Tian von ellenorberlin (der Drachenjunge) ================================================================================ Kapitel 1: Der Junge aus Teirr ------------------------------ Der Junge aus Teirr Das Geräusch, wenn Leder auf haut trifft, klang ihm in den Ohren nach und der darauf folgende Schmerz war wie glühendes Eisen, dass sich heiß in sein Fleisch grub. Knall. Wieder Schmerz und seine Schreie erfüllten den Platz. Er spürte wie sein heißes Blut langsam seinen Rücken hinab lief, sich mit Schweiß vermischte und auf den trockenen Boden tropfte. Ein paar Tropfen fielen auf sein zerlumptes Hemd das im Sand vor seinen Füßen lag und Tian überlegte, ob er die Flecken wohl je wieder herausbekommen würde. Einige Dorfbewohner waren auch auf dem Platz. Er konnte sie hören, doch sie um Hilfe zu bitten wäre Aussichtslos. Genauso gut hätte er auch den Soldaten hinter ihm fragen können, ob der ihm nachher nicht ein Bier ausgäbe. Knall Wieder das Gefühl von glühendem Schmerz, doch diesmal nicht stark genug um Blut fließen zu lassen. Rot leuchtend hoben sich die Striemen von der zarten Haut ab. Ein Mann mit einem starkem Akzent pries laut seine Waren an. Exotisch aussehende Hühner tummelten sich in kleinen Käfigen und ein vorbeifahrender Pferdewagen wirbelte den trockenen Sand auf. . Die Händler gingen weiter ihren Geschäften nach als sei nichts. Diebe und Betrüger wurden häufig so bestraft und es war nur ein allzu gewohnter Anblick für die Menschen aus dem Dorf. Nur die fahrenden Händler, die nie länger als eine Woche in Teirr blieben, um dann in den nächsten Ort weiter zu ziehen, warfen dem Jungen neugierige Blicke zu. Ein anderer, jünger aussehender Soldat stand etwas entfernt angelehnt an einen Karren, beladen mit Tontöpfen und machte einer jungen Magd unmissverständlich schöne Augen. Verlegen versuchte sie ihn abzuwimmeln, doch ihre Chancen standen denkbar schlecht. Die Zeiten waren hart und der brennend heiße Sommer verschlimmerte die Lage zusehends. Mit den fahrenden Händlern kamen auch regelmäßig Neuigkeiten ins Dorf und die Berichte von überfallenen Reisenden und Händlern machten die Menschen wachsamer und misstrauischer denn je. Soldaten hielten auf dem Marktplatz regelmäßig Wache und das er ausgerechnet an einen Söldner geriet ,dem es eine Freude war an einem kleinem dreckigen Dieb, der dumm genug war sich beim Stehlen erwischen zu lassen, seine Frustration auszulassen, war einfach verdammtes Pech. Knall. Mit zusammen gebissenen Zähnen unterdrückte er einen weiteren Schrei. Wenn Tian richtig gezählt hatte, war das der letzte. Doch mit Missmut bemerkte er ein bösartige Grinsen im bärtigem Gesicht des Soldaten. Knall! Wären seine Hände nicht am Pranger festgebunden, läge Tian wohl schon längst Im heißen Sand. „Geh wieder dorthin wo du herkamst!“, mit diesen Worten Schnitt er ihm die Fesseln durch und seine zitternden Beine gaben unter dem schmächtigem Körper nach. Eilig fummelte er sich die Reste der Fesseln von seinen wunden Handgelenken,griff sich sein Hemd und gab so schnell ihn seine Beine trugen Fersengeld. Keuchend und mit wild pochendem Herzen ließ er sich im Schatten der alten Schmiede in den Sand sinken. Das Dorf war nicht klein, aber auch nicht groß genug um die Übersicht verlieren zu können, selbst wenn man blindlings drauf los lief. Er konnte noch immer die Stimmen der Marktschreier deutlich hören und hatte immer noch den Duft von frisch gebackenem Brot in der Nase. Es ist verboten zu Stehlen. Am Pranger ausgepeitscht zu werden war, verglichen damit die Hand abgeschnitten zu bekommen, noch milde. Fahrig fuhr der Junge sich mit der Hand durchs dunkle fettige Haar und versuchte dann vorsichtig sein dreckiges Leinenhemd anzuziehen. Sein Rücken brannte wie Feuer und die schmerzen ließen bei ihm kaum einen klaren Gedanken