Pirates Must Dream, Birds Must Fly von Votani (Marco x Genderbender!Ace) ================================================================================ Part I – Pirates Must Dream --------------------------- I „Das ist nicht fair!“, stieß Nami genervt aus, als sie ihre Karten auf den Tisch klatschte. Sie war selbst über das allgemeine Stimmengewirr im Pub hörbar. „So viel Glück kann doch kein Mensch haben. Du musst irgendwie schummeln, verdammt!“ Doch Anne störte sich nicht daran, dass man sie des Betrügens beschuldigte. Nein, mit einem Schmunzeln auf den Lippen holte sie mit dem Arm aus und schob die Spielchips in der Mitte des Tisches zu sich herüber. „Das würdest du dir wünschen, was?“ Freundliche Provokation stand in ihren Augen geschrieben, durch ihre Sommersprossen noch hervorgehoben. Die junge Frau auf der anderen Tischseite sah aus, als wollte sie Anne an die Kehle gehen, wurde jedoch durch Gelächter abgelenkt. „Lach’ nicht!“, fauchte Nami den braunhaarigen Kerl neben sich an. Dieser strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Erinnere dich lieber an das letzte Mal, als Anne dich ausgenommen hat, Thatch!“ Und tatsächlich fiel das Grinsen von seinem Gesicht und ließ eine Grimasse zurück, die zeigte, dass er sich daran noch sehr gut zu erinnern vermochte. „Keine Sorge...“, warf Anne amüsiert ein und zuckte knapp mit den Schultern. „Ich bin fertig für heute.“ „Du gehst?“, riefen beide wie aus einem Mund. Die Überraschung galt viel eher den Chips, die sie in ihre braune Tasche schob. „Warum?“, rief Nami aus. „D-Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!“ „Ja, ich spür’ grad eine riesige Glücksträhne herannahen, Anne!“, lenkte Thatch ein und sah sie mit Dackelaugen an. Das ließ Anne nun wirklich leise auflachen. „Sorry, vielleicht morgen wieder.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und schlenderte zwischen den besetzten Tischen hindurch zur Tür des Kokos’. Nur Nojiko, Namis Schwester und Mitbesitzerin des Inns, die hinter dem Tresen Gläser wusch, winkte sie noch zu. Genauer gesagt hob sie die Hand mit dem Beutel, was beide ein Grinsen austauschen ließ. Anschließend ließ sie die bunte Menge, die sich im Kokos zusammengefunden hatte, hinter sich zurück und trat hinaus ins Freie. Die untergehende Sonne brannte auf die kleine Stadt herab, so dass die Luft staubtrocken war und in der Ferne flimmerte. Doch die Hitze war immer noch besser, als der Geruch von Schweiß und Rauch im Inneren. Das hier war das genaue Gegenteil. Es roch nach Freiheit und Leben! Die Wüste, die sich bis zum Horizont ausbreitete wie ein Meer mit gelbem Wasser schien unendlich. Manchmal kam es Anne so vor, als war sie das auch. Fast so, als gäbe es da draußen nichts weiter als Sand und Kakteen - dabei wusste sie es besser. Sie hatte schon viele Geschichten über die merkwürdigsten Landschaften gehört. Irgendwann würde sie hier abhauen und durch die Welt ziehen, um herauszukriegen, ob es sie tatsächlich gab. Grinsend zog Anne ihren roten Cowboyhut tiefer ins Gesicht, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen, und stiefelte zu ihrem Fortbewegungsmittel herüber. Dieses stand neben zwei braunen Hengsten, die an einen Pfahl gebunden waren. Im Gegensatz zu ihr verließen sich viele eben doch auf die Zuverlässigkeit von Tieren, anstatt ihr Vertrauen in die Technik zu setzen. Doch Anne konnte gar nicht anders. Sie liebte die Geschwindigkeit, die ihre Maschine erreichte. Sie liebte den Wind im Haar und auf ihrer nackten Haut zu spüren. Das war etwas, das ihr Pferde nicht geben konnten. Nicht in der Schnelligkeit, die ihr Bike erreichte! Beiläufig fuhren ihre Finger über den schwarzen Lack ihres Motorrads, während ihr Blick auf den orangeroten Buchstaben an der Seite ruhten, die das Wort Striker zusammensetzten. Dann sprang sie bereits auf und ließ den grölenden Motor an, der die Pferde neben ihr mit den Hufen scharren ließ. Anne streckte die Hand nach einem aus und strich dem Tier über den Hals. Anschließend legte sie den Gang ein und düste davon. Sie ließ nur eine Wolke aus Staub und Sand und hustenden Menschen hinter sich zurück. II „Kleine Planänderung, Marco...“, ertönte Vistas Stimme schnarrend über Funk. „Wie es aussieht, triffst du Ms. Bloody Sunday nun im Spiders Café. Sie wird sich dir dort offenbaren und wenn sie sicher ist, dass du clean bist, bringt sie dich zu ihrem Boss.“ Marco verzog das Gesicht, als er seinerseits nach dem Funkgerät griff und es an seinen Mund hielt. „Das war doch von vornherein geplant!“, erwiderte er. „Sie wusste ganz genau, dass wir uns auf dieses Kinderspiel nicht eingelassen hätten, weshalb sie mit der Änderung erst rausgerückt ist, nachdem sie sicher sein konnte, dass ich bereits auf dem Weg bin, um den Deal abzuschließen.“ „Macht das letztendlich wirklich einen Unterschied?“, war alles, was Vista antwortete, und der Blonde konnte schwören, dass er so etwas wie Belustigung aus der Stimme seines Freundes heraushörte. Jedoch musste er feststellen, dass es tatsächlich nicht viel änderte. Jetzt, wo er sich schon in der Luft befand und mindestens die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte, würde er trotzdem nach Logue Town fliegen und alles unter Dach und Fach bringen. Es war eben ein gutes Geschäft. „Nein, over.“ Damit legte Marco das Funkgerät beiseite und konzentrierte seine Sinne wieder auf den Flug. Die Wüste schnellte wie ein gelber Teppich unter ihm hinweg, schien endlos und glühend. Marco war bei weitem kein Wüstenmensch und doch musste er sich eingestehen, dass sie eine gewisse Faszination mit sich brachte. Das kleine Motorflugzeug wurde derweil von einer Böe erfasst und höher und höher dem feuerroten Himmel entgegen getragen. Marco liebte dieses Gefühl. Es war eines absoluter Freiheit, das er unten am Boden nicht finden konnte. Nein, da fühlte er sich nicht federleicht und als ob er alles tun konnte. Hier schon, hier fühlte er jeden Zentimeter, den seine Maschine aufstieg oder sich senkte mit seinem gesamten Körper. Es ließ sein Herz aufgeregt gegen seine Brust schlagen, das Adrenalin durch seine Venen pumpen. Erst das Aufblinken der Armaturlampen riss ihn wieder in die Realität zurück. Er betrachtete sie eine ganze Weile. Fast so, als erwartete er, dass sie ihm sagten, was ihr Problem war. Er selbst konnte keines feststellen. Sprit war noch genug übrig. Der Propeller drehte sich auch einwandfrei. Er klopfte mit dem Finger und gehobener Braue gegen eines der roten Warnlämpchen, während eine Stimme in seinem Kopf ihn darauf aufmerksam machte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ganz und gar nicht in Ordnung, um genau zu sein! Nur, dass das seine Intuition war und sein rationaler Verstand ihm wiederum klar machte, dass da keine Probleme sein dürften. Nicht nur, dass seiner Meinung nach alles reibungslos lief, sondern auch, weil er seine Maschine regelmäßig warten ließ. Denn obwohl er gegen ein bisschen Risiko nichts einzuwenden hatte, war er niemand, der es heraufprovozierte. Im darauffolgenden Moment begann der Motor bereits zu stottern. Entgegen seiner Hoffnung, dass er sich wieder fing, sackte die Maschine ab. Es ging verflucht schnell. Marcos Griff um den Steuerknüppel wurde fester, als er versuchte das Flugzeug wieder hochzuziehen. Vergebens. Die Sanddünen kamen näher, im rasanten Tempo, als der Motor gänzlich den Geist aufgab. Kein rettender Luftzug. Keine zündende Idee, die den Tag und damit sein Leben retten konnte. Nein, es blieb nur das Gefühl des Fallens, anstatt das des Fliegens. Anziehende Gravität, anstatt Schwerelosigkeit. Marco blieb keine Wahl, als zu versuchen die Maschine so sanft wie möglich abstürzen zu lassen. Näher betrachtet, beinahe lachhaft! Bereits als die Räder den Sand berührten, stellte sich dies als unmöglich heraus. Die Maschine wurde zur Seite geschleudert. Sie ließ Marco mit dem Kopf gegen das Glas knallen, Schmerz hinter seiner Stirn explodieren. Seine Arme schossen in die Höhe, um ihn vor weiteren Verletzungen zu schützen, als er im Cockpit herumgeschleudert wurde. III Da dieser Teil von East Sand so gut wie nie überflogen wurde, nahm Anne das Motorflugzeug wahr, ehe es sich überhaupt in ihrem Sichtfeld befand. Es war schneeweiß und nur die Seite war mit etwas Blauem bemalt worden, von dem Anne nicht sagen konnte, was es war. Dafür war es einfach zu weit entfernt. Was sie jedoch bestimmen konnte, war dass sein Pilot einige Schwierigkeiten zu haben schien. Nicht nur, dass die Maschine in der Luft hin und her wankte, sondern sich auch rapide absenkte. Die abgehackten Geräusche des Motors konnte sie selbst über denen ihres Bikes vernehmen. Es war das, was ihre Aufmerksamkeit gänzlich auf sich zog und sie einen Schlenker fahren ließ, als das kleine Flugzeug hinter einer hohen Sanddüne verschwand. Die Absturzstelle, zumindest sah es für sie verdammt nach einer nicht gewollten Landung aus, befand sich nicht weit von ihrem eigentlichen Weg. Es war ein Katzensprung dorthin! Abgesehen davon, dass es längst ihre Neugierde geweckt hatte und sie wusste, dass wenn sie nicht nachschauen ging, die verpassten Möglichkeiten sie für die nächsten Tage verfolgen würden. Mit hundertachtzig Sachen brauste sie auf ihrem Striker durch den Sand. Das Motorrad ließ eine Schneise hinter sich zurück, die von Rädern stammten, die doppelt so breit wie gewöhnliche waren, um nicht im Sand zu versinken und stattdessen gute Fahrt machen zu können. