Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Von jetzt an war die Situation für Tyson klar. Ihre Bit Beasts machten tatsächlich jagt auf ihre liebsten Angehörigen. Nachdem Max ihnen vom plötzlichen Tod seiner Mutter berichtet hatte, war er lange Zeit verstummt. Er blickte apathisch vor sich her und schien vollkommen unter Schock zu stehen. Tyson und Ray hatten mehrere Anläufe gebraucht um zu ihm durchzudringen, sprachen langsam auf ihn ein und erst dann bahnten sich die ersten Tränen über sein Gesicht. Max machte sich Vorwürfe dass er nach Japan gekommen war. Er warf sich vor ihren Tod nicht verhindert zu haben. Judy war Mitte vierzig gewesen, kein Alter in dem man behaupten konnte ein langes und erfülltes Leben geführt zu haben. Erst nach einer Stunde brachen die näheren Umstände ihres Todes aus ihm heraus: Max Vater hatte seinem Sohn berichtet, dass Judy vor fünf Stunden in seinen Laden gekommen war, während er die Regale für den heutigen Tag einräumte. Anfangs etwas ungläubig, doch letztendlich glücklich, hatte er die Hilfe seiner Frau dankend angenommen. Max Mutter musste wohl nach dem wortkargen Telefonat mit ihrem Sohn bemerkt haben, wie egoistisch sie geklungen hatte und war reumütig bereit gewesen Buße zu tun. Deswegen wollte sie eine Lieferung zu einem Kunden fahren, der etwas abgelegen außerhalb der Kleinstadt wohnte. Wegen der starken Zeitverschiebung war in den USA zu dieser Zeit noch nicht einmal die Morgensonne am Horizont aufgegangen. Zudem zog ein starkes Gewitter über den Ort und die Wolken entluden ihr kaltes Nass in Bächen auf die Straßen. Max Vater hatte seiner Frau noch angeboten selbst zu fahren, doch Judy wollte sich unbedingt nützlich machen und argumentierte damit, dass die Strecke hin und zurück keine Stunde dauerte. Also ließ er seiner Frau ihren Willen. Doch nach zwei Stunden war sie immer noch nicht zurück… Max Vater hatte immer wieder auf die Uhr gesehen, ab und zu auch mit dem Gedanken gespielt seine Frau auf dem Handy anzurufen. Doch sie hasste es bemuttert zu werden, deswegen übte er sich in Geduld. Eine halbe Stunde verging. Vielleicht hatte sie eine Freundin auf der Straße getroffen und vergaß die Zeit vor lauter Tratsch? Eine Stunde mehr und Unruhe keimte in ihm auf. Er rief auf ihrem Handy an… Niemand antwortete. Er rief bei seinem Kunden an und fragte, ob Judy bereits da gewesen sei. Der ältere und etwas schwerhörige Mann bestätigte, dass sie ihre Ware vorbildlich abgeliefert habe und bereits vor Stunden wieder losgefahren sei. Von da an saß Max Vater wie auf glühenden Kohlen. Er konnte sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren, beriet seine Kunden falsch und als er sich zum hundertsten Mal dabei ertappte, wie er mit sorgenvollem Blick auf die Uhr schielte, schmiss er kurzerhand alle Besucher raus, um sich mit seinem Auto auf die Suche nach seiner Frau zu machen. Als er gerade die verglaste Eingangstür zum Laden abgeschlossen hatte, klopfte in jenem Moment eine Person an die Scheibe. Ein Polizist stand draußen im Regen und bat darum eingelassen zu werden. Von diesem Moment an wusste Maxs Vater dass etwas Schlimmes passiert sein musste… Der Beamte berichtete ihm, dass sie einen kleinen Lieferwagen weit abseits der Straße, in einem Flussbett entdeckt hatten. Auf dem Wagen seien das Logo und die Adresse vom seinem Laden gewesen, deswegen wäre der Polizist jetzt hier. Als Max Vater dem Beamten voller böser Vorahnungen erklärte, seine Frau sei vor Stunden mit dem Fahrzeug weg und das er schon krank vor Sorge sei, sah ihn sein Gegenüber bedauernd an. Der Polizist hatte sicherlich versucht mit viel Taktgefühl zuarbeiten, trotzdem fühlte es sich an als würde sein Herz zersplittern, als Max Vater hören musste: „Es tut mir Leid ihnen das sagen zu müssen, aber unglücklicher Weise haben wir hinter dem Steuer die eingeklemmte Leiche einer Frau gefunden. Der Innenraum des Wagens war vollkommen überflutet. Wir sind uns sicher das ihre Frau… ertrunken ist.“ Das war das Einzige was bisher mit Sicherheit gesagt werden konnte. Was Rätsel aufgab war die Frage wie Judy so stark von der Fahrbahn abkommen konnte. Zuerst nahm man an der starke Regen sei Schuld gewesen, doch das Flussbett war fast zwei Kilometer von der Straße entfernt. Nun ging man entweder von Fremdverschulden aus oder noch wahrscheinlicher - Selbstmord. Selbst bei einem Unfall mit einem anderen Auto wäre der kleine Lieferwagen niemals so Weit von der Straße abgekommen. Doch Max wusste es besser… „Das war kein Selbstmord. Ich kenne meine Mutter. Sie hätte sich niemals das Leben genommen. Sie hatte ihre Probleme, aber sie war viel zu ehrgeizig um sich hängen zu lassen. Sie würde Dad und mich niemals alleine lassen… Das war kein Selbstmord!“, sagte er in verschwörerischem Ton. Es war einer dieser Momente, in denen seine Emotionen von Trauer zu Wut umsprangen, was in unregelmäßigen Intervallen geschah. Einmal wollte Max minutenlang nicht angesprochen werden, sah todunglücklich vor sich her, dann kochte der Zorn hoch und er verfluchte die Welt. Dabei bekamen alle ihr Fett ab. Sein Vater, er selbst und vor allem Draciel! Für Max stand fest dass sein Bit Beast die Finger im Spiel hatte. Es konnte kein Zufall sein, dass Tysons Großvater angegriffen wurde, Dizzy ihnen von ihrer düsteren Vorahnung erzählte und kurz darauf seine Mutter starb. Sogar Tyson fuhr er zwischenzeitlich an. Vor nicht einmal einer Stunde hatte er Max vorgeworfen, er wüsste nicht wie es sei keine Familie zu haben und nun war seine Mutter tot. Zwar war das damals nicht so gemeint gewesen, trotzdem ließ Tyson Maxs Wut über sich ergehen. Wenn es seinem alten Freund in irgendeiner Weise Linderung verschaffte, konnte er ihn so lange anschreien wie er wollte. Ray schien nach Maxs Erzählung seine Zunge verschluckt zu haben. Entsetzt saß er neben ihm auf dem Bett und versuchte sich scheinbar einzureden, dass diese unglückliche Aneinanderreihung von Unfällen nur ein Zufall war. Sein rationaler Verstand stand im Konflikt mit der Befürchtung die sich in seinem Herzen ausbreitete. Ausgerechnet jetzt schien nur noch Tyson einen klaren Gedanken fassen zu können. Als Max sich wieder in einer dieser Phasen befand, in denen seine Trauer überhand gewann und trostlos vor sich hinstarrte, verließ er den Raum und kam mit ihren Mänteln zurück. Wortlos warf er sie seinen Freunden in den Schoß, ging an den Schreibtisch und klappte Dizzy zu. Dann schlüpfte er in seine schwarze Winterjacke. Ray sah einige Minuten verdutzt auf seinen dunkelgrauen Mantel hinab, bis er schließlich fragte: „Was soll ich damit?“ „Anziehen. Was denn sonst?“ „Warum?“ Tyson seufzte und zog den Reißverschluss hoch. „Ich weiß dass du nicht an Dizzys Geschichte glaubst, aber das alles kann kein Zufall mehr sein. Wir fahren sofort zu Kai! Ich habe ein verdammt beschissenes Gefühl bei dem Gedanken, dass sein Bit Beast ihm auflauern könnte.“ „Kai wird uns nicht mal zuhören!“, warf Ray mit einer hilflosen Geste ein. „Ich kann das Ganze hier selber noch nicht begreifen, was glaubst du wird Kai dann erst sagen?“ „Wir müssen zu ihm. Wir müssen ihn warnen!“ „Er wird uns die Tür vor der Nase zuschlagen! Ach was rede ich da, wir werden nicht einmal durch das Einfahrtstor kommen! Wer sagt, dass wir nicht unnötig die Pferde scheu machen? Wer sagt, dass das alles nichts weiter als ein unglücklicher Zufall ist?“ „Kannst du mir das Gegenteil beweisen?