Zwischenwelten von Arle ================================================================================ Kapitel 4: Interesse -------------------- Beginn: 30.08.2009 Ende: 02.09.2009 Kapitel 4: Interesse Als Luca am nächsten Abend erwachte, kamen ihm seine Gedanken äußerst pathetisch vor und als er wenig später wieder im Klassenzimmer stand, schob er sie gänzlich beiseite. Dass ihn eine Hochzeit, wie sie tagtäglich überall auf der Welt stattfand, so melancholisch stimmte, war wirklich nicht feierlich. Ja, es war direkt albern. Seine verflossenen Liebhaber mochten viel Stoff für Gespräche und Grübeleien bieten, aber das war etwas, das er lieber anderen überlassen wollte. Alles hatte seine Zeit. Aurelio gehörte der Vergangenheit an. Boshaft lieferte sein Gedächtnis noch eine Reihe weiterer Namen auf die das ebenso zutraf, doch Luca ignorierte es. Es war eine viel zu angenehme Nacht um sich von so etwas die Laune verderben zu lassen. Außerdem würde der Unterricht heute sehr viel entspannter ablaufen, da zahlreiche Referate anstanden und er daher lediglich aufmerksam zuzuhören und entsprechende Bewertungen vorzunehmen hatte. „Hey!“ Luca schreckte aus seinen Gedanken auf, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Genauso wenig wie das Seufzen, das ihm auf der Zunge lag, das er jedoch für sich behielt. Er kannte die Ursache und Bedeutung dieses Wortes nur zu gut. Es war Kiras Standardformel, wenn er tatsächlich einmal einen Beitrag zum Unterrichtsgeschehen zu leisten beabsichtigte und der Ansicht war, dass die Reaktion darauf zu lange dauerte. Betont langsam wandte Luca den Kopf und bedachte den anderen mit seinem gekonnt verbindlichen Lehrerlächeln. „Ja, bitte?“ Die blauen Augen des Jüngeren blitzten auf, dann schien er wieder so gelassen und desinteressiert wie zuvor. „Da ist ein Fehler.“ Die Art wie er es sagte ließ ein schweres Vergehen vermuten und so vertiefte sich Luca noch einmal in die Betrachtung des Arbeitsblattes. Kira tippte auf das Blatt das vor ihm auf dem Tisch lag und starrte die Referentin mit unnachgiebigem Blick an. Entgegen seiner ersten Intention überflog Luca den Inhalt nur und musste ihm wohl oder übel recht geben. Es war sogar ein ziemlich schwerwiegender Fehler. Erstaunlicherweise hatte er nichts mit der Familiengeschichte der Feroces zu tun, was erklärt hätte warum ausgerechnet Kira derjenige war, dem es als ersten auffiel. Leises Gemurmel ging durch den Raum und Luca beschloss dem armen Mädchen zu Hilfe zu kommen, dem die Sache ganz offensichtlich furchtbar unangenehm war. Sie sprach ohnehin nicht gern vor Publikum und war abgesehen davon immer sehr um die Korrektheit ihrer Aussagen bemüht. Kira wusste das, davon war Luca überzeugt. Deshalb ärgerte es ihn, dass der andere es auf diese Weise hatte sagen müssen. „Das ist sehr aufmerksam von dir Kira“, erwiderte er in süß-säuerlichem Ton, der es für die anderen wie ein Lob, für den Jüngeren wie einen leisen Hinweis erscheinen ließ. „Es freut mich, dass du den Unterricht mit so viel Interesse verfolgst.