Aus einem ewigen Leben von Alix ================================================================================ Kapitel 3: Schrift Drei: Jäger ------------------------------ Inzwischen war eine Woche vergangen seit ich Lira getroffen hatte. Ich musste feststellen, dass es gar nicht so einfach war, mit ihnen mit zu halten. Obwohl sie wegen Lira doch recht langsam waren, kamen sie gut voran. Ich, die vorher immer alleine unterwegs gewesen war, hatte Schwierigkeiten mich ihnen anzupassen. Außerdem trug ich von Zeit zu Zeit Lira. Ihr Zustand hatte sich nicht verbessert, allerdings war er auch nicht schlechter geworden. Etwas worüber ich sehr erleichtert war. Mit Kelly kam ich immer besser klar. Ich hätte mich sogar getraut zu sagen, dass wir Freunde waren. In diesen Tagen musste ich immer mehr feststellen, wie einsam ich bisher war. Außer Dee und meine Mutter hatte ich nie jemanden an mich heran gelassen und es wollte auch keiner etwas mit mir zu tun haben. Ich musste auch feststellen, dass ich sozial nicht so fähig war, wie Lira oder die Anderen. Ständig machte ich etwas falsch und stieß sie mit einigen Kommentaren vor den Kopf. Sie nahmen es mit Gelassenheit und dafür war ich ihnen Dankbar. Sie gaben mir die Chance wieder ins „normale“ Leben zurück zukommen. Was schwerer war als es sich anhörte. „Du Chiyo, wer war eigentlich Dee?“. „Mhm?“. Verwirrt sah ich auf. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir wieder Rast machten und sich Kelly neben mich nieder gelassen hatte. „Wer war Dee?“. Ich blinzelte ein paar Mal ehe ich die Frage analysieren konnte. Ich war wirklich oft in meiner Gedankenwelt. „Dee? Dee, war meine beste Freundin.“. „Wie lange ist sie schon tot?“. Ich überlegte. Wie lange war sie schon tot? Diese Frage hatte ich immer wieder verdrängt. Ich wollte einfach nicht wahr haben, dass sie tot war. „Knapp 120 Jahre.“. Meine Antwort war nur ein seichtes Murmeln. Das war eine lange Zeit. 120 Jahre. Das bedeutete, dass ich 120 ihrer Todestage vergessen hatte. Früher hab ich mich nie darum gekümmert, aber wenn ich sie meine beste Freundin nannte, dann hätte ich doch zu Mindest an ihrem Todestag zurück in diese Stadt gehen und ihr einen Besuch abstatten sollen, oder nicht? Stattdessen war sie mir egal geworden. Ich hab ihren Todestag ja sogar vergessen und sie beinahe auch! Verzweifelt sah ich Kelly an. „Ich hätte sie beinahe vergessen! Ich bin furchtbar!“. Kelly lächelte schwach. „Das ist nicht wahr. Du bist so wie du bist perfekt. Das macht uns aus. Du hättest sie nicht vergessen und du bist auch nicht furchtbar.“. Ihre Worte hatten etwas Beruhigendes und Sanftes. „Ich will sie nicht vergessen.“. „Das wirst du nicht. Niemand vergisst jemanden der ihm wichtig ist oder war. Das ist praktisch ein Gesetz.“. Kelly strich mir tröstend über den Rücken. „Du wirst Dee nicht vergessen. Du warst ihre beste Freundin.“. Sie wiederholte sich, aber es tat gut das zu hören. Ich fragte mich unwillkürlich, wie sie gestorben war. Sie musste doch einen Grund haben, noch hier auf der Erde zu wandeln. Ich wollte es unbedingt wissen, aber fragen wollte ich sie auch nicht. Zu groß war meine Angst das aufgebaute Vertrauen wieder zu verlieren. Die Aussicht meine neue Freundin wieder zu verlieren was furchtbar. „Geht’s wieder?“. Ich nickte und sah weg. Ich war in diesem Moment froh nicht alleine zu sein. Alleine so wie in den letzten Jahren. Wenig später gingen wir weiter. Lira trug ich wieder auf dem Rücken. Ihr schien es zu gefallen, denn sie schlief immer wieder ein und war auch sonst sehr entspannt. Sie schien wirklich keine Angst vor mir zu haben. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Ebony ging wie immer, wenn ich Lira trug, neben mir und lächelte. Auch wie immer. Kelly und Etu waren weiter vorne in ein Streitgespräch vertieft. Ob ihnen das Spaß machte? Vielleicht war es ein Hobby von ihnen. So ganz blickte ich da nämlich noch nicht durch. Ich hoffte es bald zu tun. „Chiyo?“. Ich sah zu Ebony, die mich freundlich anlächelte. Eigentlich lächelte sie ja jeden freundlich an. „Was denn?“. „Danke, das du Hilaria trägst. Sie sagt ständig, dass es ihr nichts aus mache zu laufen und es ihr gut ginge, aber ich glaube ihr das nicht. Allerdings kann ich ihr auch nicht widersprechen. Manchmal frage ich mich ob sie ohne mich besser dran wäre.“. Während sie sprach wurde sie immer leiser. Ihr schien das Verhalten Sorgen zu bereiten. „Ich glaube, dass sie ohne dich, überhaupt nicht auf sich achten würde. Dann würde sie vielleicht die ganze Zeit durchlaufen, ohne eine Rast zu machen. Sie scheint mir ein Mensch zu sein, der es vermeiden will, anderen Sorgen zu bereiten.“. Ebony lächelte und nickte. In diesem einen Moment wusste ich, dass ich bleiben würde. Bleiben bis zum Schluss und noch länger. Ich war nicht länger das Anhängsel. Ich war ein vollwertiges „Familienmitglied“. „Da hast du recht. Vermutlich ist es so. Sie war schon immer recht stur in diesen Sachen. Je mehr Sorgen man sich gemacht hat, desto mehr hat sie so getan als wäre nichts. Das war stellenweise sogar ganz lustig. Aber meistens war es einfach nur traurig.“. Ebony hatte sich lange Zeit gelassen mit ihrer Antwort. „Danke, dass du da bist.“. Ich lächelte kurz. Es ging mir besser als in den vergangenen 120 Jahren. Es war einfach schön das Gefühl zu haben, zu Hause zu sein und nicht mehr weg zu müssen, weil die Bewohner des Hauses dich nicht mögen. „Ich muss euch danken.“. Meine fast tonlosen, gemurmelten Worte brachten Ebony zum lachen. „Du bist ein merkwürdiges Wesen, weißt du das?“. Ich nickte und lächelte. Ich war merkwürdig, aber das war nicht schlimm, weil hier alle merkwürdig waren. Von Lira, die immer voller Energie ist und dann doch wieder nicht, bis zu Etu mit seiner komischen Gesichtsbemalung. „Ich bin stolz darauf, was ich bin.“. „Das hat dir Dee gesagt, oder?“. „Ja, Dee hat immer gemeint, solange ein Mensch sich selbst noch nicht aufgegeben hat und sich selbst noch respektiert und auf das stolz ist, was er ist und macht, dann hat er das Recht auf ein anständiges Leben.“. „Sie war eine weise Frau.“. „Die viel zu früh gestorben ist.“. „Ja, da hast du recht, aber wäre sie es nicht, dann wärst du heute nicht hier und auch nicht die Person die du jetzt bist.“. Ebony warf mir einen freundlichen Blick zu, bevor sie wieder zu Lira sah. „Hilaria musste in ihrer Kindheit viel durchmachen, aber sie hat immer gemeint, dass das alles nicht so schlimm ist. Irgendwann, wollte ich dann wissen, warum ihr das alles nichts ausmachte und da sagte sie nur, dass es nicht so schlimm sei, weil sie nicht alleine sei. Für sie gibt es nichts Schlimmeres als die Einsamkeit.“. „Einsamkeit ist etwas das man fürchten oder schätzen kann. Manche Menschen machen sogar beides.“. „Sie fürchtet sie.“. Wieder sah Ebony mich freundlich an. „Aber sie wird es nie wieder sein. Ich bleibe bei ihr und der Rest von uns auch. Was ist mit dir? Willst du auch bleiben?“. „Ja.“. Sie sah wieder nach vorne. „Es ist nicht ungefährlich bei uns zu bleiben. Hilaria hat viele Feinde in dieser Welt. Nicht jeder schätzt ihre Toleranz dem Fremden gegenüber.“. Das hatte ich mir schon gedacht. Es hätte mich gewundert, wenn es keinen Menschen gegeben hätte, der gegen Lira agierte. Dazu war ihre Lebenseinstellung zu anders. „Wird sie denn ganz offen ausgegrenzt?