Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Tyson saß im Wartezimmer auf einem Stuhl und ließ mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken fallen. Neben ihm stand eine verglaste Tür offen, die hinaus auf eine kleine Veranda führte. Eine kühle Herbstbrise wehte in den Raum und trug Rays Stimme hinein, der draußen, von seinem Handy aus, mit seiner Frau diskutierte. „Ich verheimliche dir nichts! Es geht mir gut. Lass dich nicht von den Nachrichten so aufscheuchen! Mein Gott Mao, gib doch nichts auf das Geschnatter dieser Schnepfe!“ Ming Mings Bericht hatte schneller die Runde gemacht als den jungen Männern lieb gewesen war. Selbst jetzt, zu dieser späten Stunde, riefen alte Bekannte und Freunde an, von denen sie manche jahrelang nicht mehr gesprochen hatten. Darunter auch ehemalige Blader die sich zurzeit in Japan aufhielten. Und ausgerechnet Tala war einer davon! Als Tyson dessen kühle Stimme auf der anderen Leitung seines Handys vernahm, klappte ihm die Kinnlade runter. „Wo ist Kai?“ „Tala?!“ „Das ist keine Antwort.“ „Kai ist im Krankenhaus…“ „Wie geht es ihm?“ „G-Gut. Wie kommst du an meine Nummer?“ Tyson hatte ihm niemals seine Handynummer gegeben, da war er sicher. Die beiden kannten sich kaum und kamen auch nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Nicht weil sie sich hassten, sie konnten mit dem jeweils anderen einfach nichts anfangen. Einen Pavian kreuzte man schließlich auch nicht mit einem Specht. „Willst du das wirklich wissen?“ „So- Sollte ich nicht?“ „Ich persönlich würde dir davon abraten.“ „Dann vergiss die Frage…“ „Wie geht es Jana?“ „Auch gut. Ihr ist nichts passiert.“ „Ich hoffe dieser Vorfall hatte keine Auswirkungen auf ein Kind mit ihrer Krankheit.“ „Ja das hoffe ich au-...“ Tysons Backen blähten sich vor Wut auf. „Wieso weißt du davon und ich erst seit gestern?! Ich kenne Kai viel besser als du und ausgerechnet dir erzählt er das seine Schwester krank ist?!“ Ein unheimliches Lachen ertönte von der anderen Leitung. „Was ist so komisch?!“ „Kai hat mir nie davon erzählt. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.“ „Aber woher…“ „Kleiner unwissender Tyson… Ich weiß alles.“ Klick Und schon war Tala Yvanov weg. Tyson hatte, mit nervös zuckender Braue, auf sein Handy gestarrt und kam sich sofort beobachtet vor. Er spürte ein heftiges Prickeln im Nacken, wie bei den meisten Leuten, die dachten dass sie nicht alleine waren. Dann sprang er auf und durchsuchte die Garderobe im Wartezimmer auf Wanzen. Gewissermaßen war das etwas paranoid, aber war Tala nicht alles zuzutrauen? Womöglich arbeitete der junge Russe im geheimen Auftrag einer Terroristengruppe und platzierte Sprengköpfe in Japan. Doch als er dem Zimmer, die Note „Wanzenfrei“ geben konnte, wich Tysons Verfolgungswahn schnell der Erschöpfung. Stöhnend ließ er sich wieder auf seinen Platz fallen. Der heutige Tag hatte an seinem Nervenkostüm gezerrt und er fühlte sich Hundeelend. Trotzdem war er sich sicher diese Nacht kein Auge zu zubekommen. Er massierte sich die Schläfe und versuchte seine Gedanken zu sammeln. Kais Worte kamen ihm wieder in den Sinn. „Das Letzte was ich weiß ist dass ich in Flammen stand…“ Die jungen Männer hatten nach diesen Worten beunruhigte Blicke ausgetauscht. Rays Sorge war soweit gegangen, dass er eine Krankenschwester bitten wollte, Kai noch einmal auf schwere Kopfverletzungen zu untersuchen, doch der hatte nur matt abgelehnt. „Ich will schlafen…“ und als er noch ein leises „Bitte“ hinzufügte, zog Max seine Freunde mit sanfter Gewalt aus dem Raum. Es kam nicht oft vor das Kai seine Erschöpfung offen preisgab, geschweige denn einen Wunsch fast schon flehend hervorbrachte. Doch als sie im Flur standen, fiel ihnen ein, dass Dizzy noch immer in der Geisterwelt umher irrte. Da keiner sich sicher war, ob es ein Fehler wäre, den Laptop jetzt von seiner Energiequelle zu entfernen, schlug Max vor, die Nacht im Krankenhaus zu verbringen. Nun harrte Tyson im Wartezimmer aus, bis Max an der Rezeption alles für die Übernachtung arrangierte, während Ray seine aufgebrachte Frau am Telefon abwimmelte. „Du wirst nicht hier her kommen! Bleib wo du bist, hast du verstanden?!“ Der scharfe Ton passte nicht zu dem Chinesen und Tyson konnte sich vorstellen, dass er Mariah die Tränen in die Augen trieb. Mit seinen Freunden hatte Ray noch nie so gesprochen. Sie tat Tyson Leid. Einpaar weitere wütende Sätze wurden ausgetauscht, dann klappte Ray sein Handy zu und trat wieder durch die Verandatür ins Wartezimmer. „Warst du nicht etwas grob zu ihr?“, fragte Tyson. „Lass das meine Sorge sein.“, kam es missmutig. Doch Rays Blick sprach Bänder. Er schien seine Worte bereits zu bereuen und biss sich auf die Unterlippe. Er war kein schlechter Kerl, sondern wohl einfach noch gekränkt wegen der Geschichte mit dem Kuckuckskind. „Ich bin nicht blind, Junge! Ich weiß wie ein liebeskranker Hahn aussieht. Im Moment trägt er einen schwarzen Zopf und zieht ein Gesicht, als ob er sich am liebsten aufhängen würde.“ Ray sah nur wortkarg zur Seite. „Bei all der Aufregung hast du uns noch gar nicht erzählt, was bei deinem Gespräch mit Mariah rausgekommen ist? Falls ihr euch versöhnt habt, habt ihr meinen Segen, aber vergiss nicht das der Braten in der Röhre nicht deiner ist!“ „Genau darum ging es.“, gestand Ray und strich sich über sein Kinn. „Sie behauptet dass sie bei dem Streit damals vollkommen neben sich stand und mir einfach nur etwas Verletzendes an den Kopf werfen wollte. Angeblich bin ich der Vater…“ Zuvor noch träge in seinem Stuhl versunken straffte sich Tyson sofort. Kerzengerade saß er da und starrte Ray verdattert an. „Heißt das… Sie ist nie fremd gegangen?