My Personal Angel von ZombieOnTour (Wonderful Life) ================================================================================ Kapitel 1: Szene One: Bridge ---------------------------- Anhaltender Regen hing über den Straßen der kleinen Stadt an den Ufern des größten Flusses Großbritanniens, als wolle er Altes fortspülen und Platz für Neues schaffen, Feuer löschen und erneutes Aufflammen verhindern. Bei den meisten Menschen sorgte dieses Wetter allerdings nur dafür, dass sie nicht einmal ihren Hund vor die Tür scheuchen würden, wäre es nicht wirklich zwingend nötig, und alles wurde mit dem Auto erledigt. Man wollte ja schließlich nicht nass werden. Darum wunderte es auch nicht, dass man kaum eine Menschenseele sah, die sich der Witterung mit Schirm und Regenkleidung aussetzte. Fast schon melodisch klang der Aufprall der Wassertropfen auf dem schwarzen Schirm der rothaarigen Frau, die tapfer gegen das Wetter kämpfte, den Kragen des schwarzen Mantels hochgeschlagen um sich auch so ein wenig vor dem Nass zu schützen, das vielleicht dank des Windes doch noch einen Weg unter den Schutz fanden. Sie seufzte schwer, als sie kurz blinzelnd in den dunklen Himmel blickte, ehe sie wieder nach vorne sah. Sie hatte einfach raus gehen müssen. Raus aus den tristen Wänden ihrer Wohnung, fort von all den Gedanken an ihren Bruder, der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Es war ihr einfach alles zu viel geworden. Also war sie trotz des Wetter rausgefahren. Raus aus der Stadt, den Kopf freibekommen, dem Grau entfliehen. Und sie hatte fest stellen müssen, dass es trotz des Regens viel bessere Orte gab, als der, an dem sie nur ihre Sorgen, Ängste, Bedenken überfielen. Besser als in ihrem eigenen Zuhause. Ironie. Eigentlich sollte doch das der Platz sein, an dem man sich am wohlsten, sichersten und geborgensten fühlte. Gedankenverloren warf sie einen Blick auf ihr Handy in der Hoffnung, dass sie vielleicht einen Anruf verpasst hatte oder eine SMS angekommen war. Irgendein Lebenszeichen von ihrem Bruder, der nun schon seit einer Woche spurlos verschwunden und für sie unerreichbar war. Man wird seine Sorgen eben doch nie ganz los, stimmts? Nein. Leider nicht. Denn sie klebten an einem Menschen wie kleine Dämonen, fraßen sich in sein Inneres und ließen sich nie ganz vertreiben. Höchstens für ein paar Stunden zurück drängen, sodass man sie fast vergaß. Wenn man allerdings wieder dorthin zurückkehrte, von wo man geflohen war, um sie los zu werden, waren auch sie wieder da. Ein ewiger Kreislauf. Nun gut. Sie musste nur noch über den Fluss und zur nächsten U-Bahn Station dann wäre sie schon bald zuhause und vielleicht … Sie erstarrte, als sie an der Brücke angekommen einen Schatten sah, der offensichtlich dabei war auf das Eisengeländer zu klettern. Vollkommen leer war ihr Kopf, als hätte jemand einen Knopf betätigt und ihr Denken komplett ausgeschalten. Es war einer dieser Momente, von denen man immer groß sprach, was man alles unternahm, wenn man jemals in so eine Situation geriert. Genauso, wie jeder sagte, dass er sich einmischen würde, wenn jemand auf der Straße zusammengeschlagen wurde, es in Wahrheit aber niemand tat. Zum Glück funktionierten ihre Beine noch, übernahmen das Handeln. So rannte sie einfach los, ließ ihren Schirm fallen, da er sie sonst nur bremsen und behindern würde. