Tian von ellenorberlin (der Drachenjunge) ================================================================================ Kapitel 10: Rean ---------------- Rean Zwei Tage später hielt der Regen immer noch an, bedeckte mit einem leichten Film ihre Kleider, egal wie gut sie versuchten sich davor zu schützen. Der Himmel war in dieser Zeit trüb und brachte eine unglückliche Stimmung mit, die sich sogar auf Morn auszuwirken schien. Tians schlechte Laune allerdings, war eher eine Folge aus den endlosen Alpträumen die ihn nun quälten. Jede Nacht glaubte er sich immer wieder in einem dunklen Raum zu befinden, in dem ein hochgewachsener Mann mit ihm eindringlich sprach, manchmal auch schlug. Er erinnerte sich manchmal an den Schmerz auf seiner Wange, wenn er am nächste Morgen erwachte und oft erinnerte er sich auch an ein paar orange glühender Augen, doch der Rest war seltsam vernebelt. Nie konnte er sich an den Inhalt der Gespräche erinnern oder an irgendwelche Gesichter. Das frustrierte ihn fürchterlich, vor allem da er das seltsame Gefühl hatte die Person mit den orangen Augen zu kennen. Nein, kennen wäre übertrieben, aber Tian fühlte sich auf eine gewisse Weise seltsam verbunden mit dem Menschen, der dort jede Nacht in seinen Träumen in dieser Zelle hockte. Aber dies waren nicht die einzigen Träume, die ihn heimsuchten, denn immer wieder begann seine Vergangenheit ihn einzuholen sobald er die Augen schloss. Hatte er je vorher je so intensiv geträumt? Er beschloss nicht dauernd darüber nachzudenken, doch die Situation erlaubte ihm einfach zu viel Zeit für sinnlose Gedanken und Überlegungen, die unaufhörlich seinen Kopf verstopften. Morn und Luka hatten ebenfalls mit dem Wetter zu kämpfen, der die Stimmung weiter erheblich nach unten drückte, und obwohl er sich gerne mit Luka unterhielt war im Moment keinem von beiden danach zumute. Der Regen wurde immer heftiger, kroch in die Fasern ihrer Kleidung und lies sie bitterlich frieren. Der trockene Boden hatte bei den ersten Schauern noch gedampft, da der kühle Regen auf die heiße Erde traf, nun war er aufgeschwemmt und Morns Hufe rutschten immer wieder im Schlamm weg, so dass Tian schon fast befürchtete der Ochse würde stürzen und sich noch etwas brechen, denn dann wüsste er nicht, wie er das große Tier weiter fortbewegen sollte. Als es zu windig wurde und der Regen wie Nadelstiche vom Himmel schoss, stiegen sie schließlich ab und kämpften sich zu Fuß weiter voran, wobei die starken Winde sie straucheln ließen. Der Schlamm unter ihren Füßen gab dabei jedes mal ein schmatzendes Geräusch von sich, wenn er ihre durchnässten Füße verschluckte. Durch den Regenschleier glaubte Tian verschwommen etwas zu erkennen und stieß Luka aufgeregt an, der neben ihm lief und sich eine der Decken um den Kopf gewickelt hatte. Mit seinen Pfoten versuchte er sich die klatschnassen Haare aus dem Gesicht zu wischen und schaute irritiert in die Richtung in die Tians Hand zeigte. „Das... nicht Tameran, glaube ich, die Stadt müsste viel größer se.... Vielleicht i...ein Dorf....oder Vorort.“, rief Luka durch den pfeifenden Wind, der die meisten Wörter einfach verschluckte. „Egal! Hauptsache wir kommen ins Trockene!