Abgekarterte Spiele von abgemeldet ("Gets down to what it's all about, doesn't it? Making the wrong move at the right time.") ================================================================================ Kapitel 74: Déjà-vu ------------------- "Wir konnten den Angreifer nicht einmal sehen. Alles geschah unglaublich schnell. Wir saßen da und tranken Tee und ..." Vage nehme ich wahr, dass der Ägypter dabei von den Geschehnissen auf dem Markt zu berichten, aber ich bin nicht in der Lage, ihm zu zu hören. Mein Blick ruht auf Roland, den Odion und ein anderer dunkelhäutiger Mann vor ein paar Minuten ins Haus getragen und auf die Kissen gebettet haben. Ishizu beugt sich über den leblos wirkenden Körper und mein Blick fällt auf das Blut, dass Roland´s weißes Hemd rot verfärbt hat. "Der Arzt ist unterwegs." sagt irgendjemand im Raum, ich glaube es ist Marik, aber ich bin mir nicht sicher. Ich kann nur auf Roland blicken und mein eigener Herzschlag dröhnt mir in den Ohren. Dunkel nehme ich ein Schluchtzen wahr und ich schaffe es den Kopf zu drehen als Mokuba meinen Namen sagt. "Es tut mir so leid, Seto." schluchzt der Kleine. Tränen laufen über seine Wangen und verschleiern seinen Blick. "Es war meine Idee. Ich habe ihn so lange gedrängt bis er mit mir zum Markt gegangen ist." Mokuba schnieft und ich sehe die Hilflosigkeit ins seinen Augen, aber auch die Sorge und schlucke unwillkürlich. "Ich wollte nicht..." hebt er von neuem an, doch ich unterbreche ihn. "Schon gut, Mokuba. Es ist nicht deine Schuld." Meine Stimme klingt fremd, emotionslos und die Worte kommen automatisch aus meinem Mund. Mokuba blickt weiter zu mir auf und ich weiß, dass ich ihn trösten sollte, dass es anbebracht wäre ihn in meine Arme zu nehmen, aber ich schaffe es nicht mich zu rühren. Mein Innerstes ist viel zu aufgewühlt. Ich bin nicht einmal in der Lage rational zu denken. Zu viele Gefühle durchströmen meinen Körper und mit einem Mal scheinen sie mich gänzlich zu beherrschen. Eben noch hielt ich Joey in meinen Armen und bereits in diesem Augenblick waren es meine Gefühle, die mich leiteten, die meinen Verstand blockierten und mich instinktiv handeln ließen. Doch gingen diese Gefühle mit Wärme und Geborgenheit einher. Nun, kaum fünf Minuten später, verspüre ich etwas anderes, aber es ist ebenso unrational. Wut, Hilflosigkeit, Sorge... Ich vermag nicht zu beschreiben welches Gefühl mich augenblicklich wirklich erfüllt. Es sind zu viele, viel zu viele und das ist neu. Ebenso wie die Tatsache, dass ich es nicht vermag mich diesen Emotionen zu entziehen. Dabei konnte ich das Jahre lang, war es gewohnt meine Gefühle nicht nur zu verbergen sondern sie auch im Zaum zu halten, zu unterdrücken. Doch jetzt und hier bin ich nicht länger in der Lage, die Mauern aufrecht zu erhalten. Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich höre mich selbst flüstern: "Roland." Eine Hand legt sich auf meinen Arm und ich muss nicht hinsehen, ich spüre, dass es die von Joey ist und der sanfte Druck hat etwas tröstliches. Ich schlucke erneut und habe den Eindruck, dass meine Beine jeden Moment nachgeben, dass ich es nicht länger schaffe mich auf ihnen zu halten genau wie in jenem Moment als der Hüne die Waffe auf Mokuba richtet und mein Herzschlag für einen Augenblick aussetzte. Auch da waren all diese Gefühle und drohten mich gänzlich in Besitz zu nehmen. Einzig der Gedanke, dass ich Mokuba retten müsse, hielt mich aufrecht und vermochte es irgendwie, mich handeln zu lassen. Doch jetzt und hier kann ich nicht eingreifen. "Er wird durchkommen." höre ich Joey leise sagen und der Druck auf meinen Arm verstärkt sich kurz. Immer noch blicke ich auf das blutgetränkte Hemd, dass ich noch nie anders als in blütendem weiß gesehen habe. Gleichgültig wo wir waren oder was wir getan haben, Roland´s Anzug hat immer perfekt gesessen. Das Hemd war