Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 30: ------------ „Lass sie los!“, fauchte Tyson seinem Bit Beast entgegen. Das schenkte ihm jedoch wenig Beachtung. Lediglich ein abfälliger Blick war die Antwort, gefolgt von einem Schnauben. Dann wandte sich Dragoon an Galux, die er fest am Hals gepackt hielt. Das Bit Beast gab erstickte Laute von sich und schabte erfolglos an seinem Griff, während ihre Beine in der Luft strampelten. Unter seinem rechten Fuß, sah man die länglichen Füße von Allegro hervorspähen, der mit aller Gewalt versuchte hervorzukriechen. Den Jungen wurde klar, dass es nur einen kräftigen Tritt bedurfte und ihr wackerer Begleiter, würde mit gebrochenem Nacken, tot auf dem Erdboden liegen. „Ich hätte es mir denken können.“, vernahmen sie Dragoons tiefe Stimme. Sie klang unmenschlich, mehr wie das dunkle Grollen eines Tieres. „Es gibt wenig Bit Beasts, die einen Schutzbann auf Menschen legen können und nur eines davon, genießt die Gunst eines Uralten.“ Er verstärkte den Klammergriff um ihren Hals. Galux gab einen abgehakten Schmerzensschrei von sich. Es ging Tyson unter die Haut und die Gruppe wurde aschfahl. Keiner hegte einen Zweifel daran, dass Dragoon ihr ebenfalls schnell den Hals brechen könnte. Obwohl er doch im Grunde genau wusste, dass er keine Chance gegen sein Bit Beast hatte, machten sich Tysons Beine in seinem Zorn selbstständig. Mit einem wütenden Aufschrei rannte er auf ihn zu und versenkte mit aller Kraft seine Faust in Dragoons Gesicht. Bei einem nächtlichen Ausflug mit Max, hatte er einmal eine heftige Rangelei in einer Kneipe gehabt. Das Ende vom Lied war, dass er seinem Gegenüber einen Zahn ausgeschlagen hatte und sein Großvater ihm am nächsten Morgen eine Standpauke hielt, weil er mit einem blauen Auge nachhause gekommen war. Seinem Kontrahenten hatte es weitaus schlimmer erwischt. Allerdings war Tyson nun wieder in seinem jugendlichen Körper gefangen, beraubt seiner früheren Kräfte. Dragoon klappte nicht einmal der Kopf zur Seite. Er starrte weiterhin ruhig auf Galux herab. Dann grub sich seine freie Faust so schnell in Tysons Magen, dass er nur noch erstaunt japsen konnte. Er beugte sich vor, denn der Schmerz strahlte in sämtliche Gliedmaßen und schnürte ihm die Luft ab. Kurz bevor er zusammenklappte, packte ihn sein Bit Beast am Kragen und hob Tyson mühelos in die Luft. Er fühlte wie seine Füße den Boden verloren. „Spiel lieber nicht mit deinem Glück, Junge.“, vernahm er dessen Zischen ganz nah an seinem Ohr. „Nach deiner frechen Schnauze vor kurzem, kannst du dich glücklich schätzen, dass ich dir nicht den Kopf abbeiße.“ Dann stieß er ihn von sich. Er landete schwer keuchend auf dem Rücken. Tyson hörte seine Freunde nach ihm rufen. Doch sobald die Hände nach ihm griffen, um ihm aufzuhelfen, spuckte er Blut und kippte wieder zurück. Er blickte aus verschwommener Sicht in Kais Gesicht, der ihm die Finger behutsam auf die Wangen legte, als habe er Angst ihm mit seiner Berührung noch mehr Schaden zuzufügen, während Max ihn versuchte zu stützen. „Hast du eine Ahnung mit wem du dich hier anlegst?!“, fragte Dragoon inzwischen Galux herrisch. Als Antwort vernahmen sie nur ihr Krächzen. „Du magst Drigers kleines Liebchen sein. Du magst deshalb auch einen Sonderstatus genießen, weil er dich in Watte packt, als wärst du aus Porzellan. Aber das gibt dir nicht das Recht, dich in die Belange der anderen Uralten einzumischen!“ „Mao…“, es war alles was Galux zusammen brachte. „Was schert mich dein Menschenkind! Ich habe ein eigenes und das erziehe ich, wie ich will!“, er schüttelte sie. Der Körper der Katze taumelte hilflos in der Luft. „Denkst du dein Kind ist wichtiger als meines? Wer ist hier höher gestellt?!“ „Sie macht das weil sie an ein Versprechen gebunden ist!“ Dragoons Kopf schnellte zur Seite. Aus einem Dickicht hinter der Gruppe, formte sich eine Gestalt. Es wirkte als würde ein getarnter Soldat aus seinem Versteck kommen, dabei war er ein Hüne von einem Mann. Seine Haut war dunkel, wie die tiefgebräunte Rinde eines Baumes, über sein Gesicht zogen sich geradlinige Narben, wie von der Klaue eines Raubtiers. Ein spitzer Eckzahn lugte aus seinem rechten Mundwinkel hervor, da die Lippen verstimmt verzogen waren. Trotz der Hitze lag ein weißes Stück Fell um seine Schultern, wie eine exotische Schutzpolsterung. „Driger.“, hörte Tyson Max neben sich keuchen. Er hatte dasselbe geahnt. Es war das majestätische Fell was den Neuankömmling sofort entlarvte. Die Streifen darauf waren grün. Er kannte nur einen Tiger, dessen Streifen von diesem intensiven Blattgrün waren. „Na wer kommt denn da endlich aus der Versenkung?“, spottete Dragoon höhnisch. „Wie schön dass du mich auch endlich mal wieder mit deiner Anwesenheit beehrst.“ „Ich war dabei deine Anweisung auszuführen. Weshalb also deine angriffslustige Art?“ Dragoon hob ungläubig eine Braue an. Etwas Unausgesprochenes lag in der Luft. „Meine Anweisung… Ist das so?“ „Natürlich und wie du siehst geht alles so auf wie du wolltest.“, Driger tat eine ausladende Bewegung zu den Jungen. Zunächst begriff Tyson nicht was damit gemeint war. Wäre Dragoon nicht aufgetaucht, hätte er weiterhin auf Max eingeredet, bis dieser endlich mit Kai aus der Irrlichterwelt floh. Dann stockte sein Atem. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Ihre Bit Beast kannten ihren Zusammenhalt - sie spekulierten sogar darauf! Stöhnend lehnte er den Kopf zurück gegen Maxs Brustkorb. „Wärt ihr doch bloß mit Galux gegangen.“, warf er ihm mit kratziger Stimme vor. „Jetzt hast du genau das getan, was sie von dir erwartet haben.“ „Was meinst du?“ „Sie haben damit gerechnet dass wir nicht ohne Ray gehen.“ Max sah ihn aus tellergroßen Augen an, als die Erkenntnis ihn nun auch traf. Inzwischen fuhr Dragoon fort. „Wenigstens etwas woran du dich gehalten hast. Immerhin durfte ich die letzten Tage immer häufiger Zeuge deiner Verfehlungen werden.“ „Verfehlungen?“, wollte der Hüne wissen. Er legte den Kopf verständnislos auf die Seite. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Hilf mir doch auf die Sprünge…“ „Deine Perle hier!“ Galux landete mit einer solchen Wucht vor Drigers Stiefeln, dass der Aufprall geradezu staubte. Es verdeutlichte der Gruppe, wie viel Kraft in jeder Bewegung eines Bit Beasts steckte, selbst wenn sie in einem toten menschlichen Körper hausten. Die Augen des Uralten weiteten sich, als seine liebe Freundin vor ihm zum Liegen kam. Sie ächzte leise und schaute ihn aus den smaragdgrünen Iriden angeschlagen an. Seine Mimik erstarrte für einen Moment. Dann blickte Driger mit einem Knurren auf, während man seine Kiefern mahlen hörte. „Das war unnötig.“ „Findest du?“, sprach Dragoon belustigt. „Ich finde nämlich schon. Einer sollte ihr die Leviten lesen. Du willst es ja scheinbar nicht machen… Und das obwohl du sie bereits vor einigen Stunden hier erwischt hast.“ Drigers Rücken wurde kerzengerade. Ein schales Lachen war die Entgegnung auf diese Reaktion. „Ach bitte! Wie naiv bist du? Hast du allen Ernstes geglaubt, mir ist deine Unterhaltung mit ihr entgangen? Kommen dir diese Worte bekannt vor? Auch wenn ich dich für deine Hingabe liebe, kränkt es mich, wenn du glaubst ich wäre so leicht zu töten.“ Ein Knurren kam von Rays Bit Beast. Tyson sah wie es die Fäuste ballte, dass jeder Finger darin leise knackte. „Wirklich rührselig. Ich hätte beinahe angefangen zu weinen.