“ Entschlossen und in der Erwartung aus dem Regen zu kommen ging Tian einen Schritt schneller und trieb Morn zur Eile an, auch wenn dieser protestierend brummte, während Luka hinterher stolperte. Langsam und verschwommen kamen die ersten kleinen Häuser in Sicht, an denen das Wasser in kleinen Bächen vom Dach lief und große Pfützen auf dem Boden bildete. Das Geräusch der fallenden Tropfen donnerte schmerzhaft in Tians Ohren und verwirrten seine Sinne so stark, dass ihm schwindelte. In letzter Zeit hatte er sich zu sehr an seine verstärkte Wahrnehmung gewöhnt und verlassen, und nun fühlte er sich verwundbar und unsicher, kaum das seine Sinne mit dem Krach überlastet waren, dazu lief ihm ständig Wasser in die empfindlichen Augen und ließ ihn heftig blinzeln. Die Fenster waren, wie erwartet, alle geschlossen und Menschen sahen sie nirgends, trotzdem trabten sie zuversichtlich weiter hinein ins Dorf, während Tian mit seinen schmerzenden Füßen ständig im schlammigen Boden wegrutschte und nur halt an Morns Sattel fand. Das Dorf machte für Tian eher den Eindruck einer kleinen Stadt, denn sie war weit größer als sein Heimatdorf und die Häuser wirkten anders. Stabiler und höher gebaut, mit ebenso stabilen Dächern. Nicht eines hatte ein einfaches Strohdach, wie er es kannte, allerdings mussten die Häuser in Teirr auch keinen so heftigen Dauerregen aushalten wie die Gebäude hier. Es war ihm schier unmöglich jetzt auf die Karte zu schauen, um nachzuforschen wo sie hier gelandet waren. Das Wichtige war, einen trockenen Unterschlupf zu finden. Sie kämpften sich weiter, versuchten dabei im Windschatten der Häuser zu bleiben, doch sie fanden nichts wo sie hätten hingehen können. Draußen waren sie dem Unwetter ausgeliefert, und es gab hier keine Ruine oder etwas ähnliches, wo sie sich hineinschleichen konnten. „Was machen wir jetzt?“, rief Tian angestrengt Luka zu, als sie bereits die dritte Querstraße entlang liefen. „Dahinten, das sieht aus wie ein Lagerhaus!“ Luka deutete auf ein kleines Haus am Ende der Gasse, das an einem größeren Wohnhaus angrenzte. Unschlüssig blieben sie davor stehen, bis sich Luka die nassen Haare aus den Augen strich und sich mit geübten Pfoten am Schloss zu schaffen machte. Tian sah sich ängstlich um, in der Befürchtung Jemand könnte sie erwischen, doch bei dem Wetter verließ wirklich niemand freiwillig das Haus. Sie stemmten die Tür vorsichtig auf und erst als sie sich sicher wähnten, dass niemand im Inneren der Hütte war, führten sie vorsichtig Morn ins Haus, der nur haarscharf hineinpasste. Beinahe stießen dabei die Hörner gegen den Türrahmen. Keuchend und nass bis auf die Knochen machten sie sich zwischen den unzähligen Kisten ein Lager und legten die feuchten Kleider ab. Eine Berührung an der Schulter lässt Tian müde die Augen öffnen und er schaute orientierungslos in das verschwommene Gesicht Lukas, der immer noch an seiner Schulter rüttelte. Gähnend rieb er sich seine vom Schlaf noch ganz verklebten Augen. Es ist immer noch recht kühl, doch durch ein kleines, schmutziges Fenster schien die Morgenröte herein und die Stellen auf die das Licht traf erwärmten sich langsam. „Schht“, zischte sein Freund leise und legte seine Pfote an den Mund um ihn zu deuten Still zu sein. Luka sah angespannt aus und hockte verkrampft neben ihm und schielte zur Tür. Tian richtete sich etwas auf und schlang die Decke fester um sich, denn er trug noch immer nichts weiter als Unterwäsche, da sie ihre Kleider zum trocknen auf die Kisten gelegt hatten, die hier im Raum gelagert wurden. Durch das Licht sah er auch nun, dass weiter hinten eine Tür war, die wahrscheinlich in das angrenzende Haus führte. „Draußen sind Leute, bin gerade auch erst wach geworden, aber ich glaube nicht, dass sie wissen, dass wir hier sind.