte. „Natürlich...das weiß du doch“, sagte Adam und Jin konnte sein warmes Lächeln praktisch vor sich sehen. „Danke...“, flüsterte Jin. „Nichts zu danken...“, wiegelte der Andere ab. „Und nun tu mir einen Gefallen und beweg deinen Arsch aus dem Bett und hierher, es gibt Neuigkeiten die dich auch interessieren dürften.“ „Ja, natürlich, bin schon unterwegs...bis dann.“ „Bis dann!“ Jin hatte sich in Windeseile fertig gemacht, sich eine schnell belegte Schnitte zwischen die Zähne geklemmt und war in sein Auto gestiegen. Nun preschte er gerade mit etwas erhöhter Geschwindigkeit über die Straßen Londons und erreichte nach nicht einmal 20 Minuten die Abbiegung zum Parkplatz des Krankenhauses Mary Hope . Mit quietschenden Reifen kam er zum stehen und stieg aus. Ein Knopfdruck später war sein Auto verriegelt und er stürmte auf den Eingang zu. Das zweistöckige, adrett aussehende, Gebäude war früher der Wohnsitz einer weisen alten Hexe gewesen, die zum Wohl aller ein Krankenhaus eröffnet hatte, das sowohl Zauberer als auch Muggle behandelte. In den Zeiten von Voldemorts Herrschaft, die knapp 10 bis 15 Jahre zurücklag, war es noch nicht gefestigt gewesen, eher ein weiterer Unterschlupf für Verletzte und Kranke jeder Blutsrichtung. Das bekannteste Zaubererkrankenhaus St. Mungo war damals auch unter die Herrschaft des dunklen Lords gefallen und hatte die Aufgabe übernommen nur Zauberer zu heilen und zu verarzten die reinen Blutes oder direkt Anhänger des Schwarzmagiers waren. Daraufhin hatten verschiedene Ärzte das Mary Hope, benannt nach der Spenderin ihrer Einrichtung Mary McKinnon, ins Leben gerufen. Es war ein vager Ausgleich an Zauber – und Muggleärzten gewesen, die die Patienten ohne Vorurteile und Abwertungen behandelten und pflegten. Später, als Voldemort schließlich gestürzt wurde, übernahm Amber McKinnon das Haus ihrer verstorbenen Mutter und richtete es wieder neu her. Da es von den vielen Kämpfen und Angriffen ziemlich zerstört war. Sie rief nach neuen Ärzten aus und mittlerweile waren die Ärzte und Krankenpfleger ein eingefleischtes Team. Ja, man könnte fast sagen eine Familie. Die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, vor allem Kinder zu helfen und sie zu behandeln. Doch es war keine Richtlinie. Jeder der mit Leid und Schmerzen kam, wurde behandelt und für jeden wurde das beste gegeben. Jin war vor 10 Jahren auf diese Einrichtung gestoßen und hatte sich direkt beworben. Er wollte Arzt werden und es faszinierte ihn mit Kollegen zusammen zuarbeiten die Muggle waren. Sie hatten oft unterschiedliche Behandlungsmethoden, doch konnten sie viel von Einander lernen. Schnell eilte er durch die Eingangshalle und begrüßte die Schwester am Empfang. Da er sich, um Zeit zu sparen, schon zuhause Arbeitskleidung angelegt hatte, brauchte er nur rasch in den Umkleideraum um seinen Kittel zu holen und überzuwerfen, dann rauschte er durch den Gang zu Teamzimmer und öffnete es per Schlüssel. Als er niemanden vorfand setzte er sich neuen Kaffee auf und ließ sich auf ein Stuhl sinken und rieb sich die müden Augen, bevor er das Etui aus der Innentasche seinen Kittels zog und sich die Brille auf die Nase setzt. Zügig loggte er sich zwei Stunden zu spät ein und bekundigte damit seine Anwesenheit. Die Kaffeemaschine gab ein Piepen von sich und kündigte damit verheißenden, frischgebrühten Kaffee an. Mit einer Tasse des heißen Getränks setzte er sich zurück an den Computer und schrieb sein Bericht vom Vortag zuende. Seine Gedanken schweiften etwas ab, als er mit einer Hand die Tasse zum Mund führte und der Dampf seine Brille beschlug. Heute würde er seine Schicht wohl wieder etwas verlängern müssen, nur um morgen noch übermüdeter zur Arbeit zu kommen. Jin seufzte und schloss den fertigen Bericht. Erschöpft lehnte er sich im Stuhl zurück und schlürfte an seiner Tasse Kaffee. Dann hörte er die Tür aufgehen und drehte sich etwas zur Seite...sah seinem blonden Freund direkt in die Augen und lächelte müde. „Hi.“ Adam erwiderte das Lächeln. „Schön das du wieder unter uns weilst.“ „Das klingt fast so, als wäre ich gestorben.“ Adam lachte. „Dann würdest du ja nicht mehr unter uns weilen; oder?“ Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und setzte die Brille ab. „Was gibt es für Neuigkeiten?“ „Uhi je, das hätte ich beinah vergessen!!!“, rief Adam und schlug sich gegen die Stirn. „Komm mit...!“ etwas verwundert nahm Jin sein Etui , steckte es in deine Kittelinnentasche zurück und folgte seinem Freund in den Gang hinaus. „Würdest du mich bitte aufklären?“, verlangte er. Adam warf ihm einen Blick über die Schulter zu und bog dann um die Ecke. „Wir haben dich heute früh echt vermisst.“, begann er zu erzählen. „Die Nachtschwester die heute Morgen ihren letzten Rundgang gemacht hat, meinte wir sollten nach dem Jungen in der 88 sehen...er schien in der Nacht wohl geschrieen zu haben, wollte aber weder Beruhigungs- noch Schlaftrank von ihr annehmen. Als Yulia ihm dann wie Gewöhnlich sein Essen brachte und ihm die Medikamente geben wollte hat er beides verweigert. Er hat sich nicht von ihr anrühren lassen. Nun ja, nichts ungewöhnliches, aber so abweisend und hartnäckig war er noch nie...und da du ja eine gewisse Beziehung zu ihm hast, dachten wir du könntest es mal versuchen...“, schloss Adam. Jin sah ihn ungläubig an. „Ein gewisse Beziehung?“, wiederholte er. „Wie darf ich das denn verstehen? Ich behandle ihn nicht anders, als andere Kinder, die mir zugeteilt sind!“ Adam nickte. „Ja, dass weiß ich doch. Aber du musst zugeben, das es ganz danach aussieht. Er ist zu keinem so zutraulich wie zu dir. Ich erinnere dich nur an die Szene von gestern und was du mir davon erzählt hast. Als ich ihn berühren wollte um ihn eine Spritze zu geben hätte er beinah einen Herzstillstand erlitten.“ Der Andere sagte dazu nichts. Wohl auch weil er wusste das sein Freund vollkommen Recht hatte. Es war schon merkwürdig. Doch auch Jin spürte diese Verbundenheit zu dem Kleinen, so als würden sie ein gemeinsames Leid teilen, bloß konnte er sich diese Empfindung in keiner Weise erklären... Die beiden Ärzte hatten soeben die letzte Stufe der Treppe passiert als sie einen Schrei hörten. Beide rannten los, ohne sich abzusprechen. Und Jin beschlich eine Ungute Ahnung wo der Schrei seine Ursprung gefunden hatte. Dieser Schuss ins Blaue erwies sich - eine Biegung später - als absolut Richtig, denn vor dem Zimmer 88 stand eine völlig aufgelöste Krankenschwester. Als die Frau die Ärzte auf sich zurennen sah, deutete sie ins Zimmer und schrie ihnen hysterisch entgegen: „Schnell! Der Junge...Tropf...Blut...er hat sich...losgerissen!!!“ Jin lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als er das Wort losgerissen auf sich wirken ließ. Mit einem Blick kommunizierte er mit Adam und dieser schien ihn ohne Worte zu verstehen...er blieb bei der Frau stehen und sprach beruhigend auf sie ein, während Jin das Zimmer 88 betrat. Wie angewurzelt blieb er stehen und ließ das Bild auf sich wirken. Um das Bett lagen Pillendosen und 1000 verschiedene Pillen, das Essen war ebenfalls auf Laken und Boden verteilt wurden. Das Messgerät was Puls und Herz messen sollte gab ein monotones Geräusch von sich. Jin blickte zum Rand des Bettes, wo er den Grund auch sogleich fand. Die empfindliche Messnadel die, die Verbindung zwischen den Jungen und dem Messgerät herstellen sollte hing über der Bettkante, sowie der Tropf. Blut zierte Bettdecke, Kopfkissen und das Parkett des Bodens. Der Arzt schluckte, der Junge musste sich tatsächlich von den Geräten losgerissen haben. Wie viel Schmerzen das verursachte, wollte er sich lieber gar nicht vorstellen. Vorsichtig wagte er sich weiter voran und sah den Kleinen Schwarzhaarigen endlich zusammengekauert in der hintersten Ecke des Zimmers. „Hey, Kleiner“, sprach er ihn leise an. Der Angesprochene fuhr erschrocken zusammen und blickte auf. Seine Augen schwammen in Tränen und sahen dabei ungefähr so leblos aus wie die eines Krokodils. Die Tränen in diesen Leeren Augen wirkten so grotesk das Jin erst dachte, er würde sich diese nur einbilden. Doch als er das leise Schluchzen hörte, wusste er, dass es keine Einbildung war. Mitleidig betrachtete er die bebende Gestalt, die auf ihn jetzt so schutzbedürftig wirkte wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen war. „Ich hatte dir doch versprochen noch Mal vorbei zu kommen, hm?“, redete Jin ruhig weiter. Noch immer sah der Schwarzhaarige ihn wie ein verscheuchtes Reh an, das vom Autolicht paralysiert war. Jin lächelte sanft. „Also hier bin ich!“ Der Dunkelhaarige hatte sich etwas weiter vorgewagt und hockte sich nun am Fußende des Bettes hin, um den Kleinen nicht zu bedrängen und zu nah zu kommen. „Was hast du nur wieder gemacht, Kleiner? Tut dir nicht der Arm weh?-...Wovor hattest du solche Angst, dass du dachtest fliehen zu müssen?“ Er spürte die Blicke von Adam und der Schwester im Nacken und hoffte inständig, das sie schlau genug waren jetzt draußen zu bleiben. Das Kind war schon eingeschüchtert genug. „Mhm...ganz schöne Schweinerei hier, wie? Da müssen wir mal ein wenig aufräumen, oder was meinst du?“, führte er seinen Monolog weiter . Er wusste das der Kleine ihm vorerst nicht antworten würde. Hätte er reden wollen, hätte er es schon längst getan...doch entweder er wollte nicht...oder er konnte es nicht. Jin holte seinen Zauberstab hervor und schwang ihn ohne ein Wort zu sagen. Wie von Geisterhand flogen die Tabletten zurück in die Pillendöschen und diese reihten sich auf den Nachtschrank auf, ein Lappen flog aus dem Waschbecken und reinigte den Boden von Blut und Essensresten, Das Bettzeug zog sich von selbst ab, hüpfte in den Wäschesack und neue Bettwäsche flog aus dem Schrank um sich neu auf das Bett zu ziehen. Jin nickte zufrieden. Und mit einem erneuten Schlenker des Stabes, stellte er das Messgerät ab. Nun war der Raum in absolute Stille getaucht wurden... „Siehst du? Alles erledigt...und wenn du es keinem verrätst, erfährt keiner etwas davon!“, lächelte er dann beruhigend. Der Schwarzhaarige blickte ihn immer noch verunsichert und ängstlich an, doch zumindest hatte er seine Haltung gelockert. Der Arzt sah das als gutes Zeichen, schließlich hieß es dass das Kind bereit war ihm zuzuhören. „Mhm...du siehst immer noch so aus, als ob du Angst hättest-...“, stellte er Kopf schüttelnd fest. Noch immer rasten die Gedanken des Dunkelhaarigen. Wovor konnte dieses Kind soviel Angst haben???-...und jäh kam es ihm...! „Denkst du etwa ich bin dir böse?“, fragte er aufs Gradwohl. „Kleiner, ich kann dir gar nicht böse sein...das kann schon mal passieren...aber du hast doch sicher Schmerzen, oder? Lass mich dir helfen, ja? Ich möchte mir deinen Arm mal ansehen!“ Der Junge schien die Worte in sich aufzusaugen und nicht recht zu bemerken, wie Jin sich langsam näherte. Als der Dunkelhaarige nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, sah er zu ihm hoch und das erste mal regte sich etwas in diesen Augen, die wie Smaragde leuchteten. Jin konnte diese Regung nicht richtig deuten, doch auch das sah er als positives Zeichen...und versuchte es behutsam weiter. „Denkst du, du kannst mir soviel vertrauen, dass ich dich zurück aufs Bett setzen und dich Untersuchen kann? Ich mach mir Sorgen, weißt du? Dein Arm blutet nämlich ziemlich doll...“, redete Jin auf den Kleineren ein. Und was als Nächstes geschah, ließ ihn wieder einmal an seiner Wahrnehmung zweifeln... OoOoO ...er war wieder da! Er war wirklich gekommen...und er machte sich Sorgen...um ihn! „Denkst du, du kannst mir soviel vertrauen, dass ich dich zurück aufs Bett setzen und dich Untersuchen kann? Ich mach mir Sorgen, weißt du? Dein Arm blutet nämlich ziemlich doll...“ hatte er gesagt. Ja...er konnte, das wusste der Schwarzhaarige, ohne sich wirklich fragen zu müssen. Schließlich war er schon gestern kurz davor gewesen ihn zu berühren. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, streckte er die Arme nach dem Anderen aus und sah ihn erwartungsvoll von unten an. Der Arzt schien im ersten Moment mehr als verblüfft zu sein, doch Sekunden später legte sich ein atemberaubendes Lächeln auf seine Lippen. Und dann beugte dieser sich hinunter und hob ihn problemlos hoch. Der Kleinere lehnte sich an seine Brust und schloss kurz die Augen. Dieses unangenehme Gefühl, das sonst seinen ganzen Köper lähmte blieb aus. Es fühlte sich sogar richtig gut an, so gehalten zu werden. Etwas scheu schmiegte er sich an die Brust des Dunkelhaarigen und ließ sich zum frischbezogenen Bett tragen. Sanft setzte Jin ihn auf dem Bett ab und flüsterte ein leises „Danke“ in sein Ohr. Der Schwarzhaarige erschaudere leicht und sah dem Anderen dann gebannt dabei zu, wie er die Blutung stillte, seine Verbände wechselte und Pflaster auf die Stellen klebte, wo er sich die Schläuche aus der Haut gerissen hatte. „So, Kleiner...das war´s schon. Und nun schließ ich dich wieder an und du versuchst ein bisschen zu schlafen, ja?...ich habe nämlich gehört das du letzte Nacht nicht gut geschlafen hast“, sagte Jin nach einer ganzen Weile stummer Arbeit. Er sah nur zu ihm hoch und ließ es geschehen, dass der Größere ihn wieder an das Messgerät und den Tropf, mit seinem Schmerzlostrank, anschloss. Diesmal war es jedoch der linke Arm, der mit den Geräten verbunden war. Dann half der Dunkelhaarige ihm sich gemütlich hinzulegen und deckte ihn mit der frischen Decke zu. „Und jetzt versuchst du etwas zu schlafen, hm?“ Doch der Kleinere sah den Arzt nur flehendlich an und schüttelte schwach mit dem Kopf. Er wollte nicht das Jin ging...nicht jetzt...er wollte ihn noch bei sich haben und ihn hören...ihm zuhören. Schlafen würde er eh nicht können, das wusste er und wirklich trauen wollte er sich auch nicht...wer wusste schon, was er dieses Mal wieder für schreckliche Sachen sah! Groß sah er den Dunkelhaarigen Arzt an, der ihn ebenfalls nachdenklich ansah. „Bist du nicht ein bisschen müde?“ Der Kleine Junge schüttelte den Kopf energisch, doch dann zögerte er und nickte. Er wusste nicht mehr was er tun sollte... Warum also nicht das Risiko eingehen und ihm die Wahrheit sagen. „Hast du Angst zu schlafen, Kleiner?“, fragte er Andere nun leise. Wieder nickte er. Erstaunt war er auch ziemlich, das der Arzt so schnell begriff, was er ihn zu sagen versuchte. „Ich weiß wie es ist, wenn man nicht schlafen will“, vertraute der Größere ihm an. Er setzte sich zu ihm auf die Bettkante, ohne ihn zu berühren. Was ihn beruhigte. „Aber du musst irgendwann schlafen. Wenn du es von selber nicht willst und nicht versuchst holt sich dein Körper irgendwann den Schlaf zurück. Glaub mir... du brauchst hier absolut keine Angst zu haben. Wir tun dir nichts. Wir wollen nur das es dir gut geht... okay?“ Ob das wirklich so wahr? Sicher war er sich nicht... aber er nickte trotzdem. Denn er wollte nicht das der Andere aufhörte mit reden. Er wollte das er blieb und über ihn wachte. Diese starke Verbundenheit, die er spürte... Die er sich nicht erklären konnte... Er sah zu, wie der Arzt langsam die Hand hob und sie auf ihn zuführte. Es schien als wollte er ihn streicheln. Millimeter von seinem Gesicht entfernt hielt die Hand inne, als wolle sie stumm um Erlaubnis bitten. Ergeben schloss der Jüngere die Augen und wartete auf die Berührung. Aus irgendeinem Grund wollte er ihm vertrauen, er konnte sich nicht vorstellen das von diesem Mann eine wirklich Bedrohung ausging. Und er hörte gewöhnlich immer auf seinen Bauch. Genauso wie dieses Mal. Er hoffte nur inständig das er sich nicht täuschte. Trotz des Wissens zuckte er zusammen, als die kräftige Hand über sein Haar strich. Aber er wehrte sich nicht dagegen. Er ließ den Kontakt zu und musste feststellen das es fast schön war. Zwei Mal streichelte Jin ihm über den Kopf, dann verschwand die Hand und als Harry die Augen aufmachte, sah er dieses umwerfende Lächeln. Nur bestehend aus Zähnen und Grübchen. Es trat in sein Leben und berührte irgendetwas in ihm, was noch nicht zerbrochen war. Und plötzlich wünschte er sich, das es nur für ihn bestimmt war. Dieses Lächeln. Etwas erschrocken von seinen Gedanken, drängte er Diese konsequent zur Seite und konzentrierte sich auf den Mann, der immer noch vor seinem Bett stand. Jin... woher kenne ich dich nur? Weißt du es? OoOoO Adam konnte Jin für diesen einen Moment nur anstarren. Es war fast unglaublich was für eine Wirkung er auf Kinder hatte. Aber das war er ja gewöhnt. Doch bei diesen Jungen war es was anderes. Keiner sonst war so nahe an ihn rangekommen. Niemand.... Jedes Mal wenn ihn jemand von dem Anderen Personal berühren wollte, bekam er eine heftige Panik Attacke und wehrte sich nach Leibeskräften. Die Geräte schlugen dann so hoch an, dass man schon Angst bekommen könnte er würde an einem Kreislaufzusammenbruch sterben. Körperkontakt als solches schien eine grenzenlose Panik in ihm wach zu rufen. Also wieso machte er bei Jin da eine Ausnahme...? „Kommen sie her und helfen sie mir die Maschine neu anzuschließen, Miss.“, bat Jin höflich und lächelte die Schwester bittend an. Dann sah er zu seinem Freund. „Könntest du schon mal unten nach dem Rechten sehen? Ich komme gleich nach...“ Der Angesprochene nickte nur und kehrte in der Tür um. „Vielen Dank... ich melde mich noch mal bei ihnen, wenn ich im Aufenthaltsraum fertig bin.“, entließ Jin die Schwester schließlich als alles wieder am rechten Platz stand und vorschriftgemäß angeschlossen war. „Nichts zu danken, Dr. Hatori. Ich mache aber bald Feierabend. Danach ist Cesare auf dieser Station.“ „Ach so. Verstehe...“ nickte Jin und wollte sich vom Bett abwenden und zum Ausgang gehen. „Wenn sie mich br-“ Doch als er einen gewissen Zug an seinem Kittel spürte unterbrach er sich und blickte zurück. Der schwarzhaarige Junge hatte seinen Arm ausgestreckt und hielt ihm am Kittel zurück. Die sonst so emotionslosen Augen, zeigten deutlich eine Regung... die er aber nicht genau benennen vermochte. Wenn ihn nicht alles täuschte... würde er meinen in diesen grünen Augen lag eine Sehnsucht... die Bitte nicht allein bleiben zu müssen. Aber was bildete er sich da ein? Wieso sollte dieser kleine Kerl ausgerechnet an ihn so eine Bitte richten? Schließlich war er ebenso wildfremd wie die Anderen hier anwesenden... oder? ODER?! Mühsam schob er diese Überlegung bei Seite und wand sich dem Kind zu, dass ihn noch immer festhielt. „Was ist denn? Willst du mich nicht loslassen?“ Die Antwort kam sofort, und zwar im Form eines ziemlich kräftigen Ruck nach hinten, sodass Jin tatsächlich einige Schritte zurück taumeln musste, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Verblüfft drehte er sich nun vollends zum Bett zurück und löste sanft die kleine Hand aus seinem Kittel. Man glaubte ja gar nicht was für Kraft der Kleinere hatte, befand er und musste erheitert grinsen. „Jesses. Das hätte verdammt schief gehen können... was sollte das, hm? Wolltest du unbedingt dein Bett mit mir teilen?“, schüttelte der Arzt den Kopf und sah auf den Jungen hinab. War das da ein Funkeln in seinen Augen? Das konnte doch nicht sein. Sicher nur Einbildung... oder nicht? Ehe er sich noch richtig einig geworden war, krallte sich wieder diese kleine, viel zu blasse Hand an seine Kittel fest. Dieses Mal an der Vorderseite nicht weit entfernt von der Knopfleiste. Nun runzelte Jin die Stirn. „Ich kann nicht hier bleiben... unten warten noch ein paar Andere Kinder und Adam auf mich. Denen muss ich helfen, weißt du?“ Kaum hatte er das ausgesprochen, wurde die Hand auch wieder zurückgezogen. Der Kleinere hatte den Kopf gesenkt, sodass er nicht sehen konnte in wie weit er auf seine Aussage reagierte. Doch er spürte die Distanz, die sich allmählich wieder aufbaute. Innerlich vor sich hin fluchend, überlegte Jin was er nun machen sollte. Dieses Kind vor ihm wollte zum ersten Mal seit seiner Aufnahme Kontakt aufbauen. Das konnte er nicht einfach so übersehen. Schließlich war es wichtig das sie einen Kontakt zu ihm bekamen. Wichtiger als vieles Andere. Warum hatte er auch gerade heute die Maßnahmen übernommen? Er seufzte. Es war ihm ziemlich egal was die anderen dachten. Er wollte diesen kleinen Jungen vor der Dunkelheit bewahren, die ihn scheinbar bald auffressen würde. Es reichte schon wenn er ihr gelegentlich zum Opfer fiel. Aber dieses Kind? Wie alt schätze er ihn...? 10? 12? „Ich werde ihn mitnehmen...“, sagte er zu der Schwester, die alles ruhig mit beobachtet hatte. Diese sah ihn schockiert an. Jin stöhnte innerlich auf. Na das mochte ja heiter werden. „Aber Herr Doktor. Der Junge ist noch nicht so weit um Kontakt aufzunehmen... das hat doch Professor McKinnon so angeordnet...“, wand sie zögerlich ein. „Ich weiß selber, was Amber gesagt hat...“, meinte der Arzt nicht unfreundlich. „Trotzdem steht meine Entscheidung fest. Ich nehme ihn mit... sofern er mitkommen möchte.“ Damit wandte er sich den Kleineren zu, der ihn mit großen Augen an sah. „Möchtest du mit kommen?“ Ein zögerliches Nicken war die Antwort. Dann veränderte sich das Gesicht. Es nahm fast einen verzweifelten Ausdruck an und zeigte auf seine Beine. „Hm? ... Du darfst aufstehen... keine Sorge, niemand ist böse auf dich wenn du mit mir kommst. Ich habe es dir ja erlaubt...“, beruhigte er ihn. Doch anscheinend war es nicht der Grund dafür, das er plötzlich so unruhig wirkte. Der Schwarzhaarige wiegte den Kopf hin und her... dann schlüpfte er unter der Decke hervor und setzte sich auf den Bettrand. Jin hatte inzwischen die Messgeräte wieder entfernt. Dieses Mal blutfrei und beachtete ihn nun kritisch. Was wollte er tun...? Plötzlich dämmerte es ihm, doch ehe er den Kleineren aufhalten konnte, war Dieser schon aus dem Bett gesprungen. Fast sofort, als die Füße auf den Boden aufkamen und sich das Gewicht des Körpers auf sie stützte, klappten sie unter ihm weg. Knickten ein...einfach so. Der Junge riss seine Arme nach vorne um sich abzufangen und schloss die Augen in Erwartung der harten Kollision mir dem Boden. Doch Jin war schneller und packte ihn... zog ihn in die Arme. OoOoO Ein starker Arm hinderte ihn daran, völlig das Gleichgewicht zu verlieren. Und auch wenn er zusammengezuckt war... jetzt klammerte er sich mit aller Kraft an diesen Arm fest. Und dann war da ein weiterer Arm... und jäh befand er sich in einem sicheren und geborgenen Hort. An eine breite Brust gedrückt und hörte ein kräftiges Herz regelmäßig schlagen. Jin hob ihn ohne Probleme hoch... weg von dem kalten Plattenboden. Erneut schloss Harry die Augen und genoss die Wärme für einen Augenblick. Auch wenn sich sein Köper ganz unwillkürlich wieder angespannt hatte. Und dann regte sich eine Erinnerung am Rand des schwarzen Vorhangs der Vergessenheit. Doch er konnte sie nicht richtig erfassen. Sie war wie Nebelschwaden in der Sonne... zu sehen aber nicht zu greifen. „Ai. Das war knapp.