“. „Nicht von allen. Viele lernen sie erst kennen und wenn sie dann erfahren, wie sie wirklich ist, was sie macht, dann wenden sich die meisten wieder von ihr ab.“. Stur sah ich weg. Das war so typisch für Menschen! „Das ist falsch!“. „Eine Grenze zwischen richtig und falsch existiert nicht. Für sie ist es falsch was Hilaria macht. Für Hilaria ist es falsch was sie machen. Du siehst, alles hat verschiedene Betrachtungsweisen.“. Da hatte sie auch wieder Recht. Manchmal war es ganz schön schwierig mit ihr mitzukommen. Allerdings wollte ich wieder zurück zum Thema kommen. „Ihr werdet aber nicht verfolgt, oder?“. Ein leises Lachen von weiter vorne war zu hören. Überrascht sah ich zu Kelly und Etu, die stehen geblieben waren und auf uns warteten. „Doch werden wir.“. Kelly grinst mich an. „Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.“. „Von wem werdet ihr denn verfolgt?“. „Nicht verfolgt, gejagt!“. Etu sah aufgeregt in die Runde. „So genannte Jäger sind seit Jahren hinter uns her.“. Ich war verwirrt. Was waren denn Jäger? Etu musste meinen verwirrten Blick bemerkt haben, denn er erklärte mir alles schnell. Währenddessen gingen wir weiter. Am Abend war ich voll informiert. Jäger waren Menschen, die ihre halbe Seele an eine Art Schatten verkauft haben, um länger zu leben. Sie töten Menschen wie Lira und andere Dinge die anders waren standen auch auf ihrer Abschussliste. Ich mochte sie nicht, fragte mich aber, was sie dazu bewogen hatte, so zu werden wie sie waren. Hatten sie möglicherweise etwas Ähnliches durchmachen müssen wie ich und die anderen hier? Sie konnten doch nicht einfach so böse sein. Das war keiner. Oder doch? Das alles verwirrte mich schon wieder und so kam ich in der Nacht nicht zu meinem wohl verdienten Schlaf. Während die anderen mehr oder weniger friedlich schliefen, sah ich in den Sternenhimmel und dachte nach. Am Rande nahm ich Liras schweres atmen wahr. Ob sie wieder gesund wurde, ehe der Winter kam? Denn den würde sie nicht überleben, wenn es ihr weiterhin so dreckig ging. Meine Gedanken wanderten wieder zurück zu den Jägern. Sie schienen mir recht brutal zu sein, aber irgendwie konnte ich nicht recht glauben, dass sie einfach nur böse waren. Später, es musste kurz vor Mitternacht sein, da nahm ich ein fast lautloses Rascheln wahr. Sofort richtete ich mich auf und durchleuchtete die Richtung aus der das Geräusch kam fast. Das Rascheln kam näher und ich stand auf. Was war das? Es hörte sich nicht nach einem Tier an. Dafür war es viel zu groß. Außerdem konnte ich Schritte von Menschen hören. Schwere Schritte von mindestens drei Männern. Ich schlich zu Etu hinüber und rüttelte ihn leicht an der Schulter. „Hey, wach auf.“. Leise zischte ich es in sein Ohr und wenig später, waren alle hellwach und sahen mich fragend an. „Was ist denn los, Chiyo?“. Lira sah so aus, als würde sie gleich wieder einschlafen. „Da kommt irgendwer.“. Alle lauschten und ich konnte sehen, dass sie es sehr aufmerksam taten. Dann war es wieder zu hören. Das Rascheln. Diesmal erschreckend nah. „Verdammt! Das ist Satos!“. Liras Stimme war ein einziger gequälter Laut. Ich nahm an, dass es nicht gut war, diesen Satos in der Nähe zu haben. „Das hast du gut erkannt, Lira!“. Eine tiefe Stimme drang an mein Ohr. Wir wirbelten herum und ich sah die Männer, die ich schon ausgemacht hatte. Drei große, kräftige Männer, die anscheinend bis unter die Zähne bewaffnet waren. „Satos!“. Ich warf einen Blick zu Lira. Dann wieder zu dem Mann. Es sah nicht gut für uns aus. Definitiv nicht gut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)