Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 26: ------------ An der Feder haftete noch immer ihr Duft. Nach Feuer, Sonnenschein und heißer Glut… Wann immer man den Schaft bewegte reflektierte die Fahne im rechten Licht einen karmesinroten Schimmer von sich. Die zarten Nebenfedern zum unteren Nabel waren wundervoll flaumig. Sobald man eine ausladende Bewegung mit der Feder vollführte, hinterließ sie in der Luft einen zarten Regen aus goldglimmenden Phönixstaub. Hier in der Finsternis seines Reiches saß der Herrscher der Bit Beasts auf seinem Thron aus Wurzelgeflecht und drehte gedankenverloren den Schaft seines verloren gegangenen Phönixs zwischen den Fingern. Die Geschichte welche Takao dem Kind erzählt hatte regte zum Nachdenken an. Es war nicht die Tatsache dass sämtliche Ereignisse, zum geistigen Wohle des kleineren Jungen, verklärt dargestellt worden waren, sondern viel mehr in welchem Licht ihn sein Kind präsentiert hatte. Bereits zu den frühen Jahren der Menschen, war Dragoon aufgefallen, wie sehr sie Wölfe fürchteten. Weshalb auch nicht? Sie rissen ihr Vieh, jagten sie des Nachts in schauerlichen Träumen und raubten ihnen die Säuglinge, wenn sie nicht Acht gaben. Er selbst war auch seit geraumer Zeit nicht sonderlich angetan von diesen Wesen. Nicht einmal die näheren Verwandten dieser Rasse konnte er ausstehen, obwohl sie doch als die besten Freunde des Menschen galten. Er wusste noch wie verstimmt er gewesen war, als Takao sich von seinem Großvater einen Hund wünschte und diesen tatsächlich bekam, jedoch glücklicherweise nach zwei Monaten schon wieder abgegeben musste, da sich herausstellte, dass der alte Mann eine Allergie dagegen besaß. Dragoon hatte sich damals schadenfroh ins Fäustchen darüber gelacht. Er hasste Hunde, aber noch mehr verabscheute er Wölfe. Es verwunderte ihn auch nicht, als irgendwann die Redewendung „Ein Wolf im Schafspelz“ bei den Menschen in Umlauf kam. Er hatte nur nicht erwartet dass ihn Takao irgendwann genauso sehen würde… Tyrann. Wieder etwas das ihm sauer aufstieß. Anfangs war dieses Wort nie im Zusammenhang mit seinem Namen gefallen. Zumindest nicht bei jenen Bit Beasts, die nicht den Unterklassen angehörten. Seine Gefolgschaft ehrte ihn und war dankbar für den Atem den er ihnen spendete. Die Kräfte der Uralten machten sie zum Ursprung allen Lebens. Dieser Tage musste er jedoch feststellen, dass die Verunglimpfung seines Titels immer weitere Kreise zog. Zunächst waren es nur die einfachen Schichten gewesen. Der erste Aufstand kam von den Makrelen Bit Beasts. Der Großteil davon war damals für den Wellengang zuständig gewesen, belieferte die Gewässer der Menschenwelt aber auch mit Dragoons Sauerstoff für die Fischgründe. Irgendwann war das aber nicht genug. Sie beklagten sich man würde ihre Leistungen nicht genügend würdigen und sie nur als Futter für die obigen Klassen sehen. Dabei war es seit jeher dieselbe Nahrungskette, der die Bit Beasts folgten. Dragoon war aufs äußerste erbost gewesen. Kurzerhand hatte er einen Großteil der Aufständischen erstickt. Die Folge davon war ein Fischsterben in der Menschenwelt. Noch immer kämpfte man dort gegen die schwindende Fischpopulation an, doch Dragoon war keine Wahl geblieben – er musste seinen Rang verteidigen. Wann immer man sich aber in der Irrlichterwelt dieses Ereignisses entsann, fiel das Wort Tyrann. Die Unterklassen Bit Beasts dachten er höre ihre Beleidigungen nicht, doch Dragoon konnte sie alle hören. Sobald er einen Schritt an die Oberfläche des Weltenbaumes tat, trugen ihm seine Winde sämtliche gesprochenen Worte seiner Untergebenen ans Ohr, denn, ohne Luft, keine Stimme. Selbst den Menschen war mit ihrem stark beschränkten Denkvermögen irgendwann klar geworden, dass es Luft aus ihrer Lunge bedurfte, um ihre Stimmbänder für Klänge vibrieren zu lassen. Manchmal war ihre Wissenschaft doch erstaunlich. Kein anderes Lebewesen war bisher hinter diesen raffinierten Trick der Natur gekommen. Da sein Atem den menschlichen Körper durchlief, bekam Dragoon daher sehr viele Einblicke in das Innerste seiner Umgebung mit, selbst mancher Gedanke war zu hören, wenn eine Person dabei besonders laut ausatmete. An den Wurzeln Yggdrasils fungierten die Verästelungen selbst als seine Augen. Das machte ihn fast allgegenwärtig. Zunächst tat er sich die Mühe, die wenigen Lästerer die seinen Namen verunglimpften zu strafen, indem er sie aus heiterem Himmel mit einer starken Windhose in die Luft erhob. Weit hoch… Bis über die Wolken. Nur um sie dann fallen zu lassen. Sein Zorn machte schnell die Runde – doch die Stimmen schwiegen nicht. Bald waren es so viele dass Dragoon Dreiviertel der Unterklasse hätte vernichten müssen, um endlich dem Treiben Einhalt zu gebieten. Er wäre auch dazu bereit gewesen, hätte man nicht auf ihn eingeredet. Die anderen Uralten baten ihn, doch einfach über diese Torheit hinwegzusehen und nur gelegentlich noch ein Exempel zu statuieren, um ihre Macht zu demonstrieren. „Bitte vergiss nicht welches Chaos das alles in der Menschenwelt und auch in unserer anrichten würde.“, hatte Driger gemahnt. Er war kein Freund der Sterblichen, aber erinnerte er ihn daran, dass diese Rasse ihrer aller Schöpfung war. Zudem hatte er damals seinen ersten Kontakt mit Ray gehabt, für den er so viele väterliche Gefühle entwickelte, wie für seinen Phönix. Die dagegen hatte ihn damals nur stumm betrachtet… Dragoon wusste weshalb. Wann immer derlei Vorfälle stattfanden, sah er die leise Anklage in ihren Augen. Dranzer bejammerte nicht die dummen Makrelen. Sie war eine Uralte und die Unterklassen waren ihr genauso gleich, wie den restlichen Mitgliedern. Es war die Verbannung ihrer älteren Schwester, an jene sie sich in diesen Momenten entsann. Wann immer sie daran dachte, wandte sein Phönix den Kopf von ihm ab und schaute schweigsam in die Ferne. Eine für ihn unbegreifliche Melancholie erfasste sie dann und nicht einmal anstacheln ließ sie sich noch. Manchmal drehte sie ihm sogar den Rücken zu und entschwand. Das machte ihn anfangs sprachlos, da er doch einen ihrer stürmischen Streitereien erwartete, nicht aber einen widerstandslosen Rückzug. Er konnte mit ihrem Zorn umgehen. Er belustigte sie sogar. Aber Traurigkeit? Es vermittelte ihm immer ein Gefühl von – wie Menschen es wohl nannten – Schuld. Das mochte er nicht, denn dann kam er sich vor, als ob er etwas Böses getan habe. Außerdem passte Traurigkeit so gar nicht zu einem Feuer Bit Beast. Die waren aufregend, gefährlich und impulsiv – eine Mixtur aus purem Nervenkitzel. Trauer war etwas für mimosenhafte Wasser Bit Beasts. Die waren schließlich auch für Tränen zuständig. Es war einer der Gründe weshalb er Draciel als seine Partnerin abgelehnt hatte. Zunächst war die stille Schildkröte nämlich als seine Gefährtin zur Auswahl gestanden, obwohl sich niemand so