Lumiél Noir von Voidwalker ================================================================================ Kapitel 8: Einigkeit -------------------- Leer und dumpf hallte ein schweres Ächzen in jenem verwaist wirkenden Korridor wieder. Erst Sekundenbruchteile später löste sich eine Gestalt aus dem scheinbaren Nichts der Finsternis und stürzte zu Boden. Die Rüstung der Figur schepperte leicht, das Leder darin knarzte und ächzte. Es war nicht gewohnt, steif gefroren solche Belastungen aushalten zu müssen. Die Elbe kam nicht auf die Beine – zumindest nicht sofort. Sie stützte sich mit den Ellbogen vom Boden ab und schien zu warten, einen angestrengten Blick in den Gang werfend. Er war direkt vor ihr gewesen, er hatte sie angegriffen, sie in dieses... sie wusste nicht einmal, wohin er sie gezerrt hatte. In etwas hinein, für das sie keine Worte fand. Noch jetzt spürte sie, wie diese grässliche Kälte ihr durch Mark und Bein kroch. Nicht wie der Reif an einem frühen Wintermorgen – dieser Frost kam nicht von außen und sog die Wärme aus der Haut, bis Fleisch und Knochen darunter nach und nach abkühlten. Es war durchdringend. Als würde sie ohne Widerstand durch jede Faser dringen und die Kälte in allen Schichten zugleich verteilen. Ein widerwärtiges Gefühl, das Ashes in ähnlicher Weise durchaus kannte – es fühlte sich wie sterben an. Bisher war sie Ereshkigal immer von der Schippe gesprungen, aber einen kurzen Moment, zwischen ihrem unfreiwilligen 'Flug' und dem Aufprall am Boden, da wähnte sie, das dies nie knapper war als hier. Sie erinnerte sich noch zu gut an die Worte, die dieses kleine Flittchen gebraucht hatte. Wie sie ungeniert und zweifellos sogar in bestem Wissen in offenen Wunden bohrte, von denen niemand hätte wissen dürfen. Sie hatte ihren Wachhund von der Kette gelassen – 'um sie zu beschäftigen', wie sie gesagt hatte. Ashes wusste, wie viel Hohn und Spott allein in diesen Befehlen lag. Beschäftige sie – ich habe Dringlicheres zu tun. Sie konnte nicht sagen, wie dieses Weib und der Magier in Beziehung zueinander standen, doch dergleichen interessierte sie ohnehin nicht. Sie war ihm hierher gefolgt, um Alistair zu finden... und das würde sie auch! Mit grimmiger Entschlossenheit im Blick richtete sich die Elbe wieder auf. Ihr Auge tastete noch immer den Korridor ab, doch er war leer und schien es auch zu bleiben. Dieser Krieger, den man ihr auf den Hals gehetzt hatte, war stark, stärker als erwartet. Muskeln allein konnten so etwas nicht vollbringen und sie spürte das leichte Kribbeln, wann immer er einfach so 'verschwand'. Magie... oh sie hasste Magie und die Feiglinge, die ihre Kämpfe nicht anders gewinnen konnten, als sich derer zu bedienen! Es gab kein Geräusch. Die Fackeln an den Wänden flackerten monoton in ihrem stetigen Rhythmus und dem verzweifelten Aufbegehren, nicht von der völligen Schwärze der Obsidianfeste verschlungen zu werden. Hier war nichts, das ihn hätte verraten können – aber sie spürte es. Sie spürte seine Gegenwart, seine... Nähe. Das Schwert riss sie gerade rechtzeitig empor, noch während sie herum wirbelte. Sie konnte einen schweren Axthieb gerade noch abfangen, sich jedoch nicht verteidigen, als Thorin den gepanzerten Stiefel hob und ihr wuchtig in den Magen trat. Wieder stürzte sie, wurde von den Beinen geworfen. Ihre Finger umklammerten mit aller Macht krampfartig das Schwertheft. Wenn sie ihre Waffe verlor, würde sie gegen diesen Muskelberg noch schlechtere Karten haben als ohnehin schon. Doch warum beendete er dieses Trauerspiel nicht? Ashes wusste, das sie gut war. Sie prahlte nicht damit, weil dergleichen Idioten gebührte, die dafür die Rechnung erhielten. Aber sie wusste es. Dennoch – ihm war sie nicht gewachsen. Vielleicht in einem ehrlichen, fairen Kampf. Er mit seiner Lederrüstung und der schartigen Axt, sie mit ihrem Schwert und der Kettenrüstung. Es hätte ein schweres, unsicheres Duell werden können, eines, dessen Ausgang offen war. Aber immer wieder verschwand er, teleportierte sich oder wie immer er das anstellte. Mit diesem Vorteil und der nötigen Geschwindigkeit hätte er sie ohne Mühe längst niederringen können. Er hatte sie bereits in seine Sphäre entführt, an einen Ort, an dem ihre Sinne völlig überreizt und überlastet waren, unfähig, die Eindrücke zu verarbeiten – und er hatte sie daraus hervor gestoßen, just bevor die Kälte ihr Herz erdrosselt hätte. Er spielte mit ihr, das war der Elbe klar – sie wusste nur noch nicht, warum. Doch allein der Umstand, das man sie offenbar nicht völlig ernst nahm, reizte sie nur weiter. Ihre Hiebe wurden zu keinem Zeitpunkt von Verzweiflung geführt, dafür umso mehr von Zorn. Sie würde diesem Bastard irgendwann, irgendwie den Arsch aufreißen, wenn er sich weiter so anstellte – und danach wäre dieses Weibsstück dran! In all dem Durcheinander hatte sie ihre Umgebung aus den Augen verloren. Nur gelegentlich hatte sie bemerkt, das sie beobachtet wurden. Nicht von Augen, die einem Körper aus Fleisch und Blut angehörten. Es war, als würde die Dunkelheit selbst aus den Nischen jedes Raumes mit dutzenden von neugierigen Augen ihnen zusehen. Doch sie hatte nur das Publikum bemerkt, nicht den Pfad. Es fehlte der Festung an Treppenstufen. Schmale Gänge fielen in Wendelpfaden seicht abwärts oder stiegen auf, glatt geschliffen, poliert, aber mit genug Profil, damit Schuhe auch Haftung fanden – es war schwer, inmitten eines Kampfes zu bemerken, wie viele Stockwerke man schon hinter sich gebracht hatte. Bewusst wurde ihr der Ortswechsel erst, als sie sich einem weiteren Tor näherten. Erstmals trat Thorin wieder aus den Schatten hervor, ohne sofort die nächste Attacke zu führen. Ashes gönnte sich ein tiefes Durchatmen und kam nicht umhin, zu bemerken, wie erschöpft sie bereits war. Dieser Kampf verlangte ihr alles ab – und dieser Ochse wagte noch zu lächeln! „Sei nicht beleidigt.