zu. Lange wollte er allerdings nicht hier sitzen bleiben, doch aufzustehen schien ihm unerträglich. Aus der Schmiede drangen Geräusche zu ihm und er konnte die glühende Hitze die von den Feuern ausging fast körperlich spüren. Der metallische Krach von heißem Stahl, das gerade bearbeitet wurde tat ihm in den Ohren weh und die Luft schien zu flimmern vor Hitze . Nicht weit entfernt beobachtete ein großer zottiger Hund mit müden Augen den Jungen, schien aber kein weiteres Interesse zu zeigen und legte seinen schweren Kopf auf seine Pfoten. Neben ihm lagen noch die Reste seines Futters auf dem sich schon hunderte von Fliegen tummelten, die mit einem mal wild aufstoben, als das Tier seinen mächtigen Kopf schüttelte. Knirschende Schritte bewegten sich auf den Hinterausgang der Schmiede zu und trieben den Jungen auf die Beine. Er wollte jetzt nicht dem Schmied oder seinem Gesellen begegnen. Russel, der Schmied war ein kräftiger Mann und würde sicherlich keine Betteljungen dulden, die sich hinter seiner Schmiede herumtrieben. Am Rand von Teirr gab es kaum Häuser und kaum eines konnte mehr als einen Raum vorweisen. Die Dächer waren mit Stroh gedeckt, das um diese Jahreszeit besonders trocken war. Ein Funke und das ganze Dorf stände in kürzester Zeit in Flammen. Um ihn herum war reges Treiben. Männer fuhren mit geladenen Karren Richtung Dorfplatz, ein paar Kinder spielten „schwarzer Mann“ und ihr lachen erhellte den Tag. Bald hatte der Dunkelhaarige die letzten Häuser hinter sich gelassen und folgte einem Weg aus dem Dorf. Hier war es ruhig und ein paar einzelne Bäume säumten den Pfad und spendeten erholsamen Schatten. In der ferne glänzten die Felder von Karlo's Hof golden in der Mittagssonne. Dahinter erahnte man schon das Grün des Waldes. Der Wind schien stillzustehen und Tian wünschte sich sehnlichst eine milde Brise, leider ohne Erfolg. Er streckte die Hände aus und berührte mit den Fingerspitzen die weichen mit feinen Härchen besetzten Blätter des Rotfarns das am Wegrand wuchs. Ein Mann namens Hir kam ihm entgegen. Auf dem gebeugten Rücken trug er einen Weidenkorb, den er immer zum Fischen mitnahm und jetzt vermutlich ein paar Fische enthielt. In seinen, vom Alter und Arbeit gezeichneten Händen hielt er eine alte selbst gemachte Angel und einen knorrigen spazierstock. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Hir hatte braunes kurzes Haar und ein warmes Lächeln. Beinahe jeden Tag traf man ihn am Bach bei den Feldern an, wo er immer zum Angeln hin ging und oft genug hatte Tian ihm Gesellschaft geleistet. Freundliche Begrüßungen wurden ausgetauscht, während sich der alte Mann auf seinen stabil aussehendem Stab abstützte. „Ich sag' dir, diese Hitze ist nicht normal! Am Bach hab' ich sogar...“ Stirnrunzelnd unterbrach er sich. „Du hast Blut im Gesicht,Junge“ Mit dem Handrücken wischte er sich verlegen übers Gesicht. „Man hat mich dabei ertappt als ich mir das Brot zu genau ansah.“ Es bringt nichts ihm etwas vor zu lügen. Im Dorf kennt Jeder Jeden und irgendjemand würde es ihm ohnehin erzählen. „Na wenigstens hast du noch beide Hände wie ich sehe. Du weißt, das ich es nicht gutheiße, wenn du stielst. Hier, ich hab' sowieso mehr gefangen, als ich alleine essen könnte.“ Dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach, sah der Junge, als er einen kurzen Blick auf den Inhalt des Korbes erhaschen konnte. Zwei kleine Bachsaiblinge lagen, mit toten Augen vor sich hin starrend darin und Hir reichte ihm einen davon. „Danke, irgendwann werde ich dir für deine Hilfe mit einem Hasen danken. Du hast mein Wort,“ sagte er lächelnd. Der alte Mann lachte nur freundlich und antwortete gelassen. „Lerne erst einmal Angeln, bevor du dich übernimmst, Junge.