“ Das kurzzeitig im Saal aufgekommene Lachen verstummte unter den Blicken des Adligen sehr schnell wieder. Luca wusste, dass sein Verhalten pädagogisch nicht gerade wertvoll gewesen war, aber er war im Moment vielmehr damit beschäftigt die Referentin, die nach dem plötzlichen Einwurf völlig aus dem Konzept gekommen war, zum weiterreden zu ermutigen. Er wusste ziemlich gut darüber Bescheid, welche Probleme seine Schüler mit sich herumschleppten und kannte die zahlreichen Komplexe, die sich unter den Jungvampiren ungerechterweise so ungleichmäßig verteilt hatten. Kira hätten ein oder zwei davon wirklich gut gestanden. Es war erstaunlich, was ein paar aufrichtige, aufmunternde Worte bewirken konnten. Nur ein paar Worte und sie lächelte so glücklich, als habe er sie vor einem schrecklichen Unheil bewahrt. Vielleicht waren es Moment wie dieser, die dafür sorgten, dass er sein Lehrerdasein nicht aufgab. Zumindest machten sie es erträglicher und gaben ihm das Gefühl, dass seine Bemühungen wenigstens nicht ganz umsonst waren. Bei dem Gedanken daran, dass es ausgerechnet dieser Ort und diese Umstände waren, die ihm das Gefühl gaben gebraucht zu werden, hätte er um ein Haar das Gesicht verzogen. Und er tat es nur deshalb nicht, weil die junge Vampirin es ganz sicher missverstanden hätte. Aber dass er dieses Gefühl ausgerechnet hier und bei einer Tätigkeit wie dieser finden würde, war wirklich Ironie des Schicksals. Nachdem auch der letzte Vortrag sein Ende gefunden hatte, konnte er eine durchaus positive Bilanz ziehen. Insgesamt betrachtet war das Ergebnis äußerst zufriedenstellend. Seine Schützlinge hatten sich wirklich ins Zeug gelegt, wenn auch zugegebenermaßen nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Die üblichen Leistungsverweigerer hatten zuerst eine Drohung erhalten und dann eine zweite Chance eingeräumt bekommen und abgesehen davon konnte er nicht leugnen, dass es tatsächlich berechtigten Anlass dazu gab, stolz auf seine Schüler zu sein. Im Moment stellte sich seine Klasse den Herausforderungen der anderen Lehrer und so blieb ihm genug Zeit, um die restlichen Arbeiten zu korrigieren und sich auf den nächsten Schultag vorzubereiten. Es versprach eine wirklich angenehme und entspannte Nacht zu werden. Nicht, dass er ernstlich etwas gegen Abwechslung und Spannung gehabt hätte, aber die Abwechslungen an dieser Schule bedeuteten selten etwas Gutes und Spannung zeigte sich eher in Form von Spannungen zwischen einzelnen Personen, deren Bestehen nicht wirklich angenehm war. Seine Einschätzung der Lage geriet schlagartig ins Wanken, als er den Besucher auf dem Gang, der zum Lehrerzimmer führte, entdeckte. Der Blick der kalten Augen war direkt auf ihn gerichtet. Er hatte Kira noch nie besonders fröhlich oder gar ausgelassen erlebt, aber die Kälte, die ihm jetzt aus den abweisenden Spiegeln seiner Seele entgegenstrahlte, war ihm fremd. Wäre er jünger gewesen, es hätte ihm Angst gemacht oder zumindest einen eisigen Schauer über den Rücken gejagt. So aber löste es kaum mehr als milde Überraschung bei ihm aus. Luca bemühte sich gar nicht erst um ein Lächeln. Es wäre nicht echt gewesen und er war sich ziemlich sicher, dass auch Kira das wusste. Tatsächlich zeigte er ihm sein Lächeln für gewöhnlich nur dann, wenn er ein Gespräch für beendet hielt oder aber die Distanz zwischen ihnen betonen wollte. Warum das so war wusste er nicht. „Solltest du nicht im Unterricht sein?“, fragte er und ganz unwillkürlich erschien ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen. Vielleicht weil er ahnte, dass dem anderen diese Frage nicht gefallen würde und sie ganz sicher nichts mit seinem Hiersein zu tun hatte. „Ich habe mich freistellen lassen“, war die unterkühlte Antwort. Luca suchte in seiner Tasche nach dem Schlüssel und unterließ es, einen bissigen Kommentar anzufügen. Wie hatte er auch so naiv sein können danach zu fragen? Seine Majestät hatte selbstverständlich ein Alibi. „Und mit welcher Begründung?