sicher war, welches Geschlecht sie vorzog. Die zweite Kandidatin war Wolborg. Doch Dragoon mochte ihrer Bit Beast Gestalt rein gar nichts abgewinnen. Ein Wolf schien ihm so banal und einfach. Zudem jaulte sie ständig. Des Nachts fand man keine Ruhe und an Vollmondnächten hätte er sie am liebsten erdrosselt…. Das ging ihm gehörig auf die Nerven! Das alles war noch zu jener Zeit gewesen, als Dranzer noch nicht geboren, ja, noch nicht einmal jemand etwas von ihrer baldigen Geburt ahnte. Bit Beasts kamen auf unterschiedliche Arten zur Welt. Zumindest nicht so wie Menschen. Ein Blatt das im Wind wehte konnte ihre Geburt einläuten. Ein kräuselnder Wasserstrudel spuckte eines von ihnen aus. Eine sich zur Sonne öffnende Knospe ließ sie das Licht der Welt erblicken. Dragoon war damals recht missgestimmt, ob der Auswahl seiner Partner. Es war keine Bund im menschlichen Sinne, wie beispielsweise eine Ehe, da ja keine Kinder daraus hervorgingen, sondern mehr eine Arbeitspartnerschaft um die Evolution auf der Erde voranzutreiben. Zudem musste im Falle eines unvorhergesehenen Ablebens, der Partner den Posten so lange übernehmen, bis ein neuer Uralter für das Element geboren war. Es hatte eben alles seinen Zweck in der Irrlichterwelt. Daher spielte es auch eigentlich keine Rolle, welches Geschlecht der Partner besaß. Er hätte Driger nehmen können, aber der zog Draciel vor, da seine Faune mit ihrem Wasserreichtum viel schneller gedieh und sich zudem darüber brüskierte, dass Dragoons Winde ihm immer seine Bäume umstießen. Sie lagen sich ständig in den Haaren deshalb, bis sich beide entnervt eingestanden, dass sie besser verfuhren, wenn sie ihr Zusammenspiel auf so wenige Male wie möglich reduzierten. Es stand auch schon vorher fest, dass Draciel einen erheblichen Teil zu der Evolution auf der Erde beitrug, Dragoon aber nicht mit ihrer lahmen Art zurechtkam. Hier passte die Chemie einfach überhaupt nicht, denn bis sie endlich einmal in die Gänge kam… Es war ein einziges Ärgernis und wann immer er mit ihr zusammenarbeiten musste, hatte er hinter der Schildkröte gestanden, um ihr einen kräftigen Schubs zu verpassen, damit sie endlich einen Zahn zulegte. Einmal hatte er ihr über einem Meer, einen solchen Hieb versetzt, dass sie wie ein flacher Stein auf der Wasseroberfläche hopste, bis sie auf der anderen Seite Festland erreichte. Das Ende vom Lied war, dass sie sich in ihren Panzer verkroch, sobald die Arbeit in Mühsal ausartete. Wie gesagt - ein Ärgernis! Driger hatte ihm einmal geraten nicht so stürmisch zu sein. Er hätte ihm genauso gut sagen können nicht mehr zu atmen. Ein Luft Bit Beast war nun einmal lebhaft! Es war der Grund, weshalb er in Takao eine Art Seelenverwandten gesehen hatte. Beide waren von einem stürmischen Temperament. So blieb dem Drachen damals aber aus Mangel an Kandidatinnen doch nur die heulende Wolfsfrau, da Feuer kaum ohne Luft bestehen konnte – bis Dranzer mit dem ersten Sonnenstrahl, der durch die dicke Wolkendecke auf die frühe Erde traf, zum Leben erwachte. Damals staunten die Uralten nicht schlecht, als sich plötzlich ein weiteres Feuer Bit Beast neben Wolborg unter ihnen fand. Zwei Uralte für dasselbe Element? Das hatte es noch nie gegeben! Es war faszinierend was sich die Natur ständig Neues einfallen ließ. Dragoon hatte Dranzers Gestalt auch weitaus mehr fasziniert, als es die anderen Uralten vermochten. Er war voller Euphorie, als hätte eine weitaus höhere Macht - als er selbst - seine Gebete erhört. Dabei wusste er gar nicht, weshalb sie ihm so viel mehr zusagte. Womöglich weil Vögel Bit Beasts zu seiner Leibspeise zählten. Etwas später erfanden die Menschen sogar eine Redewendung dazu: „Jemanden zum Fressen gern haben.“ Das schien ihm Recht passend, auch wenn er nicht ganz sicher war, ob er den Sinn richtig gedeutet hatte. Ihm war noch nie unter die Augen gekommen wie sich Partner gegenseitig aufaßen. Jedenfalls nicht bei Menschen. Sobald das Küken ungeschickt durch ihre Reihen tapste hafteten seine Pupillen an ihr. Geradezu trottelig stolperte das winzige Wesen bei jedem zweiten Schritt über die eigenen Füße. Er hätte gerne mal einen Bissen von ihr gekostet, einfach weil sie so verflucht schmackhaft duftete, doch zu seinem Unglück war Wolborg genauso entzückt von ihrer neugewonnen Schwester. Das Wolf Bit Beats brachte ihr mit Engelsgeduld all jene Dinge bei, die ein Feuer Bit Beasts können musste. Des Nachts schlief das Küken gelehnt an das struppige Fell der Wölfin, tagsüber folgte es der älteren Schwester mit flatternden Flügeln zu Fuß. Sie sah dann aus wie ein in vollem Galopp rennender Strauß. Bald spie Dranzer Feuer aus dem Schnabel, ließ in Zusammenarbeit mit Driger Vulkane erbeben und erhellte gemeinsam mit Wolborg die Erde mit Sonnenlicht – bis es etwas gab, das das Küken weder von ihrer Schwester, noch von einem anderen Uralten lernen konnte. Sie war noch immer nicht im Stande zu fliegen. Ein Zustand der für ein Vogel Bit Beasts undenkbar war. Dragoon musste damals dunkel lachen als er ihre kläglichen Versuche sah. Es war nur ein jämmerliches Flattern mit den Ärmchen, was nur kräftig genug war, um sie auf die Krallenspitze ihrer Füße anzuheben. Wirklich mit dem Wind gleiten vermochte das Küken so nicht. Damit war seine Zeit gekommen, ihr eine seiner Weisheiten zu erteilen, denn wer mochte einem Vogel das Fliegen durch die Lüfte besser vermitteln, als der Herr des Himmels? Zu seinem Wohlgefallen war seine Schülerin äußerst gelehrig. Sie war brav und horchte auf ihn. Driger hatte sie ermahnt, es sich nicht mit ihm zu verscherzen und da sie noch recht zutraulich war, dachte Dranzer gar nicht daran, dass Dragoon ihr jemals übel mitspielen würde. Mutig rannte sie über seinen Schweif, pickte neugierig an seinen Schuppen herum und begutachtete seine langen Klauen eingehend. Selbst in die Schnauze spähte sie ihm einmal hinein, was doch etwas unangenehm war… Ihm lief dabei förmlich das Wasser im Munde zusammen als ihm ihr Geruch in die Nüstern stieg. Es war wirklich schwierig eine Partnerin haben zu wollen, die genauso gut als Mahlzeit dienen könnte. Doch er wusste sich zusammenzureißen und er liebte Herausforderungen. Sie verbrachten einige Tage miteinander. Er lehrte sie die Grundregeln, die Körperhaltung in jeder Windlage und worauf sie in der Luft achten musste. Da er aber selbst kein Kind von Traurigkeit war, alberten sie auch oftmals einfach nur herum. Einmal hatte er sie auf seine Nüstern gesetzt und so viel Luft daraus ausgespien, dass seine kleine Phönixdame wie ein Pfeil durch den Himmel schoss. Sie krachte scheppernd in einen Baum und doch bettelte sie in ihrer jugendlichen Energie um mehr. Der damalige Tag lag noch gestochen scharf vor seinen Augen… „Oh bitte!