La Principessa von abgemeldet (Drum prüfe, wer sich ewig bindet...) ================================================================================ Kapitel 1: Heinrich der Schüchterne ----------------------------------- Das ratternde Geräusch von über Kopfsteinpflaster rollenden Rädern, kontrapunktiert vom gleichmäßigen Klappern beschlagener Pferdehufe verklang unbeachtet auf der belebten Straße der Stadt, während die Verursacher dieses alltäglichen Lärms den Ort bereits wieder verließen, der Straße bergan folgend, hinauf zu dem über der Stadt thronenden Bergfried, dem Ziel ihrer Reise. In gleichmäßigem Tempo rumpelte die Kutsche über den unebenen Fahrweg und schaukelte die Insassen beständig hin und her, während fünf bewaffnete Reiter schützend Kalesche begleiteten, in der die Tochter Fürst Georgs saß. Sie waren bereits seit einer geraumen Weile unterwegs, um die Prinzessin auf Geheiß des Vaters zu ihrem Verlobten zu bringen. Die Ehe war arrangiert worden, als die Beiden noch in Windeln lagen und einzig aus dem Grund noch nicht in die Tat umgesetzt, weil der Bräutigam, der trotz seiner Jugend bereits die Regentschaft seines Landes inne hatte, keinerlei Interesse bekundete bald zu heiraten und es der Braut bisher stets gelungen war, bei ihren Eltern einen Aufschub zu erwirken. Nun jedoch war in dem kleinen, wohlhabenden Fürstentum Karelien eine Epidemie ausgebrochen, die auch die Fürstin nicht verschont hatte. Um zu verhindern, dass auch noch seine Tochter erkrankte, hatte Fürst Georg beschlossen, sie zu ihrem Verlobten zu schicken, in der Hoffnung auf diese Weise sein Kind nicht nur vor der Ansteckung zu schützen, sondern auch die beabsichtigte Heirat erfolgreich voranzutreiben. Johanna kannte die Gründe, warum sie den Fürsten des Nachbarlandes heiraten sollte: Zum einen waren ihr Vater und der Vater des jetzigen Fürsten von Lentua bis zum viel zu frühen Tod des Letzteren gut miteinander befreundet gewesen. Zum anderen bot diese Ehe beiden Fürstentümern die Möglichkeit ihr Gebiet, ihre Einkünfte und somit auch ihre Macht zu vergrößern. Doch trotz dieser Tatsachen verspürte die Prinzessin nicht die geringste Lust zu heiraten, obwohl sie bereits das fortgeschrittene Alter von 22 Jahren erreicht hatte und zu heiraten nun einmal das war, was man von einer Prinzessin erwartete. Dieses Mal hatte sich der Vater nicht von den Bitten seiner Tochter erweichen lassen, sie doch am Krankenbett der Mutter bleiben zu lassen, bis es dieser wieder besser ging. Stattdessen hatte er mit aller Strenge darauf bestanden, dass sie umgehend abreiste. So hatte sich Johanna denn schließlich widerwillig gefügt und schaukelte nun mehr oder weniger sanft einer in ihren Augen doch recht fragwürdigen Zukunft entgegen. Ihre Skepsis wurde auch nicht geringer, als die Kutsche über die herabgelassene Zugbrücke in den Innenhof der alten, bedrohlich wirkenden Trutzburg fuhr, in der Fürst Heinrich Hof hielt. Während der Hauptmann der Gardisten den drei Hofdamen Johannas aus der Kutsche half, nachdem er zuvor dasselbe bei der Prinzessin getan hatte, und gleichzeitig die junge Zofe Johannas vom Kutschbock sprang, wo sie während der Fahrt gesessen hatte, sah die Prinzessin prüfend an den düsteren Wänden der Burg hinauf und konnte sich des Gedankens nicht erwehren in diesen Mauern lebendig begraben zu werden. Unterdessen hatte sich unter den neugierigen Augen einiger Zuschauer, die müßig herumstanden und sich nicht hatten entgehen lassen wollen zu sehen, wer da in fürstlicher Kalesche und bewaffneter Begleitung in die Burg gerollt kam, die große, wuchtige Eingangstür am Ende der imposanten Freitreppe geöffnet und der