Farbenblind von Shuu (Zwischen Hell und Dunkel) ================================================================================ Kapitel 2: Orange ----------------- Orange Nie im Leben hätte Yuuki erwartet, dass dieser Abend noch schön werden sollte. Trotz anfänglicher Abneigung , steigerte er sich regelrecht hinein und forderte jeden am Mikrofon heraus. Er blieb ungeschlagen. Tetsu stand die ganze Zeit neben ihm und feuerte ihn an. Ein Wunder, denn der Kleinere hatte ursprünglich geplant die doofen Sekretärinnen klarzumachen. Da sein Freund jedoch so aus sich herausging, was er zuvor noch nie erlebt hatte, ignorierte er die gackernden Hühner. Zudem überraschte es den Schwarzhaarigen äußerst positiv, welch eine Stimmgewalt dort neben ihm stand. Yuuki hatte noch nie ein Wort darüber verloren, aber er war ohnehin immer recht wortkarg gewesen. Tetsu konnte nicht behaupten ihn wirklich zu kennen. Zwar hatte er sich immer bemüht auf den Blonden zuzugehen, doch wenn er einen Schritt vorwärts machte, ging der Größere zwei Schritte zurück. Der Abstand blieb also erhalten und das eisige Schweigen Yuukis baute eine unsichtbare Mauer zwischen den beiden auf. Nun sah er aber seine Chance, als sein Kollege ziemlich geschafft das Mikrofon sinken ließ und gab es mit einem Lächeln an einen kleinen, leicht untersetzten Telefonoperator weiter, welcher ein erstaunlich gutes Michael-Jackson-Medley hinlegte. Das interessierte Tetsu allerdings herzlich wenig, denn Yuuki legte freundschaftlich einen Arm um seine Schulter und schnappte sich sein Asahi, um sich daraus einen kräftigen Schluck zu genehmigen. "Diese Maschine braucht ein paar ordentliche Rocksongs!", tönte er nur, schwieg danach wieder und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. So hatte Tetsu ihn noch nie erlebt. Er glaubte ein Glänzen in den dunklen Iriden zu erkennen, wie bei einem kleinen Kind, was zum ersten Mal in seinem Leben den Zoo besuchte. „Alles okay bei dir?“, fragte er schließlich, nachdem das Schweigen weiterhin anhielt, obwohl es noch nicht einmal unbedingt unangenehm war. Yuuki tat es mit einer lässigen Handbewegung ab. Reden verstimmte ihn einfach nur wieder und ließ die Farbe verschwinden. Da er gerade nicht mehr am singen war, verblasste sie ohnehin und näherte sich einem Grauton, der letztendlich in schwarz überging. Der schöne Moment war vorbei, aber er hatte sich in seine Gedanken gefressen und wollte nicht mehr verschwinden. Man konnte es als eine Wechselbeziehung sehen. Yuuki brauchte die Farben, die bekam er aber nur durch Musik. Oder gab es vielleicht noch einen anderen Weg, um in diese fremde Welt einzutauchen. Inzwischen stand er alleine, mitten im Gewimmel des Raumes. Tetsu hatte sich durch die Masse an Menschen gekämpft und kam wieder mit jeweils zwei Flaschen Bier in jeder Hand zurück. Mit einem Kopfnicken gab er dem Blonden zu verstehen, dass er ihm folgen sollte. Ungewöhnlicherweise tat Yuuki wie ihm geheißen und folgte anstandslos. Keiner der beiden sagte etwas, als sie den Fahrstuhl betraten. Auch nicht, als Tetsu das oberste Stockwerk des Wolkenkratzers wählte und die Fahrt nach oben mit einem kribbeln im Bauch begann. Ein Ton, der von einer Empfangsglocke hätte sein können, erklang und für einen Moment glaubte Yuuki, das flackernde Licht im