“, aufgeregt hatte sie mit den Flügelchen geflattert. Dabei tippelten ihre Klauen auf dem Gras, während Dragoon seinen schlangenartigen Körper auf dem Boden zusammengerollt hatte und den Kopf auf den Klauen ruhen ließ. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die kleine Phönixdame dabei, wie sie voller Übermut fiepte. Sie brauchte vier menschliche Stunden um wieder zu Fuß zurück zu ihm zu finden, war aber voller Vorfreude auf einen weiteren Ritt durch die Lüfte. „Ich pick dir auch die Bit Beast Flöhe hinterm Ohr weg!“, hatte sie versucht ihn zu locken. Mit dieser Masche war sie bereits bei Driger weitergekommen. Einmal hatte Dragoon ihn dabei erwischt, wie er sie sein Fell durchkraulen ließ. Wie eine ordinäre Katze lag er auf dem Rücken und wandte ihr träge jene Seite zu, die sie noch bearbeiten sollte. Offenbar hatte er sich wohl gefühlt, denn er schnurrte dabei genüsslich, als wäre er im siebten Himmel. Vor allem als sie mit den Krallen an den Punkten scharrte, die besonders zwickten und das Ungeziefer herauspuhlte. Ein Grund weshalb Dragoon keine Gestalt gewählt hatte die ein Fell besaß… „Damit kommst du bei mir nicht weiter, Liebes. Durch meine Schuppen beißt sich keine Flamme, keine Kälte und erst recht kein Floh.“ „Dann befehle ich es dir. Los! Lass mich fliegen!“, sie stapfte trotzig auf und da plusterte sich die winzige Aristokratin auch noch stolz auf. „Ich bin eine Uralte. Du musst schon tun was ich dir sage!“ „Herrlich! Den gebieterischen Ton hat dir Driger vortrefflich beigebracht.“ „Dann lässt du mich jetzt fliegen?“, sie hatte hoffungsvoll das Köpfchen geneigt, als habe sie selbst nicht damit gerechnet, mit dieser Finesse weiterzukommen. „Nein.“ „Warum nicht?“, ihre herrische Art fiel jäh ab und wich einem enttäuschten Schmollen. „Bin ich nicht brav gewesen? Ich habe alle Übungen gemeistert die du mir gezeigt hast.“ „Das schon aber nichts im Leben ist umsonst. Desto früher du das lernst desto besser.“ Das Küken plusterte beleidigt das Federkleid auf. Damals war es noch nicht von einem samten Rot, sondern gänzlich weiß und flauschig. Aus dem Hinterteil ragte nur ein kleiner Flaum, dem man nur schwer ansehen konnte, dass daraus ein funkelnder Schweif werden sollte. Es ähnelte eher einem süßen Kaninchenschwanz. „Wenn du dich aufplusterst siehst du wie ein Schneeball aus.“ „Oh wie gemein du wieder zu mir bist! Warum hast du nie ein nettes Wort für mich übrig?“ Ein tiefes Grollen war aus seinem Maul gedrungen. Allein ihre Gegenwart munterte ihn auf. Er hoffte inständig sie würde dieses Temperament auch als ausgewachsener Phönix beibehalten. „Nette Worte schwächen den Charakter. Willst du umschmeichelt werden, musst du die anderen Bit Beast um dich herum in Angst versetzen. Erst wenn sie im Staub vor dir kriechen, kannst du sicher sein, dass sie dir alles sagen werden, was du von ihnen hören willst, um deine Gunst für ihr Überleben zu sichern.“ „Das weiß ich selbst. Meine Schwester hat mir das schon beigebracht.“, hatte sie eingewandt. Ihr schien es nicht zu passen, dass er sie mit Offensichtlichkeiten abspeiste. „Dann solltest du gerade deshalb wissen dass du die Sonderhappen vergessen kannst. Gib mir etwas dass ich möchte und du sollst deinen Willen haben.“ „Ja aber was willst du denn von mir?“, erklang ihr Stimme hilflos. „Lass dir etwas einfallen.“ „Willst du Mäuse? Ich suche dir welche!“ „Ich bin doch nicht Driger… Die schmecken mir außerdem nicht.“ „Soll ich dir ein Lied singen?“ „Dein Stimmchen gefällt mir zwar, aber nein.“ „Ich kann es wieder Feuerbälle regnen lassen.“, hatte Dranzer vorgeschlagen. „Was bringt mir das?“ „Oh weh… Du machst es mir nicht leicht. Sag mir doch bitte was du dafür möchtest.“, sie tippelte näher an seinen Schädel heran, der viel größer als sie selbst war und hatte flehend in sein rechtes Auge geblickt. Ein Sinnbild aus Liebreiz und Unbekümmertheit. Dragoon hatte in sich hineingelächelt. Sein Plan ging leichter auf als vermutet, damals war sie allerdings auch nicht sonderlich schlau. Ihr fehlte es an Erfahrung. Das hatte es ihm umso einfacher gemacht… „Willst du so gerne wieder in den Himmel steigen?“ „Oh ja! Bitte, bitte.“, sie hopste auf der Stelle. „Wie wäre es dann damit… Sobald dein erstes Federkleid verschwindet und du zu einem wahren Phönix herangereift bist, musst du mir die Treue als meine Partnerin schwören.“ Sie hielt inne. „Was ist eine Partnerin?“ „Eine Gefährtin.“ „Oh… Und wenn ich das nicht will?“ „Wenn du das wissen möchtest, scheint dir ein weiterer Flug nicht so wichtig zu sein.“ „Doch!“, hatte Dranzer eifrig beteuert. „Dann gib mir dein Versprechen. Sobald du erwachst gehörst du mir allein.“ Nachdenklich hatte das Küken sein Köpfchen auf die Seite geneigt. „Das hört sich nicht richtig an. Wie kann jemand einem allein gehören?“ „Indem du tust was ich dir sage. Niemanden außer mir an deiner Seite duldest und mich als deinen Herren ansiehst.“ Das war natürlich geflunkert, denn nichts davon entsprach einer Partnerschaft, doch er wollte sich nicht das Zepter nehmen lassen. Außerdem gefiel es ihm schon damals die Oberhand über jemanden zu haben. „Pah! Das ist es mir dann doch nicht wert…“ „Auch nicht wenn ich dich sieben Tage und sieben Nächte, auf dem Rücken des Windes, über beide Welten hinweg fliegen lasse?“, er hatte das Küken lauernd angeschaut. „Ich nehme dich gerne mit auf meinen nächsten Rundflug.“ Voller Neugierde schaute sie an. „Wirklich? Das machst du für mich?“ „Das Wort eines Uralten ist bindend.“ „Aber wie willst du das anstellen wo ich noch nicht fliegen kann?“, hatte sie gefiept. „Da ich der Wind bin fliegst du auf meinem Rücken.“ „Oh! Das klingt tatsächlich wundervoll!“, sprach sie verträumt. „Dann gib mir dein Wort als eine Uralte.“ „Meine Schwester sagt aber, ich soll sie um Erlaubnis bitten, bevor ich einen Schwur gebe.“, er hatte geknurrt, denn die Affenliebe mit der Wolborg das Küken hütete ging ihm gehörig auf die Nerven. „Sie meint ein Wort bindet auf ewig und ich soll es nicht leichtfertig erteilen.“ Was für eine schreckliche Streberin… „Dann wird das arme kleine Phönixküken niemals erfahren, wie es ist als Windböe durch die Welten zu fliegen.“, hatte er silberzüngig gesprochen. „Ihr Vögel denkt ihr gleitet edel durch die Lüfte. Doch tatsächlich hat nur der Wind allein dieses Handwerk perfektioniert.“ Er hatte seinen massigen Körper gemächlich auf den Rücken gedreht und gespielt gleichgültig gegähnt, während er mit der rechten Klaue seinen Bauch kratzte. „Aber da du nicht möchtest kann ich dir nicht helfen. Ich würde dich ungerne einfältig sterben lassen, aber deine Schwester wird ja wissen, ob ein Flug auf meinem Rücken ein Versprechen wert ist. Vielleicht will sie auch gar nicht das du es selbst lernst…“ „Das darfst du ihr nicht vorwerfen. Sie möchte stets das Beste für mich und selbst das ist gerade noch gut genug. So sagt sie es zumindest.“ „Ihre Worte sprechen aber vom Gegenteil.