“ hob er an, während er mit der Axt hantierte, als wäre sie ein Bestandteil einer akrobatischen Einlage, „Die Kräfte, mit denen du hier spielst, die durch sie fließen, durch mich, durch den Stein unter deinen Füßen... sind nichts, das du mit Schwert und Zorn in die Knie zwingen kannst.“ „Das werden wir sehen.“ spie die Elbe erbost. Obgleich sie versuchte, sich zu sammeln, wieder zu Kräften zu kommen, musste sie noch immer Atem schöpfen. „Was hast du denn noch, hm? Sieh es dir doch einmal an. Deine Rebellen fliehen als Bettler und Obdachlose nach Süden. Was denkst du, wie weit sie kommen werden? Vielleicht schaffen sie es bis zu den Wüsten – aber hindurch? Vorbei an Amon Selona? Du hoffst auf Sundergrad, auf deine kleine Piratenfreundin. Erinnere dich, wie weit Hoffnung dich in den letzten Jahren gebracht hat.“ Thorin war kein Mann vieler Worte. Es zählte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, mit dem Feind zu reden, eine kleine, schicke Predigt zu schwingen und weitschweifig auszuführen, warum Widerstand nutzlos und dumm gleichermaßen wäre. Doch Ashes war ein Sonderfall. Sie war von Bedeutung, nicht nur für ihn, auch für Ninafer. Sie war... anders. Und obendrein beschäftigte sie auch jedes Wort, das er sprach. Er wollte sich mit ihr messen. Ein ordentlicher Kampf, das war zu Beginn sein Bestreben gewesen, doch nur zu schnell erkannte er, das dergleichen gar nicht mehr möglich war. Die Kraft, die in seinen Schlägen steckte, die Geschwindigkeit, die seine Beine aufbrachten... gewiss, ein Teil davon entsprang seiner eigenen, körperlichen Konstitution – aber eben nicht alles. Er hätte sich mit ihr nicht fair messen können, selbst wenn er sich redlich bemüht hätte. Also führte er mit schnellen Schritten alles den nächsten Punkten entgegen. Ihm war klar, das Ashes für Worte nicht empfänglich wäre. Sie war in dieser Beziehung... ihm sehr ähnlich. Hatte er denn auf Ninafer gehört, als sie verlangte, er solle niederknien? Nein. Er hatte gekämpft, bis zum letzten Atemzug, bis Blutverlust und Erschöpfung ihn bezwangen... und ausgerechnet auf die Knie stürzen ließen. Sie hatte es als einen Sieg gewertet. Ashes würde einen ähnlichen Weg beschreiten müssen. Vielleicht war er nicht ganz so lang wie der Seine. Sturheit, Torheit und Trotz hatten sich über die vielen, vielen Jahre tief in sein Gemüt eingegraben. Ashes war 'nur' restlos verbittert. Man hatte ihr alles genommen, immer und immer wieder. Ihren Geliebten. Ihre Familie. Ihre Wurzeln in Volk und Heimat. Ihre Freiheit. Ihre Freunde. Ihre Rebellen. Und nun, scheinbar als Krönung dieser Serie... Alistair. „Hör sofort auf!“ mahnte die Elbe an. Thorin wusste, worum es ihr ging. Er wühlte völlig ungeniert in ihrem Kopf herum und jemand wie sie, mit einem grundsätzlichen Gespür für Magie, bemerkte dergleichen zweifellos. Aber er hatte wiederum keine Veranlassung, auch nur eine Sekunde auf sie zu hören. Was sollte sie schon tun? Ihn erneut angreifen? Früher oder später würde das ohnehin geschehen, sie würde sich selbst damit nur kostbare Zeit zur Erholung nehmen. Er dagegen interessierte sich längst nicht für das, was sie zu beschützen versuchte. Ihre Zeit in den Kerkern Sundergrads, die Stunden mit diesem schmächtigen Nordmann, was war ihm das doch gleichgültig! Nein, er wollte wissen, was sie konnte. Was man ihr gelehrt hatte, was sie in all den Jahren ihres Lebens geleistet hatte. Mit dem, was er auf jener Suche fand, war er durchaus zufrieden, wenngleich die Elbe seine Bemühungen auch vorzeitig unterbrach. „Schluss!“ keifte sie ihn zornig an und setzte vor. Ihre Klinge fuhr nieder, ins Nichts hinein und durch nichts hindurch, nur, damit sie wenige Augenblicke später von einem kraftvollen Kinnhaken von den Füßen geholt wurde. Der Aufprall am Boden war hart und schmerzhaft, aber nichts im Vergleich mit dem Tritt, der ihr danach in die Magengrube gegeben wurde. Eine Lache aus Galle und einer Spur Blut keuchend, krümmte sich die Elbe einen Augenblick zusammen, während sie mit aller Macht dagegen ankämpfte, das Bewusstsein zu verlieren. Thorin ließ ihr keine Zeit, sich zu fangen, auf die Füße zu kommen, wieder kampfbereit zu werden. Er trat an sie heran, packte bar aller Zurückhaltung mit der Pranke in ihren Haarschopf und zerrte die Elbe, die einen Moment überrascht aufschrie, durch den Torbogen in eine weitere Halle hinein. Sie war wesentlich kleiner und tiefer als der Thronsaal Ninafers, diente jedoch auch ganz offensichtlich völlig anderen Belangen. Wachen fand man hier, wie in der gesamten Zitadelle, nirgendwo. Es gab weder überborderte Teppiche, Selbstportraits oder Büsten, noch Waffenständer oder Rüstkammern. In diesem Saal befand sich das hiesige Äquivalent einer Folterkammer. Unzählige skurrile Kreationen aus Holz und Metall. In mancher kleinen Kuhle brannte ein Feuer, das offenbar irgendetwas warm oder in Bewegung hielt, das leise Klicken und Rattern von Ketten und Mechanismen hielt die Geräuschkulisse monoton am Leben und war damit gewissermaßen zumindest eine Verbesserung gegenüber der Totenstille in den Gängen. Irritiert bemerkte die Elbe aus dem Augenwinkel heraus, das in einer Ecke des Raumes sogar ein Schrank stand, neben dem ein kleines Bett postiert war. „Mir ist klar, das du keiner Vernunft zugänglich sein wirst. Nicht jetzt. Aber wir haben Mittel und Wege.