“ „Das ist es was mir Probleme bereitet.“ Die Stühle im Wartezimmer waren U-förmig gereiht. Ray setzte sich auf die andere Seite gegenüber von Tyson und sah ihn ratlos an. „Selbst wenn ich jetzt einen Vaterschaftstest mache. Selbst wenn das Kind von mir ist… Das kann auch nur pures Glück sein! Ich war vielleicht im richtigen Moment mit ihr im Bett. Wie kann ich aber wissen, ob sie nicht doch fremd gegangen ist? Es klingt alles wie eine faule Ausrede! Ich kann nicht mit dieser Frau zusammenleben, wenn mir ihre Worte vom damals im Hinterkopf herumspuken. Könntest du das?“ Tyson antwortete nicht. Wie gerne hätte er seinem Freund gewünscht, dass seine Ehe wieder in Ordnung kam. Doch er konnte das tiefe Misstrauen gegenüber Mariah zu gut verstehen. Sie hatte eine Behauptung in den Raum geworfen, die nicht bei jedem typischen Durchschnittspaar auftauchte, wenn die Fetzen flogen. Tyson hatte nie etwas gegen Rays Frau gehabt. Um ehrlich zu sein betrachtete er seinen Freund als wahren Glückspilz. Doch so war das eben bei Freunden… Wen die liebten, musste man auch lieben und dasselbe galt auch beim Hass. Doch wusste Ray wie er selber fühlte? Die Ratlosigkeit stand seinem Freund ins Gesicht geschrieben. Tyson atmete seufzend aus, bevor er antwortete. Er mochte solche Gespräche überhaupt nicht. „Du weißt dass ich nicht gerade der beste Ansprechpartner für solche Fälle bin, Ray? Keine meiner Beziehungen hat länger gehalten als einpaar Wochen und dir ist klar, dass es mir dabei nur um Sex ging?“ Ray nickte. Diese Tatsache war ihm durchaus bewusst. Tyson hatte mit den Jahren die schlechte Angewohnheit entwickelt zu Frauen ziemlich unfair zu sein. Es war nicht selten vorgekommen, dass er eine Dame gleich nach der ersten Nacht in den Wind schoss. Das lag vor allem daran, dass er sich nicht gerne festlegte oder etwas sagen ließ. Dieses Verhalten hatte aber eine Vorgeschichte… Bei seiner ersten festen Freundin, hatte er den „Fehler“ begannen, sie nach Strich und Faden zu verwöhnen. Liebeskrank hing er an ihren Lippen, brachte ihr teure Geschenke und las ihr jeden Wunsch ab. Einpaar Monate hielt diese Situation an. Tyson und seine Freundin waren ein Herz und eine Seele – bis der erste Liebestaumel abebbte. Er begann sie für selbstverständlich zu halten, gab sich weniger Mühe als zu Anfang der Beziehung und fiel in sein altes Verhaltensmuster zurück - Tyson war schon immer etwas bequem und störrisch. Seine Freundin begann das zu bemerken und versuchte prompt ihn zu ändern. Aus manchmal banalen Kleinigkeiten wurde für sie ein Grund an ihm zu nörgeln. Irgendwann versuchte sie seine Lebensweise und seinen Charakter vollkommen umzukrempeln, nichts konnte Tyson ihr mehr recht machen, bis er der Beziehung überdrüssig wurde. In dieser Zeit mutierte der treudoofe und anständige Junge, den sie alle kannten, immer mehr zu einem genervten Drückeberger. Er nahm seine Freundin nur noch ungern mit. Sprach sie ihn an oder quengelte, konterte er aggressiv. Tyson war schon immer äußerst impulsiv und aufbrausend gewesen, doch zu dieser Zeit erreichte er den Gipfel. Damals bekam jeder in der Gruppe seine schlechte Laune zu spüren. Irgendwann begann Tyson die Anrufe seiner Freundin zu ignorieren. Ray konnte sich noch gut an das wütende Gesicht erinnern, wenn sein Freund auf sein Handydisplay sah und feststellte, dass sie anrief. Darauf folgten dann ein Schnaufen und ein gereizter Laut, das Ray wie ein Knurren empfand. Auseinandersetzungen zwischen Tyson und ihr standen damals an der Tagesordnung. War sie nicht da, war er bester Laune. War sie anwesend - brodelnder Vulkan. Nach einem weiteren Streit tat Tyson schließlich das, was keiner in der Gruppe von ihm erwartet hätte. Er betrog seine Freundin. Zuerst noch mit schlechtem Gewissen bestraft, fiel die Skrupel schnell von ihm ab und aus dem einen Mal wurden viele weitere. Die Clique hieß das zwar nicht gut, hielt Tyson zuliebe aber die Klappe. Hiromi war damals noch nicht als Au Pair eingeteilt gewesen und hatte jedes Mal nervös auf der Unterlippe gekaut, wenn sie Tyson traf. Es juckte ihr in den Fingern ihm eine Standpauke zu halten, da sie der Meinung war, keine Frau hätte das verdient, doch es ließ sich nicht mit Tyson reden. Er war zu aggressiv… Bis seine Seitensprünge in einem heftigen Streit aufflogen. Ray konnte sich noch gut an den Zwischenfall erinnern, bei dem die Gruppe in den frühen Morgenstunden von einer Feier nachhause gekommen war und Tysons Ex dabei erwischten, wie sie mit einem Schlüssel tiefe Kratzer in sein erstes Auto ritzte. „Arschloch“, ergab das Wort auf dem Lack. An diesem Tag wurde allen klar, dass Tyson bei den Frauen, nun offiziell als mieser Machoarsch verrufen war. Trotzdem… Auch wenn er sich mit den Jahren verändert hatte, legte Ray sehr viel Wert auf Tysons Meinung. Er besaß etwas, was viele Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr hatten – eine ehrliche Zunge. Tyson war bewusst das er nicht perfekt war, doch er schien keinen Gedanken daran zu verschwenden sich zu ändern, als wolle er sagen: „Hier! Das bin ich! Ich hab meine Macken aber damit müsst ihr Leben!“ Wenn es jemanden gab, von dem er eine hundertprozentig ehrliche Meinung erwarten konnte, dann war es Tyson. Dieser sah ihn inzwischen ernst an. Er wusste was Ray von ihm erwartete. „Weißt du Ray, für mich hieß eine Beziehung immer nur eine weitere Tussy flachlegen. Ich habe noch nie eine Frau getroffen von der ich gedacht habe: Das ist die Richtige! Die lasse ich nie mehr weg! Aber bei dir… Du warst nie so. Du warst immer der Vernünftigste von uns allen. Man sah dir immer an wie viel dir Mariah bedeutet. Ich bin nicht der Typ der auf romantischen Kitsch steht, aber ihr beide ward für mich die Verkörperung eines richtigen Paares. Es sah immer so aus als ob euch nichts zum Straucheln bringen könnte…“ „Du meinst also ich soll ihr noch eine Chance geben?