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Denn sobald sie lief, war ihr Kopf seltsam klar und was sie tat, nahm sie deutlich wahr, ohne es willentlich zu steuern. Sie rannte durch den Regen, so schnell sie konnte, das kalte Wasser, welches ihr ins Gesicht schlug, ignorierte sie, wurde nur von diesem unbestimmbarem Drang getrieben, etwas zu tun, handelte einfach. Mit großen, schnellen Schritten erreichte sie ihn, wusste sich im ersten Moment nicht anders zu helfen, warf sich gegen die Person, umschlang sie mit ihren Armen. Es fühlte sich an als würden sie ewig fallen, ehe sie hart auf dem nassen Betonweg aufschlugen. Unendlich lang schien der Moment, den sie dort lagen, als der Regen auf sie niederprasselte, keiner der beiden ein Wort sprach oder sich auch nur rührte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie war außer Atem, kümmerte sich nicht um das Wasser unter und über ihnen, dass es dabei war, sich durch ihre Kleidung zu fressen, sich schwer auf ihre Haut legen würde, wenn es das erst einmal geschafft hatte. Es war unwichtig. Alles schien im Moment bedeutungslos. Alles bis auf diesem Mann, der eben dabei gewesen war, auf das Brückengeländer zuklettern und zu springen, bis auf sie, die im strömenden Regen auf ihm lag, nicht wagte sich zu bewegen aus Angst, damit den Augenblick zerspringen zu lassen, dass das alles nicht echt war und sie nur zusah, wie er sprang. Schließlich war doch sie es, die sich zuerst rührte. Sie stemmte sich hoch, die Hände links und rechts von ihm auf den Boden gestützt sah sie zu ihm herab. Dunkles Haar klebte nass an seinem Gesicht, im Licht der Straßenlaterne seltsam blaugoldene Augen blickten leer in den schwarzen Himmel über ihnen, blinzelten nur das Wasser fort. Sie wollte etwas sagen. Irgendetwas. Doch ihr fiel nichts ein, so sah sie ihn nur schweigend an. Sein Blick klärte sich, wanderte zu ihr. Doch bevor sie in der Lage war aus ihm etwas zu lesen, etwas zu erkennen sah er wieder fort, setze sich auf, worauf hin sie in die Hocke ging, abwartete, dass er etwas sagte. Doch dass tat er nicht, sondern zog sich nur schweigend an den Eisenstangen des Geländers neben sich auf die Füße. Sie sah ihn weiter an, ehe sie sich selbst erhob. „Was tust du da“, rief sie aus, als er den Fuß auf die unterste Stange stellte, dazu ansetzte, wieder hinaufzuklettern. Er hielt inne, als sie ihn ansprach, sah zu ihr. Diesmal lange genug um etwas in seinem Blick zu lesen. Was sie in dem diffusen, orangenen Licht erkannte, war nichts anderes als Schmerz und Verzweiflung. „Lass mich“, murmelte er, sah wieder weg. „Das ist meine Sache. Und ich will niemanden mit reinziehen.“ Mit diesen Worten wendete er sich ab, schaute hinaus in die Dunkelheit über den Fluss. Trauer lag in seiner Stimme und sie war sich nicht sicher, ob das Zittern nur von der Kälte herkam. Im Gegensatz zu ihr hatte er nicht einmal eine Jacke an, das Hemd klebte nass an seinem Körper. „Geh am besten weiter. Sonst holst du dir bei dem Wetter noch etwas.“ Sie blickte ihn an, nahm aus einem unbestimmten Impuls heraus seine Hand. Er sah wieder zu ihr. Erst auf ihre Hand, die die seine hielt, dann in ihr Gesicht. Schweigend. Sie fragte nicht weiter nach. Es war nicht nötig. Im Moment nicht. Der Grund, warum er hier stand, war jetzt genauso unwichtig wie eben, als sie am Boden lagen. Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder auf eines von ihm zu warten, nahm sie seine Hand fester, zog ihn sanft zu sich und legte die Arme um diesen fremden Mann. Sicher hatte sie ihn noch nie zuvor gesehen. Aber wie konnte sie sich noch im Spiegel ansehen, wenn sie ihn jetzt einfach hier stehen ließ? Wie einfach weiter leben? Es war nicht richtig, fortzugehen und ihn springen zu lassen. „Das ist nicht richtig“, sagte sie leise, während sie ihn so in den Armen hielt. „Warum auch immer du es tun willst. Es ist nicht richtig aufzugeben und den einfachen Weg zu wählen.