Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 28: ------------ Seine Umgebung zog an ihm vorbei wie in einem Tunnelblick. Bäume rauschten. Geäst und Blätter, überall nur Dunkelheit. Er beachtete die Zweige kaum noch die ihm an der Wange entlangschabten. Stattdessen rannte er ohne Rücksicht durch den Urwald. Sein Fuß traf auf ein Farngebüsch. Es stoben blaue Blitze daraus hervor, als einige Bit Beasts sich vor seinen eiligen Schritten in Sicherheit brachten. Blanke Panik ließ seine Beine wie unter Strom laufen. Rays Kopf war noch nicht im Stande die vergangen Minuten richtig zu verarbeiten. Er sah Mariah vor sich. Er hatte sie versucht zu erwürgen. Dann waren da aber die Schreie von Tyson und Max dazu gestoßen. Es hatte alles nicht zusammen gepasst, doch diese furchtbare Stimme in seinem Kopf, drängte ihn seine Frau weiter zu strangulieren. Plötzlich stürzte Ray. Es war ohnehin ein Wunder, dass er so weit gekommen war ohne zu straucheln. Mit einem Schmerzensschrei fiel er in eine Kuhle, wo er sich den Fuß umknickte. Es tat weh… Doch es war der Weckruf der ihn endlich aus seinem Schock riss. Einen Moment blieb Ray schweratmend liegen wo er war. Das letzte Bild schoss ihm durch den Kopf, kurz bevor Allegros Blitz ihn wachgerüttelt hatte. Der Nebel der seinen Verstand umschlungen hielt, hatte einen kleinen Einblick hinter die Fassade erlaubt, die ihn so in Rage versetzte. Da war nicht mehr Mao gestanden, sondern Max. Er hatte sich den Hals gehalten und schwer gekeucht, doch seine Hand konnte nicht die Würgemale verbergen, die Ray ihm zugefügt hatte. In seinen Augen war Furcht gewesen. Furcht vor ihm! Ray setzte sich langsam auf. Sein Knöchel schmerzte. Er hielt sich den Fuß und warf den Kopf in den Nacken. Seine Freunde hatten Angst vor ihm gehabt… Tyson, Max und Kai. Allegro hatte ihn taktiert wie einen ausgebrochenen Schwerverbrecher. Ray starrte auf seine Hände. Jene die vor wenigen Minuten Max den Hals umdrehen wollten. Sie zitterten. Ihm wurde mit jeder Minute die Tragweite seiner Tat bewusst. Das Frösteln griff auf seinen restlichen Körper über. Er wischte sich den kalten Schweiß vom Gesicht. Als er über seinen Mund fuhr, blieb Blut zwischen seinen Fingern kleben. Er tastete die Stelle ab und bemerkte dass er Nasenbluten hatte. „Was passiert mit mir?“ Ray war keineswegs nah am Wasser gebaut. Er wusste sich stets zusammenzureißen. Doch jetzt klang seine Stimme erstickt und tatsächlich spürte er wie sich die Tränen ihren Weg bahnten. Eine tiefe Schuld brach über ihn ein. Er wollte den Menschen die er liebte nicht schaden. Warum tat er es dann?! Seine Freunde gehörten ebenso zu seiner Familie, wie die Frau welche er in seinem Wahn hatte erdrosseln wollen. Er griff sich ins tiefschwarze Haar und versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken… Da erstarrte seine Bewegung. Etwas fühlte sich verkehrt an. Ray begann seine Kopfhaut zu durchsuchen. Seine Fingerkuppen erspürten eine beachtliche Beule. Hatte er sich gestoßen? Er konnte sich nicht erinnern wann das gewesen sein sollte. Ein Keuchen drang aus seinem Mund als die Wölbung sich unter der Haut regte. Seine Kehle wurde trocken. Vorsichtig glitten seine Finger durch sein Haar. Da durchfuhr ihn ein grausamer Schmerz, schlimmer als alles was ihm je zugefügt worden war. Als habe ihm jemand einen Eispickel in den Schädel gerammt. Es schnürte ihm den Hals zu und lähmte seine Gedanken. Die Sicht verschwamm ihm… „Quält dich etwas?“ Rays Kopf kippte gequält zur Seite. Er brauchte lange um den Ursprung in der Finsternis auszumachen. Eine hünenhafte Gestalt bedachte ihn mit verschränkten Armen. In der Kuhle war es ohnehin dunkel, doch die Statur des Neuankömmlings verdeckte das bisschen Mondlicht was noch einfiel. Dafür war das schiefe Grinsen mit dem spitzen Schneidezahn am Mundwinkel kaum zu übersehen… „Driger?“ „Du siehst so abgekämpft aus. Was mag dir wohl aufs Gemüt schlagen?“ Die pure Schadenfreude in seiner Stimme ließ Ray begreifen dass er durchaus im Bilde war. „Was hast du getan?“, fragte er geradeheraus. Die Ader an seiner Schläfe pochte hart gegen die Seite. Driger beugte sich herab und begutachtete ihn. „Was glaubst du habe ich getan?“ Ray schmeckte Blut auf seinen Lippen. Er fuhr sich mit fahrigen Fingern über den Mund. Etwas stimmte nicht mit ihm. Sein Körper versagte ihm immer mehr. Er war erschöpft und besaß keine Kraft mehr im Leib um noch weiter auf dieses Machtspielchen einzugehen. „Warum tust du mir das an?“, wollte er schaudernd wissen. „Ich dachte wir wären Freunde!“ Driger schnalzte bedauernd. „Freunde… Ja, das ist so eine Sache. Ich habe die letzten Jahre viel getan. Vor allem für dich.“ Seine Miene blickte gleichgültig auf ihn herab. „Weißt du Ray, ich hatte wirklich mehr von dir erwartet. Ich nahm an du wärst so scharfsinnig ein Bit Beast zu verstehen. Unsere Natur und unser Wesen. Ich hielt dich für eines jener seltenen sterblichen Geschöpfe die hinter die Fassade blicken können. Doch einiges scheint dir selbst nach so vielen Jahren noch nicht ganz klar. Daher lass mich dir einige Weisheiten über uns auf den Weg geben.