“ eröffnete Thorin in geradezu nebensächlichem Tonfall, ehe er harschen Schrittes auf die Elbe zusetzte. Sie versuchte sich aufzurichten, kam jedoch gerade einmal bis auf die Knie, als ein Fausthieb sie direkt an der Schläfe traf und alle Lichter löschte. Sie spürte noch die Erschütterung, die Verschiebung von Gleichgewicht und Wucht, doch schon beim Aufprall am Boden war sie bewusstlos. „War das wirklich nötig?“ flüsterte die Dunkelheit dem Krieger zu. Thorin jedoch schnaubte nur verächtlich. Von Notwendigkeiten konnte man nur zu leichtfertig sprechen, um andere zu rügen. Er kannte Ashes auf einer Ebene von Parallelen in ihrem Geist und ihrer Vergangenheit – er wusste, das er bestimmte Dinge klar stellen musste, bevor irgendwelche weiterführenden Schritte unternommen werden konnten. Eines, was nun deutlich genug in ihrem Kopf herum schwimmen sollte, war die schmerzliche Erkenntnis, ihm im Kampf einfach nicht gewachsen zu sein. Ashes hatte verloren, auf ganzer Linie versagt. Jemanden zu retten, dafür war sie hierher gekommen. Sie hatte weder erfahren, wo Alistair war, noch ihn befreien können. Alles, was sie erreicht hatte, war der Aspekt, diesem Magier eine Eskorte bis hierher gewesen zu sein. „Bereite alles vor. Ich sehe nach, wie weit sie mit dem Magier ist.“ befahl der Kahlkopf und wandte sich rasch von dem erschöpften, zerschundenen Elbenleib ab. Seine Schritte trugen ihn wieder zurück in die höheren Stockwerke der Zitadelle. „Hier entlang...“ flüsterte man ihm leise ein. Unter all den Lakaien, die Ninafer inzwischen gefunden hatte, unter den gebrochenen, verlorenen, zerschundenen Seelen erkannte er ihre Stimme allzeit wieder, selbst durch die Schleier und Schwaden der Schatten, durch die sie zu ihm sprach. Er folgte ihrer Anweisung zielsicher zurück in die Halle. Schwere Schritte trugen ihn den Teppich entlang und schließlich auch die Stufen zu ihrem Sitz herauf. So manch anderer wäre für diesen Frevel bereits bestraft worden. Er hielt nicht inne, er erwies ihr keinerlei Respekt, keine Verbeugung, nichts. Doch er war nicht irgendwer. Gewissermaßen war die Herrin dieser Festung mit diesem Klotz vertrauter, auf einer skurrilen Ebene intimer, als mit jedem anderen Geschöpf hier. Und immer wieder gab es Tage, an denen sie das gleichermaßen bedauerte und erfreute... „Wo ist der Magier?“ erkundigte sich der Krieger ohne Umschweife und ließ seinen Blick wandern. Aulet, die von Ashes Dolch gefällt und die Stufen rückwärtig herab geworfen worden war, war offenkundig verschwunden. Vermutlich wurde sie gerade... behandelt. In ihr unseliges, verfluchtes Leben zurückgerufen. Irgendwo weit über ihnen erklang das rhythmische, schwache Schlagen von Flügeln. Zweifellos schwärmten die Harpyien noch immer um die Zitadelle wie der Krähenschwarm um den Turm der Friedhofskapelle. „Er führt eine Unterredung. Es wäre mehr als unhöflich, ihn zu stören, findest du nicht?“ eröffnete Ninafer in einem Tonfall, der ihm trotz aller Höflichkeit und Freundlichkeit klar machen sollte, wie unangemessen und töricht es wäre, ihn jetzt aufsuchen zu wollen. Sie kannte ihn. Es war nicht schwer, aus Thorin zu lesen. Er spürte es, geriet darüber oft in Zorn und griff sie gelegentlich sogar an, wenn er sich einmal mehr zu stark fühlte – dieserlei kleine Kabbeleien gab es von Zeit zu Zeit. Bei einem Menschen wie ihm war das wohl unumgänglich, obwohl es natürlich auch andere, ruhigere und angenehmere Zeiten gab. Er misstraute Drakimh... aber der Kahlkopf misstraute auch Orykene, Aulet, allen anderen. Gerade so, als hätte er sich nunmehr unbemerkt in ihre Gedankenwelt eingeschlichen, hob der schroffe Fels die Stimme an. „Ich traue ihm nicht. Er ist Magier... keine Gefahr sicherlich, aber er könnte auf dumme Ideen kommen. Irgendwelchen Unfug anstellen. Von all den Lachfiguren in diesem fliegenden Stück Fels hat er noch das größte Potenzial, unbequem zu werden.“ Ich könnte das ändern, dieses 'Problem' lösen... Er sprach es nicht aus – aber Ninafer brauchte diese Worte nicht aus seinem Geist heraus zu lesen wie die Passage eines alten Buches, es genügte, auf seinen Tonfall zu hören und die Andeutungen in seinem Blick zu erspähen. Er hatte gegen Ashes gekämpft und er hatte sie ohne jede Mühe bezwungen – weil die Elbe ihm im Nahkampf vielleicht ebenbürtig war, es jedoch nicht mit den Mächten aufnehmen konnte, die inzwischen in ihm wüteten und ihn stärkten. War es so profan? Suchte er einfach nur die nächste Herausforderung? „Orykene passt auf ihn auf. Vorläufig wird er nirgendwo hin gehen. Er hofft noch immer, sie retten zu können – also wird er auch nichts anstellen. Du bist schon wieder so unruhig... setz dich doch und-“ „Ihr traue ich auch nicht.“ unterbrach der Muskelberg sie schlicht und ging mit keiner Silbe auf ihr Angebot ein. Ninafer seufzte schwach, ein wenig enttäuscht. Sie hatte gehofft, er wäre ihrer Freundlichkeit vielleicht diesmal ein klein wenig zugänglicher, doch er bewies auch diesmal eine unerfreuliche Kontinuität in seinem Verhalten. „Wie geht es unserem neusten Gast?“ verlangte sie daher schlicht zu wissen. Natürlich war die Frage überflüssig. Wenn sie es wünschte, wäre sie in wenigen Augenblicken selbst in der Folterkammer und könnte sich davon überzeugen. Sie könnte auch einfach in die Erinnerungen des Kriegers einbrechen und sich anschauen, ob er im Kampf gegen sie vielleicht zu weit gegangen war, doch bei all den Möglichkeiten und all der Macht... wollte sie es nicht übertreiben. Und Ninafer wusste, das sie ihren Hoffnungen nie näher kommen würde, wenn sie ihn weiter verprellte. „Der Kampf war nicht fair. Sie ist völlig fertig und ich gab den Auftrag, sie zu binden. Sie... ist stark.