“, fragte Tyson herausfordernd, wobei seine Stimme bedrohlich laut wurde. Mit wütendem Blick sah er auf seinen Freund hinab. „Kannst du mir beweisen dass das alles nur ein Zufall ist? Nein! Und ich gehe kein Risiko mehr ein. Wir hätten von Anfang an auf Dizzy hören sollen. Stattdessen haben wir uns eingeredet wie schwächlich unsere Bit Beasts ohne uns sind. Judy ist tot, Ray! Wer wird als nächstens dran sein? Mein Großvater, Maxs Vater, Kais kleine Schwester oder vielleicht sogar deine schwangere Frau?“ Bei diesem Gedanken blieb Rays Herz für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Dann hob er beschwichtigend die Hände, griff anschließend in seine Jackentasche und zog sein Handy raus. „Erst einmal rufen wir Kai an. Wenn er nicht rangeht fahren wir sofort los. Versprochen.“ „Er geht nicht ans Telefon! Er ist immer noch wütend auf uns!“ „Und genau deswegen versuche ich es erst gar nicht auf seiner privaten Nummer.“ Tyson rollte entnervt mit den Augen, ließ aber zu dass Ray seine Nummer unterdrückte und anschließend Kais Firmenhandy anwählte. Ungeduldig stand er daneben, tippte mit seinem Fuß einen nervösen Rhythmus und verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich summte etwas in seiner Jackentasche. Fluchend griff Tyson hinein und zog etwas hervor – Kais Firmenhandy. Erst jetzt fiel ihm ein dass er es ihm im Restaurant abgenommen hatte. Bei dem heftigen Streit gestern hatte er nicht daran gedacht es ihm zurückzugeben. „Okay. Das war ein göttliches Zeichen. Wir fahren los!“ Ray seufzte, gab sich aber geschlagen. Er raffte sich auf und zog seinen Mantel über. Dabei schweifte sein Blick zu Max, der noch immer verbittert und voller Kummer vor sich hin starrte. Wie er so verzweifelt auf dem Bett saß, noch unfähig das Geschehene zu begreifen, wirkte er wie ein kleines verlorenes Kind. Ray ging langsam vor ihm in die Hocke und sprach leise auf ihn ein: „Max, komm bitte mit. Wir können dich nicht alleine lassen. Wer weiß was noch passiert?“ Dann zog er ihn mit sanfter Gewalt auf die Beine, was sein Freund wortlos über sich ergehen ließ und half ihm in seine Jacke, während Tyson sich Dizzy unter den Arm klemmte und hektisch seine Autoschlüssel suchte. * Mit trägem Blick sah Kai auf die schwachen Flammen die noch im Kamin züngelten. Die Restwärme, die das abebbende Feuer noch von sich gab, umhüllte ihn und fühlte sich angenehm auf der Haut an, machte ihn aber auch schläfrig. Einpaar Mal sanken seine Augenlider langsam hinab, doch irgendwann richtete er sich vom Sessel auf und rieb sich müde über das Gesicht. Er konnte noch nicht schlafen. Jana musste noch ins Bett gebracht werden. Die letzten Bediensteten hatten vor einer halben Stunde das Anwesen verlassen. Zu Lebzeiten seines Großvaters hausten sie noch in einem der vielen Zimmern im obersten Stockwerk. Doch Kai hatte es schon als kleiner Junge gehasst, von morgens bis abends beaufsichtigt zu werden und nach Voltaires Tod, wurde das Dienstpersonal kurzerhand in die Innenstadt umquartiert und er kam stattdessen für die Hotelrechnungen auf. Er brauchte das Haus abends für sich alleine – und für Jana. Das Mädchen thronte unweit von ihm auf einem Kinderstuhl und malte auf einem kleinen Tisch geistesabwesend vor sich her. Wenn sie in ihre Malereien vertieft war schien sie ihrem Bruder immer unerreichbar, als hätte sie sich in einer fremden Welt verloren. Kai stützte seinen Ellbogen an der Seitenlehne ab und bettete seinen Kopf in die Hand, beobachtete die winzigen Kinderhände wie sie mit einem Wachsstift ihre Striche über das Papier zogen. Dann huschte ein Lächeln um seinen Mundwinkel. Jana war heute zwar schlecht gelaunt gewesen, trotzdem genoss er ihre Anwesenheit. Obwohl es traurig war, dass sie diese Krankheit besaß, wusste er dass sie zu einem grundguten Menschen heranwachsen würde. Sie war hilfsbereit, verspielt, ehrlich, neugierig und suchte gerne Zärtlichkeiten. Alles was Kai nicht war… Manchmal konnte er nicht glauben dass sie tatsächlich verwandt waren. Selbst ihr Äußeres war gegensätzlich. Alle in seiner Familie hatten dunkles Haar, nur Jana tanzte mit ihren hellbraunen Haarschopf aus der Reihe. Selbst die dunklen Knopfaugen passten nicht in das Familienbild. Etwas was sie der väterlichen Seite verdanken musste. An manchen Tagen hätte Kai zu gerne gewusst mit wem sich seine Mutter da eingelassen hatte? Eine lange edle Standuhr mit einem vergoldeten Pendel im Innern, erinnerte ihn mit einem Läuten daran wie spät es war. 20 Uhr. Die Kleine brauchte ihren Schlaf. Kai erhob sich von seinem Platz, trat zu seiner Schwester und kniete sich zu ihr herab. Das kleine Mädchen beachtete ihn nicht, sondern malte eifrig weiter, dabei stand ihr Mund offen, als wäre sie selbst erstaunt, was sie da auf Papier bannte. Behutsam strich er ihr über den kleinen Kopf und fragte: „Was malst du da Jana?“ „Katze…“ Natürlich. Sie malte immer Katzen. Sie war eine Katzennärrin. Doch eine Gemeinsamkeit die sie hatten. Vielleicht sollte er ihr eine schenken? Bei der nächsten Gelegenheit würde er Dr. Hamilton fragen, ob das ein Problem bei Trisomie kranken Kindern war. Vorsicht war besser als Nachsicht. „Möchtest du nicht morgen weitermalen?“ „Nein.“ Sie sah immer noch nicht auf. „Nicht einmal wenn ich dir etwas vorlese?“ Das Mädchen schüttelte verneinend den Kopf, aber so schnell das ihr schwindlig wurde und sie ein verwirrtes „O~oh!“ von sich gab. Kai lachte leise und strich ihr eine freche Strähne aus dem Gesicht. Dann umfasste er die kleine Hand die den Wachsmalstift umschlossen hielt, legte ihn behutsam ab und versuchte Blickkontakt aufzubauen. In einem verschwörerischen Flüsterton, als würden beide ein Geheimnis austauschen, fragte er: „Nicht einmal wenn ich dir deine Lieblingsgeschichte vorlese?“ Endlich sah Jana auf und schenkte ihm ein glückliches Lächeln, wobei eine Zahnlücke zum Vorschein kam. Dann schob sie eifrig den Stuhl nach hinten und schlang sich ihrem Bruder um den Hals, klammerte sich an ihn wie ein kleines Äffchen. „Peter Pan!“, jubilierte sie. Sie liebte die kleine Elfe in der Geschichte, hatte es aber noch nie geschafft, bis zum Ende wach zu bleiben. Also das perfekte Mittel um sie zum Schlafen zu bewegen. Kai grinste, stemmte sich mit dem Kind auf dem Arm hoch und streichelte ihr über den Rücken, während sie ihren Kopf auf seine Schultern bettete. Manchmal war er selber erstaunt wie feinfühlig er mit ihr umging. Als Jugendlicher wäre ihm das nie gelungen. Mit dem freien Arm nahm er den Schürhaken von der Halterung neben dem Kamin und drückte damit die restliche Glut zwischen der Asche aus, die nur noch spärlich vor sich hin glomm. Dann hängte er das Werkzeug wieder zurück und machte die übrigen Lampen aus. Erst danach trat er mit seiner Schwester aus dem dunklen Raum und schloss die schwere eichene Tür hinter sich. Während Kai Jana im Obergeschoss in ihre Decken hüllte und mit ansah, wie sie freudestrahlend ihr Lieblingsbuch unter dem Kissen hervorzog, ahnte er nicht dass die schwache Glut im Kamin noch eine ganze Weile vor sich hin brannte. Wie mystische Augen funkelte sie, schien durch den dunklen Raum zu starren und einen Blick in die wohlhabende Behausung zu erhaschen, als wäre sie ein Einbrecher, der neugierig durch das Fenster ins Haus spähte. Plötzlich entflammte die Glut zwischen der Asche von neuem auf, loderte ohne Brennholz weiter und ein kleiner Funke schoss weit ins Innere des Raums, kam aber nicht auf dem teuren Teppich zum Liegen, sondern flog anmutig über ihn hinweg. Wie eine kleine Elfe die sich graziös ihren Weg bahnte… * „Wisst ihr was das Schlimmste an der Sache ist?