Haushofmeister Fürst Heinrichs trat hastig heraus. Gleich darauf auf die Prinzessin und ihre Begleiter zueilend, sie unter Bücklingen begrüßend und sich wortreich dafür entschuldigend, dass der Fürst sie nicht persönlich empfange. Es war in der Tat äußerst unhöflich, dass trotz der Ankündigung durch einen Boten niemand von der Ankunft Johannas zu wissen schien und Fürst Heinrich es offensichtlich noch nicht einmal für notwendig befand seine Braut persönlich willkommen zu heißen. Es zeugte umso mehr von der Erziehung Johannas, dass sie diese Kränkung um des Friedens der beiden Fürstentümer willen schweigend überging und lediglich die Begrüßung höflich dankend entgegen nahm. Noch immer zerknirscht und mit nervösem Übereifer komplimentierte der Haushofmeister die Gäste seines Herren in das Innere der Burg, ihnen zunächst eine hastig angerichtete Erfrischung anbietend, ehe er sie schließlich zu ihren Gemächern führte. Während Ruth, die Zofe, sich sofort daran machte, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Prinzessin in den Zimmern wohlfühlen konnte und sich auch um die Kleider ihrer Herrin kümmerte, entrüstete sich Carlotta, die temperamentvollste der drei Hofdamen, wortreich darüber, wie man in dieser Burg mit Ehrengästen umging: „So eine Unverschämtheit! Uns zu behandeln! Als wären wir irgendwelche dahergelaufenen Nichtsnutze und Ihr nicht seine lang versprochene Braut! Wie kann ein Fürst nur so schlechte Manieren haben, an den Pranger stellen sollte man ihn…“ „Ich bin sicher, er hat es nicht böse gemeint. Vielleicht hat er einfach nur den Tag verwechselt und glaubt, wir kommen erst morgen“, wie so oft war es Clarissa, die mit sanfter Stimme versuchte die Wogen zu glätten, Erklärungen und Entschuldigungen zu finden, begütigend bemüht war, das Temperament der jüngsten Hofdame zu befrieden. „Der Pranger ist für Untertanen, meine Liebe, Fürsten genießen das Recht sich so schlecht benehmen zu dürfen wie sie wollen. Und sollte er tatsächlich ein so schlechtes Gedächtnis haben, dass ihm die Ankunft seiner Braut entfällt, wäre es vielleicht angebracht seine Regentschaft ein wenig zu überdenken“, Clementia klang sachlich, während sie mit beiläufiger Leichtigkeit die Erklärungsversuche der Älteren demontierte und Öl in die Flammen von Carlottas Zorn goss. Eine Weile hörte Johanna ihren Hofdamen mit amüsierter Neugier zu, erklärte jedoch schließlich bestimmt: „Genug jetzt. Der Fürst mag einen Fehler begangen haben, aber da ich ihn nun einmal heiraten muss, bringt es nichts, schon vor der Hochzeit böses Blut zu stiften. Soll er sich daneben benehmen, mein Vater wird keinen Anlass haben etwas Ähnliches über uns zu hören zu bekommen.“ Ein wenig betreten neigten die Damen ihre Köpfe und erklärten beinahe unisono: „Wie Ihr wünscht, Prinzessin.“ Auf diese Antwort hin nickte Johanna nur und fügte hinzu, während sie sich bereits von ihren Hofdamen ab- und dem Fenster zuwandte: „Ihr dürft euch zurückziehen. Ruth wird euch holen, sollte ich euch brauchen.“ Leises Rascheln verriet, dass die Damen gehorsam knicksten und gleich darauf nahezu geräuschlos das Zimmer verließen. Johanna hatte den formvollendeten Höflichkeitsbezeugungen keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern währenddessen aus dem Fenster in den Hof hinab gesehen. Auch als Clarissa, Carlotta und Clementia längst das Zimmer verlassen hatten, blieb sie reglos am Fenster stehen und verglich in Gedanken ihr zu Hause mit dem Ort, an dem sie von nun an leben sollte. Wehmütig dachte die Prinzessin daran wie hell und weit, freundlich und einladend das Schloss ihrer Eltern wirkte. Erst recht im Vergleich zu dieser für