Funeral of the sentient being von Ceydrael (Seelenjäger) ================================================================================ Kapitel 1: Bittere Erinnerungen ------------------------------- Schnee. Die erste, bewusste Erinnerung seines kindlichen Seins war Schnee. Schnee, der sich eisig und feucht auf seine Wangen legte. »Mama…« Seine Mutter lächelte schmal, ein fast unheimliches Lächeln, was sie zumeist nur Fremden zeigte, die ihre Aufmerksamkeit nicht wert waren. »Sei still, mein Sohn. Diese Männer bringen dich zu deiner Bestimmung. Du wirst mit ihnen gehen.« Seine Mutter ging vor ihm auf die Knie und bedeckte seine Wangen mit flüchtigen, gehauchten Küssen, die so wenig Wärme besaßen wie der Schnee, der unablässig vom Himmel segelte. »Mama…ich will nicht weg…« »Sei brav, mein Sohn. Mach mich stolz, hörst du!?« Perfekte, gepflegte Finger strichen ihm die Tränen von den Wangen, nicht liebevoll, sondern nachdrücklich und grob, als wäre dies eine unschöne Pflicht, die zu erledigen wäre. »Hör auf zu weinen, mein Kind. Tränen sind unnütz. Spare sie dir.« Das Herz im kindlichen Körper zog sich schmerzvoll zusammen, während nicht allein die kalte Luft seine Seele zum Gefrieren brachte. Seine blonde Mutter erhob sich wieder und wischte den Schnee mit abfälligen Zügen von ihrem Kleid. Ein Tuch warf sie sich über die Schulter und verhüllte ihr Gesicht somit zum Teil. »Mama…« Schluchzen wurde von den Kinderlippen laut, doch unerbittliche Männerhände hielten ihn davon ab, zu der Frau zu laufen, die ihn einst so zärtlich im Arm gehalten hatte. Seine Mutter streckte einem der Männer die schlanke Hand auffordernd entgegen und ein schmaler Briefumschlag wechselte den Besitzer. Die Augen der Frau glommen in gefährlich gierigem Licht, doch nur einen Wimpernschlag, während sie eine Verbeugung andeutete. »Mama!« Kein Blick, kein Wort mehr von jener Frau, die ihn geboren hatte. Die letzte Erinnerung an seine Mutter war das lange, blonde Haar, welches im kalten Wind wehte und ihm höhnisch zuzuwinken schien, als sie verschwand. Auch heute fiel die weiße Pracht träge und vereinzelt zur Erde und erstickte jede Regung seines Wesens in allumfassender Kälte und Taubheit, während der junge Mann mit den leuchtend grünen Augen durch die Straßen lief. Sein Gang war geschmeidig, lautlos, jeder Schritt mit Bedacht gewählt und einstudiert. Er würde keinen Laut verursachen, wenn er es nicht wollte. Er würde in der Menge der gehetzten und beschäftigten Menschen nicht auffallen, ja, sie würden ihn noch nicht einmal bemerken, wenn ihm nicht der Sinn danach stand. Sein halbes Gesicht war verdeckt von einem dunklen Tuch, was die Kälte abwehrte und seine Identität wahrte, sollte doch jemand es wagen und einen Blick in dieses hübsche, jedoch starre Gesicht heben. Völlig still und mit nur einem Ziel vor Augen schritt er voran, die Hände in den Manteltaschen vergraben, während er das warme Pulsieren seiner kostbaren Fracht auf der Brust unter dem Stoff spürte. Er war erfolgreich gewesen. Wie immer. Kein Fehltritt. Kein Scheitern. Denn Versagen wäre nicht nur für ihn die Versicherung auf harte Strafen, sondern auch die Gewissheit für diese erbärmliche Welt, im Chaos zu versinken. Die Menschheit lebte allein, weil es ihn gab. Ihn und seine Brüder. Dementsprechend abwertend waren die Blicke aus seinen hellen Augen, wenn er sich eine Regung zugestand und die Umwelt mit seiner Aufmerksamkeit bedachte. Die Welt befand sich am Abgrund. Die Vergangenheit hatte zu sehr an ihr gerüttelt; der letzte Krieg hatte seine Spuren unauslöschlich in die Oberfläche und das Gedächtnis der Menschen und der Erde