Schutzbestie von Salix (Meine Freiheit ist der Preis für deinen Schutz) ================================================================================ Kapitel 16: Unerwartetes ------------------------ Die Tage nach dem Fest gingen in einem Wirbel aus Aktivität fast unter. Angelo und Nat arbeiteten einen neuen Stundenplan für die Universität aus, bei dem beide nicht zu kurz kamen. Dies bedeutete, dass sie nachdem sie sich auf einen Stundenplan geeinigt hatten, das Ganze mit den Professoren und Dozenten abklären mussten. Ein wenig half ihnen dabei, dass Nats Einsatz gegen den Mantikor ihm einen Sympathiebonus verschaffte, sobald sie die Angelegenheit erklärten. Irgendwie war Angelo ganz froh, dass Nat sich noch nicht so ganz entschieden hatte, ob er im „Imago“ weiterhin auftreten wollte, da er nicht sehen konnte, wie Nats Training auch noch in ihre ausgefüllten Tage passen sollte. Bis jetzt hatten sie abends noch häufig Verabredungen mit Lucius und Duncan zum Üben. Die ersten Sitzungen waren eher ein Austesten von Nats Fähigkeiten gewesen. An diesem Abend war es anders. Wie die letzten Male auch saßen sich die Vier auf Sitzkissen im Übungsraum der Villa gegenüber. Duncan schwieg, während Lucius seinen Sohn und Nat eine Weile genau musterte. „Nun ich glaube inzwischen haben Duncan und ich herausgefunden, was ihr beide am meisten üben müsst. In euren jeweiligen Fähigkeiten seid ihr hervorragend ausgebildet. Die Basics bezüglich eines Hellsehers und, was der Genius Intimus dahingehend beachten sollte, sind wir auch durchgegangen. Sie sind auch nicht weiter schwierig. Kommen wir also zu eurem Handycap. Ihr agiert nicht als Team. Ihr verhaltet euch nicht wie ein Team, etwas, dass in einer guten Schutzgeist und Schützling Beziehung ganz alltäglich ist. Und eure Bindung ist immer noch sehr schwach. Die Aufgaben, die ihr noch zu meistern habt, sind also eure Bindung zu stärken und eure Teamfähigkeit zu verbessern. Dafür ist Vertrauen die Grundlage und hier liegt, soweit ich das sehen kann euer Problem. Deswegen werden wir von nun an hauptsächlich Vertrauensübungen mit euch durchführen. Ansonsten werdet ihr einander weiter kennenlernen und den Alltag meistern müssen. Da führt kein Weg daran vorbei. Keine einfache Sache sich aneinander zu gewöhnen und es wird Zeit brauchen.“ Angelo blickte bei den Worten seines Vaters zu Nat, der den Boden vor sich intensiv zu mustern schien. „aus diesem Grund haben wir heute eine Vertrauensübung für euch.“, fügte Duncan hinzu. „Etwas ganz simples. Ihr werdet euch gegenseitig durch den Raum führen, wobei derjenige, der geführt wird, die Augen geschlossen haben soll, die ganze Zeit.“ Ein leises Seufzen entwich Nat bei diesen Worten. „Zuerst lässt du dich von Nat führen.“, ordnete Lucius an. Angelo nickte, bevor er sich erhob. Er schloss die Augen und wartete auf Nat. Er konnte hören, wie Nat aufstand sich zu ihm drehte und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Mit leiser Stimme lotste Nat ihn durch den Raum, wobei Angelo diese Übung nicht schwer vorkam. Erst als sie die Plätze tauschten, merkte er, warum sein Vater diese Übung vorgeschlagen hatte. Nat versteifte sich unter seiner Berührung und musste immer wieder daran erinnert werden die Augen zu schließen. Dem Hellseher fiel auf, wie Nat erleichtert ausatmete als Lucius die Übungsstunde beendete. „Übt das weiter, auch ruhig mal zwischen durch, wenn ihr alleine in einem Raum seid.“, forderte Duncan von ihnen. Angelo konnte sehen wie Nat Duncan nur schweigend anfunkelte. „Das wird schon.