“, fragte Max matt und lehnte seinen Kopf gegen die Autoscheibe. Tyson verneinte und auch Ray spitzte die Ohren auf dem Rücksitz. „Heute Morgen habe ich noch gedacht was für eine nervtötende Plage Mum ist. Was bin ich für ein Arschloch…“ „Du konntest nicht wissen das so etwas passiert.“, erwiderte Tyson. „Muss es erst soweit kommen?“ Manchmal war die beste Antwort keine Antwort. So blieb Tyson stumm. Jedes aufmunterte Wort hätte sich wie eine leere Floskel angehört. „Tut mir Leid Max“, sprach Dizzy vom Rücksitz aus. Gleich nachdem die drei im Auto saßen, hatte Ray den Laptop auf seinem Schoß aufgeklappt und Kontakt mit dem Bit Beast aufgenommen. Selbst sie war erschüttert über die brutale Vorgehensweise ihrer Artgenossen und machte sich Vorwürfe, da sie die Zeichen nicht eher erkannt hatte. Der schreckliche Tod von Judy hatte die Gruppe die vorherige Auseinandersetzung vergessen lassen. Bit Beast und Menschen waren bereit zusammenzuarbeiten. Max war zu erschöpft um ihr zu antworten und in die aufkommende Stille hinein, fragte Ray: „Dizzy, weißt du wie wir uns vor ihnen schützen können?“ „Wenn es so einfach wäre“, seufzte sie. „Ich weiß es leider nicht. Sonst könnte ich mich selbst auch schützen.“ „Was würde mit dir passieren wenn sie herausfinden dass du uns hilfst?“ „Sie würden mein Dasein auslöschen. Die meisten meiner Art stammen von den Uralten ab. Ich bin nur ein schwächliches Bit Beast und sie könnten mir problemlos mein Leben nehmen. Ein starkes Bit Beast wie Zeus oder Wolborg könnte sich da eher wehren. Kennt ihr die Vier-Elemente-Lehre? Demnach besteht alles Sein aus den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Es dürfte euch nichts Neues sein, dass jedes eurer Bit Beasts eines dieser Elemente beherrscht.“ Das war es auch nicht. Ihnen war bereits als Kinder aufgefallen welchem Zufall das gleichkam. „Das ist ein weiterer Grund warum sie schon immer so mächtig waren. Diese Elemente sind die Basis jedes Lebens. Mich könnten sie ohne weiteres zerstören. Wahrscheinlich würden sie statt meiner ein schweigsameres Bit Beast an meine Stelle setzen. Was würde dann aus meinem armen Kenny werden?“ Der traurige Ton lag ihm wie ein Stein im Magen und obwohl er wusste wie abhängig sie von Dizzys Wissen waren, sagte Tyson: „Du musst uns nicht helfen. Wenn du willst fahre ich dich sofort wieder zu Kenny. Wir sind dir nicht böse.“ „Ich habe euch bereits zuviel gesagt. Es ist zu spät.“ Einpaar Sekunden herrschte Stille im Wagen, bis Ray fragte: „Warum wolltest du eigentlich dass Tyson sein Beyblade aus dem Haus schafft?“ „Für den Fall das Dragoon unbemerkt wieder hineinschlüpft und mitbekommt, wie ich euch helfe.“ „Konnten unsere Bit Beasts das schon immer? Einfach aus ihren Blades schlüpfen und… Menschen töten?“ „Aus Blades schlüpfen können wir jederzeit, aber nur in Verbindung mit unserer Welt. Wenn ihr wüsstet wie viele Bit Beasts sich in der Geisterwelt tummeln, während ihre Besitzer nachts friedlich schlafen, würdet ihr staunen. Doch was das töten angeht… Um Menschen richtig anzugreifen brauchen wir ein bewegliches Gefäß. Eines das ohne fremde Hilfe steuerbar ist. Dazu gehört aber Kraft! Und die holen wir uns aus Emotionen. Eure Bit Beasts werden zurzeit aus purem Hass angetrieben. Ihre Wut auf euch war sicher der Schlüssel zu ihrer Macht. Sie müssen über die Jahre soviel Zorn angefressen haben, dass ihnen das eine Unmenge an Energie verschafft hat. Die bevorstehenden Halloweentage werden dann ihr übriges getan haben.“ „Also stimmt der Aberglaube?“ „Hinter jedem Aberglauben steckt ein Funke Wahrheit. Die letzten zwei Tage vor Halloween beginnt die Schwelle zwischen der Geister und Menschenwelt zu schwinden. Das macht die Geister die in eurer Welt leben stärker. Am 31 Oktober erreicht ihre Macht schließlich den Höhepunkt. In dieser Zeit können Bit Beasts über ihre Grenzen hinauswachsen. Wenn sie euch also angreifen wollen haben sie nur bis zum letzten Oktobertag Zeit.“ „Danach müssten wir also wieder sicher sein. Wenigstens bis zum nächsten Jahr…“, bemerkte Ray trocken. „Wir sind da“, verkündete Tyson endlich. Sein Wagen hielt einpaar Meter neben einem schmiedeeisernen Einfahrtstor. Dahinter führte ein sanft geschwungener Kiesweg über eine weite, mit vereinzelten Weiden verzierte Rasenfläche, während im Hintergrund das stolze Hiwatari Anwesen emporragte. * Nichts von all dem ahnend, brühte Kai sich in der geräumigen Küche einen Kaffee auf. Während der Wartezeit rauchte er eine Zigarette und hing seinen Gedanken nach, dabei schweifte sein Blick durch den Raum. Die Küche war der einzige Teil des Hauses, der nach Voltaires Ableben nicht der Restaurierungswut seines Enkels zum Opfer gefallen war. Obwohl ihn alles störte was ihn an seinen verbohrten Großvater erinnerte, hatte die altmodische Küche doch einen gewissen Charme. Bis spät in die Nacht waren seine Mutter und er hier gesessen, hatten sich über die vergangenen Jahre unterhalten und über den griesgrämigen Großvater. Sich mit der einen Hand die Schläfe massierend, drückte er die Zigarette in einem Aschenbecher aus und nahm anschließend die Kanne aus dem Kaffeekocher. Den hatte er bitter nötig. Er war nie der große Säufer gewesen und die gestrige Nacht mit seinen „Freunden“ hatte auch an seinen Kräften gezerrt – er wusste das nur besser zu vertuschen als andere. Nachdem Jana friedlich im Bett eingeschlafen war, wollte er sich noch die Zeit nehmen, einpaar Dokumente seiner Firma durchzublättern. Dabei ging es um einige Patentrechte, Dinge die er mit den Jahren gelernt hatte im Schlaf abzuarbeiten. Kai war sich bewusst, dass er sich mit seinem Alter eine ganze Menge Verantwortung aufgebührtet hatte, doch nachdem seine Mutter abgehauen war, wollte er sich nie mehr auf jemanden blind verlassen. Insgeheim erfüllte es ihn sogar mit Stolz wie er alles alleine bewerkstelligte. Deswegen passte ihm sein gestriger Ausrutscher umso weniger. Tyson könnte denken er bräuchte Hilfe, die er definitiv nicht brauchte. Mit Engagement, Kaffe und einpaar Stunden Schlafverzicht war alles zu schaffen! Den Rest erledigten blaue Gauloise. Doch indem Moment in dem Kai seine Tasse füllte erklang die Türglocke. Überrascht sah er auf, legte die Kanne weg und schritt zu einem kleinen, in der Wand eingelassenen Monitor, neben dem Hinterausgang, der zum Garten führte. Der einzige neumodische Schnickschnack in diesem Raum. Er drückte auf eine der Tasten. Als er Tyson und Ray vor dem Einfahrtstor stehen sah, war er nicht minder überrascht – aber auch nicht minder verärgert. Tyson hielt die Klingel wohl für ein Spielzeug, denn in unregelmäßigen Abständen drückte er immer wieder drauf. Noch mal… Und noch mal… Und noch mal… Bis er spaßeshalber die japanische Nationalhymne läutete. Genervt schloss Kai die Augen und atmete ruhig aus. Tyson setzte gerade zu einer Fortsetzung an, als er den Hörer neben dem Display abnahm und barsch antwortete: „Die Klingel funktioniert! Danke das du dich davon überzeugt hast!“ Er sah wie Tyson sich über die Sprechanlage beugte und entschuldigend in die Kamera grinste. „Tut mir Leid. Bei dir muss man immer etwas hartnäckiger sein. Ich hoffe ich habe niemanden geweckt.“ „Das hoffe ich auch…“ „Also schläft Jana schon. Hmm… Vielleicht ist das sogar ganz gut. Mach mal bitte die Tür auf. Wir müssen dringend mit dir sprechen!