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sie mit ihrem Bike den Sandhügel erklommen und rauschte diesen herunter. Dabei waren ihre Augen fest auf das Flugzeug gerichtet, das unten zum Stehen gekommen war. Die Nase der Maschine mitsamt Propeller war in der Düne vergraben. Die Tür zum Cockpit wurde unterdessen geöffnet und ein blonder Typ ließ sich wie ein nasser Sack nach draußen fallen. Auf Annes Lippen zeigte sich der Ansatz eines Grinsens, als sie auf den Kerl und seine Maschine zuraste. Dieser hatte sie längst ins Auge gefasst. Allerdings zuckte er nicht mal, als sie ihn geradewegs ansteuerte und nur Meter vor ihm entfernt ihr Bike herumriss und den Sand über ihn hineinregnen ließ. Nein, er blinzelte nur ein, zweimal irritiert, während er weiterhin sitzen blieb. Inzwischen stieg Anne ab, zog ihre Fliegerbrille von den Augen und schob stattdessen ihren roten Cowboyhut wieder auf ihren Kopf. Der hatte die Fahrt über an einem Bändchen in ihrem Nacken geruht. Die Augen des Fremden fuhren von ihrem Gesicht hinunter zu ihrem beigen Bikinioberteil. Als er sich zwang den Blick wieder zu heben, begegnete sie ihm mit einem wissenden Schmunzeln. Anschließend stemmte sie die Arme in die Hüften. „Du blutest“, stellte sie trocken fest. Die Hand des Blonden wanderte daraufhin fast automatisch zu seiner linken Schläfe und tastete dort entlang, um sie blutig wieder sinken zu lassen. Überrascht schien er nicht. „Meine Maschine hatte scheinbar einen technischen Fehler“, erwiderte er stattdessen und sah kurzzeitig an sich herunter, als wollte er sichergehen, dass er keine weitere Verletzung davon getragen hatte. Auch Anne ließ ihren Blick über seine Gestalt wandern. Er trug lediglich ein violettes Hemd, das ihm offen um die Schultern hing, und eine blaue Dreiviertelhose mit einem helleren Tuch um die Hüfte gebunden. Das, an was ihre Augen hängen blieben, war jedoch die Tätowierung auf seinem Brustkorb. Sie wusste nicht, was es bedeutete, aber dasselbe war auf das Flugzeug gemalt worden. Sie stampfte in ihren schwarzen Stiefel auf es zu. Genau unter dem Zeichen, über das nun ihre Fingerkuppen fuhren, befand sich ein Phönix, an dem blaue Flammen züngelten. Erst danach wandte sie sich an Marco und hielt ihm ihre Hand entgegen. „Sieht so aus, als seiest du gestrandet...“, bemerkte sie nebenbei. Da mussten mindestens acht, neun Jahre zwischen ihnen liegen, stellte sie fest, als dieser sich selbst aufrappelte, anstatt sich von ihr aufhelfen zu lassen. „Sieht so aus...“ Dann wandte sich der Blonde seinem Flugzeug und ihr damit den Rücken zu. Scheinbar hegte er kein großes Interesse an Hilfe oder an Bekanntschaften. Allerdings war das nichts, was Anne abschrecken konnte. „Man sagt mir zwar immer, dass ich keine Streuner mit nach Hause bringen soll, aber du siehst aus, als hättest du es nötig“, erklärte sie, als sie ihre Hände in den Hosentaschen ihrer schwarzen Hotpants schob. Der Bruchpilot sah sie daraufhin skeptisch über seiner Schultern hinweg an. Für einen Augenblick sah er aus, als glaubte er, dass sie es ernst meinte. Zumindest, bis er das spitzbübische Grinsen auf ihren Lippen entdeckte. Das konnte sie ihm ansehen. „Und mir sagt man immer, ich soll nicht mit Fremden reden“, konterte er und wandte sich abermals von ihr ab, um an seiner Maschine herumzuwerkeln und nach möglichen Fehlern zu suchen. Glaubte er wirklich, dass er sie so einfach wieder flott bekam? Dass er von hier abheben konnte, selbst wenn er erfolgreich war? „Mein Name ist Portgas D. Anne!“, lenkte Anne irgendwann ein, nachdem sie ihren Gegenüber eine Weile beobachtet hatte. „Eh?“ „Wenn du weißt, wie ich heiße, dann hast du keine Ausrede mehr, dich nicht mit mir unterhalten zu müssen“, erklärte Anne amüsiert. Abermals wurde sie skeptisch gemustert. Jene Skepsis vermischte sich nach wenigen Sekunden mit einer stillen Erkenntnis, die Anne nicht genau deuten konnte. „Marco.“ „Also, Marco...“, begann Anne verheißungsvoll und ließ ihren eigenen Blick wieder auf seinem Motorflugzeug zum Liegen kommen. „Wie ich das sehe, kommst du nicht von hier.“ Es war eindeutig. Nicht, dass er wie der typische Tourist wirkte oder aussah, als habe er zum ersten Mal Fuß in East Sand gesetzt. Genauso wenig deshalb, weil Flugzeuge selten Routen über East Sand nahmen, sondern weil sich Anne sicher war, dass sie sein Gesicht von einem der Steckbriefe her kannte. Diese klebten in Windmill Village an jedem Mast und jeder Hauswand, zusätzlich wurden sie noch in den Zeitungen abgedruckt. Anne studierte sie stets mit einer Mischung aus Faszination und Abschaum, je nachdem, warum sie gesucht wurden. Und jetzt, wo sie den Blonden etwas näher betrachtet hatte, das Zeichen entdeckt hatte, war sie sich sicher, dass dieser Marco einer der Gesuchten war. „In spätestens einer halben Stunde wird es hier stockfinster sein - und hier kommt eine Menge Zeugs nachts raus, mit dem du keine Bekanntschaft machen willst! Deshalb schlag’ ich vor, dass du dir ’nen Ruck gibst und mit mir kommst. Ich war sowieso gerade auf dem Weg nach Hause. Ich kenn’ da sogar jemand, der dein Baby hier im Nu wieder hinkriegt.“ Misstrauisch musterte Marco Anne, ehe er schließlich mit den Schultern zuckte. Wahrscheinlich sah er ein, dass ihm eigentlich kaum keine andere Wahl blieb. IV Marco war niemand, der gerne Hilfe annahm, weswegen es fraglich war, warum er überhaupt auf das Angebot dieser Anne eingegangen war. In den Kreisen, in denen er verkehrte, konnte einem falsch gesetztes Verstrauen kosten. In seinem Business musste man sich vor jedem in Acht nehmen. Schon alleine wegen Kopfgeldjägern, die einem in allen Geschlechtern und sonst wie abgelegenen Orten an die Kehle gehen wollten. Zwar könnte diese Anne, die vor ihm auf dem Motorrad saß, ebenfalls eine sein, doch das fiel Marco schwer zu glauben. Kopfgeldjäger gaben nicht offen zu, dass sie wussten, dass ihr Gegenüber Dreck am Stecken hatte. Nein, sie wollten ihre Beute viel eher in Sicherheit wiegen, um ihnen dann von hinten ein Loch in den Kopf zu schießen. Wenn tot oder lebendig auf dem Steckbrief stand, konnte man davon ausgehen, dass die nächste Kugel einem gehörte. Doch es hatte Anne in den Augen gestanden, dass sie sich klar darüber war, dass kein gewöhnlicher Kerl vor ihr stand. Das Wissen darum hatte ihn praktisch aus ihrem Gesicht heraus angelächelt. Genauso, als ihre Finger über das Zeichen an seinem Flugzeug gefahren waren, hatte er es bemerkt. Es war voller freundlicher Provokation gewesen, die so viel wie „Na, gibst du es zu oder versuchst du dich doch herauszureden?“ gesagt hatte. Es war ein triezendes „Versuch ruhig dich zu verstellen, ich weiß es ja doch besser!“ Nur, dass kein Laut davon über ihre Lippen gekommen war. Das war vermutlich dass, was ihn hatte einwilligen lassen, anstatt sich in eine wahllose Richtung aufzumachen und zu hoffen bald auf Zivilisation zu stoßen. Wie das ausgegangen wäre, wollte sich Marco lieber nicht ausmalen. Dass er vom Glück nicht gerade verfolgt war, war nichts, was sich von gestern auf heute entwickelt hatte. „Was machst du beruflich?“, rief er über den Krach ihres Bikes hinweg und hielt sich eher notdürftig mit den Händen an ihrer Hüfte fest. Es war nicht so, dass er noch nie auf einem Motorrad gesessen hatte, doch es war neu, dass eine Frau am Steuer saß, die wie eine besenkte Sau von einer Düne zur nächsten bretterte. Marco wurde herumschleudert, so dass sich ihm der Magen umdrehte. Und sobald er die Zähne aufeinander biss, knirschte der Sand in seinem Mund. Glücklichweise hatte Anne wenigstens noch eine zweite Fliegerbrille dabei gehabt, die ihm überhaupt erlaubte seine Augen offen zu halten. „Dies und das...“, gab sie vergnügt zurück. Statt sie ihm einfach sagte, dass es ihn nichts anginge... Dies und das - was war das für eine Antwort? „Und, was machst du beruflich, Marco?“ „Dies und das...“, wiederholte er und Anne lachte auf. Ihre Stimme war hell und einladend, und Marco fand sich ihren Hinterkopf betrachtend. Den Rest der Fahrt hüllten sie sich beide in Schweigen, doch dem Blonden war das nur recht. Er war sowieso nicht der große Redner, das überließ er grundsätzlich lieber anderen. Irgendwann jedoch, als der Himmel längst von einem feuerrot zu einem blauviolett Ton übergegangen war, riss ihn Anne wieder aus seinen Gedanken, in dem sie die Geschwindigkeit ihres Bikes verringerte. „Da sind wir!“, sagte sie, als sie kurzzeitig hielten und der Sand vor ihnen sich in einen Krater absenkte. Dieser war mindestens einen Kilometer breit, wenn Marco das richtig abschätzte. Ungefähr in seinem Zentrum stand ein riesiges Holzhaus. Drumherum einige Kakteen, angebundene Pferde und noch ein anderes Motorrad, das mit allerlei anderen Sachen auf seiner Seite im Sand lag. Es wirkte ein bisschen wie ein Schrottplatz, wenn Marco ehrlich sein sollte. Allerdings hatte er genug Manieren und Taktgefühl, um das nicht auszusprechen. Nein, er war dankbar für die Gastfreundschaft – oder was auch immer das letztendlich sein mochte. Erst als Anne ruckartig aufs Gaspedal trat und sie die Düne herunterdonnerten, erkannte Marco eine Person vor dem Haus. Sie saß auf einem Stuhl und starrte in ihre Richtung. Es war eine Frau, wie er bemerkte, als Anne beinahe provokant vor ihr die Maschine stoppte und beide abstiegen. Sie war aufgedunsen und rote Locken umrahmten ihr grimmiges Gesicht und die Zigarette in ihrem Mundwinkel. Doch es war Marco, dem dieser Blick galt und nicht Anne selbst. „Wer ist das, Anne?“, fragte sie und warf die geschälte Kartoffel zu den anderen in den Eimer. Den anderen, der bis zur Hälfte mit brauner Schale gefüllt war, schob sie mit ihrem Stiefel von sich, ehe sie sich von dem Stuhl erhob, der an der Hauswand stand. „Das ist Marco! Er wird ein paar Tage oder so hier wohnen, Dadan.“ Mit diesen Worten schob die junge Frau sich an der Älteren vorbei und betrat das Haus. Derweil fraß sich Dadans Blick in Marco hinein wie Säure. „Du kannst doch nicht andauernd irgendjemand neues hier anschleppen, Mädchen!“, rief sie Anne nach, wobei ihre Aufmerksamkeit immer noch dem Blonden gehörte. Scheinbar war das nicht das erste Mal, dass so etwas geschah. Oder wie sollte er das deuten? „Tickst du noch ganz richtig? Wir füttern hier doch nicht jeden heruntergekommenen Vagabunden durch!“ Noch bevor Marco dazu etwas hätte sagen können, war Dadan schon hinter Anne ins Haus gestolpert. „Damals als Garp dich hergebracht hat, hätte ich gleich um ein paar Handschellen bitten sollen! Das hätte mein Leben um einiges erleichtert, als mich mit undankbaren Gören wie euch herumzuschlagen!