“, bemerkte der Größere und setzt ihn wieder auf den Bettrand ab. „Aber wenn du trotzdem noch mitkommen möchtest? Ich kann dich auch runter tragen oder ich setzte dich in einen Rollstuhl. Was dir lieber ist...“ Ungläubig sah er den großgewachsenen Mann in die Augen. Er hatte eher erwartet, dass er schon für den Versuch aufzustehen einen Schlag bekommen würde. Doch das er nicht einmal schrie, brachte Harry völlig aus dem Konzept. Er wollte ihn immer noch mitnehmen? Wo er doch zu nichts zu gebrauchen war? Warum war Jin so sonderbar nett zu ihm? Warum war er nicht wie alle Anderen es damals zu ihm gewesen waren? Er war verflucht unberechenbar... was sowohl Vertrauen als auch Misstrauen in dem Kleineren hervorrief. Doch er konnte sich auch nicht gegen die Wärme wehren, die von ihm Besitz ergriff, als er nun hier so sanft in den Armen gehalten und so liebevoll angeschaut wurde. Es war so schön endlich einmal Körperliche Nähe zu spüren, die nichts mit Schmerzen zutun hatte... so etwas hatte er noch nie genießen dürfen, seit er sich erinnern konnte. Mit sich kämpfend, rang er schließlich das Misstrauen nieder, und legte seine Arme um den Hals des Arztes. Dieser lächelte liebenswürdig. „Okay.“, war alles was er sagte. Aber es war ein vollkommenes Okay. Es ließ keine Fragen mehr offen. Das Herz des Jungen machte einen kleinen Salto. Es war kaputt sicher... jedoch noch nicht ganz zerstört, wie er geglaubt hatte. Nun zog eine angenehme Wärme in ihn ein und er konnte sich dieser nicht erwehren. Also ließ er es still geschehen das der Dunkelhaarige ihn in seine Tagesdecke einwickelte und ihn dann auf den Armen aus der Tür trug. Still lehnte er sich an und sah sich aufmerksam in seiner Umgebung um. Die weißen Gänge sahen für ihn alle absolut gleich aus, genauso wie die Räume die sie gelegentlich durchquerten. Doch für Jin schien dieser Irrgarten aus weiß einen Sinn zu ergeben. Er führte sie jedenfalls schnurstracks in einen riesigen Aufenthaltsraum, wo schon 10 Kinder und der Kollege, den er als Adam vorgestellt hatte, auf sie warteten. Als dieser bemerkte, das sein Kollege ihn auf den Armen trug, weiteten sich seine Augen. Um sich wenige Sekunden drauf zu verengen. Ein Dutzend Gefühle rasten plötzlich über das Gesicht des Anderen, zu schnell, als das Harry sie alle hätte deuten können. Doch eines erkannte er ohne lang überlegen zu müssen. Wut. Dieses Gefühl schlug ihm entgegen wie eine Hitzewelle, unter der er sich sofort versteifte und anfing zu wimmern. Ja,... diese Reaktion auf seine Anwesenheit war ihn bekannt und vertraut. OoOoO Der Junge Arzt brauchte einige Augenblicke um den Umschwung des Kindes auf seinen Armen zu verstehen. Ängstlich klammerte es sich an ihn und drückte sein Gesicht in den weißen Kittel. Was war denn…? Das Wimmern was leise zu hören war, ließ ihm das Herz bluten. Automatisch schloss sich seine Arme fester um ihn… nicht besitzergreifend sondern beschützend, wie er hoffte. Beruhigend fuhr er dem Schwarzhaarigen über den bebenden Rücken. „Ganz ruhig, hier passiert dir nichts…“, flüsterte er dem verschreckten Kind zu. „Ich bin ja da…“ Langsam schien sich der Angesprochene wieder zu beruhigen, gab aber den jetzigen Platz nicht auf. Immer noch krallte er sich fest und versteckte sein Gesicht an dem Kittel des Größeren. Jin berührte sanft mit den Lippen seinen Haaransatz und blitzte dann Adam böse an. „Kannst du dich nicht mal zusammen nehmen…?“ Dieser sah ihn schuldbewusst an. Ihm schien es leid zutun, das er den Kleinen so erschreckt zu haben schien. Doch an der Situation änderte sich jetzt auch nichts mehr. „Willst du auf dein Zimmer zurück, Kleiner?“, sprach Jin ihn wieder leise und wiegte seine Arme sacht. „Oder willst du hierbleiben und ein wenig zuschauen. Adam ist auch wieder lieb… das ist heute nur nicht sein Tag. Er hat nichts dagegen, wenn du hier bleibst… oder Adam?“ „Ich…- nein, natürlich kannst du gerne hierbleiben!“ Vorsichtig lugte der Jüngere an der Schulter des Arztes vorbei und blickte schüchtern in den Raum. „Und?“, lächelte Jin. „Hierbleiben?“ Ein nicken. „Gut… dann setzen wie und mal, nicht?“ Er spürte fast sofort wieder, wie die kleinen Finger sich in seine Kleidung krallten, doch er hatte nicht vor ihn so schnell loszulassen. So schlau war er nun schon aus dem Kleineren geworden… Er setzte sich auf einen der freien Stühle und platzierte den Schwarzhaarigen auf seinen Schoß. Wickelte ihn noch ein wenig fester in die Decke ein und drehte ihn so, dass er die Anderen neugierigen Kinderaugen anblicken musste, die sie schon die ganze Zeit musterten. „Ganz ruhig. Alles ist gut…“, flüsterte er dem Kleinen ins Ohr und merkte mit Erstaunen wie dieser sich leicht entspannte. Es war schön und erschreckend zu gleich, wie schnell er sich ihm zu öffnen schien. „So, ihr Lieben! Wir haben heute einen Ehrengast“, sagte er dann laut zu den anderen Kindern, die sie immer noch neugierig anstarrten. „Eigentlich darf er noch nicht hier sein. Aber er wollte euch alle unbedingt mal kennenlernen, deswegen habe ich ihn heute mitgebracht…!“ Ein allgemeines Raunen ging durch die Reihen. Sie schienen die Erklärung schnell aufzunehmen, denn es kamen keine weiteren Fragen. „Was machen wir heute, Doktor Jin?“ „Lasst euch überraschen…“, grinste der Angesprochene. „Ich hab mir heute was ganz besonderes für euch ausgedacht… das wird euch gefallen!“ „Au ja!“ „Was denn?“ „Sagen sie es uns…?“ „Ja… bitte sagen sie es uns!“ Jin lachte bei der aufkommenden Neugier und der Begeisterung. Auch wenn alle Kinder hier krank waren oder eine Beeinträchtigung hatten, unterschieden sie sich wahrlich nicht von den Wirbelwinden auf der Straße. „Okay…, überredet!“ „Lass uns aber noch auf Jonas warten.“, sagte Adam zu seinem Kollegen. „Er wollte schnell auf Toilette… er kommt sicher gleich wieder…“ „Ah, alles klar. Dann warten wir noch ein paar Minuten!“ „Ach manno!“ „Der Jonas soll hinmachen!“ Das brachte alle Anwesenden zum Lachen. Und tatsächlich ging wie auf die Worte hin die Tür auf und der kleine Rotschopf der Jonas hieß, kam hineingehuscht. Als er die Neuankömmlinge sah, weiteten sich seine Augen und er erstarrte. Dann hob er ruckartig seine Hand und schrie: „DAS IST HARRY….- HARRY POTTER!“ Jin war sprachlos. Er spürte den Kleinen auf seinem Schoß zucken. Und dann geschah alles auf einmal…- OoOoO „Alles was bisher geschah, alles was ich sah...warf mich weiter weg von dem, der ich einmal war!“ Kapitel 4: Umgangsängste ------------------------ Er genoss die Wärme um sich herum. Komisch das es ihm so gut tat bei dem Anderen zu sein, obwohl er eigentlich Angst haben müsste. Wie vor den Anderen Berührungen auch. Doch Jin war anders als die Anderen. Das hatte er schon bewiesen. Deswegen wollte er nicht mehr darüber nachdenken. Er wollte es nur genießen. Wie lange war es her, das er einfach so auf dem Schoß eines Erwachsenen gesessen hatte und Geborgenheit spüren durfte? Er wusste es nicht mehr. Um ehrlich zu sein glaubte er, dass dies in seinem bisherigen Leben nie der Fall gewesen war. Aber wie gesagt…- Er wollte eigentlich nicht darüber nachdenken. Behaglich kuschelte er sich fester in seine Decke und an die Schulter des jungen Arztes, der nichts dagegen zu haben schien. Das Gefühl das ihn durchströmte war sehr schöner und seltsamer Weise sehr vertraut. Doch auch das konnte ihn im Moment nicht stören, darüber konnte er sich ja den Kopf zerbrechen wenn er wieder alleine in diesem trostlosen, weißen Zimmer lag. Jetzt wollte er alles in sich aufsaugen. Unbeteiligt hörte er den Unterhaltungen, die um ihn von statten gingen, zu, ohne wirklich die Worte zu verstehen. Eigentlich ging es ihn auch nichts an. Er war ja nur Gast… Also würde erst einmal ruhig bleiben und alles beobachten. Denn er wollte dem Arzt, den er so mochte, nicht zu Last fallen. Er würde es nicht ertragen, wenn dieser sich auch von ihm abwenden würde. Also so vorsichtig wie möglich sein…! Der kleine Schwarzhaarige dämmerte langsam wieder ein bisschen weg. Der Schlaf, den er nicht bekommen hatte, machte sich jetzt bemerkbar. Und diese Arme waren so bequem! Schläfrig lehnte er seinen Kopf noch mehr an die breite Schulter und schloss kurz die Augen. Aber noch ehe der Halbschlaf über ihn kommen konnte, schlug die Tür des Zimmers mit lautem Knall an die Wand. Der Kleinere zuckte zusammen und riss die Augen wieder auf. In der Tür, die gerade so unliebsam Bekanntschaft mit der Wand gemacht hatte, stand ein kleiner, rothaariger Junge mit Krücken und starrte ihn offenkundig an. Ihm waren die großen Augen die seinen Körper hoch und runter fuhren unangenehm. Und dann zeigte der Neuankömmling fassungslos mit dem Finger direkt auf ihn und erhob seine schrille Stimme: „DAS IST HARRY….- HARRY POTTER!“ Diese Worte klingelten in seinen Ohren und dann legte sich ein Schalter in seinem Kopf um. Dann tat er das was er die letzten Jahre immer gemacht hatte, wenn alle Aufmerksamkeit auf seine Person gelenkt war… das einzige was ihn wahrscheinlich so lange am Leben gehalten hatte. Er trat die Flucht nach vorne an. OoOoO Jin konnte Sekundenlang nichts tun. Der Schreck über die Absurdität war einfach zu überwältigend. Auch die Anderen Anwesenden schienen wie versteinert. Das, was ihn aus seiner Starre befreite, war der kleine Schwarzhaarige…- Bei den Worten von Jonas war ein Ruck durch ihn gegangen, als hätte man ihn geschlagen. Dann war er aufgesprungen, zusammengesackt, denn seine Beine waren immer noch nicht ans Laufen gewöhnt, und hatte sich unter den kleinen Beistelltisch, der rechts neben ihnen stand gerettet. Zusammengerollt wie ein Igel, lag er jetzt unter dem Tischchen und bewegte sich nicht mehr. Fast zur selben Zeit ließ Jonas, anscheinend vor Schock über die heftige Reaktion des Anderen, seine Krücke los und stürzte ebenfalls zu Boden. Dann waren die beiden Ärzte wieder lebendig. Sie sprangen gleichzeitig auf und stürzten los. Gut das die Aufgaben so offensichtlich waren, sonst hätte es passieren können, dass sie ineinander gerannt wären. Doch so stürzte Adam zu Jonas und half ihm auf. Während Jin aufstand um das Tischchen ging und sich hinhockte. Der kleine Schwarzhaarige erinnerte ihn an ein Fluchttier. Er zitterte am ganzen Leib. Sanft versuchte er den Jungen wieder zu beruhigen. „Scht… ruhig, Kleiner. Alles wird gut.“, meinte er ganz leise und streckte die Hand aus um seinen Rücken zu streicheln. Bei dem unerwarteten Kontakt zuckte der Angesprochene zusammen. „Ruhig. Ich bin es nur. Na komm unter dem Tisch vor, hm? Es ist doch sicher schrecklich unbequem da unten oder?“, redete er ohne groß zu überlegen weiter. Er griff nach oben nach der Decke, die jetzt auf seinem Stuhl lag und breitete sie lächelnd aus. „Es tut dir keiner was, na komm schon her.“ Er sah wie sich die starre Körperhaltung des Kleineren bei jedem seiner Worte entspannter wurde. Als sich die Hände von seinem Hinterkopf gelöst hatten, blickte er den Arzt an. In seinen Augen lag eine unsagbare Angst und irgendetwas anderes, was er nicht wirklich deuten konnte. Trotzdem zögerte der Schwarzhaarige nicht lange und stürzte sich schon bald in seine Arme zurück. Schutzbedürftig schmiegte er sich an Jin. Dieser war schon etwas überrascht, hatte er doch damit gerechnet mehr Überzeugungskraft zu brauchen. Aber der Ausdruck des Kleinen beunruhigte ihn schon sehr. Ein paar wenige Blicke mit Adam tauschend, verließ er mit dem zitternden Bündel auf den Arm das Zimmer. Im vorbei gehen strich er Jonas, der völlig aufgelöst schien, über den Kopf. Mit so einer heftigen Reaktion hatte der sicher nicht gerechnet. Doch Adam würde es schon hinbekommen die Anderen Kinder zu beruhigen… Na ja, soviel zu seinen guten Ideen und Vorsätzen. Als er zurück ins Zimmer 88 trat, hatte sich der Junge weites gehend wieder gefangen. Jetzt war er völlig still und apathisch. Aber wieso hatte er so extrem auf den Namen des legendären Zauberers reagiert? Es schien ja fast so als würde er Angst haben… Doch der Held dieser Welt lebte schon seit 15 Jahren nicht mehr… jedenfalls nahmen alle Zauberer und Muggle die noch von ihm wussten das an…- Die größte aller Fragen war jedoch, Wie kam Jonas darauf, dass dieser kleine Kerl hier in seinen Armen Harry Potter war? Okay, er musste gestehen, dass alle Gemälde und Zeichnungen des Legendären, die er in seiner jüngsten Kindheit gesehen hatte dem Jungen schon etwas ähnelten. Aber dann müsste man jeden Schwarzhaarigen mit grünen Augen für Harry Potter halten, oder nicht? Jin schüttelte den Kopf. Das führte zu nichts, vielleicht konnte ihm Adam später erzählen was Jonas sich dabei gedacht hatte. Behutsam wand er sich wieder dem kleinen Schwarzhaarigen zu. Dieser schien völlig erschöpft von seiner eiligen Flucht zu sein. Er schlief ja beinah… Zärtlich legte er ihn in sein Bett zurück und redet lange mit ihm,… strich ihn durch sein dichtes Haar, während er mit ihm erzählte und wartete bis er eingeschlafen war. Erst als er sich sicher sein konnte, dass der Jüngere so schnell nicht wieder aufwachte, verließ er das Zimmer. Und er wunderte sich über den schon so ausgeprägten Beschützerinstinkt dem Anderen gegenüber. OoOoO Die nächsten Tage zog sich der kleine Patient noch mehr zurück, als er es sonst tat. Er nahm selbst von Jin nur wenig zu essen an. Verweigerte jeglichen Körperkontakt und war schreckhafter als jemals zuvor. Das Zusammentreffen vor ein paar Tagen hatte in ihm alles aufgewühlt, was er bis jetzt so tief vergraben hatte. All die Alpträume die er von diesem fremden Mann namens Harry hatte, den er nicht einmal kannte. All das Leid, was diesem in den Träumen wiederfuhr… Und seine Angst jedes Mal wenn er wach wurde. Alles was ihn schon sein ganzes, kurzes Leben begleitete… Es verwirrte ihn. Aber er wollte nicht nach Antworten suchen…- Zu sehr schreckte ihn die Wahrheit ab, die tief in seinem Unterbewusstsein zu lauer schien. Sie war wie ein Schatten an der Wand. Er sah ihn, auch wenn er nicht genau hinsehen wollte…- er wusste das er da war, das genügte. Genau diese Angst regierte einige Tage über ihn und warf ihn zurück in seine trostlose Kindheit. Er selbst konnte nichts dafür. Sein Körper reagierte von alleine…- wahrscheinlich eines seiner mühsam aufgebauten Schutzmechanismen… Auch wenn er selber es nicht wollte. Eigentlich wollte er Jin nicht enttäuschen, alles machen was er sagte. Aus der einfachen Angst heraus, dass der junge Arzt vielleicht nicht wieder kam, wenn er genug hatte und er selbst nicht gehorsam war. Doch hingegen aller seiner bisherigen Erfahrungen kam der Dunkelhaarige immer wieder. Jeden Tag. Redet mit ihm und erzählte was er tat…- Auch wenn es belanglos war. Manchmal saßen sie auch nur schweigend zusammen. Auch die Weigerung des Berührens akzeptierte der Ältere stillschweigend und zwang ihm nie etwas auf, was er selber nicht wollte. So kam es, dass er nach einer Woche geduldigen Wartens und Redens des Anderen wieder die Nähe suchen konnte. Er vertraute ihm. Er vertraute darauf, dass Jin ihn und seinen Gutglauben niemals ausnutzen würde. Schutzbedürftig wie er nun einmal war suchte er also immer öfter Umarmungen und anderen Körperkontakt. Begann wieder zu essen und teilte sich seinen Lieblingsarzt durch Gestik und Mimik mit. Die eigentliche Arbeit begann einen Monat nach seiner Einweisung. Jetzt da seine Wunden gut verheilt waren und er wieder kräftig genug war, sollte er wieder laufen lernen. Was ihm ziemlich schnell gelang. Natürlich konnte nur Jin mit ihm üben, da ein gewisser Kontakt von Arzt und Patient unabdinglich war. Aber es tat ihm nicht Leid. Auch wenn alle nett zu ihm waren, kam es ihm doch so vor als würden die Anderen es nur heucheln. So als würden sie nicht mit Herz hinter dem stehen was sie sagten und taten. Und so kam es das er langsam wieder mobil wurde und damit ein neues Ritual anfing… OoOoO Jin war völlig übernächtigt. Schon seit mehreren Wochen schob er Doppelschichten. Mehr und minder freiwillig, trotzdem nagte es an seinen Kräften. Auch wenn er wusste für wen er es tat, der Schlaf holte ihn langsam wieder ein. Aber was blieb ihm denn für eine Wahl. Solange der kleine Schwarzhaarige aus Zimmer 88 noch Lauftraining absolvieren musste, musste er sich zusammen nehmen. Schließlich schaffte es kein anderer ihn dazu zu bewegen. Eine Tatsache die im ganzen Team Missgunst und Unfrieden aufkommen ließ. Da konnte Jin auch hundertmal beteuern, dass er nichts anderes machte als alle anderen Ärzte und Schwestern. Anscheinend wurmte es so manchen, dass keiner der anderer Mitarbeiter an den verschlossenen Knaben herankam. Doch das war nicht sein Problem…- Schließlich war er es ja auch, der die Doppelschichten schieben musste. Darum würde sich sicher keiner mit ihm streiten wollen! Ah! Das einzige was ihn zurzeit noch aufheiterte war sein kleiner Patient, der immer mehr aus sich heraus kam. In den letzten Wochen war ein kleines Ritual entstanden, was ihm jedes Mal das Herz aufgehen ließ. Seit der Junge sein Zimmer verlassen durfte, streifte er öfter durch die Flure. Und immer wenn Jin zu seiner Schicht kam, wartete der Kleinere bereits am Empfang und stürmte ihn als Begrüßung in die Arme. Es war schon ganz natürlich… So als wäre es nie anders gewesen. Inzwischen waren ihre Bewegungen wie einstudiert und völlig aufeinander abgestimmt. In dem Moment, wo der Kleinere sprang, breitete Jin seine Arme aus um ihn aufzufangen. Wie ein kleines Kunststück. Die Frage die offen blieb war natürlich, woher wusste er wann Jin Dienstbeginn hatte? Es gab bis jetzt noch keine Anzeichen dafür, dass er lesen und schreiben konnte, doch anders war es einfach nicht zu erklären. Schließlich hingen die Dienstzeiten aller Ärzte öffentlich vor deren Dienstzimmer. Einfach aus dem Grund das die meisten Patienten zu jung waren um lesen zu können, es nie beigebracht bekommen hatten oder es sie nicht interessierte. Die einzigen die bis jetzt davon profitierten waren die Schwestern, die sich, wenn sie die Dienste der einzelnen Ärzte kannten, auf die Individualität des Einzelnen einstellen konnten. Anscheinend studierte jetzt aber noch jemand anderes regelmäßig den Plan. Denn der Schwarzhaarige verpasste nie einen Dienstbeginn oder war gar zu spät. Eine Tatsache die auch nicht gerade zur Entspannung der Atmosphäre beitrug. Doch Jin rührte es, wie sehr der Jüngere ihn zu mögen schien. Anscheinend hatte er nur darauf gewartet eine Person zu finden, der er vertrauen konnte… denn so eifrig wie er nach Kontakt suchte, konnte er sich einfach nicht vorstellen das er so distanziert war, wie er tat. Viel zu spät hastet er abgehetzt zur Eingangstür hinein und fing das Kind auf, was ihn sofort wieder in die Arme segelte. „Guten Morgen, mein Kleiner. Na, alles gut?“, begrüßte er ihn lächelnd und setzte ihn wieder ab. Er bekam ein Nicken als Antwort. Auch wenn er den finsteren Blick der Diensthabenden Schwester spürte, die am Tresen stand, ignorierte er diesen geflissentlich und streichelte dem Jüngeren durchs Haar. „Tut mir Leid, aber ich bin echt in Eile. Wir sehen uns später, ja?“ Wieder ein Nicken, begleitet von eines dieses kleine schiefe Lächeln, das ihm schier die Sprache raubte. Dieser Kleine war so niedlich. Wer hatte es bloß geschafft ihn so zu zerstören? Den Gedanken verdrängte er lieber und hastet am Tresen vorbei, nicht ohne ein freundliches gutes Morgen. Doch die Reaktion blieb aus. War zu erwarten gewesen. Jin seufzte, ging aber ohne ein Wort weiter. Er wusste ja selber das es nicht gut war, wenn er den Jungen so nah an sich ran ließ. Aber was sollte er denn tun? Ihn wegstoßen, so wie es anscheinend alle in der Vergangenheit des Kleinen getan hatten? Auch wenn er im Moment nicht gefährdet schien, war dieser Kleine ernsthaft psychisch krank. Sonst hätte er wohl kaum versucht sich umzubringen und auch noch fast damit Erfolg gehabt! Ihn jetzt auf Abstand zu stoßen wäre sicher das konterproduktivste für das Kind. Da war der Arzt sich sicher… Nur seine Mitarbeiter schienen das irgendwie anders zu sehen als er…- Manche zeigten es ihm offen, bei Anderen war es eher der Beiklang, den ihre Reden hatten. Aber es musste ihm egal werden. Der Junge war einfach zu goldig… Er würde ihn jetzt nicht von sich stoßen. Solange er die Möglichkeit hatte, würde er ihm die Zuneigung geben die er so offensichtlich brauchte. Vielleicht würde er dann nie wieder hier her zurückkommen müssen, weil er sich das nächste Mal vom Fensterbrett gestürzt hatte…- Mit diesem Gedanken konnte Jin nicht leben. Also war die Antwort auf die Frage was er jetzt tat klar. Als der Dunkelhaarige vor dem Büro angekommen war, hörte er das Stimmengewirr… Übergabezeit. Er atmete einmal tief durch und ging dann durch die Tür. Als ihn eine schlagartige Stille empfing, kannte er das Thema sofort um was es gegangen war. Zu offensichtlich! Mit einem gestellt, fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßte er den schweigenden Haufen, würdigte die Anderen danach aber keines Blickes mehr. Er sah es gar nicht ein auf Knien vor den Anderen im Dreck zu kriechen. Das war noch nie seine Art gewesen. Ruhig zog er sich um und fuhr seinen PC hoch um die Informationen zu bekommen, die er für seine Schicht brauchte. Umsichtig schrieb er sich Medikamenten Änderungen, neue Therapiestunden und Befunde in seinen kleinen Notizen Block und ließ ihn mit seiner Händedesinfektion und ein paar Handschuhen in die großen Taschen seines Kittels verschwinden. Dann ging er hinaus ohne ein Wort mit seinem Kollegium gewechselt zu haben. Er begann seien morgendlichen Rundgang. Dies war schon seit Anfang seines Jobs hier ein Ritual was er pflegte. Zu aller erst, wenn er ankam und sich umgezogen hatte, machte er einen Rundgang durch alle Zimmer und begrüßte jeden Patienten einzeln. Er redet kurz mit ihnen und ging erst nach dem letzten Gespräch seiner Arbeit nach. Da das Mary Hope ein kleines Krankenhaus war im Vergleich zum St. Mungo, konnte er sich das leisten, ohne, dass er viel von seiner Arbeitszeit verschwendete. Und nie war er glücklicher darüber gewesen als heute. So konnte er den komischen Blicken seiner Kollegen zumindest für eine Weile ausweichen. Auch wenn er es sich selbst nie eingestehen würde, irgendwo belastete es ihn ganz schön, dass alle so schlecht über ihn und seine Arbeitsweise dachten. Vor allem bei den Mitarbeitern, die er eigentlich für seine Freunde gehalten hatte… Kopfschüttelnd klinkte er die erste Tür auf und versuchte die Sorgen in den Hintergrund zu schieben. Die kleinen Patienten konnten keine weitere Aufregung gebrauchen. „Hey Lissa“, begrüßte er das Mädchen, das am Fenster stand und schon auf ihn zu warten schien. „Hallo, Doktor Jin!“ Freudig wandte sie sich um und hob die Arme. „Sie sind heute später oder? Ist schlechtes Wetter draußen? Wie spät ist es denn?