“ Obwohl er es seltsam fand, wie ernst Tysons Miene geworden war, entgegnete Kai nur verächtlich: „Scher dich zum Teufel!“ Dann knallte er den Hörer auf und schaltete mit einem weiteren Knopf die Klingel ab. Er wollte sich gerade abwenden, als er auf dem Display beobachtete, dass keiner von beiden anstallten machte sich zu entfernen. Stattdessen schienen sie sich zu beraten, bis Ray auf das Tor deutete und beide sich zunickten. Tyson zog seine Jacke aus und warf sie achtlos auf den Boden, während Ray leicht in die Hocke ging, seine Hände ineinander hakte und seinem Freund entgegenstreckte. Dann trat Tyson auf die Räuberleiter und kletterte flink über das hohe Tor auf die andere Seite, verschwand damit auch aus dem Sichtfeld der Kamera. „Das darf doch nicht…“, sagte Kai genervt und wandte sich vom Bildschirm ab. Er schritt aus der Küche hinaus, durch die angrenzende Eingangshalle zum Haupteingang und riss die Tür auf und da stand Tyson bereits keuchend, stützte sich mit den Armen links und rechts von der Tür ab. Er hatte den Weg in einem schnellen Spurt hingelegt. In der Erwartung Kai würde ihm die Tür wieder vor der Nase zuschlagen, sagte er beschwichtigend: „Warte! Okay? Es ist wichtig! Wir müssen reden!“ „Hau ab!“ „Du musst dir anhören was ich zusagen habe!“ „Ich kann auf deine Entschuldigung verzichten…“ „Ich will mich nicht entschuldigen.“ Das war die falsche Antwort. Kai ließ die Tür wieder zuknallen, doch Tyson schob seinen Fuß zwischen die Öffnung und… „ARGH!!!“ … jaulte schmerzhaft auf als das schwere Material seinen Fuß einquetschte. „VERFLUCHTE DRECKS-…“ „Sei still, du weckst meine Schwester!“ „SCHEIßE! VERDAMMT!“ „Tyson! Halt die-…“ „Zum Teufel mit dir! Was ich deinetwegen alles auf mich nehmen muss!“ In einem irrwitzigen Tanz hielt er sich den schmerzenden Fuß und hüpfte auf der Stelle, konnte es aber nicht unterlassen tobend Himmel und Hölle zu verfluchen. Mit verschränkten Armen beobachtete Kai seinen Gegenüber, zog eine Braue in die Höhe und konnte nicht anders als ihn für ein riesiges Weichei zu halten. „Mir ist noch nie ein melodramatischerer Kerl untergekommen.“ „MELODRAMATISCH?!“, wiederholte Tyson empört. Allein diese arrogante Wortwahl brachte ihn auf die Palme. Für die Zukunft nahm er sich vor, Kais Sturkopf, statt seinen Fuß zwischen die Tür zu klemmen. Es würde weniger Schmerzen mit sich bringen und den bewusstlosen Esel könnte er anschließend ins Auto zerren – verdammt, wieso war ihm das nicht eher in den Sinn gekommen?! Zaghaft setzte Tyson den wunden Fuß wieder auf den Boden ab, verlor dann aber keine Zeit mehr. Mit beschwörendem Blick sprach er: „Kai. Jana und du, ihr seid in Gefahr!“ * Nebenan drehte der kleine Lichtpunkt seine Runden im Raum, flackerte unscheinbar vor sich hin, bis er vor der schweren Tür zum Stehen kam. Zuvor noch so groß wie ein Tennisball, schrumpfte er plötzlich ins sich zusammen und war mit dem bloßen Auge kaum mehr zu erkennen. Dann schlüpfte er durch das altmodische Schlüsselloch hinaus, dessen Metallränder es zum Schmelzen brachte. Die Tür in der Eingangshalle stand offen und der junge Herr des Hauses stand, den Rücken zugewandt, im Türrahmen, hörte gelangweilt den impulsiven Erzählungen seines Gastes zu. Der Unglaube lag ihm ins Gesicht geschrieben. Unbemerkt schwebte der Leuchtfunken eine massive und äußerst edle Treppe hinauf in den ersten Stock, den mit Teppichen ausgelegten Flur entlang, zu einem Zimmer auf der linken Seite, dessen Tür einen Spaltbreit geöffnet stand. Lautlos glitt er in den dunklen Raum und schwellte an, bis seine Umgebung immer heller erleuchtet wurde. Vor ihm in einem schönen Himmelbett, mit silbrigweißen Vorhängen, lag ein schlafendes Mädchen und schlummerte leise vor sich hin – wie eine kleine Prinzessin. Unter der dicken Daunendecke, wirkte sie mit ihrer kleinen Statur, geradezu schmächtig. Der Lichtkegel segelte sanft zum Bett und umkreiste es verspielt. Pendelte sich näher heran, bis das kleine Kind von dem hellen Leuchten geweckt wurde. Sie schlug die Augen auf und blinzelte schlaftrunken. Dann richtete sie sich auf und entdeckte den Lichtpunkt. Mit offenem Mund und aus unschuldigen Augen sah sie ihm nach. Schließlich huschte ein Lächeln über ihre Lippen und freudestrahlend rief sie: „Elfe!“ Der Leuchtfunken beendete seine Bahnen, sank stattdessen langsam auf die Decke am Fußende des Bettes hinab. „Tinkerbell!“, klatschte das Mädchen begeistert und hüpfte auf und ab. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Endlich konnte sie die Elfe aus ihren Geschichten kennenlernen. Dieses wunderschöne Geschöpf das ihren Helden Peter Pan begleitete. Als der Funken die Decke berührte sah das Kind gespannt darauf herab, fasziniert von diesem merkwürdigen Wesen. Doch dann zog sich ein kleiner Rauchfaden in die Höhe, wurde dichter und größer… Dort wo der Funken die Decke berührte, fraß sich ein schwarzes Loch in den Stoff und hinterließ nur seltsames graues Pulver. Das sah nicht wie der glitzernde Feenstaub von Tinkerbell aus… Plötzlich schwoll der Funken an. Wurde größer und größer, brachte einen seltsamen Geruch mit sich und das kleine Mädchen erinnerte sich daran, so etwas schon einmal gerochen zu haben, als ihr Kindermädchen einmal den Herd angelassen und ihre Schürze darauf abgelegt hatte. Ein panischer Schrei war der jungen Frau entwichen und schnell hatte sie die glimmende Stelle mit dem Fuß erstickt. Ihr Bruder war sehr böse gewesen und ein neues Kindermädchen war von da an gekommen. Feuer hatte Kai das genannt. Feuer war gefährlich. Sie durfte nicht mit Feuer spielen. Das hatte Kai verboten! Als die kleine Prinzessin bemerkte, wie heiß es unter ihrer Bettdecke wurde glitt sie darunter hervor und torkelte verstört einpaar Schritte vom Bett weg, bis sie die kühle Wand an ihrem Rücken spürte… Warum machte die Elfe Feuer wenn es böse war? Konnte Tinkerbell sie nicht leiden? Und als eine helle Stichflamme blitzartig bis zur Zimmerdecke schoss, kauerte Jana sich mit einem spitzen Schrei zusammen und begann ängstlich zu zittern. * Tyson versuchte Kai seit geschlagenen zwanzig Minuten zu erklären in welcher Gefahr er sich befand – doch sein Blick sprach Bänder. Gelangweilt schaute er entweder an ihm vorbei, beobachtete wie Ray ungeduldig vor dem Einfahrtstor auf und ab schritt, oder sah auf seine Armbanduhr. Nur als er ihre Bit Beasts erwähnte schenkte Kai ihm kurze Aufmerksamkeit, allerdings nur um ihn mit einem ungläubigen Blick zu mustern. Dann schnaubte er, griff in seine Hosentasche und zog wieder eine dieser vermaledeite Zigarettenpackung hervor. Tyson erzählte zwar weiter, doch mit jedem Zug den sein Gegenüber nahm, hielt er für eine Sekunde inne – es juckte ihm in den Fingern Kai die Schachtel um die Ohren zu hauen! Er hatte bisher nur erzählen können was Dizzy ihnen berichtet hatte, zu dem tragischen Tod von Maxs Mutter und dem Angriff auf seinen Großvater war er noch gar nicht gekommen, da war es Kai schon Leid seinen Report weiterzuverfolgen. Gerade als Tyson ihm von den Geschehnissen berichten wollte, hielt sein Freund abrupt den Zeigefinger in die Höhe, zum Zeichen das er verstummen sollte. Kai nahm einen weiteren Zug, entließ den Rauch in die Luft, dann fragte er mit einem spöttischen Grinsen: „Du willst mir tatsächlich weiß machen, unsere Bit Beasts greifen uns an, weil sie sauer sind dass wir nicht mehr mit ihnen spielen?