Glue The Heart von chenyu ================================================================================ Kapitel 1: Tage wie dieser... ----------------------------- Manchmal passieren Dinge einfach, ohne bestimmten Grund und ohne, dass man es hätte ahnen können. Und mal ganz im ernst, wer hätte schon ahnen können, dass einer dieser stinknormalen Tage, von dem man angenommen hat, dass es einer von diesen typischen langweiligen Tagen ist, die damit beginnen, dass man total verschlafen aufwacht um sich die Zähne zu putzen, seinen Kram zu schnappen und möglichst leise in die Schule zu verschwinden, um auch bloß niemanden aufzuwecken, so ganz anders verlaufen kann? Ich habe keine Freunde, meine Beziehung zu meinen Eltern ist beschissen und vermutlich würden mich Außenstehende als Nerd bezeichnen, vorausgesetzt ich werde überhaupt bemerkt. Kurzum, mein Leben ist absolut langweilig und zum kotzen. Aber das macht nichts, ab heute ist sowieso alles anders. Ganz im ernst, jetzt ist alles nämlich noch viel schlimmer. Ich bin zwar aufgestanden und in die Schule gegangen wie sonst auch, aber abgesehen davon ist nichts so, wie es sonst immer ist. Wer hätte schon gedacht, dass ausgerechnet ich von der Schule suspendiert werden kann? Gut, das ist natürlich nicht einfach so passiert, aber ganz beabsichtigt war es natürlich auch nicht. Und jetzt, jetzt trau ich mich nicht mal mehr heim. Richtig lächerlich, nicht wahr? Ich meine, was kann mir schon groß passieren? Eine Standpauke, Zimmerarrest, Fernsehverbot, und nichts davon würde mich richtig treffen, viel schlimmer ist nämlich, dass sie Bescheid wissen würden. Und das würde bedeuten, dass sich meine ach so ichbezogenen Eltern wieder mal an mir abreagieren können, mich verurteilen und zum alleinigen Grund ihrer Beziehungsprobleme machen würden. Deswegen sitze ich jetzt hier in einem der kleinen Parks etwa eine halbe Stunde von meiner Schule entfernt, die übrigens schon längst aus ist, weil ja auch die Sonne bereits am Untergehen ist. Ich weiß, was ihr euch jetzt fragt, was kann ein 17-jähriger Nerd wie ich schon angestellt haben, um einen Schulverweis zu bekommen? Ich verrate euch mein Geheimnis. Ich war verknallt und zwar ziemlich heftig und genaugenommen bin ich es immer noch. Für gewöhnlich kriegt man dafür keinen Schulverweis, aber das ist ja auch erst der Anfang meines Problems. Ich hab mich nicht in irgendjemanden verknallt, sondern in meinen Mathelehrer. Nein wartet, es kommt noch besser, es ist mein zwölf Jahre älterer, männlicher Mathelehrer, der verheiratet ist und soweit ich weiß, bereits zwei Kinder hat. Klingt ziemlich hoffnungslos nicht wahr? Ich dachte auch, dass ich bei ihm chancenlos wäre, bis... na ja... ich erspare euch und mir die Einzelheiten dieser Affäre, ich will jetzt und in Zukunft sowieso nie wieder daran denken. Geendet hat die ganze Sache sowieso nur damit, dass ich ihm heute eine reingehauen hab, blöderweise vor dem Direktor, was zugegeben nicht sehr clever von mir war. Wie man sich denken kann, hat der das nicht so toll gefunden und als ich ihm keine plausible Erklärung dafür geben konnte – weil es in dieser Situation vermutlich nicht so ratsam gewesen wäre, ihm zu erzählen, dass gerade mein verheirateter Lehrer mit mir Schluss gemacht hat – hab ich eben diesen Verweis kassiert. Ihr seht also, ich bin komplett am Arsch und am liebsten würde ich mich heulend in meinem Bett verkriechen und alles auf der Stelle vergessen, wenn es da nicht zwei winzig kleine Probleme gäbe. Erstens: Ich trau mich nicht heim zu gehen, weil meine Eltern sich nicht mit einer halbherzig zusammen gedichteten Lüge abspeisen lassen werden, wie mein Direktor. Stattdessen würden sie sich vermutlich auch noch bei ihm beschweren gehen und das würde die Sache nur noch schlimmer machen. Zweitens: Um so etwas zu vergessen, müsste ich meinem Schädel einen ziemlich heftigen Schaden zufügen und ich habe keine Garantie, dass das mit dem Gedächtnisverlust auch funktionieren würde. Inzwischen ist es verdammt kalt geworden und ich wünsche mir, ich hätte eine Jacke dabei. … Mein Handy vibriert schon wieder. Zum x-ten Mal heute. Ich muss nicht darauf schauen, ich weiß, dass es meine Eltern sind. Je öfter sie sich melden, desto weniger will ich zu ihnen. Trotzdem ziehe ich es aus Gewohnheit raus und mustere das Display. Dachte ich zumindest. Aber mein Mittelfinger hat sich wohl durch eine unerklärliche Verschwörung des Schicksals an die falsche Stelle gelegt und die hysterische Stimme meiner Mutter kreischt jetzt aufgebracht durch die Stille. Es kostet mich einige Überwindung das Telefon ans Ohr zu legen, oder zumindest einige Zentimeter davon entfernt. Ich will schließlich keinen bleibenden Schaden davontragen. ».. wie spät es ist?! … von der Schule... wie oft ich versucht habe, dich anzurufen?!« Ich höre nicht genau hin, ich weiß, was sie mir zu sagen hat. Deshalb murmle ich nur halbherzige Entschuldigungen immer und immer wieder, bis sie aufhört zu reden, was ziemlich lange dauert. Und dann tut sie etwas merkwürdiges, etwas, das meine Mutter noch nie getan hat, sie wirft mich, ihren 17-jähriger einzigen Sohn auf die Straße. Mir klappt ungläubig der Mund auf. Das kann sie doch nicht machen, oder doch? Am anderen Ende der Leitung wird es still und dann hat sie aufgelegt. Ich starre fassungslos mein Handy an. Habe ich nicht die warmherzigsten Eltern der Welt? In meinen Fingern juckt es jegliche Beweise dieses Gesprächs auf der Stelle zu vernichten, aber meine Vernunft ist noch stark genug, mich davon abzuhalten. Das Handy war zwar nicht teuer, ist jetzt aber vielleicht meine Einzige Möglichkeit, die Verbindung zu meinem alten Leben aufrecht zu erhalten. Also, was jetzt? Wie gesagt, ich habe keine Freunde, die einzigen eingespeicherten Nummern, die ich besitze sind die von zu Hause und die meines Mathelehrers. Aber ich werde mich ihm nie wieder ausliefern, ganz bestimmt nicht! Lieber krepiere ich auf dieser arschkalten Parkbank! »Hey, bist du nicht Finn?« Ich zucke automatisch zusammen. Jemand hat mich angeredet, jemand weiß wie ich heiße und dieser amüsierte Unterton lässt mich auch darauf schließen, dass dieser jemand über den heutigen Vorfall Bescheid weiß. Ich starre immer noch auf das Display, ich will nicht aufschauen und meine verheulten Augen offenbaren, also schlucke ich schwer. «Ja... » Das ist alles was ich hervor krächzen kann, in der Hoffnung, dass er bald sein Interesse an mir verliert und sich jemand anderen sucht, den er quälen kann. »Dachte ich mir doch.« Ich kann hören wie sich das Kies vor mir bewegt. Vorsichtig hebe ich den Blick ein wenig, nicht zu weit, ich will nur sehen, was er tut. Und dann starre ich auch schon völlig perplex in Ians Gesicht. Kein Wunder also, dass ich zurück zucke. Wieso geht der auch vor mir in die Hocke? »Hey, heulst du etwa?« Der stellt Fragen. «Nein.» «Und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe.» »Wieso sind deine Augen dann so rot?« Begreift er das wirklich nicht? Was will einer wie er eigentlich von mir? Wir kennen uns ja nicht Mal, na ja, anscheinend doch. Aber wieso? Ihn zu kennen ist kein Kunstwerk, ich höre wie die Mädchen aus meiner Klasse immer über ihn reden, soweit ich weiß, ist er ein richtiger Playboy. »Hörst du mir eigentlich zu?« … Na gut, dann tu ich ihm eben den Gefallen, ich schau ihn an und warte darauf, dass er mich auslacht und mir damit droht, das überall herum zu erzählen. Aber irgendwie lacht er nicht, er starrt mich nur weiter an. Also atme ich tief durch und fasse einen Entschluss, den Entschluss ihn – zumindest vorübergehend – nicht als „böse“ einzustufen. «Meine Eltern haben mich rausgeworfen.» Ich kann beobachten, wie er mich verwundert anstarrt, seine Augenbrauen sind dabei ein Stück weit nach oben gewandert. Jetzt sind sie wieder an ihrem angestammten Platz. »Willst du mit zu mir?« Zum zweiten Mal an diesem Abend klappt mir der Mund auf. Ich starre ihn an, als wäre er ein Alien, das gerade Purzelbäume schlägt. «W.was?» Erneut verändern sich seine Gesichtszüge, ein freundliches und gleichzeitig amüsiertes Grinsen – ich muss dabei wohl ziemlich bescheuert ausgesehen haben – machte sich dort breit. »Na ja, es ist ziemlich kalt, hier draußen auf ner Bank zu schlafen.« «Schon, aber...» Meine Vernunft scheint sich zu melden und dem Alien Recht zu geben, dennoch bin ich skeptisch. »Aber? Was spricht dagegen?« … «Wir kennen uns nicht.» »Wir gehen auf die selbe Schule.« Er kennt mich, stelle ich erneut verwundert fest und ich überwinde meine letzten Unsicherheiten. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, als Kind wird einem immer eingetrichtert, dass man nicht mit Fremden mitgehen soll. Aber genau betrachtet ist Ian ja kein Fremder, er ist nur jemand, dessen Mühe ich mir noch nicht gemacht habe, ihn kennenzulernen und das hole ich jetzt nach, nichts weiter. Also gibt es keinen Grund gleich so nervös zu sein, oder? Zumindest versuche ich mir das einzureden. Wir sind zu ihm gegangen und ich wurde als „Freund“ vorgestellt. Seine Eltern scheinen viel vernünftiger zu sein, als meine, und viel gelassener. Mittlerweile sitze ich auf der Matratze, die ich und Ian in dessen Zimmer gezerrt haben. Ich fühle mich immer noch ein wenig unwohl. Wieso tut er das? Ich verstehe das nicht. »Willst du darüber reden?« Ich fahre vor Schreck zusammen, meine Gedanken haben mich wieder einmal zu sehr eingenommen. «Worüber?» Jetzt kommt der eigentliche Grund, weshalb er mich hierher gebracht hat, er will mehr wissen, es reicht ihm nicht, mich nur heulen zu sehen. »Na ja, man verpasst seinem Lehrer nicht grundlos ein blaues Auge.« «Ein blaues Auge?» War ich wirklich so wütend gewesen, dass mir gar nicht aufgefallen ist, wie fest ich zugeschlagen habe? Etwas derartiges hätte ich mir selbst niemals zugetraut. Immerhin prügle ich mich nie. Zumindest konnte ich das vor kurzem noch von mir behaupten. Wieder starre ich auf den Boden. «Das geht nur mich und ihn was an.» »Okay.« Was? Okay? Ich konnte nicht anders, als Ian verwirrt anzustarren. Und dieser lachte. Ich war perplex. Was ist nur los mit ihm? Alles was ich über ihn geglaubt habe stellt sich nun als falsch heraus und ich bin so unendlich durcheinander in seiner Nähe. Aber irgendwie hat sein Lachen etwas Freundliches und Ansteckendes an sich, sodass ich selbst ein wenig zu grinsen beginne. Seltsam wie sich das anfühlt, diese vernachlässigten Gesichtsmuskeln wieder zu verwenden. Und dann, ganz unvermittelt, beginne ich zu weinen und hoffnungslos zu schluchzen. Das nächste, das ich spürte, waren diese warmen Armen, die mich an Ians Brust zogen. Ich wusste immer noch nicht wieso er das tat, wieso er aufgehört hatte, mir Fragen zu stellen, aber in diesem Augenblick war ich froh, dass er bei mir war. «Er hat.. Schluss.. gemacht...» Und dann begann ich zu erzählen und Ian hörte nur zu, sagte gar nichts, sondern hielt mich nur fest. Ich glaube, ich habe über eine Stunde lang nur geredet, ihm alles gesagt, was zwischen mir und meinem Lehrer war und was sonst niemand wusste. Seltsamerweise fühlte ich mich besser. Also wischte ich mir ein letztes Mal über die Augen und löste mich aus der Umarmung. Allerdings, war meine Erleichterung nur von kurzer Dauer. Ian schien plötzlich kreidebleich zu sein und ich konnte in seinem Gesicht lesen. Die Gedanken in seinem Kopf kreisten. «T.tut mir leid.» Ich wusste nicht, was ich an dieser Stelle hätte tun sollen, aber es war wohl ein Fehler, ihm alles zu erzählen. Vermutlich ist es ihm unangenehm mit einem Schwulen im selben Zimmer zu schlafen, oder mit jemanden, der Sex mit seinem Lehrer hatte. Egal was es ist, ich bin mir sicher, ich habe ihm genügend Gründe geliefert, mich wieder raus zu werfen, aber er rührte sich immer noch nicht. Vielleicht wollte er, dass ich mich selbst raus werfe? Als er immer noch nichts sagte, stand ich also auf, griff nach meiner Schultasche und ging Richtung Tür. »Warte.« Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Die Hand an meinem Arm ließ mich dennoch gehorchen. «Wieso? Du willst mich nicht hier haben, das verstehe ich. Lass mich einfach los, dann bin ich wieder weg und du musst dir auch kein schlechtes Gewissen deswegen machen. Es hat gut getan darüber zu reden.» Ich konnte ihn dabei nicht ansehen, trotzdem meinte ich es ernst. Und dann wurde sein Griff fester. Ich strauchelte nach hinten, er hatte mich gezogen. Das nächste, das ich wahrnahm war ein unsanfter Aufprall auf der Matratze und Ian der sich über mich beugte. «W.was ist denn noch?» »Bleib solange du willst.« Dann zog er sich wieder zurück. Und ich blieb. Kapitel 2: Ians Zimmer ---------------------- Nach diesem Vorfall sprachen wir kaum noch miteinander und irgendwie wurde ich dadurch immer unruhiger. Mittlerweile hatte ich mich wieder aufgesetzt und lasse meinen Blick durch Ians Zimmer wandern. Ich entdecke dabei einen Computer in der Ecke, gleich daneben einen Wandschrank, auf der Wand gegenüber ein Linkin Park Poster, und auf dem Fensterbrett etwas weiter links eine ziemlich vertrocknete fleischfressende Pflanze. Bei deren Anblick muss ich schief grinsen. Das passt irgendwie zu ihm, finde ich, obwohl ich ihn noch gar nicht richtig kenne. Ian muss den Blick wohl bemerkt haben, denn er ging seufzend auf die tote Pflanze zu. »Ich weiß, ich sollte mir einen Kaktus zulegen, der hätte mehr Überlebenschancen.« Dann dreht er sich zu mir um. »Wieso grinst du so? Das ist eine ernste Angelegenheit.« War es nicht, das konnte ich an seinem Tonfall hören. «Weiß nicht, vielleicht weil du in der Hinsicht ein hoffnungsloser Fall bist.» Ich grinse immer noch. Irgendwie seltsam, jetzt wo es erst mal da war, ließ es sich nur schwer wieder abstellen, oder wie in meinem Fall überhaupt nicht. »Und das kommt ausgerechnet von dir?« Ich kann spüren, wie er mich amüsiert mustert. Wären diese Worte von jemand anderem gekommen, wäre mein Ex – seltsam ihn so zu nennen – vermutlich nicht der Einzige gewesen, der ein blaues Auge kassiert hätte. Bei Ian ist das aber etwas anderes, seine ganze Art, die Tonlage seiner Stimme lassen mich entspannen. «Na klar» entgegne ich also nur. «Wenn sich jemand mit hoffnungslosen Fällen auskennt, dann wohl ich.» Ich kann das Staunen in Ians Gesicht sehen. Er schien wohl selbst bereits darauf eingestellt gewesen zu sein, vor mir in Deckung zu gehen. Dann schmunzelt er aber und schließlich kommt ihm ein merkwürdiges Glucksen über die Lippen. Er wirkt selbst darüber überrascht, denn er hält sich promt eine Hand vor den Mund und wendet sich ein wenig von mir ab. Ohne nachzudenken stehe ich auf und gehe auf ihn zu. Ich versuche dabei möglichst kein Geräusch zu machen, schließlich will ich meine Position nicht verraten. Vorsichtig schleiche ich näher und immer näher an ihn heran, bis ich direkt hinter ihm stehe. Dabei beobachte ich belustigt, wie Ians gesamter Körper unter seinem unterdrückten Lachen zu beben scheint. Ist es wirklich so lustig gewesen, was ich gesagt habe? Na ja, vermutlich schon, wenn man an meine rot geschwollenen Augen denkt und das seltsame Dauergrinsen in meinem Gesicht, hatte ich wohl zusätzlich noch Ähnlichkeiten zu einem Clown. Aber daran denke ich jetzt nicht, meine volle Konzentration gilt Ian und der wirklich unglaublich schwierigen Kontrolle meines Herzschlages. Mit angehaltenem Atem beuge ich mich langsam zum Ohr des anderen. «Dein Lachen ist wirklich niedlich.» hauche ich gekonnt, ehe Ian schreckhaft von mir weg zuckt und ich dabei herzhaft auflache. Man tut das gut! »M..m. mach das nie wieder!!« stammelt Ian, anscheinend kurz vor einem Herzinfarkt. Ich brauche einen Moment, um mein Lachen abebben zu lassen, dann nicke ich. «Versprochen.» Ein kritischer Blick gleitet über jede meiner Gesichtsregungen, vermutlich hat sich mein Versprechen nicht sehr aufrichtig angehört. Ich kann beobachten wie Ian seine Hände vor der Brust verschränkt und seine Miene noch ernster wird, als sie ohnehin schon ist. Langsam beunruhigt mich das und ich beginne nervös an meinem Shirt zu zupfen. «Ähm... » mache ich, in der Hoffnung, dass mir bald ein Ablenkungsmanöver einfallen wird. «Du hast nicht zufällig noch eine Zahnbürste für mich?» Etwas Besseres ist mir im Augenblick wirklich nicht eingefallen, ich hoffe trotzdem, dass es funktioniert. »Klar.« antwortet er mit einem misstrauischen Unterton. «Ähm... okay, dann geh ich mir mal...» Weiter komme ich nicht. Ian ist so abrupt auf mich zugegangen, dass es mir die Sprache verschlagen hat. Ich schlucke schwer und sammle schließlich das bisschen Mut, das mir noch geblieben ist. «W.was ist denn? Hab ich was im Gesicht?» »Hmmm...« ... «Hmmm..?» wiederhole ich nervös, als er nichts weiter sagt. »Nein, ich zeig dir wo die Zahnbürste ist.« Hä? Was war das denn? Er ist doch darauf eingegangen? Einfach so? Das Mysterium Ian wächst immer mehr. Aber ich will mein Glück nicht weiter herausfordern, also nicke ich nur und folge ihm ins Bad. Dort angekommen, wird mir erklärt welche Handtücher ich benutzen darf, falls ich duschen will, dann bekomme ich eine Zahnbürste überreicht. «Danke.» murmle ich, ehe ich einem völlig Fremden ins Gesicht starre. Ich zucke erschrocken zusammen, ehe ich bemerke, dass es mein eigenes Spiegelbild ist, vor dem ich Angst hatte. Gott wie erbärmlich, wer außer mir erschrickt vor sich selbst? Allerdings muss ich zugeben, dass ich wirklich schrecklich aussehe. Wäre ich Ian gewesen, hätte ich mich niemals mit zu mir genommen. »Finn, alles okay?« «Hä? Was?» »Ich dachte, du wolltest dir die Zähne putzen, stattdessen starrst du dich nur verträumt im Spiegel an.« Verträumt? Ich? Ich antworte nichts darauf, mir fällt nämlich gerade nichts Passendes ein, das überzeugend genug und nicht so erbärmlich geklungen hätte, wie die Wirklichkeit. Also putzen wir uns synchron die Zähne. Ob es sich so anfühlt, wenn man Geschwister hat? Ich stelle es mir zumindest so vor. Ich bekomme einen Pyjama und dann gehen wir schlafen, als ob es schon immer so gewesen wäre. Ich schließe die Augen auf meiner Matratze und gehe den Tag gedanklich nochmal durch. Vor einigen Stunden noch war ich der unglücklichste Mensch der Welt und jetzt scheint das alles schon weit in der Vergangenheit zu liegen. Er will mich nicht mehr und ich sehe keinen Weg mehr zu ihm zurückzukehren. Irgendwie macht mich das traurig. Wieso müssen manche Dinge so endlich sein? Auch wenn ich wusste, dass es nie lange dauern würde, schon wegen seiner Familie. Hatte ich dennoch gehofft, er würde sich für mich entscheiden? Was für ein dummer Gedanke. Und jetzt kommen mir zu allem Überfluss die Tränen schon wieder hoch. «Scheiße...» murmle ich verzagt vor mich hin, als ich mir mit dem Handrücken über die Augen wische und mich auf die Seite drehe. »Finn?« Ich zucke zusammen. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass ich nicht alleine bin. Meine Arme legen sich fest ums Kissen und ich ziehe es näher an mich heran. Dabei überlege ich krampfhaft, was ich Ian antworten könnte. Ich will nicht, dass er merkt, dass ich heule. Diese Erniedrigung einmal am Tag zu ertragen ist schon schwer genug, zweimal muss jetzt wirklich nicht sein. «H..hab mir nur das Knie angeschlagen.» nuschle ich. »Das Knie? Woran denn?« … Mist, er ist gut. «An der Matratze?» »Ja, klar, wo sonst?« Ich kann hören, dass er dabei grinst. Dann raschelt sein Bettzeug, vermutlich weil er sich auf die andere Seite dreht. Ein Glück, er fragt nicht weiter nach und ich kann erleichtert aufatmen. Als Antwort auf meine Gedanken bemerke ich jedoch entsetzt, dass Ian sich nicht im Bett gerollt hat, stattdessen ist er zu mir rüber gegangen und jetzt liegt er neben mir. Meine Gedanken beginnen zu kreisen. Was soll ich jetzt machen? Wieso ist er plötzlich so nah? Daraufhin spüre ich jedoch etwas hartes in meinem Rücken. Was macht er denn jetzt? »Rutsch ein Stück, ich hab fast keinen Platz.« … «Du hast ein ganzes Bett für dich.» kontere ich, von wegen keinen Platz. Ich rutsche trotzdem, als die Hand immer unnachgiebiger drückt. «Zufrieden?» Ein Arm legt sich um meinen Oberkörper, ich kann spüren wie sich Ian an mich schmiegt und mein Herzschlag dabei aussetzt. «Nur weil ich schwul bin, heißt das.. heißt das noch lange nicht, d.dass du dich einfach so an mir vergreifen kannst.» protestiere ich mit einer ungewohnt piepsigen Stimme. Woraufhin Ian leise zu lachen beginnt und sein Atem kitzelnd meinem Nacken streift. »Keine Sorge, niemand wird hier über dich herfallen.« Niemand? Dann, wollte er mich trösten? Ich seufze leise und aus irgendeinem Grund gefällt mir nicht, was er gesagt hat. Niemand wird über mich herfallen? Dabei hätte er nicht so zu lachen brauchen, ich weiß genau, dass ich momentan keinen Schönheitswettbewerb gewinnen würde, aber an ganz gewöhnlichen Tagen, wenn ich keine verheulten Augen habe, sehe ich durchaus ansprechend aus! So wie er es gesagt hat, wäre das so gewesen, als wäre die Vorstellung, jemand könnte etwas mit mir anfangen, etwas Groteskes und absolut Undenkbares. Was ist das in mir? Wut? Ich bin wütend auf Ian. Meine Hände sind krampfhaft geballt. Ich drehe mich langsam aber bestimmt zu ihm um. Einen kurzen Augenblick lang starre ich ihn nur an. Dann presse ich gewaltvoll meine Lippen auf die seinen. Ich kann spüren, wie er überrascht zusammenzuckt und seinen Kopf wegziehen will. Ich bin aber schneller, meine Hand hat ihren Platz auf Ians Hinterkopf gefunden und schneidet ihm den Fluchtweg ab. Mit fordernden Bewegungen zwinge ich ihn, den Mund zu öffnen und lasse meine Zunge ruckartig vorgleiten. Ein Keuchen, zwei Hände die hart gegen meine Brust drücken, dann hat er sich befreit. »Was soll das?!« «Das passiert eben, wenn du dich neben mich legst.» antworte ich stur. «Schwule Kerle fallen eben über andere Kerle her.» Stille. Gleich wird er sich zurückziehen und mich wieder allein lassen. Jetzt bereue ich, was ich getan habe. Er hat es nur gut gemeint, das weiß ich, aber für mich macht es das nur noch schwerer. »Es ist das... was ich gesagt habe?« Ians Stimme kam zögerlich und sie war nur ein Flüstern. Ich höre trotzdem gebannt zu, schaffte es jedoch nicht einmal zu nicken. »Man, du bist wirklich ein Idiot!« Ich ächze auf, Ian hat mir einen Schlag in die Rippen verpasst. Allerdings beschwere ich mich nicht, denn vermutlich hatte ich das verdient. »Wenn ich Mist erzähle, musst du was sagen! Woher soll ich das sonst wissen?!« schimpft er weiter, aber ich war erleichtert. Er geht nicht, er verurteilt mich nicht, stattdessen nimmt er es einfach hin, mich und mein seltsames Verhalten. «Tut mir leid.» bringe ich reumütig hervor, als ich meine armen lädierten Rippen streichle. Ich höre ein tiefes Seufzen. »Na gut, ich verzeihe dir, aber mach das nie wieder.