Die Legende vom Avatar von NarutoNinja ================================================================================ Kapitel 13: ------------ Sie hatten Angst, auch wenn sie sich nicht trauten es sich gegenseitig einzugestehen. Der gegenseitige Respekt, der sie miteinander verband, verbot es ihnen, sich gegenseitig auf ihre schlotternden Knie aufmerksam zu machen. Doch irgendwann ertrugen sie die Stille nicht mehr, die sie umgab. „Glaubst du, dass die Geschichten wahr sind?“, fragte der Mann mit dem Umfang einer Bohnenstange. „Das will ich nicht wissen“, entgegnete ein wahrer Brocken neben ihm, der sich ängstlich an einen langen Stab klammerte. „Es heißt, hier würde ein Geist wüten … Und er hat was gegen Menschen. Außerdem hört man hier seit längerem Tag und Nachts seltsame Geräusche … Es heißt, die Toten würden jetzt sogar am Tage wandeln … Wir sollten besser umkehren.“ Verängstigt begann die Bohnenstange an ihren Fingernägeln zu kauen. „Sicher ist sicher. Wir können den langen Weg nehmen.“ „Du … du wolltest unbedingt diesen Weg nehmen.“ „Ja, aber jetzt will ich lieber einen anderen Weg nehmen.“ Ein dumpfer Schlag erfüllte die Luft. Den Wanderern gefror das Blut in den Adern. „Hast … hast du das auch gehört? Das war der Geist!“ „Es ist noch Tag“, versuchte der Brocken ihn zu beruhigen, doch seine Stimme zitterte. „Dann sind es die Toten. Oh, ich wusste, dass das Loch im Boden eben kein gutes Zeichen war!“ Etwas krachte, ganz in ihrer Nähe. Ein schmerzendes Heulen zerfetzte die Luft. Die beiden Wanderer sahen sich an, dann war von ihnen nur noch eine Staubwolke zu sehen. Nicht weit von der Stelle wo sie gewesen waren entfernt, nur etwas weiter über ihnen auf einem kleinen Plateau, versuchte ein junger Mann verzweifelt sich Gehör zu verschaffen. „Jetzt halt endlich still! Hörst du nicht? Hör auf damit! … Anyu!“ Warnend stampfte er mit dem Fuß auf, was ein kleines Beben auslöste. Doch es brachte ihm keine Ruhe. Jaulend wie am Spieß, als wolle sie jemand aufspießen, wälzte sich eine sehr große, weiße Wolfsbärin im Staub herum, kläffte und fiepte und trat mit ihren gewaltigen Pranken um sich, so dass es ihm unmöglich war sich ihr gefahrlos zu nähern. „Oh, bei allen Geistern!“ Jetzt reichte es ihm. Er trat einmal kräftig auf den Boden, überkreuzte die Arme und plötzlich fand sich die klagende Anyu in einer felsigen Zwangsjacke wieder, die es ihr unmöglich machte mit ihrem Theater fortzufahren. „Du bist eine furchtbare Memme, weißt du das? Du bist eine große, flauschige Riesenmemme! Hier.“ Entschlossen trat Kenai auf ihre Hinterpranke zu, spannte seine Muskeln an und zog einen winzig kleinen Dornen aus ihrem Lauf, den er ihr tadelnd vor die Schnauze hielt. „Das ist alles. Und deswegen machst du den ganzen Aufstand?“ Mit einer lässigen Handbewegung ließ er die Steinplatten wieder im Boden versinken. Im nächsten Moment wurde er unter der Last der Wolfsbärin begraben. Eine lange, feuchte Zunge schleckte ihm übers Gesicht, ihr Schwanz klatschte begeistert wedelnd auf dem Boden hin und her. „Hey, hey, hey!“ Er lachte. „Ist ja gut! Ich hab dich ja auch … urgh … lieb.“ Vor lauter Begeisterung merkte Anyu nicht, dass sie ihm mit ihrer wuchtigen Pranke die Luft abschnitt. Verzweifelt versuchte er darauf aufmerksam zu machen, doch sie schleckte begeistert weiter. Erst als sie sich wunderte, warum er so plötzlich eine so komisch blaue Gesichtsfarbe bekam, ließ sie von ihm ab und setzte sich unschuldig auf ihre Hinterbeine. Einen Moment japste Kenai verzweifelt nach Luft, dann wurde er langsam wieder klar im Kopf. Hustend stemmte er sich in die Höhe. „Himmel bist du schwer. Was hast du gefressen. Einen ganzen Dachsmaulwurf?