“ „Genau so haben wir auch gedacht, aber dann ist…“ „Tyson. Ich habe genug von diesem Müll.“ Kai schüttelte den Kopf. Seine Widerworte ignorierend packte er Tyson am Oberarm, schnippte des Rest der Zigarette weg und zerrte ihn die drei Stufen vom Hauseingang weg zum Einfahrtstor, vor dem Ray schlagartig stehenblieb und neugierig zu ihnen spähte. „Wenn ihr Scheiße gebaut habt, solltet ihr dazu stehen und keine Ammenmärchen erfinden. Hältst du mich für beschränkt? Ich weiß doch genau worauf dieses Spielchen hinausläuft…“ Tysons Fuß schmerzte noch, so war es ein leichtes für Kai ihn hinter sich her zu ziehen, trotzdem gelang es ihm einige Male sich kurz aus dem Griff zu winden. Doch letztendlich schaffte es sein Freund ihn bis zum Tor zu zerren. Dort angekommen sprach Ray sofort auf Kai ein, während er auf seiner Seite des Tores, ein Passwort auf einem weiteren Display eingab. „Hat dir Tyson schon alles erzählt? Ich weiß es hört sich wahnsinnig an, aber…“ „Halt die Klappe Ray!“, fauchte Kai wütend. Er bestätigte den Code, das Tor entriegelte sich und dann packte er den protestierenden Tyson am Kragen. Schließlich riss er die Tür auf und mit einem Ruck, schubste er ihn auf die andere Seite. Mit einem Schmerzensschrei kam Tyson auf dem angeschlagenen Fuß auf und knickte ein. Als Kai hinter ihm das Tor zuknallte, zog er die Brauen tief ins Gesicht und meinte bissig: „Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass ich aus diesem Haus immer nur rausgeschmissen werde?“ Ray rief ihrem Freund inzwischen aufgebracht durch die Gitterstäbe hinterher: „Kai! Ich weiß das hört sich bescheuert an! Ich wollte es zuerst auch nicht glauben!“ Tatsächlich blieb der Angesprochene stehen, drehte sich zu ihm um und setzte ein spöttisches Lächeln auf. In seinem Blick lag so viel Verachtung, es sah aus als wolle er Ray verhöhnen. „So… Du wolltest dieser Geschichte also auch nicht glauben? Warum wundert mich das nicht? Darf man fragen warum du dich trotzdem auf diese billige Komödie einlässt?“ „Wegen Maxs Mutter! Und Tysons Großvater! Hast du ihm nichts davon erzählt?“ Fragend sah Ray zu Tyson, der verneinend den Kopf schüttelte. Grimmig rappelte er sich von Boden auf und antwortete: „So weit hat der sture Bock mich gar nicht kommen lassen…“ „Was ist denn mit den beiden? Hat ein Bit Beast sie gefressen?“, fragte Kai sarkastisch. „Draciel hat meine Mutter getötet….“ Die Tür von Tysons Wagen stand offen und Max erhob sich vom Rücksitz. Mit entschlossenem Blick stieg er aus und sah Kai ernst an, dessen kaltes Lächeln augenblicklich erstarb. Max war noch so von seiner Trauer überwältigt gewesen, dass er nicht die Kraft besaß um sich auf ein Wortgefecht mit Kai einzulassen. Eigentlich hatte er die Zeit im Auto verbringen wollen. Doch nun hielt es ihn keine Minute länger in seinem Sitz. Er konnte nicht dabei zusehen, wie ihr Freund genauso blind in die Sache hineinlief wie er. Ein betretenes Schweigen herrschte und zum ersten Mal schien sich Kai seiner Sache unsicher. In Max Blick lag so viel Schmerz - es war so untypisch für ihn. Der junge Amerikaner war einfach gestrickt. Seine Gefühle trug er nah an der Oberfläche. War er fröhlich, ließ er es seine Umgebung spüren. War er wütend, verriet ihn seine eingeschnappte Schnute. Max trat zum Tor und umfasste mit den Händen die Gitterstäbe, ließ Kai nicht aus den Augen. „Wir haben alle so gedacht wie du. Ich leider auch. Wir wissen selber wie seltsam das klingt. Aber denk doch mal nach – wann haben wir dich jemals böswillig belogen? Du bist wütend wegen gestern Abend, dass verstehe ich und es tut mir Leid, aber jetzt bitte ich dich als dein Freund. Bitte glaub uns!“ Tyson beobachtete Kai und zum ersten Mal erkannte er ein Anzeichen, dass seine Abwehrhaltung bröckelte. Unsicher wanderten die rötlichen Augen von einem besorgten Gesicht zum Nächsten. Als sich schließlich ihre Blicke trafen, erahnte Tyson den Zwiespalt in Kais Innerem. Wer ihn so lange kannte wie er, konnte aus den scheinbar kalten Augen eine Vielzahl von Eindrücken gewinnen. Tyson trat wieder ans Tor und sprach: „Ich weiß es ist lange her Kai, aber versuch dir in Erinnerung zu rufen, wozu ein Bit Beast fähig ist. Wir lügen nicht… Wir sind deine Freunde. Bitte spring über deinen Schatten und vertrau uns einfach mal.“ Er konnte sehen wie die Vorstellung von Vertrauen Kai zurückschrecken ließ. Er handelte nach dem Motto: „Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.“ Trotzdem wandte Tyson seinen Blick nicht ab und sah ihm eindringlich in die Augen. Bis sein Gegenüber endlich resignierend die Lider senkte. Mit einem Seufzen trat Kai zurück an den Display und flüsterte mehr zu sich selbst: „Ich kann nicht glauben dass ich das mache…“ Tyson lächelte über diese Worte. Doch als er voller Ungeduld darauf wartete, dass sich das Tor entriegelte, sah er zum ersten Mal die flackerten Lichter in einem der Zimmer des Anwesens, während sich schwarzer Rauch aus den Fensterritzen zwängte. Voller böser Vorahnung keuchte Tyson auf, seine Augen wurden zu Schlitzen und dann… „KAI!“ … glaubte er aus der Ferne das Schreien eines Kindes zu vernehmen. Kai stoppte in seinem Vorhaben und wandte den Kopf zum Haus. Womöglich dachte er sich verhört zu haben, denn er lauschte aufmerksam in die nächtliche Stille. Einpaar Sekunden dauerte es, dann bemerkte auch er die flackernden Lichter hinter den Fenstern. Sofort erkannte er um welches Zimmer es sich handelte… „Kai! Mach das Tor auf!“, rief Tyson, doch er schien ihn nicht zuhören. Aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe gewichen, der Mund ungläubig geöffnet. Die Augen geweitet, hielt er den Atem an während seine Hand über der Tastatur zitterte. Dann… „KAI!“ … erwachte er aus seiner Starre. „Jana“, flüsterte er mit erstickter Stimme. Dann… „Nein!“ Ehe sich die Gruppe es versah wandte er sich von ihnen ab. Die Rufe seiner Freunde ignorierend rannte Kai den Kiesweg zurück zum Haus. Ohne lange zu überlegen, kletterte Tyson drauf los und schwang sich erneut über das hohe Tor. Als er sich auf die andere Seite fallen ließ, gab sein Fuß ein schmerzhaftes Knacksen von sich. Er zog scharf die Luft ein, biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz. „Warte auf uns!“, hörte Tyson Ray rufen, trotzdem sprintete er Kai hinterher. Die kalte Nachtluft schmerzte in der Lunge und ihm wurde bewusst wie unsportlich er geworden war, dennoch schaffte er es, mehr aus bloßer Willenskraft, Kai kurz vor der Haustür einzuholen und ihn am Kragen zurückzuzerren. Überrascht keuchte der auf, doch Kai fand schnell wieder seine Zunge: „Lass mich los!“ Wütend versuchte er sich zu befreien, bis es Tyson gelang seine Arme unter dessen Armbeuge zu schlingen und ihn in einem eisernen Griff zu halten, was Kai mit einem aufgebrachten Zornausbruch zur Kenntnis nahm. In einem anderen Moment hätte Tyson geschmunzelt. Früher wurde er auf diese Weise vor Dummheiten bewahrt. Doch jetzt musste er Kai davor schützen, kopflos in das brennende Gebäude zu rennen. Der Rauch sickerte bereits aus sämtlichen Öffnungen! Er würde eine Rauchvergiftung bekommen bevor er oben ankam! „Du kannst da nicht so unüberlegt reinstürmen! Wir machen das zusam-…“ Voller Schmerz heulte Tyson auf, als Kai in vollkommener Raserei den Kopf nach hinten warf und ihm ins Gesicht knallte! Der Griff lockerte sich und er entwischte aus seinen Armen. Stöhnend torkelte Tyson einpaar Schritte zurück und hielt sich die blutende Nase. Tränen traten ihm in die Augen und für einen kurzen Moment sah er doppelt. In seinem Schädel tönte es wie in einer Glocke, auf die mit einem Hammer eingeschlagen wurde. Warum endete jede Begegnung mit diesem Trotzkopf so?! Benommen blinzelte er zur Haustür und sah wie sein Freund, im Rauch der Eingangshalle, verschwand. „KAI!