“ Tian mochte Hir. Er war immer gut gelaunt und sehr geduldig mit dem Jungen, der so gar kein Talent für das Angeln aufzeigen konnte. Der alte Mann lebte alleine in einer kleinen Hütte am Dorfrand. Seine Frau hatte vor drei Jahren den harten Winter nicht überlebt und seine Söhne sind eingezogen worden. Es war üblich, das Jungen im kampffähigen Alter in der Armee des Königs zu dienen hatten. Doch viele Jungen kehrten niemals zurück. Tians Mutter hieß Bianka und war mit Hir eng befreundet. Damals waren sie manchmal bei dem alten Mann und seiner Frau zum essen eingeladen, es gab Reiskuchen und frisches Gemüse und Bianka hatte dann den Übergang der Nacht besungen. Eine alte Tradition zu Festen, um der Natur zu danken. Damals war er noch sehr klein. Die Stimme seiner Mutter und ihr weiches Haar, so golden wie das Getreide auf den Feldern, ist eines der wenigen Dinge an die er sich erinnern kann. Sie verabschiedeten sich voneinander und der Junge sah dem alten Mann nach, der nun weiter Richtung Teirr ging. Die Sonne stand hoch am Himmel ,als Tian an den Feldern vorbei Richtung Wald lief. Im Schatten der Bäume wurde es kühler und ein Gefühl der Sicherheit ging von den jungen Bäumen aus. Auf einer Lichtung stand eine alte vergessene Scheune, vor der ein älterer Junge, der sich selbst Rem nannte, saß und schon auf Tian wartete. „Du warst lange weg.“, sagte er während er in einem kleinen Feuer herumstocherte, das nur mäßig glühte. Tian setzte sich dazu und spürte sofort die Hitze im Gesicht. „Ich hab Hir getroffen. Tut mir leid.“ Rem blickte auf und sah den Fisch in Tians Hand. Er nickte und nahm ihn entgegen. Rem war deutlich älter als Tian und eigentlich längst in dem Alter um in der Armee des Königs zu dienen, doch er entwischte den Soldaten bis jetzt. Seiner Meinung nach war jeder ein Narr der freiwillig mitging. Tian wusste nicht genau ob er diese Ansicht teilte. Lieber dachte er nicht darüber nach, was er tun sollte, wenn es bei ihm soweit war. Genau wie er, hatte Rem keine Familie und lebt schon lange in dieser vergessenen Scheune. Als der Junge seine Mutter verlor, hatte Rem ihn aufgegriffen, sich um ihn gekümmert und ihm beigebracht wie sie überleben konnten. Weniger Minuten später war der Fisch ausgenommen und hing auf einem Stock gespießt über der Glut. Im hinteren teil der Scheune kramte Tian einen alten Blechtopf heraus und ging zum nahe gelegenem Bach um frisches Wasser zu holen. Als er wieder zurückkam, sah er wie ein kleiner Vogel über den Wald nach Teirr flog. „Ein Botenvogel.“, stellte Rem fest, der aus der Scheune getreten kam und in den Himmel schaute. Botenvögel waren kluge kleine Geschöpfe, die schneller wichtige Nachrichten überbringen konnten, als jeder Reiter. Zudem waren sie wesentlich schwerer zu fangen. Rem erzählte einmal, dass es in der Hauptstadt Tameran viele solcher Vögel geben sollte. Hier sah man sie sehr selten, da die meisten mit ihnen nicht umgehen konnten. Soweit er wusste band man einfach eine Nachricht an sie und setzte den Zielort als Gedanken in ihren Kopf fest. Einen Gedanken in ein Tier zu pflanzen ist nicht leicht und klappt nicht bei allen Tieren. Er hatte es einmal versucht, aber der Erfolg blieb aus. Tian zog plötzlich scharf die Luft ein, als er sich abwandte. Sein Rücken hatte immer noch nicht aufgehört zu brennen. „Was hast du?“, fragte sein Freund besorgt. Tian zog sein Hemd vorsichtig aus und setzte sich wieder an die Feuerstelle. „Ich wurde von einem Soldaten erwischt. Kannst du meinen Rücken versorgen?“. „Du musst besser Acht geben, das ist schon das zweite mal diesem Sommer.