“ Marco sah ihnen irritiert nach, ehe er nach einem Zögern ebenfalls eintrat und die Tür hinter sich schloss. V „Wir bringen es dann morgen früh vorbei“, sprach Anne in das Funkgerät hinein, das sich auf einem Schrank im Esszimmer befand. Der Tisch in der Mitte des Raumes war inzwischen bereits gedeckt. Dogura und Magura, zwei der offensichtlichen Banditen, wie man aus geführten Gesprächen heraushörte, brachten gerade die Schüsseln mit Essen herein. Die beiden Männer hätten unterschiedlicher kaum sein können. Magura war größer als Anne, braungebrannt und hatte einen rotschwarzen Bart. Im Vergleich zu Magura war Dogura jedoch nichts weiter als ein Zwerg mit einem Turban auf dem Kopf. Anne kannte beide, seit sie denken konnte, so dass ihre Anwesenheit, genauso wie die von Dadan und den anderen Jungs zu einer Gewohnheit geworden war. Statisches Rauschen folgte derweil ihren Worten, dann ein „Geht klar, over!“ „Glaub’ mir, wenn jemand deine Maschine wieder fit kriegt, dann Franky“, wandte sich Anne schließlich an Marco, der bereits am Tisch saß. Dieser tastete gerade mit einer Hand an seinem Verband entlang, der vorhin sorgfältig von Anne um seinen Kopf gewickelt worden war. Nun schlenderte sie zu ihm herüber und ließ sich auf der anderen Seite nieder. „Danke. Auch für die Gastfreundschaft. Übrigens kann ich dafür aufkommen“, erwiderte er, als auch Dadan von der Küche ins Zimmer eintrat. Sie ließ sich am Kopf des Tisches nieder, links und rechts von ihr jeweils Dogura und Magura, die sich bereits die Teller füllten. Die restlichen Jungs machten es sich an den Wänden und auf dem offenen Boden gemütlich und schwatzten miteinander. „Du meinst Geld?“, fragte Dadan mit einem hoffendem Unterton, woraufhin Marco nickte. Anne beobachtete beide schweigend. „Wie viel?“ „Wie viel verlangt ihr?“ Scheinbar war Marco ein schlaues Kerlchen, dass er für die Unkosten aufkommen, aber sich trotzdem nicht von Fremden ausnehmen lassen wollte. „Vergiss es...“, lenkte Anne ein und fuhr Dadan somit über den Mund. Auch sie klatschte inzwischen Kartoffeln auf ihren Teller und schob sich mit einem Grinsen eine in den Mund. „Franky arbeitet nicht umsonst, da solltest du erst mal dein Geld zusammenhalten.“ Zwar konnte Anne da sicher das ein oder andere drehen, wenn sie wollte, doch das gehörte jetzt nicht zum Thema. Stattdessen ignorierte sie Dadans angepissten Blick und schaufelte sich das Essen in den Mund. Keine zwei Sekunden später wurde jedoch die Eingangstür aufgerissen und krachte mit einem Knall hinten gegen die Wand. Ruffy stand im Türrahmen, die Augen auf das Essen fixiert. Das roch er jedes Mal zehn Meilen gegen den Wind. Das war nichts, was Anne noch überraschen konnte. Marco dagegen schon, wie sie mit einem Blick aus dem Augenwinkel heraus feststellte. „Abendessen?“, rief der Schwarzhaarige mit dem Strohhut entgeistert. „Und niemand ruft mich?“ Er klang ehrlich empört, trabte aber trotzdem zu ihnen herüber und ließ sich neben Anne auf dem letzten freien Stuhl nieder. „Eine verpasste Mahlzeit bringt dich schon nicht um!“, murrte Dadan, die Ruffy die Schüssel mit den Kartoffeln entriss, um sich noch etwas aufzufüllen, ehe der Junge wie ein ausgehungertes Raubtier über sie herfallen konnte. „Du frisst uns sowieso noch mal die Haare vom Kopf!“ Doch Ruffy hörte nicht mehr, sondern angelte nach dem Fleisch. „Das ist mein kleiner Bruder, Ruffy!“, erklärte Anne schließlich an Marco gewandt, der mehr in seinem Essen stocherte als alles andere. Nebenbei schob sie Ruffy den Beutel mit dem Spielchips zu und murmelte ein „Wenn wir das umtauschen, ist das ein kleines Vermögen!“ „Klasse, Anne!“, erwiderte der Jüngere an einer Hühnerkeule herumkauend. „Na ja, eine gewisse Ähnlichkeit sieht man schon...“, erwiderte Marco inzwischen, was sowohl Anne als auch Ruffy mit vollem Mund grinsen hatte. Nur Dadan, Magura und Dogura schauten eher nüchtern drein. „Aber ihr seid nicht verwandt?“, hakte Marco keine Minute später nach und sah zwischen Dadan und den Geschwistern hin und her, woraufhin die beiden anderen Männer aufprusteten und Essen über den Tisch spuckten. „Was?“, zischte auch Dadan, während sie sich ihren Handrücken mit einem Essenstück an ihrem Hemd abwischte. „Wenn ich mit einen der beiden auch nur entfernt verwand wäre, würde ich mir schon vor langer Zeit selbst die Kugel gegeben haben!“, fasste Dadan zusammen, als sie die Gabel klirrend fallen ließ und stattdessen eine neue Zigarette anzündete. „Diese Bälger sind die Qual! Manchmal frag’ ich mich, womit ich das verdient habe! Nur weil sie niemand will, dürfen wir uns um sie kümmern, so-“ Abermals war es Anne, die Dadan das Wort abschnitt. Diesmal, weil sie schabend den Stuhl zurückschob und im nächsten Mal auf der Treppe ins oberste Stockwerk verschwunden war. Die Anwesenden sahen ihr nach, hörten nur die Tür zu ihrem Zimmer zuknallen und hatten keine Ahnung, dass sie noch immer oben im Flur stand. Lauernd, wartend. „Hab’ ich etwas... falsches gesagt?“, erkundigte sich Marco nach einer Weile mit bedächtiger Stimme, doch Ruffy lachte bereits wieder auf. „Nein, Anne redet nur nicht gerne über solche Dinge! Und auch nicht über ihre Eltern“, fügte er dann schmatzend hinzu. Anne, die mit dem Rücken zur Wand stand und jedes Wort hören konnte, schloss die Augen und lehnte den Kopf nach hinten. „Ihre Eltern?“, wiederholte Marco inzwischen. „Was ist mit deinen Eltern?“ Natürlich musste diese Frage kommen. Immerhin hatte sie Ruffy als ihren Bruder vorgestellt. „Oh...“, machte Ruffy unbekümmert. „Wir haben verschiedene Eltern. Und Anne wird immer sauer, wenn ich über ihre rede.“ Und das war der Moment, in dem die Wut tatsächlich in Anne hochkochte und ihre Zimmertür sich abermals öffnete, um laut zu zufallen. VI Windmill Village war ein klitzekleiner Punkt auf der Landkarte, ein Dorf mitten im Nirgendwo. Hätte Marco es nicht bereits auf der Karte gesehen, die er studiert hatte, als er seine Route nach Logue Town ausgearbeitet hatte, hätte ihm der Name nichts gesagt. So wusste er wenigstens seine geographische Position. Vor allem aber wusste er, dass es nur wenige Stunden von Logue Town entfernt war. Diese war die einzig größere Stadt im näheren Umkreis und reinzufällig der Ort, an dem er heute Nachmittag sein sollte. Hätte sein Flugzeug nicht ein paar Kilometer weiter abstürzen können? Zum Beispiel, in der Nähe der Stadtgrenze? Aber nein, so viel Glück konnte er selbstverständlich nicht haben! „Frankys Werkstatt ist nicht mehr weit“, erklärte Anne inzwischen. Die Sache von gestern ließ sie offensichtlich auf sich beruhen. Allerdings war das fast zu viel gesagt, sie tat eher so, als habe es sie nie gegeben. Zumindest fasste Marco das so auf, der die fehlenden Erklärungen mit eigenen Interpretationen ausfüllte, um wenigsten zu versuchen, sich einen Reim daraus zu machen. Seltsam, dass sie sich heute benahm, als wäre nichts vorgefallen, fand er es nämlich schon. Für Anne schien es dagegen Hand und Fuß zu haben, denn sie war genauso heiter und locker wie als sie ihn in der Wüste aufgegabelt hatte. „Und wer ist Franky genau?“ „Die beste Mechanikerin, die du in dieser Gegend finden kannst“, erklärte Anne und beschleunigte das Motorrad. Im Gegensatz zu ihrer gestrigen Fahrt schlichen sie dennoch im Schneckentempo über den Sandweg des Dorfes. Allerdings war dieser auch gerade breit genug mit dem Anhänger hinten dran, der das kleine Motorflugzeug trug. Eine Attraktion waren sie trotz allem. Die Bewohner schauten ihnen über ihre Schultern nach oder blieben gleich stehen oder spähten bei dem Krach aus Türen und Fenster. Die unerwünschte Aufmerksamkeit ignorierte Marco jedoch, obwohl es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand als einen Gesuchten identifizieren konnte. Den einzigen Vorteil, den er hatte, war dass er in dieser Gegend noch nie zuvor gewesen war und eigentlich auch keiner erwartete, ihm hier über den Weg zu laufen. Das war eben doch kein Gebiet, in dem er für gewöhnlich agierte. „Wie gesagt, wenn sie dein Flugzeug nicht hinkriegt, dann kannst du es in die Tonne kloppen“, fuhr Anne derweil fort und grinste ihn an, in dem sie den Kopf zur Seite drehte. Da fiel Marco erst richtig auf, dass die Frau vor ihm auf dem Motorrad Sommersprossen und Grübchen besaß. Genauso, dass ihr das ziemlich stand und ihre pfiffige Art noch hervorhob. Kein Wunder eigentlich, wenn er abermals direkt hinter ihr saß und alles, was seine Finger von ihrer Haut trennte, das bisschen Stoff ihrer Hotpants war, die mit einem Gürtel auf ihren Hüftknochen saß. Allerdings vermied er es näher über diesen Umstand nachzudenken, indem er seinen Blick diszipliniert von ihrer Gestalt riss und ihn stattdessen über ihre Umgebung wandern ließ. Obwohl die Sonne noch nicht ganz am Himmel stand, herrschte schon reges Treiben in Windmill Village. Im Herzen des Dorfes befand sich der Markplatz mit allerlei Ständen, die alles von Gemüse und Brot, bis hin zu Kleidung und Spielzeug verkauften. Die Einwohner bildeten eine bunte Masse, die sich hierhin und dorthin schob. Doch ihr Weg führte sie weg von dem Trubel und in einen verlasseneren Teil, wo die Menschen weniger und die Häuser abgenutzter wurden. Kurz darauf passierten sie durch ein riesiges Holztor die Grenze des Dorfes, doch Marco brauchte nicht fragen, wohin es ging, da sich in der Ferne ein kastenförmiges Gebäude abzeichnete. Es hatte nur ein Stockwerk und dahinter befand sich ein Friedhof für Maschinen und deren Teile. Marco hätte nicht Annes Zuhause mit einem Schrottplatz vergleichen sollen, denn das war gegen diesen Ort glatt noch sauber und aufgeräumt. Sie hielten vor der offenen Garage, die in einen riesigen Innenraum führte, der mit weiteren technischen Schnickschnack vollgestellt worden war. Zwischendrin stand ein kleines Sofa und ein Tisch mit Stühlen. In einer Ecke meinte Marco sogar eine Kochnische ausmachen zu können. Hier schien tatsächlich jemand permanent zu hausen. Was es nicht alles gab... Allerdings behielt er diesen Gedanken ebenfalls für sich, da er davon ausging, dass diese Franky eine Freundin von Anne war und er ganz genau wusste, wie er selbst reagieren konnte, wenn man seine Freunde beleidigte. Von Anne würde er die doppelte, wenn nicht sogar dreifache Reaktion erwarten, da doch ein kleines Temperament in ihr zu schlummern schien. Diese stiefelte direkt hinein in das Haus, um durch eine offene Tür im hinteren Teil zum Schrottplatz zu gelangen. Marco wurde klar, dass sie oft hier sein musste, da sie schnurstracks über Maschinenteile hinwegstieg und hinter einem Haufen verschwand, der höher war als sie selbst. Marco folgte ihr, um sich daraufhin mit einem blauhaarigen Roboter konfrontiert zu sehen. Dieser betrachtete ihn aus glühenden Augen. „Mach’ dir nicht ins Hemd, Alter!