“, wieder der Ruf von Jana. Er stürmte zur Tür und tat einige Schritte in die Halle, zog schützend sein Shirt über die Nase, um so wenig wie möglich von der giftigen Luft einzuatmen. Trotzdem tränten seine Augen vom beißenden Qualm. Schemenhaft erkannte er die geschwungene Treppe vor sich. Die Schein der Lampen wurde fast gänzlich vom Qualm verschlungen. Für Tyson war alles dunkel. Doch noch war der Rauch nicht zu dicht. Konnte er es vagen seinem Freund in den ersten Stock zu folgen? Oder andere Frage… Konnte er zwei Menschen sich selbst überlassen von denen einer sein längster Freund war? Kai und Jana könnten sterben! Das Mädchen war keine sechs Jahre… Das war doch nicht fair! Als Tysons Entscheidung feststand rannte er zielsicher zur Treppe, doch plötzlich hörte er ein lautes bersten und da schoss eine gewaltige Flammenfontäne aus einer Tür Rechts von ihm, die ihn zum Straucheln brachte und auf den Boden stürzen ließ. Soweit er noch wusste, war in dem Raum dahinter der Kamin, vor den sie sich früher hier gelümmelt hatten. Tyson rappelte sich hoch, blickte verwirrt auf und dachte seine Augen spielten ihm einen Streich… Vor ihm erhob sich aus einem Meer aus Feuer und Blitzen eine riesige Gestalt, die bis zur Decke reichte und ihm den Weg hinauf versperrte. Dranzer! Der Phönix bestand nur aus Feuer, spreizte seine glühenden Schwingen im Raum und alles was es berührte viel dem Flammen zum Opfer. Der brennende Schädel beugte sich zu Tyson herab, dann schnellte der Schnabel nach vorne, mit der Absicht ihn aufzuspießen. Erstarrt machte sich Tyson auf das Schlimmste gefasst, da zogen ihn zwei Arme zurück und wo er zuvor gelegen hatte, bohrte sich der Schnabel in den steinernen Fußboden der Eingangshalle, der zu heißer Lava zerschmolz. „Wir müssen raus hier!“, schrie Max. Erst jetzt erkannte Tyson wer ihn da gerettet hatte. „Kai ist oben!“, rief er und deutete auf die versperrte Treppe. „Dann müssen wir einen anderen Weg hoch finden, aber hier können wir nicht bleiben!“, versuchte Max schreiend durch den tosenden Lärm um sie herum zu erklären. Dann erstarrte er und Tyson erkannte sofort den Grund. Der brennende Phönix zog langsam den Schnabel aus dem Boden. In das klaffende Loch das übrig blieb, floss die Lava hinab in den Keller. Dranzer bäumte sich zur vollen Größe auf. Stolz blickte es aus lodernden Augen auf sie herab, dann schwellte der Brustkorb an und ein schriller, ohrenbetäubender Laut entwich der Kehle, schallte wie eine Welle durch den Raum. Er besaß so viel Intensität, das er alle Fenster klirrend zu Bruch gehen ließ und beide Männer von den Füßen riss. Tyson wurde samt dutzender Scherben durch die Tür nach draußen befördert und landete stöhnend auf dem Kiesweg. „Was ist passiert?!“, wieder rissen zwei Hände ihn hoch und er sah in das fassungslose Gesicht von Ray, der das alles wohl für einen Alptraum hielt. „Tyson! Was geht da drinnen vor?! Wo sind Max und Kai? Wo ist Jana?“ Es blieb keine Zeit sich auszutauschen. Max stürmte aus dem Haus und rief: „RUNTER!“ Und gerade noch rechtzeitig fielen alle zu Boden. Eine explosionsartige Feuerwalze zog über ihre Köpfe hinweg, ließ die Erde erzittern. Tyson hatte vollkommen vergessen, wie viel Macht Dranzer besaß. Es war eines der stärksten Bit Beasts gewesen, mit denen er es jemals zu tun bekam. Fast eine Ewigkeit kauerte die Gruppe auf den Boden, bis die Feuerwelle über ihren Köpfen vorbeizog. Tyson rappelte sich auf und sah zum Eingang… Flammen! Nichts als Flammen! Eine Feuerwand erstreckte sich hinter dem Eingang, dessen Tür schon längst zersplittert war. Seltsamerweise traten die Flammen nicht hinaus. Sie flossen wie eine sanfte Strömung von links nach rechts. Sofort begriff Tyson… Dranzer wollte sie nicht im Haus haben. Es wollte sie fernhalten! Das konnte ihm so passen… Sein Blick wanderte hinauf zu Janas Zimmer. Hinter den Fenstern schien das reinste Chaos zu herrschen. Wie sollte er dort hinein kommen? Doch da fiel ihm die Antwort wie eine göttliche Botschaft ein! Damals, als der alte Voltaire die Bladebreakers aus dem Haus gejagt hatte, war Tyson auf die blöde Idee gekommen, seine Schuhe zu holen, indem er sich klammheimlich in Kais Zimmer hangelte. Dafür wollte er einen buschigen Efeustrauch hinaufklettern, der an der Häuserwand auf der anderen Seite des Anwesens, bis zum Dach hinaufreichte. Theoretisch wäre der Plan aufgegangen, hätte Tyson dabei aber nicht so laut über den „alten Sack“ geschimpft, das der darauf aufmerksam wurde und ihn kurz vor dem Ziel einen Eimer Biomüll über den Kopf schüttete. Damals eine eher schlechte Erfahrung, konnte das womöglich jetzt die Rettung sein. Immerhin lag Kais Zimmer direkt gegenüber seiner Schwester. „Ruft die Feuerwehr!“, rief Tyson seinen Freunden zu, die sich bereits aufgerichtet hatten und hektisch diskutierten wie sie ihren eingeschlossenen Freunden am besten helfen konnten. Verdutzt sahen sie Tyson nach, der hinter der Hausecke verschwand. * Kurz nachdem Kai das erste Stockwerk erreicht hatte, hörte er ein lautes Tosen in der Empfangshalle. Trotzdem wandte er sich nicht um, sondern rannte den Flur entlang zu Janas Zimmer. Da hörte er ein lautes Rumoren hinter sich. Alarmiert sah er zurück und eine riesige Feuerwalze zwängte sich durch den Flur, verschlang alles was sie auf ihrem Weg fand. Mit weit aufgerissenen Augen sah er die lodernde Gefahr näher kommen, dann eilte er in Janas Zimmer und riss die Tür auf. Da ihm keine Flammen entgegen zischten, brauchte er nicht lange um sich für das kleinere Übel zu entscheiden. Bevor das Feuer ihn erreichte, knallte er die Tür zu und spürte keine Sekunde später, wie die Walze dahinter den Raum erzittern ließ. Es polterte und knallte im Flur, als wäre dort eine Bombe detoniert. „Kai...“ Erleichtert spähte er nach rechts und sah seine weinende Schwester kauernd in der Ecke sitzen. Er eilte zu ihr, fiel vor ihr auf die Knie und streichelte dem Mädchen über den Kopf. Aus den angstgeweiteten Augen traten dicke Tränen und sie wippte schluchzend vor und zurück. Dieses Szenario war für das Kind unbegreiflich. „Jana, ich hole dich hier raus.