“ „Sicherlich tut sie das nicht mit Absicht. Sie kann doch selbst gar nicht fliegen.“ „Ja richtig. Jetzt wo du es sagst! Wolborg kann das ja gar nicht beurteilen.“, gab er sich erstaunt. „Woher will eine Feuerwölfin wissen, ob ein Flug auf meinem Rücken einen Schwur wert ist, wo sie nur auf allen Vieren vorankommt? Es ist wirklich eine Schande dass deine Schwester dich so zurückhält. Vielleicht solltest du gar nicht erst Fliegen lernen, um dir den Ärger mit ihr zu ersparen. Dann bleiben deine kleinen Flügelchen wohl auf ewig ungenutzt und verkümmern. Aber dann trägt dich Wolborg eben durch die Gegend oder du rennst weiterhin hinter ihr her wie ein Kampfstrauß.“ „Ich bin kein Kampfstrauß!“, empörte sich das Küken. Offenbar gefiel ihr dieser Gedanke nicht. Jetzt war sie noch klein und man belächelte sie sanftmütig, doch sobald sie ausgewachsen war, würde es ein lächerliches Bild abgeben. „Kannst du nicht eine Ausnahme machen?“ „Nein.“ „Und wenn ich dich ganz lieb bitte?“ „Mal sehen…“, hatte Dragoon geraunt. „Bettel mich einfach mal an.“ „Bitte, bitte, bitte!“ „Geht das noch besser?“ „Du hättest meinen ewigen Dank und einen festen Platz in meinem Herzen sicher.“ „Das klingt schön.“, musste er einräumen. Nur wollte er einfach mehr. „Aber es reicht nicht um mich umzustimmen.“ Dranzer hatte bekümmert an ihren Flügeln hinab gesehen. Unbeholfen spreizten sich dabei ihre Federn, als wäre ihr in jenem Moment durch den Kopf gegangen, was das größere Opfer sei - Ihrer Schwester zu gehorchen oder Dragoon seinen Willen zu lassen. „Ich weiß gar nicht was ich als deine Gefährtin machen muss.“, gestand sie peinlich berührt ein. Wahrscheinlich weil Wolborg niemals in Erwägung gezogen hatte, dass er Interesse an ihrer kleinen Schwester zeigen könnte. Für ein Bit Beast war sie noch zu jung, auch wenn die paar Jahrtausende für ein sterbliches Wesen viel sein mochte. „Das wirst du schon lernen.“ „Und wenn ich etwas falsch mache? Schimpfst du mich dann aus?“ „Fehler müssen immer bestraft werden.“, die schwarzen Schlitze seiner Pupille hatten ernst auf ihr gelegen. Der Gedanke brachte sein Blut in Wallung. Auch wenn er nicht allein von Instinkten getrieben war, so lag es doch in der Natur von Bit Beasts ihre Dominanz auszuleben. „Aber als meine Partnerin würde ich dir natürlich niemals etwas antun, was dich aus dieser Welt komplett verschwinden lässt.“ „Aber du darfst mir auch nicht weh tun!“ „So lange du keine Fehler machst, kommt das ohnehin nicht vor.“ „Versprichst du mir das?“ „Wenn du mir versprichst meine Gefährtin zu werden?“ „In Ordnung. Dann will ich das tun.“, damit war ihr Entschluss gefallen. „Ich schwöre dir als Uralte das ich deine Gefährtin werde.“ „Und damit hast auch du mein Wort als Uralter.“, seine langen Fangzähne entblößten sich mit einem strahlenden Lächeln. Ein überlegenes Blitzen trat in seine Augen. Der Herr des Himmels stemmte sich mit seinen starken Hinterläufen auf und beugte sein Haupt, damit das kleine Phönixküken wie auf einer Treppe, auf seinen Rücken spazieren konnte. „Und nun lass uns fliegen.“ Es waren tatsächlich die schönsten sieben Tage, die Dragoon erlebt hatte und es bestätigte im Nachhinein seine Vermutung, dass jene Momente, die am kürzesten verweilten, am wertvollsten waren. Daher entschied er kurzerhand, dass er noch weitere sieben Tage anhängen würde und als diese vorüber waren, weitere sieben. So hielt das Spiel viele Wochen. Aus Wochen wurden Monate. Aus Monaten wurden Jahre… Letztendlich verbrachten die beiden Bit Beast ein ganzes menschliches Jahrhundert fern von ihren anderen Artgenossen. Für einen Geist war das nicht viel, aber ihre Abwesenheit blieb dadurch nicht mehr unbemerkt. Doch er hatte einfach nicht genug bekommen. Er empfand ein warmes Gefühl in Dranzers Gegenwart. Es kam mit dem Sonnenaufgang, verweilte mit dem Tag und selbst des Nachts, wenn das Küken an seiner Seite schlummerte, ließ es nicht von ihm ab. Dann rollte er sich zusammen und schützte ihren zierlichen Körper mit seinem eigenen. Der Wind trieb ihren Duft in seine Nüstern, ihr Gefieder war wundervoll warm und er dachte dann, das er auf ewig bei ihr so liegen wollte. Dragoon wusste nicht was ihn so empfinden ließ, aber das es sich gut anfühlte… und das es mit ihr zu tun hatte. Für ihn war die Sache damit auch erledigt, denn was musste er mehr wissen? Dennoch rief irgendwann leider die Pflicht. Die Welt war gerade dabei sich zu formen und er musste seinen Aufgaben nachkommen. Als sie zurückfanden besaß Dranzers Federkleid bereits einen zartroten Hauch und sie konnte endlich fliegen. Ausgewachsen war sie noch lange nicht, doch auf dem besten Weg ihrem Eid bald nachzukommen. Ihm gefiel die rote Farbe ihres Gefieders. Bald würde es regelrecht ins Auge stechen. Über die andauernde Abwesenheit hatte sie sich nicht einmal beklagt. Dranzer schien viel zu viel Freude daran entwickelt zu haben, mit ihm über den Himmel zu gleiten. Seine künftige Gefährtin war ebenso wetteifernd wie er, denn sie wollte sich ständig mit ihm messen. Natürlich hatte sie beim Fliegen keine Chance gegen ihn, doch er ließ ihr gerne die Illusion, sie könne mit ihm konkurrieren, indem er zu Anfang eines Wettstreits das Tempo drosselte, nur um auf den letzten Metern wie ein Blitz durch die Luft zu schießen. Dennoch musste er gestehen, dass sie ihn einmal fast überrumpelt hätte, als sie seine List erkannte und es ihm mit barer Münze heimzuzahlen versuchte. Sie gaukelte ihm vor, noch immer keine Fortschritte gemacht zu haben und als die Zielgerade näherkam, schoss auch sie pfeilschnell vor – verschlagenes Stück. Er hatte dennoch Stolz empfunden, denn seine Schülerin war weitaus schlauer geworden als noch vor ihrem Schwur. Das Erste was sie tat, als sie Heim kamen, war den anderen Uralten ihre Fortschritte zu präsentieren. Dem alten Brummtiger standen sogar die Tränen in den Augen und als er bemerkte, dass Dranzers Federkleid die ersten Farben annahm, meinte er nur rührselig, dass sein Kleines endlich erwachsen wurde. Sie piekte auch wie ein Specht fordernd auf Draciels Panzer herum, damit das ältere Bit Beast endlich seinen Schlaf beendete, um ihre Flugkünste zu bewundern. Die Schildkröte streckte den Kopf dösig heraus und als Dranzer in der Luft ihre Bahnen zog, folgten ihre Augen gähnend langsam ihrer Route. Es hätte Dragoon gewundert wenn sie tatsächlich mitkam… Auch Wolborg nahm die Fortschritte ihrer Schwester wahr, allerdings bemerkte er ihren Groll, als sie spitzzüngig wissen wollte, ob der Herr der Lüfte wirklich ein so hundsmiserabler Lehrmeister sei, dass er ein ganzes Jahrhundert benötigte, um Dranzer das Fliegen beizubringen. Scheinbar hatte die Sehnsucht nach ihrem wertvollen Kleinod sie äußerst missgestimmt. Er würdigte sie kaum eines Blickes. Zunächst war die Runde auch ausgelassen ob des jugendlichen Übermuts des Kükens. Ihre