“ Driger wischte ihm väterlich das Blut vom Kinn. Seine Finger waren eiskalt und rau. Widerwillig ließ Ray es über sich ergehen. „Da wäre zum Einen das gerade die Oberklassen sehr kämpferisch veranlagt sind. Die Turniere an denen wir teilnahmen, kamen daher nicht nur dir zugute. Es ist ein ständiges Kräftemessen was bei uns stattfindet. Mit den Weltmeisterschaften haben wir Bit Beast es nur vollbracht, unsere Energie in eine andere Richtung zu kanalisieren. Das war recht nett. Doch eines hätte dir klar sein müssen…“ Driger hob mahnend den Zeigefinger. „Nichts im Leben ist umsonst. Das war dein erster entscheidender Fehler. Dachtest du wirklich unser Bündnis wäre eine Einbahnstraße?“ „Wir haben nie darüber gesprochen...“ „Unwissenheit ist keine Ausrede.“ „Ich habe auch für dich gekämpft! Weißt du nicht mehr als die Saint Shields mir dich weggenommen hatten? Ich habe alles dafür getan, damit ich dich zurückbekomme. Zählt das überhaupt nichts?“ „Nun das mag sein. Doch wir sind uns wohl inzwischen beide einig, dass dieser Verlust für dich schlimmer gewesen wäre als für mich. Denkst du in einen Felsen gesperrt zu werden, hätte irgendeine Auswirkung für mich, in der Ausübung meiner Pflichten gehabt? Vor dir steht ein Uralter. Ich war vielleicht von meinem Gefäß weggesperrt, doch in die Irrlichterwelt konnte ich deshalb dennoch reisen. Du dagegen wärst ohne mich in den Arenen dieser Welt zu Grunde gegangen.“ „Daran habe ich auch nie gezweifelt…“ „So?“ „Denkst du ich wusste nicht dass du einen Teil zu meinem Ruhm beigetragen hast?“ „Und dennoch hast du mich nach ein paar lumpigen Menschenjahren aus deinem Dasein verbannt!“, konterte er. Ray warf stöhnend den Kopf in den Nacken. „Driger bitte begreif doch endlich… Wir Menschen werden erwachsen.“ „Das ist ebenfalls keine Ausrede.“ „Doch ist es! Wir leben keine Millionen von Jahren wie ihr Geister. Ich bin einfach älter geworden! Ich hatte mich in Mao verliebt und eine Ausbildung angefangen. Da konnte ich nicht meine ganze Zeit in mein Hobby stecken! Wenn man erwachsen wird, will man eine Familie gründen und das hätte ich nicht gekonnt, wenn ich weitergemacht hätte. Es war zeitlich nicht mehr machbar! Damit wollte ich dich aber niemals verletzten… Ich wusste doch nicht das so etwas in dir vorgeht!“ Seine Stimme überschlug sich vor Verzweiflung. Er ahnte dass dies die letzte Möglichkeit sein könnte seinen Standpunkt klar zu machen. „Und deshalb bist du jetzt hier. Du wirst nun alle Zeit der Welt haben, um über dein Fehlverhalten nachzudenken.“, beteuerte Driger aber nur kalt. „Was hast du mit mir gemacht?“, wollte Ray wissen. „Nicht viel… Ich habe lediglich eine winzige Maßnahme eingeleitet, damit dir meine Lehre nicht so schnell wieder aus dem Kopf entweicht. Du musst wissen, mein junger Streuner, das menschliche Gehirn ist eine wundersame Sache. Zum Beispiel hier.“, Driger tippte jenen schmerzhaften Punkt auf seinem Schädel an, wo Ray kurz zuvor die Beule entdeckt hatte. „Genau hier wird die Aggressivität gesteuert. Eine wirklich heikle Angelegenheit.“ „Was?“, blinzelte er irritiert. „Was soll das heißen?“ „Das du Kai Unrecht getan hast. Das arme Kind war ganz verwirrt, als du ihn beschuldigt hast, gelogen zu haben. Dabei hast du nicht einmal bemerkt wie mein kleiner Parasit dich aufgegriffen und sich in deinen Körper eingenistet hat. Er ist den ganzen Weg von deinem Nacken hinauf in dein Gehirn gewandert, um sich einzuquartieren. Dort wächst und gedeiht er prächtig vor sich her…“ Sicherlich um ihn zu malträtieren tippte Driger noch ein weiteres Mal gegen die Beule. Ray zog scharf die Luft ein. „Genau hier steckt er. Dein ganz persönliches Geschwür, welches ich nur für dich allein kreiert habe. Und nun lausche gut meinen Worten, denn ich komme zum Kern meiner Lehre. Wir Bit Beast nehmen ein Bündnis sehr ernst und in deiner Kindheit hatte ich meinen Teil unseres Paktes erfüllt – nämlich die Loyalität. Selbst in deinen dunkelsten Stunden hielt ich zu dir und das obwohl ich so manches Mal ein neues Kind hätte wählen können, da du niemals alleiniger Weltmeister geworden bist. Doch es war mir gleich, denn ich hatte mich dir verpflichtet. Wir tauschen unsere Partner nicht wie Socken aus. Ein Bit Beast hält seinen Schwur, selbst wenn es ihm zu Schaden kommt. Du dagegen wolltest dich einfach aus unserem Pakt davonstehlen und so etwas wird in der Irrlichterwelt schwer geahndet.“ Der letzte Satz war ein tiefes Knurren und Ray hatte Mühe den lauernden Augen trotzig standzuhalten. Doch dann zeichnete sich ein amüsiertes Grinsen um Drigers Mundwinkel ab. „Du willst nachhause? Gut. Dann geh! Doch wie gesagt… Nichts im Leben ist umsonst. Wenn du gehst dann mit diesem Geschwür im Kopf. Meine neuartige Schöpfung welche dich zu einer gespaltenen Persönlichkeit macht. Kein sterblicher Mediziner wird in der Lage sein dich davor zu retten. Desto näher du dem Ausgang der Irrlichterwelt kommst, desto schlimmer wird die Erkrankung. Desto weiter du dich davon entfernst, desto rascher heilt sie. Das ist dein Wegzoll in die Freiheit.“ „Und nun denkst du ich bleibe aus Angst hier!