“, meinte Dragoon voller Häme. „Spar dir deinen Spott und lass sie zufrieden.“, Driger beugte sich zu Galux herab und nahm ihre schlaffe Gestalt behutsam in die großen Pranken. Er zupfte ihr die hängen gebliebenen Dreckklumpen aus dem Fell, was sie mit einem leisen Mauzen wahrnahm. „Du hättest sie beinahe erwürgt. Sieh dir die Spuren an ihrem Hals an.“ „Ist das dein Ernst? Du machst dir mehr Sorgen um sie, als um deine Pflichtverletzung?“ „Sei vernünftig Dragoon. Denkst du ich wüsste nicht, dass sie der Gruppe keine Hilfe ist? Wir haben beide geahnt, dass sie nicht ohne Ray gehen würden.“ „Und das macht ihren Verrat ungeschehen?“ „Du kennst den Codex der Bit Beasts. Wir sind dazu verpflichtet, unseren Eid gegenüber den Menschenkindern einzuhalten. Galux hat nur getan was sie geschworen hat. Kann sie etwas dafür das Rays Frau ihr Kind ist?“, beinahe drängend erklärte er, „Das Mädchen hat ihr das Versprechen abgeluchst ihren Mann zurückzubringen. Nun kann sie Ray nicht helfen und muss auf sein Geheiß, die anderen Bälger heimführen, um ihre Schuld auszugleichen. Sie handelt, wie es jeder von uns tun würde. Das arme Ding war zur falschen Zeit, am falschen Ort. Sie steht doch nur zwischen den Stühlen.“ „Himmel, hör dich an! Wie du nach Ausflüchten für sie suchst. Das ist ja widerlich.“ „Ich werde sie nicht für ihr Ehrgefühl verurteilen!“, fauchte Driger. „Sie hat einen Schwur geleistet. Du hättest nicht anders gehandelt wäre dein Menschenkind in Gefahr.“ „Das ist etwas anderes…“ „Weshalb? Weil du der König der Bit Beasts bist?“, kam es voller Verachtung. Dragoons Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. „Korrekt.“ Es kehrte kurzes Schweigen ein. Dann hörten sie Driger schnaufen. Er schüttelte den Kopf und sah enttäuscht zu seinem Verbündeten. „Dieser Titel hat dich verändert. Wo ist der alte Freund geblieben, der noch unseren Rat gesucht hat, anstatt uns wie Untergebene zu scheuchen?“, er blickte Dragoon ernst an. „Du warst ja schon immer ein eitler Gockel, aber vor wenigen Jahren noch, hättest du niemals solche Worte in den Mund genommen. Nicht uns gegenüber.“ „Als würdest du nicht auch ständig auf deine Stellung pochen.“ „Aber doch nicht unter Freunden!“, klagte Driger. „Natürlich weiß ich ob meiner Position hier. Doch wir sind die Uralten. Wir sind jenes Quartett, welches schon seit Millionen von Jahren, die Geschicke dieser Welt lenken. Diese Welt haben wir zusammen erbaut!“ „Da hast du Recht.“, stimmte Dragoon leise zu. „Wir sind ein Quartett.“ Er nickte mit lauerndem Blick, zu dem kläglichen Bündel, was so schlaff in Drigers Armen ruhte. „Das schließt sie aber aus, oder?“ Sein Gegenüber blieb stumm. Es schien die Antwort zu sein, welche er erwartet hatte. „Dachte ich es mir.“ Driger nahm einen tiefen Atemzug. Seine Nüstern blähten sich dabei. Eine bedrohliche Stimmung lag in der Luft und intuitiv spürte Tyson, dass es bis zur Eskalation nur noch ein schmaler Grat war. Er spähte zu Allegro, der es bewerkstelligt hatte, sich bis zum Hinterteil unter Dragoon hervorzuziehen. Seine länglichen Füße stemmten sich gegen die Sohle, um nun auch den Oberkörper zu befreien. Dann war da noch Galux… Ihretwegen saß sie nun in der Patsche. Er hatte ein schlechtes Gewissen dabei, die beiden sich selbst zu überlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Inzwischen setzte Driger das malträtierte Katzen Bit Beast sachte auf dem Boden ab. Tyson überraschte mit was für einer Zärtlichkeit er das tat. Er strich ihr behutsam mit den großen Händen durch das Fell, als wäre Galux eine zerbrechliche Kostbarkeit. Da schien es mehr zwischen ihnen zu geben. „Mag sein dass sie keine Uralte ist. Doch ihre Arbeit verrichtet sie stets vorbildlich. Ich werde Galux nicht töten, falls es das ist worauf du hinaus willst. Die Jungen haben sich ohnehin gegen eine Heimkehr entschieden. Damit kann sie auch dieses Versprechen nicht einhalten. Sie ist keine Gefahr mehr…“ „Gut.“, Dragoon klatschte mit einem Lächeln in die Hände. Es lag etwas Verschlagenes darin. „Dann geben wir deiner Liebsten doch einfach die Möglichkeit der Rehabilitation. Sie muss den Bann von ihrem Menschenkind nehmen. Sofort! Dann sehe ich von ihren Verfehlungen ab.“ Galux zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Sie schüttelte den Kopf und blickte aus panischen Augen zu Driger auf. „Das kann ich nicht! Wer weiß was er mit meinem Kind anstellt?!“ „Sie scheint nicht sehr kooperativ.“, merkte Dragoon amüsiert an. „Warum willst du das überhaupt?“, fragte Driger argwöhnisch. „Ich dachte das Thema wäre vom Tisch. Du hast doch selbst gemeint, dass der alte Großvater dich nicht mehr schert.“ „Ich brauche ein kleines Lockmittel um Dranzer aus dem Versteck zu locken. Sie treibt sich in der Menschenwelt herum und sinnt auf Rache. Da dachte ich mir, weshalb ihr nicht Kais Schwester als Happen anbieten. Das geht aber nicht, da deine Perle einen Bann über die Angehörigen der Kinder gelegt hat.“ „Dranzer lebt?!“, keuchte Tyson auf. Er spürte wie Maxs stützende Finger sich auf seinen Schultern verkrampften. Diese Hiobsbotschaft gab ihm die Kraft sich aufzustemmen, auch wenn er noch immer einen stechenden Schmerz im Brustkorb fühlte. Er schmeckte Blut in seinem Mund. „Mach langsam. Der Hieb sah übel aus.“, ermahnte ihn Max. Doch er ignorierte dessen Einwände und rief Dragoon entgegen: „Du kannst Jana nicht als Lockvogel missbrauchen!“ „Mit Speck fängt man Mäuse.“, sein Bit Beast würdigte ihn keines Blickes und wandte sich mit einem unschuldigen Ausdruck Galux zu. „Und? Das Hiwatari Mädchen dürfte dir doch egal sein. Ihr hast du keinen Schwur geleistet. Also was spricht dagegen?“ „Das ist aber nicht richtig!“, begehrte sie heftig auf. „Ich werde mein Bestes tun, damit der Kleinen kein Haar gekrümmt wird.“, beteuerte Dragoon mit einem achtlosen Schulterzucken, dass seine Worte Lügen strafte. Dann huschte ein träges Lächeln über sein Gesicht. „Allerdings können Kollateralschäden nicht ausgeschlossen werden. Sowas kommt einfach vor.“ Es war eine Falle. Dragoon suchte nach einem Grund um Galux der mangelnden Loyalität anzuklagen. Sobald sie den Bann aufhob, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Dranzer sich auf die Suche nach Jana machte. Da Mariah bei ihr war, würde sie ins Kreuzfeuer geraten und das würde Galux niemals riskieren. Dragoon wusste das. Er hatte gar nicht vor sie am Leben zu lassen. Das begriff nun auch Driger. Sein massiger Stiefel schob sich schützend vor das Katzen Bit Beast. „Lass mich Dranzer suchen. Ich bringe sie zur Besinnung.“ Es war ein verzweifelter Versuch die Wogen zwischen ihnen zu glätten. „Der ist nicht mehr zu helfen. Das hübsche Kind hat einen Dachschaden.“ „Ich bin wie ein Vater für sie. Auf mich wird sie hören.“ „Ha!“, entfuhr es Dragoon. „Du hast sie mit deiner Erziehung doch erst so verkorkst!“ „Sie ist perfekt geraten!“, verteidigte sich Driger mit donnernder Stimme. „Such nicht ständig bei mir den Grund für ihre Abneigung gegen dich! Sie hat tausend Gründe um dich nicht ausstehen zu können!“ „Perfekt ist etwas anderes…“ „Ich hatte dich ermahnt sie besser zu behandeln. All der angefressene Zorn von ihr, ist doch nur da, weil du sie unterdrückt hast! Einen Vogel sperrt man nicht in einen Käfig. Man lässt ihn fliegen, so wie es sich gehört!