“ Der Angesprochene lachte amüsiert über den Übereifer des kleinen Kindes. Ohne zu zögern ging er zu ihr und hob sie auf die Arme. Sofort legte sie ihre kleinen Ärmchen um seinen Hals und lehnte vertrauensvoll den Kopf an seine Schläfe. „Du hast natürlich vollkommen Recht, Sonnenschein. Ich bin sehr viel später. Weil ich gestern nicht einschlafen konnte, habe ich mich heute früh nicht aus dem Bett quälen können und bin später losgefahren als sonst. Das Wetter allerdings würde ich nicht als schlecht bezeichnen… die Sonne scheint.“ „Gibt es Wolken?“ „Hm“, blickte Jin aus dem Fenster. „Ja, ganz kleine, flauschige. Die sehen aus wie Schafe.“ „Oh wie schön! Dann ändert sich das Wetter heute bestimmt nicht mehr! Dann kann ich heute raus!?“ „Ja, das denke ich auch. Und um deine letzte Frage zu beantworten, es ist kurz nach um acht.“ „Toll! Dann muss ich gleich zur Therapie!“, jubelte Lissa. „Genau. Hast du gut geschlafen?“ „Ja. Sehr gut. Die Nacht ging dieses Mal so schnell vorbei!“ „Das freut mich.“ „Mich auch“, nickte sie und kicherte. „Kannst du mir einen Gefallen tun bevor du gehst, Doktor? Ich will gleich los wenn Schwester Silke kommt… suchen wir gemeinsam meinen Stock?“ „Aber natürlich, Kleines. Hast du eine Ahnung wo er zuletzt war.“ „Ja. Beim Schrank hatte Cesare ihn hingelegt.“, berichtete das Mädchen und drehte Jins Gesicht in die Richtung der Kommode um ihm zu zeigen welchen Schrank sie meinte. „Dann sehen wir mal.“ Es dauerte nicht lange bis er den Blindenstock der Kleinen fand und sie wieder auf ihre eigenen Beine stellte. „So, hier. Ich geh dann los, okay?“, lächelte er. „Wir sehen uns dann um zwei nochmal wieder.“ „Ja! Bis dann!“ Damit ging er zum nächsten Zimmer. Gegen um neun hatte er das letzte Patientenzimmer erreicht. Nummer 88. Als er die Tür öffnete und eintrat, sprang der Schwarzhaarige schon auf und strahlte ihn an. Dieses Lächeln konnte wirklich Eisberge schmelzen, zu schade, dass man es nur sehr selten sah. „Hey“, begrüßte er ihn zum zweiten Mal. „Na Kleiner. Wie hast du geschlafen?“ Der Angesprochene nahm seine Hand und zog ihn zum Bett. Dann formte er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Jin nickte. „Das freut mich.“ Minutenlang führte Jin so etwas wie Smalltalk. Dabei achtete er darauf nur geschlossene Fragen zu stellen, damit der Junge mit Nicken und Kopfschütteln antworten konnte. Auch wenn er sich natürlich wünschte, dass der Andere wieder anfing zu reden, akzeptierte er es, wenn es noch zu früh war. Er würde ihn sicher nicht unter Druck setzen! Er blickte auf die Uhr. „So, ich werde jetzt gehen. Gleich kommt die Schwester rein, wegen deinen Tabletten.“ Plötzlich wich das Lächeln auf dem kleinen Gesicht. Sofort packte er den Arm des Arztes und schüttelte er den Kopf. In seinen Augen lag wieder diese Traurigkeit. „Ich weiß. Aber ich muss noch ein bisschen Arbeiten, wo ich doch heute schon zu spät gekommen bin, weißt du?“, lächelte er und strich ihn durchs Haar. Er sah sehr deutlich den Wiederwillen in den Augen seines Gegenübers. Etwas was ihn schon sehr traf. Denn er hatte das dumpfe Gefühl das auch der Kleine die Missgunst des Personales sehr deutlich zu spüren bekam. Auch wenn er versuchte die ärztliche Distanz zu dem anderen zu halt, fiel es ihm immer schwerer. Etwas was ihm schon etwas Bedenken bereitete. Unwillig nickte er und senkte den Blick dann. „Na komm, schau nicht so, okay? Sonst bekomm ich noch ein schlechtes Gewissen!“ Sanft zog er den Kleinen mit einem Arm an sich heran. Dieser lehnte sich sofort in die Umarmung. „Wir sehen uns ganz bald wieder. Bringst du mich noch zur Tür?“ Der Schwarzhaarige nickte und Beide standen auf um zur Tür zu gehen. Doch ehe sie sich voneinander verabschieden konnten, ging genau diese auf und die Schwester aus dem Frühdienst kam herein. „Tabletten!“ Als sie Jin erblickte, verdüsterte sich ihre wieso schon grimmige Miene sofort. Etwas das den Arzt sofort in seinen Verdacht bestätigte. Der Junge bekam es durch aus zu spüren. Kein Wunder das er niemanden anderen an sich heran ließ! „Was machen sie denn hier?“ „Ich wollte mich gerade auf den Weg machen…“, antwortete er distanziert. Das Kind hatte die Anspannung im Raum sofort gespürt und sich hinter dem Arzt versteckt. Total verschreckt klammerte er sich in den weißen Kittel. Toll! Die Schwester blickte auf den Schwarzhaarigen und schnaubte. Sie warf die Tablettenschachtel auf den Beistelltisch. „Nicht nötig. Machen sie es gleich selber!“ Das klang beinah wie eine Beleidigung. Dann war sie auch schon wieder hinaus gerauscht. In dem Dunkelhaarigen kochte es vor Wut. Er hätte schreien können, so sehr regte ihn dieses Verhalten auf. Wie konnte man nur so inkompetent und unprofessionell sein!?? Er spürte die zitternden Hände die an seinen Kittel zogen. Ruhig…, dachte er und atmete einige Male tief durch bevor er sich zu den Kleinen umwandte. Er sah den Dunkelhaarigen betroffen an. Dann zeigte er auf die Tür, verzog vielsagend das Gesicht, zeigte dann auf ihn und zum Schluss auf sich. Jin brauchte einige Augenblicke um zu verstehen was ihm der Jüngere sagen wollte. „Nein…- das ist eine lange Geschichte. Komm nimm erst einmal deine Tabletten.“ Wie sollte er ihm das denn jetzt bitte erklären? Er bekam ein paar Minuten Bedenkzeit. Der Schwarzhaarige nahm erst einmal seine Tabletten, ehe er ihn wieder so fragend anschaute. „Ich sehe schon…“, seufzte er. „Okay. Weißt du ich hab ein paar Meinungsverschiedenheiten mit den Anderen… Das ist nichts Schlimmes okay? Und du kannst auch nichts dafür.“ In den Augen des Kindes, die so ausdrucksstark sein konnten, sah er deutlich Skepsis. „Hey, das klärt sich alles wieder!“, versprach er und wuschelte ihm durch die Haare. „Ich gehe jetzt erst Mal. Aber wir sehen uns später…“ OoOoO Der Junge lag auf seinem Bett und starrte an die weiße Decke. Irgendwie wirkte sie nach einiger Zeit des Starrens so, als wolle sie auf ihn herunterfallen. Er hasste dieses Zimmer! Er wollte weg hier und zu dem jungen Arzt. Sich wieder mit ihm unterhalten und ihn lachen sehen. Auch wenn es beängstigend war, wie sehr er sich nach den Anderen sehnte, konnte er doch nichts dagegen tun. Doch er wollte nicht aufstehen und zu ihm gehen. Das würde den Älteren nur wieder Ärger bringen… Er brauchte nur an die Blicke der Anderen zu denken, wenn sie sie zusammen sahen. Dann wurde ihm schon ganz anders. Er hatte so ein schlechtes Gewissen. Und trotzdem… Er konnte doch auch nichts für seine Gefühle, oder? Jedenfalls wollte er nicht raus gehen, denn er wusste genau, dass es ihn dann wieder unweigerlich zu Jin hinziehen würde. Er war wie ein Magnet für ihn! Unheimlich aber wahr! Also blieb er liegen und fixierte weiter die weiße Decke. Nahm die Einsamkeit die sich über ihn legte billigend in Kauf und versuchte an nichts zu denken. Er war sein ganzes bisheriges Leben allein gewesen…- 12 Jahre, wenn er sich richtig erinnerte. Dann würde er es dieses paar Stunden auch aushalten, bis Jin wieder kam. Denn darauf hoffte er… Schließlich hatte er es ihm versprochen! Und bis jetzt hatte er seine Versprechen immer gehalten! Tick Tack Tick Tack Tick Tack… Wie lange noch bis er kam? Das weiß drohte ihn wieder in seiner Sterilität zu ertränken. Er konnte dieses Farbe auf den Tod nicht ausstehen… jetzt noch weniger. Aber das hatte er ja schon oft genug festgestellt! Er drehte sich zum Fenster um dieser Farbe zu entgehen. Doch einen wirklich guten Blick hatte er auch da nicht. Nur einen Ast und einen streifen bewölkten Himmels. Außerdem blendete die Sonne. Mist! Er wurde noch wahnsinnig wenn er nichts tat! Aber er blieb stur liegen. Nein! Als Flucht aus dem weißen Meer, schloss er die Augen. Schwarz… Diese Farbe war beruhigend… Vielleicht konnte er noch ein bisschen schlafen bis Jin kam? Müde war er ja eigentlich immer. Auch wenn er die letzten Nächte besser geschlafen hatte als eh und je. Er konzentrierte sich auf die Dunkelheit hinter seinen Augenliedern und nährte sein Hirn mit Stille und Leere. Irgendwann dämmerte er wirklich weg. Er wurde durch Stimmengewirr vor seiner Tür geweckt. Noch total verpennt rieb er sich die Augen und setzte sich auf. War das nicht Jins Stimme? Sofort spitzte er seine Ohren mehr und war zum ersten Mal dankbar, dass er gute Hörwerkzeuge besaß. Was ist das? Ein Geschenk für den Kleinen, sieht man doch… Ein Geschenk? Hast du nichts Besseres zu tun? Was meinst du? Meine Güte, Jin. Du machst uns das Leben schwer! Merkst du das nicht…? Der kleine Kerl macht was er will und du belohnst ihn dafür mit einem Geschenk?! Urteile nicht über etwas was du noch nicht verstehst, Adam! Oh, danke ich verstehe schon sehr gut! Ach, das kommt mir aber nicht so vor…! Was machst du hier überhaupt? Nach dir sehen… Ich brauche keinen Aufpasser, Adam. Wie es scheint schon! Das wird mir zu blöd, beruhig dich erst einmal… ich geh jetzt zu dem Kleinen. Du machst doch eh was du willst! Der Schwarzhaarige hatte sich immer weiter zur Tür geschlichen. Wieder schrie sein Herz vor Schuldgefühlen. War das seine Schuld? Musste er nicht irgendetwas machen? Was? Wieso fiel ihm nichts ein!? Er wollte doch nicht das Jin sich mit seinen Freunden stritt… Und dann ging die Tür auf und er stand dem Mann gegenüber auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr freuen. Ein Schluchzen kam über seine Lippen. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte. Sein Herz fühlte sich an wie ein glühender Klumpen…- Wieso tat das so weh? Jin musterte ihn intensiv. „Du hast das eben gehört, was?“ Wie aus Reflex nickte der Kleinere und kämpfte weiter gegen die Tränen an, und wieder schluchzte er. Jetzt seufzte der Dunkelhaarige und schmiss den verpackten Gegenstand, den er in der Hand hatte auf den Tisch. Dann war er bei ihm und nahm ihn in den Arm. Hilfesuchend klammerte er sich an den jungen Arzt und schluchzte hilflos. „Scht. Ganz ruhig Kleiner“, redete Jin sanft auf ihn ein. „Das ist nichts schlimmes… nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Das ist absolut nicht deine schuld!“, streichelte er sanft über die Haare des aufgelösten Kindes. Schöne Worte, aber er konnte sie nicht glauben! Er hatte es doch gehört, dass er Schuld war! Anscheinend musste sich das in seiner Körpersprache gezeigt haben oder Jin war Gedankenleser. Denn als nächstes sagte er: „Hör schon auf zu weinen, Kleiner. Es ist wirklich nicht deine Schuld… Weißt du, wir wollen alle nur dein Bestes. Aber wir sind halt verschiedene Meinungen wie wir das erreichen, verstehst du? Und darüber müssen wir eben manchmal diskutieren. Also beraten wir uns eigentlich nur und streiten nicht wirklich. Und manchmal wählen wir klarere Worte, aber wir versöhnen uns auch wieder. Versprochen!“ Der Schwarzhaarige sah ihn unsicher an. Er wollte ihn so gerne glauben…! Jin lächelte gewinnend. „Hey. Na komm schon. Ich hab dir extra was Schönes mitgebracht. Es wird dir bestimmt gefallen! Mach dir nicht solche Sorgen. Außerdem solltest du so etwas gar nicht hören!“ Mit zarten Fingern strich er die kleinen Tränen weg, die es wirklich aus den Augen des Jüngeren geschafft hatten. Dankbar umarmte er den Arzt wieder. Er ließ sich auch umstandslos hoch nehmen und zum Bett zurück tragen. Dort wurde er abgesetzt. „Na, was hast du bist jetzt gemacht?“, wollte Jin wissen. Er deutete auf das Bett und machte die typischste Geste fürs schlafen die ihm einfiel. „Das ist schön. Aber deswegen bin ich eigentlich nicht hier, Kleiner.“ Interessiert sah der Angesprochene auf. „Ich wollte mit dir reden.“, gestand Jin. „Bessergesagt wollte ich dich etwas fragen, okay?“ Er nickte. „Du musst nicht unbedingt antworten, wenn du nicht willst. Aber wenn du es tust sollte es die Wahrheit sein.“ Er nickte wieder. „Gut dann ohne lange zu reden. Du weißt immer genau wann ich Dienstbeginn habe und wann du auf mich warten musst. Kannst du lesen und schreiben?“ Nun war er doch etwas geschockt. Wie hatte er so dumm sein können? Es war ja klar gewesen, dass es irgendwann rauskam, wenn er sich so offensichtlich verhielt! Schüchtern sah er zu dem Dunkelhaarigen auf, der ihn ruhig musterte. Er schien nicht böse, auch wenn er es eigentlich nicht können durfte. Aber das wusste Jin ja nicht, fiel ihm da plötzlich ein. Er wusste ja nicht, dass er nicht in der Schule war und sich das meiste allein beigebracht hatte. Das er immer vor dem Fenster der Schule gesessen und gelauscht hatte. Zögerlich nickte er also. Jin seufzte. „Hab ich es mir doch gleich gedacht!“, murmelte er. Dann sah er ihn wieder direkt an. „Danke, dass du so ehrlich warst…- jetzt darfst du dein Geschenk aufmachen. Denn es hat was mit dieser Frage zu tun.“ Damit stand er auf und holte es. Der Jüngere nahm es an und schenkte dem Anderen einen dankbaren Blick bevor er es aufmachte. Dann wurden seine Augen groß. „Gefällt es dir? Ich dachte damit kannst du dir vielleicht besser die Zeit vertreiben, wenn dir langweilig ist. Und dann kannst du auch versuchen mit den Anderen zu reden, hm? Die sind nämlich auch alle sehr nett.“ Er stürzte Jin zurück in die Arme und ließ sich halten. So etwas hatte noch nie jemand für ihn getan. Überhaupt hatte er noch nie ein Geschenk bekommen… Er war so froh…! OoOoO Jin stand vor dem Büro seiner Chefin. Obwohl er nicht wirklich wusste warum er eigentlich hier war. Es kam nicht oft vor das Amber irgendjemand von ihnen mitten in der Dienstzeit zu sich zitierte. Da musste schon etwas ernsthafteres sein. Und irgendwie hatte er ein genaues Gefühl was das war… So ein verdammter Mist! Als Jin sich gesetzt hatte, fing Amber McKinnon ohne Umschweife an. „Schön, dass Sie sofort hergekommen sind.“ „Natürlich. Was gibt’s denn so wichtiges?“ „Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Jin“, sagte die ältere Frau und maß ihn mit einem stechenden Blick, als sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte. „Ich achte Sie als Heiler, Arzt und Kollege… Aber unter diesen Umständen kann ich nicht Sie nicht länger in Schutz nehmen!“ „Wie meinen?“ „Es kommen vom Kollegium viele Beschwerden über Sie. Alle über den Umgang mit unseren neusten Patienten.“ Jin seufzte. Er hatte es ja geahnt! „Aber ich sagte doch schon - “ „Das Sie nichts anderes machen, ich weiß“, unterbrach sie ihn schlicht. „Aber ich verstehe auch die Frustration und die Beschwerden der Anderen. Dem Jungen ist wirklich nicht bei zu kommen wenn Sie nicht im Dienst sind, Jin. Es ist belastend für das Personal und für den Jungen.“ „Was wollen Sie mir damit sagen, Amber?“ „Ich will Ihnen nur nahe legen zu überlegen. Wie ich höre haben sie ihm heute ein Geschenk gemacht… das ist nicht korrekt. Und das wissen sie auch!“ Der Dunkelhaarige war einfach nur fassungslos über die Dreistigkeit seiner Kollegen. Wie konnten sie ohne Gründe zu der Chefärztin dieses Krankenhauses rennen? „Ich mache allen meinen Patienten Präsente, wenn es von Nutzen für sie ist. Bis jetzt war das noch nie ein Problem für sie!“, versetzte er kühl. „Auch Lissa hat ihre Sonnenbrille und ihren Blindenstock von mir bekommen.“ „Ich weiß. Und unteren Anderen Umständen wäre das völlig in Ordnung. Aber Lissa, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, lässt nicht nur Sie als Arzt an sich heran. Verstehen Sie denn nicht, dass Sie mit Ihren Verhalten nur dazu beitragen, dass der Junge sich gegenüber den Anderen verschließt?“ Der Dunkelhaarige ballte seine Hände zu Fäusten um das Zittern zu verbergen. „Mein Verhalten?“, versuchte er seine Stimme zu beherrschen. „Haben Sie schon einmal erlebt wie sich das andere Kollegium den Jungen gegenüber verhält? Entschuldigen Sie bitte, aber ich versteh seine Gefühle. Ich würde mich auch nicht so behandeln lassen!“ „Jin, ich bitte Sie!“ „Es ist aber die Wahrheit, Amber! Ich kann nicht über alle urteilen, doch die wenigen die ich gesehen habe, sind einfach nicht auf seine Bedürfnisse eingegangen! Sie haben sein Verhalten provoziert…- er ist kein einfacher Patient, dass weiß ich! Aber genau deswegen muss man sich um ihn bemühen! Und Sie können mir das nicht zum Vorwurf machen!“, fand Jin bitter. „Ich bemühe mich um alle meine Patienten. Manche brauchen viel, Andere weniger Zuspruch. Doch ich werde niemanden der mir anvertraut ist und der meine Hilfe benötigt wegstoßen nur weil es für meine Kollegen bequemer so ist!“ Einige Sekunden herrschte Schweigen. „Sind Sie fertig?“ „Ja.“ „Gut, dann teil ich Ihnen jetzt meinen Entschluss mit“, meinte Amber und sah ihn streng an. „Ich werde sie vorläufig von der Etage streichen lassen, sie machen nur noch Therapien in der unteren und oberen. Bis sich die Wogen geglättet haben. Wir können es uns nicht leisten im Unreinen zu sein. Jeder ist hier auf Jeden angewiesen… Ich hoffe sehr Sie verstehen das.“ Jin fühlte sich wie erschlagen. Er brauchte ein paar Augenblicke um die Worte zu begreifen. Dann kehrte die Wut zurück. „Was? Das. Können. Sie. Nicht. Ernst. Meinen.“, betonte er jedes Wort. „Sehe ich aus als würde ich zum Scherzen aufgelegt sein, Jin?“, wollte die Chefärztin todernst wissen. Jin malmte mit den Zähnen. „Sie machen einen Fehler , Amber…“ „Das glaube ich nicht, Jin. Sie haben den Fehler begangen und wollen es sich nicht eingestehen.“, antwortete sie jetzt fast mitleidig. „Denken sie noch einmal nach…“ Das brachte das Fass zum Überlaufen. „Jetzt reicht es!“, knurrte Jin gefährlich leise. „Hören Sie mir mal genau zu! Ich denke immer nach, verstanden?!“ „Jin… ich - “ „Nein!“, unterbrach der Dunkelhaarige dieses Mal seine Vorgesetzte. „Ich hab so die Nase voll. Ich habe die Doppelschichten geschoben oder? Damit der Kleine laufen lernt! Um den Anderen Ärger und Last abzunehmen und als Dank? Als Dank sagen sie mir ich sei nicht in der Lage nachzudenken und wäre ein schlechter Arzt! Ah!“ „Das hat nie - “ Der junge Arzt unterbrach sie wieder mit einer harschen Handbewegung und stand ruckartig aus. „Genug. Ich weiß jetzt Bescheid. Ich habe genug Überstunden für eine Woche Urlaub. Und die nehme ich mir hier mit, ob sie wollen oder nicht“, schnarrte er. „Ich hoffe sie können das Problem bis dahin lösen. Dann ist uns allen geholfen.“ Wieder wollte Amber den Mund öffnen, doch Jin ließ ihr keine Zeit. „Gut, dass wir das geklärt haben! Und falls es sie interessiert… das Geschenk, was ich den Kleinen gemacht habe war ein Notizbuch mit einem Stift. Er kann lesen und schreiben, ich dachte vielleicht kann er damit kommunizieren wenn er will. Aber das geht mich nun nichts mehr an. Bis in einer Woche oder so“, verabschiedete er sich. Damit verließ er das Büro und genoss kurz das verdatterte Gesicht der alten Ärztin. Doch der Triumph hielt nicht lange. Er ergriff die Flucht vor den Job und den Kollegen und vor allem vor den Vorwürfen. Und irgendwie hatte er das Gefühl, als hätte man ihm seinen Stolz als Arzt vom Körper gezogen und das Klo hinunter gespült…- OoOoO „Die Tage schmecken bitter, die Nächte viel zu lang Meine Gedanken kreisen zwischen jetzt und irgendwann Sorgen graben Falten ins Gesicht Beim Spaziergang auf dem Drahtseil verliert man schnell das Gleichgewicht...-“ Kapitel 5: Feuer ---------------- Jin fuhr aus seinem Traum hoch. Zum wiederholten Male in dieser Woche, träumte er von den kleinen, schutzbedürftigen Jungen, der in dem Krankenhaus auf ihn wartete. Sein Gewissen würde ihn noch zerfressen… Verflucht! Wie kam es das der Kleine schon jetzt sein Leben so bestimmte? Er kannte ihn gar nicht! Und doch verfolgte er den jungen Arzt bis in den Schlaf. Denn er war sich ziemlich sicher, dass seine Auszeit diesem Kind mehr wehtat als irgendjemand von seinen Kollegen, die sich mit ihrem Verhalten im Recht fühlten. Er hatte seinen kleinen Schutzbefohlenen verletzt, ohne es zu wollen. Und jetzt schrie sein Herz nur bei der Erinnerung an diesen Jungen auf. Ob das je wieder gut machen konnte, was er mit diesen übereilten Entschloss verbockt hatte? OoOoO Der junge Bewohner des Zimmers 88 verstand die Welt nicht mehr…- Seit Tagen wartete er vergebens auf den Arzt, der sich so unerwartet und spontan in sein Herz geschlichen hatte. Doch der Dunkelhaarige erschien zu keiner seiner Schichten. Die Verzweiflung in ihm wuchs, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Aus einer Art Reflex heraus zog er sich wieder weiter und weiter zurück. Aber den Schmerz spürte er trotzdem… Warum kam er denn nur nicht mehr? Hatte er etwas falsch gemacht? Oder war er ihm einfach überflüssig geworden? Die Leere, die aus der fehlenden Zuneigung entstand wuchs und fraß sich durch sein Herzen bis in seine Eingeweide… sie vertrieb manchmal den stechenden Schmerz. Manchmal. Irgendwann gab er es auf an dem Empfang zu warten. Die ersten Tage hatte er Stunden dort gestanden und gewartet. Nach dem zweiten Tag stand auf den Plänen in seinem Dienst ein großes U. Genau wusste er nicht was es bedeutete, doch er erfasste den Zeitraum. Er umfasste 7 Tage… Ob er danach wieder kam? Konnten sie dann einfach da weiter machen wo sie aufgehört hatten?...