“ Er senkte den Kopf, schloss die Augen bei ihren Worten, wissend, dass sie recht hatte. Kapitel 2: Szene Two: Underground --------------------------------- Sie hatte den Kopf gegen die kühle Scheibe gelehnt. Außen blitzte in regelmäßigen Abständen die Beleuchtung des Tunnels auf, blendete immer kurzzeitig, ehe wieder knappe Dunkelheit folgte. Fast wie ein unbeachteter Morsecode. Stumm beobachtete sie ihn mithilfe seines Spiegelbildes. Lange hatte es gedauert ihn zu überreden mit ihr mit zu kommen. Er hatte immer nur gesagt er wolle alleine sein, keine Gesellschaft, sie kannte ihn doch eh nicht also wäre es doch egal, was er tat. Aber das war es nicht. Das war es einfach nicht. Die Bahn war ungewöhnlich leer für einen Samstagabend. Auch, oder gerade weil, es bereits auf 12 Uhr nachts zu ging. Im normal Fall nutzten viel mehr Leute die U-Bahn. Meist war es so brechend voll, dass man kaum Platz zum Stehen fand, geschweige denn zum Sitzen. Aber heute? Hinter ihm saß ein Jugendlicher mit Musik in den Ohren, die Kappe mit den Buttons tief ins Gesicht gezogen, hinter ihr eine ältere Frau und in der Sitzgruppe neben ihnen ein untersetzter Mann mittleren Alters der nur aus dem Fenster sah und in die von Leuchtstoffröhren erhellte Finsternis starrte. Schwer seufzte sie, schlang die Arme um sich und schloss kurz die Augen. Der fehlende Regenschirm und das lange Stehen auf der Brücke hatten dafür gesorgt, dass sich das Wasser vollständig durch den dünnen, nicht für dieses Wetter geeigneten Mantel gefressen hatte und sie jetzt erbärmlich fror. Nun gut. Ihm ging es wahrscheinlich auch nicht besser. „Tut mir leid.“ Diese unerwartete Unterbrechung der Stille ließ sie leicht zusammenfahren und sie sah auf. „Tut mir leid“, wiederholte er murmelnd. „Das Alles.“ Er machte eine müde Handbewegung, ließ den Arm dann wieder sinken. „Der ganze Ärger.“ Sie nickte nur, setzte sich anders hin. Müde fuhr er sich über das Gesicht, blickte wieder aus dem Fenster, auch wenn es nichts zu sehen gab. Aber sie hatte das Gefühl, dass er selbst dann nichts von dem draußen wahrgenommen hätte, wäre keine dunkle, kahle Wand auf der anderen Seite des Glases, sondern eine blühende Wiesenlandschaft. „Wie heißt du?“, fragte sie schließlich, da er sich wieder dazu entschieden hat, zu schweigen. Sie verzichtete auf jegliche Höfflichkeitsfloskeln, sparte sich das Sie. Du war persönlicher. Und vielleicht schaffte es ja auch ein Stück weit eine Vertrauensbasis. Außerdem hoffte sie, dass er so offener zu ihr war. Immerhin musste er es nicht. Sie war immer noch eine vollkommen Fremde für ihn wie er für sie. Er wendete erst den Kopf, dann den Blick zu ihr, antwortete allerdings nicht sofort, also fragte sie noch einmal nach. „Simon“, entgegnete er dann, leise. Diesmal sah er nicht wieder weg, sondern weiter sie an, wartete darauf, dass sie sprach. „Ich bin Illundrial“, stellte sie sich dann selbst vor, lächelte kurz, etwas verlegen, strich sich das Haar wieder hinters Ohr. „Naja, die meisten sagen Illu. Ist einfacher. Und kürzer“, fuhr sie dann fort. „Das ist ...“, begann er, wurde von ihr unterbrochen. „Ein komischer Name, ich weiß“, zuckte sie mit den Schultern. „Kann ich leider nichts gegen machen.“ „Ich wollte eigentlich sagen ungewöhnlich und ein schöner Name“, führte Simon seinen Gedanken zu Ende, ehe sein Blick wieder aus dem Fenster wanderte, erneutes Schweigen sich erdrückend über sie legte. Erneut war sie es, die zu erst das Wort ergriff. „Warum warst du dort, Simon?“, fragte sie vorsichtig, behielt ihn dabei genau im Auge, doch er blieb ihr die Antwort schuldig, regte sich nicht. „So etwas macht man nicht ohne Grund. Man will nicht einfach so von der Brücke springen.