“ „Soll ich mit meinen Untergebenen so nachlässig umspringen wie du?“, Dragoon deutete auf Galux. „Da siehst du was es dir beschert hat! Eine kleine Verräterin aus der Unterklasse, die dich selbst jetzt noch, fest um den Finger gewickelt hält. Es gab Zeiten, da wärst du am strengsten von uns allen, mit deinen Untergebenen ins Gericht gegangen. Aber du hast erschreckend nachgelassen!“ „Verzeih wenn ich keinen Wert auf deine Ratschläge lege. Immerhin hat deine Partnerin das Weite gesucht, nachdem du ihre Schwester in die Eiswelt verbannt hast!“ Dragoons Blick wurde kalt. Seine Mimik starr. „Wag es nicht mir mit dieser alten Kamelle zu kommen.“, zischte er bedrohlich. „Mach lieber was sich für einen Uralten gehört. Bring die Verräterin um!“ „Nein!“, flüsterte Max erschrocken aus. Scheinbar hatte Driger in seiner Wut, einen wunden Punkt getroffen und sein Gegenüber ging damit nicht sonderlich tadelhaft um. Geradezu furchtsam verbarg sich Galux hinter dem Stiefel ihres Beschützers. Tyson musste inzwischen an Wolborg denken. Erneut plagte ihn die Frage, was in seinem Bit Beast vorging. Weshalb hatte er die Schwestern so kaltblütig getrennt? Dieser Vorfall schien eine tiefe Kluft zwischen ihm und Dranzer aufgerissen zu haben, die nun auch auf die anderen Uralten übergriff. Ihm war als hätte sein Bit Beast zwei Seiten. Eine die geradezu übermütig und verspielt war, während die andere kaltblütig und eisern an seinen Prinzipien festhielt. „Ich werde Galux nicht töten.“, sprach Driger inzwischen entschlossen. „Verlang von mir Dranzer zu beschwichtigen oder die Kinder in der Irrlichterwelt zu halten. Doch diesen Befehl kann und will ich nicht ausführen.“ „Dann mache ich es.“ „Du wirst die Finger von ihr lassen!“ „Interessant. Ray und du… Ihr gleicht euch wie ein Ei dem anderen.“ Perplex blinzelte die Runde über diese Aussage. Tyson hätte seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sein Freund nicht einmal ein Drittel von Driger besaß. Dieser Meinung schien auch dessen Bit Beast zu sein. „Vergleich mich nicht mit diesem treulosen Bengel!“, geradezu erbost stampfte er mit dem Fuß auf, dass die Erde unter seinem Tritt bebte. „Du hast kein Recht mir mangelnde Loyalität vorzuwerfen! Seit jenem Tag, an dem du an die Macht gekommen bist, war ich dir ein treuer Berater. Deine Befehle habe ich ausgeführt und deine wankelmütigen Launen ertragen! Ich bin ein Bit Beast von Ehre das seine Schwüre hält. Ray dagegen hat meine Gnade abgetan, sobald er Erwachsen wurde. Ich habe mein Bündnis mit ihm Ernst genommen, während er es mit den Füßen getreten hat! Für den Jungen bin ich bis ans Äußerste gegangen, doch sobald er das Mädchen geheiratet hat-…“ Driger stockte. Die katzenhaften Pupillen wurden groß. Sein Gegenüber feixte nur, als die Erkenntnis über ihn kam. „Ja? Sprich nur weiter…“ „Das ist nicht dasselbe.“, dementierte Driger vehement. „Oh ich finde schon.“, Dragoon kickte Allegro unter seiner Sohle weg. Er rollte fluchend über den lehmigen Boden. „Mieser Schuft!“, empörte sich die Maus. Doch Tysons Bit Beast überging ihn. „Lass uns mal nachdenken. Zweifelsohne warst du mir lange Zeit treu was deine Dienste betraf. Genau wie Ray dir gegenüber. Du warst mir ein guter Gefährte. Das trifft ebenfalls auf Ray zu. Doch dann kommt dieses zarte Wesen zu deinen Füßen daher…“, er beugte sich vor und fokussierte Galux mit einer gehörigen Portion Hohn. Die duckte sich unter seinem Blick und ging hinter Drigers Beinen in Deckung. „Und schon ist dein Pflichtgefühl dahin. Genau wie Ray dich abgeschoben hat, sobald er seine kleine Mao kennenlernte, oder täusche ich mich da?“ „Bit Beast lieben nicht. Allein deshalb ist es nicht dasselbe!“ „Wir sollten es nicht. Es verblendet uns. Und unsere Seelen sind ohnehin nicht dafür konzipiert.“ Tyson stutzte über diese Bemerkung. Weshalb sollten Bit Beast nicht lieben können? Die letzten Tage war er Zeuge so vieler Widersprüche geworden. Da war Allegro, der trotz seines Ranges und der Feigheit seiner restlichen Sippe, komplett anders geraten war. Er musste an Dranzer denken, die mit ihrer erdrückenden Liebe zu Kai, doch ein weiteres Beispiel gab, dass diese Aussage nur falsch sein konnte. Und jetzt fügte sich noch Driger mit in die Reihe ein… „Selbst wenn es so wäre was ist daran so verkehrt?“, rief Tyson aus. „Wir sollten uns nicht einmischen?“, zischte Max ihm zu, der dabei gewesen war, Allegro mit einem hektischen Handzeichen zu verdeutlichen, näher heran zu kommen. Sicherlich schwebte ihm eher vor, die Strommaus zu packen und davon zu rennen. „Davon versteht ihr Menschen nichts.“, entgegnete Dragoon gleichgültig. „Als wüsstest du was einen Menschen bewegt!“, konterte er verächtlich. „Genug davon!“, donnerte die Stimme seines Bit Beasts durch den Dschungel. Er hob den Finger in einer Drohgebärde. „Ich werde dich jedes deiner frechen Worte, die nächsten Jahrhunderte bereuen lassen! Du wirst keine Nacht schlafen können, ohne Angst haben zu müssen, dass du während dem Schlaf, von einem meiner Untergebenen verschlungen wirst!“ „Warum machst du es nicht selbst?“, forderte ihn Tyson heraus. Damit hatte er es geschafft, dass Dragoon ihn einen Moment verdutzt anstarrte. „Du kannst es nicht!“, lachte er ihm hämisch ins Gesicht. „Weil du als mein Bit Beast geschworen hast, mich zu beschützen! Ihr Bit Beast nehmt dieses Versprechen nämlich verdammt ernst, nicht wahr? Und dann machst du Galux Vorwürfe, weshalb sie Mariah beschützt? Du Heuchler! Dir sind doch genauso die Hände gebunden wie ihr!“ Das schien auch Driger zu denken, denn während sein Gesicht ihm zugewandt war, schielte er aus den Augenwinkeln doch zum anderen Uralten. „Du musstest Dranzer davor bewahren mich zu töten, als wir Kai aus dem Anwesen gerettet haben und auch Zeus hast du meinetwegen abgeschmettert! Alles wegen diesem Schwur! Und doch stehst du hier und klagst sie an! Wahrscheinlich würdest du mich liebend gerne jetzt in der Luft zerreißen, aber selbst das kannst du nicht machen!“ „Glaub mir. Der Wunsch drängt sich mir immer weiter auf.“, grollte Dragoon ihm düster zu. „Oh Gott, Tyson. Was tust du da?“, versuchte Max ihm flüsternd einzuhalten. Doch ein Plan hatte sich in seinem Kopf geformt. Er wandte sich direkt an Rays Bit Beast. Es war das einzige Wesen, was ihnen noch aus ihrer miserablen Lage helfen konnte. Doch nun bedurfte es Redegewandtheit und die besaß Tyson - wenn er wollte. „Warum lässt du dir Vorwürfe machen? Er sagt du wärst wie Ray und weißt du was? Das ist vollkommen in Ordnung! Es hat einmal einen Grund gegeben, weshalb du ihn als Kind ausgesucht hast. Wahrscheinlich genau deswegen! Weil ihr beide dieselbe Moral habt und auch den Wunsch hegt ein Beschützer zu sein. Es ist nichts Falsches daran, für diejenigen einzustehen, die einem am Herzen liegen! Wärst du lieber wie Dragoon? Was ist überhaupt so schlecht daran zu lieben!“ „Bit Beast sollten das nicht. Wir haben in dieser Welt unsere Funktion und die sieht nicht vor, uns mit einem einzigen Wesen zu befassen. Das sind jene Worte, die du auch Dranzer eingebläut hast! Es lenkt uns ab und lässt uns schwach werden. Willst du das, Driger?!“, war Dragoons herrisches Gegenargument. „Wer erzählt so einen Mist? Wer stellt solche Regeln überhaupt auf?