“, fauchte Ray heftig. „Vergiss es! Lieber krepiere ich in der Menschenwelt elendig an dieser Krankheit, als für immer auf deine Gnade angewiesen zu sein.“ „Welch große Worte!“, höhnte Driger. „Aber bist du auch so kühn wenn es um deine Frau geht? Wie reagierst du, wenn du eines Morgens neben ihr aufwachst und sie in deinem blinden Zorn, mit den eigenen Händen erdrosselt hast? So wie du es gerade eben mit Max tun wolltest…“ Ray wurde aschfahl. „Von wollen war keine Rede und halt Mao da raus!“ „Das habe ich bisher. Weißt du, mein Streuner, es gibt da eine Freundin die sehr an ihr hängt und weswegen ich nicht bereit war, deine Frau in unsere Fehde zu verwickeln. Denk doch mal nach… Takaos Großvater wurde angegriffen. Maxs Mutter ist tot. Kais Schwester entging ebenfalls knapp dem Tod. Doch deine Mao… Warum ist ihr nichts zugestoßen?“ Die lauernden Tigeraugen schauten Ray abwartend an. Er schluckte hart. „Von welcher Freundin sprichst du?“ „Ich denke du weißt genau wen ich meine.“ „Galux… Ihr Bit Beast.“ „Schlauer Streuner.“ „Du willst mir also sagen dass mich diese Krankheit früher oder später zu einer Gefahr für meine Familie macht?“ „Nicht nur das. Sie ist vererbbar. Solltest du also nochmal Kinder in die Welt setzen wollen, werden sämtliche deiner Nachfahren dieses Geschwür ebenfalls besitzen. Alle künftigen Generationen werden dieser Krankheit erliegen und mit jedem Kind wird sie früher ausbrechen.“ Ray riss die Augen auf und ihm stockte der Atem. Er musste an sein Heim denken. Mit jedem Spatenstich den er vollführt hatte, war ihm das Bild seiner spielenden Kinder durch den Kopf gegangen. Sein Haus sollte erfüllt von ihrem Gelächter sein. Er dachte daran wie enttäuscht er gewesen war, als Maos Großvater ihm sagte, dass seine Mühen wegen der Ein-Kind-Politik in China wohl umsonst wären. Nun würde er nicht einmal bei einem Umzug ins Ausland die Chance auf eine große Familie haben. Schlimmer noch! Er war eine tickende Zeitbombe die seiner Frau etwas antun könnte. „Das kann doch nicht dein ernst sein?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Das Ausmaß von Drigers Rache wurde ihm bewusst. Das war schlimmer als alles was Ray sich in seinen schrecklichsten Albträumen hätte ausmalen können, denn es warf seinen sehnlichsten Wunsch über den Haufen. Eine große Familie – etwas das er niemals besessen hatte. „Ein Bündnisbruch muss immer bestraft werden. Eine weitere Regel der Irrlichterwelt.“ „Das hat nichts mit Recht zu tun. Das ist einfach nur blinder Hass.“ „Oh nein, Streuner.“, schüttelte Driger den Kopf und belächelte ihn nur. „Es ist doch eigentlich das gleiche Prinzip, welches euch Menschen schon seit Jahrhunderten so geläufig ist. Auf jeden Gesetzesbruch folgt eine Strafe. Je schlimmer das Vergehen, desto schwerer die Folge.“ „Hältst du dich für einen Richter?“ „Womöglich. Immerhin sorge ich für ausgleichende Gerechtigkeit.“ „Nein. Das ist Rache!“ „Das ist ausgleichende Gerechtigkeit doch immer. Strafen sind nur eine abgewandelte Form von Rache. Nur beruhigt ihr Menschen euer Gewissen, indem ihr euch vorgaukelt, dass es legal ist. Ihr nehmt dafür lieber das Wort Gesetz in den Mund, weil es doch so viel angenehmer im Ohr klingt, als die verachtungswürdige Rache.“ Ray begriff dass er gegen diese Logik nicht ankam. Sein Bit Beast sah in seinem Verhalten nichts Falsches - es war wie ein Soziopath. „Dann räch dich an mir. Aber lass meine Familie aus dem Spiel!“ In einer unschuldigen Geste hob Driger die Hände. „Aber Ray, es liegt mir fern deiner Mao etwas anzutun. Du allein triffst die Entscheidung. Alle Fäden laufen bei dir zusammen. Ob sie lebt oder stirbt liegt nun allein in deiner Hand.“, er richtete sich zu voller Größe auf. „Überleg dir also gut was du deiner Familie zumutest.“ Sämtliche Worte schienen damit gesprochen. Es wurde still zwischen ihnen. Das Bit Beast wandte sich von ihm ab und wollte Ray mit dieser unfairen Entscheidung zurücklassen. Bis der die Stille noch einmal durchbrach. „Ich wünschte du wärst ein Mensch…“ Driger drehte sich zu ihm. Seine Augenbraue zuckte fragend nach oben. „Wie bitte?“ „Ich wünschte du wärst nur einmal ein richtiger Mensch.“ „Bin ich das nicht schon?“ „Nein. Das da…“, mit einem abfälligen Nicken deutete Ray auf ihn. „Das ist nur eine tote Hülle. Ich rede von einem Menschen der ein richtiges Leben führt. Der geboren wird, der Freunde findet, eine Familie gründet und der sich seiner Sterblichkeit bewusst ist. Ein Wesen das genau weiß, dass die Uhr für ihn tickt und er deshalb ständig vorwärts schreiten muss.“ „Ein Uralter muss ewig Leben.“ „Und gerade deshalb kannst du das Leben nicht schätzen. Du weißt gar nicht wie es ist, sämtliche Abschnitte eines Lebens zu durchleben – und jemanden zu lieben. Ansonsten würdest du verstehen wie viel mir meine Freunde und meine Frau bedeuten.“ „Weißt du es?“ „Ja. Jetzt weiß ich es.“, entschied Ray. „Und deshalb bleibe ich hier. Du hast gewonnen.“ Für einen Moment blinzelte Driger irritiert. Sogar sein Mund klappte ihm etwas auf. Sicherlich weil er nicht angenommen hatte so früh sein Ziel zu erreichen. Doch das Bit Beast fing sich relativ schnell. Triumphierend blickte es auf ihn herab. „Tatsächlich?