“ Versuchte Lucius sie aufzumuntern, der ihnen zum Abschied zunickte. Angelo war froh, dass sie für heute die Übungsstunde hinter sich hatten und nun zum Baumarkt aufbrechen konnten, wo sie Materialien zum Renovieren besorgen wollten. Angelo staunte, über die unerwarteten Ausmaße des Baumarktes. Zwar hatte er schon hin und wieder Unfälle vorhergesehen, die beim Renovieren geschahen, aber selbst hatte er noch nie renovieren müssen. Einen Baumarkt hatte er bis jetzt noch nicht betreten. Es war als führte Nat ihn in eine völlig neue Welt ein, obwohl es sich nur um das handelte, was für den Großteil der Menschen zu ihrer Realität dazuzählte. Es fing schon mit dem einfachen Gang durch den Baumarkt, auf der Suche nach Wandfarbe, Tapeten und Kleister, an. Das Malerwerkzeug würde Seiji ihnen leihen. Angelos Augen glitten über die meterhohen und ewiglangen Metallregale mit allem, was das Herz eines Heimwerkers höher schlagen ließ. Wozu brauchte man lange Bretter? Wie viele verschiedene Schrauben es doch gab. Und welche der Wandfarbensorten war jetzt die Richtige? Immer verwirrter schritt er neben Nat her, welcher zielstrebig auf einen Tresen in einem breiteren Gang zusteuerte. Dort gab es einen Ständer mit farbigen Pappkarten. Angelo legte den Kopf schräg als Nat ihm erklärte, dass auf diesen Karten zu sehen war, welche Wandfarben man sich in diesem Baumarkt fertig anmischen lassen konnte. „Äh, und jetzt?“, fragte Angelo unsicher. „Überlegen wir welche Farbe wir in, welchem Zimmer haben wollen oder, ob wir doch lieber tapezieren.“, gab Nat gelassen zurück. „Und warum machen wir das jetzt? Müssen wir nicht unsere Sachen erst rüberbringen?“ „Nein. Renovieren geht besser, solange noch keine Möbel in der Wohnung sind. Und meine Miete für diesen Monat hab ich eh schon bezahlt, da können wir die auch noch ne Weile drin lassen.“ „Okay.“ Angelo zuckte mit den Schultern. Er hatte wirklich kaum Ahnung, was bei einem Umzug so zu tun war und schon gar nicht, welche Reihenfolge da sinnvoll war. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich bezüglich der Farben einig waren. Nat schnaubte belustigt als er Angelo schließlich erlaubte auf die Wohnzimmerwand einen keltischen Lebensbaum zu malen, weil Angelo erklärte, dass er schon immer mal ein Bild auf eine Zimmerwand hatte malen wollen. Es stellte sich außerdem heraus, dass sie in diesem Baumarkt nicht alle Farben für alle Zimmer finden würden. Auf dem Weg zur Kasse kamen sie bis zu dem Gang mit Arbeitsplatten. Mit einem: „Ach, die brauchen wir ja auch noch, lass uns doch schon mal gucken!“, schob Nat den Einkaufswagen in diesen Gang. Angelo folgte ihm nur wie ein Entchen und betrachtete die verschiedenen meist zwei Meter langen Platten. Da gab es Fichten-, Buchen-, Eichen-, Birken-, Helvea- und sogar Teakholzplatten, plus die üblichen laminierte Platten. Der Hellseher musterte die Platten und kam sich vollkommen überfordert vor, welche war denn nun für ihre Küche richtig? „Sag mal, denkst du die könnten wir uns leisten?“, erkundigte sich Nat bei ihm, wobei er auf eine Arbeitsplatte aus Hirnholz deutete. Angelos Blick huschte daraufhin über verschiedene Preisschilderhinweg, bis er begriff, warum Nat gefragt hatte. Die Platte war teuerer als andere, aber nicht so teuer, wie beispielsweise die aus Teak. „Ja, können wir. Aber wieso willst du gerade die?“ „Ach, Hirnholz ist haltbarer als andersrum gesägtes Holz.“, antwortete Nat nur. „Doofe Frage, aber was ist Hirnholz?