“ „Es gibt sie schon seit Urzeiten. Empfindungen schwächen das Urteilsvermögen. Und die Schwachen werden gefressen!“, knurrte Dragoon und wandte sich seinem Verbündeten aus zornigen Augen zu. „Wie oft hast du mir diesen Satz in unserer Jugend vorgehalten! Willst du wirklich die alten Normen mit den Füßen treten? Es fängt mit den Strommäusen an, dann folgt Galux und schon tanzen uns die restlichen Unterklassen auf der Nase herum!“ Es entbrannte zwischen ihnen ein hitziges Wortgefecht, dessen Ziel es war, den unschlüssigen Uralten, auf die jeweilige Seite zu ziehen. „Na vielleicht wird es auch Zeit dafür! Wenn diese Normen wirklich so alt sind, brauchen sie endlich mal ein Upgrade. Ihr könnt nicht so leben, wie vor Millionen von Jahren, während die Welt um euch herum sich immer weiter wandelt!“ „Die Natur wandelt sich nie.“ „Blödsinn! Nichts ist so beständig wie der Wandel!“, schnitt Max Stimme nun auch dazwischen. „Das nennt sich Evolution! Aber das ist nicht das einzige Beispiel. Ein Umdenken der alten Regeln ist in jeder Lebenslage mal notwendig!“ Er schien begriffen zu haben worum es Tyson wirklich ging. „Weißt du dass es für euren Fall ein sehr gutes Beispiel gibt, Driger? In unserer Welt gibt es nämlich viele Religionen und eine davon ist das Christentum. Meine Familie gehört ihr an. Jedenfalls sind alle Geschichten und Regeln, in einem Buch zusammengefasst, das sich die Bibel nennt. Vor Hunderten von Jahren war dieses Buch das Lehrbuch schlechthin, für jeden Gläubigen. Zur damaligen Zeit haben die Menschen einfach etwas gebraucht, was ihnen einen Leitfaden, in einer chaotischen Welt bietet. Doch heute ist so vieles anders geworden und viele Regeln darin, sind veraltet, manchmal auch zu grausam und überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Was tut man also? Man überdenkt manche der Passagen und stellt sie in Frage. Und das musst du jetzt auch tun!“ Maxs flehender Blick lag inzwischen auf Rays Bit Beast. Tyson war dankbar um dieses Beispiel, denn es hätte nicht besser treffen können. „Oh bitte!“, empörte sich Dragoon fassungslos. „Willst du wirklich auf dieses Gewäsch eingehen? Was haben wir mit den dummen Fabeln der Menschen am Hut! Allein dieses Buch, lässt sie seit Jahrhunderten gegenseitig die Köpfe einschlagen!“ „Weil es Menschen von deinem Charakter gibt, welche genau wie du, zu viel Angst vor einer Veränderung haben!“, klagte Tyson ihn an. „Du bist ein Feigling! Du fürchtest dich vor den möglichen Konsequenzen, die folgen könnten, wenn man die Regeln lockert.“ „Halt deinen Mund!“, brüllte Dragoon urplötzlich. Seine Augen glühten auf und der Himmel zog sich erneut unheilvoll zu. Die Nacht wurde pechschwarz, da die Wolken den Mond verdeckten. „Bring die Verräterin um! Los, Driger!“ Der Befehl wurde geradezu gebellt. „Niemand macht dir Vorwürfe dass du Galux beschützen willst!“, kämpfte Tyson gegen den aufkommenden Wind an. „Aber was du Ray angetan hast, war dafür umso unfairer! Du hast in dem Moment dasselbe getan, was Dragoon jetzt tut! Er verurteilt Galux für eine Sache, die er nicht anders gemacht hätte und du verurteilst Ray für den Wunsch, seine Frau zu schützen, obwohl du dasselbe jetzt für Galux tust!“ „Er ist mir Rechenschaft schuldig!“ Eine Windböe hob Tyson fast von den Sohlen. Doch Dragoon konnte ihn nicht töten. Das wusste er jetzt endlich… „Bitte Driger, du musst ihn von diesem Parasiten erlösen! Er hat das nicht verdient, genauso wenig wie du es verdient hast, das Wesen töten zu müssen, dass du doch so offensichtlich liebst! Wegen ein paar Regeln, die schon lange nicht mehr zeitgemäß sind, willst du sie auf sein Geheiß töten?“ „Halt dich da raus!“, rief ihm Dragoon entgegen. Da fühlte Tyson bereits wie ihm die Luft abgeschnürt wurde. Sein Atem wurde erstickt, weil die Wahrheiten die er sprach, nicht in das Weltbild seines Bit Beasts passten. Er sah Dragoons Hand, deren ausgestreckte Finger gnadenlos in seine Richtung deuteten. Doch insgeheim ahnte Tyson, dass es nur eine Einschüchterungstaktik war. Es war nur eine Frage der Zeit, dann müsste sein Bit Beast von dieser Folter ablassen – weil es nicht weiter gehen konnte. Tyson würde jedenfalls nicht vor ihm betteln! Ihre Blicke trafen sich. Er stierte standhaft in das Augenpaar seines Bit Beasts, das ihn ebenso eisern fokussierte, bis ein boshaftes Grinsen über Dragoons Lippen huschte. „Mag sein das ich dich nicht töten kann.“, erriet er seine Gedanken erschreckend präzise. „Aber wie sieht es mit deinen Freunden aus? Soll ich dieses Mal den armen kleinen Kai härter rannehmen?“ Tysons Augen weiteten sich bei diesen Worten. Er sah bereits die reptilienhaften Pupillen zu dem Kind huschen, genauso wie Max, der sich schützend vor Kai aufstellte, als könne er das Bit Beast damit von seinem Versuch abhalten. Da schnellte aber ein hellgrüner Blitz hervor. Er schlug in Dragoons Hand ein, der sie mit einem schmerzvollen Zischen zurückzog. Seine spitzen Eckzähne lugten hervor, als sein Kopf knurrend zum anderen Uralten schnellte. Augenblicklich kehrte Tysons Atem zurück. Er schnappte gierig nach Luft. „Dann ist deine Entscheidung damit also gefallen.“, hörte er Dragoon kalt sprechen. „Allerdings… Weil ich genug von dir habe!“ Drigers Haltung straffte sich, während Galux zwischen seinen Füßen ehrfürchtig zu ihrem Beschützer auf blinzelte. In jenem Moment schien sie eher einem scheuen Kätzchen gleich. Tyson sah Rays Bit Beast die Zähne bedrohlich fletschen. Erst als Galux sich furchtsam an sein Bein schmiegte, blickte er an seinem Körper herab, in ihr saphirgrünes Augenpaar. Die Zuneigung welche beide füreinander empfanden, war geradezu greifbar und was immer Driger zu diesem Zeitpunkt durch den Kopf ging, ihr Anblick ließ ihn tatsächlich eine Entscheidung fällen. Tyson beobachtete wie der Uralte die Brauen tief ins Gesicht zog. „Geh!“, zischte er an Galux gewandt. Sie starrte ihn an. „Na los geh!“ „Sie geht nirgendwo hin!“ „Wenn du sie töten willst, wirst du an mir vorbei müssen!“, brüllte Driger seinem ehemaligen Verbündeten zu. Max fuhr erschrocken zusammen, als die ersten Blitze um den Uralten herum zur Seite stoben. Ein Kampf schien sich anzubahnen. Drigers rechter Stiefel kam langsam in Bewegung. Mit sanfter Gewalt schob er Galux von sich weg. Eine stumme Aufforderung seinem Willen nachzukommen. „Du bist nicht mehr derselbe wie vor dem Kampf der Uralten! Seit du den Thron bestiegen hast, erkenne ich dich kaum wieder. Du bist arrogant, selbstherrlich und machthungrig geworden!“ „Und wenn es so ist, dann liegt es an all den verfluchten Verrätern, um mich herum!“, fauchte Dragoon ihm seinen gesamten Zorn entgegen. Er hielt sich die verwundete Hand, von welcher sich ein dünner Rauchfaden emporhob. „Erst Dranzer, dann ihre vermaledeite Schwester, dann Takao… und jetzt auch noch du! Was stimmt denn mit euch allen nicht?! Dir habe ich mehr vertraut, als allen anderen und nun hintergehst du scheinheiliger Mistkerl mich auch noch!“ Sein Gesicht war eine Maske aus purer Enttäuschung und Hass. Die Drachenschuppen in seinem menschlichen Körper, pressten sich erneut gegen die obere Hautschicht. Bald würde der Drache wieder aus seiner provisorischen Hülle ausbrechen. „Die Verräter geben sich hier ja geradezu die Klinke in die Hand! Ich habe euch alle sowas von satt! Gerade du hast es nötig, mir mit deiner fragwürdigen Moral, von Güte und Ehre zu kommen! Ausgerechnet du?!