“, ertönte eine Stimme hinter der Gestalt, so dass Marco herumtrat und die Besitzerin skeptisch musterte. Diese schmiss eine Klappe, die sich auf dem Rücken des Roboters befand zu und richtete sich auf. Ähnlich wie Anne, hatte auch sie etwas ganz Eigenes an sich. Dabei dachte Marco immer, dass er schon alles im Leben gesehen hatte. So konnte man sich irren... „Das ist Franky“, erklärte Anne und deutete auf die Frau mit der blauen Elvistolle. Doch die war nicht das Außergewöhnlichste an ihr, sondern viel mehr die metallische Nase, die inmitten eines tiefgeschminkten Gesichts saß. Dazu trug sie nicht viel mehr am Leib als Anne. Nein, sie trug nur einen roten Bikini mit einer abgetragenen Lederjacke darüber und langen, schwarzen Stiefeln. „Und Franky, das ist Marco. Er hat ein Problem mit seiner Maschine. Erklär’s ihr, Marco!“ „Mein Flugzeug hatte einen technischen Fehler“, erklärte dieser mit monotoner Stimme. Seine Aufmerksamkeit lag unterdessen auf dem Roboter. Es war eine männliche Version von der Frau vor ihm. Obwohl ihm das erst jetzt einfiel, lag es eigentlich auf der Hand. Wenn das mal nicht exzentrisch war, wusste Marco auch nicht mehr. „Ich hatte aber noch keine Zeit es mir genau anzuschauen.“ „Habt ihr es mitgebracht?“, fragte sie. „Ja, steht vorne“, warf Anne ein. Daraufhin schob sich die Blauhaarige an ihnen vorbei und Anne und Marco folgten ihr. Kein Wort fiel mehr, als sie seine Maschine ansteuerten und Franky auf den Anhänger hinaufkletterte und sich den Motor anschaute. Minuten vergingen und Marco bekam das Gefühl, dass sie vergessen hatte, dass Anne und er überhaupt noch hier waren. Erst als sie sich herumdrehte und die Arme in die Hüften stemmte, bewies sie ihm das Gegenteil. „Eine Woche, dann wird sie schnurren wie ein Kätzchen, wenn du sie startest.“ Weder ihre Stimme, noch ihre Haltung ließ Widerspruch zu, so dass Marco sich seine Frage, ob das nicht möglicherweise schneller ging, wieder herunterschluckte. Er diskutierte nicht, wenn ihm schon vorher klar war, dass es keinen Sinn hatte. Inzwischen zog ein gefälliges Grinsen an den roten Lippen der Mechanikerin. „Aber es geht aufs Haus. Annes Freunde sind für gewöhnlich auch meine.“ Erstaunt betrachtete Marco seine Gegenüber. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Genauso wenig wie mit Annes Ellenbogen, der sich in seine Seite bohrte, als sie belustigt schnaubte. „Uhm,... danke.“ „Übrigens siehst du in Wirklichkeit viel süßer aus, als auf diesen billigen Steckbriefen“, bemerkte Franky und Anne lachte leise auf, als Marcos Gesichtszüge noch etwas weiter entgleisten und seine Ohrenspitzen zu glühen begannen. Aber wer erwartete auch, so etwas einfach an den Kopf geknallt zu bekommen? VII „Da war Dadan sicher begeistert, dass du nach Sabo noch einen Typen anschleppst. Was, Anne?“ Nojikos lachte leise auf und trocknete nebenbei auch die restlichen Gläser ab. Dazu konnte Anne nicht viel sagen. Sie konnte durchaus verstehen, dass Dadan sauer war, wenn sie jemand fremdes mit nach Hause brachte, aber sie bereute es auch nicht. Sowohl Sabo als auch Marco hatten eine helfende Hand gebraucht. „Das mit Sabo war was anderes“, erklärte sie trotzdem amüsiert, obwohl der Gedanke an Sabo noch immer für einen Stich in ihrem Herzen sorgte. Allerdings ließ sie sich das nicht anmerken, schon gar nicht, als sie Marcos durchdringenden Blick von der Seite spürte. Obwohl es Unsinn war, kam es ihr fast so vor, als konnte er hinter ihr Grinsen sehen. Das war etwas, mit dem sie nicht umgehen konnte, da sie ihre Maske immer für perfekt gehalten hatte. Nur bestimmte Leute oder wenigstens Leute, die sie schon lange kannten und viel von ihr wussten, ließ sie dahinter blicken. Aber ein Fremder? Marco? Wahrscheinlich bildete sie sich das sowieso nur ein. „Wir waren Kinder und Sabo hatte Feinde, die einen längeren Arm hatten als er. Marco sieht aus, als kann er sich recht gut selbst verteidigen.“ Damit nickte sie in die Richtung des Revolvers, der unter seinem offenen Shirt hinten in der Hose steckte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wurde ihm klar, dass auch sie hinter seine gelangweilte und desinteressierte Fassade blicken konnte. Allerdings machte sie kein Geheimnis daraus, dass sie den gefährlichen Kerl in ihm sehen konnte. Letztendlich war es doch so, dass sie alle eine Seite hatten, die sie versteckten und nicht jeden sehen ließen. Marco war da nicht anders. Sie selbst war auch es nicht. „Du siehst aber auch nicht ohne aus...“, bemerkte dieser unterdessen. Er wandte seinen Blick auf das Jagdmesser, dann an ihrer Hüfte hing, ehe er ihn auf das Glas richtete, das vor ihm auf dem Tresen des Kokos stand. Er nahm einen Schluck daraus, während Anne ihn schmunzelnd betrachtete. Hatte sie es nicht gesagt? „Deine Hilfe könnte ich jedoch trotzdem gebrauchen“, fügte er überraschenderweise noch hinzu. Seine Stimme hielt er gesenkt, als wollte er nicht, dass jemand mithörte. Nicht einmal Nojiko, die längst einen weiteren Kunden bedienen gegangen war. Dabei war das Inn zu dieser Uhrzeit relativ leer. Nur an den Tischen in den Ecken saßen einige Leute, die jedoch in ihre eigenen Unterhaltungen vertieft waren. Anne ließ ihre Augen über die Gäste schweifen, bevor sie Marcos Seitenprofil musterte. Er sah gut aus, das wiederum war ihr schon bei ihrer Begegnung in der Wüste aufgefallen. „Um was geht’s?“, fragte sie und drehte sich auf dem Barhocker in seine Richtung. „Oder soll ich’s dir erst aus der Nase ziehen?“ „Da du scheinbar weißt, wer ich bin, brauch’ ich nicht um den heißen Brei herumzureden, nehm’ ich an.“ „Stimmt.“ Nachdem sie gestern nach Hause gekommen war, hatte sie die alten Zeitungen, die Dadan in der hintersten Ecke der Küche stapelte, nach den Steckbriefen durchsucht. Marcos hatte sie leicht gefunden, sein markantes Gesicht stand heraus. Jetzt wusste Anne auch, woher sie ihn kannte, dass er ein Sohn Whitebeards war und aus dem Gebiet der Grandline stammte. Er stammte von dem riesigen Ozean, in dem Piraterie an der Tagesordnung stand und selbst hier häufig für Schlagzeilen sorgte. Jene hatte Anne ausgeschnitten in einem Karton unter ihrem Bett verstaut. Von diesem wusste einzig und alleine Ruffy. Aber mehr brauchten davon auch nicht zu wissen, da es ein Traum war, den nur sie beide teilten. Sie teilten das Versprechen, irgendwann hier zu verschwinden und das Meer zu sehen und frei zu leben. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Piraten waren freier als alle anderen, und Anne war von ihnen fasziniert, seit sie zum ersten Mal in ihrem Leben von ihnen gehört hatte. Und Marco gehörte reinzufällig zu einem der stärksten Männer, die das Gebiet der Grandline beherrschten. Nur, dass niemand im East Blue Angst vor Piraten hatte. Wieso sollten sie auch? Die Wüste war groß, hier verirrte sich für gewöhnlich keiner von ihnen hin. „Ich hab’ eine Lieferung nach Logue Town heute Nachmittag zu machen. Wenn ich nicht rechtzeitig dort bin, kann das Konsequenzen haben.“ Anhand seines ernsten Tonfalls wurde Anne klar, dass es nicht nur Konsequenzen haben konnte, sondern viel eher haben würde. „Wenn du mir dein Motorrad ausleihen könntest, könnte ich es vielleicht noch rechtzeitig schaffen.“ „Nein!“, erwiderte Anne ohne ein Zögern, dass Marco sie perplex ansah. „Mein Bike wird von niemanden außer mir gefahren. Aber... wenn du mich ganz nett fragst, könnte ich so großzügig sein, dich hinzufahren.“ Grinsend erhob sie sich und fischte ein paar Geldscheine aus der Hosentasche, um ihre Getränke zu bezahlen. Dann steuerte sie die Tür an und winkte Marco mit einer Handbewegung zu sich. „Willst du hier Wurzeln schlagen? Ich dachte, du hast in Logue Town zu sein.“ Tbc. Part II – Birds Must Fly ------------------------ I Die Sonne brannte auf sie herab und brach sich auf dem schwarzen Lack von Annes Striker. Dazu flimmerte die Luft um sie herum und egal in welche Richtung Marco blickte, er sah nur gelben Sand – und das schon seit Stunden. Er zog sich bis zum Horizont, wo Gelb in stechend Blau überging. Nicht eine Wolke hing am Himmel, so dass selbst einige Kakteen, an denen sie vorbeibrausten, aussahen als würden sie jede Minute verdorrt zur Seite kippen. Wann hatte es in dieser Gegend das letzte Mal geregnet? „Hast du jemals von Nebelin gehört, Anne?“, zerbrach Marco das anhaltende Schweigen zwischen ihnen, das nur von den monotonen Geräuschen des Motors begleitet worden war. „Nein, nie“, erwiderte diese ungeniert. Manchmal war Anne so offen und locker und bei bestimmten Themen wiederum verschlossen und wütend, dass sie in seinen Augen ein laufendes Paradox darstellte. Ob sie sich dessen bewusst war? „Ist das der Grund, warum du nach Logue Town musst?“ „Ja“, erwiderte er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass Anne jemals von diesem Zeug gehört hatte und eigentlich brauchte er es ihr auch nicht erklären. „Es ist ein Pulver, das Regen erzeugen kann. Eigentlich klaut es viel mehr die Regenwolken einer benachbarten Region. Wo ich herkomme, haben wir Chemiker, die dieses Zeug ziemlich konzentriert und pur herstellen können. Obwohl es von den Regierungen verboten worden ist.“ „Verstehe...“, erwiderte Anne lediglich, ihr Blick fest auf den Sand vor ihnen gerechnet. Nur ab und an warf sie einen Blick auf die Nadel ihres Kompass, den sie am Handgelenk trug. „Also kauft es dir jemand ab. Deswegen bist du hier.