Kriegszeiten errichteten Feste, die einen strengen, asketischen und abweisenden Eindruck machte. Es gab nicht den einfachsten Springbrunnen, nicht die kleinste Blumenrabatte, um die Kargheit der Burg aufzulockern. Einzig die Freitreppe war Beweis für den Versuch die Trutzburg einladender zu gestalten. Ein Versuch, der kläglich gescheitert war und nun schrecklich fehl am Platz wirkte. Aus dem Hof klang plötzlich das Geräusch von Pferdehufen herauf und neugierig sah Johanna hinunter, um herauszufinden wer der Verursacher dieser Geräusche war. Wie sich zeigte, war es Fürst Heinrich höchstpersönlich, der offenbar gerade in Begleitung von einigen Bediensteten und dem Hofgeistlichen von der Jagd zurückkehrte. Noch während der Fürst vom Pferd stieg, eilte auch schon erneut der Haushofmeister herbei, wohl um seinen Herrn über ihre Ankunft zu informieren. Zumindest nahm Johanna dies an, denn der Fürst hob kurz darauf den Kopf und sah in Richtung des Fensters, hinter dem die Prinzessin bis zu diesem Moment gestanden hatte, ehe sie hastig einen Schritt zurücktreten war, um nicht beim Spionieren ertappt zu werden. Johanna war bereits eine Weile ruhelos in ihrem Zimmer auf- und abgeschritten, sowohl um die noch immer von der Reise verspannten Muskeln zu lockern, als auch um besser darüber nachdenken zu können, wie sie sich ihrem Verlobten gegenüber verhalten sollte, den sie kaum kannte, als es schließlich an ihre Zimmertür klopfte und gleich darauf Fürst Heinrich eintrat, noch immer in Stiefeln und mit Reitgerte in der Hand, die hellen Haare von der Jagd zerzaust. Das lederne Wams, das der Fürst über der dunklen, enganliegenden Hose trug, war mit kostbarem Pelzbesatz versehen. Es hätte jedoch nicht dieser Tatsache bedurft, um in Erfahrung zu bringen, dass Heinrich ein passionierter Jäger war. Die an den Wänden hängenden Tierköpfe, die als Sitzpolster und Zierdecken für Truhen und als Kaminvorleger dienenden Felle sowie die in allen möglichen Nischen aufgestellten Präparate von Raubtieren waren in dieser Hinsicht bereits mehr als deutlich gewesen. Die Prinzessin war jäh stehen geblieben, als es geklopft hatte und beobachtete nun scheinbar gelassen, mit fest ineinander verschränkten Händen wie Heinrich selbstbewusst den Raum durchquerte und neben dem Kamin stehen blieb, offenbar annehmend, dass er dort besonders imposant wirken würde. Anschließend verschränkte er seine Hände auf dem Rücken und schwieg für kurze Zeit, als erwarte er zuerst von Johanna begrüßt zu werden. Diese jedoch weigerte sich gleichfalls als Erste zu sprechen, ohne dem Blick Heinrichs auszuweichen, sodass es schließlich dieser war, der sich räuspernd den Blickkontakt abbrach und äußerte: „Da seid Ihr also.“ Kurz war Johanna versucht eine spöttische Antwort zu geben, erwiderte jedoch letztlich nur: „Wir Ihr seht.“ „Tja, nun…“, wieder ein Räuspern, bevor der Fürst erklärte: „Ich hatte nicht so bald mit Euch gerechnet. Aber da Ihr nun schon einmal hier seid, habe ich veranlasst für heute Abend ein Festessen vorzubereiten.“ Ungehalten überlegte die Prinzessin, ob der Fürst dafür tatsächlich ihren Dank erwartete und entschied sich, diesem darauf gar keine Antwort zu geben. Heinrich hatte während dieser kurzen Unterhaltung bereits beträchtlich an Überlegenheit eingebüßt und begonnen - entweder aus Ungeduld oder Verlegenheit - mit der Reitgerte gegen seinen Stiefel zu schlagen. „Nun, ich nehme Euer Schweigen als Zustimmung“, meinte er schließlich verdrossen, wandte sich abrupt ab und verließ mit langen Schritten eilig wieder das Zimmer. Eine Prinzessin zurücklassend, die mehr denn je daran zweifelte, dass mit diesem Mann verheiratet zu sein, irgendetwas Positives mit sich bringen würde. Nichts desto trotz fand sich Johanna am Abend zusammen mit ihren Hofdamen in der großen Halle des Kastells ein, wo sich neben dem Fürsten und einem Ordenspriester auch der Haushofmeister und einige Höflinge befanden. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise“, eröffnete der Pater schließlich das Gespräch, nachdem die allgemeine Vorstellung ihr Ende gefunden und man sich zu Tisch gesetzt hatte. Dankend bestätigte Johanna die Hoffnung des ihr gegenüber, zur Linken des Fürsten sitzenden Priesters und fügte hinzu: „Auf dem Weg hierher sind wir nicht weit vor der Stadt an einer Statue vorbeigekommen, einem Mann, der mitten auf dem Feld Ski zu laufen scheint.“ Fra Angelico nickte wissend und erklärte bereitwillig: „Das ist Heikun Piettar, der Fjeldwanderer.“ „Und warum hat man ihm ein Denkmal gesetzt?“, nicht nur Carlotta wirkte neugierig als sie diese Frage stellte. „Als es das Feld noch nicht gab, sondern sich dort ein Moor befand, stahl Piettar einem alten Mann ein Lappenfell und einen Rentierbug. Der Alte jedoch war ein Zauberer und verfluchte den Dieb, er solle sein Leben lang ruhelos umherlaufen, über Moore und Fjelde sollte er trotten, wie ein hungriger Wolf, wenn er ihm nicht das gestohlene in seine Hände zurücklegte. Piettar aber lachte nur über den Fluch des Alten und dachte nicht daran, ihm die Sachen zurück zu geben. Eines Abends jedoch, als er Rentiere am Fjeld im dunklen Wald hütete überfiel ihn eine seltsame Unruhe. Von einem Moment auf den anderen schmerzte seine Brust, konnte er nicht mehr sprechen, nicht mehr pfeifen und singen vor Anspannung. Selbst sein Hund, sein treuer Weidegefährte wollte von einem Moment zum anderen nichts mehr mit ihm zu tun haben und aus dem Dunkel des Waldes schien ihn der Zauberer gehäßig anzugrinsen. Piettar heulte auf, wie ein angeschossener Wolf, stürzte auf seine Skier und rannte davon als wäre ihm der Teufel auf den Fersen. Seit dem war er auf der Flucht, zwang ihn der Zauber zu wandern, gleichgültig ob es Frühling war oder Herbst, ob der Frost klirrte oder die Sonne brannte. Er musste Laufen als ginge es ums nackte Leben.“ „Der Arme“ Clarissas Stimme war voller Mitgefühl für die Seele des armen Wanderers. „Ist es ihm denn gelungen, den Fluch zu brechen?“ Fra Angelico schüttelte bedauernd den Kopf, „er hat es versucht, viele Male. Aber der Zauberer war verschwunden und niemand wusste, wohin er gegangen war. Trotzdem hat Piettar versucht, seine Sündenlast los zu werden, sich sogar selbst zu töten und musste doch einsehen, dass der Fluch der Fjelde furchtbar ist – und unwiderruflich. Man erzählt sich, dass er selbst heute noch auf seinen Skiern unterwegs ist, ein alter, gebeugter Mann, der hustet und zittert und doch nicht anders kann als weiter zu wandern.“ „Dieser gemeine Hexer!“ Carlottas Augen funkelten empört, als sie ihrer Entrüstung spontan Ausdruck verlieh. „War es nicht ebenso gemein von Piettar einem alten Mann zu stehlen, was er zum Leben brauchte?“, wandte der Priester freundlich ein und sorgte für ein verärgertes Stirnrunzeln bei der jungen Frau, während stattdessen Johanna erwiderte: „Ihr habt nicht erwähnt, dass der Alte es zum Leben brauchte und auch wenn es so gewesen wäre, steht die Strafe doch in keinem Verhältnis zur Tat.“ „Aber bedenkt, was hätte geschehen können, wenn Piettars Tat ungestraft geblieben wäre. Er hätte es womöglich für sein gutes Recht gehalten, sich immer zu nehmen, wonach es ihm verlangt, gleichgültig wem es gehört.