December Baby von Leia_de_Flourite (Der Tod einer Beziehung) ================================================================================ Kapitel 5: Plädoyer ------------------- ~When I push the sheets away from your face and watch you sleep all day here. And when I push you away and say you simply can not stay here. It's all love, all love, It's all of my stupid love.~ Ingrid Michaelson, “Stupid Love” Sämtliche Beweise liegen dem Richter in Schriftlicher Form vor. Verhandlungstermin: 18. Dezember Es war ein merkwürdiges Gefühl, in dem Wissen aufzuwachen, dass man ein Flittchen war. Es ließ sich in etwa mit den Gefühlen eines trockenen Alkoholikers vergleichen, der wieder getrunken hatte. Erst kam das Bedauern. Dann die Scham. Dann die Selbstverachtung. Das Fehlen eines Katers sagte Fye, dass er die Nacht zuvor nicht so betrunken war, dass es seinen Fauxpas entschuldigte. Er konnte Kurogane atmen hören; merkte, wie der Brustkorb des Anderen sich hob und senkte. Der Chemielehrer kuschelte sich noch näher an den warmen Körper; die Anwesenheit von Kurogane spendete ihm Trost. Auch wenn er Mist gebaut hatte, das hier war Kuro-tan, sein Kuro-tan. Der Sportlehrer war das Beste, was ihm je passiert war und das würde sich auch dann nicht ändern, wenn der groß gewachsene Mann nie wieder ein Wort mit ihm redete. „Meine Damen und Herren von der Jury, die Sache ist doch die – die Anklage spricht von einer Ermordung, doch lag wirklich ein Mord vor? Oder war das Ableben der verehrten platonischen Freundschaft zwischen dem Kläger und dem Angeklagten nicht doch eine Affekttat? Denn ist es nicht so, dass Mr. Suwa, unser Kläger, der hier so freundlich die Opferrolle spielt auch eine Teilschuld an dem trägt, was geschehen ist? Uns liegt ein Schriftdokument vor, das bezeugt, dass der Beischlaf, welcher zum kleinen Tod führte, einvernehmlich war.“ Er wusste nicht, ob Kurogane wach war oder nicht. Er ahnte ja nicht, dass der Größere bis vor kurzem noch seinen Nacken gekrault und seine Zärtlichkeiten erst dann eingestellt hatte, als Fye wach wurde. Der Blonde zeichnete mit seinem Finger Muster auf einen braun gebrannten Bauch, konnte die Muskeln darunter fühlen. Sollte er ihn wecken? Aber er hatte Angst vor Kuroganes Reaktion. Was, wenn der Andere einen Blackout hatte? Oder, noch schlimmer, wenn es ihm plötzlich peinlich war, was sie getan hatten? Kurogane verachtete Dinge, die an seiner männlichen Würde kratzten und Fye wusste nicht, ob Sex mit anderen Männern dazu gehörte. Er wollte das nicht mit durchmachen müssen. So feige das auch sein mochte und so gern er auch da geblieben wäre; es war vielleicht besser, wenn er ging, bevor er heraus geschmissen wurde. Der Chemielehrer verlagerte sein Gewicht auf die Seite, während er sich mit den Händen von der Matratze abstützte. Der Schmerz in seinem Hintern ließ ihn kurz zusammenzucken. Er wimmerte. Verflucht! Hauptsache, er hatte Kurogane jetzt nicht geweckt... doch das Gesicht des anderen blieb regungslos. Und makellos, wie in dunklen Marmor gemeißelt. Aber jetzt war nicht die Zeit zum schwärmen. Fye beschloss einfach so fix aus dem Bett zu krabbeln, wie er nur konnte. Er schaffte es gerade mal sich auf die Bettkante zu setzen und auszuspähen, wohin sich denn seine Kleidung (insbesondere seine Unterhose) verirrt hatte, als sich ein Arm um seine schmale Gestalt legte und ihn zurück auf die Matratze zerrte. Fye war verwirrt. War das jetzt nur eine dieser unbewussten Reaktionen im Schlaf gewesen? Er konnte hören, wie Kurogane sich hinter seinem Rücken regte. „Hab' ich dir weh getan?“ … okay, Kuro-tan schien wach zu sein. Schon fast automatisch versuchte Fye, ein Schmunzeln zustande zu bringen, obwohl Kurogane sein Gesicht ohnehin nicht sehen konnte. „Nicht so schlimm. Es ist...“ „Nicht das erste Mal?“, fragte Kurogane. Fye konnte sich nicht helfen, aber er meinte einen Hauch Verbitterung zu hören. „Normal, wollte ich sagen. Es könnte viel schlimmer sein. Kuro-sama ist eben sehr zuvorkommend, selbst wenn er betrunken ist.“ Und ein Gentleman, hätte man noch hinzufügen können, als der Andere die Decke über ihre beiden Körper zog. Keine Ausflüchte, kein zurück ziehen. Nur so etwas wie stille Akzeptanz. „Und warum heulst du dann?“ Der Blonde fühlte sich ein wenig ertappt, weil er wirklich mit den Tränen rang, deshalb versuchte er es gar nicht erst zu leugnen. „Weil du mich jetzt sicher hasst.“ „Und wie kommst du darauf?“ „Ich...“, ein kurzes Schniefen, „ich hab' dich ausgenutzt. Du warst betrunken...ich hätte nein sagen sollen.“ Ausgenutzt? Fye sollte ihn ausgenutzt haben? Kurogane rief sich noch einmal in Erinnerung, was passiert war, seit sie die Wohnung betreten hatten und förderte dabei Dinge zutage, die Schulmädchen zum Erblassen gebracht hätte. Und sofern diese Bilder ihn nicht trügten, war er es gewesen, der den Blonden gegen die Matratze gepinnt hatte. „Meinst du wirklich, du würdest noch hier liegen, wenn ich das glauben würde?“ „Aber...“ „Halt die Klappe, Idiot.“ Kurogane zog die schmale Gestalt näher. „Glaub mir, wenn es mir bloß um den Sex ginge, dann wärst du der Letzte auf der Liste.“ „Oh, na vielen Dank auch.