“ „So lange ihnen nichts dabei passiert ist es mir egal.“ „Vorbildlich! Du scheinst dein Rückgrat wieder gefunden zu haben.“ Ray verbiss sich die Beleidigung die ihm auf der Zunge lag. „Ich hoffe das hat deine verletzte Eitelkeit damit besänftigt.“ „Es ist zumindest ein Anfang.“ „Schön. So langsam dämmert mir nämlich wie ein Bit Beast denkt. Im Grunde bist du nämlich eine verdammt traurige Gestalt.“ Driger hob seine Braue, erwartete aber geduldig seine Erläuterung. Ray holte tief Luft und erklärte: „Du lebst in deiner Unendlichkeit, ohne zu wissen wie es ist, jemanden zu haben, für den du alles geben würdest. Selbst wenn es dein eigenes Leben ist. Weil ihr Bit Beats unsterblich seid, könnt ihr nicht begreifen, dass gerade die Sterblichkeit ein Leben so kostbar macht. Du bist dagegen abgestumpft… Und ich würde keinen Tag mit dir tauschen wollen. Dieses Leben wäre mir zu einsam und es verbittert dich.“ „Wirklich rührselig.“, Driger klatschte spöttisch in die Hände. „Aber das ist der Preis den ein Uralter zahlen muss. Wir müssen die Geschicke beider Welten lenken. Da können wir nicht unsere Zeit in etwas wie Liebe, Familie und Freundschaft investieren. Ich bin auch nicht sonderlich erpicht darauf, diesen sentimentalen Launen der Natur zu verfallen. Wo kämen wir denn dahin, würden wir unsere wertvolle Zeit einem einzelnen Wesen opfern?“ „Du hättest mehr Verständnis für uns Menschen.“ „Will ich das? Ich denke nicht. Die Natur war schon immer gnadenlos. Ein ewiges Leben härtet dich ab, und Härte ist es was die Welt von jeher gebraucht hat. Diese Erkenntnis wirst du mit den Jahren hier auch machen.“ „Ich werde niemals so wie du…“ „Vielleicht wirst du sogar schlimmer? Immerhin hast du die Erinnerung an dein altes Leben mit Mao. Ich für meinen Teil kann nichts vermissen, was ich nicht kenne. Wir Bit Beasts stehen über Gefühlen. Du dagegen nicht.“, nun wandte er sich endgültig von ihm ab, fügte aber noch hinzu. „Wir werden sehen was die Ewigkeit aus dir macht.“ * Was Maxs Zimmer anging hatte ihnen Fortuna in die Hände gespielt. Hanas Herz machte einen freudigen Hüpfer als sie das Zimmermädchen erspähte, dass die Laken im Raum 112 wechselte. Das Hotel war westlich gehalten und das wirkte sich scheinbar auch auf die Belegschaft aus. Die altmodischen japanischen Herbergen legten viel Wert auf geschultes Personal. Ihre Reisen hatten Hana aber gelehrt, dass gerade dann die Reinigungskräfte der hiesigen Sprache nicht mächtig waren, wenn sie für eine große Hotelkette aus dem Ausland arbeiteten. Dann legte man Wert auf einen niedrigen Stundenlohn statt auf besondere Qualifikationen. Auch in Japan nahmen die ausländischen Arbeitskräfte in diesem Bereich daher immer weiter zu. In einem anderen Moment hätte sie der Niedergang der traditionellen Werte zum Wohle des Profits geärgert. Jetzt machte Hana sich diesen Umstand zu Nutze, indem sie tat was sie am besten konnte – die hochnäsige Schnepfe markieren. Sie stolzierte mit einer Selbstverständlichkeit in Maxs Zimmer, als ob es ihr gehören würde, ließ sich mit einem theatralischen Seufzen in den Sessel fallen, zog die Pumps aus und würdigte die Putzkraft keines Blickes. Als sich das eingeschüchterte Mädchen dem Badezimmer zuwenden wollte, bat Hana sie in vier Stunden wieder zu kommen, da sie einfach todmüde von ihrer Stadtrundreise sei. Wie vermutet verstand das Mädchen kein Wort, überspielte ihre Unsicherheit mit einem schüchternen Lächeln und Hana hielt ihr daraufhin das „Bitte nicht stören“ Schild vor die Nase. Dessen Botschaft war dagegen unmissverständlich. Die junge Frau deutete eine Verbeugung an und rollte ihren Putzwagen hinaus. Offensichtlich besaß sie keinen Zweifel daran, dass sie die tatsächlichen Bewohner des Zimmers vor sich hatte. Kenny stand puterrot neben der Tür und half der jungen Frau noch dabei, den Karren hinauszuschieben. Hana musste darüber schmunzeln. Hier war das perfekte Beispiel für die Sorte Mann, welche das Herz am rechten Fleck hatte, denen aber jede Frau auf der Nase herumtanzte. Sobald er die Tür hinter ihr schloss, wandte sich Kenny Hana zu. „Und jetzt? Sie sind nicht hier.“ „Dann sind sie vielleicht in Rays Zimmer. Geh mal rüber und klopf an der Tür.“ „Warum denn ich?“ „Weil ich nicht gleich wieder raus gehen kann, wenn das Zimmermädchen im Flur herumrennt. Ich habe sie erst vor zwei Minuten hinaus gescheucht, weil ich doch angeblich müde bin. Jetzt stell dir vor sie findet mich ein Stockwerk tiefer vor Rays Zimmer.“ „Ach und wenn sie mich sieht ist das besser?“ „Lass dir eine Ausrede einfallen. Vielleicht kannst du auch an der Tür lauschen ob jemand drinnen ist.“, zuckte Hana mit den Schultern und zerrte an dem Sportbeutel den Max unter dem Beistelltisch verstaut hatte. Sie nestelte an dem Reißverschluss und öffnete ihn geräuschvoll. „Hey! Du kannst nicht einfach in Maxis Sachen herumwühlen!“, empörte Kenny sich fassungslos über so wenig Pietät. Eine seiner Shorts flog auf den Teppichboden. „Mir macht das auch keinen Spaß. Aber ich will wissen ob er seinen Ausweis und das Bargeld mitgenommen hat.