“ „Ihr setzt voraus, dass er es rein aus Bosheit getan hat und sprecht ihm jede Möglichkeit ab, dass er diese Dinge vielleicht ebenso nötig brauchte, wie der Alte und keine andere Wahl hatte, als sie zu nehmen, wollte er am Leben bleiben“ wandte Johanna auf das Argument des Priester ein und erhielt nun auch von Clementia Unterstützung, die zu bedenken gab: „Und hätte er doch ein weiteres Mal gestohlen, so hätte es gewiss auch andere Möglichkeiten gegeben, ihn zu bestrafen.“ „Oh ich bin sicher, dass er nicht wirklich verflucht worden ist“, mischte sich nun eine dralle, kleine Dame mit fröhlichem Lachen ein, die Johanna zuvor als Baronin von Kuuva vorgestellt worden war, „es ist schließlich nur eine alte Geschichte, die uns daran erinnern soll, das böse Taten sich niemals auszahlen. – Nicht wahr, Euer Gnaden?“ Auf diese Weise angesprochen, rutschte Heinrich ein wenig unbehaglich auf seinem Stuhl herum, bis er steif und aufrecht dasaß, ehe er bestätigte: „Es handelt sich nur um eine alte Sage. Aber Fra Angelico hat Recht, wenn er sagt, dass derjenige, der Böses tut, Strafe verdient.“ „Dann war Eurer Meinung nach, der Zauberer nicht böse?“ hakte Johanna mit höflicher Neugier nach und erntete dafür einen unwilligen Blick des Fürsten, ehe dieser sich dem Pater zuwandte und ihn mit einer Geste aufforderte die Frage zu beantworten. „Ihr habt einen hellen Verstand, Prinzessin“, Fra Angelico schmunzelte anerkennend, „es ist wahr: Hexerei ist Teufelswerk und einen Fluch auszusprechen gegen den Willen Gottes, aber bedenkt, was schon Augustinus lehrt: ‚Besser auf dem rechten Weg hinken, als festen Schrittes abseits wandeln.’“ „Wer sagt Euch, dass es nicht der Zauberer war, der abseits wandelte und Piettar, der hinkte?“, bohrte Johanna hartnäckig nach, während in gleichem Augenblick Clarissa mit freundlicher Sanftheit zu bedenken gab: „Augustinus lehrt aber auch, dass wir unseren Nächsten lieben müssen. Entweder weil er gut ist oder damit er gut werde.“ „Gebt es auf, Vater, gegen so viel weiblichen Scharfsinn wird es Euch nicht gelingen anzureden!“, die dröhnende Stimme Graf Stuorra-Jounis setzte der Auseinandersetzung abrupt ein Ende, ehe er sich über den Tisch hinweg bei Fürst Heinrich erkundigte, ob die Jagd am nächsten Tag wie geplant stattfände. Auf einmal wirkte der Fürst hellwach und geradezu lebendig als er dem Grafen erwiderte, dass die Jagd selbstverständlich wie geplant weitergehe, es gäbe schließlich keinen Grund sie aufzuschieben; und noch gäbe es Einiges an Wild zu erlegen. „Nun, ich dachte, jetzt wo endlich Eure Braut da ist, hättet Ihr vielleicht genug von der Jagd und würdet Eure Zeit lieber mit verliebter Tändelei verbringen.“ Keiner der Brautleute wirkte von der unbekümmert rauen Herzlichkeit des Grafen sonderlich angetan, sondern eher als litten sie plötzlich an Zahnschmerzen. Ehe die Situation jedoch ernsthaft unangenehm werden konnte, schlug der Fürst mit angestrengter Freundlichkeit vor: „Wollt Ihr uns nicht auf die Jagd begleiten?“ Hatte Johanna im ersten Moment instinktiv dieses offensichtlich nicht sonderlich ernst gemeinte Angebot ablehnen wollen, überlegte sie es sich gleich darauf anders und nahm die Einladung mit einem Nicken und höflichem Dank an. Sie mochte Jagden im Allgemeinen nicht besonders, verspürte sie doch jedes Mal unwillkürlich Mitleid, wenn sie zusehen musste wie ein angeschossenes Reh zu Tode gehetzt wurde oder ein Fuchs verzweifelt versuchte sich einen Pfeil mit seiner Schnauze aus dem Körper zu ziehen, auch wenn sie die Gründe für eine Jagd nur zu gut kannte und sich wohlweißlich hütete ihre Bedenken laut auszusprechen. In diesem Fall jedoch war die Jagd vielleicht eine Möglichkeit doch noch einen Weg zu finden diesen Fremden, den sie heiraten sollte kennen