“ „Ich will damit sagen, dass ich dir ansehe, wie unglücklich dich diese Situation macht! Sieh dich doch an Ray! Gerade eben noch hast du sie am Telefon angeschnauzt, jetzt sitzt du hier wie ein Häufchen Elend! Weißt du eigentlich was du willst?“ Das schien er nicht. Denn er fuhr sich nur mit geschlossenen Augen über die Stirn. „Wenn sie dir noch etwas bedeutet, dann ruf sie an und klär die Sache!“ „In unserer jetzigen Situation ist es besser wenn sie mir nichts bedeutet…“ „Muss ich diese Logik verstehen?“ Ray sah Tyson ernst an und antworte: „Max hat seine Mutter geliebt und nun ist sie tot. Kai liebt seine Schwester und beide sind heute nur knapp dem Tod entkommen und du liebst deinen Großvater und jetzt liegt er hier im Krankenhaus. Wenn ich mich mit Mariah versöhne, wer denkst du wird die Nächste sein?“ * Tick, Tack, Tick, Tack… Hallte der Sekundenzeiger der Wanduhr durch das dunkle Krankenzimmer, während Kai in seinem Bett schlief. Er lag auf der Seite und in regelmäßigen Intervallen konnte man seine leisen Atemzüge vernehmen. Silbriges Mondlicht drang durch das Fenster, durchschnitt mit einem hellen Schein die Dunkelheit und beleuchtete das Bett des ruhenden Mannes. Die Erschöpfung schien ihn in einen tiefen Schlaf getrieben zu haben. Die Minuten zogen sich schleppend dahin, nur noch wenige fehlten und es würde Mitternacht sein. Da durchbrach die nächtliche Stille ein seltsames Knistern. Der Laptop der auf dem kleinen Tisch vor den Steckdosen thronte und auf Dizzys Rückkehr wartete, begann zu vibrieren. Dann schoss mit einem zischenden Laut ein kleiner Blitz aus einer der Steckdosen und fuhr durch einen der USB Zugänge wieder in das Gerät. Wie von Geisterhand schaltete sich der Laptop wieder an, sämtliche Programme die Dizzy benötigte, um sich bemerkbar zu machen, öffneten sich und keine Sekunde später, schallte die elektronische Frauenstimme des Bit Beast durch den Raum: „Jungs? Jungs ich bin zurück!“ Das Bit Beast verstummte und bemerkte dass man sie im Zimmer zurückgelassen hatte. „Na toll. Alle ausgewandert? Kenny würde mich niemals einfach so stehen lassen. Sauerei.“ Da wanderte ihre Aufmerksamkeit auf das Bett. „Kai? Kai mein Junge. Bitte wach auf! Ich habe dringende Neuigkeiten!“ Einpaar Sekunden kam keine Regung vom Bett. Dizzy erwartete schon durch das Zimmer schreien zu müssen, da setzte sich Kai, ihr den Rücken zugewandt, langsam auf. Mit einem ernsten Gesicht spähte er über seine Schulter zu dem kleinen Tisch. „Tut mir Leid Kai. Ich weiß du bist sehr erschöpft von diesem furchtbaren Tag, aber das hier lässt sich nicht aufschieben. Du musst sofort den anderen berichten was ich dir jetzt sage!“ Dizzy war sich nicht sicher ob Kai sie verstanden hatte, denn zunächst kam keinerlei Regung von ihm. Schließlich glitt er lautlos aus dem Bett und trat auf den kleinen Tisch zu. „Hör gut zu, denn was ich dir sage ist wichtig. Ich konnte nicht alles über die Pläne eurer Bit Beasts in Erfahrung bringen, aber doch einen Teil. Zunächst einmal eine gute Nachricht: Hier im Krankenhaus seid ihr relativ sicher. Die ganzen Menschen hier zu töten würde zuviel Kraft in Anspruch nehmen, deswegen werden eure Bit Beast noch nichts unternehmen. Es geht ihnen einzig und alleine um euch. Eines haben sie aber bereits geschafft, euch wieder als Gruppe zusammenzubringen.“ Kais Blick war gebannt auf sie gerichtet und Dizzy hatte ein schlechtes Gewissen, bei dem Gedanken, den stark abgekämpften Mann solch eine Hiobsbotschaft zu übermitteln. Doch das war etwas worauf sie beim besten Willen keine Rücksicht nehmen konnte. „Anfangs dachte ich euren Bit Beasts ginge es darum euch zu töten, doch ich habe mich geirrt! Es geht ihnen nicht darum euch zu zerstören, sondern euch wieder zudem zu machen, was ihr einmal ward – zu Kindern. Kinder sind in ihren Augen etwas Unschuldiges, Sorgenfreies… und leicht zu Manipulierendes. Doch genau das ist keiner von euch mehr, weil jeder von euch mit den Problemen eines Erwachsenen kämpft. Was denkst du charakterisiert einen Erwachsenen am meisten?“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Verantwortung.“ „Genau. Was einen Erwachsenen am meisten definiert ist sein Pflichtgefühl, seine Erfahrung und die Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen. Verantwortung birgt Pflichten. Verantwortung birgt Erfahrungen. Verantwortung lässt einen Geist reifen! Und jeder von euch fühlt sich einer Person verpflichtet. Max für seine Mutter, Tyson für seinen Großvater und du für deine Schwester! Genau deshalb wurden diese drei Personen angegriffen. In den Augen eurer Bit Beasts hindern sie euch daran, wieder zu euren ursprünglichen Leben zurückzukehren. Ray ist eurem Schicksal nur entkommen, weil er sich bald von seiner Frau trennt. Er fühlt sich ihr nicht mehr verbunden. Sonst wäre die gute Mariah und ihr Baby als nächstes dran gewesen, verstehst du?“ Kai nickte. „Mittlerweile gab es aber eine kleine Planänderung, weil die Uralten unter Zeitdruck stehen. Deshalb sind eure Angehörigen für sie erstmal nebensächlich. Sie wollen euch nämlich nicht nur von euren Pflichten befreien, sondern euch auch körperlich wieder zu Kindern werden lassen. Im Prinzip wäre das möglich, mächtig genug sind sie ja, aber dieser Zustand würde in eurer Welt nur bis zum Ende von Halloween anhalten. Danach würde die Kraft eurer Bit Beasts wieder schwinden und ihr würdet eure erwachsenen Körper zurück bekommen. Deshalb wollen sie euch an einen Ort bringen wo ihre Macht dauerhaft und unbegrenzt ist.