« Der ernste Ton lässt mich aufhorchen und mich ganz bestimmt nicht wieder daran denken, es zu wiederholen. Immerhin will ich nicht den einzigen Freund verlieren, den ich seit dem Kindergarten hatte. «Nie wieder.» flüstere ich bestätigend. Dann nähert er sich mir wieder und ich entspanne mich in Ians Armen. Meine Augen fallen kurz darauf zu. Die Gedanken an meinen Ex sind, dank Ian, dabei völlig verschwunden und ich kann mich endlich ausruhen und den ganzen Tag einfach vergessen. Kapitel 3: Allein mit der Vergangenheit --------------------------------------- So unendlich erholsam der willkommene Schlaf auch war, um ein so vieles qualvoller war das anschließende Erwachen. Ein schrilles Klirren gefolgt von einem müden Brummen, dann hatte sich Ian von mir gelöst und tastete wohl nach seinem Wecker. Erst einige langsam dahinschleichende Sekunden später, bemerkte er, dass es sinnlos war, auf dem Parkett herum zu klopfen, da der Wecker immer noch auf Ians Nachtkästchen steht und somit außer Reichweite für ihn ist. Ein missgelauntes Murren folgt, die Decke raschelt, Schritte, und das Klirren ist verschwunden. Ich drehe mich auf die Seite und starre ins Dunkel, dorthin wo ich Ian vermute. «Wie spät ist es?» nuschle ich verschlafen. »Sorry, ich hätte dich vorwarnen sollen. Mein Wecker ist einer von der sadistischen Sorte.« Ein müdes Gähnen kommt mir über die Lippen. «Das sind sie alle.» erwidere ich mit der geballten Überzeugungskraft einer Schlaftablette. Ian bewegt sich wieder, ich kann erkennen, wie der Vorhang weicht. Der Helligkeitsgehalt des Zimmers scheint sich dadurch jedoch nicht sonderlich zu verändern. »Ich steh immer um halb sechs auf, um zu laufen.« erklärt er. «Halb sechs ist viel zu früh.» grummle ich vor mich hin, ehe ich ein leises Lachen höre. »Tut mir leid, aber du kannst ja mitkommen, dann gewöhnst du dich vielleicht daran.« Das ist ein Vorschlag den ich dankend ablehne. Früh aufstehen und dann auch noch um Sport zu betreiben? Nein, das muss wirklich nicht sein. «Ich schlafe lieber noch ein paar Stunden.» Dabei gähne ich ausgiebig und kuschle mich anschließend demonstrativ wieder etwas mehr ins weiche Bettzeug. Ian ging, ich schlief weiter und rührte mich erst wieder, als er zurück war, um gemeinsam mit ihm zu frühstücken und ihn daraufhin zu verabschieden, immerhin muss einer von uns doch noch in die Schule. Aber ohne Ian war das Haus ziemlich trostlos und mir wurde langsam unwohl zumute. Wieder allein. In einem fremden Haus. Na super, was habe ich mir dabei nur gedacht? Um nicht an meinen Gedanken zu verzweifeln, beschloss ich das zu machen, was wohl alle in dieser Situation getan hätten. Ich verkrieche mich wieder im Bett, dem einzig wirklich sicheren Ort, den es gibt. Aber diesmal wollte der Schlaf nicht wieder kommen und ich wälze mich unruhig hin und her, strample die Decke weg, als mir zu heiß wird und ziehe sie wieder an mich, wenn die Kälte kommt. Zu allem Überfluss kehrten meine Gedanken vom Vortag wieder. Nicht an ihn denken! So lautete zumindest der Vorsatz, aber blöd und verknallt wie ich nun mal bin, hole ich mein Handy raus und starre aufs Display, wie zuvor im Park. Es war klar, dass meine Eltern sich nicht mehr melden würden und auch sonst niemand. Vor allem, da besagter Rest schließlich mein... Genug davon! Mir reicht es jetzt wirklich! Dementsprechend schleudere ich mein verhasstes Handy in die mir gegenüberliegende Zimmerecke. Ich brauche es nicht! Ich bin darüber hinweg! Wer will schon mit einem alten Knacker zusammen sein?! Also ich nicht! … Meine Selbsthypnose zeigt keine Wirkung, vermutlich hätte ich mich in eine ruhigere Lage bringen müssen, um mich glaubhaft davon zu überzeugen. Tja, Pech gehabt. Dann höre ich ein seltsam vertrautes Surren. Mein gesenkter Kopf schnellt hoch und starrt in die Ecke, in die ich mein Handy gepfeffert habe. Tatsächlich, es surrt erneut und stößt dabei sachte gegen die Wand. Erstaunlich, dass es nicht in alle Einzelteile zerschellt ist, geht es mir durch den Kopf. Dann stehe ich auf und nähere mich dem Gerät, das plötzlich eine verräterisch verführerische Ausstrahlung auf mich hat. Könnten sich meine Eltern wieder beruhigt haben, oder ist er es? Kein weiteres Surren mehr, eine Kurzmitteilung, das weiß ich. Durch meine plötzliche Nervosität muss ich schwer schlucken, dann hebe ich es behutsam hoch. Vorsichtig, ganz vorsichtig und mit einem flauen Gefühl in der Magengegend lasse ich meinen Blick über die Tasten hoch wandern Richtung Display. Er war es. Er hat mir geschrieben. Nur bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich noch wissen will, was er mir mitzuteilen hat. Ob er mich jetzt hasst, mich verachtet? Immerhin habe ich ihn geschlagen und er, er hat mich benutzt und weggeworfen, als ich nicht mehr gut genug für ihn war. Ich spüre wie die Wut wieder in mir zu kochen beginnt. Aber da ist noch etwas anderes, etwas viel schmerzvolleres. Bitter stößt es in mir hoch, das Verlangen nach ihm und vor meinem inneren Auge beginnen sich Erinnerungen an seinen nackten Körper, seinen heißen Atem und die Art, wie er mich an der Taille gepackt hat, zu regen. Ich bin von mir selbst angewidert und ich muss hier raus. Aber das kann ich nicht, nicht bevor ich mich entschieden habe, die Nachricht zu lesen, oder zu löschen. Eine weitere Enttäuschung, mehr wird es nicht sein. Worte, die noch mehr verletzen, weiter nichts. Ich muss es mir nicht antun. Das weiß ich alles, aber trotzdem fällt es mir schwer mich zu entscheiden. So lange habe ich darauf gewartet, dass er sich meldet, dass er sich entschuldigt, sagt, dass er es nicht so gemeint hat und mich braucht. Wie kann er es nur wagen?! Jetzt beginne ich schon wieder zu hoffen, alles könnte wieder gut werden. Dieser Mistkerl! Dann ließ ich meinen Finger entscheiden, er legte sich automatisch auf den richtigen Knopf und ich war bereit, die Ernüchterung über mich ergehen zu lassen. >Triff mich am Brunnen, ich muss mit dir reden.< Er will mich sehen, schießt es mir durch den Kopf. Irgendwie machte mich das glücklich und traurig zugleich. Ich wollte ihn auch sehen. Eine einzelne Träne kullerte mir über die Wange. Ich wischte sie wie in Trance weg. Und dann tippte ich meine Antwort. Eine Zeit hat er nicht genannt, aber das war mir gleich, ich würde auch den ganzen Tag auf ihn warten, weil ich weiß, wie wichtig dieses Treffen ist. Deshalb wasche ich mich erst einmal gründlich. Ich will ihm nicht den Eindruck liefern zu sehr zu leiden. Überhaupt gefällt es mir nicht, ihm gegenüber Schwäche zu zeigen. Also leihe ich mir frische Kleidung von Ian und mache mich dann auf den Weg zum Brunnen, unseren alten Treffpunkt. Vielleicht hätte ich Ian einen Zettel hinterlassen sollen, so langsam bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich einfach verschwunden bin. Ich setze mich auf die Stufen, des Brunnens und lehne mich gegen dessen Becken. Die Sonne scheint heute wirklich unwahrscheinlich heiß, hoffentlich bekomme ich keinen Sonnenbrand. Mein Magen beginnt auch schon langsam zu knurren, aber ich bewege mich keinen Millimeter von der Stelle. Ich wartete lange, oder vielleicht kam es mir auch nur so vor. Es war unwichtig, denn er kam. Ich erkannte ihn auf Anhieb, als er noch zwischen all den anderen Menschen durch den Park schlenderte. Seltsam, ihn schien es überhaupt nicht mitgenommen zu haben, von mir getrennt zu sein. Mein Blick fiel automatisch auf das dunkel gefärbte Auge. Was sein Frau wohl dazu gesagt hat? Ich bezweifle, dass sie über uns Bescheid weiß. Dann ist er da. »Hallo Finn.« Ich muss schwer schlucken. Die Art, wie er meinen Namen sagt, beschert mir immer noch Gänsehaut. «Hallo.» erwidere ich kleinlaut und vielleicht etwas eingeschüchtert. Dabei wollte ich doch nicht so vor ihm erscheinen! Ich verfluche mich innerlich selbst dafür. Dann mustere ich ihn ungnädig. «Also, was willst du?» Ich versuche kalt und unverzeihlich zu klingen, aber ich fürchte, es ist mir nicht ganz gelungen. Er scheint nämlich zu lächeln. Daher verschränke ich die Arme und mustere ihn streng. «Was hast du mir zu sagen Nick?» Jetzt scheint er zu begreifen, dass ich nicht gekommen bin, um Höflichkeiten mit ihm auszutauschen, seine Miene wird nämlich ernst. »Ich wollte dich sehen.« «Pah! Du machst mit mir Schluss und hältst es keinen Tag ohne mich aus?!» Ich habe nicht vor ihm nachzugeben, er hat selbst entschieden, jetzt soll er auch dazu stehen. »So war das nicht. Es war meine Frau. Sie hat angefangen mir Fragen zu stellen. Ich dachte, sie weiß es und ich wollte ihr keine Gelegenheit geben, mich bei der Schule zu melden. Ich wusste, dass du mich mehr liebst und dass du mich niemals verraten würdest, deshalb musste ich es tun.« Ich beobachte wie er sich mit einer Hand seitlich durch die Haare streicht. Zittert er etwa? Mache ich ihn nervös? Ich schlucke meine Gedanken runter. Ich muss einen klaren Kopf behalten. »Ich vermisse dich.« Er starrt mich an und ich kann nicht ausweichen. Schließlich bin ich es, der den Blick senkt. Was erzählt er da? «Nick.. » murmle ich schwach. «Wie stellst du dir das vor?» »Ich war bei dir zuhause. Dein Vater hat mir erzählt, dass du für eine Weile nicht mehr dort wohnen wirst, was mich ziemlich verwundert hat.« «Danke auch, jetzt wo er dich gesehen hat, darf ich sicher noch ne ganze Weile nicht wieder zurück.» »Du kannst mit zu mir.« Ich starre ihn überrumpelt an. Wie meint er das, mit zu ihm? Dorthin wo seine Frau und seine Kinder sind? Wehmütig senke ich den Blick erneut. »Mach dir keine Sorgen.« Er hat es mir wohl angesehen. »Emma ist mit den Kindern für ein paar Tage zu ihrer Mutter gefahren. Ich habe ihr erzählt, dass ich Probleme mit einem meiner Schüler hatte, daher auch das blaue Auge. Und sie war verständnisvoll, meinte aber trotzdem, dass sie etwas Zeit für sich braucht.« Dann höre ich ihn seufzen. »Ich glaube, meine Ehe ist am Ende.« Seine Hand legt sich auf meinen Oberarm. Ich starre darauf, unschlüssig, was ich von all dem halten soll. »Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Da sind sie wieder, die Tränen. Wie lästig. Dabei wollte ich doch nicht vor ihm weinen und jetzt ist es doch wieder so weit. Aber was soll ich auch anderes tun, wenn ich so glücklich bin und endlich die Worte zu hören bekomme, die ich längst schon verdient hätte. Die Hoffnung ist immer noch da, mit ihm zusammen sein zu können, eine Zukunft mit ihm zu haben. »Komm mit zu mir.« drängt er erneut. »Ich will dich küssen.« haucht er leise in mein Ohr, aber ich bin immer noch unschlüssig. Er küsst mich niemals in der Öffentlichkeit, weil er Angst hat, von jemandem gesehen zu werden und um zu bekommen was er will, was ich will, würde es bedeuten, dass ich mit ihm gehen muss. Schniefend wische ich mir über die feuchten Wangen, dann nicke ich und wir gehen los. Ich komme mir klein neben ihm vor und viel schwächer, als ich eigentlich sein wollte. Gemeinsam betreten wir die vertraute Wohnung. Jedes Mal wenn sich uns die Gelegenheit ergeben hat und seine Frau nicht da war, haben wir uns hier getroffen. Anfangs hatte ich Hemmungen, da die Kinder etwas mitbekommen hätten können, aber offiziell erhielt ich eben nur Nachhilfe. Diesmal muss ich keine Angst haben, dass uns jemand erwischen könnte und ihm war das ebenfalls bewusst. Ich kam nicht einmal dazu, mir die Schuhe auszuziehen, als ich seine Arme spürte und auch promt in einen sinnlichen Kuss verwickelt werde. Meine Haut beginnt sofort an all den Stellen zu kribbeln, an denen er mich anfasst. Gewohnte lustvolle Schauer erfassen mich und ich kann nicht anders, als die Berührungen leidenschaftlich zu erwidern. Ich war auf Entzug, auf Nick-Entzug, ich brauche ihn, jede einzelne meiner Poren verlangt nach ihm. Vorsichtig kommen wir in Bewegung, als er mich rückwärts Richtung Schlafzimmer schiebt. Dann spüre ich die Tür an meinem Rücken und ich erstarre. Es kostet mich viel Mühe und ich ringe um Atem, aber ich schaffe es den immer gieriger werdenden Kuss zu lösen. «Nicht.. hier.. » bringe ich keuchend hervor. Normalerweise sind wir in solchen Augenblicken immer in seinem Arbeitszimmer. Es ist mir unangenehm es auf seinem Ehebett zu tun. »Wieso nicht, keiner wird uns stören.« Ein Klicken, dann merke ich, wie die Türe hinter mir nachgibt und der Kuss wieder aufgenommen wird. Ergeben lasse ich mich in den Raum schieben und aufs Bett drücken. Nick beugt sich über mich und unsere Blicke begegnen einander. Nicht in der Lage den meinen abzuwenden, nähert er sich mir immer mehr, bis er schließlich über mir liegt und sein Unterleib hart gegen den meinen drückt. Ich laufe auf der Stelle rot an. Er ist schon hart, schießt es mir durch den Kopf und meine Unsicherheit beginnt wieder zu steigen. Zaghaft stemme ich meine Hände gegen seine Brust. «N.nicht, sie wird es riechen.» stammle ich etwas kläglich. »Wird sie nicht.« Und ich werde wieder geküsst. Aber diesmal drücke ich ihn fester weg. «Doch, das wird sie!» protestiere ich. »Was ist nur los mit dir? Sie ist weg, reicht das nicht?« Das tat es nicht. Ich wollte protestieren, aber mein Handy kam mir zuvor. Etwas irritiert starrte ich auf das brummende Etwas in meiner Tasche. … Was wollten meine Eltern ausgerechnet jetzt von mir? «Ich muss da ran gehen.» sage ich dumpf und Nick zog sich daraufhin freudlos wieder von mir zurück. Aber die Nummer gehörte nicht meinen Eltern, sie gehörte Ian, zumindest laut meiner Anzeige. Ich ging ran, als mein Handy erneut ungeduldig surrte. «Woher hast du meine Nummer?» »Ich war an deinem Handy, damit ich dich erreichen kann, solltest du mir nichts dir nichts einfach verschwinden.« Ich kann hören, dass er sauer ist deswegen und schlucke nervös. «War keine Absicht.» Ein langes Schweigen. »Okay, schon gut, ich hab mir nur Sorgen gemacht. Meine Eltern haben gesagt, du wärst zum Mittagessen nicht da gewesen und jetzt ist es Abend. Wo treibst du dich rum?« «Ich bin bei...» Nicks Blick lässt mich innehalten. … »Bei ihm?« … «Ja.» »Hast du ihm noch eine verpasst?« «Ähm, nein, eher... » ich kann spüren, wie sich meine Wangen aus Scham rot verfärben. »Oh. Hab ich euch gestört?« Sarkasmus liegt in seiner Stimme, Ian macht kein Geheimnis daraus, was er von meiner Affäre hält. «Nein! Ich.. wollte sowieso grade wieder... gehen.» sage ich zwar, schiele dabei aber zu Nick. Dieser hat seine Arme fest verschränkt und mustert mich streng. Also wende ich den Blick schnell wieder ab und starre stattdessen lieber den Teppichboden an, der vergleichsweise viel harmloser wirkt. «Bis gleich. » flüstere ich fast, ehe ich auflege und mich wieder meinem Lehrer widme. »Du gehst also wieder? Das ist mir ja ganz neu.« Mir wird immer unbehaglicher zumute, sage jedoch nichts. »Wann wolltest du mir das sagen?« «Ich hab versucht, es dir zu sagen.» erwidere ich kleinlaut. «Außerdem hast du Schluss gemacht, ich bin dir gar nichts schuldig!» Das war mein Trotz. Ich hasse es gegen eine Wand gedrängt zu werden. Momentan überfordern mich Nicks Gegenwart und sein Verlangen einfach zu sehr. «Ich brauche Zeit und ich muss nachdenken.» stelle ich klar, ehe ich annähernd fluchtartig die Wohnung verlasse. Ich glaube ich bin auch ein wenig gerannt. Aber hinterher betrachtet bin ich mir nicht mehr sicher. Kapitel 4: Dreiecke oder so ähnlich ----------------------------------- Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie lange ich unterwegs war. Mir ist heiß und ich habe ein Stechen in der Seite, das mich davon überzeugt, dass das alles gerade kein Traum war, sondern die Realität. Denn jetzt bin ich nicht nur eine Heulsuse, sondern auch noch ein Feigling, weil ich vor ihm weggerannt bin. Was Nick wohl von der ganzen Sache hält? Vermutlich hat er mich noch nie so schnell laufen sehen. Und ich habe noch nie so viel Luft gebraucht, wie in diesem Moment. Mir ist schon ganz schwindlig von der ganzen Hitze und der Anstrengung. Deshalb lehne ich momentan erschöpft an Ians Haustür. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier sein sollte. Was für ein Gesicht soll ich machen, wenn ich Ian sehe? Soll ich so tun, als wäre nichts gewesen? Wahrscheinlich ist er sowieso schon genervt von mir. Aber das ist der einzige Ort an den ich gehen kann, also bleibt mir nichts anderes übrig, als meine negativen Gedanken erst einmal zu ignorieren. Stattdessen konzentriere ich mich lieber darauf, ein bisschen weniger gehetzt auszusehen und zur Abwechslung etwas normaler zu wirken. Zumindest ist das mein Vorsatz. Dann höre ich ein Klacken und die Tür gibt nach. Ich strauchle kurz, kann das Gleichgewicht aber halten. »Sag mal, wie lange willst du hier eigentlich noch rumstehen?« Meine Finger haben sich im Türrahmen verkeilt und sind der Hauptgrund, weshalb ich noch stehe, selbst nach dieser Überraschung. Möglicherweise starre ich Ian schon wieder seltsam an, da er etwas unsicher wirkt. Also beschließe ich mich erst einmal zu räuspern, um sicherzustellen, dass meine Stimme nicht versagt, wenn ich antworte. «Ich... » »Jetzt komm erst mal rein!« werde ich harsch unterbrochen und auch gleich ins Innere gezogen. Er ist sauer. Sein ganzer Körper strahlt es aus, die verschränkten Armen, das vorgestreckte Kinn und nicht zu vergessen sein Tonfall, der, auch wenn man die anderen Zeichen übersehen hätte, eindeutig klarstellt, dass ich in Ungnade gefallen bin. Ian wirft die Tür knallend zu und ich schrecke etwas zusammen. »Sind das meine Sachen?« Sein Blick wandert über meinen Körper und ich mache es ihm kurzerhand nach, um zu sehen was er meint. Ich kann spüren wie ich etwas rot werde. Ians Klamotten hängen etwas schlaff an mir herunter. Wieso muss ich ihm immer einen derart lächerlichen Anblick liefern? «Ähm... ja... sorry, meine waren... » »Du lässt dich in meinen Sachen begrabschen?!« «Hä?» Egal weshalb er wütend war, jetzt hat es sich verdoppelt. … »Habt ihr es getan?« Ians Stimme hat sich beinahe zu einem Flüstern gesenkt. Ich bewundere wie sehr er sie selbst jetzt noch unter Kontrolle hat, leise und bedrohlich. Aber ich habe jetzt keine Zeit, mich davon ablenken zu lassen. Das Verblüffen in meinem Blick weicht und macht stattdessen der Empörung platz. Ich stemme meine Hände in die Seiten, so wie es auch meine Mutter immer tut, wenn sie sich über irgendetwas schrecklich aufregt. Wieso muss ich gerade jetzt daran denken? Jede noch so kleine Ähnlichkeit mit meiner Mutter ist mir im Grunde zuwider. Vielleicht fehlt mir gerade deshalb der Elan, meine Antwort mit mehr Überzeugung zu erwidern. «N.nein! Bist du bescheuert?» Das war eher ein erbärmliches Nuscheln. Die Wirkung ist dennoch nicht zu verachten. Ich kann beobachten, wie sich Ians Schultern etwas entspannen und leicht herabsacken, dazu kommt ein Aufatmen. »Ein Glück. Ich dachte schon, ich müsste mich auch noch mit ihm prügeln.« Dann lächelt er sein typisches unbeschwertes Ian-Lächeln und ich starre nur verblüfft. Er ist wieder zahm wie ein Lamm, nach einem mir völlig unerklärlichen Ausbruch. Na ja, ganz unerklärlich ist er dann doch wieder nicht, immerhin kann ich mir denken, dass ich daran Schuld bin, aber jetzt bin ich zu eingeschüchtert, um genauer nachzufragen. »Was steht ihr denn im Gang herum? Ich dachte, du bringst Finn in die Küche.« Das war Ians Mutter. Aber diesmal war ich nicht der Einzige, der aus seinen Gedanken gerissen wurde. Ich kann genau erkennen, wie Ian etwas überrumpelt dreinschaut. »Nun schau doch nicht so, du warst es doch, der unbedingt mit dem Essen auf Finn warten wollte.« «Wollte ich gar nicht!» Dann stapft er davon und ich starre ihm noch immer erstaunt nach, wobei sich mir ein winziges Schmunzeln ins Gesicht schleicht. »Er war die ganze Zeit über unruhig und hat auf dich gewartet.« petzt seine Mutter. »Ich bin froh, dass du doch noch gekommen bist. So habe ich ihn noch nie erlebt.« «Wirklich?» Ich weiß nicht recht, was ich darauf erwidern soll, irgendwie freue ich mich deswegen. Er war nicht wütend, er war nur besorgt. Ich kann nicht anders als wieder zu grinsen. Anschließend ziehe ich mir Jacke und Schuhe aus und geselle mich zu den anderen in die Küche. Dabei kann ich es nicht lassen, Ian wissend anzugrinsen, was diesen wohl etwas zu überfordern scheint, da er anscheinend immer noch damit bemüht ist, mir dir kalte Schulter zu zeigen und mein Grinsen ihn wohl ziemlich abzulenken scheint. »Noch mehr Salat?« Ich blinzle überrascht, seine Mutter hat mein Starren unterbrochen und ich lächle etwas verlegen. «Ja, danke.» Also nehme ich mir welchen und lasse meine Aufmerksamkeit endlich auch auf die anderen Personen am Tisch übergehen. Und die scheinen mich genauso interessant zu finden, na ja, alle außer Ian, der ist damit beschäftigt seine Bohnen in möglichst kleine Stücke zu schneiden, nur um sie dann alle einzeln auf die Gabel aufzuspießen und ihnen mit einem Habs ein Ende zu bereiten, wobei er sich jedoch extra nochmal Zeit nimmt den Bissen gründlich zu zerkauen. Wirklich bemerkenswert wie lange er das durchhält. »Finn, sag mal wo habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Ian hat dich nie erwähnt.« Mein Blick wandert automatisch zum Gesprächsführer, Ians Vater. «Oh... ähm... ja, kann ich mir denken.» murmle ich nervös. Er hat mich ja auch heulend auf einer Parkbank gefunden und mich wohl mit einem streunenden Hund verwechselt. … «Wir kennen uns von der Schule, aber weil wir in verschiedene Klassen gehen...» Ich zucke nur mit den Schultern und hoffe, dass das Thema damit gegessen ist. »Aber.. du gehst momentan nicht zur Schule.« Ein Stück Radieschen bahnt sich den Weg in meine Luftröhre, als ich diese Worte höre. Ein heftiges Husten ist die Folge davon. So heftig wie es scheint, dass sogar Ian etwas Mitleid mit mir bekommen hat, da dieser mir jetzt fürsorglich auf den Rücken klopft. Ich trinke einen Schluck Saft, um mich zu beruhigen. Dann geht es wieder. «Ähm... ja, das ist richtig.» Mein Blick ruht auf einem kleinen Ketchupfleck am Rande meines Tellers. «Ich... hatte eine Auseinandersetzung... mit meinem Mathelehrer.» Meine Worte sind nur ein Murmeln, trotzdem verstehen sie alle. Ich stelle mir Ians Familie im Augenblick ein bisschen wie Fledermäuse vor, mit riesigen Ohren und ledernen Flügeln, bereit um sich jederzeit in einen Vampir zu verwandeln und mir auch noch den Rest dessen auszusaugen, was ich früher einmal Selbstachtung genannt hätte. »Aber du bist in keiner Gang, oder doch?« «Schatz!» »Was denn? Er könnte einen schlechten Einfluss auf Ian haben.« «Trotzdem, das ist unhöflich!» Diese zischende Unterhaltung lässt mir mein Herz in die Hose sinken. Ich dachte wirklich, hier wäre ich willkommen. Dann steht Ian langsam auf. Das Gespräch verstummt und wir starren ihn alle an. Er hat es doch tatsächlich geschafft mit akribischer Kleinstarbeit den Teller zu leeren. Er bemerkt die Blicke, lässt sich jedoch nicht davon stören. Stattdessen streckt er sich nur ein wenig. »War lecker. Kannst du mir dann in Mathe ein bisschen Nachhilfe geben Finn? Soweit ich weiß bist du der beste in deiner Klasse und ich versteh den neuen Stoff absolut nicht.