“ War die Zusammenfassung der Geschehnisse vielleicht noch das erforderte Minimum, so schien der letzte Zusatz keineswegs typisch zu sein. Doch auch dergleichen kannte sie gut – es war ein Ansatz, ein Auftakt. Er begründete oberflächlich, ehe er zu etwas anhob... in der Regel zu einer Bitte. „Ich will sie haben.“ Einen kurzen Moment lagen diese vier Worte bleischwer in der Luft, ehe das leise, verhaltene und helle Kichern der Herzogin erklang. Oh sie war sich durchaus darüber im Klaren, wie fürchterlich unangemessen und kindisch es war, wegen solcher Dinge derartig amüsiert zu reagieren. Doch es war irgendwie befremdlich, Thorin davon sprechen zu hören, das er etwas – jemanden sogar! - „haben“ wolle. In der Regel waren sie an einem Punkt angelangt, an dem er nichts mehr erstrebte, nichts mehr begehrte und nur noch für die Aufträge zu leben schien, die sie ihm erteilte. Woher also die plötzlichen Ambitionen? „Willst du das? Nun, du hast sie ohnmächtig zurückgelassen, nicht? War das doch deine beste Chance...“ setzte sie auf ihr Amüsement das Sahnehäubchen und beobachtete wohl unterhalten, wie er mit den Kiefern mahlte. Er glaubte wieder, von ihr vorgeführt zu werden, glaubte wieder, sie würde sich einzig und ausschließlich auf seine Kosten amüsieren, obwohl er es doch so ernst meinte und... ach dieser Mann war manchmal fürchterlich anstrengend. „Du könntest wenigstens lächeln.“ seufzte Ninafer, als sie sich langsam beruhigte und ihre gute Laune im Angesicht der steinernen Miene ihr gegenüber auch ebenso rasch wieder zerfiel. Was für ein Spaßverderber. „Sie ist mir an Kraft vielleicht gewachsen. Mit den Fertigkeiten, die mir zuteil wurden, könnte sie unserem Ziel bestens dienen. Vielleicht würden wir dann sogar noch rascher die notwendigen Schritte angehen können und-“ Thorin war kein Mann vieler Worte. Oder guter Worte. Das merkte man schnell – er bemühte sich redlich, vernünftig zu argumentieren und das nun ausgerechnet in einer Situation, in der selbst der weltbeste Rhetoriker schlicht und ergreifend versagt hätte, einfach, weil es von vorn herein keinerlei Chance auf einen Sieg gegeben hatte. Dementsprechend versuchte sie auch, den Schaden zu begrenzen und hob flink die Hand, um ihn zum schweigen zu bringen, ohne ihm dafür ins Wort fallen zu müssen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er ihr das wieder auslegen würde, obwohl er sich umgekehrt fortwährend dieses Recht heraus zu nehmen schien... daran sollten sie bei Gelegenheit arbeiten. „Du kannst sie nicht haben.“ „Warum? Mit Schmerz kennt sie sich aus, mit Kampf und Gewalt... ich werde sie zu nichts überreden können. Du aber kramst doch mit Vorliebe in den schmerzhaften Erinnerungen und Gedanken anderer herum... du könntest sie überzeugen.“ Der unterschwellige Vorwurf war geradezu niedlich. Selbst nach der langen Zeit, die sie nun so exzellent zusammen arbeiteten, konnte er es nicht sein lassen, von Zeit zu Zeit immer noch darauf hinzuweisen, wie alles begonnen hatte. Vielleicht war er ja ein wenig nostalgisch und wünschte sich die Zeiten zurück, als diese Pranken sich noch um ihren Hals gelegt und mit der Kraft eines Schraubstockes geschlossen hatten? „Ashes ist eine zerschundene Seele, sie ist für eine Elbe noch so jung und dennoch im Geiste bereits so schrecklich gealtert. Bitter bis ins Mark und verletzt...“ „Macht es das nicht leichter?“ „Durchaus. Aber es gibt Pläne für sie – die den Deinen im Wege stehen. Thorin, du musst verstehen, ich- nein, warte doch! Thorin!“ Sie hatte den Augenblick genau erfassen können. Den Punkt, an dem er erkannte, das er nicht bekommen würde, was er wollte. Mehr noch. Sie hatte gesehen, wie es in ihm arbeitete, noch bevor er auf der Hacke kehrt machte und einfach wieder aus der Halle verschwand. Er ließ sie zurück, frustriert von diesen abgebrochenen Unterredungen. Sie hätte ihn dafür mahnen können, sie hätte ihn aufhalten können, selbst jetzt noch wäre es in ihrer Macht gewesen, ihn zurück zu bringen... doch wozu? Für noch mehr Streit? „Ihr könntet unzählige Männer haben. Ich begreife nicht, warum ihr euch mit ihm solche Mühe gebt.“ erklang eine leise flüsternde Stimme. Ein leises Zischeln schien unterschwellig darin zu liegen. Kurz darauf führten lautlose Schritte die Figur Aulets wieder die Stufen herauf, an die linke Seite des Thrones. Ihre reptilienhaften Augen fingen den Schein des Feuers ein und funkelten dem Tor entgegen, durch das der Kahlkopf so rüde verschwunden war. „Ach das ist... kompliziert.