gebrannt. Nur wussten die Meisten gar nicht, wie schlecht es um ihre kleine Welt stand. Ein abfälliges, kaum wahrnehmbares Schnauben entfloh den blassen Lippen; zarte Atemwolken flogen in die Nacht davon, während die grünen Pupillen den Menschen auf den Straßen folgten. Alles dumme Schafe, die blind und taub dem stetigen Lauf der Dinge folgten. Alles unwissende Dummköpfe, die nie begreifen würden, welche Dienste und Taten notwendig waren, um die Illusion der heilen Welt am Leben zu erhalten. Schon allein das Leben vieler Kämpfer, ihn eingeschlossen, war von Nöten, um die Räder des Schicksals weiter zu drehen. Er senkte den Blick wieder auf seine Füße und beschleunigte seine Schritte. Die behandschuhte Rechte, die normalerweise lautlos und präzise tötete, legte sich kurz fast liebevoll auf seine Brust, um sich des leisen Klirrens und der zarten Wärme auf seiner Haut erneut gewiss zu werden. Er musste rechtzeitig zurück sein, bevor diese kostbare Fracht kalt wurde. Denn dann wäre sie nichts mehr wert. Keine Versicherung für weitere ruhige Tage. Kein Garant für diesen zerbrechlichen Frieden, der zarter als Glas die Welt der Menschen umwob. Anfänglich, irgendwann, hatte er noch über diese Taten nachgedacht. Doch Denken war nichts, was einem hier Anerkennung einbrachte. Geschweige denn von Essen oder einem Bett. Die Fähigkeit, Emotionen zu kontrollieren und kalt wie der umgebende Schnee zu werden, diese allein gewährleistete ein Weiterleben. Diese Lektion hatte er schon frühzeitig gelernt. »Auf die Beine, Serpent.« Ein harter Schlag auf seine Waden brachte den Jungen zum stöhnen. »I-ich…kann nicht mehr…Meister…« Ein haltloses Schniefen. Mitleidige, abwertende Blicke. »Aufgeben ist keine Option. Steh auf.« Ein erneuter Schlag mit der Lederpeitsche. Die verbundenen Finger des Jungen kratzten verzweifelt über den Boden. Die Nägel hatte man ihm entfernt, da dies eine beliebte Strafe darstellte. Zitternd und stumm weinend stemmte sich der zerbrechlich wirkende Junge wieder auf die Knie. Noch weinte er. Noch betete und hoffte er. Doch all diese Gefühle, die nach Erlösung und Hilfe schrien, würden bald in Schmerz und Einsamkeit vergehen. »Weiter, Serpent. Sonst werden deine Brüder heute Abend hungern.« Keine Regung in den blassen, starren Gesichtern der anderen, deren Ausbildung schon weit fortgeschritten war. Sie würden ihn nicht verurteilen. Sie würden ihn nicht hassen. All diese Emotionen waren ihnen fremd geworden und unwiederbringlich aus den nun gestählten Körpern getrieben. Allein ihre flüchtig missbilligenden Blicke wären die schlimmste Strafe überhaupt. Der keuchende Junge erhob sich mit zusammengebissenen Zähnen wieder ganz und schwankte kurz, bevor er erneut anfing zu laufen. Runde um Runde auf dem steinigen Boden, dessen scharfe Spitzen sich wie Messerklingen in die bereits blutenden Füße des hellhaarigen Jungen bohrten. Schmerz war Lehre. Schmerz war Übung. Aus Schmerz wurde Härte geboren. Erinnerung war lästig. Erinnerung brachte das mühselige und unnütze Kribbeln von Gefühlen mit sich, was an der kalten Oberfläche schabte, ohne je das Gefängnis des Verdrängens verlassen zu können. Erinnerung brachte rein gar nichts. Doch ab und an konnte auch der, den man nur noch Serpent nannte, die Tür nicht ganz verschlossen halten, hinter der eben jene flüchtigen Augenblicke der Vergangenheit lauerten. Er war eben doch noch ein Mensch. Welch Ironie. Mit einem rauen, humorlosen Lachen verschwand der junge Mann in einer Seitenstraße, erklomm dort eine Feuerleiter an der Seitenwand eines Hauses. Immer noch waren seine Bewegungen fließend, kaum wahrnehmbar für ungeschulte Augen. Er schwang sich lautlos auf das Dach, während der kalte Wind nun unerbittlich und ungestüm an seinem Haar und der Kleidung zerrte. Den beißenden Schmerz, den der eisige Wind wie Nadelstiche unter den Stoff seiner Kleidung jagte, spürte er kaum. Ein sanftes Prickeln am Rande seiner Wahrnehmung ließ ihn kurz innehalten, eine Hand auf die rauen Ziegel unter sich gestützt, der Körper in Lauerhaltung. Der hellgrüne, stechende Blick flog prüfend umher. ~Serpent?