“ Da er immer noch nichts sagte, nahm sie an, dass er es einer Fremden nicht erzählen wollte. Es war immerhin sein gutes Recht. Auch wenn es sie traurig machte, die Sorge um ihn nur stieg. Simon lehnte die Stirn an das kalte Glas, schloss die Augen, atmete zitternd tief durch. Leise fluchte er, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Einmal. Zweimal. Doch es half einfach nicht, hielt die Tränen nicht zurück, konnte sie auch nicht verstecken. Letztendlich vergrub er das Gesicht in seinen Händen, zitterte, schluchzte verhalten auf. Sie wollte etwas sagen, setzte dazu an, blieb dann doch still. Wie sollte sie jetzt auch die richtigen Worte finden? Stattdessen ließ sie sich nun auf dem Platz neben ihm nieder, nahm ihn in den Arm, wie sie es einige Zeit zuvor auf der Brücke getan hatte, hielt seinen bebenden Körper, lehnte mit geschlossenen Augen ihre Stirn an seine Schulter. Monotones Rattern und Klappern begleitete sie. Gewöhnliche Geräusche, die man Tag täglich hörte und nie wirklich wahrnahm. Jetzt klang es wie lauter Baustellenlärm an einem verkaterten Morgen. Viel zu laut, störend, schmerzhaft. Die U-Bahn war ein guter Vergleich mit dem Leben. Gradlinig zog sie ihre Bahn, folgte vorbestimmten Wegen an ihren Weichen, blieb ab und an stehen. Neue Leute kamen dazu, alte gingen. Aber alles in allem blieb alles gleich. Zumindest solange nichts passierte, was den Zug erschütterte, ihn aus seiner Spur brachte, ihn niederriss und zerstörte. Simons Leben war keine solche gerade Linie mehr. Seine Strecke führte über einen bodenlosen Abgrund und die einzige Brücke darüber war zerschmettert worden. Er musste es ihr nicht einmal sagen. Sie wusste es auch so. Sein Verhalten, ihr Treffpunkt, dass er jetzt in ihren Armen lag, weinte, reichte aus um es zu wissen. Und es interessierte sie nicht, dass sie eben die Haltestelle verpasst hatten. Die Bahn würde wieder hier halten. Immer und immer und immer wieder. Lange saßen sie so da. Die alte Frau, der Mann und der Jugendliche waren schon lange ausgestiegen. Illundrial hob ihren Blick, sah sich um und entdeckte niemanden mehr in der Bahn. Sie waren ganz allein. Als gäbe es auf der Welt nur noch sie beide und einen vorbestimmten Weg, den noch keiner von ihnen kannte. Aber wollten sie das überhaupt noch? Einem Pfad folgen, von dem sie nicht wussten, wo er sie hinführte, der sie mit größter Wahrscheinlichkeit wieder in so eine Situation brachte. Oder für ein sorgloses, langweiliges, behütetes Leben sorgte. Aber ein Leben leben, das von etwas anderem bestimmt war? Die Anzeigetafel verkündete, dass der nächste Halt die Temple Station war. Die Zeit war ihr gar nicht solange vorgekommen. Schließlich dauerte es mehr als eine Stunde, ehe man auf dieser Strecke einmal im Kreis gefahren und erneut an denselben Stationen vorbei kam. „Wir müssen hier aussteigen“, stellte sie fest, nahm seine Hand und erhob sich. Simon sah zu ihr auf mit einer Art Verwunderung. Als hätte er eher erwartet, dass sie alleine ging. Aber sie hatte ihm versprochen, ihn nicht alleine zu lassen. Daher zog sie ihn einfach mit, bevor er etwas entgegnen konnte und ihr womöglich riet, doch besser alleine zu gehen, weil er sich nicht aufdrängen wollte. Doch er sagte nichts, kam einfach widerstandslos mit. Einsam und verloren lag der Bahnsteig vor ihnen, als sie ausstiegen und die Türen sich hinter ihnen wieder schlossen. Die gesamte Station war leer bis auf ein, zwei Obdachlose, die sich hier ein trockenes Lager für die Nacht bereitet hatten. Zumindest solange bis ein zuständiger Sicherheitsbeamter sie finden und des Platzes verweisen würde, wieder zurück in den Regen. Simon und sie würden sich selbst auch wieder dem Wetter aussetzen müssen. Nur hatte sie bei aller Aufregung vergessen, ihren Schirm wieder aufzuheben und mitzunehmen. „Es ist nicht mehr weit“, erklärte sie, als sie oben ankamen. Das Wetter hatte