“ erwiderte Ninafer lediglich seufzend. Es war nicht so, das Aulet nicht mit ihren Worten Recht hatte, nur... Thorin! - Thorin! Geh nicht! - Wir verbieten es! Du hast dort nichts zu suchen. - Verschwinde! Lass sie! - Das geht dich nichts mehr an! Ein penetrantes und diffuses Gewirr aus Stimmen bemühte sich, ihm die Orientierung zu rauben, ihn die falschen Gänge entlang laufen zu lassen, während der Krieger immer rascher seine eigenen Überlegungen zusammen stellte. Es gab Pläne für Ashes... Pläne... das war das Schlüsselwort. Es war nicht so, das er unbedingt in alles eingeweiht werden wollte, er brauchte keine Kontrolle über die vollständige Situation – diese Zeiten hatte er hinter sich gelassen. Doch er empfand eine gewisse... Verbundenheit mit diesem Weib. Sie war ihm in mancherlei Hinsicht ähnlich. Welche Pläne es auch waren, selbst Ninafer hatte nicht sonderlich begeistert geklungen... oder hatte er sich das nur eingeredet? Der Krieger ahnte, das er zu spät käme oder in jedem Fall machtlos wäre, doch er wollte es zumindest auf den Versuch ankommen lassen. Das Ziel der Zitadelle, Ninafers, sein Ziel war die Säuberung dieses Landes. Dabei hätte es bleiben sollen. Ashes aber war kein Einwohner Lumiéls, sie war eine Söldnerin mit Wurzeln irgendwo in Übersee und ohne es auszusprechen, formte sich aus allerlei wirren Gedanken heraus allmählich eine Ahnung. Es würde alles passen – nur wäre es für ihn völlig inakzeptabel. Sein harscher Schritt ging allmählich in einen zügigen Trab über, bis er weiter an Tempo aufnehmend die Korridore der Zitadelle entlang stürmte. In den Treppengängen nahm er drei Stufen auf einmal, wählte damit einen anderen Pfad, als er die Elbe zuvor auf die untere Ebene herab geführt hatte und hoffte, damit etwas schneller am Ziel zu sein. Tatsächlich traf er an der Kammer ein, gerade, als die Tore sich zu schließen begannen. Noch während er sie wieder aufstieß, zog sein Arm in einer flüssigen Bewegung empor und zückte das scheinbar schartige Blatt der Axt von Neuem. Ashes lag auf einem Sockel aufgebahrt, einer Art Altar ähnlich scheinend. Die eisernen Ketten um ihre Hand- und Fußgelenke hielten – noch. Doch es war deutlich, das die Ohnmacht sie nicht lange halten konnte und die blanke Sturheit und der Trotz sie dazu brachten, gegen das Metall zu arbeiten. Sie hatte sogar bereits einen recht ansehnlichen Effekt erreicht – die Schrauben lösten sich langsam aus dem Stein und je mehr Freiraum sie bekam, umso schneller kam sie voran. Thorin störte sich daran herzlichst wenig, er hatte andere Sorgen. Dieses Mal würde er von Angesicht zu Angesicht gegen sie kämpfen. Nicht, weil er es unbedingt und um jeden Preis wollte, sondern, weil die Schatten ihm jegliche Hilfe verweigerten. Sie ließen ihn nicht mehr ein, sie stärkten ihn nicht – er handelte wider ihres Willens, also straften sie ihn ab... oder versuchten es zumindest, in dem sie sich nicht einmischten. Er hatte es schon bemerkt, als er die Thronhalle verließ und versuchte, sich in den Schatten schneller zur Kammer zu bewegen, als ihm im Laufschritt möglich gewesen wäre. Gerade, als er den Sockel erreichte, riss sich die Elbe mit einem Arm los. Thorin holte aus und schlug zu, doch sie vermochte es, sich auf die Seite und damit nah an den Rand des Altars zu rollen. Kleine Steinsplitter rieselten durch die Luft, als die Axt auf blanken, soliden Stein traf. Findige Finger öffneten die einfachen Riegelverschlüsse und noch vor seinem zweiten Angriff hatte sich Ashes völlig befreit. „Du wirst die Zitadelle nicht verlassen!“ fuhr der Krieger sie an, während er sich in einer bereit machte, ihr erneut im Kampf zu begegnen. Ashes jedoch, so zornig ihre Augen auch funkelten, hatte auch nicht vor, zu gehen. Sie hatte durchaus begriffen, das sie ihm vielleicht nicht gewachsen war, doch sie war nicht bis hierher gekommen, um jetzt aufzugeben und einfach abzuziehen. Sie würde finden, weshalb sie gekommen war – und dieser Klotz am Bein würde sie zweifellos nicht davon abhalten können, außer er brachte sie um. Das jedoch, so vermutete sie, lag außerhalb seiner Interessen – sonst wäre sie nach dem ersten Kampf nicht wieder aufgewacht und hätte sich in der Lage einer Gefangenen wiedergefunden. Ein Gefühl, das gleichermaßen bekannt wie verhasst war. Der Worte waren genug 'gewechselt' worden. Ashes sprang unter seiner ersten Attacke hindurch und vollbrachte es, mit wenigen Schritten einen der Waffenständer zu erreichen. Es war nicht unbedingt ihre favorisierte Waffe, aber sie hatte nicht alle Zeit der Welt. Rasch packte sie zu und wirbelte geschickt herum. Der Hüne entkam in seinem Ansturm nur knapp der Klinge der Hellebarde und sah sich einen Augenblick in die Defensive gedrängt, als die Elbe ihn geschickt und flink auf Distanz hielt. Das sie damit nicht wirklich zu kämpfen vor hatte, war offensichtlich. Zu oft schweifte ihr Blick ab, musterte den Raum, durchsuchte ihn... nach einer Waffe, mit der sie besser umzugehen wusste. Thorin wiederum passte einen solchen Moment ab, preschte vor und packte die Lanze knapp hinter der Klinge. Er schlug mit der Axt die Waffe entzwei und wollte schon nachsetzen, schlug die Elbe mit dem zersplitterten Holzstück zu, als hätte sie eine Trollkeule in der Hand. Tatsächlich war ihr Hieb überraschend stark und das gesplitterte Ende hinterließ ansehnliche Kratzer auf seiner Wange. Nichts, was seine Kampfbereitschaft beeinflusste, aber es verschaffte ihr die nötigen Sekunden, sich eines der Schwerter anzueignen. Nunmehr schien der Kampf deutlich ausgeglichener – sehr zu Thorins Unwillen. Hoch oben über ihren Köpfen arbeitete die Zitadelle längst. Die Schatten, die die Festung belebten, in der Luft hielten, sie bewachten und jeden Stein passgenau auf dem Anderen hielten, hatten erkannt, das der Krieger sich durch dezente Nichteinmischung nicht bremsen ließe. Doch das Werk war noch nicht vollbracht, er war noch nicht... 