« «Ähm... k.klar...» »Oh, bevor ichs vergesse. Schaut euch Finn doch nur mal an, so jemanden lasse ich doch nicht in meine Gang.« Dabei grinst er breit, räumt den dreckigen Teller weg und verzieht sich wieder nach oben in sein Zimmer. Dann herrscht erst einmal Stille in der Küche. Ians Eltern scheinen wohl genauso überrascht von seinem Verhalten zu sein, wie ich. Nur langsam wird das Essen wieder aufgenommen. »Entschuldige Finn, dass war wirklich unhöflich von uns.« Ich kann ein Seufzen hören. Die Entschuldigung ist wohl nicht leicht gefallen. »Es kommt selten vor, dass sich Ian für einen seiner Freunde auf diese Weise einsetzt.« «Etwa vier Jahre, nicht wahr Schatz?» Die Überraschung ist aus den Stimmen gewichen, an deren Stelle ist eine Sanftheit getreten, die ich nur selten zu hören bekomme. Aber sie lässt mich darauf schließen, dass der gefährliche Teil der Unterhaltung vorbei ist und ich es wieder wagen kann, den Kopf zu heben. Ians Eltern sind so ganz anders wie meine, das muss ich jetzt erneut feststellen. Wenn sie sich ansehen, dann ist da noch etwas von dieser Verliebtheit übrig, die ich bei meinen Eltern schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Irgendwie traurig sowas. Und am liebsten würde ich nachfragen, was sie damit gemeint haben. Was vor vier Jahren wohl gewesen ist? Aber ich will diese Verbundenheit nicht stören. Also esse ich fertig und folge Ian kurze Zeit später. »Hey, du bist ja noch in einem Stück« «Ja, vermutlich schmecke ich doch nicht so gut, wie es den Anschein hat.» Ich lächle ein wenig und Ian scheint sich auch wieder etwas zu entspannen. »Man, tut mir echt leid, aber sie können nichts dafür. Diese Überfürsorglichkeit ist angeboren und die Taktlosigkeit ist ein Nebenprodukt davon.« «Schon okay. Hab mir schon gedacht, dass sie früher oder später nachfragen werden. War also nur ne Frage der Zeit.» Ich mach es mir auf meiner Matratze bequem. «Hast du das eigentlich ernst gemeint?» Ians Blick heftet sich an meinen, er wirkt sehr ernst und dann nickt er vorsichtig. »Ja. Ich brauche definitiv deine Hilfe in Mathe.« … «Das meinte ich nicht...» »Was dann?« Angesichts dieser übermächtigen Unwissenheit bleibt mir nicht anderes übrig als tief durchzuatmen und schief zu grinsen. Irgendwie ist er entwaffnend mit seiner Art und auch irgendwie... süß, zumindest ein bissen. «Ach, nichts.» «Hol dein Mathebuch.» Ich frage mich, ob er mich auf diese Weise irgendwie therapieren will, damit ich meine Abneigung Mathe gegenüber verliere. Nur, dass ich im Grunde nichts gegen Mathe habe. Meine Erinnerungen an Nick sind ohnehin mit anderen Dingen verknüpft, seine Nachhilfe hat ja auch nie aus richtigem Lernen bestanden, sondern eher... Okay, Schluss damit. Themenwechsel! Da kommt zum Glück auch schon das Mathebuch. «Was macht ihr denn grade durch?» »Weiß nicht so genau, irgendwas mit Dreiecken glaub ich.« … «Aha... Dreiecke.» Ich kann nicht anders, als ihn amüsiert zu mustern. «Kann ich mal deine Mitschrift sehen?» … … «Ian?» Dieser bewegt sich keinen Millimeter vom Fleck, stattdessen haben seine Wangen jedoch eine leichte rosa Färbung angenommen. »Ich hab keine.« Es war nur ein leises Nuscheln, ich habe es trotzdem verstanden. «Du hast keine? Wieso nicht?» »Jedes Mal, wenn ich ihn sehen, werd ich so sauer, dass ich meine Stifte zerbreche und dann kann ich nichts schreiben.« Ich bin erst baff, dann grinse ich jedoch schief. «Ich bin vielleicht ein bisschen naiv, aber ich bin nicht blöd, erzähl den Mist jemand anderem und schreib gefälligst im Unterricht mit!» Ian scheint darauf nichts besseres einzufallen, als zu lachen und zwar sein entwaffnendes Ian-Lachen. Langsam glaube ich wirklich, dass er mich um seinen kleinen Finger gewickelt hat und dessen ist er sich nicht einmal bewusst. »Und ich dachte wirklich, du schluckst es.« «Tja... falsch gedacht.» Dann mustere ich das Mathebuch genauer. Kein Wunder, dass er keine Zeit für Mitschriften hat, sein Verlangen nach unnötigen Verschönerungen scheint viel größer zu sein. «Langsam fange ich an daran zu zweifeln, dass du überhaupt weißt, wie ein Dreieck aussieht.» Kapitel 5: Aliens und Playboys ------------------------------ Mathe war wirklich nicht Ians Stärke und noch weniger war es die Konzentration. Ich hatte es nach einiger Zeit tatsächlich so weit geschafft, ihn zu einem der leichteren Beispiele zu animieren und anfangs schien das auch zu fruchten. Das war, als ich ihm noch einigermaßen zufrieden zugesehen habe, wie er die Angaben abschrieb und zu rechnen begann, mit Formeln, die ich ihm vorher aufschreiben musste, aber na ja, man kann ja nicht zu viel verlangen. Aber dann kam seine Konzentrationsschwäche zum Vorschein. Er begann mich anzustarren und als ich zurück starrte und dabei fragend die Augenbrauen hob, sah er nur wieder weg. Das wiederholte sich circa viermal, und jetzt starrt er schon wieder. Es ist mir wirklich unbegreiflich und ein Phänomen, wie er sich ausgerechnet mich, als interessantesten Gegenstand im Raum aussuchen konnte, um sich von Mathe abzulenken, wo ich im Grunde doch genau das Gegenteil tun sollte. Also gut, jetzt reicht es. Ich atme tief durch, dann mustere ich ihn streng. «Hast du ein Dreieck in meinem Gesicht gefunden, oder wieso starrst du mich die ganze Zeit über so komisch an?» Damit hat er nicht gerechnet. Jetzt blinzelt er nämlich ein wenig betröppelt und scheint dann abzuwägen, was er mir sagen soll. … Habe ich die Situation falsch eingeschätzt? Egal woran er gerade denkt, es ist nicht Mathe und irgendwie fange ich an daran zu zweifeln, dass ich wissen will, was es ist. Ich hasse Momente wie diesen, nicht zu wissen was vorgeht, aber dennoch dieses unruhige Gefühl in der Magengegend zu haben. «Spucks schon aus.» Das klang genauso wie ich mich fühle, niedergeschlagen und bereit jede noch so schlimme Antwort zu erhalten. Aber Ian scheint immer noch mit Denken beschäftigt sein. «Na mach schon.» bettle ich schon fast. Daraufhin seufzt er schwer. Oje, das kann nichts Gutes zu bedeuten haben. »Also... ich... hab mich nur gefragt... « Mehr sagt er nicht. Wieso nicht? Wieso muss man ihm alles aus der Nase ziehen?! Das ist ja nicht zum aushalten! «Du hast dich gefragt...?» Ich sehe ihn abwartend an, aber er wendet den Blick ab und mustert lieber wieder sein Matheheft. Warum interessiert er sich ausgerechnet jetzt wieder dafür? Vorhin hat er es doch auch nicht freiwillig angeschaut. Weiß er eigentlich wie sehr er mich damit zappeln lässt? Jede Geduld hat einmal ein Ende und jetzt, in diesem Augenblick, ist es auch mit meiner so weit. Demnach ist es keine Überraschung, dass ich meine Hand nach dem bescheuerten Heft ausstrecke, und es ihm zuklappe. Ich war versucht, es zu nehmen und ihm über den Schädel zu ziehen, aber dann beschloss ich, dass ich das immer noch nachholen konnte, nachdem ich gehört habe, was er mir zu sagen hat. «Ian, brauchst du auch im Sprechen Nachhilfe, oder soll ich aus deiner Körpersprache schlau werden? Egal was es ist, ich bin sicher, ich werde es verkraften, also sag schon.» Jetzt werde ich verwundert gemustert, aber dann nickt er endlich. »Ähm... ja weißt du, eigentlich wollte ich nur wissen, wann du anfängst zu reden.« Was? Ich? Wieso? «W.warum? Du hast mich doch...» angestarrt, wollte ich eigentlich sagen, komme aber nicht so weit. »Du warst heute bei ihm.« fällt er mir ins Wort. Ich kann momentan nicht anders als verblüfft zu blinzeln, bis Ians Worte in mein Hirn durchsickern. Ich war bei ihm, Nick, natürlich. Wieso ist mir das nicht schon früher eingefallen? Die Begrüßung, die mir Ian bereitet hatte, hätte eigentlich darauf schließen lassen müssen, dass das Thema Nick noch nicht restlos gegessen war. Allerdings fällt es mir auch nicht leicht, darüber zu reden. Das gestern mit dem ganzen Herzausschütten und so ist eigentlich eher untypisch für mich. In Wirklichkeit bin ich nun mal ein schüchterner, unsicherer Nerd, der es irgendwie geschafft hat, sich eine Menge Probleme einzuhandeln und jetzt als Lösung nichts besseres weiß, als davor wegzulaufen. Ich starre beschämt den Boden an. «Ist es... okay.. wenn wir nicht über ihn reden?.» murmle ich leise. Gerade eben war ich noch so gut darin Nick zu vergessen, was vermutlich großteils an Ians Anwesenheit liegt, darum will ich meine Gedanken nicht wieder an ihn verschwenden. Selbst ich habe begriffen, dass ich in einer hoffnungslosen Situation mit ihm bin. Es würde mich nur weiter frustrieren, wenn ich mich mit ihm beschäftige. Ians Gesichtsausdruck zeigt eindeutig, dass er damit nicht ganz zufrieden ist, dennoch nickt er. «Danke.» Mir fällt ein Stein vom Herzen und wir gingen beide einen unausgesprochenen Pakt ein, er wird nicht weiter nachfragen und ich werde ihn auf Weiters mit Mathe verschonen. Der weitere Abend verlief ruhig und ähnlich wie der erste, nur dass ich diesmal nicht sobald ich im Bett lag, zu heulen begonnen habe. Ich glaube, ich habe aufgehört Nick nachzutrauern, anstelle der Verzweiflung und Frustration hat sich ein unaussprechliches Verlangen gestellt, eines, dem ich niemals nachgeben darf. Es ist schwer es anders zu beschreiben, als eine Art Suchtzustand, die ich zu Nick aufgebaut habe. Mein Körper reagiert und sehnt sich nach ihm, erinnert sich an seine Berührungen, an seine Stimme. Es ist qualvoll. Bis zu dem Tag, an dem er es beendet hat, war mir nie bewusst gewesen, wie sehr ich von ihm beeinflussbar bin. Wann habe ich angefangen meine Gewohnheiten so zu verändern, um ihn zu sehen und Zeit mit ihm zu verbringen? In meiner Kindheit muss doch bereits etwas gewaltig schief gelaufen sein, dass ich einen derartig abgrundtief schlechten Männergeschmack entwickelt habe. Meine Eltern sind schuld, würde ich spontan sagen. Ich verstehe mich schlecht genug mit ihnen, um ihnen mein ganzes verkorkstes Leben vorzuwerfen, obwohl ich vermutlich auch nicht ganz unschuldig an gewissen Wendungen und Handlungen bin. Aber darüber will ich nicht reden und ich will nicht daran denken, denn genauso wie Nick, sind meine Eltern ein Tabuthema für mich, ein katastrophales rotes X in meinem Leben, das ich nicht näher behandeln will. Der nächste Morgen kam genauso unspektakulär, wie der Abend geendet hat. Ians Wecker klirrt vor sich hin, wir fluchen beide, dann steht er auf und ich bleibe liegen. Nach einiger Zeit bemühe ich mich dann jedoch doch noch aus dem Bett zu kommen, um wenigstens mit Ian zu frühstücken. Dabei erfahre ich, dass ich den Tag über allein bei ihm sein werde, da seine Eltern einen lange geplanten Kurzurlaub zu ihrem 18. Hochzeitstag antreten. Da ist sie schon wieder, diese Verliebtheit. Wer sonst fährt an einem 18. Hochzeitstag irgendwo hin und das direkt unter der Woche? Ich gebe zu, dass es mir schwer fällt, die beiden zu beobachten ohne dabei diesen giftigen Beigeschmack im Mund zu haben. Eifersucht ist etwas schrecklich Lästiges, aber selbst wenn man nicht eifersüchtig sein will, funktioniert das nun einmal nicht einfach so, dass man es mit einem Fingerschnippen nach belieben an oder abstellen kann. Ich hasse dieses Gefühl doch selbst, obwohl ich momentan viele meiner Gefühle hasse und dieses also keine große Ausnahme zu den anderen darstellt. Ich hoffe nur, man sieht es mir nicht an, ich will nicht undankbar erscheinen, oder einen schlechten Eindruck machen. Wie dem auch sei, Ian war weg, Ians Eltern waren weg, einzig ich war noch da, na ja, ich und die Katze. Dieses Alleinsein ist vielleicht am Anfang noch relativ angenehm, wenn man dir Ruhe genießen und noch mal ins Bett gehen kann, aber spätestens nach dem Duschen und einem exzessiven Fernsehvormittag, weiß man nichts mehr mit sich anzufangen, ich zumindest nicht. Ich erwische mich sogar dabei, wie ich immer wieder ungeduldig Richtung Wanduhr schaue, um endlich bald mit Ians Rückkehr belohnt zu werden. Mittlerweile bin ich den Fernseher satt geworden und ich liege nur noch so auf der Couch herum. Dabei wandern meine Gedanken wieder in alle möglichen Richtungen meiner Gehirnwindungen und mir stellt sich erneut die eine große Frage, die ich seit Ians erstem Auftauchen nicht mehr aus meinem Kopf kriegen konnte. Wieso tut er das alles? Für mich ist es immer noch unerklärlich, aber da ich nun einmal Zeit habe, schließe ich die Augen und beginne mir verschiedene Szenarien auszudenken, wieso das Mysterium Ian so handelt, wie es nun mal handelt. Szenario eins: Ian hat beobachtet, wie ich Nick das blaue Auge verpasst habe. In Wirklichkeit ist er Mitglied in einem Kickbox-Verein und war derart beeindruckt von meiner Rechten, dass er beschlossen hat, mich genauer zu analysieren. Dazu gehören meine Gewohnheiten, Essensvorlieben und sogar meine Schlafstellungen. Na ja, ein eher unwahrscheinliches Szenario... Szenario zwei: Ian ist genau der Playboy, für den ihn alle halten und momentan geht er mit mindestens fünf Mädchen gleichzeitig aus. Weil er aber festgestellt hat, dass das mit der Zeit immer komplizierter wird, braucht er ein Alibi, das jedes der Mädchen in Sicherheit wiegt. Und genau da komme ich ins Spiel. Er tut so, als wäre er ein Wohltäter und Menschenfreund, stattdessen lässt er mich jedoch bei sich daheim links liegen und amüsiert sich mit den Mädchen. Das klingt zutiefst unbefriedigend. So etwas würde er doch nicht tun, oder? Ich zweifle immer mehr daran, Ian richtig einschätzen zu können, aber ich bin davon überzeugt noch ein Szenario zu finden, dass ihm mehr entspricht und auch mich einigermaßen glücklich macht. Szenario drei zum Beispiel: Alien Ian ist auf die Erde herabgestiegen, um Anomalien im menschlichen Verhalten zu analysieren und ich bin das Paradebeispiel, dass ihm bei seinen ganzen anderen Alienkollegen Respekt und Anerkennung eintragen wird. Da bitte schön, das klingt doch schon viel befriedigender. Damit könnte ich mich abfinden. Nur, an der Wahrscheinlichkeit hapert es noch ein bisschen. Also gut, Szenario vier: Ian ist einfach ein netter Mensch, der Mitleid mit mir hatte, als er mich heulend auf einer Parkbank gefunden hat, was übrigens die denkbar schlechteste Art ist, jemanden kennenzulernen. Wenn erste Eindrücke derart stark zählen, dann bekomme ich den meinen wohl nie wieder weg. Egal, wie gesagt, Ian ist ein netter Mensch, gabelt mich aus Mitleid heraus auf, einen Wildfremden… Klingt noch unwahrscheinlicher als die Alienvariante. Allerdings fürchte ich, dass sie trotzdem mehr der Wahrheit entspricht, was irgendwie ziemlich erbärmlich ist. Abänderung von Szenario vier: Ian spaziert gelangweilt durch den Park und sieht einen Typen, den er für gewöhnlich nie angesprochen hätte. Allerdings erkennt er mich, weil.. ja weil... er mich gesehen hat, in der Schule mit Nick und nicht nur das, er hat auch über uns beide Bescheid gewusst – hat er nicht, sonst hätte er nicht derart heftig reagiert, als ich ihm mein Herz ausgeschüttet habe, aber das ist ja vorerst egal – und das hat ihn neugierig gemacht, weil er ein ähnliches Problem hat wie ich. Er steht nämlich auf seine Geschichtslehrerin, die kleine mausgraue Frau Heinrich. Bei dieser Vorstellung muss ich breit grinsen, schüttle dann aber nur den Kopf. Das wäre zu grausam. Szenario vier, die zweite Abänderung: Er gabelt mich auf, nicht weil er auf seine Lehrerin steht, sondern weil er seine schwule Neigung entdeckt hat und es auch bei mir irgendwie gespürt hat, deshalb wollte er meinen Ratschlag. Er hat mich nie um Rat gefragt, er kommt nicht schwul rüber und ich glaube meine Nähe schreckt ihn ab. Das ist also wohl das unwahrscheinlichste Szenario von allen. Ich seufze schwer. Aber, wenn er schwul wäre, wenn er mich mitgenommen hätte, weil er auf mich steht und sich nur nicht traut, es zuzugeben... Ich beende diesen Gedankenzug nicht. Irgendwie habe ich Angst davor. Sie sind zu verlockend, zu angenehm und reines Wunschdenken. Nicht, dass ich an Ian interessiert wäre, aber die Vorstellung, dass sich jemand für mich interessieren könnte, mich lieben könnte und zwar nicht nur körperlich sondern auch geistig, vor allem geistig, ich denke, das könnte ich jetzt gut gebrauchen nach allem was war. Ian wäre sicher einfühlsam in einer Beziehung, so einfühlsam wie er mir gegenüber ist, nur noch zärtlicher. Außerdem ist er bestimmt auch sehr leidenschaftlich und er ist entschlossen, er weiß, was er will und das bewundere ich. Ob diese letzte Möglichkeit wirklich dermaßen abwegig ist? Mein Zeigefinger kreist auf der Couchlehne und ich starre darauf. Wenn ich anstelle von Nick mit jemandem wie Ian zusammen gewesen wäre, ich frage mich, ob ich dann in der selben Lage wäre wie jetzt? Dann höre ich ein Schlüsselgeräusch und ich werde sofort aus meinen Gedanken gerissen. Grinsend sehe ich zu wie Ian die Wohnung betritt. «Hi Ian.» Aber er hört mir gar nicht zu. Seine Aufmerksamkeit ist auf jemand anderes gerichtet, ein Mädchen mit braunen schulterlangen Haaren und einem Lächeln bei dem die Sonne aufzugehen scheint, betritt kurz nach ihm die Wohnung. Dann scheint er mich endlich zu bemerken. »Oh, hallo Finn, darf ich dir Anna vorstellen? Sie ist-« «Seine Freundin.» fällt sie ihm strahlend ins Wort. Kapitel 6: Mädchen! ------------------- Freundin...? Hat sie wirklich gerade „Freundin“ gesagt? Na ja, das war zu erwarten, oder nicht? Ich schätze, das würde dann für meine Playboy-Theorie sprechen, würde mich also nicht wundern, wenn da noch vier weitere von der Sorte auftauchen. Trotzdem ist mir das Kinn wohl runter geklappt. Allerdings merke ich das erst, als mein Mund trocken wird. Es dauert ein paar Sekunden, dann habe ich mich aber wieder gefangen. Ich blinzle, um auch die Trockenheit zu vertreiben, die meine Augen durch das ungläubige Starren befallen hat und ich schließe den Mund schön langsam wieder. Vermutlich mache ich einen ziemlich zurückgebliebenen Eindruck. Aber was interessiert mich auch schon, wie ich auf diese dumme Göre wirke? Überhaupt habe ich nichts mit ihr zu tun, also braucht sie mich auch gar nicht so anzugrinsen. »Finn? Alles okay?« «Hmmm?» »Der Blick grade war ziemlich gruslig, als ob du jemanden töten wolltest.« Ian grinst mich versöhnlich an. Ich weiß, dass das ein Scherz sein sollte, aber momentan ist mir nicht der Sinn nach Scherzen. «Ach so.» mache ich also nur. «Ich muss nochmal raus.» Die Worte kamen mir wie von selbst über die Lippen. Ich musste nirgendwohin, aber bleiben wollte ich auch nicht, ein fünftes Rad am Wagen sein. Mein Körper hat sich angespannt. War ich denn schon wieder dabei auszuticken? Was ist in letzter Zeit nur los mit mir? So bin ich doch sonst nicht, eigentlich bin ich viel gelassener. Trotzdem zwänge ich mich hastig in meine ausgelatschten Turnschuhe, schnappe mir meine Jacke und husche dicht an Anna vorbei Richtung Freiheit. Dabei war es mir ganz gleich, wohin ich ging, mir waren Annas verständnislose Worte egal, oder Ians Frage, was ich gerade vorhabe. Er hat also eine Freundin, Anna. Eine Freundin, na und? Ist doch ganz gleich, dass sie hübsch und freundlich und das absolute Gegenteil von mir ist. Macht mir doch nichts! Ist ja nicht so, als würde er mir gehören, nur weil er mich ein paar Nächte bei sich schlafen lässt. War ja klar, dass er jemanden hat, immerhin schwärmen immer alle von ihm und außerdem ist er noch richtig nett. Vielleicht ein bisschen zu nett, immerhin ist es ziemlich seltsam jemand völlig Fremdes bei sich wohnen zu lassen. … Ich frage mich, ob er deswegen oft ausgenutzt wird. Er sieht zwar nicht so aus, aber genau wissen kann man das nie. Wie lange ich wohl schon unterwegs bin? Ich bin stehen geblieben, weil keine Häuser mehr vor mir sind. Gerade eben habe ich das Stadtende erreicht, es grenzt an ein kleines Waldstück, nicht sehr groß, aber man hat es als „Erholungsgebiet“ stehen lassen. Nicht viel übrig um sich zu erholen meiner Meinung nach, aber es ist trotzdem sehr beliebt. Weiter drinnen im Wald hat man sogar einen See ausgehoben. Früher war ich da oft zum schwimmen, aber heute ist es zu kalt, also glaube ich kaum, dass irgendjemand dort ist. Ich frage mich, ob es immer noch so aussieht, wie damals, als ich klein war. Damals hat auch meine Oma noch gelebt und meine Familie war noch ein bisschen mehr, wie die aus dem Fernsehen, diese grinsenden, glücklichen. Ich kann es nicht recht beschreiben, aber irgendwie geht eine gewisse Anziehung von dem See auf mich aus. Es ist nostalgisch und traurig, aber auf eine seltsame Weise beruhigend, denn das war ein Ort, an dem ich glücklich war und deshalb fühle ich mich wohl auch sicher. Abgesehen davon hat diese Anhäufung von Bäumen nichts Magisches an sich und vermutlich würde man auch gar nicht auf die Idee kommen, es sei etwas Besonderes. Darauf lassen ja schon die Mülleimer, die gut alle zehn Meter auf einem eigens angelegten Pfad aufgestellt wurden, schließen, oder die leeren Plastikflaschen, die sorgfältig auf dem Weg oder in den Büschen zwischen den Müllkübeln verteilt wurden. Hier gibt es wohl schon lange keinen Respekt mehr vor der Natur. Dann bin ich da. Der See sieht kleiner aus, als in meiner Erinnerung und der Steg schäbiger. Aber ich hatte Recht, ich bin alleine hier, die Wolken und die kalten Temperaturen haben die anderen Badegäste verscheucht. Meine Schritte hinterlassen ein vertrautes Geräusch, als ich über das vermooste Holz des Stegs gehe. Ich setze mich an dessen Rand und starre ins Wasser. Vielleicht sehe ich ja ein paar Fische. … Ich bin nicht wirklich an Fischen interessiert, ich versuche nur nicht daran zu denken, was Ian und Anna wohl grade machen, immerhin sind seine Eltern nicht da und an seiner Stelle würde ich diese Gelegenheit dazu nutzen... Das reicht! Ich will es mir nicht vorstellen! Sein Sexleben geht mich nichts an und ich will verflucht noch keine Bilder eines frisch verliebten Heteropärchens in meinem Kopf haben! Schon gar nicht mit Ian in der Hauptrolle. Man... das kann doch nicht sein! Ich.. bin eifersüchtig? Aber ich steh nicht mal auf ihn! Ablenken, ich muss mich irgendwie ablenken und zwar schnell! Mein Blick wandert wieder Richtung Wasser. Was solls, sollen sich die Fische damit beschäftigen! Mit einem Ruck löse ich mich vom Steg und das nächste, das ich wahrnehme ist eine eisige Kälte, die sich um meinen Körper legt. Nass und anhänglich, aber ohne Bilder von Ian und Anna, denn das ist meine Kälte. Allerdings fällt mir kurz darauf ein, dass ich gerade voll bekleidet, mitsamt meinem Handy in der Jackentasche ins Wasser gesprungen bin. Also hechte ich kurz darauf eilig wieder ans Ufer. Verflucht! Wieso denke ich nie vorher nach, bevor ich was unternehme? Ich nestle am Reißverschluss meiner Jackentasche herum. Hoffentlich ist es nicht zu nass geworden. Ein schwarzes Display erwidert meinem Starren. «Sag, dass du einfach keinen Akku mehr hattest.» flehe ich es an. Aber vermutlich hätte es mir jetzt sowieso nicht weitergeholfen jemanden anzurufen, die Sache ist nur die, dass Nicks Nummer darauf gespeichert war. Wie soll ich ihn jetzt noch erreichen? Ich weiß ja, ich muss von ihm loskommen, aber doch nicht auf so drastische Art und Weise! Mir ist schon wieder zum Flennen zu mute, was für ein beschissener Tag! Ich beginne zu zittern. Kein Wunder, immerhin gibt es keine Stelle meines Körpers, die nicht durchnässt ist, also sollte ich wohl oder übel wieder zurück gehen. Zurück gehen, ja, aber zu wem? Zu Ian? Zu Nick? Zu meinen Eltern? Wieso fühle ich mich so verloren und ungewollt? Das ist scheiße, ich will das nicht! Vermutlich kann ich zu Ian zurück, wenn ich mich bei ihm entschuldige. Ich war ziemlich unhöflich vorhin, hoffentlich bereut er es nicht, mich bei sich aufgenommen zu haben. Ein sehr deprimierender Gedanke, aber im Moment ist das auch kein Wunder. Am liebsten würde ich noch ein wenig länger in Selbstmitleid versinken, aber dazu ist mir zu kalt und blöderweise bin ich zu vernünftig, als dass ich mich einfach hier meinem Schicksal überlassen würde. Dabei muss selbst ich schmunzeln. Vernünftig also? Meine letzten paar Aktionen sprechen nicht gerade dafür. Dennoch mache ich mich auf den Rückweg. Vielleicht sollte ich ihnen was mitbringen, Bier vielleicht? Ob Anna Bier trinkt, Mädchen sind da manchmal ziemlich heikel. Obwohl ich Ian auch noch nie Bier trinken sehen hab. Ein Supermarkt auf dem Weg erleichtert mir die Entscheidung. Ich gehe rein, immer noch fröstelnd und durchnässt, weswegen ich auch ziemlich komisch angestarrt werde. Aber ich versuche es zu ignorieren, schnappe mir ein Sixpack Bier und gehe damit an die Kassa. Die Kassiererin mustert mich skeptisch, als ich ihr einen nassen Schein anhängen will. »Hast dus nicht in Münzen oder wenigstens trocken?