“, flüsterte ihm Luka zu. Seine Glieder fühlten sich steif an und schmerzten unangenehm, als er sich langsam vom Platz erhob und sich hastig etwas anzog. Luka tat es ihm gleich, und sie versuchten dabei so wenige Geräusche zu machen wie möglich. Sie verzogen etwas die Gesichter, denn ihre Sachen waren noch immer feucht und klamm. Morn lag schnaufend und mit geschlossenen Augen nur wenige Fuß neben ihrem Lager und schlief. Die letzten zwei Tage im Regen hatten ihnen allen zu schaffen gemacht. Die Stimmen, die schon die ganze Zeit gedämpft von draußen zu hören waren, wurden lauter und aggressiver. Wer immer dort war, sie stritten sich ziemlich heftig. Vorsichtig drückten Luka und Tian ihr Ohr an das Holz der schweren Tür um zu lauschen. „Du bist ein Schwein! Alleine mich das zu fragen!“, hörten sie eine weibliche Stimme ziemlich aufgebracht rufen. „Du Närrin! Ich habe dir einen guten Preis angeboten, es ist doch nur ein Tier!“, knurrte eine raue, männliche Stimme zurück. „Nein, Barnd. Du bist hier das einzige Tier! Jetzt verschwinde, ich will dich nicht noch einmal vor meinem Haus sehen!“ Der Mann lachte schnarrend. „Ich werde ihn trotzdem bekommen, du kannst ihn nicht ewig als Haustier halten, Monia!“ Schwere Schritte entfernten sich, dann wurde es ruhig. Doch Tian wusste, dass die Frau immer noch dort stehen musste, es war nur einer gegangen. Vorsichtig blinzelte er zu seinem Freund, der nur ratlos zurückschaute. Keiner von ihnen traute sich etwas zu sagen, denn man könnte sie in der Stille hören. Plötzlich vernahmen sie wesentlich leisere Schritte, und nur nach wenigen Sekunden war schon klar wohin die Frau lief. Panisch sahen sich die beiden Jungen an, nicht wissen was sie machen sollten, denn fliehen konnten sie hier nicht, zudem sie Morn nicht so schnell hätten mitnehmen können. So hetzten sie in den hinteren Teilt des Raumes und duckten sich hinter zwei aufeinander gestapelten Kisten. Natürlich, war es eigentlich Unsinn sich zu verstecken, denn der Ochse lag mehr als auffällig mitten im Raum herum, doch was besseres fiel ihnen eben nicht ein. Die Tür wurde grob aufgeschlossen, was Morn ein Schnaufen entlockte, und schon hörten sie wie jemand die Hütte kam. Plötzlich stockten die Geräusche. „Wie bist du denn hier reingekommen, Großer?“ Ihre Wut schien Überraschung gewichen zu sein, als sie Morn entdeckte, der nur dunkel zurück brummte. Tian konnte hören, wie sie etwas großes abstellte und sich darauf suchend im Raum umsah. „Komm raus, ich weiß dass du da bist. Ich sag es auch nicht deinen Eltern, Erin. Aber du sollst doch nicht dauernd Tiere stehlen. Ein Ochse, jetzt hast du es wirklich übertrieben...“ Tian starrte sie nervös an, als sie hinter die Kisten trat und die beiden ungebetenen Besucher entdeckte. „Oh!“, sagte sie nur verblüfft, über ihren Irrtum. Luka war wie erstarrt, so ergriff Tian das erste Wort. „Es...es tut uns leid, Miss. Wir haben nur einen Unterschlupf gesucht wegen dem Unwetter. Gestohlen haben wir nicht“ Er rang nervös mit den Händen und hoffte, seine Erklärungen klangen so ehrlich wie sie waren. Die Frau musterte sie beide nur nachdenklich. „Kommt erst mal herein.“ Sie führte sie durch die Tür, die tatsächlich in ein etwas größeres Haus führte. Morn ließen sie dabei im Lagerraum zurück. Der am Flur angrenzende Wohnraum war gemütlich eingerichtet mit einer kleinen Sitzecke und es hingen sogar dünne, bestickte Stoffvorhänge, ein Luxus den sich nicht alle leisten konnten. Im Kamin brannte ein kleines Feuer und auf einem Stuhl saß ein kleiner Junge, der sie mit großen Augen anstarrte. Sofort bemerkte Tian das seltsame Äußere des Jungen, denn auf seinem Kopf waren kleine Erhebungen, wie winzig