- Der Schwarzhaarige verabscheute sich schon etwas für den Gedanken. Schließlich war dieser Arzt jemand völlig fremdes für ihn und umgekehrt. Nie hatte er gedacht, dass er einmal einer solchen fremden Person sein Leben und sein Leid aufhalsen wollte. Doch genau das wollte er. Aus unerfindlichen Gründen verlangte sein Herz nach Jin. Es war ein so starkes Gefühl, dass er selbst das Essen und Trinken darüber vergaß. Alles was er wollte war, dass die Tür aufging und der Dunkelhaarige mit seinem schiefen, freundlichen Lächeln eintrat. Mit ihm sprach. Wobei er nicht wirklich sagen konnte, ob es auf ihn immer noch die gleiche Wirkung hätte wie noch vor wenigen Tagen. Er war so enttäuscht. Er igelte sich ein, wie er es immer gemacht hatte, wenn er Gefühlen entkommen musste. Er ging nicht mehr aus dem Bett, rührte sich kaum noch wenn jemand das Zimmer betrat und aß fast nichts. In der Mitte der Woche gaben die verbleibenden Ärzte es auf, auf ihn einzureden und begannen ihn künstlich zu ernähren über eine sogenannte Infusion, wie er mal aufschnappte. Es war ihm egal. Alles war dunkel. Er lag nur in seinem Bett und ihm war als würde sein Herz sich gerade selbst verdauen. Und es schmeckte unheimlich bitter… Er war so unglaublich müde, aber ihm spuckten zu viele Gedanken im Kopf herum, als das er daran denken konnte überhaupt Schlaf zu finden. Auch konnte er sich nicht entscheiden was schlimmer war, zu schlafen und Alpträume zu haben und jedes Mal schweißgebadet und völlig verwirrt aufzuwachen, oder eben wach zu liegen und über eine Beziehung nachzudenken, die eigentlich nicht bestand. Beides schien nicht sonderlich gesund für ihn zu sein. Seine regen Gedanken arbeiteten gegen den müden Körper. Ab und zu fielen ihm die Augenlieder herunter,… dann schreckte er nach wenigen Minuten wieder auf und fragte sich über was er eigentlich nachgedacht hatte. Es war egal ob Tag oder Nacht für den kleinen Schwarzhaarigen es verschwamm alles in einen Grauton und niemand konnte etwas daran ändern. Er war so müde. So alleine. Schritt für Schritt zog er sich in eine seine Gedankenwelt zurück. Ein Umstand er dazu beitrug, dass er von den Geschehnissen dieser Nacht nichts mitbekam. OoOoO Jin konnte sich in gewissen Situationen manchmal selber nicht ausstehen, egal wie groß sein eigentliches Ego sein mochte. Das war schon immer so gewesen. Sein Hang Menschen die ihm etwas bedeuteten und die er liebte zu verletzten, war fast chronisch veranlagt. Er hatte einfach das emphatische Empfinden einer Dampfwalze. Man könnte denken das sich ein solche Mensch irgendwann in seinem Leben damit abfinden sollte, das er ein totaler Gefühlskrüppel war…- Falsch gedacht! Denn es war keinesfalls so, dass der junge Arzt Leuten absichtlich wehtat. Sicher nicht, sonst hätte er eindeutig den Beruf verfehlt! Es passierte meistens aus Affekt, wenn er sich über irgendetwas oder irgendwen aufregte. Wenn er wütend war verlor er schnell die Beherrschung über seine Worte. Er war niemals handgreiflich geworden, aber auch Worte können sehr wehtun. Das wusste er… theoretisch! Dummerweise bekamen immer die etwas ab, die am wenigsten an seiner Wut schuld waren. Jetzt war es der kleine Junge, den er im Stich gelassen hatte. Hätte er nur nachgedacht! Der Kleine musste doch denken, dass er ihm völlig egal war. Aber das stimmte nicht mal, auch wenn es besser für sie Beide gewesen wäre! Dieses Kind hatte ihm Sturm sein Herz erobert, ohne, dass er sich hatte dagegen wehren können. Und gerade jetzt in dieser ersten Phase des Vertrauensaufbaues, hatte er ihn sitzen gelassen. Scheiße! Er stand schon seit geschlagenen zwei Stunden auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus ohne sich zu bewegen. Eigentlich wusste er nicht einmal wie er hier gelandet war, eigentlich wollte er einkaufen. Doch er konnte auch nicht einfach wieder fahren. Jetzt kämpfte er mit sich ob er reingehen sollte oder nicht. Es war sein verletzter Stolz, der ihn letztendlich davon abhielt. Sollten sie doch sehen wie sie alleine mit diesem Kind zurechtkamen! Wieso musste er immer den Dummen spielen der angerannt kommt, wenn irgendetwas ist. Und so fuhr er schließlich wieder, auch wenn er genau wusste, wie der Junge sich verhalten würde. Ein wenig konnte er ihn jetzt schon einschätzen. Für seine Kollegen würde es sicher grauenhaft werden die Woche… Doch vielleicht lernten sie daraus? Vielleicht konnten sie sich selbst und ihm dann endlich mal gestehen, dass er gute Arbeit geleistet hatte. Schließlich hatte er sich von Anfang an um den Kleinen bemüht! Erbärmlich! Jetzt bestrafst du das Kind für etwas, dass sich seinem Verstand noch total entzieht, wies ihn eine böse Stimme in seinem Hinterkopf zurecht als er zurück auf die Hauptstraße steuerte. Das stimmt nicht! Ich will nur das Beste für ihn! Ah! Du willst, dass Jeder erkennt wie toll du als Arzt bist und dass sie dir Honig ums Maul schmieren, mehr nicht! Das ist nicht wahr! Ach nein? Dann sag mir warum du Urlaub beantragt hast…?! Weil…- weil ich den Anderen eine Chance geben wollte an den Jungen ranzukommen und ihm klar machen wollte das nicht alle Kollegen schlecht sind! Glaubst du das wirklich?... Du Dummkopf! OoOoO Er wurde von einem stechenden Geruch geweckt. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, das es spät am Abend oder früh am Morgen sein musste. Jedenfalls war der Himmel dunkel. Noch ziemlich verschlafen setzte er sich auf und rieb sich die müden Augen. Lange geschlafen hatte er sicherlich nicht. Im Sitzen war der Gestank noch schlimmer. Er hustete und blickte sich um. Was war los? Vorsicht stieg er aus dem Bett, halb wunderte er sich das er gar nicht mehr am Schlauch hing… also war jemand zwischendurch im Zimmer gewesen, und näherte sich der Tür. Umso näher er ihr kam, umso beißender wurde der Geruch. Davor traten ihm bereits die Tränen in den Augen. Und dann spürte er auch schon die immense Hitze, die von dem Holz ausging. Der Schwarzhaarige riss die Augen auf. Scheiße! Nein, das durfte nicht wahr sein! Vorsichtig hielt er prüfend die Fingerkumpe seines Zeigefingers an das Metall der Türklinke. Als der Schmerz seinen Körper durchzuckte, zog er sie hastig wieder zurück. Verdammt, es gab keine andere Erklärung… Irgendwo hier war ein Feuer ausgebrochen! Schnell wirbelte er herum und fiel auf den kalten Linoleum Boden. Seine Beine waren solche Manöver einfach noch nicht gewöhnt, vor allem weil er sich in den letzten Tagen kaum noch bewegt hatte. Er stand auf und humpelte zum Bett zurück, nach einigen suchen, fand er die Fernbedienung mit dem Knopf den er drücken musste, damit eine Schwester kam. Er hatte diesen noch nie getestet. Ober er überhaupt funktionierte? Ihm blieb nichts anderes als hier zu warten, schließlich konnte er nicht durch die Tür gehen. Er wusste nicht einmal wo es brannte und wie das Feuer sich ausbreitete. Nach Minutenlangem warten ohne das etwas geschah, drückte er den Knopf noch zweimal hinter einander. Auch danach geschah nichts. Irgendwann hielt er es auf seinem Bett nicht mehr aus. Der Geruch brannte sich in seine Atemwege und war so unerträglich das ihm Tränen über die Wange liefen und die Hitze, die sich langsam im Zimmer ausbreitete, ließ ihn schwitzen. Einer Eingebung folgend, kroch er unters Bett und hielt den Atem an, wann immer er konnte. Was sollte er nur tun? Aus dem Fenster klettern? Er war um oberste Stockwerk! Das konnte nicht funktionieren. Der Junge schloss die Augen und beschwor ein Bild von dem einzigen Menschen vor seinen inneren Auge her rauf, der ihm noch etwas bedeutete und dem er vertraute. Den dunkelhaarigen Arzt. Musste er nun hier sterben ohne herausfinden zu können, warum der Andere ihn so anzog? …Jin… OoOoO Ein schrilles Klingeln riss ihn aus dem Schlaf. Was? Der Wecker? Aber nein, das konnte nicht sein, er musste doch erst wieder in zwei Tagen arbeiten! Verschlafen öffnete Jin die Augen und griff blindlings nach dem Handy, das tatsächlich in seiner Hand vibrierte. Aber wer rief ihn mitten in der Nacht an? Adam konnte es nicht sein… er hatte für seinen Freund einen anderen Klingelton eingestellt. Wer würde sonst noch…? „Ja, was ist“, murrte er verpennt in sein Handy. „Jin? Jin! Oh Merlin! Du musst sofort herkommen!“ „Yulia? Was ist denn los?“ „Es brennt…“ „Was?“ „Das Krankenhaus… es brennt“, schrie sie halb hysterisch in sein Ohr. Er hörte im Hintergrund den Aufruh… überall Schreie und Anweisungen. „Du musst herkommen, bitte!“ Mit einem Schlag war er so wach, als hätte er nie geschlafen. Seine Gedanken begannen zu rattern… Adam… die Kinder… oh Himmel!! Das durfte nicht wahr sein!!! „Ruhig… wo seid ihr jetzt?“ „Wir… wir stehen vor dem Haus!“ „Okay, ich bin sofort da! Warte dort!“, sagte er und hörte einen Augenblick noch ihr leises weinen, dann legte er auf. Er sprang aus dem Bett und zog sich seine Klamotten über. Mit Unnötigkeiten wie Haare kämmen oder Körperhygiene hielt er sich nicht auf. So wie er war stürzte er aus dem Haus und in sein Auto. Wie ein Henker preschte er über die so wieso leeren Straßen. Ein Blick auf die Uhr, sagte ihm, dass es nachts um 3 Uhr war. Scheiße! Seine ganzen Gedanken drehten sich um seine Kollegen und die Kinder. Die Reifen seines Wagens protestierten quietschend, als er mit einer Vollbremsung auf den Parkplatz hielt und sich leicht um 45 Grad mit seinem Wagen drehte. Doch das war alles zweitranig er sprang aus dem Auto und schlug die Tür hinter sich zu. Er wollte losrennen, sich umsehen ob alle rausgekommen und unverletzt waren. Aber das Schauspiel was sich vor seinen Augen abspielte, ließ ihn an Ort und Stelle zu Eis gefrieren. Das Haus in dem er so viele Jahre mehr Zeit verbracht hatte, als in seiner Wohnung, stand vollends in Flammen. Es sah aus wie ein makabreres Kunstwerk. Der Himmel war schwarz und verhangen von Rauch… über dem Haus lag ein gespenstisch aussehender orangener Schleier… Flammen züngelten in den Himmel und schienen an allen zu lecken, was ihn in den Weg kam…sie schlugen aus Türen und Fenstern und verwandelten das Haus, was einst Herberge für so viele Menschen gewesen war in eine heiße Hölle. Vor diesem Schrecken sah er Feuerwehrleute herumlaufen. Dünne Wasserstrahlen wurden von links und rechts von vorne und hinten dem Feuer entgegen gesetzt. Hinter der Absperrung die aus einem gelben Band bestand, scharten sich viele Menschen. Jin glaubte nicht, dass alle aus dem Krankenhaus stammten, es waren bestimmt auch viele Schaulustige dabei. Ihm drehte sich der Magen um… Als er sich zwang seine Blicke von dem Haus loszureißen, sah er Yulia und Cesare auf sich zu rennen. Er breitete die Arme aus und fing die völlig aufgelöste Frau auf, die sich sofort an ihn drückte. „Es ist so schrecklich…“, schluchzte sie. „Sie konnten immer noch nicht alle aus dem zweiten Stock befreien!“ Cesare, der nun auch dicht neben ihnen stand, sah so blass und elend aus, wie Jin sich fühlte. Er wiegte die zitternde Ärztin abwesend in seinen Armen, während er wieder zu dem brennenden Haus aufsah. Konnte jemand in diesen Feuermeer überhaupt noch am Leben sein? „Wer…“, krächzte er, doch ihm versagte die Stimme, als er an all die unschuldigen Kinder dachte, die er dort so oft ins Bett gebracht hatte. „Wer fehlt noch…?“ „Mary…Jonas… der Junge aus Zimmer 88… Rose… Henry… und – und die Schwester die auf der Station Dienst hatte.“, berichtete der Assistent mit zittriger Stimme. Jins Herz sackte mehreren Etagen nach unten Richtung Knie… Nein! Er schluckte den Kloß der sich in seinen Hals gebildete hatte hinunter. „Und Adam…?“, traute er sich dann zu fragen. „Ich bin hier.“ Der Dunkelhaarige wirbelte herum und sah seinen Freund an. Dieser hatte seinen Kittel nicht mehr an, sein T – Shirt und seine Hose waren zerrissen und er hatte viel Ruß im Gesicht, in den Haaren und auf seiner Kleidung. Doch ansonsten schien es ihm gut zu gehen. Er kam auf sie zu und klopfte Cesare auf die Schulter. Dann wandte er sich Jin zu. „Ich… ich habe versucht so viele rauszubringen wie ich konnte… aber… ich… -“ Seine Stimme wurde immer leiser und er starrte ins Nichts. Der Angesprochene legte ihm eine Hand auf die Brust. „Das weiß ich. Du konntest nichts anderes mehr tun.“ Adam blickte ihn an und in seinen Augen lag so viel Schmerz, dass es seinem Freund ganz schlecht wurde, vor Mitgefühl. Wie musste es nur gewesen sein dort zu sein und nicht helfen zu können? „Ich bin stolz auf dich, Adam…“ Der Blonde begann am ganzen Leib zu zittern. Anscheinend fiel gerade seine mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung. Jin überlegte nicht lange und schob Yulia sanft zu Cesare, ehe er sich seinen besten Freund schnappte und ihn an sich zog. Er spürte das Beben des anderen Rückens. Durch welche Hölle musste er gegangen sein? Und viel wichtiger, womit hatten sie so etwas verdient? Die Beiden Ärzte hielten sich schweigend fest. Cesare, der nun einen Arm um seine Kollegin gelegt hatte, hatte sich diskret abgewendet und sah den Feuerwehrleuten zu, die geschäftig um sie herum wuselten. Langsam kamen auch die anderen Kollegen mit den verängstigten, müden Patienten zu ihnen und scharten sich um sie. Zusammen guckten sie in die lodernden Flammen, die alles verschlangen was ihnen wichtig war. OoOoO Es dauerte lange bis seine Gedanken geordnet waren und sein Körper wieder auf seine Befehle hörte. Der Schock saß noch tief, aber das kleine, blasse Gesicht, dass vor seinen Augen schwebte, veranlasste ihn dazu etwas zu tun. So kam es dass er seine Kollegen stehen ließ und in Richtung der Katastrophe ging. Die Einsatzkräfte waren zu beschäftigt um zu bemerken, dass er unter dem gelben Absperrband hindurch schlüpfte. Die Hitze die ihm entgegen schlug, schnürte ihm die Kehle zu. So etwas hatte er noch niemals gefühlt. Sofort brach Schweiß aus jeder Pore. Scheiße war das heiß ! Wie ein Besuch im Fegefeuer. Unbändige Angst machte sich in seinem Herzen breit, als er wieder an den kleinen, schwarzhaarigen Jungen dachte. Hatte er ihm das letzte Mal in seinem Leben wehgetan? Das durfte nicht wahr sein…- Er musste da rein! Er musste ihn suchen und retten! Irgendwie… Er musste zu ihm!! OoOoO „Jeder Zweifel stirbt mit dir! Ich bin Feuer und Flamme, Alles brennt in mir, mein Herz steht in Feuer und Flamme!“ Kapitel 6: Stimme ----------------- In dem kleinen Zimmer wurde es immer heißer. Der schwarzhaarige Junge hatte sich in die letzte Ecke seines Krankenzimmers zurückgezogen und kauerte auf dem Boden. Inzwischen war die Hitze kaum mehr zu ertragen. Er bekam so schlecht Luft. Dicker, grauer Rauch nahm ihm die Sicht und trieb ihn Tränen in die Augen. Nicht einmal mehr auf dem Boden war noch genügend Sauerstoff zum Atmen. Immer wieder krampfte sich sein Brustkorb zusammen und Hustenanfälle schüttelten den zierlichen Körper. Seine Sinne waren schon am Schwinden, als sich die Flammen durch die Tür gearbeitet hatten und jetzt nach den Wänden und Schränken leckten. Er hatte sich seinen Tod hundert Mal ausgemalt, doch so wollte er nie sterben. Die Hitze, die dem Feuer vorauseilte, brachte seine Haut zum schwelen. Es fühlte sich an, als würden Millionen kleine Nadeln gleichzeitig auf seinen Armen niederprasseln. Er würde hier sterben. Genau in dem Moment, wo er angefangen hatte einem Menschen in seinem Leben zu vertrauen! Doch am Ende des Lebens ist jeder allein! OoOoO Aus der Dunkelheit der Nacht tauchte ein riesiges Schloss auf. Es drohnte auf einem Berg. Im Tal lag ein verschlafenes Dörfchen. Der Wind, der um seine Haare pfiff war warm… wie eine Sommerbrise. Doch warum sah er alles aus der Vogelperspektive? Träumte er? Unschlüssig blickte er an sich hinunter, darauf gefasst Flügel oder Ähnliches zu sehen. Aber weit gefehlt! Er saß auf einen Besen und flog durch die Nacht. Eulen kreuzten gelegentlich seinen Weg, als er ohne Umschweife direkt auf das Schloss zusteuerte. Als er näher kam, sah er das vertraute Tor… die weiten Wiesen, den dunklen Wald mit der kleinen Hütte davor. In dieser brannte noch Licht, was die Dunkelheit in der Umgebung flutete. Weiter hinten sah er die beiden riesigen Türme, die wie Wächter über den übrigen Gebäuden hinaus ragten. In ihm rührte sich ein warmes Gefühl. Etwas was man nicht in Worte fassen konnte. Es war fast so, als würde er nach Hause zurückkommen. Ein Zuhause, was er eigentlich nie besessen hatte…- Der Besen wurde schneller, je näher er kam. Bald war er an dem rechten Turm sehr nahe, auf seiner Spitze, war eine Plattform. Dort landete er. Als seine Füße den alten Steinboden berührten, stellte sich das warme Gefühl wieder ein, nur hundert Mal stärker… - Zuhause. Eilig zauberte er den Besen klein und eilte auf die kleine Tür zu. Die Wendeltreppe, die dahinter lag, rannte er fast herunter, so als hätte er es tausend Mal getan. Alles war so vertraut. Er eilte durch die dunklen Gänge, als würde er sie in und auswendig kennen…- Und irgendwann hüllte ihn die Dunkelheit des Schlosses ganz ein. OoOoO Als er das nächste Mal ein Licht sah, befand er sich in dem Zimmer, das er in seinem ganzen, schrecklichen Leben gehasst hatte, wie kaum etwas anderes. Die grauen Wände, von denen die gelbe Tapete abblätterte, schrien ihm den Schmerz von Jahren entgegen. Der verwahrloste Raum enthielt außer einem demolierten Schrank, einer kleinen Kommode über der ein gesprungener Spiegel hing und einer Liege nur Tränen und Blut, gemischt mit vielen schrecklichen Erinnerungen. Er wand sich in seinen Erinnerungen. Er wollte nicht hier sein…- Hinter der Kommode, stand der blaue Blecheimer, der nach Exkrementen und Müll stank. Dieser Geruch hatte sich in sein Hirn geätzt. Geschockt sah er sich nun selber auf der Liege hocken. So als würde einen Tag in seiner Vergangenheit besuchen…- aber warum?! Er wollte das nicht sehen. Die Tür wurde aufgerissen und ein Mann stürmte herein, dann stürzte er sich ohne ersichtlichen Grund auf den zierlichen Jungen und rang ihn aufs Bett nieder. Er schlug ihn zwei Mal kräftig ins Gesicht, obwohl der Junge sich nicht einmal gewehrt hatte. Dann zerrte er ihn an den Haaren aus dem Raum und die Tür schlug wieder laut ins Schloss. Das Zimmer lag nun leer da. Teilnahmslos wie eine Gefängniszelle. Ungerührt der Schreie und Geräusche aus dem Andere Raum. Geräusche die ihm selbst genau verrieten, was da drüben geschah. Augenblicklich wurde ihm wieder ganz übel. So wie immer. Er hatte diese Tage so gehasst. Fast noch ein wenig mehr als dieses Zimmer. Unfreiwillig hörte er die Schreie und das Stöhnen aus dem Nebenzimmer, völlig gefangen in seiner Erinnerung…- Er wollte nur noch hier weg. Das war wahrscheinlich das Gleiche, was sein Erinnerungs - Ich sich im selben Moment auch wünschte. Unwillkürlich zuckte er zusammen als die Tür wieder aufgestoßen wurde und sein jüngeres Ich in den Raum zurückgeschleudert wurde. Willenlos blieb er auf den kalten Holzboden liegen. Wie ein geprügelter Hund. Nackt. Geschunden. Leer. Er wollte das alles nicht mehr sehen. Es war sein Leben gewesen,… er brauchte es nicht doppelt zu erleben. Deswegen schloss er die Augen… kniff sie so fest zusammen bis es schmerzte. Und dann, endlich spürte er das Ziehen in seinem Körper, als sich der Traum auflöste. Dieses merkwürdige Gefühl, was man bekam, wenn man in die Realität zurückgezogen wurde. Zum ersten Mal in den vielen Jahren seines Lebens war er froh aufwachen zu dürfen…- OoOoO „Wach auf! Kleiner, bitte, tu mir das nicht an!“ Er hörte das laute Krachen neben seinem Ohr. Was? Wo war er? „Rede mit mir!“ Es war so unglaublich heiß hier und…- Plötzlich schlug die Erkenntnis ein wie ein Blitz. Das Krankenhaus brannte! Er riss die Augen auf, musste sie aber fast augenblicklich wieder schließen, weil der dicke, graue Rauch sich sofort in seine Netzhaut brannte. Erst jetzt bemerkte er, dass er sich fortbewegte. Langsam und auf das Stechen seines Sehorgans gefasst probierte er noch einmal seine Augen zu öffnen. Er sah nichts außer Grau. Seine Umgebung lag total im Nebel. Nur die Stellen wo das Feuer schon Nahrung gefunden hatte, schimmerten rot. Es fraß sich an Gardinen und Möbeln hinauf, leckte über den Boden und nahm die Betten in Besitz. Ganz langsam und peu à peu nahm es alles in Besitz. Er musste hier unbedingt raus. Es fühlte sich an, als würde er von innen kochen. Auch war es ihm ein Rätsel, warum seine Haut sich nicht längs vom Körper schälte. So fühlte sie sich nämlich an. Die Bewegung rührte von einem Anderen Körper her, der ihn in seinen Armen trug. Der kleine Schwarzhaarige brauchte eine Weile um die Arme zu erkennen, doch es gab eigentlich nur eine Person, bei dem sein Körper so entspannt blieb. Vertraut schmiegte er sich in die Arme des Arztes, der durch das Feuer taumelte. Wie war er hier her gekommen? Wie hatte er ihn gefunden? – Seine Gedanken wurden von den brennenden Holzregal unterbrochen, das je krachend vor ihnen zusammenbrach. Das brachte den Anderen aus dem Gleichgewicht und er stürzte, im Versuch dem brennenden Möbelstück auszuweichen. Der Kleinere segelte aus den schützenden Armen. Doch sein Aufprall wurde gedämpft. Suchend sah er an sich herunter und sah, dass ihn der Ältere in nasse Bettlaken eingewickelt hatte. Das erklärte auch warum seine Haut nicht mehr so schlimm schmerzte… es war kühl. Aber dadurch konnte er sich fast gar nicht mehr bewegen. Er spähte durch den dichten Rauch. Wo war Jin jetzt? Nur Sekunden später konnte er die Silhouette auf dem Boden ausmachen. Er bewegte sich nicht mehr. Nein! Er versuchte sich von den Laken zu befreien, doch sie waren zu fest um seine Arme gewickelt. Plötzlich wirkten die Flammen bedrohlicher als noch Minuten zuvor. Sie waren so nahe. Er wollte hier nicht sterben! Noch weniger wollte er das Jin hier starb. Er wand sich weiter in seinem nassen Gefängnis. Ihm blieb keine andere Wahl… auch wenn er sich immer davor gesträubt hatte. Er musste es tun. Für Jin… OoOoO „Jin!“ Er kannte diese Stimme nicht. Sie klang so verzweifelt und besorgt. Wer rief ihn da? „Jin… bitte, wach auf! Komm wieder zu mir! JIN!“ Es fühlte sich an wie ein Déjà-vu…- hatte er nicht vor kurzer Zeit auch Jemanden versucht so wach zu bekommen…? Wo war das bloß gewesen? „Jin… Bitte! Du musst jetzt aufwachen… ich…- ich kann nicht mehr!“ Nur sehr langsam trieb er an seine Erinnerungen heran. Der Junge… der Streit mit Adam und den Anderen… der Urlaub… das Feuer…- Mit einem Schlag war er wieder da. Er war gestürzt! Verdammter Mist! Er rappelte sich auf und spürte das Blut an seiner Stirn fast sofort. Anscheinend hatte ihn irgendetwas am Kopf getroffen. – Aber die Stimme… „Jin!“ Als Jin sich umsah, bemerkte er, dass Schutzschild um sich, was Feuer und Rauch abhielt. Doch es waren bereits Risse in seiner Wand. Der Junge lag nur einige Meter von ihm entfernt. Das hieß also…? Fassungslos sah er in diese faszinierenden grünen Augen. „Kleiner?“ Ihre Augen trafen sich und in dem Moment erlosch der Schutzschild ganz. Fast sofort schlugen Hitze und Rauch wieder über seinem Körper zusammen. Es war als würde man mit einem Lastwagen zusammenstoßen. Scheiße! Wie lange war er weg gewesen? Der junge Arzt brauchte ein paar Augenblicke seinen angegriffenen Körper wieder mobilisieren zu können. Als ihm das gelungen war, stürzte er sich auf den Jungen und nahm ihn wieder auf die Arme, bevor er weiter eilte. Sie musste hier unbedingt raus. Nicht nur weil seine Beine wahrscheinlich bald nachgaben, sondern auch weil die Laken bereits fast wieder trocken waren. Das würde nicht einfach werden. Das Feuer und der Rauch veränderten alles. Er hatte keine Ahnung mehr wohin er musste…- Er spürte wie der Junge seinen Kopf an seine Schulter lehnte. Seine überstrapazierte Haut quittierte die Berührung mit Schmerz. „Es tut mir Leid…“, nuschelte der Schwarzhaarige erschöpft. Jin küsste ihn auf den Scheitel. Es war unfassbar seine Stimme zu hören, auch wenn er jetzt keine Zeit dafür hatte darüber nachzudenken. Wieder taumelte er durch das Feuer, was inzwischen alles Denkbare erfasst hatte. Er musste ein Fenster oder ein Ausgang finden und das noch so schnell es ging. Sie würden nicht mehr lange hier drin durchhalten. Vor allem wenn das Feuer sich noch weiter ausbreitete. Irgendwie mussten sie sich schützen. Taumelnd ging er weiter voran. Die verzerrte Umwelt des Krankenhauses, das er seit Jahren kannte, schwamm an ihnen vorbei. Als er das Gefühl hatte, jeden Moment zusammenbrechen zu können, fand er einen Winkle in der Wand. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann war das der Flurwinkel im zweiten Stock…- Oder? Ohne weiter darüber nachzudenken setzte er den Kleineren in die Ecke hinein und sich schützend davor. Nun deckte er ihn mit seinem Körper völlig ab. Große grüne Augen sahen ihn verzweifelt fragend an. „Es ist alles in Ordnung…“, sagte er hustend zu dem Anderen. „Sie werden uns finden.