“ Es war eine simple Feststellung, die Annes Meinung darüber außen vor ließ. Wahrscheinlich fand sie es falsch. Das war zumindest, was Marco annahm, obwohl es ihm genauso gut egal sein konnte, was sie darüber dachte. „Nicht sehr edel, eh?“ „Du wirst schon deine Gründe haben“, war alles, was Anne erwiderte. In Marcos Ohren klang es so, als wollte sie ihm sagen, dass er trotzdem ein guter Kerl war, was ihn die Stirn runzeln ließ. In der Zwischenzeit hatte sich die Silhouette einer Stadt in der Ferne aufgebaut. Mit jedem vergehenden Kilometer wurde sie größer und wuchs sie in die Höhe. Im Gegensatz zu Windmill Village hatte sie höhere Häuser und stand auf einem asphaltierten Boden. Auf diesen fuhren sie wenige Minuten später auf und düsten mit reduzierter Geschwindigkeit durch die Straßen, die noch belebter waren als die im Dorf. „Das Spiders Café ist ganz in der Nähe“, bemerkte Anne, als sie in eine verlassene Gasse einbog. Nachdem sie diese durchquert hatten, fixierte Marcos Blick auch schon das violette Schild, das diesen Namen trug. Das Schild hatte die Form eines Fisches, auf dem jedoch eine Spinne abgebildet war. Ohne weitere Umschweife parkte Anne das Motorrad nahe des Eingangs und neben einigen anderen Maschinen und einer Kutsche, vor die zwei Pferde gespannt waren. Marcos Hand wanderte automatisch zu dem Tütchen in seiner Hosentasche, obwohl er natürlich wusste, dass er das Nebelin dabei hatte. Anschließend trat er von Anne gefolgt ins Innere des Ladens. Auch hier herrschte reges Treiben. Bis auf wenige Tischen waren alle von einer schnatternden Menge besetzt, über die Marco nun seinen Blick schweifen ließ. „Wie sieht deine Kontaktperson aus?“, fragte Anne von der Seite, doch er konnte nur mit den Schultern zucken. Er hatte keine Ahnung, schließlich kannte er nur den Decknamen der Frau, die er treffen sollte. Kurz blieb sein Blick an der Barkeeperin hinter dem Tresen hängen, die ihn durch ihre Brille mit ihren Augen durchbohrte. Ihr welliges, dunkles Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und hatte dieselbe Farbe wie ihre Schürze. War das Miss Bloody Sunday? Er wollte sie schon ansteuern, als eine Hand sich auf seine Schulter legte und seinen Kopf zur Seite rucken ließ. „Ich hatte angenommen, du kommst alleine...“, sagte die schwarzhaarige Frau, die zu ihnen getreten war. Miss Bloody Sunday hätte genauso gut mitten aus dem Nichts auftauchen können, Marco hatte sie nicht bemerkt. Und das, obwohl sie ziemlich extravagant gekleidet war mit ihrem weißen Mantel und dem Cowboyhut. Darunter trug sie nur ein knappes Oberteil und einen Minirock. Die Frauen wurden aber auch immer freizügiger, wurde Marco abermals klar. „Das ist meine Partnerin“, log er und zuckte mit den Schultern. Seine Gegenüber schmunzelte nur, als sie Anne in Augenschein nahm. Dann nickte sie jedoch sachte und wandte sich zum Gehen. „Wenn das so ist, folgt mir.“ II Die Kutsche vor der Tür des Spiders Café brachte sie in einen anderen Teil von Logue Town. Einen, wo Läden die Passage füllten und die Häuser aus Stein statt Holz gebaut worden waren. Auch die Menschen, die hier auf den Straßen unterwegs waren, trugen feinere Kleidung, was darauf schließen ließ, dass sie im Regierungsviertel der Stadt sein mussten. Anne war noch nie hier gewesen, obwohl sie vergleichsweise oft nach Logue Town kam. „Ich hatte schon angenommen, du würdest unsere Verabredung nicht einhalten“, entrann es Miss Bloody Sunday inzwischen. Ein anzüglicher Ton lag in ihrer Stimme verborgen, den Marco jedoch nur mit dem Heben einer Augenbraue quittierte. Anne lehnte sich derweil weiter in den Sitz zurück. „Es hat ein paar unvorhergesehene Komplikationen gegeben.“ Die Frau auf der Sitzbank Marco und ihr gegenüber legte den Kopf etwas zur Seite, die Arme noch immer vor der üppigen Brust verschränkt. „Ich hoffe, dass das nicht unseren kleinen Deal beeinflusst“, erwiderte sie, ehe sie den Blick aus dem Fenster lenkte und die an ihnen vorbeifliegende Straße betrachtete. Dass Marco nicht antwortete, ignorierte sie, während es Anne sagte, dass da etwas im Busch war. Beeinflusste sein Absturz den Deal? Ein ungutes Gefühl schlich in ihr hoch, das sie jedoch sogleich in den Hintergrund ihrer Gedankenwelt schob. Ändern konnte sie es jetzt sowieso nicht mehr. Was passierte, passierte eben. Sie wechselten kein Wort mehr, bis sie ihr Zielort erreicht hatten. Dieser stellte sich als die Rückseite des Rathauses heraus. Von Dadan, die gelesene Zeitungsartikel stets lautstark kommentierte, wusste Anne, dass in wenigen Wochen eine neue Bürgermeisterwahl stattfinden würde. Allerdings hatte sie nicht einmal einen Schimmer, wer gerade das Sagen über die Stadt hatte. Regierungen, egal welcher Art, waren sowieso korrupt. Das einfache Volk konnte ihr nicht vertrauen und musste letztendlich sehen, wo es blieb. Wenn Leben so toll gewesen wäre, würden Dadan und ihre Jungs auch nicht Rauben, um über die Runden zu kommen und ständig Ärger mit dem Gesetz haben, so dass Garp, ihr Großvater und Gesetzeshüter der Gegend, sie ständig heraushauen musste. Zwar hatte Anne nichts für Räuber und Diebe übrig, aber das spielte hierbei keine Rolle. „Wir sind angekommen“, bemerkte die ältere Frau mit einem Lächeln, ehe ihr Fahrer die Tür bereits aufzog und sie ausstieg. Bei allem was sie tat, besaß sie eine Eleganz, die Anne fehlte und sie unwillkürlich fragen ließ, ob das die Art Frau war, die den blonden Piraten ansprach. Anderseits würde es Anne nichts ausmachen, obwohl sie sich nicht einredete, dass sie gänzlich uninteressiert an ihm war. Nein, Marco hatte das gewisse Etwas, das sie einfach anzog. Dieser ließ ihr den Vortritt beim Aussteigen und gemeinsam folgten sie Miss Bloody Sunday ins Innere des Backsteingebäudes. Dieses war mit verzierten Säulen und feinen Teppichen gefüllt, so dass selbst Anne, die eigentlich nicht an materialistischen Dingen interessiert war, sich gespannt umsah. Aber es war auch nicht alle Tage, dass die Schwarzhaarige solche Orte besuchte. Miss Bloody Sunday führte sie eine lange Treppe hoch und in ein Konferenzzimmer hinein. Dieses hatte eine breite Fensterfront, die auf die Stadt hinaussah und einen langen Tisch mit mehreren gepolsterten Stühlen. Und es war leer. Verloren standen Marco und Anne im Raum, was ihre Gegenüber zunächst mit einem schmalen Lächeln bedachte. „Macht es euch bequem“, sagte sie dann und wandte sich auf dem Absatz ihrer Stiefel um, eine Hand bereits an der Klinke der Tür. „Man wird sich gleich um euch kümmern.“ Mit diesen Worten zog sie jene zu und es herrschte Stille, nur erfüllt mit sich entfernenden Schritten. „Was ist dein Problem, huh?“, entrann es Anne, als sie sich auf den nächstbesten Stuhl niederließ. Marco war nicht ganz so gelassen. Sein Gesicht mochte von Desinteresse sprechen, aber seine Haltung war angespannt, das konnte Anne ganz genau sehen. „Was meinst du?“, stellte Marco jedoch die Gegenfrage, als er sich an die andere Tischseite setzte. „Seh’ ich aus, als hätte ich ein Problem?“ Einer seiner Mundwinkel zog sich in einem faulen Grinsen in die Höhe und Anne schnaubte belustigt. Glaubte er wirklich, dass er sie auf den Arm nehmen konnte? III Marco konnte im Nachhinein nicht sagen, wie lange sie gewartet hatten. Wie lange Anne und er schweigend im Konferenzzimmer gesessen und einander immer wieder angesehen hatten. Er wusste nicht, wie es Anne erging, aber sein Blick kehrte ganz von alleine zu ihr zurück. Seine Augen fanden sie immer wieder, obgleich er sich zwang aus dem Fenster zu schauen. Kein Wunder, er war letztendlich auch nur ein Mann mit gewissen Bedürfnissen. Und hier saß ihm eine gutaussehende Frau gegenüber, die ihn mit ihren Blicken wieder und wieder triezte und ihn stumm herausforderte. Genau das war es! Er las Provokation in ihren Augen und wusste nicht, worauf sie beruhte. Wollte sie ihn? Oder flirtete sie nur aus Spaß mit ihm? Marco konnte es nicht genau sagen, obgleich er sonst eine gute Beobachtungsgabe besaß. Doch Anne entzog sich dieser gekonnt, versteckte ihre Gefühle hinter einem sonnigen Grinsen, das viel zu echt für sie wirkte. Jemand in ihrem Alter sollte diese Kunst noch nicht so perfekt beherrschen. Als sich ihre Blicke abermals trafen, einander hielten, war der Blonde drauf und dran etwas zu sagen. Im selben Moment, in dem er den Mund öffnete, ertönten jedoch Schritte draußen im Gang. Keine Sekunde später wurde die Tür geöffnet und Miss Bloody Sunday trat erneut ein. Im Schlepptau eine weitere Frau, deren Erscheinungsbild alleine Respekt einflösste, ehe auch nur ein Wort über ihre Lippen gekommen war. Sie schenkte ihnen ein kaltes Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte und die Narbe, die sich quer über ihr Gesicht zog, verzerrte. Dann nahm sie die Zigarre aus dem Mundwinkel, um sie zwischen ihren beringten Fingern zu halten. „Hast du meine Ware?“, brachte sie gleich auf den Punkt. Als Marco daraufhin das Tütchen mit Nebelin aus seiner Jeanstasche zog, hob sie den Arm mit der fehlenden Hand, die mit einem vergoldeten Harken ersetzt worden war, und signalisierte ihrer Untergebenen. Diese stellte die kleine Waage, die sie mitgebracht hatte, neben Marco und Anne auf den Tisch. „Bist du überrascht, Sohn von Whitebeard?“, richtige die Schwarzhaarige das Wort an Marco, während Miss Bloody Sunday ihm das Tütchen abnahm und es sich genauer ansah. „Eh? Dass die Bürgermeisterin von Logue Town kurz vor den Wahlen Nebelin kauft?“, fragte er desinteressiert und stützte den Arm auf dem Tisch ab, um das Kinn auf die Handfläche legen zu können. „Nein, eigentlich nicht. Ich seh’ da durchaus eine Verbindung, Crocodile.“ Damit erntete er ein Schmunzeln, das so kalt wie der Winter auf offenem Ozean war. „Schlaues Kerlchen.