weiß und ohne jede Falte und jetzt ist es voller Blut. "Seto." Mokuba weint noch immer und irgendwie gelingt es mir, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich gehe in die Knie und sehe meinem Bruder in die Augen. Jetzt erst merke ich, dass auch mein Blick getrübt ist, dass sich Tränen in meinen Augen zu sammeln beginnen und ich verspüre den Impuls mich abzuwenden, damit er sie nicht sieht, aber ich gebe ihm nicht nach, sondern sehe Mokuba weiter an. "Er wird durchkommen, Moki. Genau wie Joey gesagt hat." versichere ich ihm und bin erleichtert, dass meine Stimme wieder nach mir klingt. Mein Herz rast immer noch und es kostet mich Kraft, diesem Sturzbach an Gefühlen stand zu halten, doch irgendwie schaffe ich es. Ich sehe meinem Bruder fest in die Augen und lese darin all das was auch mein Innerstes gerade bewegt. Für uns beide war Roland immer mehr als nur mein Assistent. Er ist ein Teil unserer Familie, auch wenn keiner von uns und ich am wenigsten, dass je ausgesprochen hat. Es musste nicht ausgesprochen werden. Wir wissen es. Alle drei. Mokuba´s kleiner Körper bebt und er macht einen Schritt auf mich zu. Seine Arme schlingen sich um meinen Körper und ich tue es ihm gleich, halte ihn fest und streiche mit einer Hand beruhigend über seinen Kopf. Unwillkürlich muss ich daran denken, wie selten ich meinen Bruder in die Arme genommen habe und wie wenig ich umarmt wurde. Mokuba weint an meiner Schulter, die Tränen durchnässen mein Hemd, dass ich mir schnell übergestreift habe, als Mokuba´s Rufen, Joey und mich aufschrecken ließ und ich gleich wusste, dass etwas passiert sein musste. Meine Schulter schmerzt unter der Berührung, genau wie vorhin als Joey sich an mich klammerte, doch wie eben ist mir der Schmerz egal. Er kümmert mich nicht. "Die Stichverletzung ist zwar tief, aber ich glaube nicht, dass ein wichtiges Organ verletzt wurde." höre ich Ishizu sagen und wende den Kopf leicht, um zu ihr rüber zu sehen. Mein Blick gleitet zu Roland´s Gesicht und ich sehe seine Lider flackern. Zaghaft löse ich mich etwas von Mokuba und Joey tritt neben uns. Ich nicke ihm kurz zu und er scheint, meine unausgesprochene Aufforderung zu verstehen. Er zieht den Kleinen an sich und ich gehe zu Roland. Der Arzt ist bereits eingetroffen. Es ist der gleiche Mann, der mich behandelt hat. Er nickt mir kurz zu, tauscht dann ein paar Worte mit Odion und Ishizu aus und ich beuge mich zu Roland. Seine Augen sind noch immer geschlossen, aber seine Lider bewegen sich und ich nehme auch wahr, dass er atmet. Einen Moment betrachte ich sein Gesicht. Selten sehe ich es ohne die obligatorische Sonnenbrille, die mein Assistent fast nie abzulegen scheint. Noch immer stehen mir Tränen in den Augen. Meine Hand sucht nach der von Roland. "Eigentlich müsste er ins Krankenhaus." höre ich Ishizu sagen. "Aber Rashid meint, es würde auch so gehen, zumindest wenn es in den nächsten Stunden zu keinen Komplikationen kommt." Ich nicke nur und die Ägpyterin redet weiter. "Es sind keine Organe verletzt und Roland hat scheinbar auch sehr schnell reagiert und durch Druck die Blutung zurückgehalten." Typisch Roland. Selbst in solch einer Situation reagiert er perfekt. Unwillkürlich muss ich lächeln und drücke die Hand des Mannes, der mehr Vater für mich war als mein leiblicher Vater und Gozaburo Kaiba zusammen, was mir gerade erst wirklich bewusst wird. Mit einem Mal fallen mir wieder all die Kleinigkeiten ein, die Roland für mich getan hat noch lange bevor er in meinen Diensten stand. Ob er mir nun spät nachts noch etwas zu essen ins Zimmer schmuggelte, wenn ich wieder einmal nicht mit bei Tisch sein durfte, weil ich mit meinen Aufgaben nicht rechtzeitig fertig geworden war, oder dass er für mich den Boten spielte, wenn ich Mokuba eine Nachricht übermitteln wollte. Kleinigkeiten, die mit der Zeit verblasst sind, damals