zu lernen. Es lag auch ein wenig Boshaftigkeit in ihrer Entscheidung, hatte ihr Verlobter sich doch gar so wenig Mühe gegeben sie zu überzeugen, dass er auf ihre Anwesenheit irgendeinen Wert legte, wenn sie ihm nun mit ihrer Anwesenheit einen Strich durch die Planung machen konnte, war das ein angenehmer Bonus. Schon der nächste Tag bot ihr die Gelegenheit ihre Entscheidung gründlich zu bedauern. Machte sich Fürst Heinrich zunächst noch die Mühe eine zeitlang neben Johanna her zu reiten, beiläufig und recht einsilbig auf ihre Fragen zu antworten, während der größte Teil seiner Aufmerksamkeit den sie begleitenden Hunden und der Umgebung galt, vergaß er diese Höflichkeiten prompt, als einer der Hunde anschlug, zum Zeichen, dass er eine Fährte gewittert hatte. Das Letzte, was Johanna an diesem Tag von ihrem Verlobten zu sehen bekam, war sein tief über den Hals des Pferdes gebeugter Rücken, während er den Hunden folgend zwischen den Büschen und Bäumen des Waldes verschwand. „Habt Geduld mit ihm, Prinzessin“, riet Clarissa, nachdem sie zu ihr aufgeschlossen hatte, bei ihren Worten nicht ganz so salbungsvoll klingend wie dies sonst der Fall gewesen wäre, saß sie doch nur ungern auf einem Pferderücken, ständig in Sorge sie könne herunterfallen oder das Tier mit ihr durchgehen. „Er wird sicher bald erkennen, wie falsch er Euch behandelt. Vielleicht ist er nur von Eurer Art ein wenig überwältigt und weiß nicht wie er Euch angemessen gegenüber treten soll.“ „Willst du damit sagen, ich mache ihm Angst?“ Johanna klang entgeistert und Clarissa beeilte sich zu versichern, dass sie das so nicht gemeint habe, sondern nur habe sagen wollen, dass der Fürst… nun… etwas zurückhaltender in seinem Wesen war. Clementia, die inzwischen an der rechten Seite Johannas ritt, hatte bei der Frage der Prinzessin ein Lachen unterdrücken müssen, pflichtete nun jedoch Clarissa mit trockenem Tonfall bei: „Zurückhaltender mit Sicherheit. Fra Angelico musste ihn gestern Abend erst unter dem Tisch stoßen, ehe seine Gnaden auf die Idee kam Euch zur Jagd einzuladen.“ „Es würde mich nicht wundern, wenn er auch nur auf Geheiß des Priesters schläft, isst und denkt“ murmelte Johanna bissig, die Zügel ein klein wenig fester umfassend. „Seid nicht ungerecht, Prinzessin“, mahnte Clarissa, während sie hilflos auf dem Rücken ihres Pferdes herumschaukelte, „und denkt daran, was Ihr uns gestern sagtet: Der Fürst mag Fehler begehen, aber Eurer Vater soll über uns keine solchen Klagen hören.“ Verärgert runzelte Johanna die Stirn, „das wird er auch nicht. – Clementia, begleite Clarissa zurück zu Burg.“ „Sehr wohl“, pflichtschuldig neigte die junge Frau den Kopf, ehe sie ihr Pferd wenden ließ und eine erleichterte Clarissa zurück zum Bergfried führte, während Johanna ihr Pferd längst zu einem Galopp angetrieben hatte, um zu den Jägern und Carlotta aufzuschließen. Ihr folgte, wie ein schweigsamer Schatten und ebenso wenig beachtet, der Hauptmann der kleinen Garde, die Fürst Georg als Geleitschutz für seine Tochter und deren Damen abgestellt hatte. Sobald sie einen Teil der Jagdgesellschaft erreicht hatte, zügelte Johanna ihr Pferd, in geringem Abstand hinter dieser Gruppe Höflinge reitend und neugierig Carlotta beobachtend, die sich offenbar sehr angeregt mit Graf Stuorra-Jounis unterhielt, der sich bemerkenswert bereitwillig von der Jagd ablenken zu lassen schien, obwohl es am vergangenen Abend er gewesen war, der besorgt war, die Jagd könne am Ende gänzlich ausfallen. Es war merkwürdiges Bild, das die beiden abgaben. Sie: klein und zierlich mit schwarzen Haaren, ungezähmt wie ein junges Füllen. Er: groß und kräftig, die Gestalt