“ „Die Geisterwelt…“ Dizzys Stimme klang überrascht als sie antworte: „Ja genau! Du hattest schon immer einen sehr scharfen Verstand. Das mochte ich stets an dir. Obwohl du ein kleiner Grießkram bist. Jedenfalls muss ich euch warnen! Ich weiß nicht wie eure Bit Beasts es anstellen wollen, aber sie werden versuchen euch an einen Ort zu locken, an dem die Schwelle zur Geister und Menschenwelt schon immer am geringsten ist. Für gewöhnlich ist es unmöglich einen Menschen in die Geisterwelt zu verschleppen, aber die Wirkung einer spirituellen Stätte und die Tatsache, dass in einer Viertelstunde Halloween beginnt, wollen sie nutzen um euch in ihre Welt zu ziehen. Haltet euch von Shinto-Schreinen, Kirchen und Mausoleen fern! An diesen Orten wird zur Geisterwelt gebetet, dass allein baut eine Verbindung auf. Und unter gar keinen Umständen, wirklich niemals, dürft ihr einen Friedhof betreten! Über Halloween sind die für euch Tabu! Dieser Ort ist bei uns als „Brücke zur Welt der Lebenden“ bekannt, weil Geister spüren, wenn ihre Angehörigen an ihrem Grab trauern. Viele Menschen merken gar nicht, wie nah der Geist eines Verstorbenen einem ist. In der Zeit nach ihrem Ableben beobachten sie ihre Hinterbliebenen und versuchen ihnen mit ihrer Anwesenheit Trost zu spenden.“ Wieder kam nur ein langsames Nicken von Kai. „Du bist heute Nacht wortkarger als sonst… falls das möglich ist.“ „Die Gefäße…“ „Wie bitte?“, fragte Dizzy perplex. „Hast du etwas über die Gefäße erfahren?“ Einpaar Sekunden herrschte Stille. Die Bit Beast Dame schien Kais Gedankengängen längere Zeit nicht folgen zu können, doch als der Groschen fiel, antwortete sie: „Ach jetzt verstehe ich! Du meinst die beweglichen Gefäße die ein Bit Beast braucht, um Menschen selbstständig anzugreifen. Tut mir Leid Kai… Darüber habe ich nur vage Vermutungen erhalten. Einige Geister sagen, die Uralten würden sich in die Kadaver toter Tiere schleichen. Andere behaupten sogar es wären kürzlich verstorbene Menschen. Das kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. So etwas kostet unglaubliche Kraft, die unmöglich für uns aufzubringen ist. Du musst dir die Anzahl an Nerven, Muskeln und Organen vorstellen, die alle angetrieben werden müssen! Das ist weitaus komplizierter als ein seelenloses Beyblade! Ein menschlicher Körper wird immer mit Lebensenergie angetrieben und die habt selbst ihr Menschen nicht auf ewig, deshalb altert und sterbt ihr auch irgend-…“ Abrupt stoppte Dizzy in ihrem Redefluss. Ihr kam ein Gedanke… Von den Gefäßen hatte sie nur den andern drei Männern erzählt. Kai war zu diesem Zeitpunkt noch bei sich zuhause gewesen. Wie konnte er davon wissen? Er hatte sich Tysons Geschichte nicht einmal bis zum Schluss angehört, da sie ihm zu absurd war. „Woher…“ „Du kannst sehr gut recherchieren.“ „D-Danke.“ Das Bit Beast besah sich ihren Gegenüber argwöhnisch. „Aber du scheinst nicht sehr überrascht.“ „Sollte ich?“ Dizzy blieb stumm. Sie kannte ein Wesen das sich einen Spaß daraus machte, auf Fragen mit Gegenfragen zu antworten. „Was weißt du noch?“ „Nichts.“ Kai beugte sich über den Bildschirm und ein kaltes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Lügnerin…“ Es war keine Beschuldigung. Es war eine Feststellung. Er schien genau zu wissen, dass sie ihm dreist ins Gesicht log. Seine Augen betrachteten den Monitor und Dizzy bemerkte das sie tot und leer waren. „Nein!“, entwich es ihr, als sie ihren Fehler erkannte. „Was hast du mit dem Jungen gemacht Dranzer?!“ „Was denkst du habe ich gemacht?“ „Ist er… tot?“ „Vielleicht, vielleicht auch nicht…“ „Er hat eine kleine Schwester. Sie braucht ihn! Du darfst ihn nicht töten! Hast du kein Herz?“ „Du weißt doch dass ich ihn lebend will.“ „Du kannst nicht in lebende Körper schlüpfen! Das kann nicht sein! Das ist unmöglich! So viel Kraft besitzt nicht einmal du!“ „Du hast nicht einmal eine Vorstellung davon was ich kann.“ „Wie? Wie ist das möglich?!“ Schweigend sah Kai auf sie hinab und ihr wurde klar, weshalb das Bit Beast sich seinen Körper gewählt hatte. Nicht nur weil er Dranzers früherer Blader war, sondern weil er schon immer sehr still, kühl und in sich gekehrt war. Genau wie die wesentlichen Charaktermerkmale eines Geistes. Bei jedem anderen wäre dieses Verhalten sofort aufgefallen, aber nicht bei Kai! Statt ihm antwortete plötzlich eine andere Person. „Es heißt Liebe kann Berge versetzen… Doch Hass ist ein viel wichtigerer Nährboden für Macht!“ Dizzy gab einen schockierten Laut von sich, als aus einer finsteren Ecke eine hünenhafte Gestalt aus den Schatten auftauchte. Jemand schien sich wie ein Gespenst aus der Dunkelheit zu manifestieren. Ein weißhaariger Mann mittleren Alters, trat mit langsamen Schritten neben Kai und legte seine Hand auf dessen Schulter. Er überragte Kai um zwei Köpfe. Mit den langen Haaren und der braungebrannten Haut, wäre er wohl recht attraktiv gewesen, wenn sein Gesicht nicht von striemenhaften Narben entstellt wäre, die sich links und rechts seiner Wange abzeichneten und ihm bis in den Nacken reichten. Obwohl braungebrannt, schien auch in seiner Haut ein ungesunder Ton zu liegen. Die dunkle Kleidung wirkte wie eine Kampftracht, war an Schultern und Füßen mit Fell überzogen, was ihm etwas Ehrwürdiges verlieh. Seine Augen waren wie die Kais leblos, doch die Haltung war stolz und aufrecht, wie ein unerschütterlicher Fels. Nur die bloße Anwesenheit konnte einen Erzittern lassen. Dizzy bekam es mit der Angst zu tun und als Kai das Wort an sie richtete, begann sie zu wimmern. „Wie kannst du es wagen uns in die Quere zu kommen? Du bist nichts weiter als eine kleine Ratte unter unseres Gleichen.