“ Fyes Stimme war kaum mehr als als ein Zischen und er versuchte, sich Kuroganes Griff zu entwinden. „Soll heißen, dass ich nicht will, dass du jetzt einfach so abhaust, als ob nie was passiert wäre.“ Der Blonde hörte auf zu strampeln. Drehte seinen Kopf zögerlich um. Er konnte gar nicht so recht glauben, was er da hörte und suchte Bestätigung in den Augen des Anderen. Kurogane lag auf der Seite, den Oberkörper von der Matratze abgestützt und sein Kopf ruhte auf seiner Handfläche. Nichts an dieser Haltung verriet Unwohlsein. Der freie Arm des Sportlehrers hinderte ihm immer noch daran zu flüchten. „Kuro-rin?“ „Was denn?“ „Ich wollte wirklich nicht, dass es so läuft. Das war unprofessionell.“ „Tch. Als ob du dich je professionell verhalten würdest.“ „Ich hatte nicht vor, dich zu verführen, das weißt du doch, oder? Und selbst wenn, so hätte ich mir das nicht vorgestellt, nicht ohne mindestens drei Dates in extravagantes Restaurants.“ Auch wenn Kurogane nicht so aussah als gehörte er zu der Sorte Mann, der auf Verabredungen stand, so verdiente er nur die beste Behandlung. Kurogane verdiente Respekt und Anerkennung... keinen trunkenen Fehltritt. Der Sportlehrer grinste. „Das lässt sich nachholen.“ „Ist das dein Ernst?“ War das eben wirklich eine Einladung zu einer Verabredung gewesen? Nach allem? Aber er kannte die Antwort bereits. Der Sportlehrer verschwendete keine Worte, wenn es nicht notwendig war. „Sonst hätte ich es nicht gesagt.“ Irgendetwas stimmte da nicht. Das war einfach zu perfekt, zu gut um wahr zu sein. Irgendwo klingelte ein Telefon. „Oh verflucht. Bleib hier, ich bin gleich wieder da.“ Und mit damit hastete der große Mann aus dem Raum, griff nebenbei nach seinem Bademantel und schlüpfte in das Kleidungsstück, sehr zum Bedauern des Blonden. Fye knabberte an seinem Daumen und musste sich zusammenreißen um nicht wie ein Schulmädchen zu kichern. Der Anblick von Kuroganes Kehrseite war einfach zu verlockend, wie er bereits hatte feststellen dürfen, als er den Schwarzhaarigen beim Singen unter der Dusche aufgenommen hatte. “Wehe es ist nichts wichtiges!”, bellte der Sportlehrer in die Sprechmuschel, kaum dass er den Hörer abgenommen hatte. Die Antwort war ein amüsiertes Glucksen. “Na, na, na, wer wird denn gleich so ungehalten sein? Ich störe doch nicht etwa bei irgendetwas?” “Was willst du, Hexe?” “Du weißt nicht zufällig, wo ein gewisser blonder Chemielehrer steckt, oder? Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber es geht niemand ran.” … Großartig. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er seufzte genervt. “Der Blödmann ist bei mir. Wieso?” „Perfekt! Kannst du ihn noch ein wenig beschäftigen, vielleicht so für sechs oder sieben Stunden? Und sorge dafür, dass er um vier im Chemielabor ist, ja?“ „Was für einen kranken Plan heckst du denn jetzt schon wieder aus?“ „Wir wollen eine Geburtstags-Überraschungsparty vorbereiten.“ Kurogane grübelte nach, welches Datum sie hatten. Samstag. Der 18. Dezember. December Baby... Der Idiot hatte heute Geburtstag. „...du hast es vergessen, was?“, tadelte die Stimme am anderen Ende. „Klappe! Habe ich nicht. Mir war nur bis eben nicht klar, dass das heute ist.“ Yuuko seufzte theatralisch. „Natürlich. Sorge einfach dafür, dass er nicht vor um drei deine Wohnung verlässt.“ Ein Klicken war zu hören, als die Verwaltungschefin auflegte. Kurogane knallte den Hörer auf die Gabel. Für wen hielt sie ihn eigentlich, ihren persönlichen Sklaven? Wenn er sich recht erinnerte hatte der zappelige Teenager mit der Brille schon diesen Job. Er musste Fye also für ein paar Stunden davon abhalten, irgendwohin zu gehen. … das ließ sich arrangieren. Auf den Lippen des großen Mannes bildete sich ein verschlagenes Grinsen. Diese Sache, die sie hatten, dieses merkwürdige Irgendwas, das noch keine Bezeichnung hatte, verdiente eine Chance. Kurogane war das bewusst geworden, als der blonde Idiot gezeigt hatte, dass ihm die Umstände ihres kleinen Stelldicheins genauso wenig gefallen hatten. Da hatte er auch gewusst, dass sie ohnehin nicht mehr so weiter machen konnten wie bisher, weil Fye sich die ganze Zeit Vorwürfe machen würde. Sie mussten also nach vorn sehen. Austesten, wie weit ihre Beziehung gehen konnte, wie stark Fyes Gefühle für ihn waren. Der Sportlehrer hatte nie daran gezweifelt, dass er dem Anderen etwas bedeutete; die Frage war und ist nur, was genau dieses ’etwas’ einschloss. Für jemanden, der es nicht ertrug allein zu sein, war Fye ziemlich undeutlich wenn es darum ging zu zeigen, wie es um sein Herz stand. Der Idiot flirtete zwar ständig, aber wenn jedes Wort von einem schalkhaften Lächeln begleitet wurde, wie ernst konnte man das Gesagte dann nehmen? Die letzte Nacht hatte Kurogane zumindest erfahren, dass keinen Mangel an körperlicher Anziehung von beiden Seiten gab und dass sie sexuell mehr als kompatibel waren. Und der einzige Grund, weswegen sie noch nicht miteinander im Bett gelandet waren, war… (Mit empfindlichen Herzen spielt man nicht…) Gegenseitiger Respekt. Das gab die Hoffnung, dass ihre kleine Sache mehr wurde als nur eine simple Affäre. Kurogane ging zu seinem Wohnzimmerschrank und holte ein mit nüchternem hellblauem Geschenkpapier und dunkelrotem Band verpacktes Paket heraus. Es sah etwas liederlich aus, aber Geschenke einpacken gehörte nicht gerade zu seinen Stärken und wen kümmerte es? Er hatte nun mal niemand anderen darum bitten wollen. „Der Grund, warum wir heute hier sind, ist eine Farce. Sehen Sie sich doch nur Mr. Suwa an, dann werden Sie erkennen, dass er die Anklage sofort fallen lassen würde, wenn sein Stolz ihn ließe.