“, fragte er mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme. „Ich schaffe es sonst nicht in Ihre Sprechstunde.“ Das hielt Luca für ein Gerücht. Sofern sie es vorher anmeldeten, waren Treffen mit ihm grundsätzlich zu fast jeder Tages- und Nachtzeit möglich. Gelegentlich gab es auch so etwas wie Notfälle, aber für gewöhnlich waren die Probleme der Jungvampire nicht übermäßig schockierend und eigentlich immer zu lösen. Dass er sich seit einiger Zeit bei einer ganzen Reihe von Schülerinnen unterschiedlichen Alters einiger Beliebtheit erfreute, war sicherlich auch auf dieses Engagement zurückzuführen. Ein anderer Grund fiel ihm nicht ein. Es mochte ja ganz schmeichelhaft sein, von jungen Mädchen umschwärmt zu werden, aber wenn er ehrlich war empfand er es eigentlich eher als störend. Selbst wenn man davon absah, dass seine Erfahrungen mit Frauen nicht allzu umfangreich waren. Inzwischen hatte er den Schlüssel gefunden und schob ihn nun in das alte, kunstvoll gestaltete Schloss. „Und weil ich so sicher sein kann, dass uns niemand stört.“ Luca war sich nicht sicher wie der andere auf diese Idee kam, musste aber schließlich einräumen, dass er zumindest nicht ganz Unrecht hatte. Wozu ihre Zweisamkeit allerdings unbedingt notwendig sein sollte, entzog sich seiner Kenntnis. Vermutlich wäre dies der richtige Moment gewesen um Angst zu haben, aber er war kein Mensch und mit einem Vampir dieses Kalibers wurde er noch spielend fertig. Daher konnte er die versteckte Drohung auch nicht wirklich ernst nehmen. „Muss ich Kronos fragen, ob er damit einverstanden war, dass du dir frei nimmst?“ Er musterte den anderen sehr genau, doch der verzog keine Miene. „Wenn Sie meinen“, erwiderte er betont gelangweilt und ließ seinen Blick durch den Gang schweifen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bluffte der Jüngere, doch Luca beließ es dabei. Ein lautes metallisches Knacken war zu hören, dann öffnete er die schwere Holztür und betrat, gefolgt von einem finster dreinblickenden Kira, das Lehrerzimmer. Während es die Höflichkeit jedem anderen Vampir geboten hätte, sich zumindest nicht so auffallend abfällig mit der Innenausstattung des Raumes zu beschäftigen, kannte Kira diesbezüglich keine Scheu. Und wie es für den Adel üblich war, ließ er sich Zeit damit das zu tun, was man von ihm erwartete. Was in diesem Fall die wenig anspruchsvolle Aufgabe gewesen wäre Platz zu nehmen und sein Anliegen vorzutragen. Stattdessen inspizierte er überaus aufmerksam seine Umgebung. Luca hatte keinen Zweifel daran, dass der Jüngere ein ausgezeichneter Jäger war. Allerdings gab es in diesem Raum nichts, das solche Beachtung verdient hätte. Es gab hier nichts, das er jagen konnte. Luca nahm auf seiner Seite des Lehrertisches Platz und nutzte die Gelegenheit, um die Arbeiten, die noch relativ willkürlich verstreut lagen, ein wenig zu ordnen. Als er wieder aufsah, hatte Kira offenbar gerade etwas Interessantes entdeckt. Er hielt inne und starrte auf den Boden, als wäre ihm dort zum ersten Mal ein besonders schönes Muster ins Auge gefallen. Aber das war höchst unwahrscheinlich. Das Parkett war vollkommen ebenmäßig. Es gab dort nichts zu entdecken. Luca stutzte. Es sei denn... „Von wem war der Brief?