“ Sie gab ein lautes Bellen von sich. Grinsend stand Kenai auf. „Ich verstehe schon. Du hast wieder den Honig geplündert und dir dabei denn Splitter eingefangen. Mana hat recht. Du bist wirklich ungezogen. Von wem hast du das nur? … Wehe du schaust mich jetzt an.“ Sofort blickte Anyu in die andere Richtung, wackelte jedoch belustigt mit dem Schwanz. Plötzlich spitzte sie ihre Ohren. Ein leises, drohendes Knurren entrann ihrer Kehle. „Was ist los?“ Fragend folgte er ihrem Blick. Schwarzer Rauch schlängelte sich in weiter Ferne unheilvoll dem Himmel entgegen. Sein Magen verkrampfte sich. „Nicht schon wieder.“ In letzter Zeit vermehrten sich diese Bilder. Irgendetwas ging da draußen vor sich und er hatte kein gutes Gefühl dabei. In ihm war wieder eine innere Unruhe erwacht, ähnlich der, die ihn damals dazu verleitet hatte seine Heimat zu verlassen. Mit kummervollem Blick fasste er sich an seine Brust. Er konnte es wieder spüren, dieses drängende Ziehen. Zuerst hatte er es kaum wahrgenommen, doch nun begann es wieder stärker zu werden. Die Unruhe, die ihn erfasst hatte, lastete von Tag zu Tag schwerer auf ihm. Anyu bemerkte seinen Kummer und rieb aufmunternd ihre Schnauze an seine Wange. Energisch schüttelte er den Kopf und trat einmal kräftig auf den Boden auf, wo sich ein breiter Schacht öffnete. Er war mittlerweile richtig gut geworden. Das Erdbändigen ging ihm beinahe genauso leicht von der Hand wie das Wasserbändigen und er konnte sich kaum noch ein Leben ohne vorstellen. Es war in den Bergen einfach unglaublich praktisch. Es gab nur eine Sache die ihn betrübte. „Mana?“, fragte er, als er ihre kleine Höhlengruppe erreichte. Der Dachsmaulwurf war mittlerweile erwachsen und lebte längst sein eigenes Leben, doch Mana hatte sich bereits Ersatz beschaffen. Drei kleine Echsen kuschelten sich vor dem lodernden Feuer zusammen, ohne sich am Gestank von Manas Lieblingsessen zu stören, das sie mal wieder kochte. Eigentlich kochte sie immer nur das gleiche. Bisher hatte Kenai noch nicht den Mut dazu aufbringen können sie zu fragen, was sie da eigentlich genau fabrizierte. Er hatte Angst davor das es sein Magen nicht überleben würde, sobald er es wusste. „Was gibt es, Grünschnabel?“ „Draußen steigt schon wieder Rauch auf. Ich mache mir langsam Sorgen.“ „Dort draußen gibt es nichts, worüber du dir Sorgen machen musst. Hier bist du sicher.“ „Ich mache mir nicht um meinetwillen Sorgen.“ Prompt hörte Mana auf ihre Suppe umzurühren. „Denkst du an deine Leute? Sie sind immer noch nicht aufgetaucht. Machst du dir Sorgen, dass der Rauch etwas mit ihnen zu tun hat?“ „Nein … Nicht wirklich.“ Er hatte kurz daran gedacht, doch dann war ihm etwas anderes in den Sinn gekommen. Etwas, was er bereits vergessen geglaubt hatte. „Ehrlich gesagt muss ich an ein kleines Dorf denken, das von Feuerbändigern zerstört worden ist, ohne den Einwohnern auch nur die Chance zum Überleben zu geben.“ Er schwieg. Vor seinem geistigen Auge sah er sich selber, fassungslos vor den Trümmern eines Dorfes stehend, wo kein Leben sich mehr regte. Kenai schloss die Augen. Stille legte sich über sie. Er hörte das prasseln des Feuers, roch den Gestank der Suppe, fühlte die Wärme auf seiner Haut und hörte eine Stimme, tief in sich drinnen, die nach ihm rief. Er erwartete, dass Mana etwas sagte, doch sie hatte ihm schweigend den Rücken zugewandt. „Ich muss gehen.“ Sie sagte nichts. „Du hast mir beigebracht, dass ein Erdbändiger sich in Geduld üben und auf den richtigen Augenblick warten muss. Ich glaube, dass dieser Augenblick gekommen ist. Ich spüre es, tief in mir drinnen. Ich höre wieder diese Stimme die mir sagt, dass ich gehen muss. Ich spüre wieder genau dasselbe ziehen wie damals.