“ „Was ihr tut ist aber nicht richtig!“, verteidigte sich Dizzy. „Das sagt diejenige die von ihrem Menschen wie eine Göttin auf Händen getragen wird.“ „Muss ich mich dafür rechtfertigen dass Kenny mich so liebt?!“ „Durchaus nicht“, antwortete Kai überraschend. Dann hob er langsam einen Arm in die Höhe und seine Faust ging in lichtblauen Flammen auf. „Aber das heißt nicht dass du ungeschoren davon kommst…“ Die Faust sauste hinab und Dizzy sah nur eine Möglichkeit. Mit einem zischenden Laut sprang das Bit Beast aus ihrem Laptop, bevor es von dem besessenen Mann zertrümmert wurde. Die brennenden Kleinteile flogen umher, als das Gerät hinter ihr unter dem Schlag zerbrach, doch als Dizzy in die Steckdosen entweichen wollte, wurden diese in die Wand gesogen, als würden sie von Treibsand verschluckt. Dizzys kleiner Blitz knallte gegen den kalten Stein, noch bevor sie fliehen konnte, prallte ab und schlug auf dem Boden ein, wo sich das Bit Beast in seiner wahren Gestalt zeigte – einer winzigen leuchtenden Springmaus. Aufgeregtes Piepsen drang zu ihren Artgenossen hinauf und als sie durch die Türritzen in den Flur flüchten wollte, flammte Feuer auf, hielt das hilflose Wesen in einem lodernden Kreis umzingelt, dass sich schützend die kleinen Pfoten auf den Kopf legte und sich zusammenkauerte, am ganzen Leib zitternd. Der hünenhafte Mann gab ein lautes Knurren von sich, dann zuckte er wie bei einem Anfall und aus seinen Händen wurden riesige Pranken, aus seinem Mund eine mit scharfen Zähnen gespickte Schnauze. Er bäumte sich vor, schwellte auf die doppelte Größe an und Blitze zuckten um ihn herum. Die weißen Haare überwuchsen den gesamten Körper, aus den Narben wurden laubgrüne Streifen, wie die eines Tigers und ehe sich Dizzy es versah, erhob Drigger majestätisch sein Haupt vor ihr. „Kai! Hilf mir! Lass das nicht zu!“, rief sie verzweifelt zu dem Mann. Doch da war kein Kai mehr. Es gab nur noch Dranzer. Nichts als ein belustigtes Kichern kam von Kai, der auf das verzweifelte Bit Beast hinabblickte – die Augen reglos und leer. Drigger thronte neben ihm, sein Schwanz peitschte erwartungsvoll hin und her. „Weißt du was ich nie verstanden habe? “ fragte Kai, während er mit der Hand über den riesigen Tigerkopf kraulte, dessen Augen im Dunkeln unheilvoll leuchteten. „Wieso ausgerechnet ein nutzloses Wesen wie du, von seinem Menschen mehr verehrt wird als wir. Uns würde so eine Behandlung eher zustehen, nicht wahr Drigger?“ Der Tiger gab ein wütendes Grollen von sich. Kai lächelte, beugte sich zu ihm hinab und flüsterte ins Ohr. „Hol dir die Verräterin.“ Und er kam der Aufforderung nach… Dizzy gab ein ängstliches Quieken von sich als der Tiger zum Sprung ansetzte. Mit voller Kraft stütze er sich vom Boden ab. Im Schein des Mondlichts blitzen die Klauen auf und sein weißes Fell strahlte erhaben. Es wäre ein herrlicher Anblick gewesen, wenn nicht die Mordlust in den gelben Augen des Tigers blitzen würde. Sie verkündeten Unheil… Voller Panik rannte Dizzy in ihrem kleinen Gefängnis im Kreis und als Drigger kurz davor stand, sie zu ergreifen, sprang sie kreischend durch die Flammen. Die Erde vibrierte als das Gewicht des Tigers knapp neben ihr aufkam. Mit seiner riesigen Tatze hatte er im Nu ihr kleines Gefängnis gelöscht, nicht einmal ein Brandfleck blieb auf dem Fell, doch Dizzys Schwanz stand in Flammen! Wie von Sinnen rannte das kleine Bit Beast verstört umher, merkte gar nicht wie sie Drigger in eine Ecke drängte und mit ihr spielte. Rannte sie nach rechts, versperrte eine seiner großen Tatzen den Weg. Links dasselbe Spiel. Aus Kais Richtung schallte nur das schadenfrohe Lachen von Dranzer. Es klang gespenstisch. Irgendwann bekam sie Drigger zu fassen, klemmte sie zwischen Boden und Klaue ein. Dann beugte er sich hinab und biss dem zappelnden Bit Beast mit einem Ruck den Kopf ab. Ein letztes Zucken von Dizzy, dann blieb sie reglos am Boden liegen. Es war vorbei… Stille kehrte in den Raum. Drigger warf den leblosen Körper mit der Schnauze in die Luft und mit einem grässlichen Laut, schnappte er danach und verschlang es in einem Stück. Dann sah er zufrieden zu Kai und selbst in seiner Tiergestalt, schien er ihm höhnisch entgegenzulachen. Der junge Mann lächelte gönnerhaft, trat zum zertrümmerten Laptop und mit einer leichten Handbewegung, setzten sich alle Teile wieder nahtlos zusammen. Die zerbrochen Ränder glühten kurz auf, als wären sie gerade zusammengeschweißt. Dann flüsterte er: „Das manche Bit Beasts einfach nicht wissen wo ihr Platz ist…“ * Tyson hatte einen seltsamen Traum… Er war an einem Ort voller Nebel. Dicht und undurchlässig. Ziellos streifte er durch die Landschaft, immer mit dem Gefühl im Nacken beobachtet zu werden. Mehrmals hielt er inne, tastete sich durch die graue Brühe vor ihm, in der Befürchtung über etwas zu stolpern. Irgendwann meinte er die Umgebung besser erkennen zu können und tatsächlich… Neben ihm ragten hohe Gebäude auf. Als er an einem kleinen Nudelsuppenstand innehielt, den er kannte, wusste er auch in welcher Stadt er war. Tokyo. Seine Heimat - jedoch menschenleer. In keinem Gebäude brannte Licht, die Autos waren verlassen, bei manchen stand sogar die Tür offen, von den Besitzern keine Spur. Tysons Schritte trieben ihn fast schon selbstständig weiter, weg von der gespenstischen Innenstadt zu den Wohnvierteln. Er wollte nachhause. Er brauchte einen Ort an dem er sich