“ Wieder schlich sich ein Lächeln auf seine Züge, doch er entschloss sich die Frage zu ignorieren. Dieser Junge war wirklich erstaunlich. Insofern verdiente er tatsächlich Respekt, aber das änderte nun einmal nichts daran, dass es ihn nichts anging. Dennoch war es erstaunlich, dass Kira annahm, dass er den Brief erhalten hatte. Er war weiß Gott nicht der Einzige, der diesen Raum nutzte und im Grunde genommen hätte ihn jeder dort verbrennen können. Entweder besaß der Jüngere eine bewundernswerte Kombinationsgabe oder er bluffte. Doch da sprach der andere auch schon weiter. „Er trug ein Siegel, so etwas benutzen nur Adlige. Wen aus unseren Reihen kennen Sie so gut, dass er Ihnen schreiben würde?“ Jedes Wort war eine Unverschämtheit für sich, aber Luca kannte derlei Anfeindungen zur Genüge und hatte sie einfach schon zu oft von Leuten gehört, die weitaus gefährlicher waren als Kira. Im Vergleich dazu waren die Angriffe des Jüngeren kaum mehr als das Bellen eines Welpen. Doch Luca wusste, wie er mit solchen Situationen und Personen umzugehen hatte. Ihn offen zurechtzuweisen oder zu kritisieren würde nichts nützen, dagegen war der andere relativ unempfindlich. Kira und sein Verhalten einzuschätzen barg eine gewisse Herausforderung, aber er kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er es ihm auch auf andere Art und Weise deutlich machen konnte. Der Jüngere konnte es nämlich nicht ausstehen, wenn er auf seine Fragen keine Antwort erhielt – also strafte er ihn mit Schweigen. Und das war etwas, mit dem der andere nur sehr schlecht umgehen, das ihn sehr schnell äußerst aggressiv machen konnte. In diesem Fall jedoch erkannte er offenbar, dass er so nicht weiterkam. Was ihn allerdings nicht zu einem Strategiewechsel veranlasste sondern lediglich dazu, an einem anderen Punkt anzusetzen. „Warum haben Sie ihn verbrannt?“ Dieser Junge war wirklich erstaunlich. Außer ihm gelang es nur sehr wenigen, dieses distanzierte Lächeln auf seinem Gesicht einzufrieren. Mittlerweile hatte Kira ihm gegenüber Platz genommen. Luca beugte sich ein wenig vor und fixierte die blauen Augen seines Gegenübers. Was für eine schöne, kalte Farbe. Wäre er älter gewesen, sie hätte direkt etwas Anregendes gehabt. Aber er war wie ein Kind, das man mit Waffen ausgestattet hatte, die es nicht zu gebrauchen vermochte. Obwohl Kira das sicher anders gesehen hätte. In seinen Augen war seine Macht über andere bereits jetzt enorm. In der Realität zeigte sich diese Wirkung eigentlich nur bei seinen Altersgenossen. „Damit neugierige kleine Kinder ihre Nasen nicht in Angelegenheiten stecken, die sie nichts angehen.“ Er hatte es freundlich, bedauerlicherweise aber auch etwas drohender gesagt als beabsichtigt. Bei diesem Jungen musste er wirklich Acht geben. Nicht nur, dass er intelligent und intrigant war, sein Verhalten verleitete ihn immer wieder zu unbedachten Äußerungen. Normalerweise zeigten Worte beim hohen Adel meist wenig Wirkung. Ihre Ignoranz ermöglichte es ihnen quasi zu jeder Zeit über den Dingen zu stehen. Und sie machten auch kein Geheimnis daraus. Im Gegenteil. Sie ließen es ihre Mitvampire mit Vorliebe spüren. Dies hier schien allerdings die positive Ausnahme zu sein. Im Raum herrschte absolute Stille. Wieder musterte Luca die Augen des anderen. Eine wirklich schöne Farbe. Wenngleich ihr Blick so kalt war, als wolle er seine Seele einfrieren. Luca machte sich nichts daraus und beschloss stattdessen, das Gespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken. „Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund dafür, warum du nicht lernen willst?