“, Hana rümpfte die Nase, als sie ein Oberteil hervorzog das extrem nach Alkohol stank. „Das hat er wohl bei eurer Sauftour angehabt.“ „Ja. Irgend so ein betrunkener Trottel hatte ihm ein Glas Tequila in der Diskothek drüber geschüttet.“ „Himmel, das stinkt ja furchtbar.“ Kenny hätte ihr gerne an den Kopf geworfen, was sie eigentlich erwartet habe, doch getraute sich nicht. Stattdessen blinzelten sich beide verdutzt an als es im Beutel summte. Hana wühlte tiefer, doch wurde nicht auf Anhieb fündig. Als sie das Handy endlich zutage förderte, war es bereits wieder verstummt. Sie schüttelte den Kopf. „Was seid ihr für ein merkwürdiger Haufen? Du hast die letzten Stunden nicht auf dein Handy geschaut. Deine Freunde nehmen auch nicht ab. Max nimmt sein Smartphone gar nicht erst mit. Ihr wisst das ein Handy kaum einen Nutzen hat wenn man es nicht bei sich trägt, oder?“ „Natürlich wissen wir das!“, maulte Kenny eingeschnappt. „Sei nicht so schnippisch.“ „Ich bin nicht schnippisch wenn du dich nicht wie meine Lehrerin verhältst.“, murmelte er kleinlaut. „Wir machen das nicht mit Absicht.“ „Ach. Und wo hast du nochmal dein Handy gelassen?“, ihre Braue zuckte herausfordernd nach oben. Kenny schürzte die Lippen, als ihm der Vorfall im Wagen einfiel. Er hatte sie gebeten ihn nochmal nachhause zu fahren, da er sein Smartphone in der Hitze des Gefechts in seiner Wohnung vergaß. „Zuhause auf der Kommode.“ „Na, da liegt es gut. Euch gehört wirklich mal der Kopf gewaschen. Falls deine Freunde auftauchen kläre ich euch mal über den tieferen Sinn eines Handys auf.“ Kenny zog den Kopf zwischen die Schultern und versenkte die Hände schmollend in den Hosentaschen. Im Grunde hatte sie natürlich Recht. Wären sie in ihrer Kindheit schon im Besitz eines Handys gewesen, hätte er sich sogar einmal eine heftige Zankerei mit Tyson erspart, der vehement darauf pochte Kais Schal mit einem GPS Sender auszustatten. Der war damals wieder mal untergetaucht, weil sie ihm ziemlich auf die Nerven gefallen waren. Er hatte Tyson versucht sachlich zu erklären, dass ihr Freund keine Katze sei, die man einfach mit einem Chip versehen konnte. Tyson erklärte ihm ebenso sachlich, dass ihm seine Meinung am Arsch vorbei ging. „Wenn Kai sich wie ein Streuner verhält wird er auch so behandelt!“ Wahrscheinlich wäre Kenny sogar eingeknickt. Tyson konnte verflucht hartnäckig sein wenn er etwas wollte. Sie hatten sogar bereits im Internet nach dem kompakten Equipment gegoogelt, hätten sie nicht innerhalb der Gruppe über diesen Vorschlag abgestimmt. Es war ein knapper Sieg, aber immerhin stimmte der Großteil von ihnen dafür, Kai ohne Wanze weiter ziehen zu lassen. Kenny würde ohnehin jetzt in Kuba leben, hätte Tyson sich durchgesetzt und Kai den GPS Sender entdeckt. Er wusste dass der ihm niemals etwas antun würde, aber man musste sein Glück auch nicht herausfordern… Hana tippte inzwischen auf dem Smartphone herum und stöhnte. „Fingerabdrucksensor.“ „Gib mal her.“ „Was? Hast du Maxs Ersatzdaumen dabei?“, fragte sie belustigt. „Sieh her und staune.“ Das war sein Fachgebiet und in diesem Bereich war er der Crack, was Hana aber nur vom Hörensagen wusste. Da sie ihn noch nie in Aktion gesehen hatte, beobachtete sie ihn skeptisch, während er an dem Gerät nestelte. Wie er ohne Hilfsmittel den Sensor umgehen wollte, war ihr ein Rätsel und insgeheim wartete sie nur darauf, dass er gleich frustriert aufgab. Stattdessen verkündete ein leises Fiepen das er ins Hauptmenü gelangt war. „Bitte schön.“ Ihre Augen wurden groß und sie pfiff anerkennend. „Na sieh mal einer an was für ein Supermann sich unter der dicken Haarpracht versteckt.“ Kenny grinste verlegen und freute sich wie ein Schneekönig. Eigentlich fand sie das recht putzig. Sollte er ruhig seine Sternstunde auch mal genießen. Sie begann im Gesprächsprotokoll die letzten eingegangen Anrufe zu durchforsten. Drei Kontakte stachen in ihrer Häufigkeit dabei besonders heraus: Mum, Dad und Chef. Sie wusste von Hiro das Kennys Spitzname so lautete. Es mussten also jene Anrufe sein, die er tätigte, als ihn Hiro zwangsläufig aus seinem Alkoholdelirium holte und er erfuhr, dass seine Freunde vermisst wurden. Maxs Mutter war gestern Morgen recht oft abgewiesen worden. Sein Vater hatte seit gestern Abend mehrmals versucht ihn zu erreichen, war aber als unbeantworteter Anrufer dutzende Male aufgelistet. Es versetzte Hana einen Stich, denn sie begriff, dass die Gruppe nicht im Hotel sein konnte. Andernfalls wäre Max sicherlich einmal in sein Zimmer gekommen und hätte die Anrufe seines Vaters gesehen. Ihr Daumen schwebte über dem Kontakt namens Dad. Sie kaute unentschlossen auf der Unterlippe. War es nicht zumindest einen Versuch wert? „Kennst du Maxs Vater gut?“, wollte sie wissen. „Ja, warum fragst du?“ „Er hat ziemlich oft versucht ihn zu erreichen. Allein heute Morgen acht Mal.“ „Verdammt… Er macht sich bestimmt Sorgen. Maxs hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern. Und das obwohl er Judy durch ihren Job nicht oft gesehen hat.