“ Mit schwerer Stimme fasste er sich an die Brust. Hoffnungsvoll sah er Mana an, die sich immer noch nicht rührte. „Verstehst du das?“ „Und was willst du tun?“, fragte sie schließlich, nach einer schier endlosen Zeit des Schweigens. „Ich weiß es nicht … Du hast mir gesagt, dass ich anders bin. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Vielleicht gibt es da draußen noch andere wie mich, die sich irgendwo verstecken und wenn es sie nicht gibt, dann … dann muss ich herausfinden, warum ich anders bin. Ich habe viele Fragen, auf die ich hier keine Antworten finde. Du hast mir alles beigebracht was du weißt, du hast mir Unterschlupf gewährt, du hast dich um mich gekümmert. Ich weiß nicht, wie ich mich dafür erkenntlich zeigen kann, aber ich danke dir für alles.“ Mit diesen Worten kniete er vor ihr nieder. Er wartete, doch nichts rührte sich mit Ausnahme der Echsen, die ihn neugierig beäugten. Langsam hob er seinen Kopf. Mana sah ihn an. Sie zitterte, die Augen gefüllt mit Tränen, die ihr über die faltige Haut kullerten. „Mana will nicht, dass du gehst“, sagte sie, doch dann holte sie einige Male tief Luft, um ihre Fassung wieder zu erlangen. „Aber Mana versteht.“ Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn fest. So fest, dass seine Knochen gefährlich knackten. Als Kenai am nächsten Morgen aufbrechen wollte, war Mana fort. Sie hatte ihm nichts hinterlassen außer einem Sack voller Proviant, der, zu seiner eigenen Überraschung, nicht nach verdorbenem Fleisch roch. Er lächelte. Wenig später trat er mit Anyu ins Freie hinaus. Die Sonne stand noch tief am Himmel, doch ihre ersten Strahlen flutete das Land in goldenes Licht. „Sieh dich gut um, Anyu“, sagte er und streichelte ihr über das seidige Fell. „Wir werden eine ganze Weile nicht mehr hier her zurück kommen … Na ja. Nicht mein erster Abschied.“ Er warf noch einen letzten Blick über die Schulter, dann kletterte er auf Anyus kräftigen Rücken. „Lass uns gehen.“ Mit einem Satz sprang sie einen Abhang hinunter. Der Wald war totenstill. Nichts rührte sich. Kein Wind ließ die braunen Blätter der Bäume rascheln, kein Plätschern eines Flusses oder eines Baches erfüllte die Luft, kein Laut irgendwelcher Art drang an seine Ohren, während Kenai, auf Anyu reitend, eine schmale Lichtung entlang eilte. Er konnte noch nicht einmal Anyus Pfoten beim Auftreten hören und das, obwohl sie mit ihren gewaltigen Pranken nicht gerade schleichen konnte. Ein seltsamer Schleier schien sich vor seine Augen gelegt zu haben. Die Welt wirkte irgendwie trübe und blass, als würde irgendetwas seinen Blick auf sie verklären wollen. Ist das Rauch?, fragte er sich und sog scharf die Luft ein, doch sie roch kaum anders als er es von den Bergen her gewohnt war. „Kannst du etwas schneller laufen, Anyu?“, bat er sie und festigte seinen Griff um ihr strahlendweißes Fell. Seine Stimme klang merkwürdig fehl an diesem Ort, beinahe so, als würde die Stille selbst sie dafür Hassen sie zu stören. Ihm sträubten sich die Nackenhaare. „Ich will nur wissen, woher der Rauch kommt und danach verschwinden wir von hier, einverstanden?