~ Die Stimme, die er allein gedanklich von seinem Bruder Equid empfing, klang sachlich und emotionslos, allein ein kleiner Hauch Dringlichkeit schwang in den Worten. ~Wo steckst du? Der Gatekeeper wartet bereits ungeduldig.~ Der Mann auf dem Dach stieß ein Zischen aus und ließ die scharfen Nägel über die roten Ziegel kratzen, welche den Spuren der giftigen Spitzen wenig entgegenzusetzen hatten. Zischend löste sich das Material und ein Teil der Ziegel rutschte klirrend vom Dach, um ein übermäßig lautes Scheppern durch die Nacht zu schicken. ~Ich bin gleich da.~ ~Sehr gut. Hast du die Ware?~ Equid klang nun weniger gespannt, seine Tonlage fiel in die gewohnte Kälte zurück. ~Natürlich.~ Wieder dieses sachte Prickeln, was ihm vermittelte, dass die Verbindung getrennt und das Gespräch beendet war. Der Hellhaarige hasste diese forschenden Nachfragen. Er hasste vor allem die regelmäßige Kontrolle. Jeder der Brüder konnte stets in die Gedanken eines jeden anderen Clanmitgliedes eindringen. Egal, wo und wann. Er wusste, dass sein Meister dieses Privileg oft nutzte, um seine Schäfchen zu kontrollieren und beisammenzuhalten. Gedanken, die in jenen Momenten in die falschen Richtungen liefen, konnten ziemlich schmerzhafte Folgen tragen. Disziplin und Folgsamkeit war das Einzige, was geduldet wurde. Darum sprang der Hellhaarige rasch auf und beeilte sich, den Weg über die Dächer nehmend, sein Ziel zu erreichen. Jede unnütze Minute würde den Wert seiner Beute schmälern. Und diese Kunden wollten wahrlich nur erstklassige Ware und würden sich kaum mit weniger zufrieden geben. An seinen Schritten und seinen Fähigkeiten würde es nun liegen, ob die Welt noch ein wenig länger ihren Frieden hätte. Diese Last hatte ihm anfänglich Sorge bereitet. Und arges Kopfzerbrechen. Doch Zweifel und Fragen waren genauso unnütz und wenig gern gesehen wie ein Kämpfer, der seine Aufgaben nicht zu vollster Zufriedenheit erfüllte. Darum erstickte man wohl schon jede Frage im Keim, indem man sich mit Informationen schlicht zurückhielt. Die Kämpfer erhielten nur die Namen ihrer Ware. Mehr war nicht nötig. Der junge Mann konnte sich nur noch schemenhaft an seine Heimat erinnern, die Bilder seiner Mutter und seines Vaters verblassten immer mehr zu farblosen Gestalten irgendwo im Nichts. Er wusste jetzt schon kaum noch seinen richtigen Namen, geschweige denn, von wo er kam. Seine Welt war die diese hier. Seine Familie war der Clan. Für diese würde er leben und sterben. Seine federleichten Schritte ließen ihn geschwind über die Dächer der nächtlichen Stadt fliegen, seine Sprünge über Häuserschluchten waren waghalsig, doch Angst spürte er genauso wenig wie Freude oder Trauer. Allein Wut konnte er ab und an nicht ganz verdrängen, wie vorhin, als man schon wieder an seinen Fähigkeiten gezweifelt hatte. Er war ein perfekter Kämpfer. Lautloser Tod ohne Skrupel. Er hatte seine Jugend damit zugebracht, zu dem zu werden, was er jetzt war. Hatte gelernt, Gefühle abzutöten und Befehle ohne Fragen zu befolgen. Für eine bessere und sichere Welt. Zweifel an ihm waren nicht nötig. Er war eine makellose Mordwaffe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)