“ Er holte einen Stofffetzen und machte sich daran die Wunden mit dem frischen Wasser auszuwaschen. Im Wald gab es jede menge wilder Kräuter. Eine kleine unscheinbare Pflanze mit gelblichen Blüten half bei kleinen Wunden, milderte die Schmerzen und beschleunigte die Heilung, wenn man sie sorgfältig zerkaute und dann in die Wunde rieb. Erleichtert schloss er die Augen, als die Schmerzen langsam nachließen und atmete tief ein. Zum Fisch gab es etwas Reis, das sie beim letzten Fest heimlich aus der Vorratskammer von Jet's Schankhaus gestohlen hatten und nun fast vollkommen aufgebraucht war. Die Portion reichte kaum aus um satt zu werden und so legten sie sich mit nur mäßig gestilltem Hunger ins Stroh und unterhielten sich über die Ereignisse des Tages. Es war dunkel als Tian die Augen aufschlug. Ein wenig Holz glühte noch immer und etwas Licht viel davon durch die offene Scheunentür. Die Nacht war angenehm kühl und eine leichte Brise ließ die Blätter der Bäume rascheln. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl und es war schon das zweite mal in der letzten Stunde das er wach wurde. Seine Haut am Unterarm fühlte sich seltsam heiß an und es juckte unangenehm. Mit dem linken Handballen rieb er vorsichtig über die Stelle um den Juckreiz zu lindern und stellte überrascht fest, das sich die Stelle seltsam hart anfühlte. Grübelnd krempelte er den Ärmel seines Hemdes hoch hielt es ins hinein scheinende Mondlicht. Das er trotz der Dunkelheit so gut sah, wunderte Tian nicht so sehr, wie die dunkle harte Haut an seinem Arm. „Schuppen?“, überlegte er die Stirn runzelnd. „Nein, das kann nicht sein.“ Er rieb etwas kräftiger darüber, doch die Schuppen blieben wo sie waren. Er sah zu Rem, dessen Brust sich gleichmäßig hob und senkte. Kurz überlegte Tian seinen Freund zu wecken, doch dann drehte er sich um und versuchte weiter zu schlafen. Einige Zeit später lag er immer noch wach. Etwas verwirrt ging er nach draußen und setzte sich auf den kühlen Waldboden. Nun tat auch sein linker Arm weh und auch dort glänzten dunkle Schuppen im Schein der Glut. Der Juckreiz schien sich auszubreiten, nahm aber nicht an Intensität zu, aber auch nicht ab. Inzwischen glaubte er auch einen rötlichen Schimmer auf den fast kohlschwarzen Schuppen zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher, ob es nicht doch nur eine Reflektion der Glut war. Zum allen Überfluss knurrte sein Magen schon seit einer Weile und ließ ihn immer unruhiger werden. Als es Tian nicht mehr aushielt, stand er auf und beschloss etwas spazieren zu gehen. Mondlicht fiel durch die Blätter und beleuchtete den Waldboden, auf dem sich hunderte kleiner Insekten tummelten. Schatten glitten über die gemusterte Rinde der Bäume und seine Augen huschten nervös durch das Geäst und versuchten jede Bewegung zu verfolgen. Nun fiel dem Schwarzhaarigem auf , das noch etwas nicht mit ihm stimmte. Er sah viel zu gut, trotz der Dunkelheit. Der Wald schien plötzlich regelrecht zum Leben erwacht zu sein, was ihm früher nicht so vorkam. Überall raschelten Gräser, knarrten Äste und krabbelten Tiere durchs Unterholz. Die Geräuschkulisse wurde so übermächtig, das ihm schwindelte und er sich kurzerhand an dem harten Stamm einer Eiche abstützen musste. Langsam atmete er ein paar mal tief durch, um sich zu beruhigen und beschloss sich wieder auf den Rückweg zu machen, als er leise Stimmen und das Geräusch von knarrenden Rädern hörte. Wie angewurzelt blieb Tian stehen wo er war, hielt den Atem an und versuchte herauszufinden aus welcher Richtung die Stimmen kamen. Nun schlich der Junge leise durch den Wald und erkannte, beim näher kommen, das es die Stimme eines Mannes war, zu dem sich das Schnaufen eines schweren Tieres gesellte. Das er die Entfernung komplett falsch eingeschätzt hatte, wurde ihm klar, als er unschlüssig am Waldrand stehen blieb und den Schutz der Bäume nicht verlassen wollte. Auf dem Pfad nach Teirr rollte ein Wagen dahin, gezogen von dem größten Ochsen den er je gesehen hatte und der so schwarz war, das ihn die Nacht fast verschluckte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)