“ „Was hat diese Unterstellung zu bedeuten?“ „Das weißt du genau!“ Auch die Gruppe begriff, dass mehr hinter Dragoons Worten steckte. Ein offener Vorwurf schwang in seinem Satz mit. Doch nun formte sich ein Trichter aus den Wolken, der sich bedrohlich seinen Weg zu ihnen hinab tastete. „Eine Windhose!“, erkannte Max panisch. „Tyson wir müssen weg! Schnell!“ Auch der begriff, dass sie wirklich andere Probleme hatten. „Wir brauchen aber Galux!“, rief er seinem Freund entgegen. Sie war noch immer kaum von der Stelle gewichen. Ihr Blick lag sorgenvoll auf Driger. „Bitte lass es! Er könnte dich töten!“, hörten sie Maos Bit Beast drängend zu ihm hinauf rufen. „Bitte tu das nicht! Lass uns wegrennen!“ „Auch wenn ich dich für deine Hingabe liebe, kränkt es mich noch immer, wenn du glaubst ich wäre so leicht zu töten.“, grinste der aber in jenem Moment, mit seinen raubtierhaften Zügen. Etwas schienen ihr diese Worte zu sagen. Tyson sah, wie sie ihr Gesicht gequält verzog und Galux Augen in Tränen zu schwimmen begannen. „Oh bitte…“ Doch Driger wandte sich nun den Jungen zu. „Geht! Und nehmt Ray mit! Galux hat meine Erlaubnis ihn zu heilen! Von meiner Seite aus, müsst ihr nicht länger in der Irrlichterwelt bleiben. Ich erteile euch freies Geleit.“ Tyson vernahm ein glückliches Jauchzen von Max. Er selbst wäre am liebsten vor Freude in Tränen ausgebrochen. Doch der Wolkenschlauch griff über ihnen bereits durch die Blätterdecke. Das Laub wurde förmlich hinauf gezogen und ihm wurde klar, dass es höchste Zeit war, den Schauplatz schnellstens zu verlassen. Er spürte einen Sog, der ihn hinauf ziehen wollte. „Beweg dich Galux!“, bellte Driger ihr nun entgegen. Die Sorge um sie, ließ seine Worte schroffer werden. „Ich will dich nicht in der Nähe haben wenn es losgeht!“ „Bitte bleib am Leben! Bitte komm zu mir zurück!“, flehte Galux ihn noch einmal verzweifelt an. Dann erst wandte sie sich endlich ab. Pfeilschnell huschte sie auf die Gruppe zu. Ihre glimmende Gestalt hüpfte über einen Fels und kam vor ihnen zum Stehen. Dann peitschte ihr langer Schweif um Tysons verletzten Arm. Er zog scharf die Luft ein, packte jedoch mit der anderen Hand nach Kais Kragen. „Greif nach Max!“, schrie er durch den lärmenden Sturm. Die Blätter rauschten hinter ihnen und die ersten Bäume kippten knackend zur Seite. „Und halt ihn so fest du kannst! Hörst du!“ Kai nickte, umfasste die gesunde Hand ihres Freundes, da kam auch schon Bewegung in die Gruppe. Galux zerrte sie vom Sog weg. Der Schmerz um Tysons Arm ließ nach. Ihr Körper fühlte sich merkwürdig angenehm an. Wie ein wohltuendes Kräuterbad und sie duftete auch geradezu nach ätherischen Ölen. Ihm stieg ein Geruch in die Nüstern, der ihn stark an Lavendel erinnerte. Zu ihren Seiten erspähte er kleine Blitze die aus den Büschen stoben. Der Teil von Allegros Verwandtschaft, der hier angesiedelt war, lief auch schon eiligst davon. „Schnell weg!“, hörte er eine Gruppe Feldmäuse rufen. Sie verschwanden in der Dunkelheit der Nacht. „Wir müssen Ray finden! Ohne ihn gehen wir nicht!“, stellte Tyson noch einmal durch den Lärm hinweg klar. „Das werden wir auch nicht.“, antwortete Galux. „Das ist ein Versprechen!“ * Mariah fand ein Kartendeck in ihrem Koffer. Als die Wartezeit unerträglich wurde, hatte sie begonnen, ihre Kleidung in den Schrank einzuräumen. Es war bedrückend nicht hinaus zu können, doch sie hatte Galux ihr Wort gegeben, sich nicht aus dem Zimmer zu bewegen. Doch drei Leute, auf gerade mal fünfundzwanzig Quadratmeter, empfand sie als äußerst beengend. Einige Male musste sie deshalb mit Mr. Kinomiya diskutieren. „Ich muss nachhause! Sieh mich doch mal an wie ich herumlaufe, Kleines. Außerdem muss ich diesen Hornochsen auf der Präfektur klar machen, dass mein Enkel nicht versucht hat mich zu ermorden.“ „Das verstehe ich ja, aber gedulden sie sich heute noch. Und ihre Kleidung ist doch nun wirklich das geringste Problem.“, sie hatte ihm ihre Tagesdecke gereicht. Seit sie schwanger war, wurde ihr schnell kalt. „Hier. Die können sie haben, wenn es ihnen so unangenehm ist.“ „Ich nehme doch einer Schwangeren nicht die Decke weg. Soviel Anstand muss sein.“ Mariah zuckte mit den Schultern und teilte die Karten aus. Um ehrlich zu sein hatte ihr Mr. Kinomiya bisher mehr Schwierigkeiten bereitet, als Kais kleine Schwester. Die war ein wahrer Goldschatz. Sie hatten sich vor einer Stunde eine Pizza aufs Zimmer liefern lassen. Während dem Essen sprang Jana plötzlich auf und tanzte wie verrückt vor dem Fernseher, als Taylor Swift mit „Shake it off“ spielte. Sie schien vergessen zu haben, dass sie nicht alleine war. Es kümmerte sie auch gar nicht, dass sie dabei beobachtet wurde, lieber ahmte sie etwas tollpatschig, aber dafür zuckersüß die Bewegungen nach. Beide Erwachsenen vergaßen für einen Moment ihre Sorgen und sie konnten nur noch lauthals lachen, dabei klatschten sie, um das Mädchen zum Weitermachen zu animieren. Als Jana fertig war, strahlte sie und entblößte eine kleine Zahnlücke. „War gut?“, wollte sie mit ihrem hellen Stimmchen wissen. Mariah lächelte ihr zu. „Einfach Spitze.“ Das Kind faltete die Händchen selig vor dem Oberkörper und wiegte sich freudestrahlend, von einer auf die andere Seite. Man konnte sie wohl schnell glücklich stimmen. Insgeheim fragte sich Mariah aber, woher ihre Frohnatur herrührte. Es konnte nicht an Kai liegen… Sie hatte ihn durch Ray zwar näher kennengelernt und auch im Grunde als wirklich anständig empfunden, doch das er zu Ernst war, ließ sich nicht von der Hand weisen. Sie hoffte dass Jana ihrem Bruder, was das betraf, nicht nacheiferte, auch wenn sie ihn mit den Jahren wirklich angefangen hatte zu mögen. Dabei dachte sie daran was sie zu Anfang von ihm hielt - es war nicht gerade nett gewesen. Ihr Urteil über Tyson und Max war da weitaus gnädiger ausgefallen, denn es war leichter sich über jemanden eine Meinung zu bilden, wenn er etwas aus sich herausließ, als wenn er sich nur wortkarg abwandte. Ray hatte ihr zwar ständig versichert, dass Kai einen sehr guten Kern besaß, doch Glauben schenkte sie dieser Behauptung erst, als ihr Dorf durch einen erneuten Erdrutsch, ihres Trinkbrunnes beraubt wurde. Es war ein Desaster gewesen, denn zu jener Zeit, besaßen die wenigstens Häuser eine direkte Verbindung zu den Wasserleitungen. Das war die Kehrseite wenn man in einem abgeschiedenen Bergdorf wohnte, welches noch an den Traditionen von vor hundert Jahren hing. Ray und sie waren frisch verlobt, Max war noch nicht in die USA ausgewandert und Kai hatte gerade seinen verstorbenen Großvater in der Firma abgelöst. Sie wusste noch, wie ihr Mann betrübt einen Brief an Tyson verfasste und ihm darin mitteilte, dass er leider nicht zu ihrem Treffen nach Japan kommen konnte, da er bei den Aufräumarbeiten helfen wollte. Irgendwie musste das Unglück des Dorfes die Runde gemacht haben, denn zwei Wochen darauf, bat ein Vertreter einer Baufirma aus Japan, um eine Unterredung mit ihrem Dorfältesten. Er wollte für eine Werbekampagne beim Wiederaufbau helfen und verlangte lediglich dafür, einige Fotos schießen zu dürfen, um sie in einem Projektkatalog für seine Kunden aufzuführen. „Ein paar lächelnde Gesichter dort, ein paar Kinder die glücklich in die Kamera winken hier, und die Kundschaft ist tiefberührt vom sozialen Engagement unserer Firma.