gemeinsamen Abenteuer sprudelten aus ihrem Schnabel, dass Driger kaum die Gelegenheit für eine Zwischenfrage fand. Dranzer berichtete von farbenfrohen Sonnenaufgängen, unendlich wirkenden Meeren, weiten Steppen, unwegsamen Dschungellandschaften und hohen Gebirgen, die durch die Wolkendecke schnitten. Sie schwärmte von einem See der so glasklar war, dass man seinen Grund ausmachen konnte, obwohl er doch dutzende Meter tief war. Und von dem Ritt auf Dragoons Rücken… „Es fühlt sich an als würde sich dein Körper auflösen und mit dem Wind davongetragen werden. Aber es schmerzt keinesfalls! Vielmehr empfindest du nur noch mit dem Geist, denn dein Leib ist zu einem Teil der Luft geworden. Man sieht Landschaften in Sekundenschnelle an sich vorbeiziehen und doch nimmt man so viele Eindrücke auf, denn die kleinen Partikel in die sich dein Körper verwandelt, berühren jeden Grashalm, sobald du über eine Wiese wehst. Ich fühlte mich schwach und stark zugleich. Das muss Freiheit sein…“ Nun war es Dranzer doch gelungen ihn zu verblüffen. Er hatte angenommen dass sie den Ritt relativ unspektakulär fand, doch letztendlich ließ sie erkennen, wie sehr ihr die Reise doch Freude bereitet hatte. In jenem Moment wurde ihm klar, dass seine künftige Gefährtin ihn wohl gerne im Ungewissen ließ. Wahrscheinlich weil sie ihm vorgeworfen hatte, dass er schrecklich arrogant sein konnte. Zunächst hatte er wenigstens ihre Gedanken ab und an noch erhascht, doch sie war auch dahinter irgendwann gekommen und passte von da an genau auf, wann sie in seiner Gegenwart ausatmete. Freilich entsprach seine Arroganz der Wahrheit, doch weshalb sollte er auch nicht? Welches Wesen konnte von sich behaupten die totale Freiheit zu erleben. Sicherlich war dies auch Dranzer nicht entgangen, doch sie neckte ihn, indem sie ihm ihre Bewunderung vorenthielt – sein tückisches kleines Mädchen. Seine Augen hatten voller Vorfreude geblitzt, denn er stellte sich dieses Spiel als recht anregend vor. Daran würde er Gefallen finden… Umso weniger Gefallen fand er an Wolborgs Reaktion, als sie erfuhr, dass Dragoon ihrer Schwester einen Schwur abgerungen hatte. Da war es aus mit der heiteren Stimmung. Sie begann das Küken zu tadeln, schimpfte es leichtgläubig und als sie ihr gestand, wie enttäuscht sie von Dranzer war, begann sein Liebes zu schluchzen und vergrub sich beschämt in Drigers Fell. Es riss ihm das Herz entzwei… Und es animierte Dragoon dazu einzuschreiten. Bald fanden sich die beiden Bit Beasts in einer heftigen Debatte. Wolborg warf ihm vor mit Heimtücke an Dranzers Schwur gekommen zu sein. Sie empfand sein Verhalten als unwürdig eines Uralten. Er sei leichtsinnig und ein schlechtes Vorbild für ihre Schwester und das der Drache ihr gesamtes Bemühen, Dranzer zu einer ehrwürdigen Respektperson zu erziehen, mit seinen Possen im Keim erstickte. Dagegen wandte Dragoon ein, dass Dranzer ihm ihr Versprechen freiwillig erteilt hatte und er Wolborgs gluckende Art leid war. Es gehöre ebenso zu ihren künftigen Pflichten Entscheidungen zu fällen, die sie nicht jederzeit mit ihrer Schwester absprechen könne. Zu seiner Überraschung lächelte Wolborg nur kalt über diesen Satz und antwortete: „Du vergisst dass wir beide Feuer Bit Beasts sind. Das Schicksal hat uns auserkoren auf ewig gemeinsam über Licht, Flammen und Glut zu herrschen. Ich bin Dranzers ältere Schwester und damit das Familienoberhaupt. Als ihre Feuerverwandte wird sie immer zuerst meinen Rat suchen. Was uns verbindet, wirst selbst du, als ihr künftiger Partner, niemals erreichen.“ Damit hatte sich Wolborg erhoben. Ihr Blick war kalt. Ihre Stimme ungerührt. „Wie bedauerlich… Da hattest du so viel Mühe eine zweite Hälfte zu finden und musst selbst diese jetzt teilen. Nagt das nicht an dir?“ Und als sie ein jaulendes Kommando in Richtung ihrer Schwester tat, schreckte das Küken auf, spreizte die Flügel und eilte ohne Widerworte der davon sprintenden Wölfin hinterher. Dranzer entschwand seiner Sicht. Ihr süßer Duft verflog im Wind und nichts außer dem Klang ihrer Stimme blieb zurück, die zu seinem Verdruss nur eines zu sagen hatte: „Bitte warte auf mich Schwesterherz!“ Dieser Augenblick war eine herbe Niederlage für ihn gewesen, an welche sich Dragoon nur zähneknirschend erinnerte. Er wusste dass die Worte der Wölfin einer Kriegserklärung gleichkamen – und dass sie der Wahrheit entsprachen. Wolborg hielt das Phönixkind genauso für ihr Eigentum wie er. Nur hatte sie als ihre Feuerverwandte bereits seit deren Geburt ein Anrecht auf ihren Gehorsam, während er es sich nun erkämpfen musste. Nicht das ihn die Herausforderung nicht reizte, doch bemerkte er schnell, wie anhänglich das Küken ihrer Schwester gegenüber war. Sie war einfach noch zu jung. Wann immer der Drache sie von der Wölfin fortführte, war die Zweisamkeit nur von kurzer Dauer. Er konnte necken, sticheln und Dranzer mit noch so verheißungsvollen Abenteuern locken – Wolborg ließ schnell erkennen wer die eigentliche Macht über ihre Schwester besaß. Sobald sie pfiff, rannte das Küken. Und das versteckte sie gekonnt hinter einer sanftmütigen Fassade. Wann immer Dranzer ihr gehorchte, lobte sie die Wölfin mit süßlichen Worten und er sah die pure Freude in den Augen seiner künftigen Gefährtin. Sie schmiegte sich dann an das Fell ihrer Schwester, beteuerte ihr, dass sie das Liebste auf der Welt für sie war und ihr Federkleid begann zu glühen – denn auch ein Phönix konnte rot werden. Dragoon ärgerte sich über ihre Dummheit, denn sie merkte nicht einmal, dass sie von Wolborg mit allen Regeln der Kunst manipuliert wurde. Die Wölfin machte ihre Schwester zu einer Schachfigur, mit dem Ziel, ihn bei jeder Gelegenheit zu verärgern, denn sie wusste, er wollte nicht Dranzers Gunst verlieren und dass sein Phönix stets Wolborgs Partei ergriff. Bald wurde Dragoon klar, dass er drohte gegen dieses Band nicht anzukommen. Seine Befürchtung teilte er in einem stillen Moment Driger mit. Der hatte nur den Kopf geschüttelt und ihm nahe gelegt, sich mit der Situation zu arrangieren. Er wollte aber mehr! „Ihr seid nur Gefährten, die beiden aber Geschwister. Was gibt es da mehr zu wollen?