kleine Hörner sah das aus. Und da wo seine schmächtigen Kinderbeine hätten sein müssen, waren große, kräftige, mit dichtem hellbraunem Fell überzogene Gliedmaßen. Wo man einen Fuß erwartete, da mündeten seine kräftigen Beine in große, paarige Hufe, halb verdeckt von seinem zottigen Fell. Genauso verunstaltet waren die kleinen Hände, die sogar ein wenig denen von Luka ähnelten. Er trug nur ein leichtes Stück Gewebe um die Hüften, ansonsten war er alleinig mit rotbraunen Blättern bekleidet. In seinem haselnussbraunem Haar sah man eingeflochtene Vogelfedern in den gleichen Tönen. An seiner Kehrseite hatte er einen kleinen, puscheligen Schwanz mit weißer Unterseite. Braune Rehaugen schauten Tian weiterhin entgegen und der Kleine zuckte mit den langen, fellbesetzten Ohren, die ihm seitlich am Kopf herausragten. Er mochte vielleicht gerade mal acht oder neun Winter zählen, so jung wie das Tierwesen auf Tian wirkte. Er war ganz fasziniert von dem kleinen Rehjungen und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Noch nie hatte er ein Tierwesen gesehen, das so wenig menschlich wirkte, dass er sich unwillkürlich fragte, ob es überhaupt sprechen konnte. Monia stellte sich als äußerst freundlich heraus. Sie war ende dreißig, und lebte davon Handel zu betreiben zwischen diesem Dorf und der Hauptstadt. Sie kochte ihnen Tee und nahm es den Jungen nicht übel, dass sie ungefragt in ihrem Haus genächtigt hatten. Sie erzählten ihr, dass sie auf den Weg in die Hauptstadt waren, wichen aber ihrer Frage aus, warum sie alleine mit einem riesigen Ochsen reisten, ohne erwachsene Begleitung. Der kleine Rehjunge hieß Rean, und war recht aufgeweckt und neugierig. Und entgegen Tians erster Vermutung. konnte Rean sehr wohl sprechen! Er redete sogar recht viel und fragte ihn über alles aus was ihm gerade im Kopf herum ging. „Ich habe Rean vor zwei Tagen draußen im Sturm gefunden, vollkommen durchnässt und orientierungslos.“, erzählt Monia, als Tian sie fragte, wie es kam, dass die Beiden zusammen wohnten, denn Rean konnte nicht ihr Sohn sein. Dafür war es zu offensichtlich, dass er nicht menschlich war, im Gegensatz zu der Frau. „Wo wohnst du denn? Hier ist doch gar kein Dorf mehr in der Nähe, oder?“, fragte er Rean. „Ich wohne nicht im Dorf. Wir wohnen im Wald!“, antwortete der kleine Junge mit vor Stolz geschwellter Brust. Tian war ein wenig verwirrt. „Im Wald? Alleine?“ „Nicht alleine, Papa ist da und beschützt Mama und mich vor bösen Tieren. Die kommen manchmal Nachts, aber bei Papa bekommen alle Angst!“, berichtete er mit glänzenden Augen. „Aber warum wohnt ihr denn nicht in einem Dorf?“ Es war untypisch, sein Haus komplett abgeschieden im Wald zu haben als Familie, denn da war man ungeschützt und angreifbar für jeden, der sie dort fand. Ohne den Schutz der Gemeinschaft musste man entweder sehr stark sein oder sich gut verstecken können, wie es bei Rem und ihm damals war. Aber sie hatten auch nichts was sich zu stehlen lohnte. Man musste seine Gedanken wohl angemerkt haben, denn Luka begann ihn aufzuklären. „Weißt du, nicht alle Tierwesen leben als Menschen, manche leben in der Natur. Du siehst ja bei mir, dass das Verhältnis bei jedem anders ausgeprägt ist. Es gibt genauso welche die sich für ein Leben mit ihrer menschlichen Hälfte entscheiden, wie auch andersherum.“ „Papa sagt immer, das Dörfer gefährlich sind. Er wird bestimmt böse, wenn er weiß dass ich hier bin.“ Rean verzieht betrübt das Gesicht. Monia erhebte sich von ihrem Stuhl, geht zum Fenster und schiebt nachdenklich den Stoff zur Seite. „Der Regen scheint vorbei zu sein. Den ganzen Morgen über ist es schon trocken, ich schätze, du kannst heute wieder nach Hause...