jedoch einer der wenigen Lichtblicke waren. "Siehst du, Mokuba. Ich hab´s dir doch gesagt." meint Joey. Die Beiden sind zu mir getreten und das Hündchen lächelt mich aufmunternd an. "Roland ist ein zäher Kerl. Der Angreifer hätte sich schon mehr einfallen lassen müssen..." Mokuba nickt, doch seine Miene ist immer noch ernst und ich vermute, dass er sich trotz meiner Worte die Schuld an diesem Angriff gibt. "Also werden wir beobachtet." Ich spreche den Gedanken laut aus und Joey´s Miene verdüstert sich fast sofort. "Odion meinte, der Angreifer hätte es direkt auf Roland abgesehen. Es wurde kein Versuch unternommen, Mokuba zu entführen." erzählt er mir dann und mein Blick wandert wieder zu meinem Assistenten. Warum zum Teufel sollte es jemand auf Roland abgesehen haben? Das ergibt doch keinerlei Sinn. Roland anzugreifen, um Mokuba zu entführen, hätte mir eingeleuchtet, aber dieser Angriff... Warum sollte Grey Roland attakieren wollen? Der Hass dieses Mannes kann doch nicht so weit gehen, dass er... Ich schlucke. Mokuba und Roland sind die Menschen, die mir bislang am Nächsten standen. Die zwei Personen, die als einziges eine Rolle in meinem Leben spielten und wenn dieser Grey sich wirklich eingehend über mich informiert hat, dann muss er wissen, dass Roland mehr ist als nur ein Angestellter. Dem zufolge macht dieser Angriff auch wieder irgendwo Sinn. Dieser Kerl will mich am Boden sehen. Er hat damit begonnen, mir alles wegzunehmen was mir wichtig ist. Dazu gehört auch Roland. Schlagartig begreife ich das Ausmaß dieser Schlussfolgerung und blicke rüber zu Joey, der immer noch die Hände auf Mokuba´s Schultern hat. Weiß Grey bereits, wie es um Joey und mich steht? Wenn er es weiß, dann... Dann müsste Joey sein nächstes Opfer sein. Ja, wenn ich Grey richtig einschätze, ist dies die logische Schlussfolgerung. Diese Erkenntnis prallt mit einer solchen Wucht gegen meinen Verstand, dass ich scharf die Luft einziehe und spüre wie sich alles in mir zusammenzieht. Mein Blick wandert zu dem blonden Hündchen. Sein Blick trifft meinen und er runzelt die Stirn. "Seto?" Scheinbar kann er meine Miene entnehmen, dass etwas nicht stimmt. Ich schließe kurz die Augen, dann winke ich ab und will mich gerade wieder Roland zuwenden als ein Bild vor meinem geistigen Auge erscheint als würde ein Blitz einschlagen. Das Ganze dauert nur ein paar Sekunden, vielleicht sogar nur eine, gerade lange genug, um es anzusehen. Erst vermag ich nichts damit anzufangen. Die Personen, die vor meinem inneren Auge wie aus dem Nichts auftauchen, sind mir fremd, ich kann die dargestellte Szene nicht einordnen. Ich glaube, wieder Joey´s Stimme zu hören und schließe für einen Augenblick die Augen und in eben diesem Moment, erinnere ich mich. Mit einem Mal weiß ich wieder wo ich John Armstrong zum zweiten Mal begegnet bin. Es war eine zufällige Begegnung und er war es gewesen, der mich angesprochen hatte. Er kam auf mich zu und ich erinnere mich noch, dass ich im ersten Augenblick nicht wusste wie ich reagieren sollte. Mir war klar, dass mein Adoptivvater es nicht gerne sehen würde, wenn ich mich mit dem jungen Mann unterhielt. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Es war kurz nach dem Besuch der Familie Armstrong in der Kaiba Villa. "Seto, verdammt, was ist los? Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen." Joey´s Stimme bebt vor Sorge und als ich ihn ansehe, sind seine braunen Augen eine Spur dunkler geworden. "Ich erinnere mich an John Armstrong. An meine zweite Begegnung mit ihm." bringe ich mit tonloser Stimme hervor und Joey´s Augen weiten sich. "Wir trafen uns zufällig... Ich war auf dem Weg zu einer Veranstaltung, die ich auf Gozaburo´s Befehl hin besuchen sollte." Ich atme tief durch und Joey sieht mich erwartungsvoll an. "Er war nicht alleine." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)