“ „Judy?“ „Seine Mutter.“ Hana nickte nachdenklich und fiel eine Entscheidung. Sie tippte auf den letzten unbeantworteten Anruf und anschließend auf Wählen. Die Umleitung in die USA wurde aufgebaut. Schnell reichte sie Kenny das Handy. „Sprich du mit seinem Vater.“ „I-Ich?“ „Ja. Mich kennt er nicht. Erklär ihm was los ist. Wenn Max einen engen Kontakt zu seinen Eltern hat, hat er vielleicht von einem anderen Telefon mit ihnen gesprochen. Womöglich wissen sie wo er steckt.“ Hana drückte auf den Lautsprecher als der Freiton erklang. „Nun nimm schon! Denk doch mal nach wie seltsam es wäre, wenn eine komplett fremde Frau ihn von diesem Handy zurückruft. Er sollte wenigstens eine vertraute Stimme hören.“ „Mm… Na gut.“ „Versuch aber nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Du musst ihm schonend beibringen was hier vorgeht und weshalb wir Max so dringend suchen.“ Kenny kam nicht zum Antworten. Auf der anderen Leitung nahm eine hektische Stimme ab, die er trotz der vergangenen Jahre, noch allzu gut erkannte. Obwohl in Englisch, verstand Kenny jeden Vorwurf, der von der anderen Seite kam. Maxs Vater schimpfte darüber, wie lange sein Sohn sich nicht gemeldet habe und das er krank vor Sorge gewesen sei. Ein Redeschwall brach über ihm ein, den er nur schwer eindämmen konnte. Er vernahm dass Maxs Vater gedacht hatte, dass sich sein Sohn etwas angetan hätte. Das machte ihn stutzig. Zu seinem Schrecken hörte Kenny auch heraus, dass der Mann auf der anderen Leitung den Tränen nahe war. Ihm kam das freundliche Gesicht von Mr. Tate in den Sinn, dass stets so zuversichtlich in die Welt schaute. Sowohl Hana als auch er begriffen, dass das keine einfache elterliche Fürsorge mehr war. Es musste eine Vorgeschichte zu diesem Verhalten geben… „Mr. Tate, einen Moment bitte! Ich bin nicht Max. Hier spricht Kenny.“ Sein Gesprächspartner geriet ins Stocken. „Kenny?“, hakte die Stimme auf der anderen Leitung nun auf Japanisch nach. Sie hörten ihn auf Englisch murmeln. Es klang abgekämpft. „Ich werde noch wahnsinnig… Wo ist Max? Warum hast du sein Handy?“ „Er hat es im Hotel liegen gelassen.“ „Seit gestern Abend? Wollt ihr mich veralbern?!“ Kenny hatte Mr. Tate als ebenso heitere Frohnatur wie seinen Sohn erlebt, doch jetzt klang er, als ob er keine Nerven mehr für irgendwelche Späße hätte. Geradezu energisch sagte er: „Gib ihn mir! Ich muss sofort wissen wie es ihm geht.“ „Ich kann nicht.“, sprach Kenny gequält und als sich die Stimme auf der anderen Seite zu einem Machtwort erhob, fiel er ihm dazwischen. „Es ist nicht so dass ich nicht möchte, aber ich weiß leider selbst nicht wo Max steckt.“ Es wurde totenstill auf der anderen Seite. „Mr. Tate, eine Bekannte und ich suchen seit einigen Stunden ebenfalls nach ihm. Er ist aber nicht der Einzige der verschwunden ist. Sowohl Tyson, Ray als auch Kai sind wie vom Erdboden verschluckt.“ „Seit wann?“ „Seit wir Freitagabend zusammen weg waren. Wir haben getrunken. Tyson hat mich zuerst abgesetzt und danach die anderen zum Hotel gefahren. Ich war am Tag danach ziemlich verkatert und hatte das Telefon abgeschaltet. Seit dem habe ich nichts mehr von den anderen gehört.“ „Moment, ich muss mich setzen.“, Kenny hörte wie Mr. Tate schwer atmend einen Stuhl zurückschob. Er konnte sich schon ausmalen dass sämtliche Motoren im Kopf von Maxs Vater auf Hochtouren liefen. Wahrscheinlich malte er sich in seiner elterlichen Sorge die schlimmsten Szenarien aus. „Das heißt du weißt auch nicht wo mein Sohn sich herumtreibt?“ „Leider nein. Es ist auch… einiges vorgefallen.“ Als Mr. Tate wissen wollte, was er meinte, erzählte Kenny ihm in ruhigem Ton von den Verdacht gegen Tyson, dem Brand im Hiwatari Anwesen und das Mr. Kinomiya als auch Kais Schwester ebenfalls verschwunden waren. Es schien mehr zu sein als der Mann zurzeit verkraften konnte, denn er hörte nur ungläubig zu. Als Kenny geendet hatte, ließ er ihm Zeit für eine Zwischenfrage. Doch es kam nichts… „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft dass sie uns weiterhelfen können. Wir wollen den Verdacht gegen Tyson wiederlegen. Das können wir aber nicht, wenn wir ihn und die anderen nicht finden. Oder zumindest seinen Großvater.“ „Etwas ist hier gehörig faul...“ Sowohl Hana als auch Kenny schauten irritiert ob dieser Aussage. „Wie meinen sie das?“ „Weil das zu viele Unfälle auf einmal sind.“ „Das denkt die Polizei auch aber da kann Tyson nichts dafür!“ „Ich weiß, ich weiß... Darauf wollte ich auch nicht hinaus. Es ist nur…“ Kenny wurde aus dem Gestammel nicht schlau, da schnappte ihm Hana das Handy weg. „Mr. Tate, ich bin Hana Amori. Die Bekannte von Kenny.“, stellte sie sich kurz vor. „Zum einen möchte ich ihnen sagen, dass wir wirklich alles tun, um ihren Sohn zu finden. Wir glauben dass keiner von ihnen zu diesen Anschuldigungen imstande ist. Allerdings habe ich jetzt auch eine Frage an sie. Als sie abgenommen haben, haben sie gesagt, dass sie schon befürchtet haben, dass Max sich etwas angetan hat. Warum haben sie das gedacht?