“ Seine müden Gedanken weigerten sich zu arbeiten. Ihm schwanden deutlich die Sinne und die Hitze um sie herum war unerträglich geworden. Das Feuer kam immer näher. Seine Augen fühlten sich wie heiße Kugeln an. Jede Körperflüssigkeit schien verdampft zu sein. Schwach drehte er sich um, wo er das Fenster vermutete. Das war ihre letzte Hoffnung. Wenn er sich irrte, waren sie höchstwahrscheinlich tot, ehe die Rettungskräfte sie gefunden hatten. Eh Zauberer hier waren, konnte es noch eine Weile dauern. Schließlich bestand der Hauptteil der Dörfchen hier aus Muggle. Was auch bedeutete das sie primitiv wie Muggle das Feuer bekämpften. Jin lehnte sich vor, sodass sein Gesicht nur Zentimeter von dem des Jungen entfernt war. „Kleiner, hör mir gut zu… wie haben nur eine Möglichkeit um auf uns Aufmerksam zu machen, okay? Dabei musst du mir aber helfen… hast du noch Magie übrig?“ Ein Nicken. „Gut. Richte sie auf den Punkt, genau neben dem Rauchmittelpunkt. Siehst du ihn?“ Er deutete in eine Richtung. „Ja…“ „Okay… ich zähle bis drei.“ Beide visierten den Punkt an. „Achtung, 1, 2 und 3!“ Es klappte. Beide Energie Strahle trafen die angegebene Stelle fast zur selben Zeit und brachten die dunklen Rauchwolken zum Leuchten. Jin konnte nur hoffen, dass das Fenster wirklich dort war. Er hoffte es sogar sehr… Doch im Moment konnte er sich nicht mehr darauf konzentrieren. Die letzte Kraft war verbraucht. Ohnmächtig sank er nach vorne auf den Kleinerer… Ihn immer noch mit seinem Körper schützend. OoOoO Er wurde nur vereinzelt wach. Die Ohnmacht holte ihn immer wieder ein. Das erste Mal als er kurz die Sinne wieder fand, sah er die Männer mit der abstrakt wirkenden Schutzkleidung, die sich über ihn beugten. Sie sprachen ihn an, doch er verstand kein Wort von dem was sie sagten. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis sein Bewusstsein sich wieder verabschiedete. Die nächste bruchstückhafte Erinnerung war, die das er auf einer Krankentrage lag. Schleierhaft sah er andere Leute, die ziemlich aufgebracht zu sein schien. Er erkannte niemanden. In seinem Ohr war ein ungenehmes Piepen das alles andere übertönte. Als die Sanitäter ihn in den Krankenwagen schoben war er schon wieder fast weggedämmert. OoOoO „Wie bist du auf so eine bescheuerte Idee gekommen?!“, herrschte Yulia ihn an. Inzwischen waren sie im St.-Mungo angekommen, er lag in einen der vielen Betten und hatte gerade die Untersuchung des Anderen Arztes über sich ergehen lassen. Er wusste selber, dass er eine Rauchvergiftung hatte. Dazu brauchte er keinen Anderen. Schon im Krankenwagen hatten sie ihn mit Sauerstoff vollgepumpt. Er fühlte sich gut, auch wenn sich seine Glieder noch immer matt anfühlten. „Hör auf so zu brüllen.“, sagte er. „Mir geht es doch gut. Es hätte schlimmer sein können.“ „Eben drum!“ Das brachte ihn tatsächlich etwas zum Schmunzeln. „Hey, reg dich bitte nicht so auf, ja?“ „Aber sie hat Recht, du Vollidiot!“ Jin drehte sich zur Tür und sah Adam dort stehen. Er sah besser aus, als noch Stunden zuvor, auch wenn er noch immer seine eingerissenen und an gekokelten Sachen anhatte. Er hatte sich den Ruß aus dem Gesicht gewaschen und wirkte nicht mehr so geisterhaft blass und zerbrechlich. „Wie kommst du nur immer auf solche beschissenen Ideen.“, meinte er heiser und kam näher zum Bett. „Du weißt gar nicht wie viele Tode wir da draußen gestorben sind, als sie sagten du seist ins Haus gelaufen.“ Jin sah ihn an. Er war es nicht gewohnt, dass Adam seinen Gefühlen einfach so Ausdruck verlieh. Eigentlich war er der Rationale und Jin der Emotionale. „Es tut mir Leid. Ich habe nicht wirklich nachgedacht…“, gestand er und lächelte. „Das habe ich gemerkt!“ „Sei nicht sauer… es ist doch alles wieder gut.“ Damit zog er seinen Freund zu sich hinunter und in seine Arme. Er spürte die Erleichterung den er empfand. Von alleine hätte er sich wohl nicht dazu durchringen, diese Empathische Abrissbirne. Als sie sich wieder voneinander trennten, sah Adam ihn grinsend an. „Du hast übrigens noch einen Besucher.“ „Hm?“ „Du kannst jetzt reinkommen, Kleiner!“ Und da war er. Jin konnte irgendwie nicht verhindern, dass ihm die Gesichtszüge entglitten, als der kleine Schwarzhaarige strahlend lächelnd auf ihn zukam. Ehe er sich versah, hing ihm der Junge auch schon am Hals. Er lachte. „Hallo, Kleiner. Schön, dass es dir wieder besser geht.“ Geschickt kletterte der Angesprochene auf das Krankenbett und setzte sich auf die Kante, immer noch lächelnd. „Er hatte genauso viel Schwein wie du!“, erklärte Adam spöttisch. „Er hatte nur ein paar kleine Verbrennungen an den Händen und eine unwesentliche Rauchvergiftung.“ Yulia gab ein undefiniertes Geräusch von sich, sagte aber nichts. „Dann hatten wir wohl Glück im Unglück, was?“ Der Kleinere nickte und berührte seine Hand. „Ich weiß…“, meinte Jin. „Was ist, hast du auch so einen Hunger wie ich?“ Ein nicken. „Gut, gehen wir dann zusammen was essen? Ihr seid natürlich auch ein geladen, als Wiedergutmachung für den Schreck…“, wand der Dunkelhaarige sich seinen beiden Kollegen zu. „Gebongt.“ Als sie aus dem Krankenhaus hinaus traten, war die Sonne bereits aufgegangen. Der Himmel leuchtete in allen erdenklichen Rottönen und brannte sich in die Seele aller, die diesen Anblick festhalten wollten… und Jin hatte das Gefühl, das langsam alles besser wurde. OoOoO „Ich hör mich schreien ein tiefer Schmerz der in mir weint …- Jahre die ich lebte ziehen Sekunden schnell vorbei!“ Kapitel 7: Wahrheit ------------------- ► Hallo liebe Leser, heute gibt es mal ein kleines Vorwort von mir. Wir kommen jetzt Schritt für Schritt der Wahrheit über Jin und Kris, sowie der ominöse Beziehung der Beiden, näher. An dieser Stelle (vorallem nach dem Kapitel) würden mich eure Ideen interessieren. Habt ihr vielleicht schon einen Verdacht wie die Wahrheit aussieht? Dann lade ich euch gerne ein mir per Mail oder per Kommi diesen mitzuteilen... Ich freue mich schon^-^ Noch eine kleine Anmerkung bevor es losgeht. Für die, die sich die Villa mal ansehen wollen und denen meine Beschreibung nicht reicht, können sich gerne den Prototyp für meine Fantasie angucken^^ Die Veranda müsst ihr euch allerdings vorstellen. xD http://www.villa-fuerstenberg.com/tl_files/villa/layout/bild_villa.jpg Viel Spaß beim Lesen. _________ Es gingen ein paar Tage vorüber. Bisher wurde noch keine direkte Ursache für den Brand gefunden. Alle gingen von einem Maschinendefekt aus, der den Brand ausgelöst haben konnte. Aber Niemand war sich sicher… Das Krankenhaus war nun aber nicht mehr für die Ärzte und Patienten zugänglich. Was bedeutete, dass sie umziehen mussten. Das nächstgrößere Krankenhaus war das St. Mungo, doch auch wenn einige der Ärzte dort ab und an aushalfen und arbeiten gingen, wiederstrebte es ihnen allen in diesen Massenbetrieb einzusteigen. Dort war nichts von der Atmosphäre des Mary Hope vorhanden. Alles war zu groß, zu hektisch und viel zu fremd, auch für die Patienten die es solange anders erlebt hatten. Amber McKinnon ließ sämtliche ihrer Kontakte spielen und konnte schließlich eine neurenovierte Villa, nahe des Mary Hopes (oder das was davon noch übrig war) als Übergangslösung organisieren. Die Villa war zwar komfortabel für Wohnzwecke, aber für ein Krankenhaus nicht groß genug und natürlich nicht entsprechend eingerichtet. Dank vieler Spenden von Angehörigen der Patienten und dem St. Mungo, konnten sie es aber in wenigen Tagen zumindest notdürftig mit den benötigten Liegen und der notwendigsten medizinischen Versorgung ausstatten. Trotzdem war es keine gute Lösung. Es gab keinen Fahrstuhl, dass hieß, dass alle Patienten die nicht laufen konnten die Treppen hinaufgetragen werden mussten, wenn es nötig war. Auch gab es wegen Platzmangel nur noch wenig Privatsphäre unter den zu Behandelnden was das Klima auch ungemein belastete. Immer wieder mussten die Ärzte Streit schlichten und trösten… versichern das diese Lösung nicht für immer war. Und das nagte ungemein an den Nerven aller Beteiligter. Jin bekam von alle den Anfangsschwierigkeiten nur wenig mit. Er war einige Tage krankgeschrieben worden, was aber auch bedeutete, dass er den Kleinen nicht mehr sah. Erst jetzt wurde ihm bewusst wie sehr der Junge sein Leben bereits beeinflusste. Sämtliche Beerdigungsvorbereitungen waren ins Stocken geraten, seit er ihn genauer kannte und alles versucht hatte ihn wieder aufzubauen. Und nach all den Bemühungen hatte er einfach seinen Namen gerufen… Er konnte es noch immer nicht fassen! Immer wieder schreckte er aus seinem Schlaf hoch, weil er diese Stimme zu hören glaubte. Das war ja nicht mehr normal! Von wegen berufliche Distanz. Auch wenn er seinen Standpunkt gegenüber seinen Kollegen immer verteidigt hatte, so langsam zweifelte er selbst daran. Normal konnte das jedenfalls nicht sein. Und da er sich eigentlich wieder fit fühlte, stürzte er sich Hals über Kopf in die schon lang überfällige Vorbereitung der Beerdigung um sich abzulenken. Doch so wirklich wollte ihm das nicht gelingen. Immer wieder trifteten seine Gedanken ab. Es war zeitaufwendig und anstrengend. Aber am Ende seiner Krankschreibung stand die Beerdigung mitsamt Termin und allem Drum und Dran fest. Wenigstens etwas, und trotzdem vergingen die Tage so verflucht langsam. Er wollte den Kleinen endlich wiedersehen. Dieses schiefe Lächeln betrachten, das ihn immer mit Glückseligkeit erfüllte, wenn der Andere es ihm schenkte. Andererseits graute es ihm davor zurück zugehen. Nur zu gut erinnerte er sich was vor dem Brand passiert war. Auch wenn er eigentlich nicht nachttragend war, sein verletzter Stolz stach schärfer als jede Nadel… Und auch wenn Adam und Yulia danach nett und normal gewesen waren, es war einfach eine Ausnahmesituation gewesen in der sie sich befunden hatten. Wahrscheinlich hatten sie gar nicht mehr an den Zwischenfall gedacht. Aber er konnte das nicht einfach vergessen. Auch wenn er wusste das die Anderen vielleicht Recht hatten und er, trotz aller Bemühungen seinerseits, zu viel für den kleinen, misshandelten Jungen empfand…- Amber hatte ihn mit ihrer Entscheidung tief verletzt. Vor allem da er mit aller Macht versucht hatte seinen Kollegen zu helfen und zwischen ihnen und dem verschüchterten Patienten zu vermitteln. Kopfschüttelnd schob er den Gedanken beiseite. Er durfte nicht darüber nachdenken, sonst wurden die anstehenden Tage für ihn zur Qual. Zumindest sollte er versuchen es zu verzeihen und sich vor den Anderen erst einmal nichts anmerken lassen. Auch wenn es schwer fiel. Insgeheim verfluchte er den Stolz, der anscheinend Erbmaterial seiner Familie war, jedenfalls soweit er den Stammbaum zurückverfolgen konnte. Sie würden es schaffen. Das Kollegium vom Mary Hope hatte schon so viel zusammen durch gestanden… es war ein langer, steiniger Weg gewesen, bis sie bei den Bewohnern des Dorfes und der umliegenden Städte anerkannt worden war und auch nur ansatzweise eine Konkurrenz für das St. Mungo zu werden – das bis dahin das einzige bekannte Krankenhaus in der Umgebung war. Dieser kleine Streit war gegen den Kampf damals lächerlich! Er durfte seine Verletztheit bloß nicht zeigen und trotzig reagieren, dann würde das schon alles gut gehen. Mit diesen Gedanken versuchte Jin sich zu beruhigen. Er würde das schon schaffen. Morgen war es dann soweit… erst dann würde es sich lohnen sein Vorgehen weiter zu planen. OoOoO Er wachte schon früh am Morgen auch und merkte verblüfft das er so aufgeregt war wie damals als er seine Arztprüfung in der Muggelwelt abgelegt hatte. Unfassbar. Doch davon ließ er sich nicht lange irritieren und führte seine Morgenhygiene durch, brühte sich einen starken Kaffee und aß einen Happen auf die Hand, bevor er sich – eigentlich viel zu früh – auf den Weg zur Arbeit machte. Ihm war klar, dass es viel zum Einarbeiten gab. Mit seiner Woche Urlaub war er insgesamt 2 Wochen nicht mehr anwesend gewesen und das war einfach viel Zeit. Er glaubte zwar nicht das Amber, bei ihrem Ausnahmezustand zur Zeit, neue Patienten annahm, aber trotzdem wollte er früh da sein um sich in Ruhe die neusten Entwicklungen und Eintragungen zu Gemüte zu führen und vielleicht fand er sogar die Zeit und konnte sich vor seiner Schicht mit seinen anwesenden Kollegen aussprechen?! Das wäre das Beste was er sich vorstellen konnte. In Gedanken malte er sich bereits das klärende Gespräch aus, während er zur neuen Adresse (die ihm Adam per SMS geschickt hatte) fuhr. Erst als er an dem ehemaligen Krankenhaus vorbei fuhr, erwachte er wieder aus seinen Gedanken. Der Parkplatz war leer, was schon für sich ein Anblick war, den er niemals hätte mit seiner Logik vereinbaren können… jetzt war er Grausame Wirklichkeit. Das eigentlich schöne Haus sah nun aus wie eine abgebrannte Ruine. Die Fenster säumte ein schwarzer Rand und aller Putz war durch die Hitze abgeblättert. Doch das Schrecklichste, war das eingefallene Dach… Die Balken und der Dachstuhl waren noch altmodisch aus massivem Holz gewesen, doch dieses hatte dem Feuer nicht lange standgehalten und das gesamte schöne, weinrote Dach war eingebrochen. Jins Herz zog sich zusammen als er das Mary Hope in diesem Zustand sah. Das Haus und alles was er damit in Zusammenhang brachte, bedeutete für ihn Familie, Glück und Berufshingabe…- umso schrecklicher war es für ihn jetzt all das zu sehen. Schweren Herzens wand er den Blick ab und fuhr weiter gerade aus. Doch die trüben Gedanken blieben. Er kam auf den kleinen Parkplatz vor der Villa an. Als er aus dem Auto stieg und sich umschaute, konnte er nicht anders als zu staunen. Auch wenn es natürlich nichts im Vergleich zu vorher war, hätten sie es wirklich schlechter treffen können. Amber schien sich wirklich ins Zeug gelegt zu haben. Die Villa war zwar wesentlich kleiner als ihr ursprüngliches Krankenhaus, doch von außen wirkte es viel ansehnlicher. – Es lag näher am Stadtwald, was an sich imposant aussah… hinter dem Haus war weit und breit nur Land und Wald zu sehen. Es war in rot und weiß gehalten, sein Dach war schlicht grau. Die riesige Veranda vor dem Haus war mit allerlei Grünpflanzen dekoriert worden, vier riesige, stabile Säulen ragten auf und stützten den Balkon der von der zweiten Etage aus zugänglich war. Sie umrahmten die Tür und ließen das Gebäude noch majestätischer aussehen. Die Tür war eine schwere Holztür mit verschnörkelten, altmodischen Klopfring. Sie und die Fensterläden waren in einem dunklen Rot gehalten, während der Rest des Hauses in schneeweiß erblühte. Was ihn verwunderte war allerdings, dass alle seiner Kollegen anscheinend schon vor ihm da waren. Wieso das? Jedenfalls sagten ihm das all die Autos, die bereits um das Gebäude herum geparkt waren. Unsicher schritt er auf die große Holztür zu und atmete einmal tief durch, ehe er sie aufstieß. „WILLKOMMEN ZURÜCK!“ Schrie es von allen Seiten. Erschrocken zuckte Jin einen Schritt zurück. Was?! Völlig geplättet fing er den strahlenden schwarzhaarigen Jungen auf, der in seine Arme stürzte und sich sehnsüchtig an ihn drückte. Verständnislos blickte er seine Kollegen und Patienten an, die alle in der kleinen Vorhalle versammelt standen bzw. saßen und ihn angrinsten. Der ganze Raum war mit Girlanden und Luftballons geschmückt und hinter den Leuten erkannte er ein langes Büffet. Viele kleine Bänke luden zum Hinsetzen ein und überhaupt sah hier alles nach einer Party aus… Was wurde hier denn gespielt? Amber trat zu ihm und den Jungen, der immer noch in seinen Armen lag. „Schön, dass Sie wieder da sind, Jin…“, sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin. Ihr altes Gesicht war freundlich und um ihre Augen hatten sich Lachfältchen gebildet. Aus Reflex schob Jin den Jüngeren in seinen linken Arm und gab ihr seine Hand. Trotzdem wusste er nicht, was er sagen sollte. Hatten sie hier etwa auf ihn gewartet? Aber sie hatten doch schlecht wissen können das er früher kam…, außer… Adam! Er blickte kurz zu seinem Freund hinüber, der verschmitzt lächelte. Mistkerl! Hätte er ihn nicht vorwarnen können! „Ich möchte keine langen Reden halten hier“, riss ihn seine Chefin wieder aus seinen Gedanken. „Ich wollte mich noch mal in Namen des ganzen Kollegiums bei Ihnen entschuldigen. Wir haben überreagiert. Aber ich hoffe sie wissen, dass wir uns alle nur Sorgen um Sie und das Wohl des Kleinen gemacht haben.“ Jin hörte das allgemein zustimmende Gemurmel der Anderen und konnte nicht anders als zu lächeln. „Natürlich weiß ich das, auch ich sollte mich entschuldigen. Ich denke wir haben alle unsere Fehler gemacht.“ „Das heißt, du bist nicht mehr Böse auf uns?“, wollte Yulia sichtlich erleichtert wissen. „Nein… nicht mehr allzu sehr!“, lachte Jin. Die Anderen Kollegen stimmten mit ein. „Das freut uns sehr.“ Nun beugte sich Amber zu dem Schwarzhaarigen hinunter, der sich immer noch nicht von seiner Position bewegt hatte. „Und bei dir, Kleiner, wollten wir uns auch noch einmal entschuldigen. Wie du siehst ist jetzt alles wieder gut. Und ab jetzt kommt so was auch nicht mehr vor, okay?“ Der Angesprochene, der sich in Jins Armen sicher zu fühlen schien, nickte ohne auch nur zurückzuweichen. „Gut. Und da dein Block und der Stift, die dir Jin geschenkt hat, ja leider im Feuer verbrannt ist, dachte ich mir, dass es eine gute Entschuldigung ist.“, fuhr die Alte Ärztin fort und hielt dem erstaunten Kind einen neuen Block hin. Es war ein schöner, schlichtgehaltener, schwarzer Notizblock mit weißen Ornamenten auf dem Deckel. An der Seite, wo ein Gummiband die Blätter zusammenhielt, waren Vertiefungen in das Papier eingestanzt worden. In diesen lagen ein schöner, silberner Füller und ein edel aussehender Bleistift. Der Kleinere sah die Leiterin noch eine Weile an, so als erwarte er, dass sie ihr Geschenk wieder zurücknahm. Doch als nichts dergleichen geschah, löste er sich vorsichtig von Jin und nahm schüchtern den Block an sich. Offenbar erfreut drückte er das Schreibutensil an sich und schien einige Minuten mit sich zu ringen…unsicher sah er zu der Frau vor sich auf und bekam ein liebenswürdiges Lächeln geschenkt. Schließlich ging er auf sie zu und drückte sich kurz an sie, ehe er wieder in der schützenden Umarmung von Jin Zuflucht suchte. Amber schien sprachlos zu sein. Jin lachte leise und strich den Jüngeren sanft über die Haare. Er konnte sich vorstellen was für eine Überwindung es den Kleinen gekostet hatte so etwas zu tun. Doch anscheinend war er genauso gerührt wie er selbst über diese Geste der Anderen. „Können wir dann endlich anfangen zu feiern?“, unterbrach die kleine Lissa den Augenblick ungeduldig. Wieder lachte alles und plötzlich lösten sich alle Spannungen zwischen den Anwesenden. „Lasst uns anstoßen.“ Jeder bekam ein Glas in die Hand gedrückt (natürlich Alkoholfrei schließlich waren die meisten der Anwesenden minderjährig!) und wie auf Kommando hoben es alle. „Auf unsere Gesundheit und einen guten Neuanfang.“ „Auf den Neuanfang!“ „Und auf weniger Streit!“ „Auf gar keinen Streit meinst du!“ Alle prosteten sich zu und tranken. Danach war Jin erst Mal gefragt. Jedes Kind wollte von ihm begrüßt werden und mindestens hundert Mal erzählte er seine Geschichte vom Feuer und seiner Rettung… natürlich in abgeschwächter Weise für Kinderohren. Als diese Neugierde auch gestillt war, löste sich die Gemeinschaft etwas. Manche gingen zum Büffet und aßen etwas, andere fanden sich in Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Jin ließ sich auf einer der Bänke nieder. Die Überraschung war den Anderen wirklich gelungen. Verdammt, er war immer noch total überrascht… Dieser verfluchte Adam! Das würde er noch bereuen… ihn so mir nichts dir nichts in eine Party reinrennen zu lassen! Ein sanftes Ziehen an seiner Hand, ließ ihn auf sehen. Da stand die Person, von der er Tage lang geträumt hatte und nicht einmal wusste wieso. „Hey, Kleiner.“ Fragend sah der Schwarzhaarige ihn an. „Was denn?“ Er deutete auf die Bank, danach auf sich. „Natürlich darfst du dich zu mir setzen…“, lächelte Jin und machte etwas Platz. Doch anstatt sich neben ihn zu setzen, schob er die Hände des größeren beiseite und krabbelte auf seinen Schoß. Jin lachte leise und ließ es zu das der Jüngere sich an ihn schmiegte. „Schön, dass du wieder da bist…“, flüsterte er leise, mit dieser wundervollen Engelsstimme. Jin sah ihn verblüfft an. Sein Herz setzte einen Moment lang aus… Wie viele Überraschungen dieser Art sein Herz wohl noch aushalten würde? Als er merkte das der Kleinere unsicher wurde, anscheinend dachte er, er hätte irgendetwas Falsches gesagt, zog er ihn näher zu sich und schloss ihn in die Arme. „Es ist so schön… endlich sprichst du mit mir…“, flüsterte er zurück und spürte wie sich der Andere an ihn klammerte. Anscheinend hatte er jemanden gebraucht, der ihn so nahm wie er war… Und wieder fragte er sich wer diesen wundervollen Jungen nur so hatte brechen können? Und warum verflixt nochmal er ihn so derart anzog?! OoOoO Er war so glücklich. So wohl hatte er sich lange nicht mehr gefühlt… Keiner schien mehr sauer auf ihn zu sein. Alle waren freundlich, gingen auf ihn ein… und bald würde er auch Jin wiedersehen. Er hatte ihn versprochen, dass er nach dieser Woche wieder kam. Und das konnte er gar nicht erwarten. Seit der spektakulären Rettung, über die die Nachrichten stetig berichteten, war er sich absolut sicher. Er würde mit Jin reden. Auch wenn er enttäuscht würde, er musste es auf jeden Fall versuchen!...- Aber wann hatte ihn Jin schon Mal enttäuscht? Er konnte sich an kein einziges Mal erinnern. Wenn es jemand wert war, dass er mit ihm sprach dann er! Wie er wohl reagieren würde? Sicher würde er ihn nicht schlagen, so wie sein Ziehvater… Der Schwarzhaarige erschauderte. Daran sollte er nicht denken! Schwarz wie Teer und genauso zähflüssig schwappte der Traum von vor wenigen Tagen, genauso wie zahlreiche Erinnerungen über ihn herein. » Mach endlich deine Beine breit, du kleine Hure! « »Wer bist du schon? Du bist doch nur namenloser Dreck, der sich bei mir mit durchfüttert. Wenn du nicht auf der Straße oder im Heim landen willst, machst du besser was ich sage… - « Mit aller Macht schob der Junge die schnarrende Stimme des Mannes beiseite, die sein Leben dominiert hatte. Er wollte dieses Ungeheuer endlich vergessen…- Er war doch entkommen! Keiner wusste wo er herkam und solange das so blieb, würde auch keiner auf den Gedanken kommen ihn in diese Hölle zurückzuführen. Mit all seiner Kraft verbannte er die Erinnerungen wieder hinter den grauen, dichten Vorhang in seinem Geiste… dort würden sie bleiben… aber sie waren unsichtbar… Hinter diesem Vorhang lauerten so viele Schatten, die nach seiner Aufmerksamkeit schrien… Doch wenn er sich einen davon zuwandte, würde er alle anderen dieser Schattendinge auch sehen, ob er nun wollte oder nicht. Und davor hatte er Angst… Das wollte er einfach nicht…! Unruhig lief er in seinem neuen Zimmer hin und her. Er war einer der wenigen der ein Einzelzimmer bekommen hatte und auch wenn das wieder zu Streit geführt hatte, war er den Ärzten doch sehr dankbar dafür. Er hätte einfach die permanente Anwesenheit eines Fremden nicht ertragen… Er wollte alleine sein. Eigentlich. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war wollte er nur den jungen Doktor sehen. Alles in ihm sehnte sich nach dem Dunkelhaarigen und der Gedanke an ihn, verscheuchte alle Monster und Erinnerungen die in ihm lauerten. Auch wenn er immer noch kein Grund wusste. Er wollte sich in die Arme von Jin schmeißen und gehalten werden. Er sehnte sich nach diesem warmen, leicht distanzierten Lächeln und der angenehmen Baritonstimme. Und er konnte es nicht mehr erwarten bis es endlich wieder Montag wurde! Nur noch drei lange Tage… Er wurde aus dem Gedanken gerissen als einer der Arzthelfer ihm sein Essen brachte. Er stellte es auf den Tisch, der neben der Tür stand und nickte ihm zu. Der Schwarzhaarige steuerte auf den Tisch zu und nahm vor dem Tablett Platz. Dankend nickte er den Anderen zu, bevor er sich der dampfenden Suppe widmete. „Brauchst du sonst noch irgendwas?“ Er schüttelte den Kopf. „Okay, dann lass ich dich wieder alleine… Lass es dir schmecken!“ Dieses Mal nickte er wieder. Danach war der Ältere auch schon verschwunden und ließ ihn wieder mit seinen Gedanken und dem Essen alleine. OoOoO „Schön, dass du wieder da bist…“ Sein Herz schlug nach diesen Worten, die er seinen Lieblingsarzt ins Ohr geflüstert hatte, wie ein Presslufthammer. Er war so aufgeregt. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und konnte sich auf fast gar nichts mehr konzentrieren, außer auf das Gesicht vor ihm, dass keine Regung zeigte. Hatte er vielleicht etwas Falsches gesagt? Dabei war er sich so sicher gewesen… Warum sagte er denn dann nur nichts? Unruhig fixierte er seine Hände, die sich in seine Hose krallten… Wenn er ihn jetzt zurückwies würde er sterben. Da war sich der Schwarzhaarige ganz sicher… Und plötzlich kam Bewegung in den Körper unter ihn. Hände packten seine Schultern. Er zuckte bei der jähen Bewegung zusammen. Würde er ihn doch schlagen? Hatte er sich so getäuscht…? Nein! Sanft wurde er an einen sehnigen Körper gepresst und starke Arme umschlossen ihn. Arme die ihn schon so oft gerettet hatten… In jeder Art auf die ein Mensch einen Anderen nur retten kann. „Es ist so schön… endlich sprichst du mit mir…“, wurde nun auch ihn zugeflüstert. Sein Herz, was die ganze Zeit im Rekord geschlagen hatte, setzte aus… Nur um erneut mit erhöhter Frequenz seine Arbeit wieder aufzunehmen. Nicht vor Angst… vor Glück! Er hatte sich doch nicht in ihm getäuscht. Wie hatte er auch je denken können Jin schlage ihn? Ha. Seelig klammerte er seine Hände in das T – Shirt des Anderen und schmiegte sich schutzbedürftig an ihn. Alles in ihm flatterte von einem so heftigen Gefühl, was ihn vage bekannt vorkam… doch er konnte sich nicht erinnern so etwas in seinem bisherigen Leben jemals gefühlt zu haben. „Jin?“, fragte er unsicher. Das erste Mal das er ihn ansprach. „Hm?“, reagierte der Andere sofort, so als ob sie niemals etwas anderes gemacht hatten. Das Herz des kleinen Schwarzhaarigen hüpfte beschwingt. Er hatte die anderen Menschen um sich herum längst ausgeblendet. „Ich,…- ich…“ Er biss sich auf die Lippen. Was sollte er nun sagen? Eigentlich wollte er nur einmal diesen Namen auf seinen Lippen fühlen… und es hatte sich gut angefühlt. „Wie… wie heißt du eigentlich weiter?“ Wie dumm war die Frage denn bitte? Hätte ihm nicht was Besseres einfallen können?! Wieder einmal total verunsichert wartete er auf die Reaktion des Anderen. Augenblicke später vibrierte die Brust unter ihm. Jin lachte? Ja tatsächlich… er lachte! „Jinai Hatori, wenn du meinen vollen Namen wissen willst.“ Oh! Dann war Jin also nur eine Kurzform… Der Kleinere lächelte. Es fühlte sich irgendwie so an, als würde er nun mehr wissen als alle anderen,… was sicher absoluter Quatsch war… Namen waren ja kein sehr behütetes Geheimnis. Und trotzdem explodierte irgendwas in seinen Bauch und füllte diesen mit angenehmer Wärme. „Verrätst du mir jetzt auch deinen Namen, Kleiner?“ Wieder einmal brachte er sein Herz dazu auszusetzen. Doch dieses Mal war es sehr wohl Angst. Nein! „Ich… ich…“ Er spürte wie seine Wangen heißer wurden. Wie sollte er das denn nur erklären? Unruhig rutschte er auf den Schoß herum. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr so wohl bei der vielen Nähe ... eher fürchterlich in die Enge getrieben. „Kleiner?“, sah ihn der Arzt fragend an. Irgendwas musste er ihm sagen. Er wollte ihn nicht enttäuschen, nicht jetzt! „Ich … ich hab keinen Namen“, würgte er zittrig heraus. Ihm war als müsse er in seiner eigenen Schamesröte ertrinken. Sein ganzes Gesicht brannte. Zuerst sah der Andere ihn verständnislos an, kurze Zeit später hoben sich seine schmalen Augenbrauen in die Höhe. Oh nein… glaubte er ihm etwa nicht?! „Wie meinen…?“ „Mein …- mein Ziehvater hat mir keinen… keinen Namen gegeben…“, stotterte er hilflos. Das war die Wahrheit! Er log nicht! Flehend sah er den jungen Mann vor sich an. Er musste ihm doch glauben. „Er hat dir keinen Namen gegeben?“, wollte Jin fassungslos wissen. „Hattest du keine leiblichen Eltern?“ „Ich… nein… ich hab sie nie kennen gelernt… seit ich mich erinnere ihn…“, schluchzte er überfordert. Die Erinnerungen drängten wieder mit aller Macht nach draußen. Und mit ihnen kamen die Tränen. „Er hat immer gesagt… ich ver – verdiene keinen Namen… und mich immer nur mit… du ange – sprochen… ich…“ Jetzt schüttelte ihn ein richtiger Weinkrampf und ihm fehlte einfach die Luft zum Weiterreden. Wimmernd klammerte er sich an den Anderen und versuchte sich zu beruhigen und die Erinnerungen zurück hinter den Vorhang zu schieben… dort wo sie hingehörten! Aber so einfach ließen die sich nicht vertreiben. „Sch,… ruhig Kleiner…“, wurde er aus dem grauen See der Erinnerungen gerissen. „Ist gut, Kleiner. Beruhig dich… Komm schon, atme tief ein und aus. Genau, so ist gut.“ Japsend versuchte er zu atmen. Der warme Körper, an den er jetzt gedrückt wurde, vertrieb die Kälte aus seinen Gliedern und der Atemrhythmus des Älteren half ihn dabei seinen Eigenen wiederzufinden. Irgendwann konnte er wieder ohne Schmerzen atmen. „Hörst du mir zu, Kleiner?“, fragte Jin und musterte ihn undefinierbar. Sein Gesicht wirkte immer noch offen und warm, doch in seinen Augen spiegelte sich eine Emotion, die er noch nie zuvor bei einem Anderen gesehen hatte. Er nickte. Wieder beschleunigte sein Herz seine Arbeit. Es war absurde, doch irgendwie wurde ihm klar, dass sein ganzes Wohlbefinden an den Worten dieses Mannes lag…- wahrscheinlich immer liegen würde. Ein sehr beruhigender, aber gleichzeitig sehr erschreckender Gedanke. „Gut. Egal was dieser Mensch gesagt hat, es war dumm, okay? So was zu sagen zeugt von wenig Intelligenz. Jeder Mensch ist etwas wert… bei vielen sieht man das wertvolle nicht gleich, sondern muss es erst suchen, aber jeder besitzt es. Und zwar in den unterschiedlichsten Farben und Formen.“, sagte er ernst und strich mit seinen Fingern zart über seine, noch immer brennenden, Wangenknochen. „Du bist jemand absolut besonderes. Also musst du auch einen Namen haben. Wenn du dir einen wünschen dürftest, welcher wäre es?“ Er sah nach unten und ließ diese wundervollen Worte auf sich wirken. Sog sie ein wie ein trockener Schwamm. So etwas Schönes hatte noch nie Jemand zu ihm gesagt… Er war was Besonderes… „Kris…“, murmelte er schüchtern. „Hm… Kris also…“ „Ja… mit… mit K geschrieben…“ Jin lachte. „So sei es, Kris. Schön dich kennen zu lernen!“ Er lächelte schwach und stürzte sich wieder vorwärts in seine Arme. Er konnte einfach nicht anders… Endlich schien er Jemand zu sein… eine vollwertige Person… Endlich! OoOoO Die Party war so ziemlich den ganzen Vormittag gegangen. Dann hatte ihn Jin in sein Zimmer gebracht und ihn gesagt, dass er sobald es ihm möglich war wiederkommen wollte. Völlig erschöpft hatte sich der neu Benannte ausgezogen, sein neuen Block auf das Tischchen neben dem Bett gelegt und war unter seine Decke geschlüpft. Er war irgendwie sehr müde. Wahrscheinlich war der Ansturm der Erinnerungen einfach zu viel für ihn gewesen… Und tatsächlich. Sobald Kris Kopf das Kissen berührte, konnte er an nichts klares mehr denken und rutschte immer tiefer in den Schlaf ab… - Er schwebte durch dichte Nebelwolken, die ihn in allen Farben und Formen begrüßten. Was war das? War er nicht eben in sein Bett gegangen? Wo war er denn hier? Es fühlte sich an wie schweben… Fast magisch… Magisch. Als sich der bunte Nebel lichtete, stand er plötzlich in einem Zimmer. Hä? Irgendwie fühlte er sich wie in einem Film den er schon kannte. Das Zimmer kam ihn wirklich bekannt vor… Aber er wusste nicht woher. Es war groß und gut beleuchtet. Alle Wände waren in einen dunkelrot gehalten. Über seinen Kopf schwebte ein riesiger Kronleuchter… altmodisch. Aber hübsch. Jedes Möbelstück rüttelte an seiner Erinnerung. Das große Bett mit dem Betthimmel und den Vorhängen. Der große Schrank. Die Kommode. Der Tisch mit den vier Stühlen. Der Spiegel… Alles Ton in Ton… alles passend und aus dem gleichem Holz. So wie in einem Déjà-vu. Woher kannte er das nur alles? Unwohl drehte er sich in dem großen Raum im Kreis. Alles schien ihm bekannt. Jede Verschnörkelung die im Holz des Bettes eingeritzt war, schien er zu kennen. Aber woher? Er zuckte erschrocken zusammen als die Tür aufging und ein Junge hereingestürmt kam. »Sirius? Bist du hier? « Ertappt starrte er den Jungen an… schon eine Entschuldigung auf den Lippen, als dieser auf den Spiegel zu durch ihn durch lief. Wie vom Donner gerührt und mit offenem Mund stand er da und verstand die Welt nicht mehr. »Sirius! Wo bist du denn nur? « Rief der Fremde erneut… doch so fremd klang diese Stimme gar nicht… Es war wie ein Nachhall von seiner eigenen. Aber wie war das nur möglich? Der Andere drehte sich um und sah ihn nun direkt in die Augen, doch er schien ihn nicht zu sehen. Eher schaute er durch ihn hindurch. Doch der Schwarzhaarige konnte nur noch mehr starren. Was?! Das auffälligste an dem Jungen war eine blitzförmige Narbe auf seiner Stirn und die kaputte Brille. Doch wenn die nicht gewesen wäre, hätten sie wahrlich Brüder sein können. Die hatten den gleichen Körperbau… die gleichen dunklen Haare, die gleichen Augen… und fast dieselbe Größe… wer war der Typ? Und warum zur Hölle konnte er ihn nicht sehen? Eine plötzliche Regung in dem Gesicht, das er so akribisch musterte, riss ihn in die Situation zurück. In dem besagten Gesicht spiegelte sich grenzenlose Erleichterung und wilde Freude. »Sirius!! « Wieder stürzte er durch ihn durch, als wäre er ein Geist. Ein sehr beängstigendes und ekliges Gefühl. Als er sich umdrehte, lag sein dubioses Ebenbild nun in den Armen eines weiteren Fremden. »Endlich! Endlich bist du da! « »Hey… ich sagte doch du sollst dir keine Sorgen machen. « »Hab ich aber! « Die Beiden umarmten sich und schienen sich gar nicht mehr loslassen zu wollen. »Beruhig dich, es ist ja alles gut gegangen! « »Hat dich auch niemand erkannt? Bist du verletzt…? « »Weder noch. Beruhig dich, Harry. « Harry? Woher kam ihm der Name so bekannt vor? Plötzlich ertönte ein Geräusch. Es klang leicht wie ein Telefon. »Harry? Sirius? Seit ihr da? « erklang eine Frauenstimme im Raum. Die beiden Angesprochenen drehten sich um, sodass er endlich das Gesicht des Älteren sehen konnte…- Das… das war doch nicht möglich…! Oh Himmel… Diese scharfen/kantigen Gesichtszüge, die ein wenig arrogant wirkten, seine schwarzen Haare, die sein Gesicht umschmeichelten, die dunklen Augen...so dunkel, dass man sie fast als schwarz hätte bezeichnen können. Der gutgebaute Körper-...dies alles erinnerte ihn an irgendjemanden... Jin… Das konnte doch nicht sein! Wie… wie war das möglich. Während er schockiert darüber nachdachte wie das möglich war, und Vergleiche zwischen den Männern zog, waren die Beiden durch den Raum auf den Spiegel zugegangen. Anscheinend war dieser verzaubert, denn kaum blickten sie Beide hinein, erschien das Gesicht einer jungen Frau darin. »Endlich erreich ich euch! «seufzte die erleichtert. »Wir haben uns Sorgen gemacht. Ist alles gut gegangen?! « »Ja alles gut, grüß die Anderen von uns. « sagte sein Ebenbild grinsend. »Da wird sich Dumbledore aber freuen. « »Das glaube ich, aber ich denke wir sollten die Verbindung jetzt unterbrechen. Wir wissen nicht was alles hier in London überwacht wird. Wir sehen uns bald. « mischte sich nun das Ebenbild von Jin ein und lächelte schief. »Passt auf euch auf, ihr Beiden. « »Das gleiche gilt für euch! « Dann war das Bild plötzlich weg und es waren nur noch die Spiegelbilder der Beiden zu sehen, die in den Spiegel hinein blickten. Doch plötzlich veränderte sich das Spiegelbild erneut. Es verschwomm und verschob sich. Und plötzlich sah er Jin und sich in dem Spiegel. Was war hier nur los?? Danach verlor er den Boden unter den Füßen und alles wurde Schwarz… OoOoO „Unsere Tage waren gezählt… - einmal zu viel den falschen Weg gewählt.“ Kapitel 8: Bleib bei mir... bitte --------------------------------- Nach den ganzen Turbulenzen war Jin froh, als die Beerdigung endlich vor der Tür stand. Das hörte sich dämlich an, aber es war nun einmal so. Mit Adams Hilfe hatte er es geschafft die Organisation gut zu meistern. Es war alles so wie es sein sollte und sie hatten nichts vergessen. Und auch wenn seine Gedanken immer wieder zu Kris wanderten, der in der neuen Klinik auf ihn wartete, konnte er nicht umhin eine gewisse Melancholie zu entwickeln. Er hatte seiner Mutter so viel zu verdanken und auch wenn ihr Tod nun schon mehrere Wochen her war, tat es komischerweise immer noch gleich weh, wenn er an sie dachte. Eilig zog er seinen Anzug an und band sich etwas unbeholfen seine Krawatte um. Es war eines der wenigen Male, das er sich so in Schale warf. Er fühlte sich schon jetzt fremd und unwirklich…- Schnell blickte er auf seine Liste ob er nicht doch irgendetwas vergessen hatte und ging - als dies nicht der Fall war – hinunter zu seinem Wagen um sich auf den Weg zu machen. Je näher er dem Friedhof kam, umso erdrückender war das Gefühl, was sich auf seine Brust legte. Als er dann das Auto auf den Parkplatz abstellte, hatte er das Gefühl gleich an Atemnot zu sterben. Irgendwie war er ganz froh darüber, dass er Adam den Vorschlag hierher mitzukommen hatte ausreden können, auch wenn er jetzt die Unterstützung eines Freundes gut hätte gebrauchen können. Trotzdem wollte er nicht, dass ihn jemand so sah. Er wollte vernünftig um seine Mutter trauern. Das war er ihr schuldig… Eigentlich noch so viel mehr; aber mindestens das. Jin ging wie in Trance hinüber zu den Anderen Trauergästen, die sich schon vor dem Zaun versammelt hatten. Es waren grob geschätzt ein Dutzend Leute. Mehr nicht… Er hatte keine große Familie und legte auch keinen Wert darauf. Die einzige Person die er wirklich seine Familie gewesen war, wurde heute hier beerdigt. Also reihte er sich ein und bald darauf setzten sie sich geschlossen in Bewegung. Die Zeremonie an sich ging an ihm vorbei wie ein Traum. Es war unwirklich und schemenhaft. Hätte man ihn im Nachhinein nach Einzelheiten gefragt, Beispielsweise eine der Reden oder die letzten Worte, hätte er nicht antworten können. Und das war armselig. Aber nicht zu ändern. Jin funktionierte nur, bis endlich alle Gäste weg waren. Bis er endlich vor ihrem Grab stand. Im Endeffekt wusste er nicht mehr wie lange er dort stand und die Innenschrift betrachtete. Es hätten ein paar Stunden sein können, aber auch nur Minuten. Die Gravur brannte sich in seinem Gehirn fest. Und die Zeit stand still. Jin stand einfach nur vor dem Grabstein seiner Mutter, der noch mit so vielen Blumen und Kränzen verziert war, und starrte auf den Namen im Marmor. Weinen konnte er nicht. Auch wenn er es gerne gewollt hätte… für sie. Es war als hätte man ihm in diesen Moment alles genommen, was er besaß. OoOoO Kris erwachte aus seinem Traum. Sein ganzer Körper kribbelte, so als hätte er Abermillionen Insekten auf sich herumlaufen. Mit rasendem Herzen und wirren Gedanken öffnete er die Augen und versuchte sich zu erinnern was er da geträumt hatte. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Wieso war er nur so aufgeregt? War es wieder so ein Traum über diesen Harry gewesen? Je mehr er versuchte es zu erinnern, umso mehr entzog sich ihm der Traum und verschwand in dem Licht seiner Nachttischlampe. Seit er hier war, hatte er immer mit Licht geschlafen. Irgendwann hatten die Schwestern es aufgegeben Dieses auszuschalten, weil er meist davon erwachte und es wieder einschaltete, sobald sie den Raum verlassen hatten. Mit Licht fühlte er sich irgendwie sicherer. Natürlich war ihm klar, dass auch das Licht nichts an seinen wirren Träumen ändern konnte, doch er fühlte sich geborgener als in der Dunkelheit. Erklären konnte er es nicht. Das hätte letztendlich wieso niemand verstanden. Da war er sich sicher. Frustriert seufzend gab er es auf sich an den eben geträumten Inhalt erinnern zu wollen. Auch wenn er irgendwie das Gefühl hatte, dass es wichtig war. Erzwingen konnte er es ohnehin nicht. Also schloss er seine Augen wieder und dachte an Jin. Die letzten Wochen waren so harmonisch verlaufen, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie befanden sich noch immer in dem neuen, provisorischen Krankenhaus und das würde auch sicher noch eine Weile so bleiben. Aber der kleine Schwarzhaarige musste sich eingestehen, dass er nie zufriedener gewesen war als jetzt und hier. Jeder hier bemühte sich rätlich um ihn und Jin schien den anderen das mit dem Namen gesteckt zu haben. Böse sein konnte er ihm deswegen aber nicht… einfach weil es schön war mit eben diesem angesprochen zu werden. Auch das Verhältnis der Ärzte und Schwestern war wieder so ausgeglichen wie zu Anfang. Eine Tatsache, die ihn noch mehr erleichterte. Alle akzeptierten den Umstand dass Jin ihm wichtig war. Sie hatten anscheinend begriffen, dass er den Arzt brauchte. Nur bei ihm konnte er schreckliche Erinnerungen vergessen und Geborgenheit suchen. Auch wenn er selber immer noch nicht richtig begriff warum das eigentlich so war. Es war eine große Erleichterung, dass niemand etwas dazu sagte oder es ihnen verbot sich nahe zu sein. Auch an den Gruppentherapien nahm er jetzt ab und zu teil, auch wenn er noch nicht viel sagte. Er war anwesend und mit einigen der Patienten verstand er sich tatsächlich gut. Vor allem mit denen die die gleichen oder ähnlichen Vergangenheiten hatten wie er und die verstanden, dass er lieber schwieg anstatt zu reden. Und auch wenn er so etwas nie gedacht hatte, es waren doch recht Viele. Kurzum, so gut wie jetzt, hatte er es in seinem Leben noch nie getroffen. Und obwohl er manchmal Angst hatte, dass das alles wieder zerstört werden könnte, war er doch die meiste Zeit einfach nur dankbar dafür, dass er solch eine Chance bekommen hatte. Kris lag mit geschlossenen Augen in seinem Bett und dachte an Jin. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es kurz vor halb zwei war. Der junge Arzt hatte ihm gesagt, dass er heute ein paar Stunden frei hatte, nicht warum. Durch Zufall hatte er Jins besten Freund Adam und die Oberärztin Yulia darüber reden hören das heute seine Mutter beerdigt wurde. Wie es ihm jetzt gerade wohl ging? Regulär hätte er eigentlich Spätschicht gehabt, doch Kris glaubte, dass er heute nicht mehr hier erschien. Wahrscheinlich wollte er aus irgendeinem Grund nicht darüber reden und hatte deswegen etwas von ein paar Stunden erzählt. Das war okay für ihn. Doch er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er einfach wieder arbeiten konnte, nachdem man seine Mutter begraben hatte. Jedenfalls nicht wenn man ein gutes Verhältnis zu ihr gehabt hatte. Aber er wusste ja eigentlich gar nicht was für ein Verhältnis Jin zu ihr gehabt hatte. Er wusste generell sehr wenig über den jungen Arzt. Wahrscheinlich lag das aber auch daran, dass er selber auch nur wenig von sich Preis gab,… auch wenn er jetzt bereit sein würde manches mit Jin zu teilen. Alles konnte er selbst ihm nicht erzählen. Vielleicht ging es ihm genauso? Lächelnd grub er seinen Kopf tiefer in das Kissen und zog die Decke etwas höher. Mit den Gedanken an Jin schlief er schnell wieder ein. OoOoO Jin saß in seinem Sessel und starrte an die Wand. An Schlaf war gar nicht zu denken. Auch wenn es bereits halb fünf morgens war. Er hörte das Ticken der Uhr und driftete ab und zu in einen Kurzschlaf ab, doch es waren eher Gedankenfetzen, als wirkliches Schlafen. Irgendwann hatte es angefangen zu regnen, erst dann war er vom Grab weggegangen, in seinen Wagen gestiegen und nach Hause gefahren. Seither saß er sich und rührte sich nur dann minimal, wenn sein Körper danach verlangte. Er hatte keinen Hunger. Er war nicht müde. Er wollte gar nichts. Einfach nur sitzen… Und denken, sofern er dazu im Stande war. Es war wie geistige Umnachtung. Zwischen hier und später… irgendwo da befand er sich. Als die Helligkeit langsam durch seine Fenster kroch und seinen Körper berührte, entschloss er sich dazu heute Arbeiten zu gehen. Hier würde er verrückt werden. Und er würde Kris sehen. Vielleicht half es, gegen dieses seltsame und zugleich schreckliche Druckgefühl auf seiner Brust. Irgendetwas musste er ja tun. So kam es, dass er sich am Nachmittag tatsächlich aus seiner Starre kämpfte, ins Bad ging und begann sich für die Arbeit fertig zu machen. Nach der Dusche und dem Klamottenwechsel fühlte er sich schon um einiges besser. Mehr wie er selbst irgendwie. Er ging in die Küche, machte sich ein Sandwich und probierte vorsichtig ob sein Magen bereit war Nahrungsmittel aufzunehmen, ehe er sich einen Kaffee kochte. Es funktionierte. Etwas zufriedener und nicht mehr halb so unzurechnungsfähig wie zuvor, stieg er gegen achtzehn Uhr stieg er in seinen Wagen und fuhr zur neuen Anschrift des Mary Hopes. Dort angekommen ging er erst einmal ins kleine Nebengebäude, in dem sich die Umkleidekabinen für Ärzte und Schwestern befanden, und zog sich seinen Kittel über. Erst dann betrat er den Eingangsbereich und wurde sofort großäugig angeschaut. „Dr. Hatori? Aber … ich – ich dachte sie…“ Der Dunkelhaarige musste über den unbedachten Reim schief Lächeln. „Guten Abend, Melinda. Ist schon in Ordnung. Ich muss mich ja irgendwie ablenken heute. Also habe ich beschlossen meine Schicht heute normal zu nehmen. Man sieht sich.