“ Als er ins Schlafzimmer zurück kehrte starrte ein gewisser Chemielehrer bereits gelangweilt an die Zimmerdecke. Und wackelte mit den Zehen. Kaum hatte Fye ihn bemerkt, setzte er sich so schnell auf, dass er einem Kastenteufel Konkurrenz hätte machen können. „Kuro-chan, da bist du ja wie-- was ist denn das?“ Zwei blaue Augen richteten sich neugierig auf das eingewickelte Objekt, das der Schwarzhaarige mitbrachte. „Was wohl? Alles Gute zum Geburtstag.“ Er legte das Päckchen in Fyes Schoß. Der blickte nur irritiert zwischen dem Geschenk und dem Schenkenden hinterher. Soweit Fye sich erinnern konnte, hatte er noch nie etwas von Kurogane geschenkt bekommen, weil der Sportlehrer es auch überhaupt nicht mochte, wenn man ihn beschenkte. Es verstärkte nur noch das Gefühl der Unwirklichkeit. Er kniff sich. Ein kleiner, willkommener Schmerz loderte an seinem Unterarm auf und sagte ihm, dass das nicht nur ein Traum war. Das hier passierte wirklich. Er kniff sich noch einmal. Wirklich-wirklich! „Kann ich… es auspacken?“, fragte er zögerlich. „Du kannst es auch den ganzen Tag anstarren. Es gehört dir.“ Er nickte. Ihm fehlten noch immer die Worte – was bei Fye de Flourite nur sehr selten vorkam – also nestelte er an dem Geschenkband. Kurogane hatte eine merkwürdige Art Schleifen zu binden, aber dank seiner geschickten Finger hatte der Blonde im Nu auch den letzten Knoten gelöst und riss das Papier herunter. Darunter kam ein leicht gräulicher Pappkarton zum Vorschein, auf dem ein paar Handschuhe und drei Tafeln Schokolade lagen, unterschiedlicher Sorte. Da der Sportlehrer nicht recht gewusst hatte, welche Sorte Fye am liebsten aß, hatte er die drei beliebtesten Geschmacksrichtungen gekauft – weiße, Zartbitter- und Vollmilchschokolade. „Hyuu~! Die sind ja hübsch“, fief Fye aus, als er die Handschuhe entdeckte. Das waren sie. Und feminin obendrein. Es waren flauschige, weiße Fingerhandschuhe, auf die ein rot-goldenes Blättermuster aufgenäht war und Fye musste dem Drang widerstehen, sie sofort anzuziehen. Stattdessen öffnete er den Deckel des Kartons, schob das knisternde violette Papier beiseite, das weißen Stoff bedeckte... und saugte überrascht die Luft ein. Er hob das Kleidungsstück in die Höhe, um Form und Schnitt besser erkennen zu können. „Kuro-puu... ist das etwa...“ „Ja, ist es.“ Der schwarzhaarige musste sich räuspern um darüber hinweg zu täuschen, wie nervös er war. Es war das aller erste Mal, dass er Fye irgendetwas geschenkt hatte und dann gleich so etwas... dabei hatte er keinen Schimmer, was den Geschmack des Blonden traf, wenn es um jene Sache ging, über die sie nicht sprachen, die aber von jedem toleriert wurde. „Du solltest es anprobieren, nur für den Fall. Ich... ich mache uns Frühstück.“ Kurogane verließ das Zimmer mit gemischten Gefühlen. Einerseits war es eine angenehme Abwechslung mal eine ernstere Seite von Fye zu sehen, andererseits wusste er nicht was der Blonde nun von dem Geschenk hielt – immerhin hatte er nicht mit dem typischen Enthusiasmus reagiert. Gerade als der schwarzhaarige Mann die ersten Löffel Kaffeepulver in die Maschine häufte, war ein leises Quieken aus dem Schlafzimmer zu hören. Kurogane grinste. Also hatte sich die Tortur in dem Kaufhaus gelohnt. (Er würde nie den Blick vergessen, den die Verkäuferin ihm bei der Frage zugeworfen hatte, ob für Männer und Frauen die gleichen Konfektionsgrößen galten.) Er hörte das metallische Klicken der Türklinke als ein blonder Wirbelwind auf ihn zustürmte und kräftig von hinten umarmte. „Danke, Kuro-chan. Danke-danke-danke!“ „Verflucht, du erwürgst mich!“ Daraufhin ließ der Blonde wieder von ihm ab. „’Tschuldigung.“ Der Größere gab ein kurzes Grummeln von sich und rieb sich den Hals. Er ließ das Filterfach zuklappen und holte sich die Glaskanne, um Wasser einzufüllen. „Das heißt, du magst es?“ Er drehte sich um... und hätte beinahe die Kanne fallen lassen. Der erste Impuls war: ’Wer ist dieses Mädchen und was macht sie in meiner Küche?’ Der zweite Impuls war schwer zu beschreiben. Ein Hauch Erleichterung schwang darin mit, als sein Hirn erkannte, dass es Fye war und der Anblick weckte seinen Beschützerinstinkt und seine Begierde gleichermaßen. Der Blonde sah zum niederknien aus, in dem roten Babydoll-Kleid. Nicht einmal die bunten Söckchen konnten diesen Anblick schmälern. „Es ist hinreißend. Und die Farbe erst.