“ Sie hörten schwere Atemzüge. Es klang als müsste sich der Mann auf der anderen Seite der Leitung sammeln. Beide Anwesenden warteten auf die unausgesprochene Botschaft, die so unheilvoll in der Luft schwebte. „Gestern Nachmittag habe ich Max das letzte Mal gesprochen.“, begann er traurig. „Ich musste ihm sagen dass seine Mutter ertrunken ist.“ * Man musste Ray lassen dass er verdammt schnell sprinten konnte. Es war Tyson unmöglich gewesen ihm nachzujagen. Allein die Zeit welche er benötigte um den Hang hinab zu schlittern, reichte dem Chinesen um wie ein Hase auf dem Feld Haken zu schlagen. Dann war da noch die Dunkelheit, welche ihm die Sicht erschwerte. Allegro dirigierte ihn zwar, doch das Dickicht war so unwegsam, das die Strommaus gar nicht mehr aus den Schilderungen heraus kam. Es hatte nur zur Folge, dass Tyson mit der Stirn voraus gegen einen Ast prallte. „Das ist doch zwecklos! Ich suche ihn allein.“, entschied das Bit Beast. „Nein. Ich komme mit.“ „Du siehst doch kaum die Hand vor den Augen.“ „Allegro, wir brauchen dich! Außerdem weiß Dragoon jetzt das du uns hilfst. Ich will nicht dass dir etwas zustößt. Was ist wenn er dich aufgreift wie die arme Dizzy?“ Das Bit Beast tätschelte ihm gerührt die Wange. „Nun mach dir keine Sorgen, mein Junge. Den guten Allegro erschüttert nichts so leicht.“ „Das weiß ich doch, aber bleib trotzdem hier. Lass uns zusammen suchen. Wir holen Max und Kai. Es würde uns gerade noch fehlen wenn alle sich zerstreuen.“ Tyson vernahm ein resigniertes Seufzen von seiner Schulter. „Na fein, aber lass uns schnell machen.“ „Gut.“, er drehte sich um und tastete sich durch das Zwielicht. Der Mond kam kaum durch das Blätterdach. „Hoffentlich passiert Ray nichts…“ „Es verwundert mich wie bekümmert ihr um ihn seid.“ „Ich sagte dir doch bereits dass das nicht seine Art ist. Etwas stimmt nicht mit ihm.“ Allegro legte den Mäusekopf nachdenklich auf die Seite. „Mmm… Das denke ich allerdings auch. Sein Geruch hatte sich die letzten Stunden stark verändert. Eine so rasche Verwandlung habe ich noch nie erlebt. Mir war als würden sämtliche seiner vorbildlichen Eigenschaften stückchenweise von ihm abbröckeln. Pass auf den Ast auf.“ Tyson knallte mit dem Kopf dagegen. Er zischte ein leises „Verdammt“ und rieb sich über die Stelle. „Das mag ja alles sein aber warum hast du uns nicht früher Bescheid gesagt?“, er bückte sich unter dem Ast hindurch. „Ihr meintet ihr kennt euch. Da nahm ich an das ihr auch eure schlechten Seiten kennt.“ „Tun wir auch, aber das ist nicht Teil seiner schlechten Seiten! Ray ist nicht gewalttätig. Ich habe ihn einmal während einem Streit am Kragen gepackt und er hat mich nur ernst angesehen. Da bin ich viel schneller mit den Fäusten unterwegs.“ „Sonderbar. Wirklich sonderbar. Unter dir ragt eine Wurzel hoch.“ „Wo denn?“, zwei Sekunden später fuchtelte er wie wild mit den Händen. Gerade noch rechtzeitig hielt er sich an einem Baumstamm fest. „Vielleicht konzentrieren wir uns lieber auf den Weg.“, schmunzelte Allegro. „Da hast du wohl Recht.“ Es war Tyson schleierhaft wie schnell Ray vorangekommen war. Entweder war er ein noch größerer Überlebenskünstler, als sie vermutet hatten oder er selbst stellte sich einfach nur wie der letzte Trottel an. Stillschweigend tastete er sich vor, während Allegro ihn lotste. Es vergingen einige Minuten bis er das Licht des Lagerfeuers ausmachte. Er kraxelte so gut es ging den kleinen Hang wieder hinauf, doch es nahm ob seiner Verletzung seine Zeit in Anspruch. Kurz bevor er ankam vernahm er Maxs Stimme die drängend rief: „Was noch? Erzähl weiter! Kai das ist wichtig!“ Allegro und er tauschten vielsagende Blicke. Dann rief Tyson hinauf: „Hey Max! Etwas Hilfestellung hier unten wäre nett!“ „Warte. Das erzählst du jetzt auch Tyson und lass bloß nichts aus.“, wies sein Freund Kai zurecht. Er fragte sich was es ausgerechnet jetzt so Dringendes zu besprechen gab. Kurz darauf sah er einen blonden Haarschopf oberhalb hervorlugen. „Wo ist Ray?“ „Nicht zu finden. Wie die Nadel im Heuhaufen.“ „Okay. Wir kommen runter.“ „Eigentlich wollte ich zu euch hoch kommen.“ „Nein, lass das mal. Ich erklär dir gleich alles. Wir löschen nur schnell das Feuer und kommen dann.“ Also wartete Tyson einige Minuten. Er vernahm die hektischen Bewegungen von oben und die Lichtquelle erlosch immer weiter. Ihm fiel ein dass sie ohne Feuer kaum vorankommen würden, doch daran hatte Max wohl selbst gedacht. Noch bevor er ihn darauf hinweisen musste, rutschten die anderen beiden Jungen den Hang hinab, bepackt mit einer provisorischen Fackel. Sie hatten die Wartezeit wohl genutzt, um Kais Schal in kleine Bahnen zu zerreißen und einige der Zweige mit dem Stoff zu umwickeln. Hier in der Irrlichterwelt schien der Schal für alles gut gewesen zu sein, nur nicht um seine eigentliche Funktion zu erfüllen. Selbst an einen Vorrat hatten sie gedacht. Tyson strahlte als ihm Max eine überreichte. „Klasse! Du ahnst gar nicht wie finster es da draußen ist.“ „Ich will auch eine!“, Kai zupfte fordernd an Maxs Hosenbein. „Ne, Kleiner! Du hältst schön den Vorrat.“ „Warum?“ „Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für kleine Kinder nichts.