sich nicht verändert. Immer noch schlug das Wasser schwer auf den Boden, wäre auch ebenso gnadenlos zu ihnen, wenn sie hindurchgingen. Simon nickte nur, als sie zu ihm sah. Immer noch hielt sie seine Hand. Vielleicht um ihn nicht hinter sich in der Leere zu verlieren, vielleicht damit er es nicht selbst tat. Oder einfach nur um ihn fest zu halten. Nachdenklich blickte sie ihn an, ehe sie die Arme um sich schlang, da sich die Kälte wieder durch ihren nassen Mantel fraß. „Du hast es mir meine Frage nicht beantwortet“, sagte sie dann leise und er starrte zu Boden. „Ist es wichtig?“, fragte er dann leise nach, schloss die Augen, atmete tief durch. Er wusste es selbst, auch was sie antworten würde. Doch er fand nicht die richtigen Worte, fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht, sah sie wieder an. Er musste nicht viel sagen. Sie würde es auch so verstehen. „Meine ...“, begann er, stockte kurz, seufzte schwer. „Es gab einen Unfall und ...“ Wieder verstummte er. Sprach diesmal nicht weiter. Sie ermunterte ihn nicht dazu sondern legte ihm die Hand auf den Arm. „Komm“, forderte sie ihn sanft auf. „Zu mir ist es nicht mehr weit.“ Sie schenkte ihm ein aufmunterndes, verständliches Lächeln, als er sie ansah, umfasste dann erneut seine Hand. „Lass uns gehen.“ Kapitel 3: Szene Three: Home ---------------------------- Das Haus, in dem sich Illundrials Wohnung befand, war ein Altbau, etwas mehr als zehn Minuten von der Station entfernt. Sie waren schweigend durch den Regen gelaufen. Jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Simons Hand hatte sie nicht wieder losgelassen. Es gab ihr die Sicherheit, dass er noch da war, dass sie ihn nicht hinter sich verloren hatte. Durchnässt und frierend schloss sie mit klammen Fingern die schwere Holztür auf. Vorsichtig schob sie sie zurück, bückte sich dann um die rote Katze auf den Arm zu nehmen, welche versuchte nach draußen zu huschen. Das Tier miaute demonstrierend, versuchte sich aus dem Griff zubefreien, was ihr aber erst gelang, nachdem Simon die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er ging in die Hocke, ließ sie an seiner Hand schnuppern, ehe er ihr durch das weiche Fell strich. Leise miaute die Katze, fing an zu schnurren. „Sie heißt Fee“, verkündete Illundrial, hängte ihre Jacke auf, bevor sie kurz im Nebenzimmer, das Bad wie Simon anhand der Fliesen annahm, verschwand und mit einem kleinen Stapel Handtücher wiederkam, sie auf dem Schrank im Flur ablegte. Simon nickte, stand wieder auf. Fee strich um seine Beine, schnurrend, schnuppernd, sodass er aufpassen musste, dass er ihr nicht auf die Pfoten trat, während er sich die durchweichten Schuhe auszog. Als er wieder aufsah, ansetzte etwas zu sagen, trat Illundrial an ihn heran. Sanft nahm sie seinen Kopf in ihre Hände, küsste ihn ebenso zärtlich auf die Lippen. „Ich will nicht, dass das Letzte woran du heute denkst, die Brücke ist. Oder der Grund, warum du dort hingegangen bist“, erklärte sie ihm, bevor er fragen konnte, lächelte leicht. Die Schwermut war aus seinem Gesicht verschwunden, war Überraschung und Verwunderung gewichen. „Und vielleicht hilft es ja“, stellte sie fest. Als sie ihn wieder losließ, nahm er ihre Hand, sah sie an. Lebendige, blassgrüne Augen, die ihn besorgt und fragend aus einem weichen, weiblichen Gesicht herraus ansahen. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht hatte sie mit allem Recht, was sie zu ihm gesagt hatte, um ihn zum Mitgehen zu überreden. „Simon?