“ Das war auch Dragoon ein Rätsel geblieben. Er wusste nicht wonach sein Herz sehnte, doch das es trauerte, wann immer sein Täubchen die Gegenwart ihrer Schwester ihm vorzog. Nur in einem konnte Wolborg sie ihm nicht abspenstig machen – in der Ausübung ihrer Pflichten als Uralte. Denn wann immer Dragoon die Unterstützung eines Feuer Bit Beasts brauchte, um beispielsweise eine neue Spezies auf der Erde zu kreieren, überging er rigoros die Erfahrenere der beiden und wandte sich nur noch an Dranzer, denn dafür war sie als seine Gefährtin nun mal da. Zusammen flößten sie den ersten Wesen Leben ein. Sie sorgte für ein warmes schlagendes Herz und er hauchte den ersten Atemzug in die Körper, damit Dranzers Flamme nicht sofort wieder erlosch. Mehr brauchte es nicht um eine neue Art zu erstellen, denn die Natur nahm dann schon von alleine ihren Lauf. Umso erstaunter waren sie, als das Ergebnis eine Rasse war, die in ihrer Statur und Kraft stark an Dragoon ähnelte. Selbst die schuppige Reptilienhaut war da… Manch einer von ihnen besaß große Reißzähne, die überwiegend Fleisch als Nahrung bevorzugten. Für diejenigen die jedoch trotzdem Pflanzenfresser wurden, hatten Draciel und Driger ein blühendes tropisches Paradies wachsen lassen. Das mussten sie auch, denn diese Wesen hatten einen gewaltigen Appetit, der sie alle in Atem hielt. Sie hätten wohl noch heute existiert, wäre nicht irgendwann jener Kampf zwischen den Bit Beasts entbrannt, der das Ende für diese Geschöpfe einläutete – und entschied wer von den Uralten fortan als Herr der Geister gelten sollte. Es war zu jener Zeit viel böses Blut unter ihnen gewesen, vor allem zwischen Wolborg und ihm. Er hatte so viele Jahrtausende dabei zugeschaut, wie Dranzer die Wölfin ihm vorzog, dass er irgendwann die Fronten klären musste. Sie hatte versprochen ihm alleine zu gehören. Alleine! Das beinhaltete seines Wissens nach nicht Wolborg. Stattdessen brach Dranzer ihren Schwur und dachte sich noch nicht einmal etwas dabei. Er konnte und wollte sie nicht länger mit ihrer vermaledeiten Wolfsschwester teilen. Der Zorn darüber war in seinem Leib herangereift und fraß ihn von innen heraus, wie ein bösartiges Geschwür auf. Also hatte er die anderen Uralten angestachelt, untereinander herauszufinden, wer der Stärkste von ihnen war. Er war schon immer ein gekonnter Redner gewesen und da keiner von ihnen mit einem geringen Maß an Eitelkeit gesegnet war, sprangen sie sofort darauf an – selbst als er ihnen vorschlug, dass der Sieger, als ihr Herrscher gelten und fortan sämtliche Befehlsgewalt besitzen sollte. Sie hatten nicht widerstehen können… Diese Aussicht darauf ließ damals ihr Blut so stark wallen, dass er es förmlich hören konnte. Aber so waren Bit Beasts nun einmal – Kämpfernaturen. Dragoon war sich bewusst, dass es nicht einfach werden würde und dass er alles auf eine Karte setzte. Genauso gut hätte er verlieren können. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, sich bis zur Spitze zu kämpfen. Die Natur litt unter den Streitigkeiten der Uralten enorm. Es war so schlimm, dass die Geschöpfe auf der Erde ein Massensterben aufwiesen. Doch den wetteifernden Geistern war es gleich, denn es lag im Wesen eines Bit Beasts, ihre Artgenossen zu unterwerfen. Als sich nur noch die beiden Feuerschwestern und Dragoon gegenüberstanden, wurde der Kampf so gewaltig, dass die Wesen auf der Erde von ihrem Antlitz radiert wurden. Doch Dragoon hatte es vollbracht. Seine reptilienartigen Abbilder hatte er opfern müssen, doch dafür war er als Sieger aus dem finalen Kampf hervorgetreten… Und seine erste Amtshandlung war, die störende Wölfin in die Eiswüste der Irrlichterwelt zu verbannen. Noch heute konnte er Dranzers ersticktes Aufkeuchen hören als sie das Urteil vernahm. Ihre Welt brach mit einem Mal zusammen und sie fiepte flehend um Erbarmen für ihre Schwester. Fast wäre sein Herz erweicht. Dranzers glühende Augen waren in Tränen geschwommen, in einem merkwürdigen Spiel aus Wasser und Feuer. Sie formten sich zu funkelnden Perlen, glitten an ihrem Gefieder herab. Doch Dragoon ahnte, wenn er Wolborg jetzt nicht verbannte, würde seine Gefährtin sich niemals von ihrem Einfluss befreien und ihm alleine gehören. Als Dranzer unwissend fragte, weshalb er einen solchen Groll gegen ihre Schwester hegte, wurde er in diesem Verdacht nur bestätigt. Weder Driger und Draciel griffen ein, als er Wolborg packte und durch die Luft in den kältesten Teil der Irrlichterwelt verfrachtete. Beide waren noch zu geschwächt von ihren Kämpfen und hatten geschworen, sämtliche Entscheidungen ihres Herren zu akzeptieren. Sie waren an diesen Versprechen gebunden. Dranzer dagegen verweigerte den Gehorsam, nahm das bisschen Kraft das sie noch besaß, um den beiden davonfliegenden Bit Beast zu folgen. Er konnte sich noch genau an das Bild erinnern, was der verletzte Phönix abgegeben hatte, als er während seinem Flug einen Blick über seine Schulter warf. Obwohl sie sichtlich erschöpft war, gab sie nicht nach, rief Wolborgs Namen und wollte auch dann nicht ablassen, als sich der Abstand zwischen ihnen immer weiter aufbaute. Ihre Tränen fielen auf die verkohlte Erde. Ihre Rufe hallten als Klagelied im Sturm. Ihre Flügel flatterten verzweifelt um den Anschluss nicht zu verlieren. Desto weiter sie sich entfernten, desto mehr schien sie innerlich zu sterben. Er wusste noch dass es ihn gewundert hatte, woher sie noch all die Kraft hernahm. „Bitte nimm sie mir nicht weg! Oh bitte nimm sie mir nicht weg!“ Die Rufe schallten von immer ferner, bis er Dranzer weit hinter sich gelassen hatte. Und als er in der Eiswelt ankam, wurde Dragoon bewusst, dass er sämtliche Brücken für eine Wiederkehr Wolborgs einreißen musste, um sein Täubchen vor ihrem Einfluss zu befreien. Doch es hatte nichts genutzt… Selbst als er der Wölfin Augen und Herz nahm, ihr Körper zu jenem eines Eis Bit Beasts gefror und Dranzer damit nicht mehr in ihre Nähe kommen konnte, ohne sie zu zerschmelzen, hatte seine Gefährtin niemals aufgehört, an ihre Schwester zu denken. Es waren Millionen von Jahre ins Land gezogen, doch seinen vermeintlichen Verrat konnte sie ihm nicht verzeihen. Irgendwann hatte er ihr schlichtweg verboten, dass Thema noch einmal in seiner Gegenwart anzusprechen. Dafür strafte sie ihn mit einer Verachtung die seinesgleichen suchte. Als sie sich erneut an eine Spezies heranwagten, war Dranzer geradezu lieblos bei der Sache gewesen. Dragoon versuchte sie zu ärgern, mit neckenden Bemerkungen und freundschaftlichem Spott, doch sie war eine melancholische Gestalt geworden. Ihm schien damals, als sei sie noch unerreichbarer als zuvor. Er hätte gerne wieder eine Schöpfung nach seinem Abbild erschaffen, doch ließ er ihr bewusst die Oberhand, um sie aus der Reserve zu locken. „Was hältst du davon, wenn wir noch etwas mehr Glut in das Herz geben?