'fertig'. Unruhige Bewegung herrschte an der Raumdecke. So, wie Drakimh fähig war, eine Kugel gleißenden Lichtes zu beschwören, schienen sich dort ihre völligen Gegenteile zu tummeln. Kleine Punkte, Singularitäten, die jegliches Licht in sich einzusaugen schienen, die eine finstere, lichtlose Spur hinter sich her zogen. Dutzende, Hunderte, die knapp unter der Decke aufgeregt wirbelten und immer schneller wurden, das Chaos ihrer Bahnen vergrößerten, je rascher der Kampf unter ihnen vonstatten ging. Ninafer hatte sie zur Eile angetrieben, sah sie doch noch immer eine Möglichkeit, das alle mehr oder minder heil aus dieser Situation heraus kommen konnten. Einstmals war Diplomatie ihre Stärke gewesen – vielleicht war es an der Zeit, das von Neuem zu beweisen. Metall scharrte über Metall, als Thorin den Streich der Elbe nur knapp parieren konnte. Sein Panzerstiefel hob sich, er rammte sein Knie in ihre Richtung, doch die Elbe entkam flink genug, wich zur Seite aus und zog die Schneide schon zum nächsten Hieb seitlich heran. Immer häufiger erklang das Geräusch der Waffen und Paraden, beide Kämpfer waren mehr als warm gelaufen und hoben ohne jede Gnade aufeinander ein. Nur einen einzigen Schwachpunkt bräuchte es, nur einen Augenblick der Unachtsamkeit, um all das zu beenden, doch... bisher war keiner dieser Augenblicke ausreichend gewesen. Ashes blutete aus einer kleinen Schnittwunde am Oberschenkel, noch immer rang sie mit der Erschöpfung und den Schmerzen des vorherigen Gefechtes und ihre Schulter fühlte sich von einem Fausthieb leicht lahm an, doch auch Thorin war bislang nicht ohne Spuren davon gekommen. Sein Rücken brannte wie Feuer von einem Streich, den sie erfolgreich quer darüber geführt hatte. Sein alter Lederpanzer hatte die Schneide abfangen, die Wucht jedoch nicht bremsen können. Schließlich zog der Kahlkopf seine letzte Trumpfkarte. Er verlagerte sich deutlich in die Defensive, beschäftigte sich damit, Ashes Angriffe abzuwehren, während er sich selbst in seine Erinnerungen zurück fallen ließ. Ninafer und ihre Schatten hatten zahllose Bilder und Begebenheiten rekonstruiert, nachdem man ihm den Alkohol erst einmal großteilig ausgetrieben hatte. Alles, was zerstört und vergessen worden war, war zu ihm zurückgekehrt. Es waren schreckliche Momente gewesen, doch gerade hier und jetzt nützte ihm die damals durchlittene Pein. Vor vielen Jahrzehnten hatte der Krieger von einem seiner besten und engsten Freunde gelernt, was es mit zwergischen Berserkern auf sich hatte. Krieger, die gelernt hatten, einen unbändigen Zorn zu entfesseln und dennoch ansatzweise Herr ihrer Sinne zu bleiben. Er hatte gelernt, es ihnen gleich zu tun – und nichts schürte seine Wut mehr als die Erinnerungen, die Ninafer ihm zurückgegeben hatte. Bilder von Kriegern in blutroten Rüstungen, die er unter widrigsten Bedingungen und trotz besseren Wissens in die Schlacht gegen die grüne Flut geführt und dort auf dem Feld verloren hatte, Männer und Frauen, die unter seinem Kommando gestorben waren, all die Gefährten, die bei dem Versuch ihr Leben ließen, gegen seine Majestät vorzugehen, all die Freunde, die er verloren hatte. Ein Marathon schlechter Erlebnisse und scheinbarer Schicksalsschläge, eine sich stetig steigernde Kette von Fehl- und Tiefschlägen, von Gesichtern, von Blut und letzten Worten, die an Geschwindigkeit aufnahm, bis die letzten Bilder geradezu quälend lange in seinem Geist verweilten. Er kehrte heim... grünes Gras, weite Äcker in voller Blüte... alles wirkte so unberührt. Nur die Haustür, die offen stand, verwunderte ihn... die schlammigen Spuren von Stiefeln auf der Schwelle... Die Erinnerungen an jenen schicksalhaften Tag, als er Weib und Tochter geschändet und nieder geschlachtet in seinem eigenen Heim fand, die Stunde, als das Schicksal eines Mannes neu geschrieben wurde – sie weckte noch heute, Jahrhunderte später, schiere Raserei in ihm. Thorin brach so abrupt aus der Starre hervor, das Ashes die nötige Zeit fehlte, zu kontern. Hatte er eben noch in scheinbarer Trance ihren Hieb pariert, so packte er plötzlich ihr Handgelenk, zerrte sie ruppig und überraschend schnell hervor und rammte seine Stirn gegen die Ihre. Schmerz blitzte in seinem Kopf auf, doch nährte er nur, was in seinen Venen brannte. Die Elbe taumelte ein Stück zurück, versuchte sich wieder zu sammeln, da war der Kahlkopf auch schon direkt vor ihr. Sie riss gerade noch rechtzeitig die Klinge empor, als die Axt mit ungemeiner Wucht nieder fuhr. Sie konnte gerade noch zurück setzen, war ihre Parade doch gescheiterte – weit genug zurück, damit sein Stiefel sie hart im Bauch traf. Mit einem Schlag war die Erschöpfung wieder da und rang damit, sie in die Knie zu zwingen, doch trotzig wie eh und je, stellte sie sich erneut. Als der nächste Schlag kam, riss sie abermals die Klinge empor. Nun wissend, worauf sie sich einließ, fasste sie die Spitze ihrer Linke in ihre Hand, um dem Metall mehr Widerstandkraft zu bieten. Es gelang ihr, den Schlag abzufangen, doch die Kraft hinter jener Attacke trieb ihr die Klinge schmerzhaft, wenn auch bislang ohne Wunde, in die Hand. Zudem wollten ihre Knie einen Moment nachgeben. Immer schon hatte sie viel ausgehalten, ihre Kondition war der ihrer Feinde oft überlegen gewesen, doch hier nun stieß sie an ihre Grenzen. Zwei so schwere Gefechte direkt aufeinander überstand selbst Ashes nicht. Sie fand nicht mehr die Zeit zu kontern, sie kam nicht einmal mehr aus ihrer Parade heraus. Thorin hob mit vor Hass glühenden Augen auf sie ein, wieder und wieder und wieder, seine schiere Kraft zwang sie auf die Knie, die Klinge trieb sich in ihre Hand hinein, Blut rann ihren Arm herab, bis der Krieger die Monotonie durchbrach. Seine Faust durchbrach die Parade und erwischte die Elbe unvorbereitet. Sie wurde zurückgeworfen, landete unsanft auf dem Rücken – und konnte nur einmal mehr gerade rechtzeitig die Klinge heben. Der letzte Hieb, den der Kahlkopf austeilte, entschied