“ „Das ist keine besondere Holzart. Hirnholz kannst du aus allen Holzarten machen. Das heißt einfach nur, dass das Holz nicht mit der Faserrichtung geschnitten ist, sondern aus Klötzchen besteht, die aus den Scheiben der Stämme gesägt wurden. Siehst du, hier kann man die Jahresringe erkennen und bei den anderen Platten nicht.“, klärte Nat ihn auf. Angelo betrachtete die Platten genauer. „Brauchen wir mehr als eine?“, fragte er dann. „Ja, weil die hier kürzer sind als die anderen, bräuchten wir mindestens zwei.“ „Hm, wenn ich das richtig sehe, sind die Klötzchen aus denen die Platte besteht unterschiedlich groß.“ „Echt?“ Nat beugte sich vor. „Hm, ob da auch Platten mit gleich großen Klötzchen gibt?“ Der Sphinx murmelte etwas und die Platten erhoben sich vom Stapel in die Luft, wo sie nebeneinander schweben blieben. „Hey, was machen Sie da?“, erklang eine aufgebrachte Stimme. Angelo zuckte zusammen und drehte sich um. Auch Nat fuhr herum. „Die Platten ansehen.“, knurrte er. „Was denn sonst?“ „Also, so geht das jawohl nicht! Da stößt man sich ja den Kopf an!“, schimpfte der Baumarktmitarbeiter auf sie ein, obwohl die Platten über den Stapeln schwebten und nicht über dem Gang. „Aber wir stören doch niemanden damit.“, wandte Angelo ein. „Wenn Sie die Platten ansehen wollen, legen Sie sie gefälligst auf die anderen Stapel und gucken so!“, wurden sie scharf zurecht gewiesen. Angelo sah zu Nat herüber, bei dem inzwischen ein Schweißfilm auf der Stirn anzeigte, dass er das Gewicht der Platten mit seiner Magie hielt und es nicht so leicht war, wie es aussah. „Descendete retro de struem!“*, befahl der Sphinx mit leicht gepresster Stimme. Langsam kehrten die Platten zu ihrem Stapel zurück und stapelten sich darauf. Der Baumarktmitarbeiter war inzwischen schon weitergeeilt. „Was für ein Pedant, hier ist nirgendwo ein Schild: Zaubern verboten!“, grummelte Nat. „Lass uns gehen, der hat mir die Laune verdorben!“ „Wie du meinst. Ich verstehe auch nicht, was der hatte.“, murmelte Angelo einlenkend, ihm fiel erst jetzt auf, dass ihn zwei weitere Baumarktbesucher groß anstarrten. War zaubern in der Öffentlichkeit wirklich so ungewöhnlich? Aber wenn dem so wäre, hätte Nat doch sicherlich nicht gezaubert, oder? Mit ein paar Eimern weißer Farbe, je einem Eimer grüner und silberner Farbe, Abdeckfolie und Kreppband verließen sie den Laden. Angelo bemerkte immer wieder verdutzte Blicke aus den Augenwinkeln als Nat und ihr Chauffeur die Wandfarbe im Kofferraum der Limousine verstauten. „Habt ihr kein unauffälligeres Auto?“, maulte Nat vor sich hin. „Hm, weiß nicht? Jack, haben wir ein unauffälligeres Auto?“, gab Angelo die Frage an den Chauffeur weiter. „Für weitere Baumarktbesuche könnten wir den Mercedes nehmen.“, erwiderte der Chauffeur ruhig. „Bitte, lass uns das machen!“, flehte Nat. „Okay, von mir aus.“, nahm Angelo den Vorschlag an. „Sag mal, was brauchen wir eigentlich noch alles?“, wollte er wissen als sie saßen. „Du meinst außer Farbe, Pinsel, Farbrollen, Leitern, Abdeckfolie und Kreppband?“ Nat überlegte. „Umzugkartons für unsere Sachen, Werkzeug kriegen wir von Seiji, schließlich werden wir wohl einige Möbel auseinander bauen müssen.“ „Müssen wir?“ „Anders kriegen wir das Bett sicher nicht die Treppe rauf und auch den Leuten von einem Umzugsunternehmen gelingt das nicht.“, gab Nat nur trocken zurück. „Wie du meinst.“, seufzte Angelo, „Und du willst wirklich jetzt noch streichen, es ist schon sieben?“ „Ja, sonst haben wir ja keine Zeit dazu und heute ist Ruhetag im Imago.“ „Oje.