“ Dranzer hatte mit den Achseln gezuckt. „Etwas Sturm? Für eine starke Seele? „Was immer dir beliebt…“ Es klang gar nicht als wolle sie ihm damit eine Freude bereiten. Er wünschte sich sein feuriges Kleinod zurück. Seine Verzweiflung ließ er sich aber nicht anmerken, versteckte sie lieber hinter einer Maske aus Hohn, ob ihres kindischen Verhaltens. Dennoch… Zum Zeitpunkt ihres absoluten Tiefpunktes, kreierte sie ein Geschöpf, das in dieser Form noch nicht da gewesen war. Dranzer flößte ihm nämlich nicht nur Energie ein, sondern in einem unbeobachteten Moment auch Gefühle. Scheinbar hatte sein Phönix den Wunsch verspürt etwas zu erschaffen, das genauso in der Lage war tiefen Schmerz zu empfinden, wie sie selbst. Es entstand der erste Mensch… Eine Lebensform welche die Erde in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Dragoon war begeistert gewesen! Diese unscheinbaren Kreaturen lernten rasch, entwickelten sich rapide weiter und versetzten ganze Landstriche mit ihren Streitereien in Schutt und Asche und dennoch waren sie auch zu tiefbewegenden Handlungen imstande. Es war ein stürmisches hin und her. Ganz nach seinem Geschmack und er hatte Dranzer sogar für ihre Eingebung gelobt - doch der war es gleich. Sie erkannte gar nicht, was sie da geleistet hatte. Er hätte sie am liebsten geschüttelt um sie endlich aufzuwecken. Bei einem gemeinsamen Ausflug in die Menschenwelt hatte er das Thema einmal sogar angesprochen. „Sieh doch! Wir haben etwas Erstaunliches vollbracht! Glaubst du, du wärst dazu in der Lage gewesen, wenn du nicht endlich aus Wolborgs Schatten getreten wärst?“ „Ich war glücklich wo ich war…“ „Du bist ein einfältiges Stück!“, hatte er nur gegrollt. „Dein Körper mag nun der eines erwachsenen Phönix sein, aber dein Geist ist dümmer als je zuvor!“ „Und du bist wie dieser Mann dort, der sich als Meister aller Dinge aufspielt!“, ihr kalter Blick verweilte auf einer Gestalt, die in der Menschenwelt schon lange für ihre Grausamkeit bekannt war. Sein blinder Zorn war dort gefürchtet und er besaß keine Scheu lästernde Zungen mundtot zu machen. Sein Körper war in eine Toga gehüllt, das Haupt schmückte ein Lorbeerkranz. Auf einer Sänfte ließ er sich durch die Menge tragen, die ihn dennoch bejubelte und mit Blüten bewarf. Er winkte gleichgültig seinen Untergebenen zu, während sein Namen aus der Menge echote: „Calligula!“ Die Menschen vor ihm warfen sich in den Staub seines Antlitzes und Dragoon verstand nicht, weshalb das etwas Schlechtes sein mochte. „Jetzt bejubeln sie ihn, doch sobald er ihnen den Rücken zuwendet, kennen sie nur ein Wort für ihn - Tyrann.“ „Dann hat er wohl alles richtig gemacht, denn obwohl sie ihn verachten, liegen sie ihm zu Füßen.“ „Und dafür blickt er jeden Tag in verlogene Gesichter. Wie lobenswert…“ „Dann sollten die Würmer in seinem Schatten umso mehr Acht geben, dass er davon nicht Wind bekommt.“, hatte er die Anspielung abgetan. „Wer weiß wie lange sie sonst leben?“ „Als wäre ein Leben unter einem Tyrann lebenswert.“ Sie hatte schnippisch den Kopf abgewandt und für diese Frechheit biss er ihr herzhaft in den damit offengelegten Hals. Es befriedigte ihn ungemein. Sie dagegen war gar nicht erfreut gewesen. Mit den Jahren wurde es aber zu ihrem alltäglichen Spiel, denn obwohl sie nicht gerne von ihm Gewalt erfuhr, ließ sie von den spitzzüngigen Kommentaren auch nicht ab. Dragoon kam irgendwann zu der Erkenntnis, dass sie es wohl nicht anders haben wollte, sonst hätte sie endlich mit den Sticheleien aufgehört. Da half es auch nicht das Driger ihn um etwas mehr Behutsamkeit bat. Offensichtlich hatte sich seine Gefährtin bei ihm beklagt, weil er ihr einmal so den Flügel brach. Er hatte Driger nur süffisant geantwortet, dass Dranzer damit rechnen musste, wenn sie einen Drachen herausforderte, immerhin sei sein starkes Gebiss nicht nur zur Zierde da. Er wusste ohnehin nicht, weshalb sie sich so brüskierte, immerhin heilten Bit Beast viel schneller als die Lebewesen in der Menschenwelt. Dennoch wurde das Wort Tyrann zum Dauergast in den Hallen des Wurzelwerks, denn Dranzer warf es ihm immer häufiger vor. Zunächst tat er es nur ab. Sie war einfach ein nachtragendes Stück und als wirkliche Beschimpfung sah er es zur damaligen Zeit auch nicht an… Bis die Unterklasse Bit Beasts dieses Wort auch verwendeten. Es kam ihm merkwürdig vor, dass sie es in einem ebenso abfälligen Ton aussprachen, wie seine Gefährtin. Und langsam begriff er, dass es wohl tatsächlich nichts Positives war. Doch konnte er es sich durchaus leisten, einige von ihnen für diese Beleidigung zu töten. Dennoch blieb dieser Ruf hartnäckig an ihm kleben. Er hatte sich nach dem Vorfall mit den Makrelen Bit Beasts fast schon damit abgefunden, da kam nun Takao und brandmarkte ihn ebenfalls als Tyrann! Sein Menschenkind… Er hatte ihn nicht mehr mit der kindlichen Bewunderung von früher angesehen. In seinem Blick war auch kein Hass gewesen – damit hätte er umgehen können - vielmehr aber eine abgrundtiefe Enttäuschung, die Dragoon bis ins Mark traf. Es erinnerte ihn mehr denn je an Dranzer. Als sein Küken erwachsen wurde war ihre Bewunderung für ihn zunichte. Takao war ein Mann geworden und empfand ebenfalls keine Ehrfurcht mehr vor ihm. „Jetzt sehe ich hinter diese Fassade und mit jeder Stunde die ich hier bin, gehen meine Kinderträume weiter zu Bruch.“ Der Satz schallte in seinem Kopf, als stünde der Junge noch vor ihm. Dragoon stemmte sich aus dem Thron heraus und begann nachdenklich in der Finsternis des Wurzelwerks umher zu laufen. Takaos Kinderträume waren zu Bruch gegangen? Seinetwegen? Aber genau das hatte er doch vermeiden wollen! Es war seine Absicht gewesen ihn wieder zu seinem jugendlichen Selbst zurückzuführen, nicht zu einem dieser verbitterten Erwachsenen, die durch die gesichtslosen Menschmassen schlängelten. Scheinbar nutzte es nichts, seinen Körper zu schrumpfen und er brauchte Dranzer um seine Erinnerungen an sein altes Leben zu zerstören. „Ich sehe keinen vertrauenswürdigen Beschützer mehr. Kein heldenhaftes Wesen, das für die Gerechtigkeit kämpft.“ Dragoons Menschenhände formten sich zu Fäusten. Es war sein Glück, dass der tote Körper nichts empfand, denn die Nägel gruben sich tief ins Fleisch, bis sie kleine Furchen auf der blassen Haut hinterließen. Er begriff nicht weshalb Takao das offensichtliche nicht sah. Genau das was er dachte, Dragoon sei es nicht mehr, war er doch all die Jahre gewesen. Er hatte ihn geschützt. Er hatte für ihn gekämpft. Er hatte alles für den Jungen gegeben. Derselbe Wunsch nach Macht war ihr Ansporn gewesen. Takao wollte Weltmeister sein, er seine Stärke unter Beweis stellen. „Da steht nur ein selbstgefälliger Tyrann.“ Die Haut unter seinen Fingernägeln riss. Dragoon scherte es nicht. Ihm wurde klar wie ähnlich sich Takao und Dranzer im Grunde waren. Sie hatten sich beide in jenem Moment von ihm abgewandt, als er Härte zeigen musste, um sie auf den rechten Pfad zu führen. Manchmal musste ein Uralter unnachgiebig sein. Das hatte nichts mit Boshaftigkeit oder Tyrannei zu tun, es war der Lauf der Dinge. War ein Raubtier boshaft nur weil es seine Beute riss? Nein! Es brauchte Fleisch um sich und seinen Nachwuchs am Leben zu erhalten. Die Natur war nun einmal so. Sie Unterschied nicht in Gut und Böse. Man tat was man tun musste, um seine Position zu bekräftigen und wenn es mit Gewalt war. „Wie willst du das beurteilen? Du hast doch keine Ahnung was einen Menschen bewegt, noch nicht einmal was ein Leben wert ist!