“, hatte der Vertreter sich begeistert dazu geäußert. Sein Ziel war es die Trinkwasserversorgung zu sichern und das Fundament der Häuser zu stärken, außerdem sollte auch endlich eine Anbindung an das Kommunikationssystem erfolgen. Mariah wusste noch wie sie jubiliert hatte, denn das hieße endlich, dass man nicht in die nächste Ortschaft laufen musste, nur um ein Ferngespräch zu führen. Ray hatte sein Glück kaum fassen können, war aber, genauso wie ihr Bruder, skeptisch gegenüber diesem Angebot, denn es kam ihm viel zu wohlwollend vor. Dennoch schlug ihr Ältester, in Anbetracht der misslichen Notlage ein und bat Ray und Lee, dem Mann bei den Vermessungen und anderen Beratertätigkeiten beizustehen. Eines Tages kamen die beiden, mit einer Infomappe des Vertreters, zu ihnen nachhause und studierten die Grundrisszeichnungen die er entworfen hatte. Da der Weg in ihr Dorf beschwerlich gewesen war, stand der Mann unter Zeitdruck, denn er musste zur nächsten Ortschaft fahren, um seinen Vorgesetzten Auskunft, über die Zustimmung des Dorfältesten zu erteilen und die ersten Bestellungen, für das Baumaterial, ins Rollen zu bringen. Man hatte bei ihnen einen miserablen Empfang was das Handy anging, es war als lebte man in einem Funkloch. Die wenigsten von ihnen besaßen deshalb eines. Damals griff man noch auf den guten alten Briefbogen zurück. Also boten Ray und Lee dem Vertreter an, dass er seine Mappe doch bei ihnen lassen könne und sie ihm bei seiner Rückkehr, eine grobe Skizze, mit den Abmessungen gezeichnet hätten. Der Mann hatte ihnen freudestrahlend seinen Dank ausgesprochen und war eine Stunde später aufgebrochen. Die beiden waren den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen und als sie abends bei ihnen zuhause saßen, spähte Mariah neugierig über ihre Schultern hinweg und horchte mit. Diese Zukunftsmusik, die endlich Einzug in ihr beschauliches Dorf halten sollte, empfand sie als geradezu aufregend. Dabei fand die Gruppe zwischen den Plänen ein Dokument, das offenbar nichts bei den Zeichnungen zu suchen hatte. Es war offenbar das Schreiben eines Auftraggebers der Baufirma, was ihnen zunächst allen merkwürdig vorkam, da das Projekt doch angeblich nur der Öffentlichkeitsarbeit diente. Lee hatte das Blatt zuerst in den Händen gehalten. Seine Augen hatten sich geweitet. „Wie heißt Kai nochmal mit Nachnamen?“ Als Ray ihm etwas irritiert, über diese plötzliche Frage eine Antwort nannte, schob er das Blatt auf der Tischplatte, zu ihm herüber und tippte mit dem Zeigefinger auf das Firmenlogo. Zunächst blinzelte Ray perplex. Er nahm das Blatt in die Hand… Und las den Namen der Firma einmal laut vor: „Hiwatari Corp?“ Dann ein weiteres Mal… „Hiwatari Corp?!“ Er starrte verdutzt auf den Briefkopf. Danach auf die selbstsichere Unterschrift, welche dieses Schreiben abgesegnet hatte - bis die Erkenntnis ein breites Grinsen über seine Mundwinkel zauberte. Er strahlte in die Runde und meinte nur: „Das bleibt aber unter uns. Versprochen?“ „Aber wieso denn?“, Mariah wusste noch wie fassungslos Lee über Rays Worte war. „Er ist dein Freund! Und er hat unserem Dorf einen großen Dienst erwiesen! Wir müssen ihm doch wenigstens ein Zeichen des Dankes entgegenbringen!“ Zu ihrer beider Überraschung hatte Ray aber darauf nur den Kopf geschüttelt. Ein nachsichtiges Lächeln lag um seinen Mund und er hielt die Lider geschlossen. Diese heimliche Geste hatte ihn tief gerührt. „Er will das nicht. Sonst hätte er daraus nicht so ein riesen Geheimnis gemacht.“ „Das lässt meine Ehre nicht zu!“, hatte ihr Bruder die Brust gestreckt. „Ich will mich erkenntlich zeigen. Das ist das Mindeste!“ „Und genau das lässt Kais Ehre nicht zu. Er braucht keine Anerkennung und will sie auch nicht. Glaubt mir, ich kenne ihn. So ist er nun mal…“ Am nächsten Morgen überreichten beide dem Vertreter, die Mappe mit den Skizzen wieder. Während der Übergabe, fragte Ray mit einem unschuldigen Lächeln, ob er das Anschreiben seines Auftraggebers vermisse. Ihr Gegenüber wurde aschfahl und verbeugte sich vielmals. Gleichzeitig bat er darüber Stillschweigen zu bewahren. „Mein Mandant meinte er lege äußersten Wert auf Diskretion. Er wollte gar nicht das sein Name, mit diesem Bauprojekt in Verbindung gebracht wird.“ Ray versprach ihm daraufhin das Ganze als Ungeschehen zu betrachten. Ein Jahr darauf, als das Dorf wieder aufgebaut, sie endlich ihre Hochzeit feierten und die restlichen Bladebreakers dazu angereist waren, saßen sie in ihrem frisch fertiggestellten Häuschen, inmitten einer fröhlichen Runde. Ray hatte seine Freunde als Ehrengäste betrachtet und sie deshalb bei sich daheim einquartiert. Da er kaum noch Verwandtschaft besaß, schien es Mariah, als ob seine Ersatzfamilie im Haus sei. Zuvor ermahnte er aber Lee noch einmal, mit keinem Wort, das Thema mit dem Bauprojekt, anzusprechen. Sie wusste noch, wie verstimmt ihr Bruder gewesen war. Es widersprach seiner Ehre sich nicht bei Kai dafür erkenntlich zeigen zu dürfen. Das verging aber Recht schnell, als die ersten Schnapsflaschen geöffnet wurden. Es war ein wirklich lustiger Abend gewesen. Was hatten sie nicht alle gelacht… Tyson und Max hatten ganz schön was gebechert, irgendwann veranstalteten sie sogar ein Trinkspiel mit Lee, während Kai sich zum Schluss nur auf Tee beschränkte. Er hatte die Krawatte gelockert und sich die Schläfe massiert, da die Gruppe mit zunehmenden Alkoholpegel lauter wurde. Dennoch lag um seine Wangen eine leichte Röte, denn auch wenn er nur zur Hälfte asiatischer Abstammung war, machte sich Alkohol bei ihm ebenso deutlich bemerkbar, wie beim Rest der Gruppe – wenn auch nicht so heftig wie bei Kenny. Der hatte vielleicht ausgehen! Selbst unter seinem buschigen Haarschopf, sah man den angelaufenen Kopf. Die Röte begann beim Hals und war weitergewandert bis in die Wangen, bis er überall von Flecken übersät war. Er glühte wie eine rote Ampel und Mariah merkte, dass er überhaupt nichts vertrug, da der Chef als erster mit dem Lallen begann. Zum Schluss war jedes gesprochene Wort aus seinem Mund, nur noch ein schwerfälliges Kauderwelsch. Als sie Kai dagegen einschenkte bedankte er sich seriös. Sie merkte dass er wirklich viel Wert auf Etiketten legte. Offensichtlich kam da doch manchmal seine vornehme Erziehung bei ihm durch. Er hatte sich auch viel mehr zurückgehalten, als die restlichen Besucher. In ihren Augen schien er stets darauf bedacht, in jeder Situation seine stolze Haltung zu wahren. Vor allem die so typische japanische Distanz zu anderen Personen, stach ihr ins Auge, dabei hatte sie das immer für ein Klischee gehalten. Irgendwann im Laufe des Abends, als die Stimmung bereits ihren Höhepunkt erreichte, lallte Kenny gutgelaunt, dass er sich ihr Dorf ganz anders vorgestellt habe, denn die Fortschritte aufgrund des Bauprojektes, hatten das Leben hier viel angenehmer gemacht. Daraufhin erzählte Ray ihnen von der Baufirma aus Japan, ließ aber ihre geheime Entdeckung außen vor. Es überraschte Mariah wie talentiert Kai sein Pokerface aufsetzte. Man hätte meinen können, er habe tatsächlich nichts damit zu tun gehabt und er machte auch keine Anstalten, seine Mithilfe hervorzuheben. Er lauschte unberührt Rays Worten und bediente sich stillschweigend am Menü. Ihr wurde an jenem Tag klar, dass er kein Interesse daran besaß, sich in den Vordergrund zu drängen – und dass ihn so etwas auch eher in Verlegenheit brachte. Denn sobald Tyson hörte, dass eine japanische Firma der Auftraggeber gewesen sei, schnellte sein Blick zu ihm und er haute mit einem lauten "AHA!