“ Anyu stieß ein leises, zustimmendes Fiepen aus, dann trieb sie sich selbst zur Eile an. Trotz ihrer eleganten Masse, halb Bär, halb Wolf, preschte sie gewandt durch den Wald. Ihre Pranken flogen förmlich über die Erde hinweg, schienen diese kaum zu berühren, beinahe sie als würde sie fliegen. Zweige schlugen Kenai ins Gesicht, verfingen sich in seinen Haaren und brachen mit einem lauten Knirschen, der ihn jedes Mal krampfhaft zusammenzucken ließ. Angespannt beugte er sich näher an Anyu heran, die einen gewaltigen Satz machte und über einen plötzlich aufgetauchten Bach sprang. Während sie darüber hinwegzufliegen schien, warf Kenai einen kurzen Blick nach unten und spürte, wie ein eisiger Dolch sein Innerstes zu durchbohren schien. Anyu landete auf dem Boden und preschte ins dichte Unterholz hinein, doch Kenai blickte über seine Schulter zurück, die Augen vor Entsetzen geweitet. Hatte er sich das nur eingebildet, oder war der Fluss tatsächlich rot gewesen? Plötzlich verlangsamte Anyu ihren Schritt. Mit angelegten Ohren und gesenktem Kopf trottete sie leise aus dem Wald heraus und betrat eine Klippe, von der aus man den Blick auf ein kleines Tal hatte. Rauch stieg in zahlreichen, schwarze Fäden auf, die sich unheilvoll in den Himmel schlängelten. Qualm brannte in ihren Augen. Betrübt stieg Kenai von Anyus Rücken und trat näher an den Abhang heran. Er konnte nur noch die brennenden Überreste einer zerstörten Siedlung erkennen. Plötzlich bebte die Erde unter seinen Füßen. Er wirbelte herum, genau in dem Moment, als eine gigantische Steinplatte auf ihn zuraste. Er riss die Arme hoch, doch es war bereits zu spät. Sie traf ihn mit voller Wucht und schob ihn nach hinten, gefährlich nahe an den Abgrund heran. Kenai stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Tiefe Furchen gruben sich in die Erde hinein, doch er schaffte es im letzten Moment die Steinplatte zu stoppen. Er seufzte erleichtert, dann gab er der Platte einen kräftigen Stoß und schickte sie dahin zurück, woher sie gekommen war. Neben ihm schaute Anyu immer noch zum Dorf hinunter, ohne sich darum zu kümmern was um sie herum geschah. „Hey!“, rief Kenai in den Wald hinein. „Was sollte das?“ Im ersten Augenblick rührte sich nichts, doch dann traten vier Gestalten auf ihn zu. Einer von ihnen, ein braun gebrannter Wuschelkopf, hob entschuldigend die Hände in die Luft. „‘Tschuldigung, ‘tschuldigung. Mein Fehler. Wir dachten, du wärst der Feind. Aber du bist ein Erdbändiger, also bist du einer von uns.“ Kenai sagte nichts. Der Mann trat an seine Seite, wobei er einen respektablen Abstand zu Anyu hielt, die von seinen Gefährten misstrauisch beäugt wurde. „Weißt du, wer das gewesen ist?“ „Nein. Ich bin gerade erst gekommen.“ „Tsss. Das nimmt in letzter Zeit wirklich zu.“ Frustriert rieb sich der Mann den Nacken. „Ich bin Tuk.“ „Kenai.“ „Kenai? Was ist das denn für ein Name? Woher kommst du?“ „Ähm …“ Das war nicht gut. „Ähm … Ich komme aus den Bergen. Ich habe dort eine Weile trainiert.“ „Ja, das riecht man. Nichts für ungut, aber du stinkst im Himmel.“ Mit gerunzelter Stirn hob Kenai einen Arm und schnüffelte an seiner Achsel. Ehe sich Kenai versah, befand er sich plötzlich in Tuks Dorf, umringt von einer Horde von älteren Damen, die ihn in einen Zuber eiskalten Wassers gesteckt hatten und ihn nun ordentlich von oben bis unten durchschrubbten. Eine von ihnen kümmerte sich um sein verfilztes und mittlerweile viel zu lange Haar, das um einiges gekürzt werden musste, eine andere betrachtete seine stinkende, verdreckte und an vielen Stellen aufgerissene Kleidung, verzog das Gesicht und warf sie achtlos auf den Boden. Daraufhin verschwand sie und kam erst dann wieder, als die anderen Frauen beschlossen, dass Kenai wieder vorzeigefähig war. Sie legte ihm frische Kleidung neben den Zuber, lächelte ihn an und scheuchte die anderen von dannen. Kenai sah ihnen nach. Kurze Zeit später zog er sich an. Er schämte sich plötzlich ein wenig. Er