“ Eigentlich eine gute Nachricht, doch Monia schien etwas zu bedrücken und Tian wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem unangenehmen Mann heute früh zu tun hatte. War es etwa in dem Gespräch um Rean gegangen? Es war nicht seine Angelegenheit, trotzdem machte er sich Gedanken. „Ich will noch nicht weg!“, nörgelte Rean und zog dabei eine herzerweichende Schnute. Monia lächelte ihn nachsichtig an. „Dann verschieben wir das auf Morgen, bis wir sicher sind, dass der Regen aufgehört hat.“ Als sie ihre Tassen gelehrt hatten, fragte Luka nach, ob Monia wüsste, wo sie hier an Arbeit kommen könnten. Denn ohne Geld, würden sie wohl kaum lange in Tameran bleiben können. Auf der Straße schlafen war nämlich keine Option. Es würden kaum zwei Stunden vergehen und schon hätte sie irgendeiner ausgeraubt oder gefangen genommen. Sie brauchten eine Unterkunft, nur Geld hatten sie nicht wirklich. Eine Arbeit konnte sie ihnen leider nicht direkt vermitteln, aber sie bot ihnen an, wenn sie ihr halfen einige Waren zu verladen, würde sie ihnen ein wenig was geben können. Außerdem hatte sie noch eine Idee was ihr Problem mit der Unterkunft betraf. „Euer Ochse sieht kräftig aus, mein letztes Pferd wird den Weg kaum noch schaffen mit den vollbeladenen Karren, und ein neues kann ich erst besorgen, wenn ich die Einnahmen habe aus dem Verkauf auf dem Marktplatz. Ich mache mich, sobald ich alle Waren habe, auf den Weg nach Tameran, wenn euer Ochse meinen Wagen zieht, dann kann ich euch eine Unterkunft als Gegenleistung bei meiner Cousine besorgen. Sie wohnt mit ihrem Mann in der Stadt und hat genug Platz um euch für ein paar Tage aufzunehmen. Bis wir losfahren könnt ihr bei mir bleiben fürs erste.“ Sie willigten dankbar ein, und machten sich auf an die Arbeit. Zuerst holten sie bei dem Töpfer des Dorfes einige Kisten voller Vasen ab, die Tian und Monia trugen, da Luka nicht genug Kraft hatte und Rean noch zu klein war für solcherlei Arbeit. Seit dem er angefangen hatte sich zu verändern, hatte Tian auch im unverwandeltem Zustand einiges an Kraft zugenommen, auch wenn man ihm das so gar nicht ansah. Genauso waren seine verstärkten Sinne ein ständiger Begleiter geworden, an den er sich nur allzu bald gewöhnt hatte. Später gingen sie noch bei einer Weberin eine Kiste voller Stoffe abholen, sowie Lederhäute aus der Gerberei. Da durch ihren Ort nicht allzu viele Menschen vorbei kamen, weil sie alle lieber den direkten Weg in die Stadt suchten, fuhr Monia regelmäßig nach Tameran um Waren zu verkaufen und neue Dinge einzukaufen. Sie, und einige weitere Händler in der Stadt hielten so den kleinen Ort am Leben. Der Tag wurde überraschen trocken, was die Hoffnung in ihnen weckte, dass der Regen wirklich ein Ende gefunden hatte und Monia war glücklich über die Aussicht bald aufbrechen zu können. Wegen dem Unwetter und Reans plötzlichem Auftauchen, musste sie eh schon ihre abfahrt unfreiwillig verschieben, wie sie ihnen erzählte, als sie am Abend zusammensaßen, und gemeinsam die heiße, nahrhafte Gemüsesuppe aßen, die Monia zubereitete. Auch Morn wurde versorgt, der inzwischen Unterschlupf in einem kleinen Stall gefunden hatte neben Monias altem Pferd. Es tat gut, endlich wieder etwas Warmes essen zu können und trotzdem fehlte etwas entscheidendes. Das Essen konnte ihn irgendwie nicht befriedigen, nur warum wurde ihm erst später klar, als er sich mit immer noch knurrendem Magen auf