“ auf die Tischplatte. „Das war's du!“ Sein Finger richtete sich anklagend auf Kai. Der hatte sich gerade, von den frisch aufgetischten Tellern, etwas nehmen wollen. Wie vom Donner gerührt, verweilte er einen winzigen Moment, mit den ausgestreckten Essstäbchen zwischen den Fingern. Dann nahm er sich eine Portion und führte sein Schälchen ungerührt ans Kinn. „Ich weiß nicht was du meinst.“, sprach er gleichgültig. „Ach komm schon, das trägt deine Han… Handschrift!“, stolperte Tyson über das letzte Wort. „Du bist betrunken.“, kommentierte Kai lediglich trocken. „Un du bis Außen weich und Innen butterweich.“ „Da verwechselst du etwas.“ „Ja dann das andere. Innen hart, weich…“, etwas verwirrt versuchte er die richtige Reihenfolge zu finden, gab dann aber mit einer unwirschen Handbewegung auf. „Auf jeden Fall klingt das nach dir. Solche heimlichen Aktionen mach’s nur du. Das lieb ich an dir!“, fröhlich haute Tyson ihm auf den Rücken, das Kais Häppchen vom Stäbchen hopste. Mariah musste kichern, als es vor ihr, in Rays Glas landete. Ihr frischgebackener Ehemann schaute sie traurig an und schmollte ob des guten chinesischen Schnaps, für den sie zu diesem Anlass, doch so viel hingeblättert hatten. Kais Augen wurden zu Schlitzen und sie hatte sich amüsiert gefragt, wie lange er wohl diese Maskerade noch aufrecht halten wollte. Stattdessen sahen alle überrascht dabei zu, wie Tyson ganz unverfroren mit der Hand dessen Gesicht umfasste und herzhaft seine Wangen presste. Kais Augen waren im ersten Moment vor Schreck groß geworden, bis sie sich zu einem mörderischen Blick verzogen. „Seht ihn euch an! Is er nicht butzig? Will nich selbst für sich die Trommel rühren…“, ein Schluckauf unterbrach Tyson. Dann beteuerte er Kai: „Keine Sorge, ich mach das schon für dich!“ „Hör auf! Das ist ja peinlich was du hier treibst.“, riss der sich verärgert los. „Er war`s Ray!“, petzte Tyson ganz unverfroren. „Das is so typisch Kai. Unsre Primadonna is zu verklemmt, um mal ein paar Gefühle raus zu lassen!“ „So ein Blödsinn.“ „Er is sehr schüchtern, weiß du Mao.“, hatte er sich ihr gutgelaunt zugewandt. „Der arme Junge kann seine Ge… Gefühle nicht ausdrücken. Aber wir lieben ihn trotzdem.“ „Alles was er jetzt sagt, solltet ihr nicht auf die Goldwaage legen.“, Kai hatte neben ihm verärgert das Kinn angehoben. „Wenn er betrunken ist redet er Mist.“ „Ich liebe diesen Jungen!“, rief Tyson plötzlich geradeheraus und die Gruppe musste schallend lachen, als er den anderen Arm stürmisch um Kais Schulter warf und ihn herzlich an sich drückte. „Un ich steh dazu, verdammt!“ Der stöhnte nur genervt. Kai schien sich zu fragen, womit er das verdient hatte. „Reiß dich zusammen!“ „Ja Liebling.“ Es ließ die Gruppe erneut schallend lachen. Sie wusste noch wie Lee sich die Tränen weggewischte. Tyson hatte in der Zwischenzeit nach der nächstbesten Flasche gegriffen und sich summend eingeschenkt, wobei nur eine Hälfte des Schnapses es ins Glas schaffte, während er den anderen Teil großzügig über die Tischdecke verteilte. Dabei gerieten beide in Bewegung, doch von Kai ablassen wollte er offenbar auch nicht. Ray stöhnte als er die Verschwendung dieses edlen Tropfens mitansehen musste. „Pass doch auf! Hast du eigentlich nicht genug?“ „Nääh... Zum Wohl!“ „Dann trink und halt dabei wenigstens die Klappe.“ „Nein, ich muss dir jetzt nämlich mal sag´n… Das war wieder ein feiner Zug von dir!“, philosophierte Tyson und tätschelte Kai freundschaftlich die Wange. „Wie damals als mein Opa im Krankenhaus lag. Ich war richtig fertig mit den Nerven… Und Kai hat mich aus meinem Loch geholt.“ Ein kleines Hicksen ließ ihn kurz verstummen. „Er tut zwar immer, als ob er hart is, aber der Junge hat nen goldenen Kern…“ Mariah hatte belustigt gekichert, während Tyson sich trotz seines heftigen Schluckaufs, nicht davon abbringen ließ, ihnen von dem damaligen Erlebnis zu erzählen. Sie musste dabei mehrmals zu Kai schielen, der mit jedem Satz immer wortkarger wurde und erkannte zu ihrer Verblüffung, dass er tatsächlich ziemlich verklemmt war. Es war wirklich interessant, wie falsch sie mit ihrem ersten Eindruck bei ihm lag. Sie hätte nicht erwartet, dass gerade dieser abgebrühte Kerl, etwas wie Beschämung empfinden konnte. Dazu war er einfach zu selbstsicher aufgetreten. Nun kniff er aber mehrmals gequält die Augen zusammen, wenn Tyson ihn, mit einem verschwörerischen Grinsen, in die Seite stupste und presste die Lippen fest aufeinander, sobald er von seinem goldenen Kern schwärmte. „Wisst ihr, ich hab schon immer ge… gewusst, dass der Junge uns insgeheim liebt.“ Sie sah Kais Braue angespannt zucken. Offenbar besaß Tyson ein Talent dafür, dessen Fassade bröckeln zu lassen. „Wärs du ne Frau ich würd dich flach legen.“ Sie hörte ihn zischend ausatmen, während das Grölen wieder die Runde machte. Nun brannte sein Gesicht auch ohne Hochprozentiges lichterloh. Kenny kam aus dem Glucksen gar nicht mehr heraus und japste erstickt nach Luft. „Hört! Hört! Ihr würdet vielleicht ein Paar abgeben!“, rief Lee ebenso beschwipst und prostete Tyson zu. Dann hatte er sich lallend seinem frischgebackenen Schwager zugewandt: „Der Junge is stockbesoffen!“ Auch Mariah musste Grinsen, weil Kai Tyson kurz darauf vorwarf, sich einfach peinlich zu benehmen. Er solle mal ein wenig Rückgrat zeigen. Der quittierte das Ganze, mit der äußerst belustigten Bemerkung, dass Kai das bereits seit Jahren behauptete und dennoch mit ihm befreundet sei, woraufhin Kai grantig konterte, dass er sich die Kugel verpasst hätte, wenn er schon früher gewusst hätte, was bei einer Freundschaft mit ihm, auf ihn zukam. Tyson quittierte das Ganze mit einem übertriebenen Schmollmund, doch das Rollen mit den Augen, ließ sie ahnen, dass dieses Gespräch nicht zum ersten Mal zwischen ihnen stattfand. Ohnehin war es die reinste Wonne, die beiden in Aktion zu erleben. Ray hatte bereits ein paar Mal erwähnt, dass sie sich wie ein zankendes Ehepaar verhielten, sobald sie erst einmal mit ihren Sticheleien begannen, und sie prustete auch gleich darauf verhaltend in ihr Glas, als Tyson dem ganzen noch die Kirsche aufsetzte. „In deinem nächs´n Leben muss du ne Frau werden. Das wär mal ne geile Kombi…“ „Eher nicht.“, sie sah Kai mit den Zähnen knirschen, während seine Wangen brannten. „Warum nicht?“ „Ich bin russisch-orthodox und wir glauben – Gott sei Dank - nicht an Wiedergeburten.“ „Nääh, so en Stuss! Ihr Christen seid doch alle Banane im Kopf!“ Max hatte die Stirn für eine beleidigte Entgegnung von der Tischplatte gehoben, ließ den Kopf aber doch wieder erschöpft sinken. Offenbar war ihm das die Anstrengung nicht wert gewesen. Kurz darauf folgte eine amüsante Diskussion der beiden, in welcher sie mehrmals einen Blick zu ihrem Bruder warf. Beide hatten nicht erwartet, dass Tyson und Kai so miteinander umsprangen. Eher hätten sie gemeint, dass Tyson irgendwann vor seinem ehemaligen Teamleader einknickte - aber Fehlanzeige! Der Junge nahm sich überhaupt kein Blatt vor den Mund, obwohl Kai doch der Ältere war. Sie wusste noch, wie Ray ihr einen Arm um die Schulter legte und ihr grinsend ins Ohr hauchte: „Altes Ehepaar. Hab ich dir doch gesagt.