eines Bären, mit lohfarbener Mähne und Bart und einer Stimme, die selbst wenn sie flüsternd gebraucht wurde, noch durchdringend dröhnte, während sein brüllendes Gelächter einem das Gefühl gab, die Erde würde erbeben. Sie ritt den kleinen, weißen Zelter, den ihr Vater ihr einst zum Namenstag schenkte. Er ein deutlich größeres dunkelbraunes Tier, das immer wieder nervös mit den Ohren zuckte und gelegentlich ein unwilliges Schnauben hören ließ, als wäre er mit dem Verhalten seines Reiters ebenso wenig einverstanden wie mit seiner Begleitung. Johanna schmunzelte amüsiert als sie einige Fetzen des Gesprächs zwischen den Beiden zu hören bekam, wurde gleich darauf jedoch von der freundlichen Stimme Fra Angelicos abgelenkt, der unbemerkt neben sie geritten war. „Gottes Geschöpfe sind etwas Wunderbares, nicht wahr?“ Überrascht blickte die Prinzessin zur Seite, in das lächelnde Gesicht des Priesters, dann wieder zurück zu dem vor ihnen reitenden Paar und nickte leicht: „Manche von ihnen. Ich besitze nicht Euren Großmut, Vater, auch Läuse und Wanzen als etwas Wunderbares anzusehen.“ „Wir haben alle unsere Schwächen, Prinzessin“, erwiderte der Priester gutmütig, ohne jeden Spott, und fügte das Thema wechselnd hinzu: „So verzeiht mir die späte Nachfrage, wie es Eurer werten Mutter geht.“ Wieder sah Johanna den neben ihr reitenden Priester an, „habt Dank für die Nachfrage; aber ihr Zustand ist schwer einzuschätzen. An manchen Tagen war sie bei klarem Bewusstsein und klagte über Schmerzen in der Lunge, an anderen Tagen schien sie uns weder zu erkennen, noch zu wissen wo sie sich befand.“Vielleicht war es der Tonfall Johannas, vielleicht ihr Gesichtsausdruck, vielleicht eine natürliche Empfindsamkeit des Geistlichen, die ihn veranlasste spontan die Hand auszustrecken und sie der jungen Adligen tröstend auf den Unterarm zu legen, „seit stark, Prinzessin, wenn es Gottes Wille ist, so wird Eure Mutter diese schwere Prüfung überleben. Ich werde sie für sie beten.“ Im ersten Moment war Johanna angesichts der Berührung überrascht gewesen, dann hatte sie nur den Kopf gesenkt, die Mähne ihres Pferdes betrachtend, während sie erneut einen Dank murmelte. Noch einmal drückte der Pater sanft und aufmunternd ihren Arm, ehe er die Hand wieder zurückzog und Johanna sich sichtlich bemühen musste, um wieder zu einem normalen Tonfall und leichterer Unterhaltung zurückzufinden. So schwiegen sie für eine Weile, ehe die Prinzessin den Geistlichen aufforderte: „Nun, Pater, da Fürst Heinrich es mit den Tugen-den eines Herrschers sehr genau zu nehmen scheint, erzählt Ihr mir etwas über ihn und wie Ihr in seinen Dienst gelangt seid.“ Ohne scheinbar die Doppeldeutigkeit der Bemerkung Johannas über Herrschertugenden zu bemerken, berichtete Fra Angelica der Prinzessin wie er zwei Jahre vor dem Tod des alten Fürsten an den Hof gelangt und zum Lehrer des Prinzen geworden war, erzählte mit einem Lächeln, dass Heinrich stets mehr an Jagd und Kampfkünsten interessiert gewesen war als an Geschichte und Diplomatie. Dass er aber auch wunderbar die Laute spielen konnte und dies selbst am Totenbett seines Vaters, auf dessen Bitte hin, getan hatte. Es waren die Erzählungen des Priesters, die Unterhaltungen mit ihm, die Johanna die nächsten Tage auf der Jagd zumindest vorübergehend von der Tatsache ablenkten, dass ihr Zukünftiger keinerlei Interesse an ihr bekundete, sondern sie lediglich zu Beginn der Jagd das zweifelhafte Vergnügen hatte das Hinterteil seines Pferdes bewundern zu dürfen, ehe er für den Rest des Tages spurlos verschwand und die Jagdgesellschaft sich selbst überließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)