« «N.nein, t. tut mir leid» murmle ich etwas kleinlaut. »Aber einen Ausweis hast du schon?« Ich nicke und ziehe einen nicht weniger nassen Fetzen Papier aus meiner Geldtasche und zeige ihn ihr. »Man, Junge, du musst besser auf deine Sachen aufpassen und auf dich auch.« Wieder nicke ich und grinse schief dabei. Ja, es war ziemlich dumm von mir, was ich gemacht habe und dass ich das Bier schlussendlich kaufen konnte, habe ich nur der Freundlichkeit der Kassiererin zu verdanken. Ich schwor mir trotzdem, nie wieder klatschnass einkaufen zu gehen. Ein Gedanke, auf den der Großteil der Menschheit, also der glückliche Teil davon, nicht einmal kommen muss. Auf meinem Weg zu Ian wurde ich noch ziemlich oft angestarrt und ich konnte Leute hinter meinem Rücken tuscheln hören. Aber das war mir egal, ich war nämlich viel zu nervös und unsicher, was Ian wohl sagen wird, wenn ich wieder bei ihm aufkreuze und zwar in dieser Verfassung. Ich klingle und warte vor der Tür. Es ist jedoch nicht Ian, der sie schließlich öffnet, sondern Anna. Sie hatte ein ziemlich breites Grinsen im Gesicht, wie zu dem Zeitpunkt, in dem sie Ians Haus betreten hat, allerdings veränderte sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig, als sie erkennt in welchem Zustand ich bin. »Was ist denn mit dir passiert?« Ihr Blick huscht besorgt von oben bis unten über meinen Körper und meine Wangen färben sich aus Scham rot, als ich wieder daran denke, was ich getan habe. «Ich war sch.schwimmen.» stammle ich mit klappernden Zähnen, dann halte ich das Sixpack hoch. «B.. Bier?» Soviel zu dem, was ich mir zusammen gedacht habe. Nur blöderweise scheint mein Versöhnungsplan nicht ganz aufzugehen, da ich nur entgeistert angestarrt werde. »Bier? Komm erst mal rein, du holst dir den Tod da draußen!« Und schon werde ich ins Innere gezerrt. »Na los, zieh dich aus!« Ich kann spüren, wie ich erneut rot werde, wieso muss sich Ians Freundin um mich kümmern? Das ist so erniedrigend. Als ich jedoch nicht gleich auf ihren Befehl reagiere, beginnt sie mir auch noch die Klamotten eigenhändig vom Leib zu reißen. «Hey!» Meine Stimme hört sich ziemlich quietschig an, ungewohnt und sie scheint überhaupt keinen Einfluss auf Anna zu haben, die es jetzt geschafft hat, mir meine Jacke auszuziehen und nun damit beschäftigt ist, mir mein Shirt über meinen Oberkörper zu ziehen. «L..lass d.d.das!» »Bestimmt nicht! Weißt du wie du aussiehst? Wie eine waschechte Wasserleiche!« Mit einem letzten Ruck stehe ich jetzt oben ohne vor ihr, aber dieses unglaublich aufdringliche Wesen vor mir, scheint sich dadurch kein bisschen gestört zu fühlen oder auch nur ein Fünkchen Scham in sich zu entdecken, denn jetzt hat sie es auf meine Hose abgesehen. Ich laufe sofort knallrot an. «I. Ich mach das s.selbst!» Damit wende ich mich abrupt von ihr ab und beginne meine Hose aufzuknöpfen. «M.machs.st du d.das eigen.t.tlich mit jedem?» Durch die verdammte Kälte kann ich immer noch nicht richtig reden und mein Eindruck eines Bekloppten wird mir wohl noch länger anhaften. »Nein, nur mit Ians schwulen Freunden.« Was? Woher weiß sie, dass ich schwul bin? Na ja, okay, von Ian, von wem sonst, aber...? Wo steckt der eigentlich? Mittlerweile stehe ich nur noch in meiner Unterwäsche da. Ich schiele zu Anna und diese scheint mich wiederum auffordernd anzustarren. Sie will doch nicht, dass ich mich GANZ vor ihr ausziehe? Ich blinzle verblüfft, dann werde ich noch ein gutes Stück röter, als ich ohnehin schon bin. «I.ich geh ins B.bad!» Und damit stapfe ich auch schon davon. Was glaubt die eigentlich? Dass ich ihr eine persönliche Stripshow liefere?! Dabei verdränge ich den Gedanken, dass ich genau das getan habe. Das ist einfach zu peinlich. Wie komme ich auch nur immer in solche Situationen? Mal abgesehen davon ist Ians Geschmack ja fast noch schlimmer als meiner! Also wirklich! Mädchen heutzutage! … Ich brauche die Zeit unter der Dusche, um mich zu beruhigen. Dabei kann ich hören, wie Anna mit jemandem spricht. Als ich genauer hinhöre, merke ich, dass sie telefoniert. Seltsam, ich dachte sie würde mit Ian reden, aber genaugenommen, hab ich ihn noch gar nicht gesehen, seit ich wieder zurück bin. Wieso lässt er seine Freundin ganz alleine hier? Das ist irgendwie untypisch für ihn. Andererseits kenne ich ihn ja immer noch nicht richtig, also, was weiß ich schon...? Kapitel 7: Anna --------------- Hallo liebe Leser! Ich wollte mich einmal ganz groß bei euch fürs Favorisieren und vor allem für die vielen lieben Kommentare bedanken!!! Es ist immer schön, zu lesen, was ihr von der Geschichte denkt und ich freue mich über jeden einzelnen Beitrag! Übrigens versuche ich jedes Wochenende ein neues Kapitel hochzuladen, damit ihr nicht zu lange darauf warten müsst. Das wars jetzt aber erst mal von meiner Seite, viel Spaß noch mit dem neuen Kapitel! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Das tat gut! Das heiße Wasser hat meinen Körper wieder aufgewärmt, nur hab ich vergessen mir frische Klamotten mit ins Bad zu nehmen und ich weiß nicht wie ich es anders ausdrücken soll, aber es ist mir unangenehm halbnackt an Anna vorbei in Ians Zimmer zu huschen. Nicht, dass sie was Neues zu Gesicht bekommen würde, aber wer weiß, was sie diesmal mit mir vorhaben könnte? Als ich jedoch genauer hinhöre, merke ich, dass sie immer noch telefoniert. Vielleicht kann ich mich ja bei ihr vorbei schleichen und mich anschließend gleich im Zimmer verbarrikadieren? Mädchen sind mir einfach zu gruslig, abgesehen von diesem ganzen Baby-werfen kann ich nicht sehen, wieso man sich freiwillig mit so etwas abgibt. Okay, das klingt vielleicht ein bisschen hart, sie haben ja auch ihre guten Seiten, irgendwo. Zumindest sehen sie immer hübsch aus und sie duften recht gut, aber sie sind auch so wahnsinnig zickig, zum fürchten, gerade weil sie auf den ersten Blick so harmlos aussehen. Mittlerweile stellt sich mir wieder die Gänsehaut auf. Ich sollte raus gehen und mir was anziehen. Vorher prüfe ich aber noch einmal sorgfältig, ob ja auch das Handtuch um meine Hüfte nicht verrutscht ist und ziehe es noch etwas enger. Dann gehe ich vorsichtig und möglichst lautlos auf die Badezimmertür zu, um sie einen Spalt breit zu öffnen und in den Gang zu schielen. Aber die Luft scheint rein zu sein, Anna quatscht immer noch fröhlich ins Telefon. Also tapse ich vorsichtig nach draußen. Blöderweise muss ich jedoch direkt am Wohnzimmer vorbei, Ians Zimmer muss ja auch das hinterste sein. Als hätte er mir den ganzen Schlamassel eingebracht, schnaube ich noch einmal kurz verärgert auf, husche aber im nächsten Moment in den feindlichen Gang vor. Dabei nähere ich mich mit flinken Schritten der Gefahrenzone. Annas Worte werden lauter, dann lacht sie. »Ja, wirklich süß~. Um ehrlich zu sein bin ich ein bisschen aufgeregt.« Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich stehen geblieben bin und lauschen angefangen habe. Seit wann bin ich so neugierig? Aber vielleicht spricht sie mit Ian und auf diese Weise könnte ich rauskriegen wann er wieder kommt, oder wo er steckt. Zumindest rede ich mir das ein, damit es für mich ein wenig plausibler ist, halbnackt im Gang eines Typen zu stehen, den ich kaum kenne, und dessen Freundin bei einem Telefonat zu belauschen. … Ich bin wirklich verkorkst oder? »Hmmm, ja, vergiss bloß nichts.« … »Natürlich ist das wichtig!« Dann lacht sie wieder. »Ian, also wirklich~.« Ian, dann hatte ich also Recht, sie spricht mit ihm und er ist irgendwas holen gegangen? Inzwischen ist mir wieder ziemlich kalt geworden, dafür spricht nicht nur die Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper zieht, sondern auch das Kitzeln in meiner Nase. Es fällt mir immer schwerer ein Niesen zurückzuhalten. Trotzdem versuche ich es krampfhaft, aber wie das nun mal ist im Leben, spielt der eigene Körper dabei nicht immer mit. Ein beinahe ohrenbetäubend lautes „Hatschi“ ist die Folge. Ich erstarre, das hat sie sicher gehört, das kann man gar nicht überhören, am besten ich verschwinde von hier und zwar schnell. »Ich liebe dich auch, aber ich muss jetzt auflegen, Finn hat fertig geduscht.« Ein Mädchenkichern folgt, aber diesen einen letzten Satz musste ich jetzt doch wirklich nicht hören. „Ich liebe dich.“, das ist ja wirklich zum kotzen, nein, was noch schlimmer ist, war, dass sie „Ich liebe dich AUCH.“ gesagt hat und dann, als würde das nicht schon reichen, hat sie mich wieder ins Visier genommen und wenn ich nicht schleunigst von hier verschwinde... »Finn, da bist du ja!« Dieses Strahlen in ihrem Gesicht ist doch wirklich zum Verzweifeln. »Ist dir nicht kalt? Komm, zieh dich an, ich will mich schon die ganze Zeit über mit dir unterhalten, aber jedes Mal, wenn ich dir begegne, läufst du entweder weg, oder bist am Erfrieren, das ist wirklich schlimm mit dir.« Da hat sie irgendwie Recht. Ich starre etwas verlegen auf meine Zehen und kratze mich am Hinterkopf. «Na ja...» »Schon gut, zieh dich erst mal an, wir reden ja gleich.« Ich nicke nur, dann ziehe ich mich zurück, aber irgendwie bin ich misstrauisch. Über was will sie denn reden? Das Einzige, was sie und ich gemeinsam haben, ist Ian und wenn sie anfängt, mir ihre Kennenlerngeschichte zu erzählen, könnte ich unter Umständen mit den Bierflaschen nach ihr werfen, anstatt Versöhnung mit ihr zu trinken. Nein, das würde ich natürlich nicht tun, ich bin schließlich wieder gekommen, um einen friedlichen, freundlichen Eindruck zu hinterlassen. Hoffentlich muss ich das nicht zu lange tun, um ehrlich zu sein kann ich es kaum erwarten, sie wieder verschwinden zu sehen. Ians Shirt hängt noch schlabbriger an mir herab, als das vorige, aber Anna scheint das nicht aufzufallen, oder aber sie ignoriert es großzügiger Weise. Stattdessen hält sie mir eines der Biere hin, die ich vorhin gekauft habe und lächelt mich dabei an. Ich bemühe mich zurück zu lächeln, als ich es entgegen nehme. Dann stoßen wir an. »Also, wie kommt es, dass du bei Ian gelandet bist?« Ihr neugieriger Blick mustert jede Einzelheit meines Gesichtes und ich kann spüren wie ich bei dieser Frage rot werde. Wenn ich eine Antwort darauf wüsste, die nicht auf Mitleid basiert, würde ich sie ihr sofort nennen, aber ich weiß keine, also zucke ich nur etwas verzagt mit meinen Schultern. «Er hat mich einfach von ner Parkbank aufgegabelt, keine Ahnung wieso.» murmle ich etwas kleinlaut vor mich hin. «Wo steckt er eigentlich gerade?» versuche ich das Thema zu wechseln. Ein tiefes Seufzen seitens Anna lässt mich wieder aufschauen. »Dann hat er dir also rein gar nichts gesagt, das ist mal wieder typisch Ian. Und das Tolle ist, er merkt nicht mal, dass er andere Leute mit seiner Einstellung total überfordert.« Sie atmet tief durch, um ihrem Ärger Luft zu machen. »Ich hab ihn übrigens Sushi holen geschickt, aber wenn der wieder da ist, kann er was erleben!« Dann schnaubt sie beleidigt und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. All das beobachte ich völlig verdattert, dann muss ich kichern. Was ist nur los mit diesem Mädchen? Regt sie sich wirklich gerade für mich auf? Ich kann spüren, wie sie mich fragend ansieht, aber ich schüttle nur den Kopf. «Du bist lustig.» bringe ich nur heraus und dann grinse ich sie wohl zum ersten Mal an. Schon seltsam, aber irgendwie kann ich die Abneigung ihr gegenüber nicht aufrecht erhalten, dazu ist sie zu, na ja, nett. Ians Geschmack ist wohl doch nicht so schlimm, wie ich anfangs dachte. Dann werde ich jedoch wieder ernst und mustere Anna, die gerade einen Schluck Bier nimmt. «Bedeutet das, du weißt, wieso er mich bei sich wohnen lässt?» Ich hätte nicht gedacht, dass meine Frage eine derartig große Auswirkung auf Anna hätte, trotzdem hat sie den Schluck Bier wie Sprühregen über den ganzen Tisch verteilt und versucht jetzt erst einmal wieder nach Luft zu schnappen und die kleinen Hustenanfälle zu unterdrücken, die sie immer wieder ergreifen. «Ähm..» mache ich nur. Dann stehe ich aber auf, um die Sauerei wieder wegzumachen, deren Auslöser schließlich ich gewesen bin. Allerdings kann ich es dabei nicht lassen immer wieder zu Anna zu schielen, die, wie ich meine, schwer damit beschäftigt ist, sich eine Antwort zu überlegen. «Und?» dränge ich und ein Seufzen antwortet mir. »Ich kanns mir denken, wieso er dich mitgenommen hat, ja. Aber was genau in seinem Kopf vorgegangen ist, weiß nur er.« «Hmm...» Ich setze mich wieder neben sie, nippe an meiner Flasche und überlege kurz. «Ja, und? Was denkst du dir?» bohre ich weiter nach. Ich habe nicht vor diese Gelegenheit auszulassen, endlich den Grund zu erfahren, weshalb Ian mich – ausgerechnet mich! – zu sich mitgenommen hat. Anna scheint sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, nicht wie vorhin. Stattdessen streicht sie mit ihrem Zeigefinger an der kühlen Glaswand der Flasche entlang, wohl auf der Suche nach den richtigen Worten. »Weißt du, ich glaube, du erinnerst ihn an jemanden.« «An wen?» Meine Frage kam schnell. Selbst wenn sie es mir gleich erzählen hätte wollen, hätte sie wohl keine Gelegenheit dazu gehabt. Meine Neugier kam ihr einfach zuvor. Daher ernte ich ein nachsichtiges Lächeln, eines von der Sorte, das sonst immer kleine Kinder von ihren Müttern bekommen, wenn sie ihnen die hundertste Frage stellen, oder einen Blumenstrauß aus den Tulpen in Nachbars Garten für sie gemacht haben. »An seinen besten Freund von vor ein paar Jahren.« Ich runzle die Stirn, das Ganze kommt mir doch sehr seltsam vor. Wie lange kennt sie ihn denn schon? «Das heißt... sie sind nicht mehr befreundet? Was ist passiert?» »Na ja, sie hatten einen ziemlich heftigen Streit. Dann haben sie nicht mehr miteinander gesprochen und seit Daniel dann auch noch umgezogen ist...« wieder seufzt sie, wohl aber aus Erfahrung, sie scheint auch da bereits mit Ian zusammen gewesen zu sein, oder ihn zumindest gekannt zu haben. Irgendwie nagt das an mir, die Tatsache, dass sie sich wirklich so nahe stehen. «Woher kennst du Ian?» frage ich also vorsichtig und ernte promt ein Grinsen. »Unsere Eltern sind miteinander befreundet. Ich bin quasi mit ihm aufgewachsen.« Ich nicke. Das beutet also, ich hatte Recht, die beiden kennen sich wirklich schon ewig. Versonnen nehme ich noch einen Schluck Bier. «Ian ist schon ziemlich lange weg, oder? Ist er extra nach Japan geflogen, um Sushi zu holen?» Dabei muss Anna kichern und ich sehe sie wieder an. »Nein, das nicht gerade. Er war nur leider am völlig falschen Stadtende, als ich ihn angerufen habe. Der Japaner war doch ein gutes Stück von ihm entfernt.« Ich schaue Anna verwirrt an. «Wieso das denn? War er wieder laufen?» »Laufen? Na ja, ich weiß nicht ob er dabei gelaufen ist, aber ursprünglich hat er dich gesucht.« Ich werde wieder rot. Was hat sie da gesagt? Ian hat mich gesucht? «A.aber warum?» »Weil du ziemlich lange weg warst und er sich Sorgen gemacht hat, hat er versucht dich anzurufen, aber da ist nur so eine seltsame Störmeldung gekommen, von wegen deine Nummer existiert nicht, oder so.« Ich werde noch ein gutes Stück röter und komm mir gerade ziemlich dämlich vor und zwar noch dämlicher als vor ein paar Stunden. Wieso bin ich nur ins Wasser gesprungen? Kein Wunder, dass Ian mich nicht erreichen konnte. »Na ja, auf jeden Fall ist er dann gleich raus und wollte dich suchen. Eigentlich wollte ich ja auch mitkommen, aber er hat gemeint, es wäre besser, wenn ich hier bleibe und warte, damit ich ihn anrufen kann, wenn du wieder auftauchst. Und wie es scheint hatte er Recht damit.« Ja, damit hatte er wohl wirklich Recht. Ich kann immer noch nicht richtig fassen, dass er sich meinetwegen so viel antut, aber ich freue mich auch darüber. Das bedeutet dann also, dass ich ihm nicht egal bin, obwohl, wenn es stimmt, was Anna gesagt hat und er mich nur wegen diesem Daniel bei sich aufgenommen hat, dann bin ich mir nicht sicher, ob es ihm wirklich um mich geht. «Wieso haben sie sich damals eigentlich gestritten?» für mich klingt es doch ein bisschen absurd, dass sich zwei beste Freude auf diese Weise auseinander leben können und den Kontakt dabei völlig abbrechen. Immerhin scheint Ian ihn ja doch zu vermissen, sonst würde er sich nicht mit mir abgeben. »Hmm... ja, das... ich weiß nicht mehr so genau, da solltest du Ian wohl am besten selber fragen.« Das war gelogen, sie weiß genau um was es ging, der Ton mit dem sie mir antwortete, macht auch klar, dass sie es nicht für nötig hält, zu verstecken, dass sie lügt. Aber vermutlich sollte ich wirklich besser mit Ian darüber reden, auch wenn er mir bis jetzt nicht gerade viel erklärt hat. Zugegeben habe ich allerdings genauso wenig versucht ihm die Antworten aus der Nase zu ziehen. «Ist wirklich Zeit, dass wir uns mal miteinander unterhalten.» murmle ich vor mich hin. »Meine Meinung!« Damit ließen wir das Thema Ian fallen und Anna begann mir über sich selbst zu erzählen, so erfuhr ich zum Beispiel, dass sie früher von ihren Eltern gezwungen wurde Ballettstunden zu nehmen, weil sie zu wenig mädchenhafte Hobbys hatte. Das ging so lange gut, bis sie eine Regenbogennatter gefunden und zum Ballett mitgenommen hat, um sie auch den anderen Mädchen zu zeigen. Eine wirklich witzige Anekdote, die eine unvergessliche Nussknacker Aufführung beinhaltet. Nach diesem Abend muss ich meine Einstellung Anna gegenüber wohl von Grund auf ändern. Ich hab sie irgendwie richtig gern, wäre sie nur nicht Ians Freundin. Aber wahrscheinlich ist es besser für mich, wenn ich ihn mir ganz schnell aus dem Kopf schlage. Da ist ohnehin nichts zu machen, er ist hetero und vergeben. Kaum fange ich wieder damit an, Gedanken an ihn zu verschwenden, hören wir wie sich die Haustüre öffnet. Er ist zurück. Na ja, er hat sich ja auch schön Zeit gelassen, muss ich sagen. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf Anna. Diese ist jedoch bereits aufgesprungen und kurz davor Ian zu umarmen. Zumindest hoffe ich, dass es bei einer Umarmung bleibt, Liebesgeturtel kann ich gar nicht ab. Okay, ein Küsschen, noch eins. Ian kann sich ja auch kaum wehren, bei diesem Überfall, wobei er auch gar nicht so aussieht, als würde er das wollen. Wie frustrierend. Ich trinke den Rest meines Bieres auf ex aus und stelle meine Flasche wohl etwas brutaler als geplant wieder an ihren angestammten Platz zurück. Beweis dafür ist der laute Knall, der durch die Wucht meiner Bewegung entstand und das erschrockene Zucken der beiden. Ich kann spüren, wie ich bei diesem Anblick schadenfroh grinse. «Sorry, war keine Absicht.» Das klang nicht gerade überzeugend, aber so etwas zu sehen tut weh und das will ich mir wirklich nicht antun, nicht nach Nick und nicht nachdem meine Hoffnungen bei Ian gerade erst zerschmettert wurden. «Ich geh schlafen.» murre ich dann noch und bin Sekunden später auch schon wieder in Ians Zimmer verschwunden. Dabei atme ich tief durch und fasse den heutigen Tag geistig zusammen: Erster Eindruck scheiße und der letzte sogar noch schlimmer. Ich hab wirklich ein Talent dafür Leute zu vergraulen! Kapitel 8: Gründe und Wahrheiten -------------------------------- Soviel also dazu. Finn ist beleidigt und Anna macht sich Vorwürfe, allerdings auch nur so lang, bis sie dann auf den Gedanken kommt, dass ich schuld an der ganzen Misere haben könnte. »Du hast ihn verscheucht, stimmts? Grade eben sind wir noch prima miteinander ausgekommen. Oder mag er vielleicht kein Sushi?« Jetzt beginnt sie schon wieder zu grübeln und neue Gründe zu suchen. Ein wirklich süßer Charakterzug von ihr, vermutlich hab ich sie auch genau deswegen so gern. Aber mein Lächeln hält nicht lange an, denn es ist Zeit endlich mal Tacheles mit ihr zu reden. Also tippe ich ihr an die Stirn, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen und mustere sie ernst. «Ich hoffe du weißt, dass im Grunde wirklich nur du dran schuld bist.» »Wieso ich denn?!« «Hast du das nicht bemerkt? Es war dein Geturtel. Finn hat erst eine Trennung hinter sich, kein Wunder, dass er dabei so empfindlich reagiert.» Ich schnappe mir ein Maki-Röllchen und stopfe es mir in den Mund. »Ach komm schon, klar ist das schwer für ihn, aber ich glaube, er ist wegen was ganz anderem sauer.« Bei diesen Worten grinst sie eigentümlich, ehe sie sich selbst am Sushi vergreift. Somit kehrt Stille ein, weil wir beide zu sehr mit Kauen beschäftigt sind. Ich schlucke schwer und spüle den Rest mit einem Schluck Bier runter. «Und wegen was ist er dann sauer? Kannst du mir das sagen?» »Ach komm, das sieht doch wohl ein Blinder.« «Was denn?» Dieser spitzbübische Gesichtsausdruck ist wieder mal typisch für Anna. »Hast du nicht bemerkt, wie feindselig er mich immer anstarrt, wenn du dabei bist?« «Na ja, du wirst ihm schon was getan haben. Aber ich weiß, dass du es nicht böse meinst, du warst immer schon so, hast kleine Kinder gequält-» »Hey! Das stimmt doch gar nicht!