musste wirklich entsetzlich gestunken haben. Seit er von seinen Leuten getrennt worden war, hatte er keine frische Kleidung mehr getragen, ganz zu schweigen davon, dass er sich wirklich hatte gehen lassen. Er fühlte sich beinahe wie neu geboren, als er, endlich, in neuer Frische unter dem rötlich gefärbten Himmel stand, die letzten Strahlen der Abendsonne genoss und in nicht allzu weiter Ferne längst vergessene Geräusche hörte. In den Bergen hatte es nur ihn und Mana gegeben, jetzt drangen von allen Seiten Stimmen an sein Ohr. Die Frauen des Dorfes, die sich um ihn gekümmert hatten, standen vor ihren Holzhütten und unterhielten sich, manche leise, als fürchteten sie sich belauscht zu werden, andere so laut, dass man davor Angst haben konnte. Kleine Kinder hatten sich hinter einer Hütte versteckt und beobachteten Anyu, die etwas außerhalb unter einem Baum lag und tat, als würde sie schlafen. Ein kleines Mädchen nahm all ihren Mut zusammen und marschierte entschlossen auf die Wolfsbärin zu, doch als diese plötzlich auf die Beinen sprang, eilte sie erschrocken zu ihren Freunden zurück, die sie damit aufzogen. Kaum hatte sich Anyu wieder hingelegt, versuchte ein Junge sein Glück, doch seine Beine zitterten wie Espenlaub. Einige Alte saßen um ein Lagerfeuer herum und kümmerten sich um das Essen, dessen Geruch ihm in die Nase stieg. Er hätte sich beinahe heimisch fühlen können, wenn nicht eine seltsame Schwere in der Luft gehangen hätte. Energisch schüttelte Kenai den Kopf. Er war zum ersten Mal seit langem wieder unter Menschen. Er wollte diesen Moment genießen und sich nicht von irgendwelchen dunklen Gedanken ablenken lassen. „Oh, sie passen!“ Die Frau, die ihm die Sachen herausgelegt hatte, trat strahlend auf ihn zu und betrachtete ihn von allen Seiten. „Wusste ich es doch. Genau die gleiche Größe wie mein Sohn. Du siehst gut aus, jetzt, wo du wieder frisch aussiehst.“ Kenai errötete. „D- danke. Aber geht das auch wirklich in Ordnung?“ Lächelnd legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. „Mach dir darüber keine Gedanken. Wir sind nur ein kleines Dorf mit wenigen Erdbändigern. Wann immer wir unseren Kriegern helfen können, helfen wir doch gerne. Es ist alles was wir tun können.“ „Unseren Kriegern?“ Kenai verkrampfte sich, doch die Frau schien das nicht zu bemerken. „Tuk meinte, du wärst ein Erdbändiger. Alle jungen Erdbändiger müssen Kämpfen. Du hast dich bestimmt darauf vorbereitet, so zerzaust wie du warst.“ Sie Lächelte, doch ihr Lächeln erreichte nicht ihre Augen. „Meine Kinder kämpfen auch. Ich habe einen Sohn und zwei Töchter. Alle drei kämpfen, um uns zu beschützen. Wenn du sie sehen solltest … kannst du … kannst du ihnen etwas ausrichten?“ Sie versuchte es zu verbergen, doch ihre Hände zitterten kaum merklich. Noch immer lächelte sie, doch das konnte ihn nicht täuschen, so wenig wie ihre Worte. „Sag ihnen, das ich jeden Tag an sie denke und für sie bete.“ „Soll ich ihnen nicht lieber sagen, dass sie nach Hause kommen sollen?“ Die Frau zuckte heftig zusammen. „Du hast doch bestimmt Angst, dass ihnen irgendetwas passiert, oder? Du hättest sie lieber hier bei dir, wo sie in Sicherheit sind, als irgendwo dort draußen, weit weg von dir, nicht wahr?“ Etwas veränderte sich. Er konnte förmlich erkennen, wie ihre Augen sich verfinsterten. Das Lächeln verschwand, wurde zu einer steinernen Miene. „Es macht keinen Unterschied ob sie bei mir sind oder nicht. Wir sind nirgendwo in Sicherheit.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte von dannen. „Aus welchem Loch bist du denn gekrochen?