“, murmelte Angelo. Es war schon seltsam, wenn es um das Renoviere ging übernahm Nat wie selbstverständlich die Führung. Sein Genius hatte ihn genötigt, Kleider einzupacken, denen Farbflecken nichts ausmachten, bleibende Farbflecken. Nun zumindest besaß Angelo solche Kleidung, er hatte die Sachen mitgenommen, die er trug, wenn er seine Bilder malte. Vor dem Haus warteten Seiji, Hex, Bea und Felicitas. Angelos Schwester erklärte ihre Anwesenheit damit, dass sie sich dieses Spektakel doch nicht entgehen lassen konnte. Relativ bald stellte Angelo fest, dass eine Wand anstreichen wenig mit Bilder malen zu tun hatte. Die Abdeckfolie wurde vorsorglich von Seiji und Nat ausgebreitet, weil es so schneller ging. Kurz darauf schwebten Nat und Seiji unter der Decke und strichen. Seiji kümmerte sich um die Kanten, während Nat die Fläche in der Luft liegend bearbeitete. Angelo starrte zu seinem Genius hinauf, irgendwie hatte das etwas surreales. Er wurde in seinen Überlegungen unterbrochen als Hex ihm eine Farbrolle in die Hand drückte. „Komm lass uns mit den Wänden weiter machen.“, schlug sie vor. „Aber ich hab noch nie...“, wandte er ein. „Achte einfach darauf, dass du die ganze Fläche mit Farbe bedeckst, dir keine Farbe an der Wand runterläuft und Tropfen bildet. Das kriegst du schon hin, deine Leinwände streichst du doch auch vor!“, riet sie ihm. Angelo nickte und machte sich ans Werk. Bea und Felicitas sorgten dafür, dass kein Farbfleck auf Fußleisten, Fenstern, Fensterbrettern oder der Türleibung festtrocknete, indem sie diese gleich abwischten. Zwei Stunden später ließ Angelo sich auf den Boden sinken. Sein Magen knurrte und ihm taten die Arme weh, aber die Wände waren nun einigermaßen gleichmäßig gestrichen. „Habt ihr auch Hunger?“, erkundigte Seiji sich von der Zimmertür her. Er und Nat hatten auch noch die Decken der anderen Räume gestrichen. „Ja, haben wir. Wie findest du unser Werk?“, antwortete Hex ihm. „Sieht gut aus. Ich hab um die Ecke eine Imbissbude gesehen. Irgendwelche Wünsche?“ „Einen Döner!“, Hex Antwort war sehr bestimmt. „Irgendwas, Hauptsache essbar.“, murmelte Angelo. „Geht klar. Bin gleich zurück. Was zu Trinken haben wir ja schon hier.“ Seiji winkte und verschwand im Flur. Angelo säuberte die Farbrolle, bevor er mit Hex zusammen ins Wohnzimmer ging. Dort saßen seine Schwester, Felicitas und Nat auf dem Boden. Sie hatten den Teppich, welchen der Vormieter gelegt hatte noch nicht rausgerissen. So war es wenigstens ein wenig bequemer, da sie noch keine Stühle in der Wohnung hatten, von einer funktionierenden Küche ganz zu Schweigen. Nat trank gerade aus einer Flasche Mineralwasser. „Und für welche der Wände hast du dich entschieden?“, fragte sein Genius ihn unvermittelt. „Die hinter dir, wenn es dich nicht stört?“, antworte Angelo auf die Wohnzimmerwand deutend. „Wovon sprecht ihr?“, wollte Bea wissen. „Auf welche Wand ich ein Bild malen darf.“, erklärte Angelo ihr lächelnd. „Ach so. Da wird wohl ein Traum wahr.“, grinste sie. Er nickte nur. „Kindskopf.“, stellte sie fest. Angelo streckte ihr die Zunge raus. Er hörte Felicitas kichern. Nat schüttelte nur den Kopf, stellte die Wasserflasche beiseite und streckte sich ausgiebig. Hex hatte nur ruhig dabei gesessen. Plötzlich drehten alle drei Genii den Kopf zum Flur. Angelo und Bea folgte ihren Blicken. „Bin wieder da!“, rief Seiji. Er trug mehrere Plastiktüten ins Zimmer, die er verteilte. „Ich hab dir auch Fisch and Chips mitgebracht, wie Nat.