« Ich schaffe es kaum ein Lachen zu unterdrücken. Annas Blick ist jedoch dermaßen furchteinflößend, dass sich mein Verstand noch rechtzeitig einschaltet und mein Lebenserhaltungstrieb meinen Humor in Ketten legt, um ihn zu meinem Leichtsinn zu sperren. »Er steht auf dich.« sagt sie mit einem immer noch beleidigten Unterton in der Stimme. Ich starre sie verblüfft an, damit hatte ich nicht gerechnet. Dann schüttle ich lächelnd den Kopf. «Nein, das tut er nicht.» »Natürlich tut er das! Merkst du nicht, wie eifersüchtig er ist? Seine Blicke sagen eindeutig „Das ist mein Ian, Finger weg!“. Ein Wunder, dass er mich noch nicht angeknurrt hat, er erinnert mich ja schon ein bisschen an einen streunenden Hund.« Dann seufzt sie tief und trinkt das Bier aus. »Ich bin sicher, er hat Hunger, willst du ihm nicht was bringen?« Anna scheint immer noch beleidigt zu sein, aber sie hat eingelenkt, schlussendlich ist sie eben doch zu sanftmütig und versucht einem Streit aus dem Weg zu gehen, auch wenn die Frage einen bissigen Unterton hatte. «Bist du etwa eifersüchtig?» Ich kann es einfach nicht lassen, es macht zu viel Spaß, sie aufzuziehen. »Ich?! … Na ja... ein bisschen vielleicht.« gibt sie zu. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als erstaunt zu blinzeln. »Ich meine, jetzt hast du Finn ganz für dich. Dabei wollte ich ihn noch ein bisschen auf-« «Ja ja, schon gut. Hätte ich mir ja denken können.» gebe ich brummig von mir. Sie grinst mich breit an. Also wieder ganz die alte, stelle ich beruhigt fest. »Na ich geh dann mal, bevor er mir an die Gurgel springt. Tu bloß nichts, was ich nicht auch tun würde.« «Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mich an den Rest heranwagen würde.» »Sei kein Weichei Ian, hab ich dir denn gar nichts beigebracht?« «Nichts Brauchbares zumindest.» Wir grinsen uns an. Dann verabschieden wir uns und meine Aufgabe liegt wieder darin, mich auf meinem äußerst verstimmten neuen Mitbewohner zuzubewegen. Hoffentlich hat sich seine Laune etwas gebessert. Mit einem Teller Sushi und ner neuen Flasche, mache ich mich also todesmutig auf den Weg zu meinem eigenen Zimmer. Als ich es betrete, liegt Finn zusammengerollt in meinem Bett und hat irgendwas in der Hand, das er sich ziemlich genau ansieht. Damit scheint er so sehr abgelenkt zu sein, dass er mich gar nicht bemerkt hat. Ich unterdrücke ein Seufzen und komme näher. Dann stelle ich den Teller und die Flasche am Nachtkästchen ab und sehe genauer hin, ehe ich knallrot werde. »Gib das sofort wieder her!« Im Bruchteil einer Sekunde bin ich über ihm und reiße ihm mein Tagebuch aus der Hand. Dabei ignoriere ich das überraschte Aufkeuchen Finns oder seine halbherzigen Versuche, das Tagebuch mit seinem Körper abzuschirmen und damit zu verstecken. Es nützt aber alles nichts, wir liefern uns nur einen kurzen Kampf, dann gehört es wieder mir. Trotzdem bin ich ziemlich außer Puste, als ich mir die Seite ansehen kann, die er gerade gelesen hat. … Peinlich, ohne Frage, sehr peinlich sogar. Ich hatte vor ein paar Tagen einen Traum, einen aufregenden, erregenden, meinen Körper in Beschlag nehmenden Traum, der mir immer noch deutlich im Gedächtnis eingebrannt ist, aufgeschrieben. Mit hochrotem Kopf klappe ich das Büchlein wieder zu. Ich schäme mich und ich bin wütend und ich will ihn anschreien, keine Frage, aber die Gedanken in meinem Kopf kreisen. Ich weiß nicht, welchem ich den Vorrang geben soll, also schweige ich noch und versuche sie auszusortieren. »Weiß Anna, dass du auf Kerle stehst?« Das Pochen in meinen Ohren nimmt zu, meine Hände verkrampfen sich zu Fäusten. «Du... » Ein einziges wütendes Wort. Ich kann es immer noch nicht richtig ausformulieren, aber meine Tonlage entspricht schon ziemlich dem, was ich ihm an den Kopf werfen will. »Also eher nicht.« Finns Stimme klingt gelassen. «Das war nur ein Traum.» stelle ich klar und zwinge mich tief durchzuatmen. Meine Wut bringt momentan nichts, er ist viel zu ruhig und ich kann im Augenblick nur verlieren. Obwohl ich schon Lust hätte, ihn anzubrüllen. Ich sehe ihn fest an. «Ist das ein Hobby von dir? Die Tagebücher anderer Leute zu lesen?» »Nur die schlecht versteckten.« Was soll diese freche Antwort? Was habe ich ihm eigentlich getan, dass er mich jetzt so anzickt? »Dieser Typ, Daniel, wie lange bist du schon in ihn verknallt? Oder sollte ich dich fragen, wie lange du schon weißt, dass ich sein Halbbruder bin, oder ob das der Grund war, weshalb du mich bei dir einquartiert hast?« Mir ist der Mund aufgeklappt. «Woher weißt du das alles?» frage ich tonlos. »Ich hab doch schon gesagt, dass du schlecht im Verstecken bist. Sein Foto lag unter deinem Bett und meine Matratze genau daneben. Was glaubst du also sehe ich als allererstes, wenn ich mich hinlege und den Kopf nach links drehe?« «Finn...» »Anna ist ein nettes Mädchen, sie hat es nicht verdient, dass du nur mit ihr spielst.« «Finn...» »Ich sollte wohl wieder gehen, mich bei meinen Eltern entschuldigen und so.« Mit diesen Worten stand er auf und begann seine Sachen zusammen zu suchen. «Das kann doch alles nicht wahr sein!» Ich stöhne genervt. Dann packe ich Finn am Unterarm und zerre ihn aufs Bett zurück. «Du bist so stur und ständig ziehst du deine eigenen Schlüsse, ohne dir meine Version der Dinge anzuhören! Du willst doch die Wahrheit hören, oder? Ich wette du hast es nicht geschafft, dir das ganze Tagebuch durchzulesen.» Ich setzte mich stur aufs Bett, lehne mich zurück und blättere die erste Seite auf. Dann räuspere ich mich. „Mein erster Tag in der neuen Schule war nicht lang, so wie immer und Anna ist auch in meiner Klasse. Wie üblich gibt es Gerüchte über uns. Anna sagt, dass es ihr nichts ausmacht, aber ich weiß, dass es nicht so ist. Später hat sie mir anvertraut, dass sie bereits ein Auge auf einen Typen namens Daniel geworfen hat, der anscheinend mit uns in die gleiche Klasse geht. Sie sagt, sie will sich offiziell jemand angeln, damit sie mal von mir loskommt. Typisch... „ »Warte. Anna war in Daniel verknallt?« Ich schaue auf und mustere Finn ungnädig. «Ja, sie ist eben auch nur ein Mädchen. » »Dann hast du ihn ihr ausgespannt?« «Nicht direkt.» Finn sitzt mittlerweile etwas entspannter am anderen Bettende und scheint wirklich daran interessiert zu sein, was damals geschehen ist. Erleichtert beobachte ich, wie er mich zunehmend auffordernd ansieht. »Ja und weiter?« «Na ja. Ich war wohl immer schon ein Mädchenschwarm.» »Und ganz schön eingebildet.« Ich grinse. «Nein, das ist die Realität. Ich kann selbst nichts dafür und mir wäre es eigentlich lieber, wenn sie mich alle einfach nur in Ruhe lassen würden.» Stelle ich klar, ehe ich mit den Schultern zucke. «Anna musste die Eifersucht der anderen meistens ausbaden. Sie hatte kaum Freundinnen, deshalb haben wir noch mehr Zeit miteinander verbracht, was das Ganze auch nicht gerade besser gemacht hat. Natürlich wollte ich ihr helfen, wo auch immer ich konnte und deshalb hab ich dann auch irgendwann ein Treffen mit ihr und Daniel arrangiert. … Die ganze Sache ging ziemlich in die Hose. Daniel hat ihr nämlich anvertraut, dass er eigentlich was von mir wollte und kein bisschen an ihr interessiert war.» Ich mache eine Pause, um zu seufzen. «Sie hat wochenlang kein Wort mehr mit mir gewechselt und ich wusste nicht mal warum. Bis sie irgendwann auf mich zugekommen ist und verkündet hat, dass sie über ihn hinweg ist und ich nun an der Reihe wäre. Kurzum, sie hat uns verkuppelt.» Finn ist der Mund aufgeklappt, ein Anblick für Götter, dieser ungläubige und völlig verdatterte Gesichtsausdruck. »S.sie hat was?« «Ja, schwer zu glauben, oder? Aber so ist sie nun mal.» »Und jetzt bist du mit ihr zusammen?« Finns Stimme war ein Flüstern, ein Zeichen davon, wie gebannt er mir gelauscht hat. Ich lächle und schüttle den Kopf. «Sie sagte, wenn es schon alle glauben, könnten wir es auch offiziell machen. Sie meint, dass sie damit keine Ausflüchte mehr braucht, wenn sie mich sehen will und ich meine Neigungen leichter verstecken kann.» Ein bisschen schäme ich mich, als ich Finn davon erzähle, nicht mal ihm habe ich es gesagt. Genaugenommen, habe ich ihm fast gar nichts erzählt. «Ich hatte nicht vor, dir etwas vorzuspielen, das war Annas Idee.» beteure ich ihm. Annas Worte klingen mir immer noch in den Ohren und ich kann spüren, wie ich dabei rot werde. »Was ist mit Daniel? Was ist passiert? Und woher wusstest du, dass ich sein Halbbruder bin?« So viele Fragen auf einmal, aber ich schätze er hat auch darauf eine Antwort verdient. Ich überlege einen Moment, ehe ich antworte. «Daniel war mein erster Freund, meine erste Liebe.» Es fällt mir schwer, das zu formulieren und dabei sachlich zu bleiben, daher starre ich verlegen aufs Laken. Wieder atme ich langsam durch, dann sehe ich wieder auf. «Knapp zwei Jahre lang hat es gehalten, dann begannen seine familiären Probleme. … Angeblich hatte er seinen leiblichen Vater gefunden und ihn heimlich aufgesucht.» »An den Tag kann ich mich auch erinnern.« erklärt Finn bitter. Ich kann nur ansatzweise erahnen, was sich damals bei ihnen abgespielt haben muss. Daniel ist schließlich gleich alt wie Finn, die ganze Familie stand wohl unter Schock und gleichzeitig wurden Daniels Hoffnungen zerschmettert, ein normales Verhältnis zu seinem Vater aufbauen zu können. «Von dem Tag an war er völlig anders, demotiviert und mit seinen Gedanken weit weg. Bis er mir irgendwann einfach gesagt hat, dass er zu einer Tante ziehen wird, weil er es hier nicht mehr aushält. Am gleichen Tag hat er mit mir Schluss gemacht und die Koffer gepackt. Am Tag darauf war er verschwunden.» Ich fühle mich etwas unwohl bei den nächsten Worten, deshalb zögere ich, sie auszusprechen. «Ich.. hab deiner Familie die Schuld dafür gegeben und... euch auch aufgesucht. Allerdings hab ich euch nur... beobachtet. Ich war zu feige hinzugehen und was zu sagen.» »Oh mein Gott, du bist der Stalker, von dem damals die Rede war.« Vermutlich bin ich das sogar. Finn hält sich eine Hand vors Gesicht und ich schäme mich. Wenn ich nur wüsste, was in diesem Moment in ihm vorgeht, ob er mich verachtet, oder Daniel? Ob er uns die Schuld für seine Probleme gibt? Wäre Daniel damals nicht bei ihm aufgetaucht, wäre sein Leben wohl immer noch unbeschwert, vielleicht hätte er sich auch nie zu seinem Lehrer geflüchtet, um Anerkennung und Zuneigung zu erhalten. Kapitel 9: Die Motive eines Stalkers ------------------------------------ Ich fühle mich schuldig, obwohl es Daniel war, der den Stein damals ins Rollen gebracht hat und zu allem Überfluss bewegt sich Finn immer noch nicht. Mein Instinkt rät mir, ruhig zu bleiben und abzuwarten, aber nicht ohne mein Gegenüber dabei genau zu mustern. Finns ansonsten haselnussbraunen Haare sind etwas feucht an den Spitzen und ringeln sich dunkel. Sie sind etwas länger, als Daniels damals, das merke ich an einer besonders eigenwilligen Strähne, die sich ihren Weg über Finns Ohrläppchen bahnt und ihn vermutlich mit der Spitze am Kinn kitzeln könnte, wenn sie trocken und gekämmt wäre. Dadurch, dass er sein Gesicht verdeckt, fällt es mir immer leichter, das von Daniel an dessen Stelle zu sehen. Schrecklich, nicht wahr? Ich sollte nicht an ihn denken, trotzdem kann ich nichts dagegen tun, dieser Vorgang ist bereits zu vertraut, diese Suche nach Ähnlichkeiten. »Also war es wirklich seinetwegen?« Finns niedergeschlagene Stimme klingt matt zwischen seinen Fingern hindurch. Er sieht mich nicht an und er will nicht, dass ich ihn sehe, das signalisiert er mir damit. Es ist meine eigene Schuld, ich hätte es ihm vorsichtiger beibringen müssen, das alles muss doch ziemlich überwältigend gewesen sein. «Es.. war seinetwegen, ja.» Die Hand weicht. Finn sieht mich an, nein, er starrt, durchbohrt mich beinahe mit seinem Blick, der mit so viel Wut und Verachtung geladen ist, dass es mir schwer fällt, ihm stand zu halten. Ich schlucke nervös, weil ich spüren kann, wie meine Kehle trocken wird. Es nützt nichts. Mir fällt nichts ein, das ich hätte sagen können, um die Situation zu beschwichtigen. Meine Worte waren verletzend, das weiß ich, aber weil sie die Wahrheit waren, kann ich sie nicht entkräften. »Du..« Das selbe zornige Du, das ich vorhin verwendet habe, aber dabei bleibt es nicht, denn Finn ist nicht auf den Mund gefallen. »Du krankes, perverses Arschloch! Was hast du dir davon erhofft?! Hä? Na sag schon, was denn?!? Wolltest du ihn durch mich ersetzen?! Oder soll das der Beginn einer abartigen Art der Rache gewesen sein?!?« Dann lehnt er sich zurück und lacht. Abrupt und laut, sehr laut sogar, markerschütternd und beinahe schrill hört es sich an. Es ist schon fast komisch, ihn dabei zu beobachten, wenn da nicht dieser bittere Nebengeschmack wäre. «Finn... so war das nicht. Ich wollte dich kennenlernen.» versuche ich zu erklären. »Kennenlernen? Kennenlernen!?!« Er schnaubt und seinen Mundwinkel verziehen sich zu einer grausamen Grimasse. Noch mehr Ähnlichkeiten mit Daniel muss ich feststellen. Diesen bedrohlichen Gesichtsausdruck konnte er mindestens ebenso gut einsetzen wie Finn. »Dass ich nicht lache! Ich wusste doch, dass mit dir was nicht stimmt!« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Als wüsste ich das nicht selbst. Wer spioniert schon der Familie seines Ex hinterher? Ich hab das ja auch nicht gerade zum Vergnügen gemacht, ich wollte doch nur wissen, was... Meine Gedanken werden unterbrochen, als Finn von der Bettkante aufspringt. »Mir reichts jetzt!« «Warte!» Etwas langsamer und auch ziemlich unbeholfen stolpere ich auf ihn zu, schaffe es jedoch Finns Oberarm zu umklammern. Ich weiß selbst nicht, wie ich so schnell dazu kam, aber ich kann ihn nicht gehen lassen, nicht auf diese Weise und vor allem nicht, wenn er mich derart missversteht. Finns wütender Blick liegt wieder auf mir und seine Lippen öffnen sich, zweifellos um mir erneut Beschimpfungen an den Kopf zu werfen, aber so weit lasse ich es nicht kommen. Ich ziehe ihn ruckartig an mich, um ihm die Luft zu nehmen. Dabei schlinge ich die Arme fest um dessen Oberkörper, lasse ihm kaum Platz sich zu rühren, geschweige denn zu atmen und schließe schließlich die Augen. «Es war unfair, was dein Vater getan hat.» Ich flüstere, traue meiner eigenen Stimme nicht, der Kloß in meinem Hals ist groß genug, dass ich mir sicher bin, nicht mehr als ein Krächzen hervorzubringen, sollte ich sie erheben. Finns anfängliche Gegenwehr erschlafft, stattdessen glaube ich, ihn sich an mich lehnen zu spüren. »Was weißt du schon?« Er flüstert ebenfalls und ich kann die Erleichterung spüren, die mich mit diesen Worten überkommt. Kein Zorn mehr, dafür ist die Resignation geblieben. Resignation darüber, dass seine Familie zerstört wurde, dass er sich nicht gegen mich wehren kann, dass Nick ihn nicht mehr braucht. Ich schmiege mich vorsichtig an ihn und streiche tröstend über seinen Rücken. «Nichts. Aber ich weiß dafür wie es ist, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Daniel hat seine Entscheidungen ohne mich getroffen und ohne mich entschieden, dass er nicht mehr zu mir passt, dass ich ihn an Dinge erinnere, an die er nicht mehr denken will.» »Das ist nicht das Selbe.« «Nein, ist es nicht.» … »Es tut mir leid, wegen ihm.« murmelt er zögerlich. «Hmm... schon gut, ihn hats schlimmer getroffen als mich.» »Das tut mir auch leid.« Ich grinse. «Auch wenn dir lieber gewesen wäre, er wäre niemals aufgetaucht?» Jetzt schweigt er. Offenbar muss er erst über die Frage nachdenken. Dann seufzt er schwer und löst sich aus der Umarmung, als ich wieder bereit bin loszulassen. »Er hätte nicht kommen sollen, er hat alles kaputt gemacht damit, aber es war nicht nur... seine Schuld und wenn ich ihn sowieso nie wieder sehen muss, kann es mir auch leid tun.« Finn versucht gerecht damit umzugehen, mit ihm und seinem Halbbruder, auch wenn er jetzt allen Grund hätte, selbstsüchtig zu handeln und wütend zu sein. Ich mag das an ihm, wie ernst er sich einer Sache, einem Problem nähert. Manchmal ist er ein bisschen tollpatschig dabei, aber man sieht es in seinem Blick, wie sehr er sich bemüht. Wieder beruhigt lasse ich mich zurück aufs Bett sinken und lächle versöhnlich. «Jetzt, da das alles geklärt ist, hast du vielleicht Hunger?» Ich nicke auf den Sushiteller, der immer noch in Begleitung der Bierflasche meinen Nachttisch ziert. »Ian.« Finn zögert, die Worte, die ihm auf der Zunge liegen, scheinen keine leichten zu sein, also lächle ich ihn aufmunternd an. «Ja? Verträgst du keinen Fisch?» versuche ich zu scherzen, aber Finns Mundwinkel zucken nur beiläufig über diese Bemerkung. »Wieso gibst du dich mit mir ab? Man könnte meinen, du würdest mir eigentlich aus dem Weg gehen wollen. Ich würde das machen an deiner Stelle.« Er sieht mich bei diesen Worten nicht direkt an, vielleicht schämt er sich dafür, vielleicht hat er auch Angst vor der Antwort. Es ist schwer zu deuten und noch schwerer ist es für mich, die richtigen Worte zu finden. «Weißt du... » beginne ich zögerlich. «... ich hatte das ja auch alles gar nicht vor, mit dir zu reden, geschweige denn, dich bei mir unterzubringen.» Ich seufze schwer. Wie kann ich es ihm nur am besten begreiflich machen? «Das mit Daniel ist schon gut vier Jahre her und fast so lange liegt auch das ganze mit dem Nachspionieren von dir und deiner Familie zurück.» Das Pochen in meinen Ohren nimmt wieder zu und ich kann spüren, wie mir eine vertraute, verräterische Wärme in die Wangen schießt. «Ich hab versucht, dir aus dem Weg zu gehen, so zu tun, als würde ich dich nicht kennen, aber... na ja... manchmal...» Das Pochen wird lauter. Mein Blick wandert zu meinen Fingern, die nervös am Saum meines Shirts zupfen. «... manchmal habe ich dich eben doch angesehen. A.am Anfang hab ich nach Ähnlichkeiten gesucht.. z.zu ihm.» Ich habe keine Ahnung, welches Gesicht Finn gerade macht, ich will es ja wirklich wissen, aber zum Aufschauen bin ich zu feige und zu nervös. Eines weiß ich jedoch genau, wenn ich jetzt den Kopf hebe und mich von ihm ablenken lasse, habe ich nicht mehr den Mut die folgenden Worte zu sagen, was mir ja auch jetzt bereits enorm schwer fällt, ich beginne ja sogar zu stottern. Aber irgendwie muss ich ihm die Wahrheit beibringen. «Irgendwann... kannte ich dein Gesicht besser, als seines und musste nicht mehr vergleichen. Aber.. ich hab dich trotzdem.. beobachtet.» »Wusstest du auch von Nick?« Ich zucke etwas zusammen, bei der plötzlichen Frage, seufze dann jedoch nur. «Nicht gleich. Ich hab gemerkt, dass sich deine Gewohnheiten verändert haben, das hat mich neugierig gemacht.» »Du hättest uns verpetzen können. Wieso hast dus nicht getan?« Ein Lächeln huscht mir über die Lippen, bitter und kalt. «Ich wollte nicht, dass du weißt, dass es mich gibt. Außerdem wusste ich, dass du auch ohne mein Eingreifen leiden hättest müssen. Immerhin ist er ein verheirateter Lehrer.» Mein Blick senkt sich wieder zu meinen Knien. Hinterher schäme ich mich dafür. «Ich war nicht gut auf dich zu sprechen, du hast mich an Daniel erinnert, wann immer ich dich gesehen habe. Du hast mir einen Daniel gezeigt, der sich einem Lehrer hingibt und ausliefert. Ich habe es gehasst, dich und ihn und ich habe den Tag herbeigesehnt, an dem er dich fallen lässt, wie eine heiße Kartoffel.» Die Worte kamen mir wütend über die Lippen, beinahe als hätte ich sie ausgespuckt, giftig und unheilbringend. Dann schüttle ich den Kopf. «Aber als es so weit war, hast du mich überrascht.» Ich kann nicht anders, als bei der Erinnerung an den Tumult zu lächeln und dann zu grinsen. «Ich meine, du hast ihm ein blaues Auge verpasst! Du hast dich endlich gegen ihn gewehrt und das getan, wovor ich mich die ganze Zeit über gedrückt habe. Ich wollte ihm zwar keine verpassen, aber Daniel, oder ich wollte, dass Daniel mir eine verpasst, dafür, dass ich ihn einfach gehen hab lassen, aber das ist nie passiert, ich konnte es nicht und er genauso wenig. Nur du hast das geschafft und darum beneide ich dich. Du bist so ernst und leidenschaftlich in allem was du tust. Und ich Trottel war davon so beeindruckt, dass ich dich gleich wieder sehen wollte, nachdem ich davon gehört habe. Aber diesmal hast du es mir schwer gemacht, du warst nicht zuhause und auch sonst nirgendwo, wo du dich manchmal herumtreibst. Ich war so erleichtert, als ich dich endlich im Park gefunden habe, dass ich dich schon angesprochen hatte, ehe mir einfiel, dass ich das gar nicht tun wollte.» »Du hast mich gesucht? Nein warte, du hast mich gehasst, dann bewundert und dann gesucht? Wolltest du...?« Finn legt den Kopf stirnrunzelnd schief. Er scheint von meiner Geschichte doch ziemlich verwirrt zu sein und er mustert mich auch skeptisch, schätzt vermutlich ein, wie vieles von dem, was ich gesagt habe, wohl der Wahrheit entspricht. »Und dann.. hast du mich bemitleidet?« Ich schüttle lächelnd den Kopf. «Und dann habe ich beschlossen, dich endlich mal persönlich kennen zu lernen, wo ich mich ohnehin schon verraten hatte.» »War keine angenehme Erfahrung, oder?« Die Frage erscheint anfangs scherzhaft, aber um wirklich ein Scherz zu sein, fehlte ihr die nötige Leichtigkeit, außerdem ruhen Finns Augen immer noch ernst auf mir. Das macht es nicht gerade leichter, er prüft mich und erwartet bereits eine negative Antwort, alles Positive wird er als Lüge abtun, weil er selbst nicht daran glaubt. «Ich hab sie nicht bereut.» antworte ich also nur. »Wieso nicht?« Er ist also immer noch nicht damit fertig, mich zu testen. «Hmm... mal sehen...» Ich schließe die Augen und lasse meinen Oberkörper langsam aufs Bett zurück sinken, ehe ich die Lider wieder öffne und an die Decke starre. «Ich denke, es liegt daran, dass du dabei immer du selbst warst. Du hast mir viel von dir gezeigt, dich mir anvertraut. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll, aber.. das... schmeichelt mir.» Ich grinse verlegen die Decke an. In den letzten Tagen bin ich wirklich wichtig für ihn geworden und das nicht nur, weil er bei mir wohnt. So nahe wie jetzt war ich ihm noch nie. »Du bist ein richtiger Arsch.« sagt er zerknirscht. «Ja, ich weiß.» Nicht alles, was ich ihm erzählt habe, spricht für mich, eher im Gegenteil sogar. Trotzdem liege ich jetzt zufrieden in meinem Bett mit Finn am anderen Ende und weiß genau, dass er nicht weglaufen wird, nicht diesmal. »Du hättest früher mit mir reden sollen.« «Das konnte ich nicht.» »Wenn du gewollt hättest schon.