“, erklang plötzlich Tuks Stimme. Kenai drehte sich zu ihm um und erschrak, als sich ihre Blicke trafen. Tuks Miene war hart wie Granit. „Du kannst so etwas nicht sagen! Wenn dich die falschen Leute hören, bekommst du Ärger!“ „Aber es stimmt doch, oder?“ Er dachte an die Frauen in seinem Dorf und daran, wie sie sich um Nuka gedrängt hatten, begierig darauf zu erfahren, wie es um ihre Liebsten bestanden war. Seufzend schüttelte Tuk den Kopf und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Es geht nicht darum, ob es stimmt oder nicht oder darum, was wir uns wünschen. Es geht einzig darum, was wir tun müssen, ob wir wollen oder nicht. Sieh dich doch nur um. Sieh dir die Kinder an. Seit sie geboren wurden, haben sie nie länger als ein paar Tage an einem Ort gelebt, genau wie ihre Brüder und Schwestern und ihre Eltern vor ihnen. Sie sind noch zu klein um es zu begreifen, doch schon bald werden sie bemerken, dass wir jeden Tag um unser Leben fürchten müssen und wir deswegen nie lange an einem Ort bleiben, damit wir nicht so schnell von unseren Feinden gefunden werden können. Wenn sie groß sind, werden einige von ihnen uns verlassen um zu kämpfen, damit wir in Frieden leben können. Das ist doch genau das Gleiche wie mit dir, oder? Du wirst doch auch kämpfen?“ Kenai mied seinen Blick und beobachtete die noch immer spielenden Kinder. „Oder?“, hackte Tuk nach. „Warum kämpfst du nicht?“, fragte Kenai ausweichend. „Weil es sonst niemanden geben würde, der auf sie aufpasst. Unsere Krieger können nicht überall zu gleich sein. Sie können uns vor den Luft- und den Erdbändigern schützen, nicht aber vor den Wasserbändigern.“ „Den Wasserbändigern?!“ Erschrocken starrte Kenai Tuk an. „Was ist mit ihnen?“ Tuk runzelte kaum merklich die Stirn. „Diesen Bastarden? Komm schon Junge! Das musst du doch wissen! Die sind wie die Pest. Wenn sie dich erwischen, ist es dein Ende und das all jener, die mit dir sind. Wo immer sie auftauchen, herrscht der Tod. Keiner weiß, wo sie sind. Keiner weiß, wer sie sind. Niemand kann uns vor ihnen beschützen. Wo sie sind, ist der Tod. Deswegen ziehen wir weiter, damit sie uns nicht finden.“ „Aber- aber ihr seid doch keine Krieger! Hier sind doch nur Alte, Frauen und Kinder. Es gäbe doch keinen Grund euch anzugreifen. Das würden sie doch niemals tun!“ „Woher willst du das Wissen?!“, fauchte ihn Tuk an. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in Kenais Schulter. Aus nicht allzu weiter Ferne war ein warnendes Knurren zu hören. Misstrauisch sah Anyu zu ihnen hinüber. Sofort ließ Tuk ihn los. „Tut mir Leid … Es wäre schön, wenn die Wasserbändiger es genauso sehen würden wie du, aber das tun sie nicht.“ Traurig ließ er seinen Blick über die Landschaft schweifen. Es wurde bereits dunkel. Die ersten Sterne funkelten bereits schwach am Horizont. „Seit ich klein bin träume ich davon, dass dieser Krieg eines Tages zu Ende ist. Jede Nacht träume ich, dass wir eines Tages in Frieden leben können, dass wir keine Angst mehr zu haben brauchen, dass wir nicht mehr fliehen müssen …“ Ein sehnsüchtiges Lächeln erhellte sein Gesicht. „Ich würde nach Omashu ziehen. Warst du schon einmal in Omashu? Ich auch nicht. Aber es soll da wundervoll sein. Ich würde mit meiner Familie ein Haus bauen, ein festes Haus, eines, dass wir nie wieder verlassen müssen. Ich würde zusehen wie meine Kinder in den Straßen spielen und in Frieden heranwachsen. Ich würde vielleicht einen kleinen Garten anlegen. Einen, den ich Pflegen kann. Ich würde dann unter einem Baum liegen, meine Enkel und Urenkel beim Spielen zusehen und dann, eines Tages, in Frieden sterben.