“ Ein überflüssige Frage. Es gab weit mehr als nur einen Grund und die meisten davon waren ihm bereits bekannt. Aber es war nur fair zuerst mit Kira zu sprechen, bevor er sich an dessen Eltern wandte und es kam schließlich nicht oft vor, dass der Jüngere ihn freiwillig aufsuchte. Und warum sollte er eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen? Der Blick seines Gegenübers veränderte sich, auch wenn er nicht genau hätte sagen können inwiefern. „Waren Sie mit meinem Vortrag nicht zufrieden?“ Luca lächelte. Ein äußerst kluger Schachzug, aber die Partie hatte gerade erst begonnen. „Er war tadellos. Das Problem ist nur“, er klopfte mit der flachen Hand auf den Stapel korrigierter Arbeiten, „dass er gerade ausreicht, um deine letzte Klausurnote wieder einigermaßen wettzumachen.“ Kira erwiderte nichts. Warum auch? Das Thema interessierte ihn nicht, was er mit einem gelangweilten Schulterzucken unterstrich. „Das Niveau war so niedrig, ich dachte es sind Scherzfragen.“ Luca überging die Unhöflichkeit ein weiteres Mal. „Nun, es wäre schön, wenn du sie trotzdem beantworten würdest. Wenn du sie so amüsant findest, dann gerne auch humoristisch. Das würde die Korrektur der Arbeiten deutlich unterhaltsamer machen.“ Wieder herrschte Schweigen. Obwohl es ganz sicher nicht die Aufgabe eines Lehrers war, seine Schüler zu reizen, fand Luca es amüsant zu beobachten, wie der verwöhnte Adelsspross allmählich die Geduld verlor. Und nur ein paar Sekunden später hielt er es ganz offensichtlich für nötig, seinem Ärger Luft zu machen. „Flirten Sie immer so offensichtlich mit Ihren Schülerinnen?“ Ehrlich verblüfft sah Luca den anderen an. Es dauerte einen Moment bis ihm klar wurde worauf der Jüngere anspielte und dass dies wahrscheinlich der Grund für sein Hiersein war. Er ließ die Szene im Klassenzimmer noch einmal Revue passieren, konnte sich aber beim besten Willen nicht daran erinnern irgendetwas gesagt oder getan zu haben, das diese Unterstellung nahegelegt, geschweige denn gerechtfertigt hätte. Wenn er sich recht erinnerte hatte er so etwas wie 'Das ist kein Problem, korrigiere es bis zum nächsten Mal' und noch ein paar andere aufmunternde Worte gesagt. Sah man mal davon ab, dass der Vorwurf an sich schon völlig absurd war, so stand zumindest eines ganz eindeutig fest: Der andere hatte ihn noch nie flirten sehen. Sonst hätte er es ganz sicher nicht mit seinem lehrtechnischen Engagement verwechselt. Interessant war allerdings, dass ihn dieses Thema überhaupt beschäftigte. Nicht dass das grundsätzlich etwas Besonderes gewesen wäre, aber dass es Kira im Hinblick auf ihn interessierte war tatsächlich ungewöhnlich. Mühelos hielt er dem frostigen Blick des Jungen stand und konterte wie gewohnt mit einem Lächeln. „Ich nehme an, dir ist bewusst, dass dieser Vorwurf lächerlich ist. Ich habe sie lediglich dazu ermutigt weiterzusprechen. Dein Einwurf hatte sie ziemlich aus dem Konzept gebracht.“ „Ich hatte recht“, erwiderte der Jüngere kühl und erinnerte Luca einmal mehr an ein störrisches Kind. Es reizte direkt dazu, ihn auf den Arm zu nehmen – wenn auch nur im übertragenen Sinne. „Zweifellos, aber ich wäre dir dankbar, wenn du es das nächste Mal ein wenig...angemessener formulieren könntest.“ „Angemessener?“ „Feinfühliger.