« «Ich bin nicht wie du, ich bin ein Feigling.» Daraufhin schweigt er. Kapitel 10: Angriff! -------------------- Was erzählt er da? Meint er das wirklich alles so? Er hasst mich? Ist das jetzt vorbei? Wollte er wirklich Rache und was bezweckt er jetzt damit, mir das alles zu erzählen? Moment, ist das jetzt die Wahrheit? Ich muss mir an die Stirn fassen und meinen Kopf festhalten, der sich irrsinnig schwer anfühlt und in dessen Innerem alles zu schwirren scheint. Okay, ganz langsam, lass uns noch einmal zurückspulen, sage ich mir so ruhig es geht, um die Kontrolle über meine Gedanken zurück zu bekommen. Anna war da, sie ist nett und hübsch, aber das hatten wir ja alles schon. Meine Zeige- und Mittelfinger wandern zu meinen Schläfen und beginnen sie vorsichtig zu massieren. Tut das gut. Anna ist nicht seine Freundin, Ian ist schwul, das war alles nur Show, aber.. Ich komme nicht umhin, meine Stirn zu runzeln. Was war mit dem Telefongespräch? Sie hat doch eindeutig „Ich liebe dich auch.“ gesagt. … Mein Blick wandert zu Ian, der sich faul auf der Matratze räkelt. Er scheint nicht zu bemerken, dass ich ihn ansehe, oder höchstgradig verwirrt bin, dazu ist er viel zu entspannt dabei die Decke anzustarren. Also fasse ich einen Entschluss, rutsche auf ihn zu und lege mich neben ihn. Dabei ahnt Ian wohl noch nichts von seinem Glück, sehr bald schon von mir gequält zu werden. Er ist immer noch ruhig und jetzt grinst er mich sogar vertrauensselig an, aber er hat es nicht anders verdient, dessen bin ich mir sicher. Ich erwidere das Grinsen mit einem gespielt scheuen Lächeln und rutsche noch etwas näher. Ians Mundwinkel zucken kurz, dann sehe ich wie sein Grinsen in sich zusammenschrumpft, stattdessen beobachten mich jetzt seine wachsamen Augen. Er fühlt sich nicht weniger unwohl als vorhin, es ist eher so, als würde er auf etwas warten, auf etwas von mir. Ich verstehe sehr genau was er will, sein Blick spricht Bände, verlangt nach ersten Annäherungen und Zärtlichkeiten. Wie kann er nur glauben, dass ich jetzt in einer solchen Stimmung bin? Gerade jetzt? Und gerade nach allem, was er mir erzählt hat? Aber ich lasse mich davon nicht beirren, ganz im Gegenteil, er bestärkt mich sogar noch weiter darin, meine Bestrafung durchzuziehen. Ich strecke also die Hand vorsichtig nach ihm aus und streiche ihm durch seine tiefschwarzen, kurz geschnittenen Haare. Dabei gehe ich besonders langsam und behutsam vor, kitzle ihn sogar absichtlich an der Wange und bemerke Augenblicke später bereits den Effekt meiner Handlung. In Ians Augen ist eine Glitzern getreten, das von einer aufwallenden Erwartung erzählt. Es ist schwer, mich davon zu lösen, daher überspiele ich die Szene mit einem Lächeln und senke meinen Blick kurz erneut. Tatsächlich wollte ich ihm immer schon mal durch die Haare fahren, dieses samtene Schwarz hat eine Anziehungskraft, gegen die nicht einmal ich mich richtig wehren kann. Aber jetzt ist nicht die Zeit, das zu genießen! Zaghaft sehe ich wieder hoch, ich weiß wie behutsam ich jetzt vorgehen muss, um ihm keine Gelegenheit zu geben, über mich herzufallen. Das ist das letzte, das ich jetzt will. Ian scheint das zum Glück auch nicht vorzuhaben, sondern wartet geduldig meinen nächsten Schritt ab. Daher beschließe ich, dass es sicher ist, die Augen offenkundig zufrieden zu schließen und mich vertrauensvoll an seine Schulter zu schmiegen. »Beweg dich nicht.« flüstere ich dennoch vorbeugend wie ein stilles Versprechen. Ians Brust hebt sich, er muss wohl tief durchatmen, weil ich ihn nervös mache? Ich muss schmunzeln und kann spüren, wie er mich immer noch ansieht, wie er den Blick gar nicht von mir lösen kann, wie er zusieht, als ich mein Kinn anhebe und die Lider öffne. Er beobachtet mich weiter, als ich den Kopf vorrecke und meine Lippen nur wenige Millimeter von seinem Ohrläppchen entfernt zum Stehen kommen. Mein Atem streift seine Haut und ich bemerke etwas belustigt, wie er dadurch erschaudert. »Ian.« Er schluckt. »Ich.. liebe dich auch.« Meine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, dennoch war die Wirkung schwer zu übersehen. Ich schaue etwas verstohlen zu Ians rot gewordenen Wangen und bemerke auch, wie sich seine Atmung verändert hat und der arme regelrecht nach Luft schnappen muss. «W.was?» Ich grinse. »Du hast schon richtig gehört.« versichere ich ihm. Er dreht sich jetzt dennoch auf die Seite und sieht mich ziemlich verdattert an. «Auch?» Seine Stimme klingt heißer. Hat ihn meine Nähe bereits derart erregt, dass er sie nicht mehr unter Kontrolle hat? Das macht es umso schwerer meine Schadenfreude zurückzuhalten. Daher lächle ich und nicke. Anschließend streiche ich ihm noch einmal zärtlich über die Wange. »Natürlich. Das sagt Anna dir doch auch immer, oder?« Meine Worte waren ruhig und sachlich, aber Ian scheint sich zunehmend unwohler in seiner Haut zu fühlen, wie nur wenige Augenblicke zuvor. Mir hingegen passt die neue Situation ganz gut, endlich habe ich die Gelegenheit mich zu wehren, gegen ihn und seine bescheuerten Erklärungen. »Was ist? Was hast du denn plötzlich?« Mit etwas Schwung bin ich auf ihm, mache es mir auf dem völlig verdutzen Ian bequem und grinse ihn böse an. »Ist dir etwa gerade noch etwas eingefallen, das du mir gern gesagt hättest?« «Ich habe ihr nie gesagt, dass ich sie liebe.» »Nein, natürlich nicht.« «Das ist die Wahrheit!» Ich mustere ihn ungnädig. Damit will er mich also abspeisen? Als ob ich ihm noch irgendetwas glauben würde. »Erzähl das wem, ders hören will.« «Finn! Das war ihre Idee!» »Und wieso sollte sie dann so etwas sagen?« «Mann... Finn...» Ian streicht sich verlegen durch die Haare und ich Idiot kann meine Blick nicht davon abwenden und das nur, weil ich jetzt weiß, wie es sich anfühlt, wenn ich selbst mit meiner Hand da durch streiche. Trotzdem zeige ich ihm nicht, dass ich weich geworden bin, bin ich ja auch nicht, nicht so schnell, nicht durch eine so simple Geste. Wirklich nicht! Also verschränke meine Arme vor der Brust und mustere ihn streng. »Ja? Was denn?« frage ich schroff. So, das sollte reichen, um auszudrücken, dass er gefälligst mit einer verdammt guten Ausrede daherkommen muss, um überhaupt darauf hoffen zu können, dass ich ihm verzeihe. «Sie... war sich, glaub ich, ziemlich sicher, dass du zuhörst.» Ich schnaube. »Umso besser.« erwidere ich trotzig. Muss ich mir das eigentlich wirklich anhören? Ich glaube kaum, dass es noch besser wird. «Ja, genau, weil sie wollte, dass du eifersüchtig wirst.» Okay, ich gebe zu, damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet. »Wieso sollte sie mich eifersüchtig machen wollen?« «Vielleicht, weil sie sehen wollte, ob du an mir interessiert bist.» erzählt er mir kleinlaut. … Ich muss tief durchatmen, dann hebe ich skeptisch meine Augenbrauen. »Und wieso sollte sie das wissen wollen? Sag bloß sie wollte was von mir?« Wenn man es recht betrachtet war sie schon ziemlich nett zu mir, obwohl ich hingegen... Nein! Also wirklich nicht! Nicht Anna, das wäre mir aufgefallen. Oder doch? Wie verhalten sich Mädchen eigentlich, wenn sie verliebt sind? Andererseits, wenn wir hier von Liebe sprechen, ist das schon wieder ausgeschlossen, wir kennen uns ja nicht einmal! Schon gut, ganz ruhig bleiben und erst mal tief durchatmen. Es wird schon alles wieder gut werden, ganz bestimmt. Tatsächlich hatte ich für eine kurze Zeit die Augen geschlossen und Atemübungen gemacht, eine wirklich dämliche Angewohnheit, die ich mir von meiner Mutter abgeguckt habe. Oh Gott, schon wieder ein Charakterzug meiner Mutter der durchscheint! Ich schüttle mich, um den Gedanken daran wieder zu verdrängen. «Alles okay mit dir?» »Was?« Ich werde augenblicklich rot, räuspere mich jedoch, um davon abzulenken. »Das hängt von deiner Antwort ab.« kontere ich also, um den Gesprächsfokus wieder auf Ian zu lenken. Dieser seufzt ergeben und kratzt sich etwas beklommen an der Schläfe. «Vielleicht... wollte sie das wissen, weil ich... möglicherweise... ein bisschen... geschwärmt hab, von dir?» Es ist nicht leicht Ians Erklärung zu folgen, weil er dabei mit jedem Wort leiser wird und schlussendlich war es nur noch ein undeutliches Nuscheln. »Was? Wie war das?« «Oh Gott, Finn, tu mir das nicht an.» fleht er. Er scheint es wirklich nicht wiederholen zu wollen, andererseits ist er jetzt genau in der Lage, in der ich ihn haben wollte. »Nicht? Dann hast du also wirklich gesagt, dass du von mir schwärmst?« «Ja.» Wow, und ich dachte wirklich, ich hätte es mir eingebildet. Interessant, wirklich sehr interessant. Nur, was mache ich jetzt mit dieser neuen Situation? Bei einer Sache bin ich mir allerdings ziemlich sicher, lange sollte ich wohl nicht mehr sauer auf ihn sein, das zerstört auf Dauer nur das Wohnklima. Also anstelle ihn so verdattert anzusehen, wie jetzt gerade, sollte ich mir wohl etwas Vernünftiges einfallen lassen, um das alles wieder zu bereinigen. Dafür schließe ich die Augen und mit den immer noch verschränkten Armen komme ich mir ein bisschen wie einer dieser typisch klischeehaften Indianerhäuptlinge aus den alten Wildwest-Filmen vor, fehlt nur noch der Kopfschmuck und eine Friedenspfeife. Ich lasse mir Zeit mit meiner Entscheidung, wohl wissend, dass es eine quälende Frist für Ian sein wird. Schließlich nicke ich jedoch und sehe ihn dabei ernst an. »Gut, dann bell wie ein Hund.« Ian scheint über diese Aufforderung sichtlich verwirrt zu sein, wäre ich vermutlich auch, wäre ich an seiner Stelle, aber das bin ich ja zum Glück nicht, also grinse ich nur. »Was denn? Das ist die Strafe dafür, dass du mir was vorgespielt hast.« erkläre ich, als wäre das die normalste Sache der Welt. «Ich soll bellen?» fragt er immer noch skeptisch. Okay, ruhig bleiben und bloß nicht zu lachen anfangen, auch wenn es einfach zu komisch ist, Ian dabei zu beobachten. Nach einem tiefen Räuspern traue ich meiner Stimme wieder zu, sachlich zu klingen. »Ja, sei so gut.« Es ist eine wirklich abstruse Lage, in der wir uns beide befinden, Ian der mich immer noch ungläubig anstarrt und dann schließlich zu kläffen beginnt, als er merkt, dass es mir damit völlig ernst ist, und ich, der krampfhaft versucht, dabei nicht zu Lachen, um die Strafe auch als Strafe wirken zu lassen. Irgendwann muss ich mich dann aber doch abwenden und kichere leise vor mich hin. Ian scheint sich dadurch auch wieder wohler zu fühlen, denn er sieht sichtlich erleichtert aus, als ich wieder hinsehe. «Auf sowas stehst du also?» Ich schüttle amüsiert den Kopf, es ist doch einfach zu lächerlich. »Ja, genau. Auf sowas steh ich.« erwidere ich glucksend. «Hmm... soll ich noch ein Tier für dich machen?» Noch ein Tier? Will er mich durch einen Lachanfall umbringen? Angestrengt versuche ich wieder ernst drein zu schauen und dabei den Kopf zu schütteln, ich fürchte nämlich, dass ich momentan, wenn ich den Mund öffne, abgesehen von Lachlauten nichts anderes herausbringen werde. «Nein? Bist du sicher? Kein Kätzchen? Oder einen Elefanten?» Ich kann nicht anders, als zu grinsen und bemerke dabei erst zu spät, dass Ian immer näher kommt und sich schließlich zu meinem Ohr beugt. «Ich kann auch einen erstklassigen Leguan.» Bei diesen Worten läuft es mir heiß-kalt den Rücken runter. Wo hat er nur gerade diese sexy Stimme ausgepackt? Einmal abgesehen von seiner Wortwahl, erinnert mich das doch ziemlich an meine Verführungs-Schrägstrich-Bestrafungstaktik von vorhin. Ich muss schwer schlucken und mir wird plötzlich auch ziemlich mulmig zu Mute. Ist das jetzt ein Gegenangriff? Etwas nervös versuche ich noch durch ein Kichern, die Stimmung wieder aufzulockern, aber es ist vergeblich. Sekundenbruchteile später hat er mich bereits gepackt und ohne, dass ich Gelegenheit gehabt hätte mich zu wehren, seine Lippen auf meine gepresst. … Okay, ruhig, ganz ruhig, ganz... Panik! Kapitel 11: Gebrochene Herzen ----------------------------- Hallo liebe Leser! Und ein riesiges Dankeschön an die Kommi-schreiber unter euch! Ihr verwöhnt mich richtig mit eurem Lob, macht mich total happy damit und auch ein kleines bisschen verlegen, hehe~ Also nochmal danke dafür! Das neue Kapi gibts diesmal im Voraus, weil ich am Freitag wegfahre und euch nicht so lange warten lassen will, ich hoffe ich verspäte mich deswegen nicht mit dem nächsten. Sollte das doch der Fall sein, sag ich schon mal "Sorry im voraus"! Aber jetzt erst mal viel Spaß mit Ians Gegenangriff! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lippen. Da waren diese Lippen, weich und warm und fordernd drückten sie sich gegen meine. Unter anderen Umständen hätte mir vielleicht sogar gefallen, was Ian da mit mir tat, aber nicht jetzt und hier! Ganz bestimmt nicht jetzt und hier! Was bleibt mir also anderes übrig, als zu versuchen, mich von ihm zu lösen, indem ich mich, wie schon bei Nick, beharrlich gegen ihn stemme und ihn mit aller Macht von mir weg drücke? Zumindest einen Versuch schien es wert zu sein, denn anfangs machte es den Eindruck, als wären meine Bemühungen ein Ding der Unmöglichkeit. Nach und nach jedoch, spüre ich, wie es auch Ian immer schwerer fällt, seine Position zu halten. Seine Muskeln sind angespannt und ich glaube sogar ein leichtes Zittern zu spüren. Gut so! Ich sammle erneut meine Kräfte und mit einem festen Ruck schiebe ich seinen Oberkörper einige kostbare Zentimeter von mir weg. Noch ein Ruck und und unsere Lippen lösen sich unter einem beidseitigen Aufkeuchen, was noch ein Zeichen für die Anstrengung ist, die es mich, und wohl auch ihn, gekostet hat, um den Kampf zu gewinnen. Ich gönne mir jedoch keine Zeit zu verschnaufen, stattdessen starre ich wütend in Ians stahlblaue Augen, die meinen Blick so verspottend ruhig erwidern, dass ich einen kurzen Moment wie in Trance bin. Wie soll man sich gegen eine solche stoische Gelassenheit auch wehren? Als Ian jedoch erste Anstalten macht, sich mir abermals zu nähern, habe ich auch all meine Sinne wieder beisammen und drücke ihn erneut entschieden von mir weg. »Denk nicht mal dran!« zische ich bedrohlich. Trotzdem kann ich meine Augen nicht von Ians nehmen. Soll ich ehrlich sein? Am liebsten würde ich die Zeit jetzt einfach mal kurz anhalten und noch stundenlang weiter in seine wirklich atemberaubenden Iriden starren. Um einmal kurz zu beschreiben, was mich daran so fasziniert, muss man wissen, dass dieses helle intensive Blau von einem dunklen, fast türkisen Blau umrundet und mit spinnennetzartigen helleren Fasern durchzogen ist, die seine Augen zum Spiegelbild eines Ozeans machen. Und dann sind da noch diese kleinen gelben Punkte, die dicht um die Pupillen herum zunehmen und die man wirklich nur dann sehen kann, wenn man Ian so nahe ist, wie ich gerade. Ian scheint von dem ganzen Zeitanhalten jedoch nicht so begeistert zu sein, da er es doch tatsächlich wagt sich zu bewegen. Erst spüre ich nur seine Hände, die sich auf meine legen und sie vorsichtig von seiner Brust schieben, aber dann streicht er mir auch schon mit viel Fingerspitzengefühl über den Oberschenkel. Zu allem Überfluss scheinen seine Augen auch wieder größer zu werden und ich begreife, dass er sich erneut zu mir vorbeugt. Mir bleibt dabei nicht viel mehr übrig, als vor Aufregung zu schlucken und zu versuchen, mich nicht vollkommen in diesem wirklich traumhaft blauen Ozean zu verlieren. Wieso kann ich auch einfach nicht mehr wegsehen? Das ist so ungerecht! Die Zentimeter zwischen uns schrumpfen zu Millimetern und ich bin immer noch eine Salzsäule. Irgendetwas in meinem Inneren beginnt sich dann aber zu regen und ich erinnere mich schwach daran, dass da noch etwas anderes war, etwas gegen das ich mich hatte wehren wollte, nur, was war das noch gleich? Das Streicheln an meinem Schenkel kann es nicht sein, denn das ist wirklich zu angenehm, zu zärtlich und verursacht ein so wunderbares Kribbeln auf meiner Haut, das weit über die berührten Stellen hinauszugehen scheint. Nein, das ist es bestimmt nicht. Und dieser Blick? Wie könnte ich etwas gegen diesen Bl...? Ich weite die Augen. Lippen! Da waren sie schon wieder, die fremden Lippen, die es einfach gewagt haben, sich auf die meinen zu legen! Dieses Mal versuchen sie es auf sanftere Art und Weise, schmiegen sich vorsichtig an, beginnen die meinen zu necken, beknabbern sie sogar und öffnen sich langsam und verführerisch an den meinen. Dennoch besteht kein Zweifel mehr, gegen diese Lippen muss ich mich wehren. Bald! Am besten jetzt! Einen kurzen Moment lang bin ich wieder von Panik durchflutet und die sanften Berührungen scheinen zu allem Überfluss gar nicht erst daran zu denken, von selbst zu stoppen. Und was mache ich? Ich Idiot fange dann auch noch an das ganze zu genießen!? Nein! Das, das kann doch jetzt wirklich nicht sein, oder doch? Dieser verfluchte Ian, wie kann er auch nur so, so verdammt verführerisch und manipulativ sein? Dann gebe ich ihm eben nach, bitte, das wollte er doch. Dennoch bin ich verunsichert und erwidere Ians Bemühungen nur recht zögerlich. Meiner Unsicherheit zum Trotz kann ich hören wie Ian ein erlösendes Seufzen über die Lippen kommt, als hätte er die ganze Zeit nur auf diesen einen Augenblick gewartet. Moment, hat er jetzt gewonnen? Hat er mich tatsächlich rumgekriegt, durch so einen bescheuerten Trick? Wollte ich mich nicht dagegen wehren? Ich weiß selbst nicht mehr, wie es dazu kommen konnte, aber eines ist klar, das habe ich alles meiner Gedankenlosigkeit von vorhin zu verdanken und die ist, Gott sei Dank, schon wieder vorbei. Abgesehen davon ist meine Wut auch noch nicht ganz verraucht, eher im Gegenteil, sie findet gerade neue Nahrung und ganz gleich wie lange ich jetzt schon an Ians Lippen hänge, mein Entschluss mich gegen ihn zu wehren steht weiterhin und nicht nur das, ich tus auch, ich wehre mich, oder genauer gesagt, beiße ich zu. Für meinen Mitbewohner kommt das alles wohl ziemlich überraschend, da es keinerlei Anzeichen dafür gab, ich mich mit meiner Kraft aber trotzdem nicht gerade zurückgehalten habe. Dementsprechend verstört und mit blutender Unterlippe starrt er mich jetzt an. Allerdings lasse ich ihm keine Gelegenheit sich deswegen zu beschweren, denn das ist jetzt wieder mein Angriff, hinterhältig, zugegeben, aber auch noch lange nicht vorbei. »Hast du was an den Ohren?! Ich will das nicht, verstanden?!?« blaffe ich, in der Hoffnung mich diesmal klarer ausgedrückt zu haben. Mein Blick wandert forschend über Ians Gesichtszüge, um die Gedanken des anderen zu ergründen, wobei ich außerdem hoffe, dass die lähmend lange Zeitspanne während des Kusses, nur mir so lange vorgekommen ist. «Warum sitzt du dann rittlings auf mir?» Hä? Etwas erstaunt über diese Worte sehe ich an mir herab. Er hat recht, meine Pose ist wohl nicht gerade unschuldig oder unbeteiligt an der Situation eben, das wird mir erst jetzt wirklich bewusst. Sie hat sogar etwas sehr aufreizendes an sich, wenn man bedenkt, wo genau ich sitze, denn das würde nämlich auch bedeuten, dass das harte Etwas, das ich also die ganze Zeit über gespürt habe, sein... Ich laufe auf der Stelle dunkelrot an und mache erste Anstalten von ihm runter zu klettern. Ian hingegen hält mich an den Oberarmen fest und ich, ohnehin schon peinlich berührt, bin gezwungen ihn wieder anzusehen. Nach einem unbeholfenen Versuch, meinen plötzlichen Kloß im Hals runter zu schlucken, suche ich stammelnd nach den richtigen Worten, dich ihm klarmachen sollen, dass es mir leid tut, er aber trotzdem die alleinige Schuld an allem trägt, na ja, zugegeben, an fast allem. Allerdings kommt es nicht so weit. «Also ich finde ja, das war die ziemlich direkteste Anmache, die mir in letzter Zeit gemacht wurde. Und trotzdem habe ich bei dir keinen Erfolg. Das.. ist irgendwie frustrierend.» Ians Stimme war ruhig und ein wenig samtig, als hätte er immer noch nicht aufgegeben. »Was erwartest du?« frage ich verunsichert, immerhin hat er es eine „Anmache“ genannt und es ist schwer, dem zu widersprechen. «Dass du zu deinem Verlangen stehst?» schlägt er vor. Aber ich schnaube nur verächtlich, angesichts dieser lächerlichen Empfehlung. »Mein Verlangen?« Beinahe hätte ich gelacht, aber auch wirklich nur beinahe, denn er scheint es wirklich ernst damit zu meinen und das ist ziemlich beunruhigend. »Welches Verlangen denn? Da war nichts, ich wollte dich nur ärgern, weil du so viel Mist erzählt hast.« stelle ich also ein für alle Mal klar und hoffe, dass die Sache damit gegessen ist. «Ach ja?» Offensichtlich hat Ian jedoch andere Vorstellungen über den Verlauf unseres Gesprächs. Geduldig muss ich also über mich ergehen lassen, wie er mich skeptisch beäugt. Am liebsten würde ich ja trotzig meine Arme wieder verschränken, aber er hält sie immer noch fest umklammert. «Der Blick mit dem du mich vorhin angestarrt hast, hat aber was ganz anderes gesagt.» Ich spüre wie meine Augenbrauen überrascht in die Höhe wandern. Wie habe ich ihn denn angesehen? Ich weiß nur, dass mein Hirn einen kleinen Aussetzer hatte und sich vielleicht ein bisschen von Ians Äußerem hat beeinflussen lassen. Vielleicht habe ich dabei dämlich ausgesehen, vielleicht geistig abwesend und wie ein völlig Bekloppter, aber mehr kann da nicht gewesen sein! Anscheinend sieht Ian das aber anders, denn er lässt mich mit einer Beharrlichkeit nicht aus den Augen, die von einer wahnwitzigen Geduld berichtet, die nur wenige Menschen in der Lage sind aufzubringen. Und geduldig ist er allemal, wenn man bedenkt, dass ich immer noch auf seinem... Okay, nicht daran denken und auch nicht wieder rot anlaufen! Ich sollte die Sache schnell bereinigen und mich damit endlich aus dieser Misere ziehen, in der ich mich meiner Meinung nach schon viel zu lange befinde. »Ich hab an Nick gedacht.« sage ich klipp und klar. Das war zwar gelogen, aber ich gehe davon aus, dass es von allem, was ich hätte sagen können, am effektivsten sein wird, Ian von seinem Vorhaben abzubringen, mir noch näher zu kommen. Und so wie es aussieht, hatte ich damit recht. Ians Griff wird locker und seine Hände fallen kurze Zeit später kraftlos von meinen Armen. «Mit „Nick“ meinst du doch nicht...?» »Meinen Mathelehrer und Ex, ganz genau.« Ein betretenes Schweigen folgt und schließlich kann ich es wagen langsam von seinem Schoß herunter zu klettern. «Du hast mit mir geflirtet.» beharrt er. Etwas verwundert sehe ich wieder zu ihm und erkenne eine Entschlossenheit in seinen Augen, die mir einen ganz schönen Schauer über den Rücken jagt, dennoch tue ich unbeeindruckt und zucke mit den Schultern. «Das hast du getan, gibs zu.» fordert er und sein Blick verschärft sich weiter. Ich muss tief durchatmen, er ist wirklich hartnäckig, das muss ich ihm lassen. »Na schön, vielleicht ein bisschen, aber auch nur..