“ Er wartete nicht auf eine Erwiderung und verschwand in das Arztzimmer. Automatisch meldete er sich als arbeitend an und klickte die Berichte und die Therapiepläne durch um eventuelle Veränderungen zu bemerken. Dann schlug er das Kommentarbuch der Kollegen auf um über alle Ereignisse informiert zu sein. Es war nicht viel passiert… Was irgendwie gut war. Dann konnte er zumindest anfangen die liegengeblieben Sachen zu schreiben und den Endbericht von dem kleinen Patienten zu schreiben, der bald entlassen wurde. Und später würde er vielleicht nach Kris sehen und – „Was machst du hier, verdammt noch mal?“, wurde er von der Stimme seines besten Freundes aus den Gedanken gerissen. Jin wand sich um und sah direkt in die blitzenden, ockerfarbenen Augen. „Dir auch einen schönen, guten Abend.“, erwiderte er spöttisch. „Hör auf mich zu verarschen, Jin und beantworte meine Frage!“ „Na was wohl… ich arbeite hier zufällig.“ „Jin!“ Der Angesprochene seufzte. „Ist ja okay… ich… ich musste einfach da raus, Adam. Sonst wäre ich verrückt geworden. Deswegen bin ich hier… ich dachte wenn ich ein wenig arbeite, kann ich mich ablenken und muss nicht über …- sie nachdenken.“ Sein Freund trat näher an ihn heran und legte seine Hand auf seine Schulter ab. „Denkst du das ist eine gute Idee?“ „Ja.“ „Willst du darüber reden?“ „Nein…“ „Okay. Aber du kommst zu mir - “ „ Bevor es mich noch mehr runterzieht. Versprochen.“ „Gut.“ „Erzähl mir alle Einzelheiten.“ Und das tat Adam dann auch. Er schilderte dem Dunkelhaarigen genau den Tag und erklärte ihm, was sie mit den Patienten gemacht hatten. So wie Jin das hörte war heute Abend wirklich nicht viel zutun. Das war gut. Wenn Adam Feierabend hatte, würde er seine 3 Akten vervollständigen, den Endbericht schreiben und dann würde er Kris besuchen gehen. Wenn er Glück hatte, hatte er dann noch eine Stunde mit ihm, bevor der Nachtdienst kam. OoOoO Für den kleinen Schwarzhaarigen war der Tag nur sehr schleichend vergangen. Immer wieder hatte er sich gefragt, was der Andere wohl machte und gehofft das es dem Arzt gut ging… zumindest den Umständen entsprechend. Da an dem Tag eh keinerlei Therapien angestanden hatten, hatte er den größten Teil des Tages auf seinem Zimmer verbracht und in seinen Block gemalt, während er über Jin sinnierte. Eigentlich völlig zwecklos, aber er vermisste ihn. Mittlerweile war er schon so weit, dass ein Tag ohne den dunkelhaarigen Arzt einer Katastrophe glich. Irgendwie war mit ihm nichts anzufangen, wenn Jin frei hatte. Er wusste gar nicht wie er es 11 Jahre ohne ihn hatte aushalten können. Kris wurde gegen zweiundzwanzig Uhr noch einmal von einer Schwester besucht, die ihm seine Schlaftabletten gab, damit er Traumlos schlief und ihm gute Nacht wünschte. Dann machte er sich bettfertig und war heilfroh, dass der Tag vergangen war. Fast jede Stunde hatte er heute auf die Uhr geschaut. Es war fast unerträglich wie abhängig er sich schon wieder machte… doch sein von Sehnsucht zerfressen Herz sprach nun einmal eine eigene Sprache. Gerade als er ins Bett steigen wollte – inzwischen war es halb elf - ging die Tür zu seinem Zimmer auf. Erstaunt blickte er sich um. Was wollte Matilda denn noch? Hatte sie was vergessen? Aber im Gegenteil. Ihm gingen fast die Augen über, als er realisierte, wer da in der Tür stand. „JIN!“ Völlig geplättet und gleichzeitig unendlich glücklich, sprang er dem Arzt in die Arme. Dieser lachte leise und fing ihn auf. Dann schloss er die Tür hinter sich und schob ihn zum Bett. „Was machst du denn hier? Ich denke du hast frei?“ Jin lächelte, doch Kris merkte sofort, dass es aufgesetzt war. Es erreichte seine Augen nicht. „Ich hab dir doch erzählt, dass ich nur ein paar Stunden frei hab.“, kam die Antwort leise zurück. Der Dunkelhaarige Arzt hielt ihm demonstrativ die Decke auf. Und er folgte der Bitte stumm und krabbelte ins Bett. „Ich hab aber gehört wie Adam und Yulia geredet haben. Tut mir Leid… ich wollte wirklich nicht lauschen… aber…“ Ihm fiel nichts ein, was er sagen könnte. Jin sah ihn nur undefinierbar von oben herab an. Ob er sauer war? Schließlich hatte er ja einen Grund es ihm nicht zu verraten. Kris senkte den Blick auf seine Hände, die mit dem Bezug der Bettdecke spielten und wartete auf eine Reaktion. Er wartete unendlich viele Augenblicke… so kam es ihm zumindest vor. Dann seufzte der Dunkelhaarige leise. „Mach mal Platz.“ Irritiert sah der Jüngere wieder auf, folgte dann aber der Aufforderung und rückte weiter an die Kante seines Bettes. Die Matratze federte unter einem anderen Gewicht und eher er sich versah, war Jin neben ihm und er in dessen Armen. Widerstandslos schmiegte er sich an die Brust des Arztes und bettete seinen Kopf an die andere Schulter. Er hörte den kräftigen Herzschlag und spürte das Heben und Senken der Brust bei jedem Atemzug. „Bis du böse?“ „Nein… es tut mir nur Leid, dass du es so erfahren musstest. Ich hätte es dir gesagt, aber ich konnte einfach nicht darüber reden, weißt du?“ „Verstehe. Das ist in Ordnung.“ Jin drückte ihn noch fester an sich und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. „Wie war dein Tag?“ „Langweilig. Irgendwie ging es er heute überhaupt nicht vorbei. Therapie hatte ich heute auch nicht…“ Er zögerte kurz ehe er vorsichtig fragte: „Und deiner?“ „Anstrengend und sehr kräftezehrend.“ „Glaub ich.“ „Lass uns nicht darüber reden.“ „Okay. Ich finde es schön das du hier bist…“ „Ich finde es schön hier zu sein.“ Darauf folgte eine Weile Schweigen. Kris wusste nicht was er sagen konnte oder sollte. Aber Jin schien keinen Wert auf Gespräche zu legen. Er hielt ihn einfach weiter fest und irgendwann hatte der kleine Schwarzhaarige wirklich damit zu kämpfen die Augen offen zu halten. „Du kannst ruhig schlafen, Kleiner“, flüsterte Jin sanft, der seinen Kampf mitbekommen zu haben schien. „Aber du - “ „Ist schon okay. Ich will einfach noch ein wenig hier liegen bleiben und dich so halten. Wenn das okay ist.“ „Ja.“ So kannte er ihn ja gar nicht. Doch wenn es für den Älteren okay war… Kris drehte sich mehr zu Seite, legte einen seiner schlanken Arme um Jins Bauch und kuschelte sein Gesicht in den Kittel des Arztes. Dann schloss er die Augen und genoss einfach nur die Nähe. Er gurrte leise, als der Andere begann seinen Nacken zu graulen. Eine wärme schwappte über ihn, die er noch nie zuvor gefühlt hatte. Es war schön… Die geliebkoste Stelle kribbelte und ließ in seinen Magen komische Flattergefühle entstehen. Doch es war nicht unangenehm. Immer mehr driftete er ab. Er wurde auch nicht wach, als sich Jin sanft von ihm losmachte und sein Zimmer verließ. OoOoO Jin lag in dem viel zu kleinem Krankenbett und genoss das Gefühl den Kleineren im Arm zu haben. Irgendwie hatte sich die Last auf seiner Brust schon gemindert. Und er wusste, dass der Schwarzhaarige in seinen Armen das geschafft hatte. Es war ein tolles Gefühl ihn so halten zu dürfen, eben weil er wusste, dass es sonst keinen anderen Menschen gab (vor allem keinen Mann) der diese so konnte. Irgendwie machte ihn das stolz und traurig zugleich. Wieder fragte er sich, wer so einem Engel all diese schrecklichen Dinge hatte antun können, dass er so daran kaputt ging und sich sogar umbringen wollte. Auch wenn er nicht wusste was genau dieses Schreckliche war, dass Ergebnis dieser Taten sprach ja für sich oder? Hätten sie ihn nicht gefunden und hätte Yulia nicht sofort richtig reagiert, wäre er nicht mehr hier. Und das war ein grausamer Gedanke, vor dem Jin immer noch zurück schreckte. Auch wenn er wusste, dass er der Wahrheit entsprach. Lächelnd sah er auf seinen Schützling hinunter, der die Streicheleinheiten, die seine Hand wie selbstverständlich dem anderen Nacken zukommen ließ, genoss. Es war ein so friedliches Bild, dass sein Herz flutete und alle Gedanken an den grauen Tag verfliegen ließ. Noch immer hatte er das vertraute Gefühl, so als wären sie sich schon einmal begegnet. Doch theoretisch war das nicht möglich. Das wusste er. Seine Gefühle interessierte das aber anscheinend wenig, denn er bekam dieses Déjà-vu Empfinden nicht abgestellt. Aber er störte sich nicht weiter daran. Es ist nun einmal wie es ist. Unbewusst streichelte er weiter durch das samtene Haar des Anderen. Er hatte gewusst, dass ihm die Nähe gut tun würde, auch wenn es ihm manchmal so vor kam, als würde er mit einem Erwachsenen sprechen anstatt mit einem Kind. Zwar hatte er eine glockenhelle Knabenstimme, doch die Inhalte und die Ausdrucksweise glichen einem Mann. Auch das faszinierte und erschreckte ihn zu gleicher Maßen. Was konnte diesem Jungen nur passiert sein? Was hatte ihm zu dem gemacht, was er nun einmal war? Wenn Jin ehrlich zu sich selbst war, wollte er es wahrscheinlich gar nicht wissen… Es wäre nämlich gut möglich das er dann einen Mord begehen musste, sollte er je herausfinden, wer dem Kleinen das angetan hatte. Manchmal waren zu viele Details einfach schlecht. Und er bezweifelte auch, dass Kris es ihm sagte, wenn er fragen würde. Deswegen tat er es nicht. Irgendwann, nachdem das Gefühl des Drucks auf seiner Brust fast völlig verschwunden war, und er sein Herz mit dem Bild des friedlich schlafenden Kindes gefüllt hatte, blickte er auf die Uhr. Es war fünf nach elf. Langsam sollte er runter ins Arztzimmer und Amber empfangen. Die würde in wenigen Minuten zur Übergabe erscheinen. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust. Er wollte hier bleiben und den Schwarzhaarigen halten… die Harmonie atmen. Nicht nach Hause in das trostlose Zimmer in dem nur Erinnerungen warteten. Widerwillig nahm er den dünnen Arm, der um seinen Bauch lag und hob ihn vorsichtig von sich runter. Jin wollte nicht riskieren das der Kleinere aufwachte. Doch gerade als er glaubte es geschafft zu haben, klammerten sich die blassen Finger an seiner Hand fest. „Bitte bleib bei mir…“, nuschelte der Schlafende. „Kris?“, fragte er leise. Ob er noch schlief? Tatsächlich kam keine Antwort. Auch die Atmung war noch zu regelmäßig und tief für einen Wachzustand. Der dunkelhaarige Arzt schmunzelte, machte seine Hand sanft los und beugte sich dann über den Anderen. „Das tu ich nicht. Ich bin immer bei dir…“ Auf den schlafenden Zügen breitete sich ein strahlendes Lächeln aus und Jin begriff, dass der Kleine anscheinend träumte. Wahrscheinlich war er sich gar nicht bewusst, dass er laut sprach und eine reale Antwort bekam. Mit dieser Erkenntnis stieg er langsam aus dem Bett, immer darauf achtend nicht zu schnelle Bewegungen zu machen. Doch von Kris kam keine Regung mehr. Er schlief einfach weiter. Fürsorglich deckte er den Patienten richtig zu und hauchte ihm noch einen Kuss auf die Wange, ehe er sich umwand und leise aus dem Zimmer ging. In ihm breitete sich ein nie da gewesenes Gefühl von zärtlicher Fürsorge und warmer Liebe aus. OoOoO „Ich hab' verloren, was Sorgen waren, hab' viel dazugelernt, in all den Jahren. Leb' nur für heute, mein Leben lang, fang' jeden Tag ein neues Leben an.“ Kapitel 9: Ungute Geständnisse ------------------------------ Der kleine Schwarzhaarige saß in seinem Bett und sah aus dem Fenster. Er konnte noch immer nicht glauben, was in den letzten Wochen alles passiert war. Er hatte seine Erlösung gesucht, aber was er gefunden hatte war jemanden den er vertrauen konnte und einen Menschen, der ihn wirklich gern zu haben schien. Das Glück, welches anscheinend bis jetzt gewartet hatte, ehe es zu ihm kam, war kaum zu fassen. Er hatte bis jetzt in seinem Leben nur Schmerzen und Verzweiflung gekostet. Umso berauschender war das Gefühl der Wärme und der Zufriedenheit. Es fühlte sich leicht an wie schweben. Schwerelos. Fast wie in einem Traum. Kris seufzte und stand auf. Nachdem Jin an dem Abend der Beerdigung zu ihm gekommen war, hatte er ihn nicht mehr gesehen. Er hatte nebenbei mitbekommen, dass er zwangsbeurlaubt worden war, da er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte. Unwillkürlich fragte er sich wie es dem Dunkelhaarigen jetzt wohl ging. Was machte er wohl gerade? Ob er auch gerade an ihn dachte? Unruhig ging er im Zimmer umher. Irgendwie wusste er in letzter Zeit nichts mehr mit sich anzufangen. Er hatte weder große Lust zu malen oder zu schreiben, noch wollte er an Therapien oder Angeboten der Anderen teilnehmen. Warum das so war, konnte er nicht einmal genau sagen. Ein unruhiges Gefühl hatte sich seit einigen Tagen in ihm breit gemacht und verdrängte seine Zufriedenheit ein wenig… Dieses Gefühl war unstet und kribblig, wie ein Ameisenhaufen, der sich in seinen Eingeweiden eingenistet hatte. Was war das bloß? Ob es was mit der letzten Begegnung von ihm und Jin zu tun hatte. Aber eigentlich war diese ja nichts Besonderes gewesen… etwas Derartiges hatten sie seit dem Feuer öfter gemacht. Und jedes Mal hatte er das Gefühl gehabt jeden Moment vor Glück platzen zu können. Trotzdem pochte etwas an sein Bewusstsein. Etwas das er noch nicht fassen konnte, doch er wusste, dass es da war. Es vergingen weitere Tage. Kris fühlte sich immer unruhiger und unkonzentrierter. Wenn Adam oder Yulia ihn überredeten in die Therapien oder zur Beschäftigung zu kommen, merkte er es noch stärker. Irgendwas beschäftigte ihn ohne, dass er wusste was es war. Das machte ihn halb wahnsinnig. Doch die Aufklärung kam dann schneller als ihm lieb gewesen wäre… Es war bei der wöchentlichen Untersuchung seines Allgemeinzustandes und seiner Narben, die Yulia diese Woche durchführte. Seine Arme, dessen Fleisch er damals mit drei tiefen Schnitten entlang der Pulsadern, zerteilt hatte, sahen wieder aus wie Gliedmaßen. Die Fäden waren schon im alten Mary Hope gezogen worden… und da sie bis jetzt weiter verblasst waren, sahen sie fast schon ansehnlich aus. „Sehr gut. Das sieht alles super aus. Und da du regelmäßig isst, steht deiner Entlassung nichts mehr im Weg.“ Diese einfachen Worte waren wie Peitschenhiebe und verdeutlichten ihm das, was er bis jetzt nicht hatte an sich ran lassen wollen. Hier war ein begrenzter Aufenthalt. Schon bald würden sie ihn lächelnd vor die Tür setzen und dann war er wieder alleine. So wie es schon immer war. So wie es wieder sein würde… Kein Jin… nur gähnend Leere und vielleicht ein neuer Dämon, der über ihn wachte. Erst als seine Schultern fest gepackt worden, bekam er mit, dass er schrie. Anscheinend war er aufgesprungen, denn plötzlich war er in der Mitte des Raumes. Wie er da so schnell hingelangt war, wusste er auch nicht. Er nahm seine Schreie kaum war. Auch Adam und Yulia nicht, die versuchten ihn zu beruhigen… ihn festhielten und gleichzeitig davon abhielten das Mobiliar zu zerstören. Er wollte nicht hier weg! Er wollte hier bleiben,… hier bei Jin… In der Wärme, in der Geborgenheit. Wenn er gehen musste würde es wieder kalt werden. Und dunkel… Eisige Klauen der Erinnerung griffen nach ihm. Umklammerten seine Seele und brachten ihn dazu, sich gegen die Hände zu wehren, die ihn festhalten wollten. Jede Berührung schmerzte ihn. Er roch die unverkennbare Note des Zimmers wieder, welchen er mit seinem Selbstmordversuch entkommen war. Es hüllte ihn wieder ein und verdammte ihn zum Bleiben. Wenn er wieder zurück müsste, würde er nie wieder das Licht der Welt erblicken. Das wusste er mit Sicherheit. Er würde ihn nie wieder gehen lassen. Auch wenn er starb… Er würde es in diesem Zimmer tun müssen! OoOoO Der Raum war kalt und leer. Er war nicht sonderlich geräumig. Er war schmal und lang, aber nicht geräumig. Die Tapete blätterte von den Wänden ab. Die einzigen Einrichtungsgegenstände hier, waren eine durchgelegene Matratze und ein Eimer mit Deckel in der hintersten Ecke unter dem kleinen Fenster. Dieser Eimer stank nach Fäkalien. Sein Meister leerte ihn auch nur einmal in der Woche aus… Das Fenster, konnte eigentlich nicht als solches beschrieben werden… es war eher eine Luke. Man konnte kaum hindurchschauen und wenn man es versuchte, sah man eh nichts, außer die graue Mauer des Hauses gegenüber. Mehr gab es nicht in diesem Zimmer. Hier lebte er den größten Teil seines Lebens. Er schlief, er dachte, er malte, er bekam zweimal am Tag Essenrationen und musste ab und zu auf den Eimer. Nicht schlimm konnte man meinen… So waren vielleicht zwei Tage seiner Woche. Die restliche Zeit wartete er auf das Grauen. Welches in Gestalt eines breiten, bärtigen Mannes kam. Wenn dieser Mann, den er als sein Meister betiteln musste, kam und ihn an die Leine legt, wusste er, was die nächsten Stunden auf ihn zukam. Er trug nur ein Halsband am Körper, in das die Leine verhakt wurde. Er hasste das klickende Geräusch, wenn das geschah. Nur so durfte er vor die Tür seines Zimmers treten. Nackt und mit Leine. Er glaubte er hatte in seinem Leben vielleicht zweimal Klamotten getragen. Das erlaubte der Meister nur, wenn sie außer Haus mussten. Sonst nie. Er kannte das Gefühl nicht. Überhaupt kannte er wenig Gefühl… außer Schmerz, Demütigung, Verzweiflung und Angst. Wenn er aus seinem Zimmer geholt wurde, dann nur, wenn der hässliche Mann bei dem er lebte Vergnügen brauchte. Und das holte er sich dann bei ihm. Meistens lud er noch andere Freunde ein. Fast alle waren Männer, nur wenige Frauen. Zusammen vergnügten sie sich mit ihm über Stunden. So endlos lange Stunden. Sie liebten es ihn schreien und betteln zu hören, ihm wehzutun und sich an seinen Körper zu vergehen. Wenn er außerhalb seines Zimmers war, wurde er zum Hund… zum Welpen, der auf allen Vieren sitzen musste und sich nur winselnd artikulieren konnte. Die Zeit dieser Jahre verging nicht. Sie stand. Er wusste nicht ob Tag oder Nacht. Er bekam nichts mit von seiner Umwelt. Und manchmal war das auch gut so. Zum Beispiel wenn sie die Peitsche herausholten oder den Elektroschocker aus der Tasche zogen. Doch egal was passierte. Immer wieder wachte er in diesem versifften, stinkenden Zimmer auf. Niemals würden sie Erbarmen zeigen und ihn töten. Das wusste er. Also musste er es selber tun… Irgendwie…- Er hörte das Grunzen und Stöhnen des Mannes der hinter ihm hockte. Die heftigen Stöße, brachten ihn immer wieder dazu zu schreien. Die Fesseln rieben seine Handgelenke auf, während er mit gespreizten Beinen auf den Holztisch lag. Immer wieder brach der Andere durch seinen Muskel und rammte sich in sein Inneres. Die Zuschauer die seine Beine in Position hielten, lachten hämisch, wenn er schmerzvoll wimmerte. Das Tuch über seinen Augen, raubte ihm die Sicht und vervielfältigte seine anderen Sinne so stark… Er roch den Schweißgeruch… Er hörte das Keuchen und Stöhnen um sich… Er spürte die Reibung des Holzes an seinem Körper… Und schmeckte Blut auf seiner Zunge. Ihm war so elend zumute. Er wusste, dass er wieder lange über dem ekligen Eimer hängen würde und sich erbrechen musste, wenn er das hier überstanden hatte. In seine Hände wurde ein steifes Glied geschoben und er ergriff es wie automatisch. Es widerte ihn an, aber er wollte nicht bestraft werden… nicht heute. Das würde er nicht mehr überstehen. Nach einer halben Ewigkeit spürte er wie sich der Mann endlich heiß in ihm ergoss. Seine Beine wurden losgelassen und er hing wie ein Stück lebloses Fleisch über die Kante des Tisches und spürte das fremde Sperma seine Beine entlang laufen. OoOoO Jinai Hatori fuhr zu seiner ersten Schicht nach einer Woche. Es war ungewohnt wieder so früh aufzustehen, aber er freute sich auch irgendwie. Jetzt im Nachhinein konnte er sich eingestehen, dass es wirklich zu seinem Besten war, dass Amber ihn freigestellt hatte, auch wenn er zu Anfang gar nicht damit einverstanden gewesen war. So hatte er die Zeit gefunden vernünftig zu trauern. Auch wenn er noch immer nicht hatte weinen können, so hatte er doch die alten Fotoalben ausgegraben und stundenlang darin geblättert. Und das war okay, fand er. Er hatte an alle schönen und weniger schönen Zeiten zurückgedacht und sich von ihr verabschiedet. Jetzt war es nicht mehr allzu schmerzvoll, wenn er an sie dachte. Es war eher so, als hätte man sich von einem Freund verabschiedet, zu dem man den Kontakt leider nicht mehr halten konnte. Und es würde leichter werden. Das war ihm klar. Jetzt sollte er sich wieder ganz auf seine Arbeit und den Kleinen konzentrieren, der bestimmt schon auf ihn wartete. Er hatte gar keine Zeit mehr gehabt mit ihm über seinen Zwangsurlaub zu reden, dafür war das alles zu schnell gegangen, deswegen hoffte er, dass Kris nicht sauer auf ihn war. Aber er glaubte das irgendwie nicht. Er freute sich auf alle und stieg mit einem recht guten Gefühl schließlich ins Auto. Die Fahrt kam ihm ungewöhnlich lang vor, doch irgendwann kam er auf dem Parkplatz des neuen Hauses an. Doch schon als er das Gebäude betrat, spürte er, dass etwas hier ganz und gar nicht stimmte. Die Flure waren wie leergefegt. Keine Schwester saß am Empfangstresen und überhaupt war niemand zu sehen. Was war denn hier los? Sich umsehend ging Jin erst einmal zu den Umkleideräumen und zog sich seine Arbeitssachen an. Als nächstes schaute er ins Büro und ins Übergabebuch. Nichts Außergewöhnliches wie es aussah. Er begann von vorne, das hieß, einen Tag nachdem er in den Urlaub gegangen war, und arbeitete sich dann bis zum heutigen Tag durch. Immer mehr häuften sich rote Einträge. Nichts gegessen. Kaum Einfuhr. Rückfall. Medikamenten Verweigerung… Und noch einiges mehr, was nicht genauer erklärt war. Jin runzelte die Stirn. Was war hier nur los? Und von welchen Patienten schrieben seine Kollegen da? Er beschloss seine Runde zu verschieben und sich erst einmal durch die Akten zu arbeiten, vielleicht bekam er ja da etwas Genaueres heraus. Und wenn einer seiner Kollegen kam, konnte er gleich fragen. Jetzt im Haus zu suchen war sicher sinnlos… die Visite hatte bestimmt bereits angefangen. Also zog er sich den Schieber näher und begann die Berichteblätter der einzelnen Patienten zu lesen. Eine Stunde später war Jin, dank der Berichteblätter und einer detaillierten Ausführung von Cesare voll im Bilde. Er verfluchte Yulia im Stillen für diese unbedachten Worte, die anscheinend eine Lawine bei Kris losgetreten hatten. Das was allerdings am schlimmsten war, war eher das sich die drückende Stimmung auf alle Patienten im Haus übertrug. Das war ihm jedenfalls nach seinem Rundgang klar. Jeder hatte mindestens einen Ausbruch des Schwarzhaarigen mitbekommen und damit schien keiner umgehen zu können. Es wurde also Zeit, dass er auch seinem kleinen Sorgenkind mal einen Besuch abstattete. Cesare hatte ihm berichtet, dass Kris sehr schlecht aß und trank und auch alle Medikamente immer wieder verweigerte. Es schien fast so, als würde er sich absichtlich wieder zurückwerfen um länger bleiben zu können. Aber auch das war nicht möglich. Und das wussten sie alle. Höchstwahrscheinlich auch der Kleine. Jin war nun an dem Zimmer seines Schützlings angekommen und klopfte leise. „Kleiner… hey!