den Kampf. Die Wucht dieses Schlages übertraf noch, womit er zuvor die Elbe und ihr Schwert traktiert hatte. Wie in Zeitlupe sah Ashes die Klinge beben, zittern, sah die haarfeinen Risse sich ausbreiten. Die Klinge zerbarst unter der Kraft des Schlages, das Heft entglitt ihrer Hand, das Klingenstück dagegen schnitt sich noch tiefer in ihre Wunde und eine Reihe von Splittern sauste wie Geschosse umher. Sie bohrten sich in Thorins Oberschenkel, der sich kaum dafür zu interessieren schien, sie fraßen sich in den Boden – und in Ashes Schulter. Sie wurde erneut zurück geworfen. Sie wusste, das ihr Leben davon abhing, dem nächsten Schlag zu entgehen. Sie könnte sich zur Seite rollen, ihm gegen die Knie treten und... nein. Sie könnte nichts dergleichen. Ihre Kräfte waren schlicht erschöpft. Sie lag am Boden, sie war besiegt – einmal mehr – und spürte, das sie sich vielleicht noch zur Seite hätte drehen können, aber was hätte ihr das schon gebracht, außer einem kleinen Aufschub? Sie wäre zu fliehen gezwungen gewesen und dazu besaß sie nicht die Kraft. Sie bezweifelte, das sie sich überhaupt gegenwärtig eigenständig auf den Beinen hätte halten können. Die Axt hob sich ein letztes Mal und erstarrte, während der Krieger auf sie herab spähte. Just in jenem Augenblick beendeten die Schatten ihr Werk. Eine kleine Kugel, jene physische Ausprägung der Abwesenheit von Licht, schnellte von der Decke herab, aus dem Wust des chaotischen Wirbelns heraus. „Das war nicht der Handel!“ wurde ihm vorgeworfen. Doch der Krieger war völlig unzugänglich für Vernunft und Worte. In seinem Kampfrausch sah er nur noch den Feind vor sich, der ausgelöscht werden musste. Handel? Was für ein Handel? Die Klinge rückte in Richtung der Elbe hervor und erstarrte nach einem kurzen Zucken bereits wieder, als unzählige Schlingen sich um den Leib des Kriegers banden. Binnen Sekundenbruchteilen war der Hüne völlig fixiert und die Szenerie erstarrte. Die Kugel schwebte vor ihm – und damit über Ashes. Der Glatzkopf schnaufte wie ein Stier in der Arena, während seine Augen noch immer voller Inbrunst die Elbe fokussiert hielten. Nur leise, aber durchdringend erklang die Stimme vom Tor der Halle her. „Thorin... hör auf.“ Langsam schritt Ninafer über den schwarzen Obsidian der Halle bis zu ihrem Getreuen herüber. Sein Blick wanderte, langsam, träge. Er hatte sich so tief in diesen Rausch hinein gesteigert, das in seinem Kopf ein kreischendes, zorniges Chaos herrschte. Kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen – fast bemitleidete sie ihn dafür, in diesem Zustand am stärksten zu sein. Ihre zarten, schlanken Finger legten sich auf seinen Unterarm und eine Reihe der Fesseln aus Schwärze und Schatten löste sich von ihm. Längst nicht alle – jeder im Raum war zu vorsichtig, ihm mehr Freiheit einzuräumen, als gut war. „Beruhige dich.“ bat die Herzogin ihren Leibwächter mit sanftem Tonfall, und so zuwider ihm ihre Gegenwart und ihre Anwandlungen von Nähe zumeist auch waren... er bemühte sich, zu gehorchen. Es war schwierig, etwas einzufangen und zu beherrschen, das man entfesselt hatte, weil es unbezähmbar war. Fast wäre er ihr dankbar dafür gewesen, das sie sich in seinen Kopf eingrub und ihm half. Fast. Denn sie hatte dort trotzdem nichts zu suchen, sie... Sein Blick fiel auf Ashes herab und obgleich es schwer war, das einzugestehen... fiel es ihm nicht mehr so leicht, Ninafer zu grollen. „Ich weiß das zu schätzen, wirklich. Und nun komm... wir haben noch zu tun.“ Auch die letzten Schatten zogen sich langsam zurück. Sie war umsichtig genug, die Hand von seinem Arm zu nehmen und wies ihm stattdessen den Ausgang. Ein letzter Blick auf die Bezwungene herab, ehe die Axt auf den Boden fiel und ein Scheppern hinterließ, dessen Echo mehrfach im Raum auf und ab wallte, von den Säulen und glasglatten Wänden reflektiert. Das Duo ließ die Kammer hinter sich und nun, wie schon vor dem Erscheinen des Kriegers angedacht, schlossen sich die Tore hinter ihnen. Zurück blieb Ashes, die sich ächzend am Boden wand und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Sie begriff nicht, was eben geschehen war. Zuerst hatte er sie nur fern halten sollen und sie hierher geschafft, wo er sie ohnmächtig schlug und anbinden ließ. Als er dann zurückkehrte, nahm er den Kampf wieder auf – und diesmal ganz offensichtlich bemüht, sie zu töten, bis dieses Flittchen auftauchte und ihren Köter zurück pfiff. Was ging hier eigentlich vor sich? „Sie ist kein Flittchen.“ eröffnete eine leise Stimme ihr. Ashes versuchte die Quelle zu erkennen, doch mit der Kraft, die sie fand, um ihren Kopf zu heben, erkannte sie lediglich, das der gesamte Raum leer war. Mit purem Willen zwang sie sich, ihren Körper bis zur nahe gelegenen Wand zu schleifen, an der sie sich halb aufsetzte und mit dem Rücken gegen den angenehm kühlen Stein lehnte. Noch mehr Feinde? Noch mehr Schatten, die sich mit ihr prügeln wollten? „Wo... ist Alistair?“ brachte sie erschöpft hervor. Wenigstens eine Antwort. Nach allem, was hier geschehen war, wollte sie wenigstens eine verdammte Antwort haben! „Näher als du glaubst.