« «... weil du mich bestrafen wolltest, ja ja.» vervollständigt er meinen Satz. Ich nicke vorsichtig und das Schweigen kehrt zurück. Irgendwie glaube ich, dass er immer noch nicht ganz aufgegeben hat, aber vorerst gönnt er mir großzügigerweise eine Verschnaufpause. «Ich... geh dann mal ins Bad.» Mit diesen Worten verschwand er aus dem Zimmer, um eine vermutlich kalte Dusche zu nehmen. Und ich, ja ich, war wieder mal verwirrt, aber auch erleichtert, ihn jetzt nicht in meiner Nähe haben zu müssen. Denn langsam wird es Zeit mir selbst ein paar Fragen zu stellen, von denen ich Ian ja nicht gerade die Antworten auf die Nase binden muss. Wieso zum Beispiel habe ich ihn so verträumt angesehen? … Verträumt also, das war es, jetzt verstehe ich, was er vorhin gemeint hat. Natürlich habe ich das geahnt, aber richtig damit auseinandersetzen wollte ich mich nicht. Ich meine, ich gebe ja zu, dass ich Ian durchaus anziehend finde, seine Art, sein Äußeres, das Rauchige in Seiner Stimme, als er mir ins Ohr geflüstert hat... Erneut kann ich einen sanften Schauer spüren, der mit über den Rücken jagt, wie könnte ich mich auch dagegen wehren? Sein Angriff war um so vieles ungerechter als meiner, finde ich, so viel verführerischer und vermutlich hatte er auch eine viel größere Auswirkung auf mich, als der meine auf ihn. … Als ob ich nicht selbst wüsste, was da gerade mit mir passiert. Ich bin dabei mich zu verlieben, so siehts aus, aber ich bin noch nicht bereit dafür, das weiß ich, das spüre ich in jeder Faser meines Körpers. Ich brauche Zeit für mich, Zeit allein, vielleicht einen Freund, aber keine neue Liebe, noch nicht. Es tut mir ja ein bisschen leid, Ian auf diese Weise abblitzen zu lassen. Unweigerlich muss ich dabei an seine blutende Lippe denken, ich war schon ziemlich brutal und dann die Sache mit Nick. Wobei es irgendwie schon seltsam ist, ich habe Nick erwähnt, aber es hat nicht wehgetan, zumindest nicht so sehr. Ob ich schon bald über ihn hinweg bin? Außerdem ist die Frage mit Daniel auch immer noch nicht ganz geklärt. Ich weiß nicht, ob Ian mich nur seinetwegen küssen wollte, oder ob er es tat, weil er an mir interessiert ist, an mir, Finn der Heulsuse, Finn dem Feigling, der ihm angeblich so viel von sich gezeigt hat, dass er gar nicht anders konnte, als sich in mich zu vergucken. … Vielleicht ist er ja auch noch nicht so weit, vielleicht brauchen wir beide... Ja, was brauchen wir eigentlich? Was braucht man, nachdem einem das Herz gebrochen wurde? Kapitel 12: Waffenstillstand ---------------------------- Was mach ich nur? Wirklich? Ich dachte Finn wäre so weit, ich dachte... verdammt! Es dauert etwas, aber nach einer Weile beruhigen sich meine Gedanken und mein Körper wieder. Das kalte Wasser hat die Hitze vertrieben und ich kann ruhig nachdenken, über mich und ihn und unser bescheuertes Verhalten. Ob es besser wäre, ich würde mich entschuldigen? Andererseits hat er angefangen, er hat... Nein, so komme ich nicht weiter und oh Mann! Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich so ungeduldig sein kann. Aber in seiner Nähe bin ich es und das Schlimme ist, ich kann es nicht kontrollieren, ich will ihn einfach! Verdammt! Ich muss meinen Kopf nochmal unters kalte Wasser tauchen. Vielleicht hätte ich dabei bleiben sollen, ihn einfach nur zu beobachten. Das war noch erträglich und viel einfacher, da hat er noch nicht gewusst, dass ich existiere und dabei wäre ich auch nie in die Versuchung gekommen, ihm tatsächlich an die Wäsche zu gehen. Aber das ging ja nicht, nein, ich musste mich ihm ja unbedingt zeigen, als er damals so einsam und deprimiert auf der Bank gesessen hat. Er hat so verloren ausgesehen und ich Esel hab nur für einen Augenblick die Kontrolle verloren. Damit hat es doch angefangen, er hatte einen schwachen Moment und ich... na ja.... wohl auch. Kontrolle also. Darum geht es. Wenn ich dich Augen schließe, sehe ich ihn wieder vor mir, wie er mich verführerisch angesehen hat und auch seine Lippen. Ach diese verlockend weichen Lippen, und diese roten Wangen... Ich muss schlucken. Kein Wunder, dass ich mich nicht zurückhalten konnte, selbst jetzt will ich aus der Dusche stürmen, um ihm die Klamotten vom Leib zu reißen, ihn an mich zu ziehen und.. Ich beiße mir harsch auf die Unterlippe bei diesen Gedanken. Das darf doch nicht wahr sein! Nein! Reiß dich zusammen Ian, sonst nützt das ganze kalte Wasser nichts mehr! Was ist da vorhin nur passiert? Wieso hat er mich abgewiesen? Ich versteh es nicht und mein Kopf schwirrt regelrecht vor lauter Verwirrung. Ich dachte, es gefällt ihm auch, vor allem, weil er es war, der angefangen hat aber stattdessen... Ein Seufzen kommt mir über die Lippen. Vermutlich habe ich alles falsch verstanden und schlussendlich alles noch schlimmer gemacht. Wenn ich daran zurückdenke, war sein Blick so leidend, als hätte ich ihm irgendetwas unglaublich Grausames angetan. Und dann diese Abwehr... Nick... ausgerechnet Nick! Wieso? Denkt er denn, ich wäre wie er? Genau so mies, genau so kalt...? Das darf doch einfach nicht wahr sein! … Wie soll ich ihm nur klarmachen, dass es nicht so ist, dass ich anders bin? Das ist so frustrierend, dabei hätte ich nicht einmal gedacht, dass es nötig sein würde, ihm zu zeigen, dass ich anders bin. Ich dachte er hätte bemerkt, dass ich es ehrlich mit ihm meine. Aber mein Geständnis vorhin scheint mir wohl mehr bedeutet zu haben, als ihm. Kein Wunder, ich kann verstehen, dass er sauer ist, immerhin habe ich ihn angelogen, und ihn über vieles im Unklaren gelassen. Aber was hätte ich auch anderes tun sollen? Schon wieder höre ich mich seufzen. Habe ich schon erwähnt, dass das ganze überaus frustrierend ist? Nun, es ist überaus frustrierend. Ich meine, ich kenne meine Lehrer nicht privat, aber besser als ein alter, perverser und vor allem verheirateter Sack bin ich doch allemal! Nur sieht Finn das wohl anders. Langsam wird mir kalt und ich drehe das Wasser ab, etwas unwillig aber doch. Ich weiß nicht, wie ich Finn wieder unter die Augen treten soll, ich weiß nicht, was ich sagen soll, um die Stimmung aufzulockern, oder ob das überhaupt gut wäre. Soll ich so tun, als wäre nichts gewesen? Oder soll ich unbeeindruckt einen neuen Versuch starten? Bei Daniel hätte ich gewusst, was ich tun soll, er war leicht zu verstehen und hat kein Geheimnis aus seinen Gefühlen gemacht. Na ja, außer später dann, aber das lag wohl eher daran, dass ihn die neue Situation dermaßen verstört hat, dass er selbst nicht wusste, was er tun sollte. Sogar das kann ich nachvollziehen, aber Finn? Finn bleibt für mich ein großes Fragezeichen. Aber das ist ja, wenn man es genau betrachtet, auch gar nicht so verwunderlich, ich meine, wie lange kennen wir uns jetzt schon? Vermutlich bin ich bei ihm immer noch im Status eines Fremden und vielleicht sollte ich als allererstes genau das ändern und kleine Schritte auf ihn zu machen? Ich greife nach einem Handtuch und trockne mich langsam. Was ich vorhabe ist keine leichte Aufgabe, wie ich bereits nach wenigen Augenblicken des Überlegens feststellen muss. Aber es ist notwendig, damit er sich hier bei mir wohlfühlt. Ein letztes Mal nicke ich mir ermunternd im Spiegel zu, dann kehre ich zurück aufs Schlachtfeld, in mein Zimmer. Finn sitzt immer noch auf dem Bett und ignoriert mich weitgehend. Was mich jedoch nicht davon abhält, ihn neugierig zu mustern. Mein Blick huscht über seine Hände, in denen er schon wieder etwas hält. Zum Glück habe ich aber nur ein Tagebuch und das hat er ja schon gelesen. Ich gehe etwas näher auf ihn zu, um besser sehen zu können und nicke dann unbewusst, als ich es erkenne. Verstehe, es ist Daniels Foto von dem er vorhin gesprochen hat. Ich sehe wieder weg, gehe auf meinen Kleiderschrank zu und suche mir einen Pyjama raus, den ich auch kurz darauf anziehe. Anschließend schiele ich zum Nachtkästchen und muss schmunzeln. Das Sushi ist wohl auf mysteriöse Art und Weise verschwunden. Erleichtert, dass Finn doch zumindest etwas gegessen hat, fasse ich neuen Mut und nähere mich ihm vorsichtig wieder, ehe ich aufs Bett krabble, um das Foto besser zu sehen. Es ist lange her, dass ich es mir so genau angesehen habe, irgendwann muss ich einfach vergessen haben, dass es noch da war unter meinem Bett. »Hübscher Kerl, was?« beginne ich also ein Gespräch und versuche dabei so gelassen wie möglich zu klingen. Trotzdem schnaubt Finn nur, aber ich lächle dennoch. Als er nichts weiter darauf zu erwidern hat, fahre ich fort. »Sieht dir ziemlich ähnlich.« «Soll das jetzt ein Kompliment gewesen sein?» Ich zucke mit den Schultern, innerlich grinse ich aber und freue mich darüber, dass er endlich darauf reagiert. »Eine Feststellung.« meine ich nur und versuche ihm dabei nicht zu zeigen, wie sehr mich seine Antwort freut. «Wieso hast du immer noch ein Foto von ihm?» Die Frage überrascht mich, aber ich ringe mich zu einem gleichmütigen Schulterzucken durch. »Weiß nicht, bin einfach nie dazu gekommen, es wegzuwerfen.« Mein Blick löst sich von der Fotografie und wandert zu einem fast perfekten, wenn auch mittlerweile älteren, menschlichen Ebenbild davon. »Willst du es haben?« Die Frage kam mir ganz spontan, ich weiß selbst nicht so genau, wieso ich es ihm angeboten habe, aber in dem Moment schien es mir so, als wäre es einfach richtig gewesen. «Wie kommst du darauf, dass ich es will?» Finn sieht mich etwas empört an, ein wirklich niedlicher Ausdruck, wie ich finde. »Du siehst es schon die ganze Zeit über so interessiert an und da du vermutlich selber kein Bild von deinem Bruder..« «Halbbruder!» … »... von deinem Halbbruder hast, dachte ich...« Ich beende den Satz nicht, seine heftige Reaktion hat mich aus meinem Redefluss gebracht und lässt wohl keinen Zweifel daran offen, dass er, erstens, das Bild nicht will und zweitens, ganz offensichtlich nicht gut auf Daniel zu sprechen ist. »Ich hab wohl falsch gedacht.« murmle ich also nur immer noch nicht ganz gefasst. «Ja, hast du wohl.» Und wieder beginnen wir also zu streiten? Wollte ich diesmal nicht irgendetwas anders machen? Also versuche ich es nochmal. »Weißt du Finn, es ist nichts Schlimmes daran, neugierig zu sein. An deiner Stelle würde ich wohl auch wissen wollen, wer mein Bruder ist.« «Halbbruder. Außerdem bin ich nicht neugierig, er hat unsere Familie kaputt gemacht, er interessiert mich einen Scheißdreck und egal wo er gerade steckt, ich hoffe es geht ihm schlecht!» Okay, Finn ist wohl doch eine härtere Nuss, als ich gedacht hatte. Aber wenigstens ist er diesmal wütend auf jemand anderen und nicht auf mich, das ist doch schon mal ein Fortschritt, oder nicht? Trotzdem, irgendetwas stimmt nicht. Es tut mir weh ihn so zu sehen, so verbittert und voller Wut, daran wollte ich ihn nicht erinnern. »Finn... bist du wirklich sauer auf ihn? Du kennst ihn doch gar nicht richtig.« Meine Stimme klingt vorsichtig und wie ich hoffe auch beruhigend. «Verteidigst du ihn etwa? Das ist ja wieder mal typisch! Nur weil er dein Exlover ist, musst du ihn in Schutz nehmen! Das machst du doch mit allem, was mit ihm zu tun hat, sogar mit seinem Bruder! Hast du vielleicht noch irgendwo alte Schuhe von ihm rumstehen oder durchgekaute Kaugummis, wenn du nicht auf sie aufpasst wird es niemand tun. Er würde sie nur wegwerfen, so wie ers mit dir getan hat! Ja, genau, er hat dich weggeworfen! Begreifst du das nicht?! Vergiss ihn endlich und lass dich nicht auf den alten Mist ein, den er verzapft hat. Du hast damit nichts zu tun, es ist seine Vergangenheit, sein Mist und meiner, aber nicht deiner verstanden?! Also misch dich nicht ein, hör am besten auf, solange es noch geht und wirf mich raus! Das willst du doch, oder? Die ganze Zeit schon überlegst du dir, wie du mich wieder loswirst, wenn du mich nicht ins Bett kriegen kannst. Die ganze Zeit schon... » Ich höre ihm ruhig zu, auch wenn es mir schwer fällt. Am liebsten würde ich ihn unterbrechen, an mehreren Stellen und die Sachen richtig stellen, die er so gekonnt verdreht hat, aber ich zwinge mich zur Ruhe, denn endlich bricht alles aus ihm heraus. Er muss diese Dinge loswerden und ich muss wohl zuhören. Schließlich sagt er nichts mehr, atmet nur noch etwas gepresst. Er hat sich in seine Worte hineingesteigert, dass sein gesamter Körper mitgemacht hat, und ihm geholfen hat, mir seine ganze Wut entgegen zu schleudern. Einen langen Augenblick ist es ganz still im Zimmer, um ehrlich zu sein traue ich mich auch nicht so recht etwas zu sagen, aber als ich mir sicher bin, dass da wirklich nichts mehr kommen wird, und ich meine eigene Wut selbst zurückhalten kann, nehme ich doch meinen Mut zusammen. »Du hast Bruder gesagt.« Bei diesen Worten sehe ich ihn provozierend an. Ja, ich hätte zu so vielem mehr etwas zu sagen gehabt, hätte ihn anschnauzen können, wegen allem, was er mir an den Kopf geworfen hat, darüber, dass er meine Trauer über die Trennung lächerlich gemacht hat, dass er mich von allem ausschließen will, mir vorwirft, ihn loswerden zu wollen, aber genau damit rechnet er doch, er will dass ich ihn rauswerfe. Irgendwie hat er die kranke Vorstellung in seinem Kopf, dass es genau so kommen wird, wie er es sich vorgestellt hat und dass er durch ein paar schroffe Worte gleich unerwünscht ist. Dieser Dummkopf! Finns wütender Blick straft mich sofort mit Verachtung. «Hab ich nicht.» »Doch hast du, ich habs genau gehört.« «Und wenn schon! Das tut doch nichts zur Sache!» Mit dieser Bemerkung dreht er mir beleidigt den Rücken zu und wirft das Foto wie einen Frisbee in die gegenüberliegende Zimmerecke. Jetzt ist er wohl beleidigt darüber, dass es doch nicht so gekommen ist, wie er dachte. Wie kann man auch nur so stur sein? Und das bei so einer Sache. Okay, dann versuche ich es eben noch einmal, immerhin sollte ich die Zeit wohl ausnutzen, in der ich nicht verbal von ihm attackiert werde, um vielleicht doch noch so etwas ähnliches wie einen Waffenstillstand hinzubekommen. »Du... denkst also, ich hab dich nur seinetwegen mit zu mir genommen, weil ich so besessen von ihm bin, dass ich, wenn ich schon nicht mit ihm im Bett lande, wenigstens auf seinen Halbbruder ausweichen kann?« Ich kann beobachten wie sich Finns Ohren bei diesen Worten rot färben, ob aus Wut oder Scham kann ich nicht beurteilen. «Ja...» Ja? Na ja, das ist doch schon mal was, eine Gesprächsbasis, auf der man vielleicht aufbauen kann. Ich lächle erleichtert. »Schön, dass du es zugeben kannst.« «...» «Ja... und? Hast du nicht mehr dazu zu sagen?» Jetzt nur keinen Fehler machen! Meine Schultern zucken kaum merklich und ich kann beobachten, wie Finn mich wieder ansieht, fragend und abwartend. »Ähm... na ja, was soll ich sagen? Du hast recht.« Augenblicklich verfinstert sich Finns Blick und zeigt mir damit, dass ich für ihn zu einem abscheulichen Abschaumpartikel auf einem riesigen Haufen Abschaum geworden bin, der zufällig meinen Namen trägt. Großartig... Aber das kümmert mich nicht, denn ich habe mir geschworen, ihn nicht mehr anzulügen. »Ich wollte dir wirklich an die Wäsche gehen und eigentlich will ich es immer noch.« Um mein Verlangen nicht wieder aufwallen zu lassen, seufze ich es weg. Ich muss besonnen bleiben und vor allem ruhig. »Aber das sage ich nicht, weil er dein Br..- Halbbruder ist. Ich mag dich, du bist sexy und verführerisch und es tut mir leid.« … «Du hast vielleicht Nerven.» Er klingt immer noch beleidigt, aber nicht mehr wütend. «Ich hab nicht vor mit dir zu schlafen. » »Okay.« «Willst du mich denn immer noch da haben?» Er ist wirklich ein Dummkopf, dass er es immer noch nicht begriffen hat. »Du hast es doch selbst gesagt, Kaugummis, alte Schuhe und Finns, wer würde denn darauf aufpassen, wenn ich es nicht tue?« Mit diesen Worten lege ich mich hin. »Es ist spät, wenn du immer noch streiten willst, lass uns Morgen weiter machen, einverstanden?« … «Einverstanden.» Kapitel 13: Nach dem Sturm -------------------------- Das war doch wirklich nicht zu fassen, wie konnte man nur so ruhig und gerissen bleiben? Ich weiß selbst, dass ich gestern einen Fehler gemacht habe indem ich Ian meine ganzen Gefühle entgegen geschleudert habe. Aber wieso hat er mich nicht weggeschickt? Ich war mir so sicher, er würde es tun. Stattdessen dieses Gespräch, sein ruhiger berechnender Blick und am Schluss auch noch Verständnis für mich? Ich verstehe das nicht. Wie kann er nur so reagieren? Wie kann ihm das alles egal sein, was ich ihm an den Kopf geworfen habe? Das ist nicht gut, ganz und gar nicht gut. Wann habe ich angefangen nach seiner Pfeife zu tanzen? Wann hat er begonnen mich zu manipulieren und meine Gefühle zu beeinflussen? Ich muss hier raus. Das habe ich mir gedacht, als es mir das erste Mal auffiel und ich nicht wollte, dass es schlimmer wird. Aber jetzt geht das nicht mehr, denn jetzt sitze ich hier fest bei ihm, Ian, der mich so wunderbar um den Finger wickeln kann, dass ich nicht mehr weiß was ich tun soll. Mein Kopf ist so voll mit allem, was er mir anvertraut hat und es fällt mir schwer, mich selbst denken zu hören. Dort drüben in der Ecke liegt immer noch das Foto von Daniel, mittlerweile ist es schon hell genug, dass ich es von meiner Matratze aus sehen kann. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund kann ich nicht aufhören, es anzustarren, oder meine Gedanken abstellen. Er will Sex. Fast muss ich dabei grinsen, als es mir wieder einfällt, aber eigentlich ist das nichts, weshalb ich mich geschmeichelt fühlen sollte, weil er das ja nur will, weil ich Daniels Bruder bin. Vermutlich mag er mich noch nicht mal und er spielt nur mit mir, aus Rache oder Langeweile. Ich seufze leise, als ich mir das gestrige Gespräch erneut durch den Kopf gehen lasse. Als hätte ich das in den letzten paar Stunden nicht schon unzählige Male getan. Vielleicht sollte ich aufhören so viel darüber nachzudenken, ich komme damit doch ohnehin nicht weiter. Stattdessen sollte ich die Sache völlig rational betrachten. Das da drüben in dem Bett ist Ian, er ist der Exfreund meines Halbbruders und körperlich an mir interessiert. Aber außerdem hat er mich auch bei sich aufgenommen und ist der wohl verständnisvollste Mensch den ich kenne, was damit zusammenhängen könnte, dass er körperlich an mir interessiert ist. … Dabei sollte ich aber auch nicht vergessen, dass er Dinge über mich weiß, die niemand wissen sollte, was bedeutet, er hat eine gute Grundlage, mich zu erpressen. Mist, so gesehen klingt das alles doch nicht so positiv. Es könnte ein Fehler sein, ihm zu vertrauen, aber momentan ist er nun mal der Einzige, dem ich mich anvertrauen kann. Wieso habe ich nur schon wieder das Gefühl, nicht klar denken zu können? Ich dreh mich ein Stück, um zum Bett hoch sehen zu können, dabei kann ich Ians verwuschelten Hinterkopf erkennen, wie er aus der Decke herausragt. Die Vorstellung, dass er mir schaden wollen könnte, kommt mir bei diesem Anblick so lächerlich vor. Was ist diese Sehnsucht in mir? Ich verstehe es nicht, es tut innerlich weh. Bei Nick war es nie so, bei Nick wusste ich, welche Rolle ich einzunehmen hatte, bei ihm konnte ich jederzeit zu ihm unter die Decke kriechen und er hat mich nicht belogen. Natürlich hat er das nicht, immerhin war ich die Lüge und seine Frau die Betrogene. Ian ist anders, in jeder Hinsicht. Alles was ich über ihn zu wissen glaubte waren Illusionen und als er sie zerstörte, wurde er zu einem Fremden für mich. Ob ich deshalb enttäuscht bin? Nein, eigentlich nicht, ich bin viel mehr geschockt von seinen Worten und seinen Erklärungen. Aber der Ian, der mich bei sich aufgenommen hat und den ich kennengelernt habe, der war doch nicht falsch, oder? Das kann doch gar nicht sein, niemand kann sich derart verstellen. Oder war das doch alles nur gespielt? Jetzt bin ich schon wieder so verwirrt wie vorher und meine Gedanken drehen sich so stark im Kreis, dass mir schon beinahe schlecht davon wird. Dann passiert etwas Unvorhergesehenes. Ian dreht sich um und nicht nur das, seine Augen sind dabei geöffnet und starren direkt in die meinen. Ich kann spüren wie meine Kehle trocken wird und ich deshalb schlucken muss, aber dennoch sagt keiner von uns ein Wort. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der wir beide einfach so reglos dagelegen haben. Das Merkwürdige daran ist, dass es mich beruhigt, ihn anzusehen. Meine wirren Gedanken glätten sich und ich fühle mich wohl. Das liegt an ihm, das weiß ich. Schließlich öffne ich meine Lippen. Dabei kann ich spüren wie trocken sie sind, also lecke ich kurz darüber, ehe ich zu sprechen ansetze. »Ich will ihn kennenlernen, Daniel, meine ich.« Ich weiß selbst nicht genau, wie ich zu diesem Entschluss gekommen bin, er war einfach da, oder vielleicht hat er sich mir eingeschlichen, als ich dessen Foto betrachtet habe, ohne wirklich an ihn zu denken? Ich weiß es nicht, aber ich spüre, dass ich etwas ändern muss und wenn ich mir auch bei Ian nicht sicher bin, so kann ich doch zumindest bei Daniel anfangen. Immerhin hasst er mich doch bestimmt und da werde ich auch nicht enttäuscht sein, wenn wir uns schlussendlich noch weiter hassen, oder? Also ist es eine Situation in der ich nichts zu verlieren habe. Das versuche ich mir zumindest einzureden, um eine rationale Basis für meine Entscheidung zu haben. Rational oder nicht, Ian scheint damit jedenfalls nicht allzu glücklich zu sein, denn er regt keine Miene. Dafür schweigt er immer noch. Was das Ganze auch nicht gerade besser macht. Ich stelle mir vor, dass in seinem Kopf jetzt mehrere Zahnräder losrattern müssen und ihm kleiner Dampf aus den Ohren quillt, weil ich einfach nicht glauben kann, dass Daniel ihn so kalt lässt. «Ich weiß wo er wohnt» erwidert er schließlich und ich ringe mir ein Lächeln ab. »Bringst du mich zu ihm?« Wieder schweigt er und wendet sich diesmal ab. Die Vorstellung muss ihm zuwider sein, aber ich starre immer noch auf seinen Hinterkopf und warte die Antwort ab. «Das muss ich ja fast.» kommt es schließlich geflüstert. »Danke.« Ich weiß, dass es ihn viel Überwindung kostet, ihn aufzusuchen, aber für mich wird er es tun. Wann bin ich mir der Sache so sicher geworden? Habe ich nicht eben noch an Ian gezweifelt? Vielleicht habe ich aber auch nicht an ihm gezweifelt, sondern an meinen Entscheidungsfähigkeiten? Denn ganz ehrlich, das mit Nick war eine blöde, nein, eine miserable, nein eine abgrundtief moralisch verwerfliche, ins Unglück führende, bescheuerte und auch blamable Entscheidung, die ich damals getroffen habe. Und irgendwie habe ich immer noch Angst vor den Konsequenzen, die deshalb auf mich lauern könnten. Nach dem Frühstück mustert mich Ian ernst, aber weil ich meinen Gedanken nachgehangen habe, bemerke ich es vermutlich erst viel zu spät. »Ist was?« frage ich vorsichtig. «Du solltest bei dir zuhause anrufen, es wird langsam Zeit, dass du...» Mehr höre ich nicht mehr, denn ich bin zu abgelenkt von der inneren Unruhe, die sich bei diesen Worten in mir ausgebreitet hat. Er will mich loswerden. Jetzt will er mich wirklich loswerden. Weil ich Daniel erwähnt habe, weil ich zu ihm will und weil er mitkommen soll. Ich habe ihn in eine Ecke gedrängt und jetzt muss er mich beseitigen. «Finn? Hey Finn, hörst du mir eigentlich zu?!» Er ist lauter geworden und hat mich damit in die Realität zurückgerufen. »Hä?« antwortet der geistreicher Philosoph in mir. Ich blinzle kurz um mich an Ians letzte Worte zu erinnern. »Ähm, ja, habe ich.. ich soll daheim anrufen..