“, teilte er Angelo mit. Vorsichtig nahm Angelo eine Papiertüte entgegen. Er betrachtete das Essen darin. Es roch nach Fisch. Auf Pommes lagen mehrere frittierte Fischstücke und eine helle Soße war darüber gegossen. „Da bin ich ja mal gespannt.“, murmelte er. Skeptisch probierte er ein Fischstückchen. Gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht, stellte er fest. „Magst du das nicht?“, erkundigte sich Seiji höflich. „Ich kenne es nur nicht, aber es schmeckt.“ „Du kennst kein Fish and Chips?“ Aus Nats Stimme war Erstaunen herauszuhören. Angelo hob den Kopf und blickte seinen Genius an. „Ja, kenne ich nicht.“ „Warst du nie nach der Schule Fast Food essen?“, kam es verwundert von Hex, die gerade ihren Döner aus der Tüte holte. „Nein.“, mehr wollte Angelo dazu nicht sagen. „Er ist nicht nur Schule gegangen.“, erklärte Bea, woraufhin sie sich einen gereizten Blick ihres Bruders einfing. „Er hatte Hausunterricht von Privatlehrern.“ „Und du nicht?“ Nats Stimme war leise, so als war er sich nicht sicher, ob er die Antwort hören wollte. Angelo betrachtete das Gesicht seines Genius, der seinen Blick erstaunlich ernst erwiderte. „Nein, ich bin zur Schule gegangen. Angelo konnte das nicht, weil er...“ „Bea!“, fuhr Angelo ihr scharf dazwischen. Er wollte nicht, dass Nat das wusste. Nat hatte Panik davor eingesperrt zu sein. Nat musste nicht wissen, wie lange er in einem goldenen Käfig gelebt hatte, weil er keinen Genius Intimus besessen hatte. Irgendwie war er zwar immer noch wütend auf Nat, weil der ihn nicht früher gefunden hatte, aber der hatte schließlich auch seine Gründe gehabt, versuchte Angelo sich selbst zu überzeugen. Doch sie ließ sich natürlich nicht von ihm aufhalten, wie so oft. „Weil er keinen Genius Intimus besaß!“, vervollständige sie ungerührt ihre Antwort. „Darum durfte er das Haus nie ohne einen aus der Familie oder Liam verlassen, bis er volljährig war. Danach hat Dad ihm Bodyguards mitgegeben, weil er unbedingt allein raus wollte.“ Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Angelo beobachtete wie Nat bleich wurde. Anscheinend hatte dieser nie darüber nachgedacht, was für Konsequenzen es gehabt hatte, dass er nicht nach seinem Schützling gesucht hatte. „Das war unnötig!“, zischte Angelo seine Schwester an. „Ach ja? Ich weiß wie sehr du gelitten hast, weil er dich nicht gefunden hat! Er hatte eine Pflicht und er war lang genug frei um dich zu suchen! Ich hab mich informiert, weißt du? Er hätte dich schon vor Jahren finden können!“, sie redete sich in Rage. Ein Rascheln verriet ihm, das ihr Talent sich mal wieder verselbstständigte. Abwesend fragte er sich, warum Seiji zu dieser Szene schwieg. Er sah von seiner Schwester zu Nat, dessen Finger sich um die Fish and Chips Tüte krallten und der in sich zusammengesunken war, fast als erwarte er Schläge. Der Blick des Sphinx war gesenkt. Angelo atmete tief ein. „Das ist trotzdem eine Sache zwischen ihm und mir.“, sagte er leise. „Bist du nicht wütend, weil er so lange nichts getan hat. Er ist seit elf Jahren frei, verdammt noch mal!“ Beas Stimme schraubte sich in die Höhe. Nat sank noch mehr in sich zusammen. Angelo schloss kurz die Augen. Er wollte sich jetzt nicht streiten, weder mit Bea noch mit Nat. „Ich schlage vor, ihr beide geht jetzt in Nats Wohnung und klärt diese Angelegenheit in aller Ruhe miteinander.“ Seijis ruhige Stimme füllte den Raum. „Wir anderen räumen hier auf und ich bringe euch die Schlüssel nachher vorbei.“ Als Bea daraufhin schwieg, atmete Angelo erleichtert auf. Anscheinend erkannte seine temperamentvolle Schwester Seijis Autorität an. Langsam verschloss er seine Fish and Chips Tüte. Sein Hunger war ihm abhanden gekommen. „Die könnt ihr mitnehmen, für später.