“, begrüßte er den völlig abgemagerten Jungen. Wie hatte er in den paar Tagen so viel abnehmen können? Das war ja beängstigend. Als der Andere ihn bemerkte, rannte er in seine Arme und klammerte sich sehnsüchtig an ihn. Na wenigstens daran hatte sich anscheinend nichts geändert. „Was machst du denn für Sachen, Kris?“ Zärtlich streichelte er den zitternden Jungen übers Haar und sah sich im Zimmer um. Dort auf dem Tisch stand noch das Tablett mit dem Frühstück, was die Schwester bestimmt gerade gebracht hatte. „Na, wollen wir gemeinsam Frühstücken?“ Ein verhemmtes Kopfschütteln. „Warum nicht? Du hast doch sicher Hunger oder nicht?“ Wieder ein Kopfschütteln. „Hm… redest du nicht mehr mit mir, oder was?“ Dieses Mal folgte keine Antwort. Stattdessen wand Kris seine Augen ab und biss sich auf die Lippen. So als würde er mit sich kämpfen. Doch es kam nichts weiter. Jin trat einen Schritt zurück und sah den Kleineren an. Es war, als hätte er sich wieder komplett von ihm entfernt. So als hätte irgendjemand hinter seinen wundervollen grünen Augen Stahltüren zugeworfen. Man konnte nichts mehr in ihnen lesen, wie noch Tage zuvor. Er hatte wieder dicht gemacht. Jin seufzte. „Okay. Dann nicht.“ Was sollte er denn machen? Eigentlich konnte er jetzt auch wieder bei null anfangen oder? Das kam doch aufs Gleiche heraus. War die Angst vor dem Leben dort draußen wirklich so groß, dass es sich für Kris lohnte seine Gesundheit auf Spiel zu setzen, nur um länger hier bleiben zu können? Er setzte sich aufs Bett und klopfte neben sich auf die Matratze. Der Schwarzhaarige folgte seiner Geste und setzte sich neben ihn. Auch er schien nicht zu wissen, was jetzt zutun war. „Ich kann dich ja irgendwo verstehen, Kleiner. Natürlich ist es schade, dass du gehen musst. Aber das ist doch keine Lösung; wenn du jetzt deine Gesundheit hier aufs Spiel setzt. Du musst vernünftig essen und trinken.“ Der Angesprochene wich seinen Blicken aus und reagierte auch sonst nicht auf das Gesagte. Langsam wurde es Jin wirklich zu viel. „Verdammt! Wieso machst du das?“, fuhr er den Kleineren an und packte seine Schultern. „Warum redest du nicht mit mir, sondern leidest lieber vor dich hin?! ich verstehe das nicht! Ich dachte du vertraust mir? Warum nicht auch in der Sache?“ Kris war unter dem Ausbruch zusammengezuckt und blickte nun ängstlich zu Jin auf. „Alle sorgen sich um dich! Siehst du das denn nicht?“, redete dieser unbeirrt weiter. „Ich will nicht, dass du dich zu Tode hungerst! Ich will, dass es dir gut geht und dass du glücklich bist!! Verstehst du?“ Und anscheinend waren das die Worte, die wirkten. Jin konnte förmlich sehen, wie die Mauer, die der Schwarzhaarige um sich aufgebaut hatte, wieder in sich zusammen fiel. Er sah die Tränen in den Augen des Anderen. „Du bist mir wichtig, Kris. Also bitte… iss was und dann… dann reden wir, okay?“ Eine einzelne Träne rann über die Wange des Jungen, doch sie wurde sofort von Jin weggewischt. Die Fürsorge, die für den Anderen in ihm schlug überwältigte ihn aufs Neue. Wie kam es, dass ihm ein Mensch den er nicht einmal richtig kannte so wichtig war? Kris nickte, schmiegte sein Gesicht kurz in Jins Hand und stand dann auf, ging zum Tisch und begann tatsächlich zu essen. Sehr langsam und auch nicht viel, aber es war besser als nichts. Sein Körper musste sich auch erst einmal an die Nahrungsaufnahme gewöhnen, die ihm die letzten Tage verwehrt gewesen war. Aber er trank die ganze Kanne Tee leer. Eine Weile beobachtete Jin ihn stumm, ehe er sich ihm gegenüber an den Tisch setzte und wieder das Wort ergriff: „Du hast Angst, hab ich Recht? Angst zurückzumüssen…“ Auch wenn er nicht wusste was bei Kris vorgefallen war, alles was er mitbekommen hatte war schrecklich gewesen und ihm war auch klar, dass sich der Junge nicht einfach so das Leben nehmen wollte. Welcher Mensch tat so etwas ohne Grund? Doch wie sollte er ihm helfen? Er bekam ein Nicken als Antwort. „Das kann ich mir vorstellen. Aber dir ist doch sicher auch klar, dass du hier nicht ewig bleiben kannst, oder? Wir sind ein Krankenhaus kein Asyl…“, sagte er ernst und blickte den Anderen an. „Irgendwann werden wir dich entlassen müssen ob wir nun wollen oder nicht… du kannst nicht bei uns bleiben.“ „Ich will auch nicht bei euch bleiben.“, flüsterte der Kleinere. „Wie meinen?“ „Ich will bei dir bleiben.“ Jin blinzelte. Was? Hatte er das gerade richtig verstanden. OoOoO Endlich… Endlich war er wieder hier und fing ihn auf! Nur in seinen Armen spürte er die Schmerzen nicht mehr… nur bei ihm konnte er alle Qualen seines Lebens vergessen. Kris fragte sich, wie er hatte nur so blind sein können. Es lag eigentlich auf der Hand, er hatte es bloß nicht sehen wollen. Doch jetzt war ihm alles klar. Jin saß ihm gegenüber und blinzelte ihn verständnislos an. „Was hast du gesagt?“, wollte er nun tonlos wissen. Als ob er ihn nicht genau verstanden hätte… aber nun gut. Er wiederholte es so oft wie er es wollte. „Ich will nicht hier bleiben… ich will nur bei dir bleiben“, wiederholte er das Gesagte und blickte den anderen flehend an. „Bitte lass mich bei dir sein.“ „Wie stellst du dir das den vor, Kris?“ „Ich… ich weiß nicht… ich - “ „Das geht nicht. Das weißt du.“ „Bitte… bitte lass mich nicht alleine. Bleib bei mir.“ Ohne es zu wissen, wiederholte er die Worte, die er einst im Traum zu dem anderen gesagt hatte. Dieser zuckte leicht zusammen. „Das würde ich gerne… das musst du mir glauben.“ „Wieso tust du es dann nicht?“ „Ich bin doch jetzt da…“ Kris presste die Lippen aufeinander und schwieg. Ihm war klar, dass es nicht einfach werden würde. Schließlich waren sie auch im Alter ziemlich weit auseinander… außerdem war Jin ja Arzt. Aber war es wirklich so unmöglich? Das konnte er einfach nicht glauben. „Kris…“ Dieser schüttelte nur den Kopf und sprang auf. Es gab nur noch diese eine Chance. Wenn er es nicht schaffte, den Anderen zu überzeugen, würde er weiterhin alleine sein auf dieser Welt. So schnell gab er nicht auf, jetzt wo er endlich jemanden gefunden hatte, der sich für ihn interessierte. Nein! In wenigen Augenblicken hatte er den Tisch umrundet und warf sich Jin in die Arme. schutzsuchend schmiegte er sein Gesicht in dessen Halsbeuge und schlang die eigenen Arme um den Nacken des Dunkelhaarigen. Zu seiner Überraschung zögerte Jin keine Sekunde und umarmte ihn zurück. „Bitte, nimm mich mit zu dir… ich… ich will nicht mehr alleine sein. Lass mich nicht alleine…“ Er wollte nicht betteln, aber irgendwie hatte er das Gefühl nicht mehr damit aufhören zu können. Er spürte Jin schlucken. „Kris… nicht doch.“ „Nein! Ich will nur bei dir sein! Alles andere ist mir egal.“, meinte er fast verzweifelt und sammelte dann alle Kraft und Entschlossenheit für seine nächsten Worte. „Jin… ich… ich liebe dich!“ So jetzt war es raus… Die drei kleinen Worte, die ihn so verletzlich machen würden. Er hatte sich vor den Anderen entblößt. Kris hörte wie Jin scharf die Luft einsog und sich verkrampfte. Innerlich hoffend, dass er ihn nicht zurückstoßen würde, schmiegte er sich enger an den Anderen. Jin war nun der Mensch, der ihn am glücklichsten machen oder ihn vernichten konnte. Er hatte alles in die Hand des Arztes gelegt und war sich dessen absolut bewusst. Und er wartete. OoOoO „Genieß dein Leben solange es noch geht… Denn schon morgen ist es vielleicht zu spät!“ Kapitel 10: Zerbrechliches Vertrauen ------------------------------------ Jin fühlte sich leicht als wäre er mit einem Eimer Eiswasser überschüttet worden. Er konnte sich nicht mehr rühren. Der kleine Körper schmiegte sich schutzbedürftig an ihn… Doch seine Gedanken waren wie gelähmt. Wie bewegte man sich noch mal? Und obwohl er das Gefühl hatte nichts zu denken, dachte er viel. Seine Gedanken arbeiteten so schnell, dass er kaum alle mitbekam… sie überschlugen sich. Was sollte er nur tun? OoOoO Kris ließ seinen Kopf an der breiten Brust des Arztes ruhen. Er wollte Jin nicht anschauen. Zuviel Angst hatte er das der Ältere ihn losließ und nicht mehr zurückkam. Noch immer fühlte er sich nackt und ungeschützt vor dem anderen. Er hatte dem dunkelhaarigen Arzt sein Herz offenbart, das schon so viele Narben hatte… Alles Brandmale von Menschen die er mal geliebt hatte… alles Menschen die ihn zurückgestoßen und verletzt hatten. Sein Narbenherz… Es lag nun völlig wehrlos in Jins Händen. Ob er ihn nun auch zurückstieß? Kris hatte Angst. Wieso bewegte er sich nicht? Und wieso sagte er nichts dazu? Zitternd presste er sich näher an den Älteren. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er sich am liebsten in Jin verkrochen. Er roch so gut… Hier fühlte er sich so zuhause. Und doch tat ihm das Verhalten weh! „Jin…?“, fragte er unsicher. Der Arzt hatte sich noch immer nicht bewegt. Er blinzelte nur ab und an wie eine Eule. Mit der plötzlichen Erkenntnis wurde ihm klar, dass alles zerstört hatte. Jin würde ihn wegstoßen! Er würde ihn einfach wegstoßen und gehen… Dann würde er wohl nie wieder zu ihm kommen! Kris würde wieder allein sein und seinen Namen verlieren. Er würde wieder nichts sein! Wie es schon gewesen war, seit er sich erinnern konnte…. dann würde er wieder in dieser schrecklichen Dunkelheit gefangen sein. Schon alleine dieser Gedanke trieb ihm die Tränen in die Augen. Er wollte nicht mehr einsam sein! Der Jüngere wollte nicht weinen, doch es überrollte ihn einfach. Er konnte sich nicht gegen den Weinkrampf wehren, der sich in ihm hochkämpfte. Als der erste Schluchzer seine Lippen verließ, gab es kein Halten mehr. Alle Willenskraft schien gebrochen zu sein und er fing bitterlich an zu weinen. OoOoO Jin merkte die Veränderung des Zustandes seines Patienten erst gar nicht. Der Kleine hatte ihn angesprochen und doch konnte er nicht antworten. Seine Gedanken wirbelten noch immer, aber sie verliefen zumindest wieder in richtigen Bahnen. Das ging nicht… Wie konnte dieser kleine Junge so etwas sagen? Er wahr sein Arzt. Er hatte ihn gepflegt… war für ihn da gewesen. Doch, wenn man es so betrachtete, konnte der Schwarzhaarige wirklich leicht etwas durcheinander bringen. Schließlich war er noch ein Kind. Noch dazu höchst wahrscheinlich eines, das misshandelt worden war. Kris war weder geliebt noch gut behandelt worden… er hatte bis jetzt nicht einmal seinen richtigen Namen gewusst… was schon grausam war. War es nicht natürlich, dass es sich die Liebe bei jemand suchte, der sie ihm gab? Das ergab alles einen Sinn. Aber was sollte er jetzt tun? Es ging gegen seine Moral. Adam hatte ihn ja gewarnt, doch er hatte nicht hören wollen. Wie konnte er dem Kleinen jetzt am besten das Herz brechen? Erst jetzt bemerkte er, dass der Körper des Besagten in seinen Armen vollkommen verkrampft war. Anscheinend hatte sein Schweigen das erreicht, was seine Worte niemals hinbekommen hätten. Jin sah seinen Schützling an. Er hatte einen Weinkrampf… wenn er so weitermachte würde er wohl leicht ersticken. Er atmete nicht mehr richtig. Scheiße! Ihm wurde bewusst, dass er jetzt genau zwei Möglichkeiten hatte. Gehen und einfach hoffen, dass die Anderen den Jungen wieder hinbekamen und das dieser ihn einfach wieder vergaß oder bleiben ihn beruhigen und mit dessen Gefühlen leben. Auch wenn er sie nicht erwidern konnte. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Blut auf seinen Kittel spritzte. Der Kleine bekam jetzt auch noch Nasenbluten… anscheinend steigerte er sich gerade in irgendetwas hinein. Und endlich konnte sein Körper wieder reagieren. Sein Herz hatte sich längst entschieden. „Scht… ganz ruhig, Kleiner. Was ist denn los, hm? Warum weinst du…?“, seufzte er leise und schlang seine Arme um den zitternden Körper. „Beruhig dich, Kris. Ruhig…ganz ruhig… atme mal tief durch…“ Das Nasenbluten verstärkte sich und er schien sich einfach nicht beruhigen zu können. Immer wieder wurde er von neuen Schluchzern geschüttelt. Jin stand auf und trug ihn ins Bad, wo er ihn auf das Klo setzte, seinen Kopf nach vorne drückte und einen kalten Lappen in den Nacken legte. „Beruhig dich. Es ist alles gut, Kris. Ich bin dir nicht böse...“, redete er weiter leise auf den völlig aufgelösten Jungen ein. „Es wird alles wieder gut. Aber du darfst kein Blut schlucken hörst du? Wenn es in deinen Mund läuft musst du es ausspucken, hörst du?“ Geschickt zog er mit seinem Fuß einen Nahstehenden Eimer heran, den er so vor die Toilette platzierte, dass der Jüngere bequem reinspucken konnte, wenn es nötig war. „Hast du gehört?“ fragte er noch einmal nach, als keine Reaktion auf seine Ansprache kam. Der Kleinere brachte ein schwaches Nicken zu Stande und saß dann einfach nur zusammengesunken da. Die Schluchzer waren abgeebbt. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann hatte sein kleiner Patient gerade einen Nervenzusammenbruch gehabt. Aber wieso? Was hatte er wohl gedacht, wie Jin auf sein Geständnis reagierte? Etwas Gutes konnte es wohl kaum gewesen sein… Was sollte er denn jetzt tun? In diesem Zustand konnte er den Kleinen doch nicht einfach so abweisen! Aber ihm Gefühle vorspielen die verboten und bei ihm nicht verhanden waren, war doch genauso sinnlos. Außerdem war Kris ja nicht dumm… liebesbedürftig und ein bisschen naiv, aber nicht dumm. Er würde bemerken wenn Jin ihn versuchte etwas vorzuspielen. Er musste wohl einfach versuchen, dass was sie bis jetzt hatten wiederzubeleben. Irgendwie… Als das Nasenbluten zum Stillstand gekommen war und Kris immer noch stumm vor ihm hockte und vor sich hinstarrte, nahm er ihn einfach wieder auf den Arm und trug ihn zurück zum Bett. Dort angekommen, legte er ihn hin und deckte ihn fürsorglich zu. „Hör mir zu, Kris…“, sagte er leise und setzte sich auf die Bettkannte. Er strich dem Angesprochenen sanft durch die dunkeln Haare, doch dieser blickte ihn nicht an. „Ich weiß zu schätzen, dass du mir das gesagt hast… aber das geht nicht. Das muss dir klar sein. Davon abgesehen, dass ich viel älter bin als du, bin ich immer noch dein Arzt und … - das geht einfach nicht! Es ist nicht richtig…, verstehst du das? Davon mal abgesehen… ich mag dich zwar unglaublich gerne… aber ich liebe dich nicht. Es tut mir sehr leid.“ Diese Worte waren die schwersten, die er je ausgesprochen hatte. Natürlich glaubte er nicht daran, dass der Jüngere ihn wirklich lieben könnte… er war noch so jung. Woher sollte er wissen was Liebe heißt? Doch das würde er ihm jetzt bestimmt nicht auch noch unter die Nase reiben. Schon jetzt sah er den Schmerz in den smaragdgrünen Augen. Er war so tief, dass er beinah an seiner Überzeugung zweifelte… Konnte es vielleicht doch sein, dass sich der kleine Patient verliebt hatte? Nein! Wenn dann war es sicher nur eine Schwärmerei… Er war nur verletzt! Ja, so musst es sein. Er löste sich vom Bettrand und sah auf seinen Schützling hinunter. Er musste unbedingt aus der Situation hier weg und noch einmal darüber nachdenken! „Ich muss jetzt arbeiten, Kleiner.“, sagte er. Kris drehte den Kopf und sah ihn nun wieder direkt an. in seinen Augen tanzte plötzlich neben dem Schmerz grenzenlose Panik. Aber er sagte nichts… sah ihn einfach nur an. „Ich komme dich später noch einmal besuchen, aber jetzt muss ich weg… tut mir leid.“ Damit verließ er beinah fluchtartig den Raum. Er musste endlich weg von diesen Augen, die in ihm eine so unfassbare Schuld hervorriefen. Wieso fühlte er sich schuldig, obwohl er doch das richtige tat? Am liebsten würde er jetzt mit jemanden genau darüber reden… doch es wollte ihm keiner einfallen, der ihm aus diesem Dilemma helfen konnte. Alle die ihm einfielen, als potenzielle Gesprächspartner, arbeiteten selber hier oder waren nach der Arbeit im Mary Hope in den Ruhestand gegangen. Das hieß sie würden ihn wohl eher verurteilen, als sich seine Erzählungen anzuhören und vernünftig mit ihm darüber zu diskutieren. Schließlich waren sie alle Ärzte oder Schwestern. Und die oberste Regel dieses Berufes war nun einmal Distanz zum Patienten. Spontan kam ihm Adam in den Sinn. Doch er hatte ihn so viele Male gewarnt und immer wieder hatte Jin diese Warnung leichtfertig abgewinkt. Hatte versichert, dass er aufpassen würde… Es wiederstrebte ihn jetzt zu seinem Freund zugehen und ihm beichten zu müssen, dass er Recht behalten hatte… auch wenn er sicher einen Tipp hatte. Das nagte doch zu sehr an seinem Stolz. OoOoO Kris blieb einfach still liegen. Er versuchte die Angst zu bekämpfen, die in ihm aufstieg. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte den Arzt angebettelt nicht zu gehen… ihn nicht alleine zu lassen… ihn einfach weiter in den Arm zu nehmen. Doch das hatte alles doch eh keinen Sinn mehr… Er hatte Jin verloren! Er würde nicht wiederkommen! Nie wieder… Auch wenn er gesagt hatte, dass er nachher wiederkam, zweifelte Kris daran. Warum sollte er weiter nett zu ihm sein, wenn er doch keine Gefühle für ihn hatte? Wieso sollte er noch einmal hier her kommen? Er war wieder allein! So einfach war das, er hatte es sich selber versaut… Dumm gelaufen! Er starrte weiter vor sich hin. Fixierte die weiße Decke, die er noch nie hatte leiden können und spürte wie ihn die Schwärze in seinen Inneren wieder verschlang. Sie entführte ihn und betäubte den Schmerz, der in seinem Herzen tobte. Blicklos starrte er vor sich hin und bewegte sich nicht. Er wusste nicht mehr wie lange er so da lag. Irgendwann kam eine Schwester hinein und hielt ihm die Tabletten hin, als er jedoch nicht darauf reagierte, schob sie ihn diese in den Mund und gab ihm was zu trinken. Er schluckte. Dann verschwand sie wieder. Wieder war er in der Schwärze allein. Alles war wie durch einen Schleier verhüllte. Die Schmerzen… Der Hunger… Seine Wahrnehmung… Alles eben. Auch seine Gedanken waren erlahmt. Er dachte ohne zu denken, wenn das überhaupt möglich war. Erst nach einer grenzenlosen Zeit, begriff er, dass er wartete. Einfach nur wartete… Sein Herz wartete darauf entweder geheilt oder gebrochen zu werden und das alles hing nur von einem Menschen auf der Welt ab… von seinem Erscheinen. Er würde hier warten… auf Jin warten. Wenn dieser nicht kam, würde er zerbrechen und wahrscheinlich dann endlich sterben. Doch was geschah wenn er wirklich kam? Das wusste Kris nicht. Und so wartete er auf das ungewisse. Nach einer weiteren Zeit, die für ihn schon lange an Bedeutung verloren hatte, kam die Schwester mit dem Essen zurück und redete mit ihm. Aber als auch er nicht selbst aß, schob sie ihn sanft die Löffel in den Mund, wie sie es zuvor mit den Tabletten getan hatte. Er ließ es zu. Schluckte alles, was sie ihm gab und trank auch. Es nutzte nichts, wenn sich wieder alle unnötige Sorgen machen, und ihn mit Beruhigungsmittel vollstopfen würden. Das brachte auch nichts. Das konnte ihm auch nicht helfen. Nach einer Weile ging die Frau in Weiß wieder. Er glaubte zu wissen, dass sie Kamilla hieß. Irgendwie ein toller Name… Es erinnerte den Kris irgendwie an Blumen. Auch wenn er nicht genau wusste woher er diesen Vergleich hatte, doch es war so. Zwar hatte er noch nie eine Blumenwiese oder so etwas gesehen, dafür war er zu oft eingesperrt worden. Aber er hatte Bücher gelesen und Filme geschaut… Und er hatte genügend Fantasie um sich bildlich vorzustellen, wie eine Blumenwiese so in der Natur real aussah. Wie die Blütenköpfe sich im Wind bewegten und leicht wippten. Jeder würde wohl schon von Fernen ihren Duft riechen können… Die Sonne schien auf das Gras und malte die verschiedensten Grüntöne auf den Rasen… alle die er kannte und ehe er sich versah, lag er selber inmitten dieser Wiese voller Blumen. Er döste vor sich hin. Er lag auf der Wiese, roch das Gras und ihm brannte die Sonne aufs Gesicht. Wie gerne wäre er jetzt wirklich dort gewesen. Mit jemanden den er liebte, der mit ihm diesen Augenblick teilen sollte. Mit Jin… Wie gerne würde er alle seine Träume einmal mit Jin erfüllen, doch irgendetwas sagte ihm, dass es dazu niemals kommen würde. Und mit diesen Gedanken an Jin und diese wundervolle Wiese, schlief er ein… OoOoO Noch immer haderte der junge Arzt mit sich ob er seinen Freund einweihen sollte. Wenn er nicht bald mit jemanden sprach, dann würde er noch verrückt werden. Immer wieder sah er Kris vor sich, wie er verletzt vor sich hin starrte. Was sollte er denn nur tun? Da er sich heute eh auf nichts konzentrieren konnte, sagte er kurzer Hand alle Therapien ab um den Kopf frei zu bekommen, die Erklärung lautete einfach das er noch viel nachzuholen hatte an Dokumentation. Keiner sagte etwas. Und so saß er wenig später im Dienstzimmer und brütete über seinen Akten. Doch wirklich besser war es nicht. Auch hier in der Stille konnte er sich nur schlecht konzentrieren… immer wieder schweiften seine Gedanken ab. Zu dem Jungen der jetzt einsam auf seinen Zimmer lag und mit seinen Gefühlen, ob nun eingebildet oder nicht, fertig werden musste. Was er wohl gerade tat? Jin stöhnte genervt von sich selber auf und schlug die Akte zu. So hatte das alles doch keinen Sinn! Er brauchte unbedingt frische Luft um einen klaren Kopf zu bekommen. Hastig zog er sich um und ging schnell durch die Gänge. Er hatte keinen Nerv jetzt irgendjemanden etwas zu erklären, deswegen entschuldigte er sich nur bei der Empfangsdame, die ihn seltsam musterte, ihm aber versprach den anderen Bescheid zu geben, wenn diese sie fragen sollten. Als das geklärt war, ging er zu seinem Auto und fuhr mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit vom Parkplatz. Sein Fuß schien wie aus Blei zu sein… Und so jagte er über die Straßen, als könnte er seinen Sorgen davon fahren. Aber natürlich war das nicht möglich, sie waren immer dicht hinter ihm und flüsterten mit bösen Stimmen Schuld in seinen Kopf. Bis er kurz vor der Auffahrt war, war ihm nicht einmal klar wohin er fuhr, doch als er den altmodischen Zaun sah und die kleine Kapelle, wusste er das er auf den Friedhof gehen würde…zu ihr… Zu seiner Mutter. Er würde sie besuchen… Wie ferngesteuert parkte er, stieg dann aus den Wagen und suchte den Weg zu ihrem frisch angelegten Grab. Als er dort angekommen war ließ er sich davor auf die Knie fallen. „Hallo, Mama…“, flüsterte er rau und spürte plötzlich eine Welle von Erleichterung in ihm aufsteigen. Kassiopeia Greenwald geb. Tonks. stand dort in Goldenen Lettern. Ja, seine Großmutter stand irgendwie auf außergewöhnliche Namen. Sie hatte mal erzählt, dass alle aus ihrer Familie nach Sternenbildern oder einzelnen Sternen benannt worden waren. Sie hieß Nymphadora … auch nicht wirklich besser… Zum Glück hatte seine Mutter diese Vorliebe nie geteilt, doch sie war so einzigartig gewesen wie ihr Name… „Was soll ich denn nur tun?“, wollte er von dem weißen Stein wissen. „Was soll ich denn bloß machen, damit er nicht so leiden muss?“ Seine Stimme zitterte leicht. Und dann, dann hörte er auf einmal das Rauschen des Windes. Und er lauschte… OoOoO „Alte Liebe, Altes Leid! Diese Nacht schreibt ein Gedicht …- alles hier erinnert mich an dich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)