« murmle ich verstört und ernte dabei ein Seufzen. «Ich bin sicher, deine Eltern machen sich Sorgen.» »Hmm... ja, bestimmt..« Ich war davon absolut nicht überzeugt und offensichtlich konnte man mir das anhören. «Finn, das ist wichtig, du kannst nicht ewig hier bleiben.» Da war es. Ich soll gehen, er will mich loswerden! Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und ich sehe flehend zu Ian hoch. »Habe ich etwas getan..?« setze ich an. Aber ja, natürlich habe ich etwas getan, das er nicht wollte. Ich habe ihn abgewiesen, an seine Vergangenheit erinnert und will ihn jetzt auch noch damit konfrontieren. Meine Schneidezähne zermartern meine Unterlippe unbarmherzig. Ich Idiot, ich hätte es wissen sollen, was habe ich auch erwartet? Dass er freudestrahlend mit mir zu seinem Ex spaziert und wir einträchtig eine Tasse Tee zusammen trinken? «Finn?» Und dann lache ich, nicht fröhlich, sondern verzweifel. Und irgendwie weiß ich auch gar nicht mehr, wie ich damit aufhören soll. Alles, was ich weiß, ist, dass ich jetzt nicht weinen darf, auch wenn mir danach zu mute ist. Mit einem mal verstumme ich wieder und die Stille drückt unangenehm gegen mein Trommelfell. Was soll ich sagen? Soll ich mich entschuldigen? Ich hätte mich sofort für alles entschuldigt, das ich ihm je angetan habe und zukünftig antun könnte, aber ich brachte nur ein »Bitte, schick mich nicht zurück.« heraus. Meine Angst war zu groß, verstoßen zu werden. »Ich will bleiben.« flüstere ich. «...» Wieso sagt er denn nichts? Es ist lange still und nichts rührt sich, ehe ich höre wie Ians Stuhl über den Boden kratzt, als er zurückgeschoben wird. Schritte, und schließlich legt sich eine Hand auf meine Schulter. «Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Ich schicke dich nirgendwo hin. Wenn du mir vorher zugehört hättest, wüsstest du das.» Eine zweite Hand legt sich auf meinen Hinterkopf und zieht diesen an Ians Oberkörper. Er fühlt sich warm und beruhigend an und seine Finger graben sich in meine Haare und beginnen mich zärtlich zu streicheln. «Aber, du hast gesagt...» entgegne ich. »... dass es besser wäre, mit deinen Eltern Frieden zu schließen, weil es immerhin deine Eltern sind und weil dich die derzeitige Situation unglücklich macht. Außerdem komme ich mir wie ein Kidnapper vor, wenn niemand von deinen Verwandten weiß, dass du hier bist.« Ahh, richtig, so war das, Ian würde mir nie wehtun, er passt auf mich auf, nimmt mich in Schutz und treibt mich an. Ich kann nicht anders als zu lächeln und mich mehr an ihn zu schmiegen. Selbst als Ian erste Anstalten macht, sich wieder von mir zu lösen, halte ich ihn fest. «Noch nicht.» murmle ich nur und ernte ein amüsiertes Glucksen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, du stehst auf mich.« Dieser Macho, was bildet er sich nur immer ein? Aber immerhin hat er mich wieder zum Grinsen gebracht. «Idiot.» entgegne ich also auf diese schwere Anschuldigung. »Charmant wie eh und je.« «Das muss dein Einfluss sein.» kontere ich. «Danke.» »Sag das nicht immer, du machst mich verlegen, so toll bin ich nämlich gar nicht« «Da hast du recht.» »Hey!« Ich muss lachen, war mir wirklich eben noch zum Heulen zu mute? «Finn?» Ians Stimmung hat sich geändert, seine Stimme ist jetzt ruhiger und vibriert verführerisch, als er meinen Namen ausspricht, also höre ich auf zu lachen und sehe fragend hoch. »Ian?« Seine Mundwinkel zucken kurz, als hätte ich etwas komisches gemacht. Dann gleiten seine Fingerspitzen sanft über meine Wangen. «Ich glaube, du hast keine Ahnung wie großartig du bist.» Ich schnaube. »Ich dachte, jetzt kommt was Wichtiges, aber in Wirklichkeit verarscht du mich bloß.« «Siehst du? Ich wusste es.» Seine Stimme ist samtweich und ich will noch mehr davon hören, auch wenn es nur Blödsinn ist, oder etwas über das Wetter. »Aber...« setze ich also mal an und überlege dann noch, was ich weiter sagen soll, um ihn aus der Reserve zu locken, ehe ich promt enttäuscht werde, da Ian nur mit einem Schhh~ antwortet. Noch ehe ich deswegen eine beleidigte Miene aufsetzen kann, verschwindet die Enttäuschung, wird umschmeichelt, liebkost und aufgesaugt von Ians Lippen. Oh Gott! Ich bin im Himmel, für ganze zweieinhalb Sekunden, dann löst er sich wieder von mir. »Mistkerl.« flüstere ich. «Sorry, ich konnte mich gerade nicht zurückhalten und du hast..» Schon habe ich ihn an mich herangezogen und seine Worte, für die ich Sekunden zuvor noch einen Mord begangen hätte, nun meinerseits mit einem Kuss zum verstummen gebracht. Aber ich werde weggedrückt. «Aber, ich dachte...?» Er klingt so unheimlich verwirrt, aber ich kann nur daran denken, wie niedlich das ist. »Lass mich dich doch einfach küssen.« beschwere ich mich dann aber, weil der Kuss nun schon zum zweiten Mal gelöst wurde. Einen kurzen Moment scheint er nur noch verwirrter, dann ergreife ich jedoch wieder die Initiative und erinnere ihn daran, dass es jetzt wichtigeres gibt, als verwirrt zu sein. Seine feurige Erwiderung lässt mich darauf schließen, dass es mir gelungen ist. Er zieht mich vom Stuhl hoch, seine Wärme legt sich mit seinen Armen um mich, breite Hände streichen über meinen Rücken und ich kann spüren, wie ich unter den Berührungen erschauere. Dieser Kuss war um so vieles anders, als der vorherige. Er war leidenschaftlich, feucht, verlangend und hat es irgendwie geschafft, dass ich für einen ungewissen Zeitraum meine Körperbeherrschung verloren habe. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr wie genau es dazu gekommen ist, dass ich halbnackt auf Ian unter dem Küchentisch zu liegen gekommen bin, aber ich kann spüren, dass ich bei der Erinnerung daran rot werde. Dabei hat alles doch nur mit einem Kuss angefangen und es wäre auch noch weiter gegangen, hätte ich mir nicht den Kopf an besagtem Küchentisch angeschlagen. »Au..« Von Ian kommt nur ein dreckiges Lachen. Woraufhin ich eine Schnute ziehe und mich zu beschweren beginne, über die Höhe des Tisches, über die harten Materialien, die für Tische verwendet werden und noch so einiges mehr. Aber Ian hat schon längst aufgehört mir zuzuhören, die harten Materialien waren wohl sein Stichwort, denn er wälzt sich mit mir ein Stück über den Küchenboden und küsst mich, als würde es kein Morgen mehr geben. «Der Tisch ist nicht das einzige harte hier.« stellt er fest, als er mir in den Schritt greift. »Macho.« Wieder lacht er. «Diesmal kommst du mir nicht davon.» verspricht er mit verheißungsvoller Stimme. Wieso sollte ich das auch wollen? Ich lächle also vergnügt und genieße das Kribbeln, das er mir mit seinen Küssen, die immer weiter südlich wandern, durch den Körper jagt. Dann höre ich ein Seufzen, ein wohliges, zufriedenes Seufzen und erkenne erst dann, dass es von mir kommt. Ich bin glücklich, gerade eben, weil er da ist. »Ian.« Er gibt ein zufriedenes Brummen von sich und denkt gar nicht daran seine Lippen von meiner Haut zu lösen. Meine Hand findet ihren Weg zu seinen Haaren und streicht sanft hindurch. »Musst du nicht in die Schule?« Jetzt sieht er doch auf. «Als ob mich das jetzt abhalten könnte.» Ich grinse zufrieden. »Ich weiß, aber du solltest gehen.« Jetzt hält er wirklich inne und mustert mich aus einer Mischung von Verständnislosigkeit und Betroffenheit. «War... es nicht... gut?« Ich kann nicht anders als loszuprusten bei diesen Worten. Es ist doch einfach zu komisch, finde ich. Dann beuge ich mich jedoch vor und lege meine Arme in Ians Nacken. »Es fühlt sich großartig an.« versichere ich ihm. »Aber es geht zu schnell.« Einen Moment lang mustere ich ihn, um zu sehen, ob er verstanden hat, ob er weiß, dass ich Zeit brauche, um das mit Nick zu verarbeiten und seine Geschichte. Meine Gefühle fahren Achterbahn und auch, wenn ich mir sicher bin, dass Ian mir wichtig ist und dass er mir nicht wehtun würde, wäre es ihm gegenüber unfair, sich jetzt in eine Beziehung zu stürzen. Falls das überhaupt der Fall wäre. Es gibt zu viel, das ich vorher noch zu klären habe. Trotzdem war er enttäuscht, natürlich war er das und auch ein wenig beleidigt, glaube ich. Ian hat kaum noch etwas gesagt. Vielleicht fühlt er sich verarscht, vielleicht fragt er sich auch, wie alles so schnell gehen konnte und vielleicht denkt er ebenfalls, dass es zu schnell war. Ich weiß es nicht und fragen kann ich ihn jetzt auch nicht mehr, weil er doch noch in die Schule gegangen ist und ich wieder mal allein zurückgeblieben bin. Kapitel 14: Nick ---------------- Hallo Leute! Ja, ich war schreibfaul in letzter Zeit und zwischendurch hab ich auch meine Fanfiction vergessen, zugegeben, aber jetzt wo der Maturastress hinter mir liegt und ich nen kleinen virutellen Tritt in den Arsch gekriegt habe, gibts endlich ein neues Kapitel! x3 Ich hoffe nur, ich bin dabei nicht zu sehr eingerostet. ^^° Na, jedenfalls möchte ich dieses Kapitel derjenigen widmen, die mit ihrer mentalen Schuhspitze gehörig nachgeholfen hat, dass ich weiter schreibe. Also ein großes Danke an und ich hoffe, es hat sich für dich gelohnt! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die ernüchternde Realität breitet sich wie die Stille im Haus aus, die Ian hinterlassen hatte. Am liebsten wäre ich ihm in die Schule geflogt, trotz all der Blicke und dem Tuscheln und natürlich auch dem Verbot. Naja.. zugegeben, ein kleiner Teil von mir sträubte sich auch dagegen und hämmerte mir hartnäckig die Frage ins Gewissen, wie ich wohl auf Nick reagieren sollte, wenn ich tatsächlich in die Schule zurückkehre. Ich wusste, dass sein Unterricht für mich in Zukunft eine Qual sein würde. Allein die Vorstellung, ihn eine ganze Stunde lang – am Freitag waren es sogar zwei – anstarren und zuhörene zu müssen, war unterträglich. Wieso kann ich auch nicht mit Ian in einer Klasse sein? Der Gedanke neben ihm zu sitzen und ihm heimlich übers Bein zu streichen, um ihn vom Unterricht abzulenken, hatte durchaus etwas sehr Verführerisches an sich und es kribbelt jetzt bereits angenehm in meinen Fingern, als ich es mir nur vorstelle. Und dann in der Pause..? Da würde ich ihn dann heimlich in eine ungestörte Ecke zerren und ihn wild und hemmunglos küssen, dass er gar nicht wüsste wie ihm geschieht. Genau, das würde ich tun und dann würde er mich wieder so verwirrt ansehen wie vorhin. Oder er würde mir wieder einen seiner leidenschaftlichen Blicke zuwerfen und seine Hände begierig fordernd über meinen Körper wandern lassen. Bei dem Gedanken muss ich erst mal schlucken. Vielleicht war es ja doch nicht so ratsam, ihn in der Schule zu küssen, wer weiß da schon, wo sie dann enden würden? Nein, ich kann mir wirklich etwas Schöneres vorstellen, als Sex auf dem Schülerklo zu haben. Aber trotzdem reifen meine Vorstellungen immer weiter, malen sich Ians nackten Oberkörper aus und ergänzen die Nacktheit schließlich auch an eher südlicheren Regionen seines Körpers. Oh Gott.. stopp, sofort! Mein Blut scheint sich nicht entscheiden zu können, ob es sich lieber in meinem Gesicht oder in meinen Lenden ansammeln will. Auf jeden Fall ist mir jetzt jedoch ziemlich heiß, mehr als ziemlich heiß, um genau zu sein, meine Ohren rauschen und meine Haut erinnert sich sofort wieder an alle erst kürzlich ausgetauschten Berührungen. Trotzdem muss ich mich zurück in die Wirklichkeit rufen. Sind Ian und ich denn jetzt ein Paar? Ist das, was ich für ihn empfinde, denn wirklich Liebe, oder klammere ich mich vielleicht nur an ihn, weil ich irgendjemanden, egal wen, brauche, der jetzt für mich da ist? Bei diesem Gedanken fühle ich mich denkbar schlecht. Es liegt nicht in meiner Absicht, Ian zu verletzen, zumindest nicht, nach dem ganzen Gerede. Im Inneren konnte ich spüren, dass ich ihm immer noch vertaue, dass ich ihm glaube und, dass er einer dieser wenigen Menschen ist, die ich in meiner Nähe haben will. Aber ein Teil von mir, vielleicht der erhitzte Teil, der nach ihm verlangt, spielt mir auch manchmal Streiche, wenn er sich mit meinem Gehirn zusammentut und mir vorgaukelt, Nicks Berührunge zu fühlen. Zwar war das nicht so, als Ian noch bei mir war, aber in der Erinnerung fällt es mir schwer, die beiden Eindrücke außeinander zu halten. Es geht immer noch alles so schnell. Daber kenne ich ihn wie lange? Drei Tage? Zugegeben, er hatte einen gewissen Vorsprung, aber richtig kannte er mich auch nicht. Daher fasste ich einen Entschluss, schon am Vortag, als ich beschlossen hatte Daniel kennen lernen zu wollen. Ich muss noch einmal mit Nick reden, mit Nick und mit meinen Eltern, zumindest, wenn das mit Ian klappen soll. Das mit Ian, klingt schon irgendwie komisch in meinen Gedanken. Es fällt mir immer noch schwer, es zu benennen. Was ist es schon? Geflirte? Freundschaft? Kameradschaft? Vielleicht ja auch eine flüchtige Leidenschaft... So genau weiß ich es eben nicht und was Ian sich dazu denkt, ob er sich überhaupt Gedanken dazu macht, weiß ich ebenso wenig. Trotzdem habe ich mein Ziel klar vor Augen: Nick. Ganz sicher bin ich mir nicht, ob es etwas bringen wird, mit ihm zu reden, ob er denn überhaupt dazu bereit wäre mit mir zu reden. Außerdem, wie sollte ich ihn kontaktieren? Sein Handy war mittlerweile schrottreif, in die Schule gehen darf ich nicht mehr und zu Nicks Wohnung zu gehen...? Dazu fehlt mir der Mut. Mist.. Ausflüchte, ich verliere mich in Ausflüchten. Dabei muss ich ihn doch nur aufsuchen und sagen »Hey Nick, wie geht’s deinem Auge? Du sag mal, die Sache mit uns, können wir nicht mal drüber reden, wie das alles gelaufen ist und so? Ach und richte Emma einen schönen Gruß von mir aus.« oder etwas in der Art. Ich muss mir erst mal durch die Haare fahren und mich wieder darauf besinnen, was ich vorhabe. Dabei schließen sich auch ganz automatisch meine Augen und ein bisschen von der Atemtechnik kommt wieder durch. Schlussendlich konnte ich das Problem jedoch nicht lösen. Denn mittlerweile weiß ich leider, dass der einzige Weg, Nick zu kontaktieren entweder über Ian laufen muss, oder aber ganz klar von Nicks Haus abhängt, dem Haus in dem auch seine Frau und die beiden Kinder wohnen. Nun gut.. möglilchweisen sind die ja immer noch weg. Hoffentlich, obwohl ich natürlich auch nicht mit ihm allein sein will. Eine Möglichkeit wäre es noch, ihm einfach heimlich einen Brief in den Briefkasten zu werfen, dann müsste ich ihn nicht sehen. Aber das ändert immer noch nichts daran, dass er mir wohl kaum darauf antworten kann. Das ist wahrliche ein Dilemma. Wieso bin ich verfluchter Idiot auch nur in den verdammten See gesprungen? Ein paar Minuten weiteres Hin und Hers und ich hatte es schließlich geschafft, mir meine Jacke und Schuhe anzuziehen. Jetzt oder nie, dachte ich mir. Ich will keine weiteren Rückschläge mehr, ich will Klarheit und einen Schlussstrich und am liebsten hätte ich auch meine ganzen verdammten vergeudeten, Gefühle zurück. Auf dem Weg zu Nick denke ich über vieles nach, über ihn und mich, über Ian, das was er gesagt hat, dass er mich bewundert. Ich denke auch an Daniel, zumindest ein bisschen, aber auch nur, weil er der nächste auf meiner Liste der Leute ist, mit denen ich reden sollte. Meine Eltern halte ich mir dafür lieber bis zum Schluss auf, damit sie genug Zeit haben, ihre ganze unsinnige Wut erst verrauchen zu lassen. So mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, ist mir gar nicht aufgefallen, wie weit ich schon gekommen war. Nur noch ein paar Meter, das wusste ich, und ich war vor der vertrauten Tür. Meine Nervosität stieg mit einem Mal rapide an. Das Hämmern meines Herzens tat mir schon fast in der Brust weh, aber ich würde jetzt nicht kneifen. Bestimmt nicht! Mit geballten Fäusten sammle ich mein letztes Bisschen Mut zusammen und betätige die Klingel. Oh bitte lieber Gott, mach, dass ich das überstehe. Eigentlich bin ich ja kein sehr religiöser Typ, aber wenn man schon verzweifelt ist, kann es ja nicht schaden, oder? Jedenfalls war das Warten unerträglich und noch schlimmer war, dass es sich wie eine zähflüssige Masse in die Länge zog, ohne, dass irgendetwas geschah. Ich hatte damit gerechnet, insgeheim sogar gehofft, dass er noch in der Schule sein würde, aber jetzt, wo ich vor seinem Haus stand, wollte ich die Sache einfach nur noch hinter mich bringen. Vom Ehrgeiz gepackt, gerade jetzt nicht locker zu lassen, sehe ich mich nach möglichen Schlüsselverstecken um. Vielleicht ist es ja auch ein dummer Gedanke von mir, ihm in seinem Reich auflauern zu wollen, aber hier draußen zu warten, wo ich von allen gesehen werden kann, will ich nun mal noch weniger. Nach einiger Suche, unter der Türmatte und einigen Topfpflanzen, finde ich den Schlüssel schließlich im Hohlraum einer Keramikfroschfigur, die eines der Beete beahuste. Entschlossen sperre ich auf und trete ins Innere. Noch nie habe ich mich so unwohl an einem Ort gefühlt, wie an diesem gerade. Nicht einmal an dem Augenblick, als ich allein in Ians Haus war, oder als Nick mit mir Schluss gemacht hat. Denn jetzt fühle ich mich nicht nur unerwünscht, sondern spüre auch, dass es etwas Verbotenes ist, das ich tue, dass ich mich ihm aufdränge und jedes Recht darauf werloren habe, hier zu sein. Auch Ian würde es sicher nicht gutheißen, wenn er wüsste, was ich gerade mache, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Nick ebenfalls nur wenig erfreut sein wird, wenn er mich sieht. Aber was nützt es auch, wenn ich mir jetzt das Hirn deswegen zermartere? Mein Entschluss steht fest. Wenn das Warten nur nicht so lange dauern würde... Ich versuche mich mit allerlei Dingen abzulenken, indem ich mich im Haus umsehe oder versuche in einem Buch von ihm zu lesen. Schlussendlcih jedoch kann ich mich auf nichts besonders konzentrieren, weil meine Ohren immer zur Tür hin lauschen, bereit, mich vor jedem Besucher zu warnen. Eine halbe Ewigkeit schien meine Ruhelosigkeit nun schon anzudauern, aber dann tat sich etwas. Ich bin mir erst nicht ganz sicher, ob ich das Geräusch richtig deute, aber es war tatsächlich ein Schlüssel der sich im Schloss der Tür dreht. Mit einem Klicken gibt diese auch allzubald nach und Nick tritt ein. Der Nick, der mein Lehrer ist, mein Liebhaber, meint Vertrauter, mein Ex, meine größte Enttäuschung. Beim ersten Anzeichen eines Geräusches konnte ich nicht länger still sitzen bleiben, so stand ich auf und gehe nun auf ihn zu. »Hallo Nick.« versuche ich vorsichtig seine Aufmerksamkeit auf mich zu richten und starre direkt in seine überraschten Augen. «Finn? Wie kommst du denn hier rein?» Eine logische Frage, wohl das erste, das ihm in den Sinn gekommen ist und es deshalb nicht zurückhalten konnte. Also hebe ich den Schlüssel hoch. »Mit dem Frosch.« erkläre ich und merke dann auch gleich, dass Nick sich wieder gesammelt hat. «Finn, heißt das, du bist zu mir zurückgekommen?» Ich lasse den Schlüssel wieder sinken und lege ihn auf den Tisch ab. Zu ihm zurückgekommen? Natürlich, genau das muss er wohl erwarten, denke ich sarkastisch, schüttle jedoch nur den Kopf. »Nicht ganz... ich.. wollte reden, weißt du.« versuche ich zu erklären. »Und einen Schlussstrich ziehen, oder so.« murmle ich etwas unsicher. Nein, ich war mir jetzt gar nicht mehr so sicher was ich wollte. Vor einer Sekunde war doch alles noch da, aber jetzt starrt mich dieser Mann, dieser leidenschaftliche Mann, der meinen Körper besser kannte als jeder andere, der vielleicht auch mein Wesen besser verstand als jeder andere, einfach nur an. Ich darf nicht schwach werden, rede ich mir ein. Stark bleiben! Gib den Erinnerungen nicht nach! «Reden also.. » Nick war näher gekommen und jetzt setzte er sich gemütlich auf die Couch. Einfach so hatte er hingenommen, dass ich, Finn, einer seiner Schüler, in seinem Haus aufgetaucht war, dass ich sogar genaugenommen eingebrochen bin. »Ja.. reden.. « «Gut.. über was denn?» Es ist die schleppenste Unterhaltung, die ich je geführt habe. Anscheinend will keiner von uns mit dem Thema anrücken, ich nicht, weil es mir unangenehm ist und ich mich schäme und er nicht, weil.. nun, vermutlich genießt er es sogar, dass ich noch zapple und nicht sprechen kann und das allse nur, weil er mich einschüchtert. Ian, ich denke an Ian. Bei ihm habe ich es geschafft, mich zu streiten, er hat mich unterstützt auf seine Weise und diese Unterstützung spüre ich ihmmer noch. Ich versuche daraus Kraft zu schöpfen und endlich aufzuhören ein Feigling zu sein. »Sei ehrlich zu mir.« Ich fixiere ihn mit festem Blick. Bloß nicht wegsehen, oder du hast verloren, rede ich mir innerlich zu. »In all der Zeit, in der wir zusammen waren, habe ich dir da auch nur ein bisschen was bedeutet?« In meinem Hals bildtet sich nun langsam aber sicher ein fester Kloß und ich bin froh, dass ich jetzt nicht mehr mit Sprechen an der Reihe bin. Eine ganze Weile lang schweigen wir beide. Ich glaube Nick überlegt was er sagen soll, oder vielleicht auch nur wie. Es ist möglich, dass er Angst davor hat, mich zu kränken, weil ich diesemal zur Schule gehen könnte und ihn beim Direktor melden. Wenn er mich jedoch auch nur ein kleines bisschen kennen würde, wüsste er, dass ich das nie tun würde. Schließlich war ich feiwillig mit ihm zusammen, ich habe es ja sogar darauf angelegt. Dann öffnen sich Nicks Lippen und endlich beginnt er zu sprechen. «Wenn es nicht so wäre, hätte ich nie so viel riskiert.» Ich nicke, aber trotzdem kann ich kein Gefühl aus der Antwort heraushören. Vielleicht lügt er auch, aber er hat sich für diese Antwort entschieden und daran ändert sich nichts. »Vermutlich..« ich muss schlucken, um meine Stimme zu behalten. ».. war es dann einfach nicht.. genug.« «...» «Vermutlich.» Ich versuche mich an einem Lächeln, aber ich fürchte, es misslingt mir ziemlich. Eines weiß ich jedoch genau, lange würde ich dieses Gespräch nicht mehr durchhalten. Es ist jetzt schon schwer genug, meinen Lehrer ansehen zu müssen. »Du solltest.. dich besser um deine.. Familie kümmern und dich nicht mehr.. an deinen Schülern vergreifen.« Meine letzte Willensstärke mobilisierend stehe ich wieder auf. Ich muss hier raus, ich muss das Haus verlassen, ich muss ihn verlassen, ich darf nicht mehr zurückblicken, zumindest nicht bis ich nicht mindestens 58 bin, Ansätze eine Glatze aufweise und einen Partner habe, der mit mir Sachen macht, das alte Leute eben machen. Vielleicht wäre es dann wieder okay an die Zeit mit ihm zu denken. Das Haus liegt nun schon wieder ein ganzes Stück weit hinter mir. Ich habe keine Ahnung ob Nick noch etwas gesagt hat, als ich mich zum Gehen wandte, falls ja, habe ich es wohl gekonnt verdrängt. Das Einzige, das für mich zählt, ist, dass ich mit dem fertig war, das ich sagen und wissen wollte, aber wirklich besser geht es mir trotzdem nicht. Allerdings ist auch das nur eine Frage der Zeit und zwar von ungefähr 25 Minuten, denn länger würde es nicht dauern bis ich wieder bei Ian bin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)