“, versicherte er dem vor Angst erstarrten Mädchen, doch das aufgekratzte Kind legte die Stirn auf die Knie und weinte bitterlich. Sie so zu sehen brach Kai das Herz und sich selbst zur Ruhe zwingend, nahm er sie in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. Solange sie sich nicht beruhigte, würde sie nicht auf seine Anweisungen hören. Es war wichtig, das sie verstand, das er sie hier hinaus bringen wollte… nur wie? Unruhig blickte Kai auf die Flammen die vom Kinderbett emporzüngelten und sich bereits zum Regal gefressen hatten. Das Fenster war versperrt. Die Wand brannte bereits lichterloh. Es trennten sie gut drei Meter von der Feuerquelle und der Rauch wurde immer dichter und schnürte ihm den Atem. Als er spürte, dass Jana sich an ihn klammerte, stemmte er sich langsam mit ihr hoch, immer darauf bedacht dem empor steigenden Qualm nicht zu nahe zu kommen. Geduckt spähte er vorsichtig durch die Tür, hinter der das Poltern leiser geworden war. Die Rückseite war von den Flammen versängt und brannte an vereinzelten Stellen. Es war eine Frage der Zeit bis die ins sich zusammenbrach. Der Rest des Flurs sah nicht besser aus. Überall züngelte es. Teure Antiquitäten der Familie, Jahrzehnte lang zusammengetragen, brannten lichterloh und zerfielen. Der Rückweg war versperrt. Schwere, glimmende Deckenbalken hatten dem Druck der Feuerwalze nicht standgehalten und waren hinabgestürzt. Darüber klaffte ein Loch in der Decke und Möbel aus dem Dachgeschoss rutschten hinab in die Flammen. Kais Blick fiel auf seine Zimmertür gegenüber von ihm und da kam die Antwort! Der alte Efeustrauch, der neben seinem Fenster bis zum Dach wuchs, war womöglich stark genug um sie beide zu tragen. Als Junge hatte ihn diese Kletterpflanze vor dem auferlegten Hausarrest seines Großvaters gerettet. Angetrieben von diesem Einfall sprang er auf und überquerte den Flur. Der Rauch ließ das Kind auf seinen Armen husten und auch ihm erging es nicht besser. Er versuchte den Türknauf zu finden, musste aber erkennen, dass er zu einer heißen, tropfenden Kupfermasse zerschmolzen war. Wie war das möglich?! Kurzerhand trat er hart auf die verkohlte Tür ein und sie brach nach wenigen Tritten auf. Eilig durchquerte er sein noch unversehenes Zimmer, schob das Fenster hoch und spähte hinunter – da sah er Tyson bereits hinaufklettern! Und so sehr es ihn immer genervt hatte, in diesem Augenblick war Kai für dessen Hartnäckigkeit einfach nur dankbar. „Tyson!“, rief er hinunter. Der zuvor noch konzentriert kletternde Mann, spähte hinauf und sein Gesicht erhellte sich als er ihn erkannte. Dabei entdeckte Kai die blutige Nase die er ihm verpasst hatte. Womöglich machte er diesem Idioten das Leben wirklich schwer? Wenn sie aus diesem Höllenloch draußen waren, würde er vielleicht über seinen Schatten springen und sich bei ihm entschuldigen. „Geht es euch gut? Seid ihr nicht verletzt?“ Kai wollte gerade bejahen, da erschallte ein lauter schriller Schrei durch die Räume und Jana begann verängstigt zu wimmern. Der Laut war so intensiv, dass er dachte sein Trommelfell müsse platzen. Er schlang einen Arm um Janas Kopf, drückte sie an seine Brust, damit sie vom furchtbaren Geräuschpegel, um sie herum, verschont blieb und auch Tyson hielt eine Hand stöhnend an sein Ohr und rief: „Nicht schon wieder!“ Als Kai sich umwandte drehte sich das Feuer im Flur wie ein Wirbelsturm, tanzte im Kreis. Er meinte flüsternde Laute zu vernehmen, die immer wieder leise in den Raum echoten und seinen Namen riefen. Für einen irrwitzigen Moment machte es den Anschein, als ob der Feuerswirbel das Haus durchsuchte, denn er schwenkte kurz in Janas Zimmer, verbrannte alles was es dort gab und kam anschließend wieder hinaus auf den Flur. Dort blieb er stehen. Einfach so… Als ob er zu Kai und Jana blicken würde. Dann griff der Feuersturm mit geisterhaften Händen ins Zimmer, tastete sich am Türrahmen hinein und verteilte sich langsam über der Wand… Allerdings nur über der Wand! Zimmerdecke, Möbel, Teppiche blieben verschont, nur Bilder verschlang es auf seinen Weg zu ihnen und versperrte dabei noch die Zimmertür. Es schien als wollten die Flammen die Geschwister erreichen, bevor sie aus dem Fenster entkamen. Als Kai das begriff, drehte er sich eilig zum Fenster und rief hinunter: „Tyson! Fang meine Schwester!“ „WAS???“ „Spring wieder runter! Bleib da unten stehen und fang sie auf!“ Tyson sah ihn ungläubig an. Doch schließlich sprang er die Strecke, die er zurückgelegt hatte hinunter. Als er auf dem Boden aufkam heulte er auf. Noch immer schmerzte sein Fuß. Doch schnell vergaß er die Qualen, stellte sich in Position, streckte die Arme empor und rief: „LOS!“ Kai beugte sich über das Fenster und wollte Jana so weit es ging hinunterhängen lassen. Doch das Kind schüttelte panisch den Kopf und klammerte sich fest um seinen Hals, als wolle es ihm die Luft abschnüren. Sie wollte nicht springen. Ihr Atem ging schnell und stoßweise. Sie blickte aus riesigen Augen in die Tiefe und wimmerte. Kai legte eine Hand auf ihrem Brustkorb und fühlte wie das kleine Herz dahinter wie verrückt pochte. Er sah die Flammen an den Wänden näher zum Fenster wandern, dann sagte er: „Jana? Siehst du den Mann da unten?“ Sie schaute nicht hin, klammerte sich nur teilnahmslos an ihn und Kai hätte heulen können. Er entzog sich unnachgiebig ihrem Griff und setzte sie brüsk auf dem Fenstersims ab. Das Kind begann zu toben und zu weinen, trat um sich, doch er umfasste mit beiden Händen ihren Kopf und zwang Jana ihn anzuschauen. „Du kannst dich bestimmt nicht mehr erinnern, aber das ist ein Freund von mir. Er wird dich beschützen. Wenn es wirklich schwierig wurde, hat er mir immer geholfen und jetzt wird er dasselbe auch für dich tun! Also hab keine Angst, er wird dich auffangen. Ich komme gleich nach. Verstehst du?“ Als sie nicht antworte, rüttelte er sie eindringlich. „Hast du verstanden?! Jana das ist wichtig!“ Sie nickte, zog aber eine bitterböse Schnute. Ihr passte dieser Gedanke gar nicht. Beruhigend strich er ihr über den Haarschopf. Zwar schluchzte Jana noch, doch als Kai sie endlich aus dem Fenster hob, leistete sie keine Gegenwehr. Er beugte sich so tief wie möglich hinab und kurz bevor er losließ rief er: „Wenn du sie nicht auffängst, bringe ich dich um!“ „Vertrau mir einfach mal!“, schallte es von unten herauf. Dann ließ Kai los und mit stockendem Atem sah er dabei zu, wie das kleine Mädchen hinabstürzte. Sie gab einen spitzen Schrei von sich, doch landete unversehrt in Tysons Armen. Erleichtert atmete Kai auf. „Los! Beeil dich!“, rief Tyson und setzte das hibbelige Kind ab, dass in ihren grünen Pyjamas wild mit den Armen zu ihm hinauf fuchtelte. Das würde er sich nicht zweimal sagen lassen. Kai sah zum Feuer das bereits die Fensterwand erreicht hatte. Von beiden Seiten kam es auf ihn zu. Schnell griff er nach einem der Efeuzweige und wollte die Beine hinaus schwingen, doch plötzlich hörte er ein wütendes Knurren. „Du bleibst!“ Dann wickelte sich eine der jungen Triebe um sein Handgelenk. Kai versuchte seinen Arm zurückzureisen, doch das Gestrüpp begann sich zu rühren und noch mehr kleiner Verästelungen schlängelten sich an ihm hinauf. Entsetzt musste er mit ansehen wie sich die Ranken ihren Weg zu seinem Oberkörper bahnten. Immer wieder redete er sich ein, dass so etwas nicht möglich war. Das konnte nicht wahr sein! Doch als wäre das nicht genug, formte sich aus dem Dickicht ein riesiger Schädel aus Ästen und Blättern, nahm die Gestalt eines Tigerkopfes an. Aus der Schnauze entrang sich ein bedrohliches Knurren. Dann begann der Efeu zu wachsen, breitete sich über das Fenster aus, versperrte den Ausgang und ließ die panischen Rufe von Tyson und Jana draußen verstummen. Ein Ruck ging durch die Pflanze, dann wurde Kai unsanft nach hinten geschleudert. Einpaar Schritte taumelte er zurück und landete auf dem Rücken. Als er sich aufrichtete, musste er beobachten wie die Flammen ihren Weg zum Fenster fanden, das von dem Dickicht versperrt wurde. Feuer und Natur schienen sich gegen ihn zu verbünden. Der Raum füllte sich rascher als zuvor mit Rauch, aus dem Fenster erhielt Kai keine Frischluft mehr und die brennenden Wände strahlten eine immense Hitze aus. Ihm wurde schwindlig. Seine Beine begannen nachzugeben und er sank wieder auf die Knie. Er bemerkte ein schmerzendes Pochen in seinem Kopf, als wolle dieser zerbersten. Mit zitternden Händen beugte Kai sich vor und stützte sich am Boden ab. In diesem