“ Erst als Max verkündete dass ihm übel sei, ließ Tyson von seiner „großen“ Liebe ab und tätschelte seinen Freund aufmunternd über den Rücken. Kurz darauf beteuerte er ihm ebenfalls seine unendliche Zuneigung. Kai hatte lange auf die beiden geblickt, bis er seufzte und sich unangenehm berührt, dem frisch vermählten Paar zuwandte. „Ich kann mich bei euch beiden nur für dieses Trauerspiel entschuldigen.“ Doch Ray tat eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und entgegnete, dass er froh sei, sein neues Heim mit so viel Gelächter erfüllt zu wissen. Dann schenkte er Kai, Mariah und sich ein. Er hob sein Glas und meinte: „Ich bin einfach nur froh dass ihr hier seid. Und dass wir dich unseren Freund nennen dürfen.“ Ein verschwörerisches Augenzwinkern folgte. Zunächst hatte Kai ihn finster angeschaut, wahrscheinlich weil er befürchtete, dass Ray das Thema mit dem Erdrutsch, nun auch ausweiten wollte. Er ahnte welche versteckte Botschaft dahinter steckte und das die Katze nun doch aus dem Sack war. Sentimentalitätsbekundungen gehörten offenbar wirklich nicht zu seinen Stärken. Da hob Mariah auch ihr Glas und lächelte ihn freundlich zu. „Ja. Vielen Dank Kai. Du weißt gar nicht wie sehr du unserem Dorf damit geholfen hast.“ Sein ernsthafter Blick haftete noch lange auf ihnen. Doch dann hatte er verächtlich geschnalzt und dann doch zum Glas gegriffen. „Schon gut. Wenn ihr dann endlich Ruhe gebt… Damit ist das Thema dann aber endlich von Tisch, okay? Ich will nichts mehr darüber hören.“ Mariah strahlte als er durch die Blume hinweg eingestand, was allen mittlerweile schon längst klar geworden war und bemerkte voller Belustigung, wie unangenehm ihm das war. Er war tatsächlich etwas zurückhaltend, wenn es darum ging, seinen Freunden seine Zuneigung entgegenzubringen. Auch ihrem Mann entging das nicht. „Klar, ich weiß doch dass du kein Fan von Rührseligkeiten bist.“, Ray hatte sein Glas an den Mund gehoben und mit einem unschuldigen Grinsen hinzugefügt. „Tysons inbrünstige Liebeserklärung kann ich ohnehin nicht toppen.“ Kais giftiger Blick hatte sie beide auflachen lassen, doch da sie es ihm versprochen hatten, ließen sie von weiteren Anspielungen ab. Es war eine so schöne Feier gewesen und bis in die frühen Morgenstunden saßen sie beisammen. Die Gruppe hatte gelacht, gesungen und herumgealbert. Auch wenn die Strafe am nächsten Morgen auf dem Fuße folgte, als Kenny in die Toilette reiherte und somit feierlich das neue Haus einweihte. Doch Mariah hatte alles mit einem Lächeln hingenommen, denn es war schwer diese Truppe nicht lieb zu gewinnen - und Kenny hatte die Toilette ohnehin selbst saubermachen dürfen. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, dass diese Zeiten bald vorbei sein könnten. Ein Leben ohne ihren Mann konnte sie sich gar nicht vorstellen… „Mara, wann Kai wieder komme?“, wollte Jana plötzlich wissen. Die Frage hatte sie aus ihren Überlegungen gerissen. „Oh Spätzchen…“, bedachte sie das Mädchen traurig. Was würde aus ihr werden wenn die Gruppe tatsächlich nicht mehr Heim kehrte? Der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Es war nicht nur das Mitleid für das Kind, sondern auch die Aussicht Ray nie wieder zu sehen - und sie hätten sich noch nicht einmal versöhnt. Es waren so schlimme Worte zwischen ihnen gefallen. Ob es die Hormone waren oder doch der Druck der auf ihr lastete, plötzlich verschwamm ihr die Sicht. Sie räusperte sich um wieder Herrin über sich selbst zu werden. Krampfhaft versuchte sie den aufkommenden Tränenfilm wegzublinzeln. „Alles in Ordnung, Kindchen?“, fragte Mr. Kinomiya sorgenvoll. „Ja. Das sind die blöden Schwangerschaftshormone. Das passiert…“ Der gute Mann stand auf, um ihr die Box mit den Kosmetiktüchern, von der Kommode zu bringen. Sie nahm sie dankend entgegen und tupfte sich die ersten frechen Tränen weg. „Arme Mara. Nich weine!“, Jana legte den Kopf auf ihren Schoß und streichelte ihr Knie. „Alles gut. Ich da. Pass auf dich auf.“ Mariahs gerührtes Glucksen war tränenerstickt. „Du passt auf mich auf? Ehrlich?“ „Ja. Ich weiß wie geht!“, beteuerte das Mädchen ganz stolz. „So wie Kai immer zu mich sagt. Wenn ich weine er sagt alles werde gut.“, Jana tätschelte sanft ihr Bein. „Hat du Aua? Soll ich Fu mache?“ „Nein. Mir geht es gut kleiner Schatz.“, Mariah schnäuzte sich und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen wollte. „Kinder sind wirklich was feines.“, strahlte Mr. Kinomiya und verschränkte die Arme vor der Brust. Mariah erkannte in dieser Geste Tyson wieder. In jenem Moment wurde ihr klar, wie ähnlich er seinem Großvater war. Es schnürte ihr ein weiteres Mal die Kehle zu und sie ermahnte sich, vorerst nicht an die Gruppe zu denken. Ihr Gemütszustand machte dadurch nur einen steilen Schlenker abwärts. „Weißt du, wo immer die Grünschnäbel sich herumtreiben, die werden klar kommen.“ Sie nickte hoffnungsvoll. „Wir müssen einfach auf Galux vertrauen.“, irgendwie beschlich Mariah das Gefühl, als wollte sie sich mit diesen Worten eher selbst beschwichtigen. Ihr ungeborenes Kind trat kurz im Bauch und sie keuchte leise auf. „Galu Kuschelkatze.“, kommentierte Jana verträumt. „Hat flauschig Fell.“ Mariah kicherte leise über diesen kindlichen Gedankensprung, bis die Gruppe aufschreckte, als draußen vor dem Fenster das Scheppern von Blech zu ihnen hochschallte. Janas Kopf schoss hoch. Sie ließ sofort von Mao ab und rannte zur Scheibe, um ihr Gesicht schaulustig dagegen zu pressen. „Oh oh… Auto putt! Guck Opa!“ Die beiden Erwachsenen gesellten sich neugierig zu ihr. Draußen war ein PKW gegen eine Straßenlaterne gefahren. Scheinbar wollte der Fahrer einer Fußgängerin ausweichen, der gerade danach war, inmitten des Verkehrs einen Spaziergang zu machen. Sie hielt etwas in den Händen. Mariah konnte von hier oben nicht erkennen was es war, doch es leuchtete. Sie vermutete ein Lampion, denn es schien oval zu sein. Etwas an der Frau bereitete ihr Unbehagen, denn ihre Bewegungen wirkten merkwürdig. Ihre Schritte waren klein und schleifend. Sie machte sich auch nichts aus dem schreienden Fahrer, der mit hochrotem Gesicht aus dem Wagen stieg und sie zur Rede stellen wollte. Es machte den Anschein als wolle sie sich vom Unfallort entfernen, da rannte er ihr hinterher und packte sie am Oberarm. „Hiergeblieben! Das nehme ich nicht auf meine Kappe!“ Seine zorngeschwängerte Stimme hallte bis hinauf. Da machte Mariah eine weitere Gestalt aus, die in etwas größerem Abstand hinter der Frau heranschlurfte und nun aufholte. Er packte den Fahrer am Kragen und warf ihn rücklings auf den asphaltierten Boden. „Ui ui!“, hüpfte Jana klatschend auf der gepolsterten Fensterbank. „Kloppe!“ „Das sind bestimmt Betrunkene von einer Halloweenparty.“ Mr. Kinomiya presste genauso begierig das Gesicht gegen die Scheibe. Er schien sich das keinesfalls entgehen lassen zu wollen. „Herrlich so eine Rauferei. In meiner Jugend hättet ihr mich mal erleben müssen. Der rechte Haken der mich treffen konnte, musste erst noch geboren werden!“ „Also wirklich! Das ist nichts für die Kleine.“ Mariah zog die Vorhänge entschieden zu und ein langgezogenes „Oh!“ machte die Runde. Sie konnte kaum sagen wer von den beiden enttäuschter schaute. ENDE KAPITEL 30 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)