“ Fye ergriff den Saum des Kleides, der ihm bis knapp über’s Knie ging und strahlte regelrecht. „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Notwendig oder nicht, darüber ließ sich streiten, fest stand nur, dass Kurogane es ihm hatte schenken wollen, unter allen Umständen. Die Idee dazu hatte er schon im Sommer gehabt; jedes Mal wenn Fye sehnsüchtig den Schülerinnen hinterher blickte, die lässig in ihren luftigen Sommerkleidchen vorbei schwebten. Aber... nicht jedes Kleidungsstück stand einem Mann, mochte sein Gesicht noch so weiche Züge haben wie Fye. Der Schwarzhaarige war also sogar soweit gegangen, Tomoyo-chan aus Klasse A um Rat zu fragen, weil er wusste, dass sie nähte. Sie war es gewesen, die ihm zu einem Babydoll geraten hatte. Es war gar nicht mal so einfach gewesen, ein Kleid mit quadratischem Kragen zu finden; die meisten Babydolls hatten Spaghettiträger und tiefe, dreieckige Ausschnitte die ausschließlich für den Brüste tragenden Teil der Menschheit geeignet waren. Trotzdem musste der Sportlehrer sich fragen, warum er es ausgerechnet in Rot gekauft hatte und nicht in dem Hellblau oder Weiß, das Fye so oft trug. Jetzt, da er ansehen konnte, wie es sich an Fye machte, musste er feststellen, dass es in gewissem Sinne seinen Zweck verfehlte. Schon der Name des Kleidungsstücks implizierte, dass es niedlich und unschuldig sein sollte. Vielleicht gab es sie deshalb meist in dezenten Farbtönen zu kaufen, aber dieses Rot... es schrie förmlich nach Aufmerksamkeit. Es war ungewohnt, doch es passte zu dem exzentrischen Blonden. Und noch etwas... Rot war eigentlich Kuroganes Farbe. Die Zweithäufigste, die er trug, direkt nach schwarz. Es war im gewissen Maße also auch eine Reviermarkierung. „So besonders ist es nun auch nicht“, versuchte Kurogane es herunter zu spielen. So intensiv, wie er Fye anzustarren begann, konnte man glauben er hätte es nur gekauft weil er schmutzige Hintergedanken hatte. Und dann, bevor er es verhindern konnte, rutschte ihm heraus: „Du bist etwas Besonderes.“ Fye erstarrte. 'Oh Gott. Hab’ ich was falsches gesagt?’ Das war nicht gut. Der Blonde gehörte zu der Sorte Menschen, die davon liefen, wenn sie von einer Situation überfordert waren. Und wenn ihm das alles zu schnell ging... Erster Zeuge der Verteidigung: Fye de Flourite, Chemielehrer. „Du würdest so was nicht sagen, wenn du es nicht wirklich meinst, stimmt’s?“ Fyes Stimme schwankte leicht. „Ich meine, ich weiß du würdest nie lügen, aber... ich...“ „... es wäre nicht das erste Mal, dass dir das passiert“, beendete Kurogane den Satz, als sich die Wahrheit setzte, die er gerade erst begriffen hatte. „Einspruch! Nicht relevant.“ „Euer Ehren, mit Verlaub ich muss widersprechen. Die Frage diente einzig und allein dazu, die Motivation des Angeklagten zu hinterfragen. Ist es nicht so, dass man im Falle einer psychischen Vorbelastung sogar von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgehen kann?“ Über Fyes Vergangenheit, insbesondere sein Liebesleben, hatte Kurogane sich nie Gedanken gemacht (oder machen wollen), weil er nicht das Recht dazu hatte. Und auch jetzt war er noch der Ansicht, dass es keinen Unterschied für ihn machte ob er es wusste oder nicht, weil es ihn ja nicht betraf. Deshalb war ihm bisher nie der Gedanke gekommen, dass Fyes Verhalten, die plötzliche Wandlung von heiß zu kalt, von verspielt zu ernst, darauf zurückzuführen war, dass jemand ihn bitter enttäuscht hatte. Der Ältere nickte nur. „An manchen Tagen denke ich nur, dass ich bin ziemlich hinüber bin. Ich meine, wenn ich schon mal jemanden finde, dem was an mir liegt, dann schubse ich ihn entweder weg oder er ergreift von allein die Flucht, wenn er merkt, was sich hinter meinem Lächeln verbirgt. Wenn du dir also nicht sicher bist, ob du das aushältst, dann-“ „Halt die Klappe.“ Kurogane stellte die Glaskanne weg und zerrte den Blonden in seine Arme. „W-wie?“ „Du tust es schon wieder. Das mit dem weg schieben. Du musst mir das nicht erzählen, wenn du denkst, ich würde dann gehen.“ „Nein. Ich will nur, dass du die ganze Wahrheit weißt. Ich will nicht, dass du nachher bereust, was du gesagt hast.“ Kurogane stellte fest, dass jemanden zu umarmen viel weniger verkrampft war, als er angenommen hatte. Besonders, wenn es um jemanden ging, um den er sich sorgte. Und es gab einem tatsächlich Sicherheit, wenn einem gerade alles zu entgleiten drohte. „Jetzt hör mal. Du wirst melodramatisch. Ich habe Hunger und ich kann nicht denken, wenn ich Hunger habe. Du kannst mir sagen, was du mir sagen willst, aber erst nach dem wir gefrühstückt haben. Also geh wieder ins Schlafzimmer und mach es dir bequem, du wirst diesen Raum nämlich nicht verlassen, bevor die Sache nicht geklärt ist. Verstanden?“ Fye musste feststellen, dass dies einer dieser Momente war, an denen er partout nicht wusste, was Kurogane gerade dachte. „Okay. Aber das kann eine Weile dauern.“ Von Kurogane war ein leises, kehliges Lachen zu hören. Er hob das Kinn des Jüngeren ein wenig an, damit Fye ihm ins Gesicht sehen musste. In den blauen Augen stand Ungewissheit. „Ich wollte sowieso den Tag im Bett verbringen.