“ Mit ruhigen Schritten trat Crocodile ebenfalls an den Tisch heran, setzte sich jedoch an das entfernte Kopfende. Dort schlug sie die Beine übereinander und rauchte schweigend. Anne starrte Marco an, anstatt die anderen beiden Frauen. Dieser spürte ihren Blick deutlich auf seiner Haut brennen, während seine eigenen Augen auf die Waage fixiert waren. „Es ist eindeutig Nebelin“, erklärte Miss Bloody Sunday schließlich. „Allerdings fehlen einige Milligramm. Das ist nicht die abgemachte Menge.“ „Nicht die abgemachte Menge also, hm...“, kam es derweil von Crocodile. Nachdenklich, bedrohlich ruhig, was ihre Namensgebung erklärte. Sie lauerte auf den richtigen Moment, auf die richtige Sekunde, um ihr ausgewähltes Opfer in Stücke reißen zu können. „Bei einem Unfall hat die richtige Tüte einen Riss bekommen“, erklärte Marco ohne eine Emotion durchscheinen zu lassen. In diesem Business war das tödlicher, als einen Fehler zu begehen. Gefühle waren gefundenes Fressen und wurden ruchlos ausgenutzt. „Ich hab’ so viel von dem Nebelin gerettet, wie es mir möglich war.“ Der Blick seiner Gegenüber war durchdringend, doch dann nickte sie, als würde sie verstehen. Garantiert war es nichts weiter als eine Show! Nichts weiter, als ihn in Sicherheit zu wiegen, doch das würde bei ihm nicht funktionieren. Er hatte mindestens genauso viel Erfahrung in dieser Branche wie die Frau vor ihm. „Du hast ein ehrliches Gesicht“, bemerkte sie und zog an ihrer Zigarre. Der Rauch schlängelte sich in die Höhe, um dann als blauer Dunst in der Luft zu hängen. Ihre Augen, die einen Moment noch auf ihm lagen, ruhten im nächsten auf Anne, die dem Ganzen schweigend beigewohnt hatte. „Mit einer niedlichen Freundin.“ Anne hob die Brauen, als sie Crocodiles Blick erwiderte. Als Marco sie ansah, war er sich sicher, dass ihr ein paar harsche Kommentare zu diesen Worten auf der Zunge lagen. Gleichzeitig wurde ihm jedoch noch etwas anderes bewusst. „Sie ist niemand!“, warf er ein, etwas zu rasch vielleicht, konnte man dem wissenden Lächeln auf Crocodiles Lippen Glauben schenken. Anne bedachte ihn dagegen mit einem Blick, der sie aussehen ließ wie ein schmollendes Kind. „Sie ist ein Rookie, der lernen soll, wie das Business läuft. Nicht mehr und auch nicht weniger.“ Crocodile ließ es darauf beruhen und schnipste stattdessen, woraufhin Miss Bloody Sunday an das riesige Panoramabild herantrat, das auf der gegenüberliegenden Seite der Fensterfront hing. Sie klappte es beiseite und öffnete den Safe dahinter. „Diesmal lass’ ich euch davon kommen und ziehe lediglich ein bisschen Geld ab“, bemerkte ihre Chefin inzwischen und lehnte sich entspannt auf ihrem Stuhl zurück. „Aber nächstes Mal werde ich nicht mehr so freundlich sein. Merk’ dir das und richte das Whitebeard aus. Ein weiteres Mal sehe ich das als persönliche Beleidigung an.“ „Für gewöhnlich sind unsere Lieferungen einwandfrei“, war alles, was Marco erwiderte, als Miss Bloody Sunday den Safe im Hintergrund schloss. „So sagen die Gerüchte zumindest...“, bemerkte Crocodile, ihre Stimme mit Spott erfüllt. Marco verbiss sich jeglichen Kommentar, als er das Geld von der schwarzhaarigen Frau entgegennahm. „Zeig’ ihnen den Ausgang, Miss Bloody Sunday. Ich habe noch Geschäfte zu erledigen und kann nicht den ganzen Tag mit euch Smalltalk halten. Nicht einmal, wenn ich wollte.“ IV „Bist du sauer?“ Anne hatte schon auf diese Frage gewartet, nachdem Marco sie einige Zeit bereits von der Seite angesehen hatte. In dieser Hinsicht war er berechenbar, obgleich er eigentlich eine private Person zu sein schien. „Nein...“, erwiderte sie monoton. Ihr Blick war stur geradeaus gerichtet, als sie einer der sauberen Straßen folgten, von der Marco der Meinung war, dass es sie aus dem Regierungsviertel und zurück zum Spiders Café bringen würde. Dessen Schweigen sagte ihr unterdessen, dass er ihr nicht glaubte. Dabei ging es überhaupt nicht darum! Sie war nicht sauer. Nicht wirklich, nur war es mal wieder ernüchternd gewesen, diese Worte aus dem Mund eines anderen zu hören. Es war schließlich bei weitem nicht das erste Mal. „Ich hab’s nicht gemeint“, erklärte Marco, als hätte er ihren Gedanken gelesen. Dann wandte er die Augen von ihr ab, während zwei Pferde an ihnen vorbei ritten, ihre Hufe auf dem grauen Asphalt laut und schallend. „Du bist kein Niemand. Aber Leute wie Crocodile warten nur darauf, dass man Emotionen zeigt, die zu ihren Gunsten ausnutzen können. Egal wie tief oder oberflächlich sie sein mögen.“ Diesmal war es an Anne zu schweigen, als sie ihre Hände in ihre Hosentaschen schob. Allerdings zog sich ein Mundwinkel kaum merklich in die Höhe. Marco musste sich nicht erklären, sie kannten sich schließlich kaum und eine Bindung gab es zwischen ihnen auch nicht. Trotzdem verriet die belegte Tonlage ihr, dass er es ernst meinte. Es ließ das beklemmende Gefühl in ihrer Brust schwinden. „Wir werden übrigens verfolgt...“, fügte Marco hinzu, als sei es das Natürlichste auf der Welt, einen Stalker auf den Fersen zu haben. „Du wusstest, dass Crocodile uns jemand auf den Hals hetzt“, wurde Anne klar. Sie drehte sich nicht um, sondern schlenderte auch weiterhin einfach neben Marco her. Auf dessen Lippen lag abermals ein schmales Grinsen, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte. „Sagen wir, dass ich nicht sonderlich überrascht bin“, meinte er, ehe sein Gesichtsausdruck ernst und hart wurde. „Wenn ich nicht aufgetaucht wäre, hätte sie garantiert einen Feldzug gegen Paps gestartet. So aber wird sie sich damit zufrieden geben, einen von uns zu töten, damit der andere ihre Warnung an Paps weitergibt.“ Es war nicht schwer, die Sachen zu erraten, die Marco nicht äußerte. Zum Beispiel, dass sie hinter ihrem Kopf her waren und nicht hinter Marcos. Sie wollten an ihr ein Exempel statuieren, deswegen hatte er diese verletzenden Dinge gesagt. Am liebsten hätte sich Anne eine Hand vor die Stirn geschlagen für ihre eigene Dummheit und dafür, dass sie es nicht früher verstanden hatte. „Dann trennen wir uns einfach und lauern ihm auf!“, schlug Anne zähneknirschend vor. „Angriff ist die beste Verteidigung!“ „Das wäre Selbstmord.“ Marcos durchdringender Blick streifte sie, doch sie hütete sich davor ihn zu erwidern. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Wir müssen nur dein Motorrad erreichen. Ich glaube nicht, dass sie uns über die Grenzen von Logue Town folgen werden.“ „Ich renne niemals weg!“, beharrte Anne und hielt abrupt in ihrem Gang inne. Marco packte sie am Oberarm, zog sie hinter sich her und um die Straßenecke herum. Dort presste er sie kurzerhand gegen die Außenwand des Hauses. Einige vorbeilaufende Leute warfen ihnen Blicke zu, aber letztendlich kümmerte sich doch jeder um sich selbst. Marcos Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren, doch von der Vertrautheit, die seit ihrem Treffen zwischen ihnen geherrscht hatte, war keine Spur mehr. „Du wirst hier nicht sterben!“, war alles, was er sagte. Anschließend zog er sie weiter. Das Regierungsviertel hatten sie längst verlassen. Der Unterschied war gravierend und doch fühlte sich Anne unter den einfacheren Leuten wohler. Sie mischten sich unter sie, drängten sich durch eine kleine Menschenmasse hindurch und reihten sich in eine andere ein. Zwischendrin warf Anne einen Blick über ihre Schulter zurück und traf die Augen eines Mannes, der sie fixiert hatte. Er war größer als Marco und seine hellgrauen Haare standen im starken Kontrast zu seiner dunklen Hautfarbe. Mit langen, ruhigen Schritten folgte er ihnen, und Anne konnte den Killerinstinkt in seinem Gesicht ablesen. Als er mit ihnen aufzuholen begann, rutschte Marcos Hand Annes Arm herunter und umfasste ihr Gelenk. Perplex starrte sie ihn an, als er im nächsten Moment losrannte und sie in eine schmale Häusergasse hineinzog. Ihre Schritte halten von den Wänden wieder, genauso wie der erste fallende Schuss. Sie duckten sich hinter einigen Holzkisten hinweg und Marco zog den Revolver aus seinem Gürtel. Er schoss zurück, doch anstatt dass ihr Gegenüber in Deckung ging, schritt er auch weiterhin auf sie zu. Kugeln flogen über sie hinweg, hallten laut in Annes Ohren und schlugen um sie herum ein. Eine erwischte Marco, so dass die Waffe aus seiner Hand fiel und über den Boden schlitterte. Instinktiv griff Anne danach. Sie feuerte einmal auf ihren Verfolger, dann richtete sie die Waffe auf das Schloss an der Tür, die sich wenige Meter von ihnen entfernt befand. Sie traf haargenau, so dass es klirrend zu Boden fiel. Ihre Augen fanden Marcos, der sich seinen Oberarm hielt. Während Anne auch noch die restlichen Patronen verfeuerte, rannten sie gemeinsam geduckt zur Tür herüber und verschwanden im Inneren. Es sah aus wie irgendein Hinterzimmer, mit gestapelten Kisten und zugestellten Regalen. Anne zog einen Stuhl vor die Tür, was es unmöglich machte, die Klinke herunterzudrücken. Dann folgte sie Marco aus einer anderen heraus und den Gang herunter, wobei ihr Blick auf dessen blutenden Arm fiel. „Alles in Ordnung, Marco?“ „Ja, ist nur ein Streifschuss“, erwiderte er leise. Jener Gang führte unterdessen in einen offenen Raum, der sich als ein Laden für Kleidung herausstellte. Die Angestellte hinter der Theke war in einem Gespräch mit einer Kundin verwickelt, so dass sich beide unbemerkt zwischen den einzelnen Ständern mit Mänteln und Kleidern hindurchschlängeln konnten. Sie verließen den Laden mit hektischen Schritten, um daraufhin die Passage herunterzurennen. Bis zum Spiders Café war es ein Katzensprung, wo sie auf Annes Striker sprangen und beim Losfahren beinahe einen alten Mann mit seinem Kamel umfuhren, der meckernd hinter ihnen zurückblieb. V „Hast du denn keinen Reservekanister für Fälle wie diesen?“, fuhr Marco Anne an. Er ging ein paar Schritte und besah sich den Himmel, an dem die Sonne mittlerweile beinahe vollständig untergegangen war, und die flache Ebene, die keinen Ort, sondern nur Wildnis zeigte soweit das Auge reichte. „Wo denn?“, konterte Anne, die inzwischen gegen ihr Motorrad gelehnt stand. Dieses hatte vor wenigen Minuten den Geist aufgegeben, weil der Sprit aufgebraucht war. „In der Hosentasche vielleicht? Willst du mal nachsehen, hm?