“, belehrte ihn Max. Kai zog einen Schmollmund und schaute zu Tyson hinauf. Scheinbar als stumme Aufforderung ihm Beistand zu leisten. Der zuckte mit den Schultern und meinte: „Sorry, Krümel. Aber wo er recht hat, hat er recht.“ Der Kleine blähte die Backen vor Groll auf. „Du hast gesagt der silbergrauer Kater war auch mal groß!“, klagte er ihn an. „Ja, aber jetzt ist er es nicht mehr! Und er ist jetzt zu klein um mit einer Fackel herumzuhantieren. Also verlass dich auf die anderen aus dem Katzenrudel.“ „Silbergrauer Kater, Katzenrudel…“, blinzelte Max irritiert. „Wovon redet ihr beiden? Habt ihr eine Geheimsprache entwickelt?“ „Erzähle ich dir ein anderes Mal Max… Ach Kai, komm schon! Sieh mich doch nicht so vorwurfsvoll an. Wir müssen uns jetzt wirklich auf andere Dinge konzentrieren. Also sei brav und lass uns mal machen.“, Tyson hielt das Stoffende seiner Fackel an Maxs Feuer und entzündete sie. „Wie weit seid ihr gekommen?“, wollte der wissen. „Lässt sich schwer sagen bei der Dunkelheit. Aber bestimmt nicht allzu weit. Ich bin mehr gestolpert als gelaufen. Entweder ist Ray noch geschickter als er durchblicken lässt, oder er versteckt sich irgendwo.“, er deutete in die Richtung aus der sie kurz zuvor gekommen waren. „Allegro meinte dort führt seine Fährte lang.“ „Okay. Lasst uns los laufen.“, es kam Bewegung in die Gruppe und Max fuhr fort. „Da ist noch etwas was du wissen solltest.“ „So?“ „Ja. Kai hat mir vorhin erzählt, dass etwas Merkwürdiges passiert ist, als Ray ihn begleitet hat. Du weißt schon...“, er schielte beiläufig zu dem Kind und flüsterte. „Als er nicht den Hosenknopf aufbekam, aber auf die Toilette musste.“ „Tatsächlich?“, fragte Allegro. „Jetzt wo du es sagst, zu der Zeit habe ich gerochen, dass eine Veränderung in dem Jungen vorgeht.“ „Veränderung?“ „Ach! So eine Witterungssache schon wieder.“, warf Tyson unwirsch ab. So langsam fand er sich damit ab, dass die Strommaus mehr roch, als er jemals in der Lage sein würde. „Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, was noch?“ „Kai, wie war das nochmal?“, fragte Max das Kind. „Du warst hinter einem Baum und Ray hat auf der anderen Seite gewartet. Und als du fertig warst und ihn gerufen hast, war er plötzlich nicht mehr da.“ „Ja. Er war weg.“, stimmte der Kleine ihm zu. „Da waren nur noch unheimliche Kratzspuren auf dem Baum.“ „Und dann?“ „Dann habe ich Ray gesucht.“ Tyson hielt urplötzlich inne und schaute das Kind streng an. „Du rennst alleine durch den Wald, obwohl es hier vor gefährlichen Bit Beasts wimmelt?! Warum bist du nicht sofort zu uns gekommen und hast uns Bescheid gesagt?“ Kai schaute zur Seite und nuschelte schließlich kleinlaut: „Ich wollte nicht dass ihr euch wieder Sorgen macht.“ Er musste seufzen. Irgendwie konnte er diesem Jungen einfach nie böse sein. „Na gut. Aber das nächste Mal sagst du Bescheid.“ Kai nickte eifrig. „Was ist danach passiert?“ „Ray ist wieder da gewesen. Und er hatte auch Kratzer im Gesicht. Ich habe ihn darauf angesprochen, aber…“, etwas unschlüssig hielt er inne. „Aber?“, drängte Tyson. „Es war ganz komisch. Die Wunden sind plötzlich von alleine zu gegangen. Und als ich ihn gefragt habe, wo er war, hat er mich nur ausgelacht und gesagt, ich hätte mich bestimmt nur verlaufen. Er meinte er hätte sich nicht von der Stelle gerührt… und das ich ein Lügner bin.“ Max packte Tyson plötzlich am Arm. „Was ist wenn das gar nicht Ray ist?“ „Du meinst eine Kopie?“ „Ja! Denk doch nur an die Gesichtslosen! Die haben sich auch verhalten, als wäre ihnen gar nicht klar, dass sie nur eine Kopie sind. Was ist wenn der echte Ray noch in diesem Baum steckt und gegen die Kopie ausgetauscht wurde.“ Tyson starrte ihn aus großen Augen an. Daran hatte er nicht gedacht… „Allegro? Du bist doch die Superspürnase.“, wandte er sich an den Mäuserich. „Wie riechen Gesichtslose? Würdest du den Unterschied erkennen?“ „Oh weh, oh weh, da hast du meinen wunden Punkt getroffen.“, er verschränkte die Ärmchen vor der Brust und legte angestrengt grübelnd den Kopf zur Seite. „Das ist so eine Sache mit diesen Phantomen. Sie entspringen nämlich eurer Erinnerung. Der Duft eines Menschen gehört da ebenso dazu wie sein Charakter. Das sind alles Eindrücke aus eurem Unterbewusstsein und die Eigenschaften nehmen sie auch an.“ „Verdammt…“ Sie mussten eine Entscheidung treffen. Zurück zu dem Baum, den sie bei ihrem Glück wohl im Dunkeln nicht so schnell fanden oder diesen Ray suchen und hoffen, dass es der Richtige war. Tyson biss sich angestrengt auf die Unterlippe. „Wir suchen ihn.“, warf er schließlich in die Runde. „Aber wenn es der Falsche ist…“ „Müssen wir es aus ihm herauskitzeln. Und zwar schnell! Es ist der einzige Strohhalm den wir noch haben, also kommt in die Gänge. Die einzige Möglichkeit die Wahrheit herauszufinden ist diesen Ray zu finden!“ Nun wurden ihre Schritte schneller. Allegro sprang voller Tatendrang von Tysons Schulter und wurde zu seiner kleinen funkelnden Blitzgestalt. Es erhellte ihnen den Weg in der Finsternis. ENDE KAPITEL 28 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)