“ Dieser Satz brachte ihn so in Rage, dass er mit einem gellenden Zornschrei gegen den Wurzelstamm schlug. Die Knochen in der Hand brachen. Er spürte wie die Splitter sich lösten und unter der Haut auf Wanderschaft gingen. Einen Menschen hätte der Schmerz gelähmt. Doch das beunruhigte Dragoon weniger… Vielmehr riss er entsetzt die Faust fort, als er feststellte, welche Wunde er im Weltenbaum hinterlassen hatte. Ein klaffendes Loch schaute zurück. Selbst die Schuppen unter seinem Menschkörper erbleichten bei diesem Anblick. Die Schlitze seiner Pupillen wurden klein ob des Schreckens der ihn durchfuhr. Er legte seine Hand bedacht auf die Rinde und spürte den Puls des Baumes laut hämmern. Seine Verästelungen glühten im Takt auf, wie Nervenstränge welche Schmerzimpulse durch einen Körper schossen. Es kam nicht oft vor, dass Dragoon eine Tat bereute, um genau zu sein ging er dieser Empfindungen rigoros aus dem Weg, indem er seine Gedanken einfach in andere Bahnen lenkte. Doch dieses Geschöpf war ein Heiligtum! Yggdrasil war der Ursprung allen Lebens – auch seines. Er fühlte sich als habe er seine Mutter geprügelt. Seine Finger zitterten als das zerstörte Holz zum Rand der klaffenden Wunde bröckelte. Er legte die Handfläche auf den freigelegten Stamm und hoffte inständig dem geschundenen Baum möge keine Narbe zurückbleiben. Das wäre schrecklich. Es könnte schlimme Naturkatastrophen in beiden Welten mit sich ziehen. „Verzeih mir.“, sprach er die Bitte im Zwielicht leise aus. Noch nie hatte Dragoon sich entschuldigt. Es war eine gänzlich eigenartige Erfahrung gewesen und doch kam der Wunsch aus dem tiefsten Inneren seiner Seele. Das hier… Das war wirklich Boshaft gewesen. Betroffen schaute er auf die Wunde. In seinem blinden Zorn hatte er den Baum verletzt. Gerade er hätte doch wissen müssen, dass jede Wunde an Yggdrasil fatale Konsequenzen für beide Welten mit sich zog. Er biss sich auf die Unterlippe. Sicherlich bahnte sich da oben in den Welten gerade ein Tsunami, Tornado, Erdbeben oder vielleicht alles zusammen an. Während Dragoons Finger beruhigend über die entblößte Stelle strichen, schweiften seine Gedanken weiter und er fand seltsame Parallelen zu zwei weiteren Wesen, denen er einst einmal etwas bedeutet hatte. „Jede Tat hinterlässt ihre Spuren…“ Doch weiter kam er nicht, denn die vage Eingebung wurde zerstreut, als Dragoon sich umdrehte und Draciels Gestalt im Dunkeln vernahm. Sie war reglos, wie eine marmorne Skulptur, deren Augen ihn voller Anklage anfunkelten. „Das war nicht meine Absicht.“, räumte er sofort ein. Das Bit Beast blieb wo es war. Genau wie der vorwurfsvolle Blick. Dragoon fletschte die Zähne als der Zorn hochkochte. „Scher dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten!“, sie machte keine Anstalten zu gehen, daher fragte er. „Wo ist das Ei?“ Obwohl sie nichts entgegnete hörte er die Antwort. „Du machst mir Vorwürfe und bringst es nicht einmal zustande ein verdammtes Phönixei zurückzubringen?! Brütet sie sich bereits aus?“ Ihr Nicken kam langsam. „Na herrlich!“, brach es genervt aus ihm heraus. Wenn Dranzer das tat, hatte sie vielleicht schon begonnen, den Lebewesen in der Menschenwelt die Energie zu enteignen. Momentan dürfte sie noch ungefährlich sein, zudem brauchte sie einen Zwischenwirt, um außerhalb der Irrlichterwelt zu schlüpfen, aber ein Geist von ihrem Ausmaß verlangte nach Kraft. Nach sehr viel Kraft! Ein Bit Beast war nicht dafür gemacht um in der Menschenwelt geboren zu werden. Dranzer brauchte die Energie aus der Irrlichterwelt. Da der einunddreißigste Oktober aber bald vorbei war würde auch diese Energiequelle bald versiegen. Dann würde sie in der Menschenwelt auf dem Trockenen liegen. Dragoon kratzte sich nachdenklich den Hals. Es gab keinen Zweifel, sie würde sich die Kraft zusammenklauen. Ein einzelner Wirt reichte dann aber nicht. Wenn sie nicht in der Geisterwelt schlüpfte, würde sie die Straßen der Menschen so lange mit Toten pflastern bis sie genug Energie dafür besaß, aber selbst dann wäre das nur ein temporärer Zustand. Sie müsste sich permanent mit neuer Kraft eindecken. Zudem war das was von den Wirten zurückblieb… gewöhnungsbedürft. Dieser Vorgang glich eigentlich fast denen der Wespen, die ihre Eier in den Körper einer wehrlosen Raupe pflanzten. Der Wirt wurde dann von Innen heraus aufgezehrt, während sein Wille immer weiter erlahmte. Es ging soweit dass die Raupe sogar einen Kokon für die Parasiten in ihrem Laib spann und die brütenden Wespen mit dem Leben verteidigte. Dranzers Wirt würde auch alles tun um das Ei zu schützen. Selbst wenn seine Kraft aufgebraucht war und sie eine neue Unterkunft brauchte. Von dem Wirt selbst blieb dann auch nichts Schönes übrig. Er wäre körperlich intakt, aber innerlich verwelkt. Schlimmstenfalls könnten die Überbleibsel der Wirte versuchen, die verlorene Energie an anderer Stelle zu rauben. Je nachdem wie viele Tote Dranzer zurückließ, könnte sich das Ganze zu einer bösartigen Epidemie entwickeln, wenn nicht sogar zu einer Pandemie. Dagegen wäre das Leben auf der Welt nicht gewappnet. Gedankenversunken legte Dragoon einen Finger an sein Kinn. Er musste Dranzer finden. Sicherlich wollte sie Kais Schwester suchen, um sich an dem Mädchen zu rächen. Wenn er erspüren könnte, wo das Kind war, hätte er seiner Gefährtin dort auflauern können. Doch zu seiner Verwunderung waren alle näheren Angehörigen der Gruppe von seinem Radar verschwunden. Selbst mit den Verästelungen des Weltenbaumes ließen sie sich nicht aufspüren. Er kannte jemanden, der tatsächlich diese Fähigkeit besaß. Eine leichte Ahnung wer seine Finger dabei im Spiel hatte, keimte in ihm auf… „Ich muss wieder an die Oberfläche.“, entschied er und deutete auf Draciel. „Du bleibst hier und überwachst die Menschenwelt. Such mit den Wurzeln nach den Angehörigen der Gruppe und halt Ausschau nach dem Ei.“ Es kam keine Antwort. Er hatte auch keine erwartet, sondern schritt eilends an dem Bit Beast vorbei. Das blieb lange reglos stehen. Selbst als die schweren Schritte ihres Herren schon nicht mehr zu hören waren und die Finsternis Draciels einziger Gefährte wurde. Die Augen des Bit Beasts hafteten an der Wunde im Wurzelwerk. Noch immer pumpten die Nervenstränge. Die feinen Äderchen glommen im Takt. Es schien wie eine pochende Wunde die anschwoll. Erst schleichend kam Draciels sterblicher Körper in Bewegung. Ihre Finger legten sich auf jenen Teil des Stammes, der durch Dragoons fatalen Hieb zerfetzt worden war. Die Schmerzen des Baumes waren greifbar. „Arme… Mutter.“ Die Worte waren nur ein Hauch. Das Bit Beast lehnte das Gesicht an den Stamm und eine einsame Träne fand ihren Weg an dessen Wange entlang. Ein weiterer stockender Satz entwich ihrem Mund. Das Wispern hörte nur die Finsternis und der Weltenbaum. „Mutter… leidet.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)