wohlfühlte… Unterwegs meinte er Laute um ihn herum zu hören. Flüsternde Stimmen die ihm unverständliche Dinge ins Ohr säuselten. Tyson drückte sich die Hand an die Ohren, denn dieses Zischen raubte ihm den Verstand, bis er die verbleibende Strecke zum Kinomiya Anwesen rannte. Er wusste nicht ob es Einbildung war, doch ihm war als würden ihn schimmernde Nebelschwaden verfolgen. Sie zwängten sich wie eine Welle zwischen den Häusermauern hindurch. Als er endlich das Tor zum Anwesen erblickte, stolperte er eiligst durch, verriegelte es hinter sich und lauschte in die Finsternis hinein. Die glimmenden Schwaden zogen flüsternd am Tor vorbei, ihr heller Schein drang bis über die Mauer die das Anwesen umsäumte. Tyson atmete erleichtert aus, stemmte sich vom Tor ab und lief langsam den Kiesweg zum Haus entlang. Selbst die Eingangstür wirkte in der grauen Welt gespenstisch. Als er in den finsteren Flur eintrat war das Erste was ihm auffiel, eine hohe Standuhr direkt gegenüber dem Eingang, wobei er sicher war so etwas Edles noch nie in ihrem Haus gesehen zu haben. Eine dicke Staubschicht sammelte sich an der Oberfläche. Das Pendel im Innern des Gehäuses rührte sich nicht, nur Spinnenweben hingen daran herab. Dicke Rotrückenspinnen fädelten darin an ihren Fallen. Die Zeiger der Uhr tickten rückwärts über das Ziffernblatt, gegen den Uhrzeigersinn. Tyson fand das unheimlich. Er drehte sich von der Uhr weg und wollte den Flur entlanglaufen, da stutzte er. Am Ende des Ganges stand ein riesiger Spiegel, von dem er ebenfalls sicher war ihn noch nie in ihrem Haus gesehen zu haben. Überrascht blinzelte er, trat näher heran und besah sich das gute Stück. Es war ein sehr altmodisches Model, das eigentlich perfekt in dieses traditionelle Haus passte. Tyson betrachtete sein Spiegelbild, da fiel ihm auf wie verwahrlost er aussah. Er richtete sich seine Haare, strich eine freche Strähne aus dem Gesicht und als er fertig war, hob sein Spiegelbild anerkennend den Daumen in die Höhe und zwinkerte ihm zu. Moment was?! Mit einem entsetzten Aufruf wich Tyson zurück, knallte gegen eine Kommode, rutschte daran hinunter und auf dem Möbelstück kam eine Vase ins Straucheln. Laut scheppernd fiel sie auf seinen Kopf und zerbrach in viele kleine Teile, während er getroffen jaulte. Benommen presste er eine ganze Weile die Hände gegen den Schädel, als ob er dadurch das Dröhnen darin verdrängen könnte, bis er ein kindliches Lachen hörte. Tyson betrachtete sein Spiegelbild das sich glucksend den Bauch hielt, dabei änderte es seine Gestalt, wurde jünger und jünger, kleiner und kleiner, bis er sich als Kind erblickte. Frech grinste ihm sein junges Alter Ego entgegen, zog Tysons alte Mütze hinter seinem Rücken hervor, klopfte den Staub darauf ab und setzte sie auf seinen Kopf. Die seltsame Uhr läutete die nächste Stunde an. Plötzlich fühlte sich Tyson seltsam, er richtete sich auf und ihm rutschte die Hose von den Hüften. Überrascht sah er an sich hinunter. Sein dunkler Pullover war um Nummern zu groß, schlackerte ihm bis zu den Knien. Als er merkte dass seine Körpergröße sich soeben halbiert hatte, spähte er panisch zwischen seine Beine… „NEIN!“ „Tyson?“ „NEIN!“ „Wach auf, Tyson.“ „ICH WILL STERBEN!“ „Wieso?! Du sollst doch bloß aufstehen?“ Eine Ohrfeige später schlug Tyson panisch die Augen auf. Über ihm beugte sich Ray und sah ihn verständnislos an. Als er seinen Freund erblickte atmete Tyson erleichtert aus, dann fuhr er wie von der Tarantel gestochen auf, als ihm sein Traum wieder in den Sinn kam und plapperte haltlos drauf los. „Oh Gott Ray! Ich hatte einen heftigen Traum! Alles voller Nebel und nirgendwo Menschen. Ich will zu meinem Haus, gehe rein, alles dunkel, ich schaue in den Flur, da ist ein Spiegel und mein Spiegelbild lacht mich aus weil mir eine Vase auf den Kopf fällt!“ „Reizend. Aber…“ „Nein warte! Das Schlimmste kommt noch! Ich bin plötzlich wieder ein kleines Kind und alles an mir ist klein! Verstehst du Ray? ALLES!“ „Du meinst deinen...“ „Ja! Da fällt mir ein…“ Tyson strampelte die Decke von seinem Körper, öffnete hektisch Gürtel und den Reißverschluss seiner Hose und spähte in seine Shorts. Dann folgte ein erleichterter Ausruf. „Gott sei Dank. Alles noch in gewohnter Länge…“ „Das hoffe ich doch“, antwortete Ray trocken. „Weißt du, manchmal sehe ich dich auf dem schmalen Grad zwischen Verblödung und Geistesgestörtheit balancieren.“ „Das ist doch fast dasselbe…“ Dann fiel der Groschen. „Sehr witzig. Du kannst mich mal! Warum weckst du mich überhaupt?“ Tyson sah auf die Wanduhr im Schlafraum. Es war Viertel nach Zwölf. Genervt heulte er auf. „Ray hast du mal auf die Uhr geschaut?! Stehen in China die Menschen um Mitternacht auf, oder was stimmt mit dir nicht?!“ „Kai ist hier.“ „Was?“ Brüsk schob Tyson Ray aus seiner Sicht und tatsächlich… Da stand Kai und berührte leicht Maxs Schulter, der noch selig im Land der Träume schlummerte. Als er missmutig wieder in die reale Welt fand, murmelte Max schlaftrunken einige Flüche aus und verfiel dabei in seine Muttersprache: „Crap! What the…“ Doch als er Kais ernste Miene über sich erblickte, fragte er: „Was machst du denn hier? Solltest du dich nicht in deinem Zimmer sein?“ Kai sah den jungen Mann nur stumm an, dann wandte er sich von ihm ab Richtung Tür, trat hinaus in den Krankenflügel und ließ den Rest der Gruppe irritiert zurück. „Wo will er hin? Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte Max verschlafen. „Ray was ist los?“ „Ich weiß es nicht. Er benimmt sich die ganze Zeit so…“ „Hat er bisher irgendein Wort gesagt?“ „Nicht einen Ton.