“, sagte Seiji sanft. Mit der Tüte in der Hand erhob sich Angelo. Nat kam ebenfalls auf die Füße. Mit leiser Stimme verabschiedete sein Genius Intimus sich von den Anwesenden, bevor sie zusammen die Wohnung verließen. Ein drückendes Schweigen lastete auf Angelo, während er neben Nat die Straße längs ging. Ihm war bewusst, dass ihr Problem kein Thema war, welches man auf der Straße besprach, aber Nats Schweigen weckte Zweifeln in ihm. Das Verhalten des Sphinx ließ darauf schließen, dass Nat sich seiner eigentlichen Pflicht als Schutzgeist bewusst gewesen war und diese dennoch ignoriert hatte. Es schmerzte zu erkennen, dass Nat ihn ablehnte oder lehnte Nat nur den eigenen Status als Genius Intimus ab? Doch in ihrem Fall ließ sich das nicht einfach trennen, oder doch? Angelo bekam kaum mit als Nat um eine Ecke bog, hastig folgte er ihm. Vor einem alten hohen Backseingebäude hielt Nat, kramte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Angelo betrat einen engen Hausflur, der zu einer Treppe mit einem geschwungenen Holzgeländer führte, die Nat nun hinauf stieg. Erst unterm Dach hielt Nat wieder an um die Wohnungstür aufzuschließen. „Zieh bitte die Schuhe aus und setzt dich schon mal in das Wohnzimmer. Hier links. Ich koche uns einen Tee.“, waren die ersten Worte, die Nat an ihn richtete, seit sie ihre zukünftige Wohnung verlassen hatte. Angelo fiel auf, dass Nat ihn nicht in seiner Wohnung Willkommen geheißen hatte, so wie er ihn auch nie mit hoch gebeten hatte, wenn sie Sachen von Nat geholt hatten. Der Hellseher kam Nats Bitte nach. Das Wohnzimmer war ein großer Raum, an fast allen Wände befanden sich gefüllte Bücherregalen. Nur an einer Wand stand das Sofa einem Regal zugewandt, in welchem sich ein Fernseher befand. Der Couchtisch vor dem Sofa war winzig, insgesamt war die Möblierung des Raumes so angeordnet, dass in der Mitte des Raumes viel freier Platz blieb. Angelo setzte sich auf das Sofa nah an die Kante. Sein Blick glitt über die Bücherregale, während er auf Nats Rückkehr wartete. Vor den Büchern, lagen Geduldsspiele. Ein Zauberwürfel leuchtete bunt vor einem Buch mit schwarzem Einband. Die Menge an Rätselbüchern, zwischen Roman, Krimis und Fachliteratur im Regal war auffällig. Der Anblick des Bücherregals verdeutlichte Angelo nur zum wiederholten Mal, dass er seinen Genius Intimus eigentlich kaum kannte. Er hörte Nat in der Küche rumoren, wohin der mit ihren Fish and Chips Tüten verschwunden war. Von seinem Platz aus versuchte Angelo die Buchtitel zu entziffern. Irgendwie empfand er es als Eindringen in Nats Privatsphäre, wenn er aufstände und die Bücher aus der Nähe ansähe. „Your Memory.“, konnte er auf einem Buchrücken lesen. Nat kehrte mit einem Tablett ins Zimmer zurück. Der Sphinx stellte einen dunkelblauem Becher vor Angelo ab auf dem „It’s bigger on the inside...“ stand und goss heißen Pfefferminztee ein. Pfefferminztee war wohl die Antwort auf jeglichen Stress bei Nat. Angelo hob den Becher hoch, schnupperte daran und musterte Nat, der sich ihm gegenüber auf ein Kissen auf dem Boden gesetzt hatte. Wieder senkte sich dieses unangenehme Schweigen über sie, bis Nat es mit der Frage, „Bist du gar nicht wütend auf mich?“, brach. „Ein wenig schon.“, gab Angelo ehrlich zu, „Ich war wütender auf dich, bevor ich dich traf. Bin ich jetzt wütend? Ich weiß es nicht. Eigentlich ging es mir doch gut. Ich hatte nur nicht so viele Freiheiten wie du, aber es war immer jemand für mich da, wenn ich Probleme hatte.