“ Seine Stirn an Fyes Stirn. Kuroganes Nasenspitze fuhr die sanfte Kurve von Fyes Wange nach, bevor er dem Blonden einen Kuss auf die Ohrmuschel hauchte. Liebe ist... ... ihn in dein Bett krümeln zu lassen. Dass dieser Satz der Wahrheit entsprach konnte Kurogane nur bestätigen. Er hatte Frühstück vorbereitet, aber den Tag im Bett zu verbringen bedeutete auch, die Mahlzeiten dort einzunehmen und so kam er eine halbe Stunde später mit einem Tablett wieder ins Schlafzimmer – beladen mit Kaffee, Sandwiches und French Toast. Letzteres hatte er nur deshalb ausgewählt, weil er wusste, dass Fye Süßkram auch zum Frühstück mochte und es war das einzige süße Gericht, das er beherrschte. Der Chemielehrer hatte unterdessen schon das Schlafzimmer aufgeräumt – ihre Kleidung vom Boden aufgelesen und sorgfältig gefaltet auf dem Fußboden aufgestapelt. Auch sein Geschenk hatte er wieder ausgezogen und in den Karton zurück getan. Der Blonde trug jetzt wieder sein T-Shirt und die Slip Shorts, die er unter der Strumpfhose getragen hatte. Die Konversation während des Frühstücks verlief eher oberflächlich und stockend und die einzige zärtliche Geste, die ausgetauscht wurde war die, dass Fye seinen Kopf auf Kuroganes Schulter sinken ließ, als sie nur noch schweigend Kaffee tranken. Als Fyes Tasse leer war bis auf die letzten schwarzen Krümel, die es irgendwie doch geschafft hatten, dem Filter zu entkommen, hatte er keinen Grund mehr, das Gespräch unnötig hinaus zu zögern. „Meinen ersten richtigen Freund hatte ich, als ich auf die Uni ging“, begann Fye ruhig. Er starrte in den Kaffeesatz, als wolle er den Ausgang dieses Gesprächs darin lesen, aber er konnte in den dunklen, aromatisch duftenden Krümeln keine Figuren erkennen. „Er war einer meiner Dozenten, obwohl er gar nicht mal so alt war. Er war Doktorand im Institut für Physikalische Chemie und hielt das Seminar für Elektrochemie, obwohl er Physik studiert hatte. Ich weiß nicht warum, aber später schien mir der Umstand, dass er Physiker ist, mir so wichtig... als wäre das der Grund, warum ich von vornherein die Finger von ihm hätte lassen sollen...“ Der Blonde stellte seine Tasse beiseite und kuschelte sich dann näher an Kurogane. Er schlang die Arme um den Oberkörper des Schwarzhaarigen und ließ seine verschränkten Hände an dessen Hüfte ruhen. „Ist sein Name wichtig?“ „Wenn du ihn nicht sagen willst, musst du nicht“, erwiderte der Sportlehrer. Seine Hand fand den Rücken des Kleineren, um beruhigend und ermunternd darüber zu streichen. „Gut.“ Fye behagte der Gedanke nicht, diesen Namen auszusprechen, erst recht nicht an diesem Ort. Namen hatten Macht. Wenn er ihn aussprach, dann war es, als würde er etwas heraufbeschwören... und er wollte nicht, dass Kurogane in Kontakt mit seiner Vergangenheit oder dieser Person kam. „Weißt du, es war nicht so, wie es meistens läuft: 'Junge trifft Junge, Junge verknallt sich, dem Jungen wird das Herz gebrochen, als er mitbekommt, dass der Andere ihn dafür verabscheut, dass er etwas für ihn empfindet.' Ich hab ihn – nennen wir ihn mal 'Ernie', weil er dasselbe schreckliche Gelächter drauf hatte wie Ernie aus der Sesamstraße – im ersten Moment noch nicht mal besonders interessant gefunden, er war einfach Teil meines Stundenplans und zu dem Zeitpunkt war ich mir noch nicht mal darüber klar, was ich wollte... in emotionaler und sexueller Hinsicht. Die anderen Jungs kamen mit mir nie besonders gut klar; ich weiß nicht ob es an meiner Art lag oder daran, dass all die Mädchen auf mich flogen. Ich weiß nur, dass ich immer eine Menge Freundinnen um mich herum hatte. Ich war ganz hingerissen von Mädchen, ihre Art zu kleiden, sich zu bewegen. Sie waren so hübsch und ich war mit ihnen auf derselben Wellenlänge. Seit ich vierzehn war, hatte ich eigentlich immer eine Freundin und sie war mein ein und alles, nur... weißt du, mir kam nie in den Sinn, dass sie eigentlich nicht meine festen Freundinnen waren, weil sie mich sexuell nie interessierten.“ Fye seufzte und schloss für einen kurzen Moment die Augen, aber ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie waren nur meine besten Freundinnen, jemand, mit dem man durch dick und dünn ging. Aber eine echte Beziehung war es nicht. Als ich in meinem zweiten Semester war, kam meine damalige Freundin, Renée, auf die Idee, mich ihrer Familie vorzustellen, nachdem wir schon fast ein ganzes Jahr zusammen waren; also stellte sie mich zum Geburtstag ihres Bruders der ganzen Sippe vor und da traf ich auch 'Ernie' wieder. Es stellte sich heraus, dass er ein entfernter Cousin von Renée war. Und da wir die einzigen zwei Naturwissenschaftler dort waren, kamen wir früher oder später ins Gespräch, während Renée damit beschäftigt war, vor ihrer Schwester mit mir anzugeben. Von dem Tag an, trafen wir uns auch während der Studienzeit öfters. Ich fand ihn ganz sympathisch und war erleichtert, endlich mal einen männlichen Kumpel zu haben und störte mich nicht daran, dass er ein paar Jahre älter war als ich. Er ist ziemlich einfach gestrickt, es gab eigentlich nur wenig, an dem er Interesse zeigte. Eigentlich waren es nur drei Sachen: Naturwissenschaften, World of Warcraft und... ich. Letzteres wurde mir klar, als er anfing, mir regelrecht den Hof zu machen.“ „Er hat versucht, dich herum zu kriegen? Obwohl er wusste, dass du eine Freundin hattest?