Requiem III von Nocturna ================================================================================ Kapitel 1: Remnants ------------------- Vermutlich hatte sie ihn viel zu oft so da stehen gesehen. Öfter als sie zählen konnte. Aber so wie jetzt, die Arme ein kleines bisschen angespannt und die Schultern noch ein bisschen mehr, den Kopf gesenkt- er sah zum ersten Mal aus als könnte er gefährlich sein. Und verletzlich, das auch. Er sah aus, wie ihr später in den Sinn kam, als hätte er ein Spiel verloren dessen Regeln ihm keiner erklärt hatte. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre. In diesem Moment. Nicht, dass sie gewollt hätte, dass er aufsah. Stattdessen betrachtete sie lieber die Maserung der alten Holzbänke die im hellen Licht leuchteten. Sie sahen richtig hübsch aus, diese Bänke, zumindest wenn Licht durch die zerstörten Deckengewölbe fiel und alles in eine honiggelbe, warme Farbe tauchte. Er war immer noch da und seine reglose Gestalt zog ihre Blicke auf sich. Sie wünschte sich es wäre anders. Sie wünschte sich alles wäre anders. Als er sie anblickte und etwas sagte bemerkte sie es gar nicht. Der eine Augenblick in dem er dort stand, verzweifelt und still, andächtig, war für sie technicolorbunt und unendlich. Die sommerlich warme Luft füllte sich vor ihren Augen mit all ihren Ängsten, ihrem tieferen Wissen das ihr so fremd war. Er würde nie vergehen wie Augenblicke es zu tun pflegten. Deshalb sah sie jede Einzelheit. An ihm. Sein Anzug war gar nicht zerknittert, das merkte sie zuerst. Ganz glatt. Bügelfalten und das ganze Programm. Dabei war sie sich ganz sicher, dass er sich nicht anders angezogen hatte als er zu ihr aufgebrochen war. Sie wusste sowas. Bei ihm. Er war der Schatten ihrer Kindheit der bis zu diesem Tag überlebt hatte. Vielleicht eben der Tag an dem sie erwachsen werden musste. Seine Haare sahen auch aus wie immer. Das Einzige das nicht perfekt saß war sein Gesicht. Augen die zu groß waren, eine Stirn die in tiefen Falten lag. Lippen aus denen alles Blut gewichen war. Nichts davon kannte sie an ihm. Er sah müde aus. Tut mir Leid. Das war es, was er gesagt hatte. Und jetzt beobachtete er sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Eigentlich war es gut, dass nie Leute in die Kirche kamen. Sie hatte sich in letzter Zeit zu oft mit diesem einen speziellen Turk getroffen. Das würde die Leute beunruhigen. Immerhin- ja, er war ein Turk. Manchmal kam er ihr gar nicht so vor. Kam ihr vor, wie jemand der ganz normal war. Nur nervös. Wenn er lachte zum Beispiel. Er lachte ganz genau so wie andere Menschen lachen würden. Und er hatte ein wirklich hübsches Lachen. Er lachte selten. Ich habe es versucht, sagte er. Ja, das hatte er garantiert. Er konnte ihr nie etwas abschlagen, wenn es ihr ernst damit war. Das hatte er nie behauptet. Aber sie wusste es trotzdem. Ich habe es versucht, sagte er. Aber es hat nicht gereicht. Es tut mir Leid. Das hatte sie gewusst, und am Liebsten hätte sie ihm das gesagt. Aber sie drehte sich weg. Das hatte sie alles gewusst. Es hatte nicht gereicht. Es hatte nie gereicht, seit er fort war. Es würde nie genug sein. Ihre Tränen leuchteten in dem honigfarbenen Licht, das durch die Balken fiel. Es war nie genug, um ihn zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)