“ „Aber du hattest nicht die Freiheit, die du hättest haben können.“ Das war Nats Stimme, rau und tonlos. Angelo seufzte. „Ja, hatte ich nicht. Aber du hattest die Zeit, die du brauchtest, um dich ein wenig von deinen Erlebnissen zu erholen.“ „Ich...“Nat stockte. „Ich hatte nie vor nach dir zu suchen. Ich wollte meine Freiheit nicht aufgeben.“, gestand er kaum hörbar. „Obwohl du den Codex kennst?“, hakte Angelo nach. Ein Nicken war die Antwort. Angelo war sich sicher leichten Trotz im Blick des Sphinx zu erkennen. Er starrte Nat fassungslos an, schließlich brachte er hervor: „Warum?“ Der Sphinx blickte in seine Tasse, seine Stimme war sehr leise. „Weil ich die Genius Intimus Verbindung hasse.“ Angelo stellte seine Tasse nicht ab, weil seine Hand zu sehr zitterte. „Ich kann dir nicht folgen.“ „Ich...“ Nat fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Ich konnte einfach nicht nach dir suchen. Es war ein wenig wie diese Blockade, die manche Leute haben, wenn sie einen Handstand machen sollen. Sie kommen nicht in den Handstand, weil ihre Furcht vor dem Überkippen sie daran hindert genug Schwung zu nehmen, um zum Stehen im Handstand zu kommen und egal, wie oft sie es probieren, es passiert immer wieder das Gleiche.“ „Du meinst eine psychische Blockade. Aber das hat nichts mit unserer Situation zu tun.“, erwiderte Angelo. „Doch irgendwie schon. Wie erklär ich das bloß...“, Nat stockte. „Als ich befreit wurde konnte ich das Band fast gar nicht mehr spüren und ich... ich habe nicht einmal drüber nachgedacht, dass dort draußen mein Schützling auf mich wartet, zu Anfang. Ich wollte nichts mit diesem Band zu tun haben. Ich wollte es nicht mehr spüren können, nicht mehr haben. Ich hab gar nicht so weit gedacht, um es mit einer anderen Person in Verbindung zu bringen. Ich wollte nichts damit zu tun haben, weil es nur Schmerz bedeutete, für mich.“ Angelo runzelte die Stirn. Den ersten Teil der Erklärung konnte er noch nachvollziehen, das kannte er von anderen traumatisierten Personen, aber den zweiten Teil. „Was meinst du mit nur Schmerz?“ Nats Kopf ruckte hoch und er fauchte Angelo an. „Was denkst du denn, das passiert, wenn man der Verbindung nicht folgt! Erst kribbelte es, dann wird es stärker, bis man das Gefühl hat der ganze Körper brennt von innen und man nur noch diesem Ruf folgen will, damit es aufhört!“ Der Sphinx stockte. „Es tut mir Leid. Ich wäre gekommen, aber ich war eingesperrt und ohne Minos... ich glaub nicht, dass ich die Zeit, bis sie einen Bannzauberer geholt haben, der die Verbindung abschwächte, ausgehalten hätte, nicht ohne Minos.“ „Ist okay, danke, ich glaube ich hab es verstanden. Also bist du jetzt hier, weil wir uns getroffen haben und es deine Pflicht ist.“ „So in etwa und, weil ich niemanden sterben sehen konnte, ganz besonders nicht dich.“, gab der Sphinx zu. Angelo seufzte. „Und ich hatte gehofft...“ „Was?“ „Ach, vergiss es. Kinderträume.“ „Angelo.“ Angelo sah auf und blickte in Nats grüne Augen, die dieser auf ihn gerichtet hatte. „Hm.“, machte er nur resigniert. „Nathaniel Harmachis el Sharif Night ist mein voller Name.“ Nats Stimme war ruhig nur ein leises Zittern darin verriet ihn. Angelos Augen weiteten sich. Er konnte Nat nur anstarren, warum nannte er ihm jetzt seinen Namen? * „Descendete retro de struem!“ lat. sollte: „Senkt euch auf den Stapel zurück!“ bedeuten. Falls jemand in Latein besser ist, bitte ich um Korrektur. S. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)