“ „Als ob das was Neues wäre! Aber wenn ihr dann ruhig schlafen könnt, sehe ich nach ihm“, Tyson, der bereits aus seinem Bett gestiegen und sich seinen Pullover über die Schulter warf, schlüpfte in seine Sportschuhe. „Kai hatte einen harten Tag. Der Kerl steht total neben sich, dazu muss man kein Genie sein, um das zu erkennen. Haut euch wieder hin Leute, es reicht wenn einer von uns wach ist. Ich bringe ihn in sein Zimmer, das dürfte nicht lange dauern.“ Dann fügte er im Gedanken noch hinzu… „Nach diesem Alptraum kann ich eh nicht mehr schlafen.“ Als Tyson in den Flur trat lag der gesamte Krankenflügel im Dunkeln. Nur eine kleine Lampe an der Rezeption brannte, während die Nachtschwester an ihrem Pult Notizen in Krankenberichte übertrug. Von Kai fehlte jede Spur. Fragend kratzte Tyson sich am Kopf und lief zur Rezeption. Wie war Kai so schnell verschwunden? „Verzeihung, aber haben sie gesehen wo mein Freund hin gelaufen ist? Der aus Zimmer 418. Kai Hiwatari.“ Die Schwester sah von ihren Unterlagen auf und blickte Tyson argwöhnisch an. „Mr. Hiwatari? Der hat sein Zimmer nicht verlassen. Das wäre mir aufgefallen, 418 ist genau in meinem Blickfeld.“ Sie deutete auf die Tür. „Er war gerade bei uns im Gästezimmer…“ „Mr. Hiwatari darf nicht aufstehen. Das würde ich nicht erlauben!“ Die Krankenschwester vor Tyson war ein dicker kleiner Brummer und schien auch sonst sehr angriffslustig. Scheinbar gekränkt, weil er ihr vorwarf nicht aufzupassen, reckte sie ihr Kinn und wirkte dadurch wie eine bissige Kampfbulldogge. Jemand mit einem solchen Gesicht, bekam sicherlich selten Komplimente, deshalb versuchte Tyson es auf die charmante Tour. „Sie sehen äußerst zuverlässig aus und ich kann selbst nicht glauben, dass ihren hübschen Augen etwas entgeht, aber ich bin mir sicher, dass er im Angehörigenzimmer war, immerhin hat er uns alle aufgeweckt.“ Tyson beugte sich über die Rezeption und schenkte der Krankenschwester ein einnehmendes Lächeln. „Würden sie mir helfen ihn zu suchen? Das würde ich ihnen nie vergessen. Wir könnten uns dann auch näher kennenlernen?“ Ein Zwinkern folgte. Finster stierte ihn die Nachtschwester an. Dann hob sie ihren Bleistift in die Höhe und knickte ihn mit ihrem wurstigen Daumen in der Mitte durch. „In dein Zimmer oder ich versohl dir den Arsch!“ „Danke für gar nichts“, meinte Tyson, wandte sich vom Pult ab und murmelte. „Verbitterte Schnepfe…“ „Ich bin nicht verbittert und da geht es nicht zu deinem Zimmer, Freundchen!“ „Ich weiß dass es da nicht zu meinem Zimmer geht!“, äffte Tyson. Die Nachtschwester präsentierte ihm die Faust. „Damit kann ich Wallnüsse knacken und als nächstens versuche ich mich an deinen Hoden! Dann gibst du nur noch Soprantöne von dir, du Pseudo-Gangster!“ „Klar. Leck mich… blöde Schachtel.“ „Wie war das?!“ „Nichts!“ Tyson wollte eigentlich in Kais Zimmer spähen, doch die Krankenschwester machte den Eindruck, als würde sie ihn dann in den Schwitzkasten nehmen. Stattdessen bog er um die nächste Ecke, um dem giftigen Blick der Bulldogge im Nacken zu entkommen. Üble Verwünschungen sprudelten aus seinem Mund, als er ziellos eine Weile umher lief und zum Ende eines dunklen Korridors sah, wo er Kai ausmachte. Er stand ihm den Rücken zugewandt am Fenster und blickte in die nächtliche Schwärze hinaus. Zuerst stutzte Tyson, doch dann trat er zu ihm und folgte seinem Blick. Sie waren im vierten Stock. Von ihrem Punkt aus konnten sie einen Teil der Stadt überschauen. Eine Gruppe Jugendlicher lungerte durch die Straßen, trank Alkohol und grölte lauthals Parolen. Vor einpaar Jahren war Tyson auch so, heute war er zu alt für so etwas. Er schüttelte den Kopf und fragte: „Ist für dich der Anblick von versoffenen Teenies so viel wert, dass du dich nachts aus deinem Zimmer schleichst? Eine Meisterleistung übrigens, die Nachtschwester ist ein mordgieriges Monster…“ Ein verneinendes Kopfschütteln war die Antwort. „Was dann?“ Kai deutete auf etwas. In weiter Ferne, auf einem Hang, lag etwas oberhalb der Stadt ein Friedhof. Überrascht zog Tyson eine Augenbraue in die Höhe. „Was ist damit?“ „Wir müssen dort hin…“ „WAS?!“ Tysons Mund klappte auf und er fuhr erschrocken von Kai weg, der das erste Mal seinen Blick von der Scheibe abwandte und ihn ernst ansah. „Hast du sie noch alle?! Warum willst du zu dem Friedhof?“ „Dizzy hat es gesagt…“ „Sie ist zurück? Seid wann? Hättest du das nicht eher sagen können?!“ Kai blieb stumm. Tyson fiel auf wie barsch seine Frage geklungen hatte und sofort tat es ihm leid, immerhin schien sein Freund durch den Wind. „Tut mir Leid… Was hat Dizzy noch gesagt?“ „Wir müssen zum Friedhof. Alles wird dann kommen, wie es kommen soll…“ „Das klingt ziemlich schwammig.“, nachdenklich verschränkte Tyson die Arme vor der Brust und legte den Kopf leicht zur Seite. „Bist du sicher das Dizzy das so gesagt hat? Normalerweise drückt sie sich präziser aus.“ „Misstraust du mir?“ Tyson blinzelte überrascht. „Natürlich nicht. Aber…“ „Was hindert uns dann?“ „Ich kann Ray und Max doch nicht wecken und ihnen sagen dass, wir mitten in der Nacht zu einem schaurigen Friedhof spazieren! Sie werden Fragen stellen und ehrlich gesagt möchte ich auch wissen worauf wir uns einlassen.“ Kais Brauen zogen sich tief ins Gesicht. Sein Ausdruck verfinsterte sich und er wandte den Kopf zur Seite. „Lügner“, kam es wie ein leises Zischeln. „Wa-…Wieso?“ „Du vertraust mir doch nicht.“ Er wollte sich von Tyson abwenden, der ihn vollkommen perplex ansah. „Warte!“, schnell legte er seine Hand auf Kais Schulter und drehte ihn sachte zu sich. „Das hat nichts mit Misstrauen zu tun! Ich will einfach nur vorbereitet sein. Wir wissen noch nicht einmal wie es weitergeht wenn wir dort sind. Würdest du nicht auch Fragen stellen, wenn ich dir eine solche Nachricht überbringe?