seinem Lager hin und her wälzte. Die Anderen schliefen schon tief und fest, selbst Luka neben ihm war da unerschütterlich. Aber Tian konnte schon seit Stunden nicht mehr schlafen. Er war hungrig... Unruhig hatte er Wachträume von der Jagd. Von einem Reh, dass er mit wild pochendem Herzen durchs Unterholz gejagt hatte. Die Vorstellung erregte ihn und verursachte ein Ziepen in seinem Bauch. Er wollte jagen...er wollte Fleisch und Blut schmecken! Von der inneren Unruhe getrieben schlich er sich aus dem Haus. Draußen war es ganz still, selbst die Insekten schienen zu schlafen, als er durch eine weite Wiese außerhalb des Dorfes huschte, auf den direktem Weg hinein ins Dickicht. Er fühlte sich seltsam unmenschlich, wenn er daran dachte was er tun wollte, was er jetzt brauchte. Vollkommen losgelöst von seiner menschlichen Seite , konzentrierte er sich ganz auf seine Umgebung. Tian hatte sich lauschend auf den Boden gehockt, zwischen die hohen Gräser, deren rote Farbe in der Nacht kaum wahrnehmbar war. Der Boden war noch immer Feucht von dem Regen der letzten Tage. In der Nähe konnte er plötzlich ein feines Geräusch hören, ein leises Schaben...nicht weit entfernt. Vorsichtig schleichend näherte er sich diesem, schickte seine Sinne aus und um so mehr er sich konzentrierte glaubte er etwas Warmen zwischen all den kalten Pflanzen zu fühlen. Ein klangvolles, schnelles Pochen ging von dort aus, und ihm wurde klar, dass er das Herz eines kleinen Tieres hörte. Warm und pulsierend. Mit einem Satz preschte er aus dem Dickicht, ergriff in einer einzigen, schnellen Bewegung den kleinen Körper mit seinen zu Klauen gewordenen Händen, so dass das Tier gar nicht schnell genug reagieren konnte, und fühlte warmes, seidiges Fell. Mit einem gezielten Biss brach Tian dem zappelndem und schreiendem Hasen, den er jetzt als solchen erkannte, das Genick und stillte endlich seinen Hunger. Auf dem Weg zurück zum Haus fühlte Tian sich merkwürdig schuldig und geistig ausgelaugt, weil er wieder getötet hatte. Natürlich hatte er schon früher zusammen mit Rem Hasenfallen aufgestellt, und selbst mit Luka hatten sie schon Hasen und kleinere Vögel gejagt. Aber nie so...unmenschlich. So tierisch. So wild. Er war verwirrt, wusste nicht was er davon halten sollte, doch dass er das brauchte wurde ihm nun allmählich immer stärker klar. Sein Körper verlangte nach stetig mehr Nahrung in den vergangenen Wochen. Von Pflanzen alleine konnte er nicht leben. Er brauchte es genauso, wie eine Katze nicht von Brot leben konnte. Und noch etwas wurde ihm klar, er musste in Zukunft sehr vorsichtig sein, denn würde jemand hinter sein Geheimnis kommen, würde man ihn wohl hinrichten lassen. Niemand würde es verstehen. Niemand außer Luka... Luka, dem er bisher alles anvertrauen konnte. Selbst Rem hatte er damals nichts von seinen Ängsten, von seinen Veränderungen erzählt, denn da war er sich sicher, Rem hätte es nicht verstanden. Vielleicht sogar Angst vor ihm bekommen. An Rem hatte er schon seit einigen Tagen nicht mehr gedacht und es tat ihm im Herzen weh, denn er wollte ihn nicht vergessen. Er war sein bester Freund, sein einziger, richtiger Freund, seit seine Mutter nicht mehr bei ihm war. Die Mutter die vielleicht gar nicht seine richtige Mutter war, sollte er wirklich das sein, was Luka glaubte. Tian wünschte sich mit schwerem Herzen, sie wäre hier bei ihm. Er brauchte sie so sehr, und sie könnte ihm alle seine Fragen beantworten. Wie sie es getan hatte, als er noch ein kleiner Junge war. ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)