“ Marco warf ihr einen angepissten Blick entgegen, ehe er sich im Sand niederließ. Zwar hatte er einen Teil seines Hemdes abgerissen, um damit die Wunde an seinem Arm abzubinden, doch der Blutverlust machte sich dennoch bemerkbar. Es war nicht das erste Mal, dass er verletzt war, weshalb er die Symptome erkannte. Auch Anne schien zu sehen, dass es ihm schon mal besser gegangen war, als sie sich von ihrer Maschine abstieß und ihn musterte. „Wir bleiben einfach über Nacht hier. Morgen können wir uns dann immer noch überlegen, wie wir zurückkommen.“ „Ach, und was ist mit dem Zeug, das hier nachts rauskommt und mit dem ich keine Bekanntschaft machen will?“, gab Marco zu bedenken, woraufhin Anne jedoch nur grinste. Dann stiefelte sie bereits zu einigen Büschel irgendeiner Pflanzeart herüber, die an einem staubtrockenen Ort wie diesen nur Gott wusste wie wachsen konnte. Mit ihrem Jagdmesser schnitt sie diese ab und brachte sie herüber, um sie in einer Mulde in den Sand zu legen. Danach fischte sie eine Packung Streichhölzer aus der Hosentasche und entzündete sie. Feuer begann zu knistern und vertrieb wenigstens ein bisschen die aufgekommene Kälte. Marco beobachtete Anne bei ihrem Tun. Sie war unabhängig, weshalb es ihn wunderte, dass sie sich mit einem Leben unter Wüstenräubern zufrieden gab. Hatte sie denn keine Träume zu verfolgen? Den Drang, mehr von der Welt zu sehen als nur diese Wüste? Mehr zu erleben, als heiße Tage und eiskalte Nächte? Inzwischen entfernte sich Anne wieder von der Feuerstelle, schnitt sich einen Stock zurecht, der ebenfalls von dem Gewächs stammte und begann mit ihren Stiefeln herumliegende Steine umzukippen. Eine Überlebenskünstlerin, schoss es Marco durch den Kopf. „Abendessen!“, entrann es dieser, als ein weiterer zur Seite geworfener Stein eine kleine Schlange enthüllte. Mit einer schnellen Bewegung spießte Anne den Kopf mit dem Stock auf, um ihn danach mit ihrem Messer abzutrennen. „Bist du sicher, dass man die essen kann?“, fragte Marco von seinem Platz am Feuer skeptisch, doch Anne lachte nur leise auf. „Hat der große Marco etwa Angst vor Schlangen?“, stichelte sie, als sie herüberkam und das Tier zu häuten begann. „Keine Sorge, sie ist ungiftig und ihr Fleisch schmeckt gar nicht so schlecht. Ehrlich.“ Marco konnte das nicht recht glauben, aber hatte letztendlich keine große Wahl, denn selbst sein Magen knurrte inzwischen. So sah er stumm zu, wie Anne alles bis auf das Fleisch im Sand vergrub und den Rest anschließend auf den Stock gespießt ans Feuer in den Sand steckte. „Bist du glücklich hier?“, erhob Marco schließlich noch mal die Stimme. Er lag auf der Seite und stützte das Kinn faul auf der Handfläche ab. Auf seine Worte hin sah Anne fragend auf und das Feuer warf tanzende Schatten auf ihr Gesicht. Eine ganze Zeit lang hing Stille in der Luft, dass Marco glatt den Eindruck bekam, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war. Noch mehr, als Anne den Blick wieder auf die Flammen senkte. „Es ist Heimat...“, erklärte sie irgendwann schulternzuckend, das Grinsen schon lange aus ihrem Gesicht gewischt. „Keine besonders tolle vielleicht, aber trotzdem Heimat. Aber seit ich denken kann, träum’ ich trotzdem davon hier wegzugehen.“ „Warum tust du es denn nicht? Wegen deinem Bruder?“ Auf die Erwähnung von Ruffy verzogen sich Annes Lippen doch zu einem Lächeln. „Ganz ehrlich?“, entrann es ihr. „Eigentlich nicht. Wir haben uns ja versprochen, beide hier abzuhauen und die Welt zu sehen. Ich weiß nicht mal, warum ich noch hier bin.“ Daraufhin herrschte abermals Schweigen zwischen ihnen, während Marco mit sich haderte, den Gedanken, der ihm auf der Zunge lag, auszusprechen oder es sein zu lassen. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er den Mund hielt. Schließlich kannten sie sich gerade mal einen einzigen Tag und waren sowieso von Grund auf verschieden. Marco bezweifelte sogar, dass es größere Gegensätze gab. „Warum kommst du nicht mit mir?“, fragte er trotzdem und Anne warf ihm einen spöttischen Blick an den Kopf, so dass er die Röte seinen Nacken hinaufkriechen spürte. „Deine Maschine hat nur einen Sitz“, bemerkte sie dann – und obwohl sie es nicht sagte, wusste er längst, dass es eine Ablehnung war. Anne war eben doch wie der Wind. Man konnte mit ihr fliegen, sie aber nicht einfangen. Sie war wie das Feuer, das zwischen ihnen knisterte und sich dem schwarzen Himmel entgegenstreckte. Sie war Wind und Feuer zugleich. Sie trieb sich selbst an, weswegen Marco keine Chance hatte, mit ihr mitzuhalten. Und dabei war er noch nicht einmal ein Kerl, der alles anmachte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Nein, viel eher einer, der sich von eine unter Hunderten angezogen fühlte, die jedoch außerhalb seiner Reichweite lag. Das hatte ihn gedanklich den Kopf schütteln... „Du kannst auf meinem Schoß sitzen“, erwiderte er jedoch trocken. „Du meinst wohl, du kannst auf meinem Schoß sitzen.“ Ihre Blicke hielten einander noch für eine lange Zeit. „Weißt du, Sabo... Er war nicht irgendjemand. Er stammte aus Logue Town und war der Sohn einer ziemlich angesehenen Familie. Als er von zu Hause abgehauen und bei uns aufgetaucht ist, hab’ ich ihn in meinem Zimmer versteckt.“ Anne lachte über diese Erinnerung leise auf und Marco gab sich damit zufrieden ihr zu zuhören. „Er wollte weg aus East Sand und wir haben beschlossen zusammen zu gehen, aber bevor wir diesen Traum verwirklichen konnten, ist er von den Typen, von den er mal Essen gestohlen hat, erschossen worden.“ „Und er war mehr als nur ein Freund...“, beantwortete Marco seine eigene Frage und Anne nickte. „Was ich meine ist, dass ich immer noch die Welt sehen will, aber dass ich es aus eigener Kraft tun muss.“ „Dann sehen wir uns sicher noch mal“, antwortete Marco. „Man sieht sich schließlich mindestens zweimal im Leben.“ VI Es war später Nachmittag, als sie Dadans Haus erreichten. Es war sowieso ein Wunder gewesen, dass überhaupt jemand vorbeigekommen war, als sie heute morgen der Kompassnadel durch die Wüste gefolgt waren. Mehr schleppend als alles andere. Dass es sich dabei auch noch um einen Kamelhändler gehandelt hatte, dem Marco mit einem Teilbetrag von Crocodiles Geld zwei Tiere abkaufen konnte, war dabei reines Glück gewesen. „Du bist ein verfluchter Glückpilz, Anne“, entrann es Marco, als beide auf der Sanddüne standen, die in den Krater und zu dem einzelnen Haus herunterführte. Anne grinste darauf nur, ehe sie im Karacho den Hügel herunterritt. Sie brauchte nur an Ruffy zu denken und jeder Enthusiasmus kehrte zu ihr zurück. Ihr blonder Mistreiter folgte mit seinem eigenen Tier dagegen eher bedächtig, aber er sah sowieso noch ziemlich blass um die Nasenspitze aus. Noch bevor sie das Haus gänzlich erreicht hatten, öffnete sich die Eingangstür und Dadan trat heraus. „Wo zum Teufel hast du gesteckt, Anne?“, schnauzte sie, doch Anne glitt nur gelassen vom Rücken des Tieres und reichte die Zügel einem der Banditen, die Dadan ins Freie gefolgt waren. Marco tat es ihr gleich. „Du hast gesagt, ihr wolltet das Flugzeug nur zu Franky bringen und das war das Letzte, was man von euch gehört hat!“ „Anne!“, rief Ruffy inzwischen aus, als er angerannt kam. „Guck’, was ich gefangen hab’!“ Er hielt ihr einen riesigen Käfer hin, woraufhin ihm Anne stolz auf die Schulter klopfte. „Übrigens hat sich Franky gemeldet. Sie meinte irgendwas mit kleiner Fehler in... keine Ahnung“, informierte Dadan und zuckte wegwerfend mit den Achseln. Anne, die schon auf den Weg ins Haus war, fror in ihrem Schritt ein. Eine Befürchtung kroch in ihr hinauf, die sie nicht einmal Ruffys verwirrten Blick wahrnehmen ließ. „Auf jeden Fall kannst du morgen schon von hier verschwinden“, bestätigte Dadan keine Sekunde später ihren Gedanken. Es war, als konnte Anne Marcos Blick in ihrem Nacken spüren, obwohl das auch ihre blühende Fantasie sein konnte. Letztendlich konnte es ihr sowieso egal sein, wann der Blonde ging. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen - ob nun in einem Tag oder in einer Woche machte dabei keinen Unterschied! „Danke, das sind wirklich gute Neuigkeiten“, erwiderte Marco, und Anne musste ein Schnauben unterdrücken. „Franky bringt’s her, hat sie gesagt“, erklärte inzwischen einer der Banditen, ehe er ein paar anderen half, sich um die Kamele zu kümmern. „Scheinbar hat sie einen Narren an dir gefressen“, rief er noch lachend zurück. Derweil schob sich Anne schweigend an ihrem Bruder vorbei ins Innere und verschwand. Die Unterhaltung lief auch gut ohne sie, da musste sie nicht dumm daneben stehen und sich anhören, wie heiß Franky auf Marco war. Das war wirklich das Letzte, was sie interessierte. Ihretwegen sollten die beiden ruhig ein Techtelmechtel anfangen, solange Marco noch hier war. Anne war das egal. So verdammt egal, dass sie über ihre eigene Verleugnung beinahe lachen musste, als sie zwei Stufen auf einmal nahm und sie in ihrem Zimmer verschwand. Dort warf sie sich bäuchlings aufs Bett und vergrub den Kopf im Kissen. Eigentlich wusste sie ganz genau, was sie wollte – und das war nicht Franky, die sich an Marco heranwarf -, aber gleichermaßen war da dieses aufgewühlte Gefühl in ihrem Inneren. Warum sollte jemand wie Marco sie wollen? Er war nicht nur viel älter, sondern viel erfahrener, hatte schon so viele Orte gesehen und war so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Und Anne,... sie war nur die, die große Träume hatte, aber bisher nicht dazu gekommen war, sie umzusetzen. Jemand, von dem Leute behaupteten, dass es besser gewesen wäre, wenn sie nie geborgen worden wäre und in der es eine Stimme gab, die sich fragte, ob das nicht vielleicht sogar stimmte. Vielleicht war ihre Existenz wirklich ohne Grund. Anderseits war das im Moment nicht der Punkt und überhaupt egal. Das würde sie dann herausfinden, wenn sie von hier weggehen und so leben würde, wie sie es wollte. Die Wut verflog allmählich und sie hob den Kopf, um aus dem einzigen Fenster des Zimmers in den wolkenlosen Himmel zu blicken. Er war endlos und einfach da und perfekt zum Vergessen und Träumen. Ein Klopfen ließ sie zusammenzucken und über ihre