Depth von psycho_puschel (I found out.) ================================================================================ Kapitel 1: And you bleed much better than I bleed ------------------------------------------------- Depth I. And you bleed much better than I bleed Wheeler. Wheeler war unbeschreiblich. Nicht im positiven Sinne -keinesfalls, niemals- aber Wheeler zu beschreiben war... merkwürdig. Man konnte sagen, er war chaotisch. Oder man glaubte zumindest, dass er es war. In den extremsten Situationen, wenn seine Schwester in Lebensgefahr schwebte oder Gott weiß was, da strahlte er plötzlich diese Ruhe aus. Kein Anzeichen von Chaos, von Hektik, von Joey Wheeler im eigentlichen Sinne. Wheeler war nicht chaotisch, zumindest nicht chronisch. Alles, womit man glaubte, Wheeler beschreiben zu können, war relativ. Sogar seine straßenköterblonde Haarfarbe war relativ, weil sie, verdammt nochmal, nicht immer straßenköterblond war. Ich fragte mich mittlerweile tatsächlich, ob er sich seine Haare nicht zwischenzeitlich immer mal anders färbte, weil er wusste, dass es mich beschäftigen würde. Selbst Wheeler musste wissen, dass ich mich nicht mit ihm beschäftigen sollte, geschweige denn wollte. In meinem Leben gab es wichtigere, bedeutend wichtigere Dinge als schizophrene Köter. Vielleicht gehörte meine schulische Laufbahn nicht unbedingt dazu, dennoch sollte ich mich wieder auf den Unterricht konzentrieren. Wheeler tat mir nicht gut. „Herr Kaiba, könnten Sie bitte wiederholen, was ich gerade gesagt habe?“ Ich starrte gelangweilt die Tafel an. Rhetorische Fragen waren nicht zur Beantwortung gedacht. Der restliche Schultag verlief bis zur Pause gewöhnlich. Wheeler blieb meinen Gedanken fern und mein Kopf war frei für den Unterrichtsstoff. In der Pause jedoch war der Hof wie leergefegt. Es sollte mich eigentlich nicht stören, hatte ich dadurch doch meine Ruhe und konnte an den Verkaufsbilanzen meiner Firma weiterarbeiten. Natürlich war mir diese Erholung maximal ein paar Sekunden vergönnt. Als ich einen Schatten auf mir spürte, blickte ich auf, in Erwartung ein aufdringliches Mädchen oder meinetwegen sogar Wheeler vor mir stehen zu sehen. Zu meiner Verwunderung war es irgendein Schüler ein paar Stufen unter mir. Er wirkte aufgelöst und ein Hauch von Interesse, was er denn von mir wollte, beschlich mich. Als er wild zu gestikulieren begann, aber immer noch nichts sagte, riss mein Geduldsfaden. Entweder er sagte mir, was er wollte, oder er sollte mich endlich weiter arbeiten lassen. „Was ist?“, herrschte ich ihn an. Einen Augenblick sah er mich entgeistert an, dann begannen zig Worte auf einmal aus ihm herauszusprudeln. „Dieser Typ aus deiner Klasse... Da waren diese Typen und... keine Ahnung. Er liegt jedenfalls da rum. Und er blutet. Und ich kann keine Lehrer finden oder diese Leute mit denen der immer rumhängt. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll, ich kenn' mich mit sowas doch nicht aus!“ Aufgelöst begann er wieder zu gestikulieren und schien mit der Situation maßlos überfordert zu sein. Trotzdem sah ich noch immer nicht ein, was mich das alles betreffen sollte. Der Junge sollte einen Krankenwagen rufen, nicht mich mit solchen Dingen belästigen. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte ich die Tränen in seinen Augen. Der Kerl schien mit seinen jungen Jahren auch noch ein sehr emotionaler Typ zu sein. Genervt richtete ich mich auf. So hatte das alles keinen Sinn. „Du zeigst mir jetzt wo der Junge liegt und während ich mich um ihn kümmere, rufst du einen Krankenwagen, klar?“ Meine Stimme war eine Mischung aus ruhig und kühl, aber genau das schien den Jungen etwas zu beruhigen. Ernst starrte er mich an, dann nickte er und ging voraus. Ich folgte ihm bis in die hinterste Ecke des Schulhofs. Dort angekommen zweifelte ich ernsthaft an meiner Zurechnungsfähigkeit. Blonde Haare, alte Klamotten... „Wheeler?!