Aufzug hätte einen blauen Schimmer. So schnell wie der Ton verflogen war, so schnell war auch die Farbe weg und Schwarz-weiß war vorherrschend. Die Türen schoben sich auseinander. Die beiden Männer betraten den Flur, der zu der Chefetage gehörte. Es verwunderte Yuuki und er fragte sich, was sie hier wollten. Als ob Tetsu den fragenden Blick erkannt hätte, rasselte er mit dem Schlüsselbund, der mit einer Kette am der Gürtelschlaufe befestigt war und somit das recht lässige Outfit abrundete. Was es zu bedeuten hatte, konnte Yuuki auch nicht beantworten, also folgte er Tetsu, der an einer Tür am Ende nach einem passenden Schlüssel suchte. Als er ihn gefunden hatte, entriegelte er die schwere Metalltür, schob sie zur Seite und legte somit den Weg zu einer Feuertreppe frei. Diese führte allerdings nicht nach unten, sondern nach oben, auf das Dach. Dahin wollte ihn sein Kollege also entführen. De Stille zwischen den beiden brach nicht, schweigend erklommen sie die letzten Stufen, wo sie die letzte Tür passierten und der Weg nach draußen freigegeben wurde. Der Größere bereute keine Jacke angezogen zu haben aber woher sollte er auch wissen, wohin Tetsu ihn brachte. Andererseits nahm er die Kälte gerne in Kauf, bei dem Anblick, der sich ihm bot. Die Stadt lag ihnen regelrecht zu Füßen. Der klare Nachthimmel war nicht mehr verdeckt, sogar die Sterne konnte man erkennen, das sie jetzt auch schon kurz davor waren, nach ihnen zu greifen. Normalerweise konnte man das Firmament nur außerhalb der Stadt sehen. Auf den hell erleuchteten Straßen zwischen den ganzen Wolkenkratzern war es schier unmöglich. Sein Kopf lag in seinem Nacken, seine Augen haschten nach jedem funkeln am Himmel und nicht nur der kalte Wind sorgte dafür, dass seine Arme mit einer feinen Gänsehaut überzogen wurden. Neben ihm rieben zwei Metallstücke aufeinander worauf eine kleine Flamme die Zigarette zwischen Tetsus Lippen entzündete. Ein tiefer Zug folgte, eine Sekunden danach stieß er den blauen Dunst wieder aus. „Ich bin oft hier oben, wenn es den möglich ist...“, murmelte er. Der Schwarzhaarige erwartete darauf kein Kommentar oder eine Antwort, denn das war er schon von Yuuki gewohnt. Das musste als Erklärung reichen für den Blonden. Dieser ging näher an den Vorsprung des Daches und blickte hinunter. Vor ihm lag eine von Menschenhand geschaffene Schlucht, durch die sich kilometerlange Lichtschlangen wanden. Ein falscher Schritt und er würde ein Opfer dieser Schluchten werden. Es schreckte ihn aber keinesfalls ab, auf den Vorsprung zu klettern und sich darauf zu setzen, um einfach die Beine baumeln zu lassen. In seinem Bauch kribbelte es was wahrscheinlich an dem Adrenalin lag, was nur durch diese kleine Kletteraktion hervorgerufen wurde. Er hatte Tetsu gehört, wie er erschrocken nach Luft geschnappt und sich daraufhin am eigenen Zigarettenrauch verschluckt hatte. Als er aber erkannte, was Yuuki wirklich vor hatte, gesellte er sich zu ihm, bewegte sich im Gegensatz zu Yuuki wesentlich umständlicher und vor allem vorsichtiger. Normalerweise empfand Yuuki die Nacht als sehr dunkel, obwohl es in der Stadt immer hell erleuchtet war. Doch zu dieser Tageszeit sah er immer am schlechtesten. Wenn ihn die grellen, weißen Neonlichter nicht blendeten, dann verschluckte ihn das schwarz des