“ erwiderte die Stimme lediglich. Die kleine Sphäre, die von der Decke herab gerauscht war, um in den Kampf einzugreifen, begann nun Ashes Aufmerksamkeit zu erregen. Obgleich es klang, als würde die Stimme von allen Seiten zugleich kommen, wähnte ihr gutes elbisches Gehör die Quelle darin gefunden zu haben. Just in diesem Moment expandierte die Kugel, wuchs heran, vergrößerte sich, bekam Arme, Beine, Kopf. Nachdem die Konturen ausgeprägt waren, schienen die schwarzen Schaden wie die Reste eines nicht länger benötigten Kokons abzufallen – und gaben frei, weshalb die Elbe hierher gekommen war. Es gab keine Wörter für den Schmerz, den sie empfand, als ihr dieser Anblick zuteil wurde. Blass war er, wie immer. Seine Beine gerade, der rechte Arm ohne irgendeine Verletzung. Er hatte zu ihr gesprochen, mit einer Stimme, die von den Schatten verzerrt worden war – nun aber stand er dort, lächelte milde und war zweifellos in der Lage, ihr alles zu erzählen, was immer er erzählen wollte. Er hatte schon immer eine geschwätzige Ader gehabt. Der Blick der Elbe wurde glasig und hart zugleich. „Was haben sie dir angetan...?“ Alistair seufzte leicht und das Lächeln verlor sich. Er trat einen Schritt auf Ashes zu, nur um den Widerwillen in ihrem Blick wachsen zu sehen. Also zog er es vor, sich vor ihr im Schneidersitz auf den Boden zu begeben. „Es ist einiges schief gelaufen, nicht wahr? Ich habe es mir von Ninafer erzählen lassen. Während ich schlief... suchte ich nach dir. Nach Kat, nach... irgendwem, den ich kannte. Die Rebellen sind tot, Ash. Die Zentauren haben sie abgefangen, bevor sie Sundergrad erreichten. Vielleicht eine lächerliche Rache dafür, was die Harpyien ihrem Volk antaten. Von Kat fehlt jede Spur. Wenn sie klug ist, sorgt sie dafür, dass das so bleibt. Oder sie hat Lumiél bereits verlassen, vielleicht ist sie nach Anadyr zurück...“ Erklärungen. Fakten. Beobachtungen. Aber nichts, was die Elbe wirklich interessierte. Nicht jetzt. Wichtig war im Moment eher... „Warum?“ „Sie hat eine recht überzeugende Art. Denke nicht so schlecht von ihr – es waren weder Folter noch Verlockung nötig. Das zweite Mal in meinem Leben wurden mir Wunden beigebracht, die ich unmöglich ohne Folgen hätte überstehen können. Schon nach dem ersten Mal war ich... zerstört und... nun, du hast ja gesehen, wie ich in Sundergrad hauste und lebte, du hast erlebt, wie ich... war. Ich hätte das nicht noch einmal überstanden. Sie bot mir an, all das rückgängig zu machen. Sie bot mir mehr an, als ich je wollte. Rache an Aedan – das war mir gleich. Rache an den Wächtern aus Sundergrad, selbst nach ihrem Tod – ich war nie sehr nachtragend. Geschehen ist geschehen, sie zu quälen brächte mir meine Hand und meine Zunge nicht zurück, es würde mir nicht die Schmerzen nehmen, die ich jeden Tag empfand. Also bot sie mir genau das: Gesundheit. Jetzt und so lange ich lebe. Ich... habe dich nie vergessen. Ich handelte mit ihr, so gut ich es konnte, ich... Ash, bitte... sieh mich nicht so an.“ „Und was jetzt? Soll ich für sie arbeiten und wir spielen heile Welt?“ fuhr die Elbe den Mann an, den sie liebte. Sie war sich nicht darüber im Klaren, ob er überhaupt noch dieser Mann war... „Nein. Ich weiß, du traust mir nicht mehr. Wir dürfen gehen... ich habe meinen Teil des Paktes erfüllt und sie erfüllt den Ihren. Ich möchte... dich begleiten. Wir könnten Lumiél verlassen, endlich fort aus diesem verdammten Land, das uns nur Ärger gebracht hat. Irgendwo neu anfangen... uns wieder etwas aufbauen und vielleicht... schaffe ich es sogar, dein Vertrauen ein Stück weit zurück zu gewinnen, ich meine... du erinnerst dich doch, das wir...“ Hatte Alistair eingangs noch recht sicher und überzeugt geklungen, so musste die Elbe mehr und mehr die alten Züge ihres Liebsten in ihrem Gegenüber wiederfinden. Sie hörte, wie die Verzweiflung seine Stimme für sich einnahm, wie er leiser wurde, um zu verbergen, das seine Stimme erstickt klang, belegt. Sie sah ihm die Nervosität an, die... Angst. Er fürchtete sich schrecklich davor, allein zu sein, all dies auf sich genommen zu haben und nun keinen Platz mehr in ihrem Leben zu haben, er fürchtete sich... vor viel zu vielen Dingen, wie immer schon. Und dennoch steckte in jeder Zeile diese hoffnungslose Romantik und der Idealismus, der sie an so vielen Tagen bis aufs Blut gereizt hatte. Wenn diese Gestalt nicht Alistair war, dann war es der beste Schauspieler, den sie in ihrem Leben je gesehen hatte. Doch wie sollte es weiter gehen? Würden sie wirklich einfach die Segel streichen und dieses Atoll hinter sich lassen können? War Alistair überhaupt wieder oder noch ein Mann aus Fleisch und Blut? Wollte sie überhaupt gehen und alles hier hinter sich lassen? Sie könnten Kathryn folgen... und endlich den vor über zehn Jahren geschlossenen Pakt einlösen, ihre Heimat von einer Hochstaplerin zu befreien. Sie könnten viel, wenn die Welt ihnen erst einmal wieder offen stünde... „Wir sollten erst einmal von hier verschwinden.“ fasste die Elbe ihre Überlegungen knapp zusammen. Sie wusste es schon vorher und sah sich nur bestätigt, als sie einen Blick in sein Gesicht warf. 'Wir' war das Schlüsselwort. Sie hatte ihm nicht seine Ängste genommen, aber sie zumindest ein kleines Stück weit beschwichtigt... „Los, hilf mir hoch.“ forderte sie. Eine kühle Hand schloss sich um die Ihre, kühl – aber nicht kalt. Sie griff nicht durch ihn hindurch, er war keine wandelnde Leiche, er war... 'echt'. Während sie die Halle und kurz darauf auch die Zitadelle verließen, wagte Alistair zaghaft zu hoffen. Um Lumiél war es geschehen – das hatte Ninafer ihm gesagt. Dieses Land würde keine Rettung mehr erfahren. Wie viele Königreiche zuvor, würde es unter der Macht eines Gottes erzittern und zerbrechen. Aber die Welt war groß und vielleicht, nur vielleicht, würden Ashes und er noch eine zweite Chance bekommen. Mehr wollte er doch gar nicht. Nur eine zweite Chance... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)