“ Kira schnaubte verächtlich. Es war offensichtlich, dass er die Diskussion nicht nur lästig, sondern auch lächerlich fand. Luca dagegen fand sie eher amüsant. Eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich wich die starre Kälte aus dem Blick des Jüngeren. Allerdings war Luca sich nicht sicher, ob ihm das, was er jetzt darin erkannte, gefiel. Der andere lehnte sich über den Tisch und überschritt damit ganz eindeutig die kritische Distanz zwischen ihnen. Luca beobachtete sehr aufmerksam jede Bewegung des Vampirs. Dann lag die Hand des anderen plötzlich auf der seinen. Eine erstaunliche Kraft ging von ihr aus, die Luca überraschte. Ein gefährlicher Junge, ohne Zweifel. „Sie haben nicht besonders viel Respekt vor dem Adel. Halten Sie das für klug, Meister?“ Seine Stimme konnte ungewöhnlich tief sein, wenn er jemandem drohte und gerade jetzt tat er es. Ein schöner Klang. Noch ein paar Jahre, vielleicht Jahrzehnte und er würde mit dieser Stimme Angst und Schrecken verbreiten können. Unabhängig davon ob sein Gegenüber ein Mensch oder ein Vampir war. Luca lächelte. Die Zukunft dieses Jungen schien ihn ja brennend zu interessieren. Offenbar hatte der andere also doch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Würdest du das bitte unterlassen?“, fragte er betont höflich und deutete mit dem Kopf in Richtung seiner Hand. „Warum sollte ich?“, fragte der andere. „Ich möchte nicht in den Verruf geraten, ich würde mit meinen Schülern flirten.“ Das Gesicht des Jüngeren verfinsterte sich und Luca konnte nicht leugnen, dass es ihn amüsierte. Besonders der Adel reagierte äußerst empfindlich, wenn man seine eigenen Worte gegen ihn verwendete. Kira zog die Hand zurück, doch seine Augen zeigten eine ganz ungewöhnliche Entschlossenheit. „So wie es aussieht, sind wir offenbar nicht die Einzigen, die eine Erziehung nötig haben. Ganz offensichtlich habt Ihr die wichtigste Lektion unserer Welt vergessen, Meister. Gehorsam gegenüber ranghöheren Vampiren und absolute Loyalität gegenüber dem Adel.“ Luca war überrascht über die Härte in der Stimme des anderen, doch schließlich lächelte er. „Wie ich sehe, hast du deine Lektion gelernt, aber gestatte mir dich ebenfalls von einem nicht weniger bedeutsamen Umstand in Kenntnis zu setzen.“ Ihre Gesichter waren kaum mehr als ein paar Zentimeter voneinander entfernt und von einem Moment zum anderen wirkten die dunklen Augen Lucas nicht weniger bedrohlich als die des Jungen. „Solange du dich innerhalb dieser Mauern befindest, bin ich derjenige, der Befehlsgewalt besitzt. Und wenn ich dir oder den anderen etwas sage, dann habt ihr dem Folge zu leisten. Und erwarte nicht, dass die Strafen bei Zuwiderhandlung allzu milde ausfallen. Solange du Schüler dieser Schule bist, sind dein Rang und deine Herkunft vollkommen bedeutungslos.“ Er lehnte sich zurück, ließ seine Fingerspitzen einander berühren und musterte ihn mit einer Mischung aus Amüsement und Warnung. „Überlege dir also gut wem du drohst und wen du dir zum Feind machst.“ Dann herrschte undurchdringliches Schweigen. Der Jüngere schien für den Moment völlig perplex zu sein. Eine Tatsache, die nicht weiter verwunderlich war – Kira war es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Nur ein paar Sekunden später war es, als habe jemand einen unsichtbaren Schalter umgelegt. Offenbar hatte der andere wieder zu sich selbst gefunden, denn Luca schlug eine solche Zorneswelle entgegen, dass er das Gefühl hatte er müsse nur die Hand ausstrecken um sie greifen zu können. Draußen schlug eine Glocke die neunte Stunde und die Uhr im Zimmer ließ ihr höhnisches Gelächter erklingen. Der zehnte Schlag kam von der Tür, die der Jüngere mit aller Gewalt hinter sich zugeworfen hatte. Kapitel 4 - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)