Himmels. Es war das erste mal, dass er die Stadt aus völlig anderen Augen betrachtete. Es schien wieder ein bisschen mehr Wärme in seinen Körper zu kriechen, was keinesfalls die Ursache eines plötzlichen Temperaturumschwunges war. Aus unerfindlichen Gründen schaffte es Tetsu nach und nach das Leben in ihm zu wecken. Es war in Yuuki vorhanden, nur musste dort mal ordentlich Frühjahrsputz gemacht werde, was der Schwarzhaarige wohl noch binnen eines Abends schaffen wollte. „Vorhin im Saal hast du wirklich gut gesungen. Warum machst du das nicht öfter?“ Die Antwort bekam er mit einem Schulterzucken. „Du hast Talent. Das solltest du nicht vergeuden! Glaub mir, hätten wir keinen Sänger in der Band, würde ich dich sofort zur nächsten Probe mitnehmen. Du hast wirklich etwas auf dem Kasten!“ Tetsu zog ein letztes mal an seiner Zigarette und schnippte anschließend den Stummel hinunter in die Tiefe. Yuuki verfolgte deren weg, bis man das Glimmen gar nicht mehr erkennen konnte. Dann griff er in seine eigene Hosentasche und zückte ebenfalls eine Kippe. „Hast du Feuer?“, fragte er, kassierte jedoch nur einen eingeschnappten Blick. „Hörst du mir überhaupt zu?“ „Ja, natürlich. Bekomme ich nun Feuer?“ Murrend hielt Tetsu sein Feuerzeug hin, Yuuki nahm es ihm ab und steckte die mit Tabak gefüllte Papierrolle an. „Du musst lockerer werden! Du bist immer so steif! Hast du denn überhaupt Spaß an irgendwas? Ich will nicht sehen, was du für ein Gesicht beim Sex ziehst... Könntest dann aussehen, wie ein abgemagertes Fingertier!“ Tetsu wusste, dass er ziemlich weit ging, allerdings war Yuuki noch nie ausgerastet, egal was er ihm gesagt hatte. Aber mulmig war ihm schon, schließlich war es nur ein kleines Schubsen was ihn von einem frühen Tod trennte. Zu seinem Glück blieb eine solche Überreaktion aus. Doch heute strafte Yuuki ihn das erste mal mit einem bösen Blick. „Selbst wenn! Was sollte ich denn dagegen machen?“ Der Blonde stellte tatsächlich eine Frage. Wenn sich tetsu noch recht entsann, war das noch nie vorgekommen. „Lass einfach mal alles raus. Du musst nicht sagen was die bedrückt. Aber schreie doch einfach!“ Im nächsten Moment kletterte Tetsu wieder über die Betonbrüstung stellte sich dahinter und lehnte sich weit darüber, sodass sein Oberkörper mehr über dem tiefen Abgrund schwebte, als dass er gerade stand. Sein Schrei tönte durch den von mehreren Gebäuden errichteten Flur. Er schlug gegen die verglasten Flächen und wurde zurückgeworfen. Es dauerte einen Moment, bis aus dem Echo zwei wurden, aber nicht, weil es immer wieder hin und her gespielt wurde, wie beim Tischtennis sondern weil Yuuki endlich den Mund aufmachte und das entließ was schon lange in seiner Kehle schlummerte. Unter ihnen flackerte ein blaues Leuchtschild an einer Imbissbude. Es war nicht das einzige blaue Licht in dieser kühlen Nacht. Und diesmal vermischte es sich mit Orange, eröffnete Yuuki somit ein bisher lange verschollenes Farbspiel. Die Dunkelheit war nur noch schwach. Lichter erfüllten den Raum zwischen Himmel und Erde. ~*~ Orange ist die symbolische Farbe für Mut. Im Buddhismus ist sie das Zeichen der hellsten Erleuchtung. Ein kleiner Schritt für Tetsu aber ein großer Schritt für Yuuki! Danke für lesen...oder auch nicht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)