“, fragte Kurogane und in seinem Tonfall schwang Unglauben mit. „Ja, ich weiß. Das allein hätte mich schon stutzig machen sollen, dass er nicht mal die Beziehung seiner eigenen Cousine respektierte, aber er meinte, er erwarte nichts von mir, er wollte nur, dass ich es weiß, weil es sonst unfair wäre, unserer Freundschaft gegenüber und weil er es nicht aushalten könne, noch länger so zu tun, als würde er nichts für mich empfinden. Ich war überrumpelt und verstand die Welt plötzlich nicht mehr, aber nachdem ich in paar Nächte drüber geschlafen hatte, war mir klar, dass ich unsere Gespräche in der Mittagspause vermissen würde und so trafen wir uns weiter nur als Freunde, aber was er gesagt hatte, ließ mich nie ganz los. Er... er meinte auch, er würde versuchen, seine Gefühle im Zaum zu halten, aber wenn mir sein Verhalten zu aufdringlich erscheinen sollte, dann müsste ich es ihm sagen. Nur...“ „...er kam dir nie zu aufdringlich vor, weil du genauso sehr an ihm interessiert warst wie er an dir?“ Kurogane bekam langsam eine Idee, wo diese Geschichte hinführte, auch wenn Zwischenmenschliches nicht gerade seine Stärke war. Fye nickte und Kurogane konnte die Bewegung an seiner Schulter spüren. „Einige Wochen nach 'Ernies' Geständnis, machte Renée unter Tränen mit mir Schluss, als sie mir gestand, dass sie mich mit einem ihrer Arbeitskollegen betrogen hatte und sie sagte, ich würde etwas Besseres verdienen. Sie war mir so dankbar, dass ich ihr das nicht übel nahm; aber die Wahrheit war, dass es mich nicht berührte. Ich war nicht eifersüchtig, weil ich sie nicht wirklich geliebt habe und wir trennten uns dann im Guten. Und dann ging alles ziemlich schnell. Nur eine Woche nach meiner Trennung, küsste ich 'Ernie' zum ersten Mal. Das war im Kino und um ehrlich zu sein, bekamen wir danach nicht mehr viel von dem Film mit, weil wir zu abgelenkt damit waren-“ „Keine Details bitte!“, unterbrach ihn der Sportlehrer. Kurogane musste sich wirklich zusammen reißen, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. Ihm war klar gewesen, dass es schon vor ihm Menschen in Fyes Leben gegeben hatte; der Blonde war ja auch nicht gerade dafür bekannt, ein Einsiedlerleben zu führen. Aber nur weil er diesen Fakt akzeptierte, musste ihm der Gedanke noch längst nicht gefallen, dass die Hände, die jetzt an seiner Seite ruhten, früher einen anderen Körper als den seinen erkundet hatten. Dieses kurze Aufflackern der Eifersucht brachte tatsächlich ein schwaches Lächeln auf die Lippen des Blonden. „Okay. Es gibt ohnehin nicht viel zu sagen, außer, dass das meine erste richtige Beziehung war und ich habe einiges gegeben, damit sie funktioniert. Ich war der festen Ansicht, es wäre etwas Besonderes und ich war zu blöd um zu merken, dass sie sich eigentlich nur innerhalb unseres Stundenplans abspielte. Am Wochenende sahen wir uns so gut wie nie und auch innerhalb der Woche blieb er selten über Nacht, was nicht hieß, dass wir nie...“ Fye blinzelte Kurogane an und entschied, dass es besser war, das nicht auszusprechen. „Du weißt schon.“ Kurogane gab nur ein mürrisches Grummeln von sich, das ein 'Ja' darstellen sollte. Instinktiv drückte er Fye enger an sich. „Dann kam Renée an unsere Uni. Nach dem Techtelmechtel mit ihrem Arbeitskollegen lief es nicht mehr so gut für sie in ihrem Job und sie sah sich gezwungen zu kündigen. Und weil sie keinen Job fand, der ihren Ansprüchen genügte, wollte sie Journalistik studieren. Sie war neugierig, wie es mir so ergangen ist, weshalb ich sie am Wochenende zum Kaffee eingeladen habe und es freute sie zu sehen, dass es mir gut ging. Ich glaube, sie machte sich immer noch ein wenig Vorwürfe wegen dem, was passiert ist. Deshalb erzählte ich ihr, dass ich jetzt jemanden gefunden hatte, der mich glücklich macht, auch wenn ich ihr erst einmal verschwieg, um wen es sich handelte. Aber Renée ließ nicht locker und hakte immer wieder nach, bis ich es ihr letztlich doch erzählte. Ich war vorsichtig; ich weiß, dass Mädchen etwas empfindlich sein konnten, wenn es darum geht, dass der Ex-Freund sich plötzlich als schwul herausstellt. Und ich schien Recht zu behalten, denn sobald ich auch nur den Namen erwähnte, versteinerte ihre ganze Miene. Ich konnte richtig sehen, wie unwohl sie sich plötzlich fühlte.“ „Sie hat dir Vorwürfe gemacht.“ „Nein, gar nicht. Sie sagte nur: 'Du weißt es nicht, nicht wahr?' - und ich hatte keine Ahnung worauf sie hinaus wollte. Sie wollte es mir auch nicht sagen, ich solle 'Ernie' schon selbst fragen, aber wie, wenn ich nicht wüsste, wonach? Da nahm sie meine Hände in ihre und sagte drei Worte, die alles veränderten. 'Er ist verheiratet.' Wie sich herausstellte hatte er Frau und Tochter in einer anderen Stadt. Ich wollte es erst nicht glauben, aber Renée war seine Cousine... Ich musste ihn sprechen. Ich hatte die Hoffnung, dass es eine ganz einfache Erklärung dafür gab, dass er mir nie etwas gesagt hatte. Es gibt einige homosexuelle Männer und Frauen, die aufgrund ihres Umfelds eine Ehe mit jemandem eingehen, den sie nicht lieben. Das wäre zwar feige von ihm gewesen, aber verständlich. Ich traf mich mit 'Ernie' nur zwei Tage danach und bat ihn um eine Erklärung. Und er...