“ Noch immer lächelte er, vollkommen in seine Fantasie gezogen, doch dann stutzte er plötzlich und rieb sich verlegen lachend den Nacken. „Ein ganz schön blöder Traum, oder?“ „Nein. Finde ich nicht.“ Kenai lächelte. „Ganz und gar nicht.“ „Warum erzähle ich dir das eigentlich?“ Nachdenklich kratzte sich Tuk am Kinn, dann schlug er Kenai so kräftig auf den Rücken, dass dieser fast auf den Boden krachte. „Komm jetzt. Lass uns was essen. Du hast bestimmt Hunger.“ Und ob er den hatte. Nach wer weiß was vielen Monaten von Manas Kochkünsten, war alles andere ein Paradies für die Geschmacksnerven und die Sonne war längst verschwunden, als er sich endlich zufrieden zurücklehnte und seinen runden Bauch streichelte, ohne sich an den verblüfften Blicken seiner Mitmenschen zu stören. Neben ihm stapelten sich zahlreiche leere Schüsseln. Sterne funkelten am Firmament. Ein wunderschöner Vollmond spendete silbernes Licht. Ein sanfter Windhauch ließ die Blätter der Bäume sachte rauschen. Es war eine wundervolle Nacht. Die Kinder lagen längst in ihren Lagern und schliefen den Schlaf der Gerechten, einige an ihre bereits ruhenden Mütter gekuschelt. Nur wenige saßen noch am längst erloschenem Lagerfeuer, den Kopf in den Nacken gelegt, und betrachteten das Sternenmeer. Schließlich stand Tuk auf und streckte sich genüsslich. Seine Knochen knirschten furchteinflößend. „Ich fürchte, ich werde langsam alt“, entschuldigte er sich mit einem Grinsen. „Komm mit Junge. Du kannst bei mir schlafen.“ Kenai stand auf und folgte ihm. Sie waren erst einige Schritte gegangen, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Unweit von ihm entfernt stand Anyu, das Fell gesträubt. Mit angelegten Ohren und die Lefzen zu einem stummen, grauenvollen Knurren verzogen, stand sie da, zu ihrer vollen Größe aufgerichtet und grub ihre mächtigen Pranken tief in die Erde, während ihr Schwanz unkontrolliert hin und her peitschte. Ihre Stummheit beunruhigte ihn mehr als es ein Knurren oder Heulen je vermocht hätte. „Anyu?“, fragte er vorsichtig. „Was ist los?“ Mit ihrem weißen, gesträubten Fell, das im Mondlicht silbern schimmerte, sah sie aus wie ein Geist, der kurz davor war sich auf die Menschen zu stürzen. Doch ihr Blick galt nicht dem Lager, sondern dem Mond, der voll am Himmel stand. „Was ist denn los? Was hast du?“ Er wollte zu ihr treten, sie beruhigen, doch er konnte sich nicht rühren. Etwas hinderte ihn daran, ein flaues Gefühl, das schwer auf seinen Magen drückte. War es nur Einbildung, oder begann der Boden unter seinen Füßen tatsächlich zu zittern? „Was hast du, Junge?“, rief ihm Tuk zu, der sich wunderte warum er so lange brauchte. Kenai antwortete nicht, denn in diesem Moment stieß Anyu ein warnendes, quälendes Heulen aus, so markerschütternd, so plötzlich, dass man meinen könnte die Welt würde untergehen. Und das tat sie auch. Weit vor ihnen, doch mit einem ohrenbetäubenden Donnern und Krachen, verdunkelte plötzlich eine schwarze Wand den Mond und die Sterne, tauchte die ganze Lichtung in absolute Finsternis. Das Zittern wurde zu einem Beben. Erschrockene Schreie wurden laut. Kinder weinten. Irgendetwas brach mit einem lauten Knirschen entzwei und stürzte zu Boden, während sich die Wand in ohrenbetäubender Geschwindigkeit auf sie zubewegte, ja, sogar noch anschwoll je näher sie kam, und dazwischen Anyus fürchterliches Heulen. „Bei allen Geistern!“, rief jemand ganz in seiner Nähe. „Was ist das?“ Kenai wusste es. Er spürte es instinktiv. „Wasser“, hauchte er kaum hörbar. „Das ist Wasser!“ Mit Entsetzen sah er zu, wie eine gigantische Welle über sie hereinbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)