“ „Nein.“ Tyson lachte heiter. „Jetzt lügst du aber! Du wolltest mir nicht einmal glauben als ich dich vor unseren Bit Beasts gewarnt habe.“ „Das war bevor ich gesehen habe wie viel du für mich auf dich nimmst.“ Stille kehrte ein… Tyson konnte nicht glauben was er da hörte. Zum ersten Mal… Zum allerersten Mal in seinem Leben bekam er von Kai etwas Anerkennung für seine Leistung! Das war ein Jahrhundertereignis! In seiner Jugend war er mehrmals Weltmeister geworden, hatte jedem seiner Freunde beigestanden und jeder korrupten Organisation die Stirn geboten – noch nie war aber auch nur ein Lob über Kais Lippen gekommen! Sie verstanden sich auch ohne Worte, doch Anerkennung zu erahnen war nicht dasselbe wie sie zu hören. So fühlte es sich verdammt gut an! Tyson kratzte sich lächelnd am Nacken und sah zu Kai hinab. Jetzt wurde er doch tatsächlich verlegen. Vor lauter Freude, wurde er stolz wie ein Erstklässler, der eine Eins nachhause brachte. Wo gab es denn so was? „Für gute Freunde tut man alles, nicht?“ „Das sehe ich…“ Tyson war sicher das damit seine angeschlagene Nase gemeint war. Er rieb sich leicht über die schmerzende Stelle und grinste. Das war wohl Kais Art sich zu entschuldigen. „Naja. Wie ich schon sagte, man tut alles…“ „Warum gehen wir dann nicht zum Friedhof?“ Jetzt ging das schon wieder los! Tyson seufzte. Er wusste sich bald nicht mehr zu helfen. Scheinbar konnte ihm nur eine genaueres berichten… „Ich muss noch mal mit Dizzy sprechen. Vorher gehen wir nirgendwo hin!“ „Wir müssen zum Friedhof.“ „Du gehst schon mal nicht mit! Du wirst schön hierbleiben und dich auskurieren! Und es wäre nett wenn du einmal einen Rat von mir annimmst, ohne das meine Nase gebrochen wird!“ Tyson hätte erwartet das Kai protestieren würde, wie immer wenn man über seinen Kopf hinweg Entscheidungen traf. Doch zu seiner Verwunderung blieb er ruhig und senkte wortlos den Blick. Fast schon folgsam… Das war untypisch, aber auch irgendwie angenehm. Es kostete weniger Nerven. Ihm fiel auf wie blass Kai war und Sorge breitete sich in ihm aus. Er hob seine Hand, wollte fühlen wie warm seine Stirn war, doch als ihm klar wurde wen er vor sich hatte, hielt er in seiner Bewegung inne und wartete erstmal eine Reaktion ab. Keine Einwände. Keine bösen Worte. Kein Todesblick… Vorsichtig schob Tyson seine Hand unter die dunklen Strähnen die die Stirn verdeckten. „Du bist warm“, stellte er fest. Es war ein kleiner Dämpfer für seine Euphorie und insgeheim ärgerte er sich, dass Kai anscheinend nur im Fieberwahn Komplimente verteile. Trotzdem wanderte seine Hand weiter zur Wange. „Dein ganzes Gesicht brennt wie Feuer. Kai du hast Fieber! Und nimm es mir nicht übel, aber deine Blässe sieht auch ziemlich beschissen aus. Fühlst du dich gut?“ Nur ein Nicken als Antwort. Er sah seinen Gegenüber eine ganze Weile besorgt an, wollte herauslesen ob Kai ihn belog. Doch dann wurde ihm bewusst, wie lange seine Hand bereits auf dessen Wange ruhte. Das er ihm das erlaubte? Ein aufgeregtes Kribbeln fuhr durch Tysons Körper, wie bei einem Kind das etwas Verbotenes tat. Ertappt zog er seine Hand weg, die sich anfühlte als hätte er sie versengt und knetete sie beschämt vor sich her. Ihm war als würde von Kai eine glühende Aura ausgehen. Er konnte sich nicht erklären was ihn so empfindlich auf seinem Gegenüber reagieren ließ. „Takao?“, es kam wie ein Flüstern. „Bring mich zum Friedhof, bitte.“ Kais Hände erhoben sich und umfassten Tysons Gesicht, dem augenblicklich ein dicker Kloß im Hals anschwoll. Sein Atem stockte. Mehrmals öffnete sich sein Mund. Er wollte etwas sagen aber sein Kopf war wie leergefegt, viel zu verstört von dieser Berührung. Sie löste ein angenehmes Kribbeln auf seiner Haut aus, löschte jegliche Widerworte aus seinem Kopf und umnebelte seine Gedanken. Er konnte Kai nur verblüfft anstarren, während seine Kehle sich trocken anfühlte, als hätte er eindutzend Fässer mit Sand verschluckt. Sein Blick klebte an Kais Gesicht. „Bitte“, sagte der und sah ihn eindringlich an. „Lass uns zum Friedhof gehen.“ „Warum ist dir das so wichtig?“, fragte Tyson irritiert, mit kratzender Stimme. „Ich muss dort hin.“ „Warum?“ „Weil ich Angst habe…“ „Wovor?“, verdutzt blinzelte Tyson. „Meine kleine Schwester…“, Kai ließ von ihm ab und drehte ihm den Rücken zu. „Ich habe Angst dass ihr etwas passiert. So lange wir unsere Bit Beasts nicht vertrieben haben, kann sie jederzeit angegriffen werden.“ Sein Blick sank zu Boden und sein Gesicht wirkte besorgt. „Ich könnte mir niemals verzeihen wenn ihr etwas passieren würde.“ So war das also… „Ach Kai“, setzte Tyson an und schüttelte den Kopf, gleichzeitig versuchte er die aufwühlenden Gefühle von zuvor zu verdrängen. Daher wehte also der Wind. „Ich weiß ja dass du dir Sorgen machst, aber Jana wird rund um die Uhr betreut. Du musst auch an dich denken.“ Kai sah ihn wieder an und tiefe Trauer lag in seinem Blick. Es versetzte Tyson einen heftigen Stich im Magen. Zum ersten Mal bat sein Freund freiwillig um Hilfe und er verwährte ihm den Wunsch. Er stand im Zwiespalt. Was hatte Vorrang? Kais Gesundheit oder Janas Wohlergehen? Ein Kompromiss musste her… „Weißt du was? Wir gehen zum Friedhof“, beschloss er kurzerhand. „Das tue ich aber nur für dich! Du bleibst dafür hier bei deiner Schwester. Überlass die Angelegenheit uns! Wir nehmen Dizzy mit. Sie kann uns sicherlich weiterhelfen.“ Und endlich lächelte Kai dankbar: „Danke. Du ahnst nicht wie sehr du mir hilfst…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)