“ Der Blonde stockte in seiner Erzählung und als Kurogane sein Kinn anhob, sah er die ersten Tränen in den blauen Augen schimmern. „Wenn du lieber aufhören willst, dann solltest du das tun“, bot der Größere an. Ihm behagte der Gedanke nicht, dass der Idiot das alles um seinetwillen noch einmal durchlebte, auch wenn er hoffte, dass es Fye besser gehen würde, wenn er alles erzählte. Die Vergangenheit wie eine Last mit sich herum zu schleppen war sicher schlimmer. Der Andere schüttelte mit dem Kopf. Er war bereits zu weit in der Geschichte vorangekommen um jetzt noch aufzuhören. Nur wurde ihm langsam kalt, also legte er sich hin und kuschelte sich unter die Decke und Kurogane tat es ihm gleich. Na ja, bis auf den Teil mit dem Kuscheln – die einzige Wärme, die der Schwarzhaarige brauchte, ging von dem Mann neben ihm aus. Der Mann, in dessen Haar Kurogane seine Hand jetzt vergrub und der mit seinem Finger unsichtbare Zeichen auf Kuroganes gebräunte Brust malte. „Die Sache war die – er war gar nicht unglücklich verheiratet. Er liebte seine Frau und er hatte ihr geschworen, nie eine andere anzurühren, aber seit das Baby da war, hatte seine Frau das Interesse am Sex verloren. Und dann begegnete er mir und weißt du, er sah es nicht als Betrug an, da er seiner Frau ja nie versprochen hatte, keinen Mann anzurühren und mir hatte er nichts von seiner Ehe erzählt, weil er glaubte, er würde mich sonst verlieren. Und dann fing er an, irgendwas zu erzählen von wegen, dass das ja nicht heißen würde, dass er mich nicht lieben würde, immerhin wäre es möglich, mehr als nur einen Menschen zu lieben und zu begehren.“ Fye rieb sich die Augen, aber keine Tränen rannen ihm über die Wangen, was ein gutes Zeichen war. Das hieß, dass es doch nicht so sehr schmerzte. „Wir waren an diesem Abend ausnahmsweise mal ausgegangen und saßen in einem Restaurant. Ich habe ihm vor den Augen all der anderen Gäste meinen Teller Spaghetti über den Kopf gekippt und ihm klar gemacht, dass das wohl das Bescheuertste wäre, dass ich in meinem ganzen Leben gehört habe und dass mir seine Frau Leid tut, weil sie mit so einem Schwein verheiratet ist. Das waren die letzten Worte, die ich je mit ihm gewechselt habe. Ich ging ihm aus den Weg, besuchte sein Seminar nicht mehr und ließ mir von meinen Kommilitonen die Mitschriften geben. Aber das reichte mir nicht. Ich hätte am liebsten keinen Fuß mehr auf das Campusgelände gesetzt, wo wir gemeinsam so viele Stunden verbracht haben, also legte ich ein Auslandssemester ein. Ich flüchtete mich nach Italien, an die Universität von Rom. Jemand, der mir sehr nahe stand, machte dort eine Ausbildung und er nahm mich in seiner Wohnung auf, ohne Fragen zu stellen. Wenn er nicht gewesen wäre... ich weiß nicht, was ich dann getan hätte. Das war das erste Mal, dass ich vor etwas davon lief. Danach fiel es mir schwer, noch irgendjemandem zu vertrauen. Ich suchte mir Zerstreuung und hatte viele Bekannte, aber keinen wirklichen Freund und es dauerte fast ein Jahr, bis ich mich wieder auf so etwas wie eine romantische Beziehung einließ. Aber... sobald es irgendwie ernst wurde, hab’ ich die Sache beendet. Ich bin weg gelaufen, aus reinem Selbstschutz. Ich dachte, wenn ich zu sehr an den Menschen hänge, dann enttäuschen sie mich wieder. Ich hatte nicht viel Vertrauen in mich zu dieser Zeit und deshalb konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass es jemanden geben könnte, der bei mir bleiben würde. Der mich lieben könnte. Und dann... dann begegnete ich dir. Und du warst so unhöflich.“ Die Begeisterung, die in Fyes Stimme mitschwang, ließ es wie ein Lob klingen. „Und du hast nicht einmal so getan, als könntest du mich leiden, wodurch jedes freundliche Wort von dir umso wertvoller war. Und vor allem konnte ich dir glauben. Du warst... nein, du bist seit langem der Erste Mensch, von dem ich mehr als nur gemocht werden will. Und wenn ich in deiner Nähe bin, fühle ich mich jedes Mal, als könnte mich nichts auf der Welt verletzen. Ich liebe dich. Aber aus irgendeinem Grund heißt das noch lange nicht, dass ich deswegen meinen alten Verhaltensmustern entkommen kann.“ Der Blonde schloss für einen Moment die Augen und genoss das Gefühl von Kuroganes Fingerspitzen, die seine Kopfhaut kraulten. So musste sich der Himmel anfühlen – eine Mischung aus zeitloser Geborgenheit und sanfter Liebkosung. Für den Moment gab es keine Verpflichtungen, niemand, der nach ihnen verlangte. Sie hatten sich und das war genug. Es war bereits Mittag, 12.03 Uhr. „Hey.“ Kurogane sprach so leise, dass es fast ein Flüstern war. „M-hm?“ „Was du vorhin gesagt hast...“ Fye gluckste. „Welchen Teil davon, Kuro-wanwan?“ Ihm entfuhr ein kleiner Schmerzensschrei, als der Andere ihm zur Strafe für seine Frechheit an den Haaren zog. Nicht zu doll, versteht sich. „Der wichtige, natürlich!“, knurrte der Sportlehrer. „Ich... mir geht es genauso.“ Fye öffnete eines seiner Augen, um einen Blick auf Kuroganes Gesicht zu bekommen. Mit diebischer Freude stellte er fest, dass sein Freund rot geworden war. „Tut mir Leid, aber ich fürchte, du wirst dich schon etwas klarer ausdrücken müssen.“ Die Augen des Schwarzhaarigen verengten sich zu schmalen Schlitzen, wodurch ihre rote Farbe noch stärker leuchtete. Kurogane ärgerte sich. „Spiel nicht den Dummen. Du weißt genau, was ich meine, warum muss ich es dann noch sagen?“ „Weil ich es hören will.“ Er stieß verärgert die Luft aus. „Das ist doch... “ Fyes Hand schlich sich unter den Stoff von Kuroganes Bademantel und er entblößte eine muskulöse Schulter. „Das ist was, Kuro-chan?