Moment wurde ihm klar dass es keine Chance mehr gab. Um ihn loderte eine tosende Feuerwand und vor ihm versperrte ein undurchdringlicher Dickicht den letzten Ausweg. Nach kürzester Zeit war sein Zimmer in dunkle Schwaden gehüllt, glich der Hölle auf Erden und Kai wusste nicht was ein gnädigerer Tod war - verbrennen oder die bevorstehende Rauchvergiftung. Benommen schlossen sich seine Augen. Sein Atem ging stoßweise. Dann… „Armer kleiner Mensch“, flüsterte eine Stimme und schallte von allen Wänden. Kai hörte hinter sich ein Rumoren. Schwerfällig und nah der Erschöpfung blickte er über seine Schulter. Hinter ihm schlugen die Flammen von einer auf die andere Seite. Doch da… Dort zwischen all dem grellen Rot… Ihm war als würde ihm ein körperloses Augenpaar entgegenblicken. Kai schüttelte den Kopf und blinzelte verwirrt. War das echt oder spielte ihm sein Verstand kurz vor dem Tod einen Streich? Womöglich waren ihm die giftigen Dämpfe, die von den brennenden Textilien und Möbeln verströmt wurden, zu Kopf gestiegen. Gebannt fixierte er diese seltsamen Punkte. Sie schienen sich wie zwei kleine Strudel zu drehen. Ihm war als würde er in zwei brennende Spiralen schauen. Der Qualm im Raum wurde dichter, die Luft unerträglich, doch die Illusion verschwand nicht. „Dranzer?“, fragte Kai mit brüchiger Stimme. Die Sicht verschwamm ihm und er hatte Mühe bei Bewusstsein zu bleiben. Doch aus dem Flammenmeer drang tatsächlich ein Kichern zu ihm. „Du willst mich doch nicht wieder verlassen?“, kam die gewisperte Frage. Die geisterhafte Stimme schallte ganz nah an sein Ohr und trotz der Hitze verursachte sie eine Gänsehaut. „Was willst du?“, kam die Frage ernst über seine Lippen. „Was glaubst du will ich?“ „Meine Schwester töten. Genau wie Draciel Judy getötet hat…“ Wieder ein Kichern. „Ist das so?“ „Ist es nicht?“ „Ihr Menschen seid so einfältig...“ „Was willst du dann?! Warum musste Maxs Mutter sterben?“ Dranzer Lachen schallte vielstimmig durch den Raum, doch die Freude drang nicht bis zu den Augen. „Warum muss es einen Grund geben um zu töten?“ Geschockt hielt Kai die Luft an. „Soll das heißen, ihr habt das grundlos…“ „Die Menschenfrau ist nicht meine Angelegenheit“, sagte Dranzer. Dann wehten die Flammen zu ihm, wie die sanften Wogen einer Welle und der Kreis um Kai wurde kleiner. Aus dem Feuer begann sich ein menschlicher Oberkörper abzuzeichnen, der sich langsam nach vorne beugte, während die langen Haare von einer Seite auf die andere tänzelten. Alles schien perfekt in das Feuer überzugehen. Es war ein endloser Takt… Der Konturen verfestigten sich und verschmolzen wieder mit den Flammen. Der Anblick war hypnotisch und auch irgendwie bezaubernd. Es strahlte so viel Eleganz und Schönheit aus. Kai musste sich eingestehen, dass er Schwierigkeiten besaß, seine Augen davon abzuwenden. Dranzer beugte sich langsam vor. Ihre Gesichter näherten sich. Erst als die Hitze auf seinen Wangen unerträglich wurde, fand Kai die Kraft aus seiner Starre aufzuschrecken und wich zurück. Er erhob sich vom Boden und versuchte, in seinem engen Gefängnis, einen sicheren Abstand zu dem Bit Beast aufzubauen, welches jeden seiner Schritte genau verfolgte. Keine Bewegung schien dem wachsamen Blick zu entgehen. „Warum entfernst du dich von mir?!“, fragte es herrisch. Die Wut schien auf die Umgebung überzugreifen, denn die Flammen schlugen augenblicklich höher. „Ich bin deinetwegen hier. Freut dich das nicht? Nach all den Jahren die du mich verleugnet hast!“ „Du hättest fast meine Schwester getötet!“ „Spielt das eine Rolle?“ „Natürlich!“, schrie Kai wütend. „Dieses unnütze Balg. Nur ihretwegen hast du mich verlassen…“ Dranzer sprach wie eine eifersüchtige Liebhaberin und Kai schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich bin zu alt geworden um noch zu bladen. Es ist doch nur ein Spiel gewesen!“ Die Flammen züngelten an den Wänden bedrohlich auf, erhielten eine bläuliche Färbung und die Hitze im Raum nahm ins Unermessliche zu. Dann stand alles still… Nichts bewegte sich mehr. Alles hielt den Atem an, wie bei einem Standbild. Der aufsteigende Rauch verweilte an einem Punkt, die Feuerzungen rührten sich nicht, als wäre das Zimmer nur eine aufgemalte Theaterkulisse. Verunsichert blickte sich Kai um. Diese Stille… Sie beunruhigte ihn mehr als alles zuvor. Mit einem angespannten Gefühl im Magen beobachtete er, wie der lodernde Körper in der Mitte des Raumes, sich zu ganzer Statur aufrichtete. Langsam, ohne jegliche Hast. Dann trat das Bit Beast geruhsam auf ihn zu, hinterließ feurige Abdrücke auf dem hölzernen Boden, während die glühenden Pupillen starr auf ihn gerichtet waren. „Bleib weg von mir!“, befahl Kai. Doch seine Einwände wurden ignoriert. Stattdessen erloschen die Flammen auf dem Körper und machten Dranzers neuer Gestalt platz. Perplex hielt Kai die Luft an, als er erkannte, dass sein Bit Beast weiblich war. Damit hatte er nicht gerechnet. Wenn er ehrlich war, ihm war nie in den Sinn gekommen über das Geschlecht seines Bit Beasts nachzudenken. Hier, vor ihm, erhob sich die zierliche Gestalt einer wunderhübschen Frau, deren silbernes Haar in sanften Wellen über ihren Körper fiel. Das sie nackt war schien sie nicht weiter zu stören. Eine ihrer Strähnen verdeckte ihr rechtes Auge, doch das Linke blickte Kai traurig an. Als sie vor ihm zum Stehen kam, streckte sie ihre blassen Arme nach ihm aus und umschloss mit ihren Händen sein Gesicht, strich ihm sanft mit den Daumen über die Wangen. Er überragte sie beinahe um zwei Köpfe. Sie musste zu ihm aufsehen. „Du willst dass ich dich verlasse?“, fragte Dranzer melancholisch. Der erste Schreck war überwunden und Kai nickte ernst. Schönheit hin oder her. Dieses Bit Beast war eine mörderische Bestie. Er wollte es nicht in seiner Nähe haben. Hätte er geahnt wie gefährlich Dranzer seiner Familie werden würde, wäre er niemals auf die Idee gekommen, ein Bit Beast zu besitzen. „Es ist besser so. Such dir einen neuen Meister. Ich kann mich nicht mehr um dich kümmern.“ „Einen neuen Meister?“ Dranzer bettete ihren Kopf auf seine Brust. Ihre Finger strichen an seiner Seite entlang, wanderten zärtlich zu seinem Rücken, bis sie ihn in einer Umarmung hielt. Dann konnte er ein leises Lachen hören. „Mein kleines Menschenkind, du warst nie mein Meister…“, langsam drehte das Bit Beast den Kopf zu ihm hinauf. Die Strähne die das Auge verdeckte rutschte zur Seite und darunter kam ein von Brandnarben entstelltes Gesicht zum Vorschein. Das rechte Auge trat pechschwarz und verkohlt hervor und funkelte ihn so Unheil versprechend an, dass er erschrocken die Luft anhielt. „Ich bin dein Meister und du mein Werkzeug!“ Die Hände des Bit Beast wurden heiß und Kai fuhr zurück. Dranzers Haut fing Feuer und zusammen mit dem Phönix, stimmte auch wieder die Umgebung mit ein. Die Temperatur nahm erneut ins unerträgliche zu, der Rauch kam in Bewegung, füllte den Raum unermüdlich mit seinem beißenden Qualm. Kai begann zu husten und hielt sich die Hand vor den Mund, während Dranzer sich mit einem gellenden Schrei und einer peitschenden Feuerwelle in ihre ursprüngliche Form zurückverwandelte. Der lodernde Phönix ragte über dem entsetzten Mann, bäumte sich zu ganzer Größe auf und funkelte ihn an. Dann sauste es mit dem Schnabel voraus auf Kai herab und als er spürte wie sich etwas schmerzhaft durch seinen Brustkorb bohrte, wurde alles vor seinen Augen schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)