“ ...Und eine Menge Blut. „Er ist nicht ansprechbar“, meinte der kleine Junge neben mir mit ernstem Gesicht. Wundervoll. Wheeler, Joey Wheeler, war wirklich der letzte, mit dem ich im Moment mehr als nötig zu tun haben wollte. „Solltest du nicht einen Krankenwagen rufen?“, meinte ich an den Jungen gewandt. Er senkte seinen Kopf und antwortete extrem leise: „Ich habe kein Handy.“ Dass es so etwas bei uns in Japan noch gab... Ohne groß drüber nachzudenken gab ich dem Jungen mein Handy. Wheeler schien es tatsächlich übel zu gehen und ich bezweifelte, dass der Junge erste Hilfe leisten konnte. Meine Kenntnisse in dem Bereich waren zwar auch mehr schlecht als recht, aber das Nötigste konnte ich. Ich prüfte Wheelers Herzschlag und war tatsächlich erleichtert, als ich das leise, aber vorhandene Pochen vernahm. Atmen tat er zudem auch noch. Ich legte den Köter in die stabile Seitenlage und wartete zusammen mit dem Jungen auf den Krankenwagen. Knapp fünf Minuten später wurde Wheeler abgeholt. Nachdem sie die Sirene vernommen hatten, hatten sich einige Schüler nach draußen begeben und begannen nun wilde Diskussionen und Spekulationen über das, was passiert sein mochte. Gerade als ich mich vom Ort des Geschehens abwenden und nach Hause fahren wollte, tauchte der Kindergarten neben mir auf. In ihrer Aufgescheuchtheit schienen sie mich gar nicht zu bemerken. Ich sah meine Chance und ging weiter in Richtung meines Wagens, doch hinter mir vernahm ich auf einmal ein leises „Danke“. Ich drehte mich um und sah Muto, der mich anlächelte und wieder seinen „Wir sind alle Freunde“-Gedanken nachzugehen schien. Ich ignorierte ihn, setzte mich in mein Auto und fuhr auf direktem Wege in meine Firma. Zirka drei Tage später klingelte es an der Tür. Da Samstag war und ich Mokuba versprochen hatte, an den Wochenenden nicht mehr, oder zumindest nur noch zu Hause, zu arbeiten, war ich da und öffnete selbst die Tür. Vor mir stand erneut Muto und ich überlegte ernsthaft, die Tür direkt wieder zu schließen. Sobald der Zwerg mit mir reden wollte, gab es Probleme. Seiner Meinung nach meist irgendwelche dunklen Bedrohungen, die die Welt zerstören wollten. Dabei war Muto selbst ein kleiner Psychopath, mit seiner Schizophrenie und seiner selbstständigen Fantasie. „Hallo, Kaiba“, lächelte er mich an und mir wurde speiübel. Muto war wirklich nicht abzuschütteln. „Ich war gerade bei Joey im Krankenhaus und da dachte ich mir, ich komme eben vorbei und sage dir, wie's ihm geht. Weil du ihm ja geholfen hast und alles“, fügte er hastig noch hinzu. Sein Lächeln schien dabei angeklebt zu sein und ich kam nicht umher mich zu fragen, wie man mit so verzerrten Mund überhaupt noch Sätze hervorbringen konnte. „Wheeler interessiert mich einen feuchten Kehricht. Nur weil ich traurigerweise in diesen Vorfall verwickelt wurde, heißt das nicht, dass ich irgendetwas über ihn wissen oder mit ihm zu tun haben will, verstanden?“ „Ich dachte ja nur, weil du ihm geholfen hast und...“ „Das war ein unglücklicher Zufall, Muto. Mit Wheeler und deinem Kindergarten möchte ich nichts zu tun haben“, machte ich ihm klar. Hoffentlich hatte er es nun verstanden. „Gut, Kaiba. Wie du meinst. Entschuldige die Störung. Schönen Abend noch.“ Dann drehte er sich um und ging. Keine Viertelstunde später klingelte mein Privathandy, was mich sehr verwunderte. Nahezu niemand hatte diese Nummer. „Kaiba?“, meinte ich beherrscht aber dennoch etwas neugierig. „Guten Abend, Herr Kaiba, schön dass ich Sie erreiche. Mein Name ist Dr. Hideki, ich bin behandelnder Arzt von Joey Wheeler. Sie und ein gewisser Herr Muto wurden uns als einzige Angehörige genannt und Herrn Muto kann ich momentan nicht erreichen. Es dürfte Sie interessieren, dass Herr Wheeler gerade aufgewacht ist und morgen bereits das Krankenhaus verlassen kann.“ Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. Wann bitte hatte ich den Wheeler-Newsletter abboniert? „Wie kommen Sie auf darauf, dass ich ein Angehöriger Wheelers sei?“, fragte ich nach. Ich hatte keine Ahnung wie das Krankenhaus an meine Privatnummer gekommen war. „Nun ja, Herr Wheeler lebt alleine und Herr Muto meinte Sie und er sein die einzigen Ansprechpartner in diesem Fall...“ Die Stimme des Arztes wurde zunehmend unsicherer. Dennoch meinte er auf einmal: „Und Sie holen Herrn Wheeler dann morgen ab und nehmen ihn mit zu sich, denke ich?“ Irritiert weiteten sich meine Augen. „Wie bitte kommen Sie auf diese hirnrissige Annahme?! Ich stehe in keinster Verbindung zu Wheeler und werde ihn gewiss nicht bei mir aufnehmen.“ „Das ist seltsam, da Herr Muto meinte-“ „Mir ist egal was Herr Muto meint!“, entgegnete ich. „Der Kerl meint viel, wenn der Tag lang ist. Ich habe jedenfalls nichts mit Wheeler zu tun und werde ihn auch nicht bei mir wohnen lassen. Regeln Sie das mit Herrn Muto. Schönen Tag noch.“ Bevor Dr. Hideki noch etwas erwidern konnte, hatte ich bereits aufgelegt. Muto. Wie kam der Zwerg darauf, mich als Wheelers Angehörigen anzugeben?! Mit dieser Aktion war er definitiv zu weit gegangen. Am Montag, nachdem alle Schüler den Klassenraum verlassen hatten, stellte ich Muto zur Rede. Er hatte Wheeler anscheinend tatsächlich Asyl gewährt. Trotzdem sah ich nicht ein, dass Muto meine Nummer an Wheelers -um Gottes Willen: Wheelers!- behandelnden Arzt weitergegeben hatte. „Aber Kaiba, ich dachte, weil du eh so viel Platz bei dir hast und weil du Joey doch gerettet hast...“ „Muto“, entgegnete ich scharf. „Wie oft soll ich es noch sagen, bis du es endlich verstanden hast? Wheeler und ich haben nach wie vor nichts, wirklich gar nichts mit einander zu tun. Und ich bin nicht gewillt, das zu ändern.“ Nachdem Muto noch einmal seine Standardfloskeln von wegen Freundschaft und soweit ich mich erinnern kann sogar Schicksal runtergerattert hatte, verließ ich fast fluchtartig den Raum. Wenn der Zwerg einmal mit reden anfing... Direkt nach der Schule fuhr ich wie immer in die Firma. Gerade jetzt, wo ich am Wochenende nicht mehr viel arbeitete, häufte sich das zu Erledigende unter der Woche extrem an. Hinzu kam, dass ich seit dem Vorfall nur noch mehr Gedanken an Wheeler verschwendete. Der Kerl wohnte alleine? Woher nahm er dafür bitte das Geld? In Gedanken sponnen sich mir die seltsamsten Theorien zusammen. Wheeler war nebenberuflich Bankräuber und wurde von seinen Komplizen zusammengeschlagen, die ihren Anteil der Beute nicht bekommen hatten. Wheeler dealte mit Drogen und schuldete seiner Quelle noch Geld. Ja, ich dachte sogar darüber nach, ob Wheeler nicht seinen Körper verkaufte und von einem übermütigen Freier verprügelt worden war. All das geisterte in meinem Kopf rum und die Arbeit häufte sich nur so an. Das war meine persönliche Talsohle der letzten Tage. Meine ach so wichtige Arbeit schob ich beiseite, nur um über den Köter zu philosophieren und mir irgendwelche abenteuerlichen Geschichten auszudenken? Immerhin war mir nun klar, dass ich umgehend meine Prioritäten zurechtrücken sollte. Am besten sofort. Just in diesem Moment kam meine Sekretärin rein. „Die neuen Akten, Herr Kaiba“, meinte sie, und legte mir einen weiteren Stapel Papiere auf den Tisch. Etwas skeptisch musterte sie die drei Stapel daneben, die ich normalerweise schon längst abgearbeitet hätte. „Ach, und ,Herr Kaiba, ein gewisser Joseph Wheeler wartet auf Sie. Soll ich ihn hoch schicken?“ Mein Atem stockte und ich schluckte schwer. Nun ja, vielleicht würde es mir gut tun, mit Wheeler zu sprechen. So merkwürdig das auch klingen mochte. Ich würde meine offenen Fragen klären können und Wheeler ein für alle Mal aus meinem Kopf verbannen können. Ich blickte meine Sekretärin an, die gewohnte Kälte in meinen Augen und meinte mit entschlossener Stimme: „Lassen Sie ihn rein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)