“, sprach sie ihn leise an, bevor er sie zu sich zog, küsste. Er wusste nicht, warum er es tat. Er ging einfach einem Impuls nach, der zusammen mit dem Gedanken kam, dass es wahrscheinlich wirklich besser war, wenn er sich helfen ließ. Und sie stieß ihn nicht fort, erwiderte den Kuss mit geschlossen Augen. Simon legte die Arme um sie, hielt sich einfach an ihr fest. Es tat gut, dass sie da war. Dass sie ihn nicht hatte stehen lassen. Dass es sich anfühlte, als würden sie sich schon ihr ganzes Leben lang kennen und nicht erst wenige Stunden. Tapfer kämpften die Sonnenstrahlen gegen den Nebel, der noch über der Stadt hing. Sie tauchten die Dächer und das Wohnzimmer in warmes, goldenes Licht. Der Regen hatte in den Morgenstunden aufgehört. Die einzigen Überreste des Sturms glänzten im warmen Sonnenschein. Der Geruch von frischem Kaffee hing in der Luft und das einzige Geräusch kam vom Schnurren der Katze auf seinem Arm. Er hatte nicht viel geschlafen, fühlte sich dennoch fitter als in den letzten Tagen. Das lag an ihr. An der rothaarigen Schönheit, die noch immer schlief, eingehüllt in zwei schichten Decken. Er hatte sie noch nicht wecken wollen. Das hatte Zeit. Und im Moment war ihm das Alleinsein lieber. So fiel das Nachdenken leichter, auch wenn sein Kopf so gut wie leer war. Er konnte einfach keinen Gedanken lange genug greifen, um sich länger mit ihm zu befassen und alles, was ihm in den Sinn kam, hatte mit ihr zu tun. Weil sie der Grund ist, warum du noch hier bist, Simon. Ja, das stimmte. Ohne Illundrial würde er hier nicht stehen. Sie hatte ihm das Leben gerettet und das ohne ihn zu kennen. Ein weiterer Grund war wohl, dass er noch immer meinte, ihre Lippen auf seinen zu spüren, ihren Körper an seinem, als sie ihn im Arm gehalten hatte, nachdem er bei dem Versuch zu erzählen was passiert war wieder zusammengebrochen war. Aber er hatte begriffen, dass es nicht wichtig war, ob sie es wusste. Sie verstand ihn auch so. Ohne dass er etwas sagen, ohne dass er erzählen musste. Ein Blick genügte und sie verstand. Ihm kam in den Sinn, dass manche Menschen glaubten, Schutzengel würden sich in extrem Situationen in den verschiedensten Formen zeigen. Manche offensichtlicher als andere. Zwar glaubte er nicht daran, aber er fand den Vergleich äußerst treffend. Schließlich war sie so etwas wie ein Schutzengel gewesen letzte Nacht. Wie sein persönlicher Engel. „Du bist schon wach?“ Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich zu ihr um, ließ Fee wieder auf den Boden. Illundrial hatte immer noch das ausgewaschene Snoopy-Nachthemd an, schlang die Arme um sich, damit sie nicht fror. Ihre Haaren waren leicht zerzaust und ihr Blick verschlafen. „Ja, tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe“, entgegnete er mit einem leichten Lächeln. „Hast du nicht“, schüttelte sie den Kopf, gähnte hinter vorgehaltener Hand und schlurfte zu ihm hinüber ans Fenster. Sie sah kurz nach draußen, rieb sich die Oberarme, die durch die kurzen Ärmel des Hemdes frei waren. Simon nickte, legte die Arme um sie um sie zu wärmen. „Wie geht es dir?“, fragte sie dann, lehnte den Kopf an seine Brust und sah zu ihm auf. Sein Blick wanderte wieder nach draußen. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht und die Antwort fiel ihm nicht leicht. Er wusste es einfach nicht. Das, was passiert war, schmerzte, das Loch in seinem Leben würde nie ganz verschwinden, würde noch lange brennen. Dass es ihm gut ging, konnte er einfach nicht sagen. Aber es ging ihm auch nicht schlecht. Nicht schlechter als es verständlich war. „Simon?“, fragte sie nach, da er ihr nicht antwortete. Diesmal sah er zu ihr herab. Das heller werdende Licht malte tiefe Schatten in ihr Gesicht, der Schein zauberte ein goldenes Leuchten in ihre Augen. Er schenkte ihr einen sanften Kuss, ehe er wieder hinaussah und ihr antwortete. „Ich glaube heute wird ein guter Tag.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)