Schulter zur Tür schauen. Keine zwei Sekunden drückte sich die Klinke herunter und Marco schob sich durch einen Spalt ins Zimmer. Seine Anwesenheit hatte Anne überrascht blinzeln, was er mit einem schmalen Lächeln quittierte. Er schloss die Tür lautlos hinter sich, blieb jedoch bei ihr stehen. „Dadan möchte, dass du beim Essen machen hilfst“, entrann es ihm, worauf Anne sich eher widerwillig vom Bett schob. Dafür war er hergekommen? Normalerweise machte sich Dadan nicht die Mühe, jemanden zu ihr hochzuschicken, sondern brüllte stattdessen einfach das gesamte Haus zusammen. Plötzlich umschlossen Marcos Finger jedoch ihr Handgelenk und abermals fror sie in ihrer Bewegung ein. Ihre Blicke trafen sich, wobei der ihres Gegenübers unleserlicher denn je war. Und trotzdem verstand sie die stumme Nachricht. Oder vielleicht ging sie einfach aufs Ganze, weil sie wusste, dass sie es bereuen würde, wenn sie es nicht tun würde. Bereuen wollte sie nicht. Nicht jetzt, nicht hier, niemals! Deswegen drehte sie sich zu Marco herum und legte ihre freie Hand an sein markantes Kinn. Ihn zu sich heranziehend küsste sie ihn. Der Moment, in dem Marco den Kuss erwiderte, war der, in dem alle Gedanken vergessen waren und die Welt nur noch aus atemraubenden Gefühlswahrnehmungen bestand. So sanft und langsam die Berührung ihrer Lippen war, so schnell rückte Leidenschaft nach. Es verbreitete sich wie Laubfeuer und setzte jeden verfluchten Nerv in ihrem Körper unter Strom. Raue Hände fuhren über ihre Haut nach oben und nestelten an dem Verschluss ihres Bikinioberteils. Männer, ging es ihr grinsend durch den Kopf. Ihr Bikini fiel raschelnd zu Boden, gefolgt von Marcos Hemd, während sich eine vorwitzige Zunge zwischen ihre Lippen schob. Und Marcos Geruch in ihrer Nase und Marcos Gewicht auf ihrem Körper, als sie das Bett erreichten. Marcos Lippen küssten ihrem Hals und ihre Fingernägel vergruben sich in Marcos Rücken. Alles rotierte um Marco wie ein Kreisel. Schneller und schneller, wilder und immer wilder! Sie lachte leise auf und spürte wie sich Marcos Lippen gegen ihre Haut als stumme Antwort zu einem Lächeln verzogen. VII Als Marco erwachte, war es stockfinster im Zimmer und der Platz neben ihm leer und kalt. Verschlafen setzte er sich auf, doch auch als er sich umsah, war keine Spur von Anne. Zwar hatte er keine Ahnung, was er eigentlich erwartet hatte, doch es war sicherlich nicht, sich alleine im Bett wiederzufinden. Anne war eben doch wie der Wind, oder nicht? Eine Sekunde wehte er noch, in der nächsten stand die Luft bereits still. Und da war nichts, was man dagegen tun konnte. Nichts, außer es so hinzunehmen. Seufzend schob sich der Blonde aus dem Bett und sammelte seine Klamotten auf, die auf dem Boden verstreut lagen. In der Dunkelheit dauerte es länger, aber das war ihm gleich. Er wusste nicht wie spät es eigentlich war, doch mit einem Blick aus dem Fenster, nahm er an, es müsste früher Morgen sein, da sich in der Ferne der Himmel heller färbte. Den Reißverschluss seiner Jeans hochziehend verließ er den Raum und stieg die Treppe herunter. In der unteren Etage brannte eine kleine Öllampe, die groteske Schatten an die Wände warf. Kurz hatte Marco die vage Hoffnung, dass es Anne war, doch ehe sich diese manifestieren konnte, stand er schon Ruffy gegenüber, der sich über die offensichtlichen Reste des Abendessen hermachte. Wäre er an einem anderen Ort gewesen, hätte er angenommen, dass man etwas für Anne und ihn aufgehoben hatte, doch hier war das unwahrscheinlich. Hier galt: wer zuerst kam, malte zuerst. „Marco“, stellte Ruffy inzwischen mit vollem Mund fest. Er saß an dem Holztisch im Esszimmer und nach einem kurzen Zögern setzte sich der Blonde ihm gegenüber. Er schlug die Beine übereinander und stützte das Kinn auf die Handfläche ab, während er Ruffy musterte. „Falls du Anne suchst, die ist schon vor einigen Stunden abgehauen.“ Das hatte sich Marco beinahe gedacht. Trotzdem fühlte es sich merkwürdig an, in ihrem eigenen Zuhause von ihr sitzen gelassen zu werden. Anderseits schätzte er, dass es für sie einfacher war zu gehen, anstatt jemanden gehen zu sehen. Ihn gehen zu sehen. „Du sagtest gestern, dass Anne sauer wird, wenn du über ihre Eltern redest“, sprach Marco das Thema an, dass ihm schon eine Weile durch den Kopf schwirrte. „Warum?“ „Eigentlich nur, wenn ich über ihren Vater spreche“, stellte Ruffy klar, als er mit einem Finger gegen sein Kinn tippte. „Ihr Vater ist Gol D Roger.“ Marco hob die Augenbraue. Wirklich? Es gab keinen, der diesen Namen nicht kannte. Nein, dieser Name trug Geschichten mit sich, die jedem zu Ohren gekommen sind. „Ich glaube, sie gibt ihm die Schuld für was die Leute im Dorf sagen.“ Nachfragen, was der Junge vor ihm meinte, brauchte Marco nicht. Nein, er wusste selbst, was die Leute über Gol D Roger und sein Vermächtnis, ein Schatz von unvorstellbarem Wert irgendwo in der Welt versteckt, sagten. Jene Leute, die nicht ausgezogen waren, um ihn zu finden, verfluchten ihn für die ausgelöste Welle der Kriminalität. Gerade so kleine und schutzlose Dörfer wie Windmill Village waren gefundenes Fressen für die einfallenden Sucher, die über Leichen gingen, um als erster jenen Schatz zu finden. Und wenn man das Blut eines Kerls, den der Großteil der Bevölkerung hasste, in seinen Adern fließen hatte, ging so etwas nicht spurlos an einem vorbei. Auch nicht an ein eigensinniges Mädchen, das in einem abgelegenen Haus mit einem Haufen Banditen als Babysitter aufgewachsen war. In seinen Gedanken vertieft, schaufelte sich Ruffy weiter das Essen in den Mund. Unterdessen hellte sich der Himmel auf und die Temperaturen stiegen an. Als der Morgen zunehmend herangerückt war und Marco nicht mehr sagen konnte, wie lange sie beide schweigend beieinander gesessen hatten, riss ein schrilles Hupen ihn in die Realität zurück. „Das muss Franky sein!“, erklärte Ruffy und sprang auf, so dass die leeren Teller vor ihm klirrten. Marco folgte ihm hinaus, wo Ruffy Franky zuwinkte, die ihre Maschine, die eine verdammte Ähnlichkeit mit einem Zug auf Rädern hatte, die Sanddüne in den Krater heruntermanövrierte. Hinter sich zog sie den Anhänger mit seinem Motorflugzeug her. Marco sah sich nach Anne um, obwohl er sie in Windmill Village vermutete. Das fehlende Motorrad, das bisher zwischen anderen Dingen im Sand gelegen hatte, verstärkte seine Vermutung. Ihr Striker lag schließlich noch immer irgendwo in der Wüste. Vielleicht war sie es auch holen? Auftauchen, um sich von ihm zu verabschieden, würde sie sich wohl nicht und vielleicht war das sogar besser so. Für sie beide, auch wenn sein Gefühl genau das Gegenteil behauptete. „Der Motor ist noch nie besser gelaufen, das kann ich dir versprechen!“, begrüßte Franky sie, als sie vor ihnen hielt und von ihrer Maschine sprang. „Dir wird einer abgehen, wenn du drin sitzt“, fügte sie mit anzüglichen Grinsen hinzu. Marco kratzte sich am Kopf und fischte nach seinem Geldbeutel. „Lass stecken!“, fuhr sie ihm dazwischen. „Ich sag’ doch geht aufs Haus.“ „Bist du sicher?“, fragte er, erhielt jedoch lediglich ein Nicken als Antwort. „Dann ein doppeltes Danke, schätz ich.“ Kurz ließ er seinen Blick noch mal über die Umgebung gleiten, ehe er Franky dabei half, sein Flugzeug vom Anhänger zu herunterzulassen. Er positionierte es auf dem steinigen Boden. Der Krater war lang genug, um ihn als Bahn zu benutzen. Abheben sollte daher kein Problem sein. „Wenn du deinen Hintern noch mal hierher bewegst, gibt’s kein kostenfreies Motel mehr, Mister!“, motzte Dadan, die inzwischen zu ihnen gestoßen war. Auch ein paar ihrer Männer hatten es vor die Tür geschafft, einige davon noch im Schlafanzug. Marco hob die Hand zum Abschied, ehe er ins Cockpit stieg und den Motor anließ. Franky hatte nicht übertrieben. Zwar ging Marco keiner ab, wie sie es genannt hatte, aber der Klang hatte etwas Gesundes und Starkes und Unbezwingbares. Es trieb ihm ein Grinsen auf die Lippen, über die er mit seiner Zunge leckte. Noch einen Blick auf die kleine Meute, darunter ein grinsender Ruffy, werfend setzte er das Flugzeug in Bewegung. Es rollte knirschend über den Boden, schneller und schneller. Adrenalin flutete Marcos Blut. Die gegenüberliegende Sanddüne rückte näher, genauso wie der Moment des Abhebens. Plötzlich vermischte sich das Geräusch seines Flugzeugs jedoch mit einem anderen. Einem eines anderen Motors! Marcos Kopf ruckte herum und er beobachtete ungläubig wie ein Motorrad den Hügel rechts von ihm heruntergedonnert kam, kurz Kontakt mit dem Boden verlor und flog. Schwarzes Haar peitschte im Wind, als Anne auf ihm zugerast kam. Anstatt mit ihm zu kollidieren, riss sie ihre Maschine herum und fuhr neben ihm her. Marcos Blick wechselte von ihr und der Sanddüne vor ihnen hin und her. Zum Anhalten war es zu spät. Seine Hände umklammerten den Steuerknüppel und zogen die Maschine hoch. Das Motorrad blieb unter ihm zurück und krachte in den Sand, da seine Fahrerin an der Stange eines der Räder hing und in der Luft baumelte. Hastig zog Marco die Tür auf, um Anne hereinziehen zu können. Es stellte sich als schwerer heraus, als Marco angenommen hatte, als sie nebenbei noch ihren Leuten winkte. „Danke für alles, Dadan!“, rief sie breit grinsend. „Wir sehen uns, Ruffy!“ „Bis dann, Anne!“, schrie Ruffy zurück und wedelte mit den Armen. Inzwischen reichte Mogura der stockstarr stehenden Dadan sein Taschentuch, damit sie ihre Tränen trocknen konnte. „Du bist durchgeknallt, Anne!“, stellte Marco derweil mit dieser auf dem Schoß fest, als er die Tür zuzog und die Arme um sie herumlegte, um nach dem Steuerknüppel fassen zu können. „Willst du sehen, wie durchgeknallt, Marco?“, fragte sie und beugte sich zu ihm, um seinen Hals zu küssen. „Wenn du willst, dass wir abstürzen...“ Er spürte Anne grinsen und fühlte wie sich seine eigenen Mundwinkel in die Höhe zogen. „Ich lag falsch...“, wisperte Anne dann ernster. „Einfach die Welt sehen reicht mir nicht. Sie mit dir sehen, vielleicht aber schon.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)