“ „Du bist ’ne Nervensäge.“ „Ich weiß“, erwiderte der Kleinere und ließ Zeigefinger und Mittelfinger wie zwei Beine wie Rundung von Kuroganes Schulter abschreiten... „Und unachtsam. Und ein Idiot.“ „Ich weiß.“ ...die Finger wanderten weiter bis zum Hals... „Aber du bist nun mal du.“ „Also wirklich, es sieht dir gar nicht ähnlich, nicht zum Punkt zu kommen.“ Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete Fye wie seine tapsenden Finger wieder tiefer wanderten, dem klar definierten Weg von Kuroganes Schlüsselbein folgten. Sie wären noch tiefer gegangen, hätte eine starke Hand sie nicht ergriffen und als Geiseln genommen, nur um den Blick ihres Besitzers ganz für sich einzunehmen. „Okay, ich sag’s. Unter drei Bedingungen. Erstens, was zwischen uns vorfällt, ist unsere Sache. Wehe, du rennst sofort los und erzählst es der Hexe oder den Schülern. Das schließt das Geschenk mit ein. Zweitens, wenn du zulässt, dass dich irgendwer außer mir in dem Kleid sieht, dass ich dir geschenkt habe, bringe ich dich um. Du gehörst mir, wenn du das Ding anhast.“ Was Kurogane damit sagen wollte, war, dass er wollte, dass der Anblick allein ihm vorbehalten blieb – denn es war fast unmöglich, Fye nicht zu verfallen, wenn er dieses Kleid trug. Natürlich konnte der groß gewachsene Mann es nicht mit diesen Worten ausdrücken, aber als der Andere kicherte, wusste er, dass der Idiot ihn auch so verstanden hatte. „Akzeptiert. Ich mag es, wenn du besitzergreifend bist. Und drittens?“ „Ich muss heute Nachmittag zu einer Besprechung mit der Hexe und ich will verdammt sein, wenn ich da allein hinmuss.“ „Fein.“ Kurogane gab noch ein missmutiges Grummeln von sich, dann ließ er die Hand des Blonden wieder los. Sein Gesicht wurde weicher – und ein wenig wehmütig, als er daran denken musste, dass diese drei Worte nicht ihm mindesten all das aufwiegen konnten, was Fye ihm erzählt hatte. Der Idiot hatte sich ihm völlig geöffnet, vielleicht zum ersten Mal und Kurogane musste noch herausfinden, was es für ihn bedeutete. Das Wissen, dass jemand Fye so verletzt hatte, müsste ihn stinkwütend machen, aber stattdessen empfand er beim Anblick des Blonden nur eines: Unglauben. Wer konnte es nur übers Herz bringen, jemand so gutherzigen wie Fye bewusst zu verletzen? Wer so etwas tat, der war schon längst verloren. Den Kerl aufzuspüren und ihn zu verprügeln, bis er Blut spuckte, änderte auch nichts an dem, was passiert war. Fye war kaputt. Er war nicht mehr unangetastet – ja und? Hatte der Idiot wirklich geglaubt, man würde ihn abschreiben, nur weil er ein bisschen beschädigt war? Es brachte nichts, dem Umstand hinterher zu trauern „Du bist Teil meines Lebens, ob es mir passt oder nicht. Und bevor du blöd fragst, ja, es passt mir sogar verdammt gut in den Kram und deshalb werde ich auch dafür sorgen, dass sich daran nichts ändert. Ich werde nicht zulassen, dass du wieder weg läufst, klar? Weil ich dich liebe. Zufrieden?“ Der Kleinere zeigte seine Zufriedenheit indem er freudig maunzte und seinem Geliebten einen stürmischen Kuss auf die Lippen gab, der Kurogane bereuen ließ, dass er dieser Drei-Dates-Regel zugestimmt hatte. Wie zur Hölle sollte er es aushalten, die Nervensäge – die jetzt seine Nervensäge war – so lange nicht anzurühren? Als hätte Fye seine Gedanken gelesen, drückte er den Schwarzhaarigen tiefer in die Laken und begann an dem Gürtel von Kuroganes Bademantel herum zu nesteln. „Nur um das klar zu stellen – ich will trotzdem noch mit dir ausgehen. Aber ich finde, wenn man zusammen rechnet, was wir schon alles zusammen unternommen haben, dann haben wir die drei Dates längst überschritten.“ Natürlich war der Gürtel kein großes Hindernis und um zu unterstreichen, worauf er hinaus wollte, machte der Chemielehrer es sich auf den Oberschenkeln seines Kollegen bequem. Kurogane stützte sich auf seinen Ellbogen von der Matratze ab und der dünne Stoff rutschte von seinen Schultern, gab eine Menge seines Oberkörpers preis. „Und wenn schon. Ich konnte diese dämliche Regel noch nie ausstehen. Als ob ich mir von so was vorschreiben lasse, wann ich dich vögeln darf.“ „Da sind wir ausnahmsweise mal einer Meinung.“ Er grinste, als er den Körper betrachtete, der unter dem seinen lag und nur auf seine Berührungen wartete. Er würde Kurogane nicht aus diesem Bett lassen, bis er nicht jeden Zentimeter dieser herrlich gebräunten Haut geküsst und die empfindlichsten Stellen erkundet hatte. Und die beste Stelle gefunden hatte, um einen Knutschfleck zu platzieren. Möglichst dort, wo jeder es sehen konnte, damit jedem gleich klar wurde, dass dieses außergewöhnliche Exemplar der männlichen Spezies bereits vergeben war. Der Fall wurde geschlossen, als Mr. Suwa die Anklage letztlich doch noch zurück zog. ~Ende~ So, meine Lieben, ich hoffe, die Story hat euch gefallen. Da ich den Stil des Mordes etwas aufrecht erhalten wollte, habe ich von Stil her einige Elemente einer Gerichtsverhandlung eingebaut, da das ja direkt nach der Mordermittlung erfolgt. Ich hoffe, das hat nicht zu sehr irritiert oder den Lesefluss behindert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)