Post Team Plasma von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Heimkehr ------------------- „Los geht’s – Pokedex-Tausch!“ Touko reichte ihren Pokedex an Bell weiter und bekam dafür den von Cheren in die Hand gedrückt. Den Pokedex-Tausch hatte Bell schon vor Jahren einmal erfunden, um ihre Wissensstände zu vergleichen und um zu helfen, wenn jemand ein Pokemon nicht finden konnte. Typisch Bell, dachte Touko und musste lächeln, während sie Cherens Pokedex anschaltete. Mittlerweile hatte es sich zu einer Tradition bei ihnen entwickelt, die sie auch nach Jahren noch pflegten. Touko schob ihre Kappe tiefer in die Stirn, um den Bildschirm von der hellen Frühlingssonne abzuschrimen, und scrollte durch die lange Pokemon-Liste. Cheren war, wie nicht anders zu erwarten, in den letzten Jahren schnell voran gekommen und konnte inzwischen stolze 489 Einträge sein Eigen nennen. „Das ist aber mal wirklich erbärmlich“, kommentierte Cheren trocken und winkte Bell mit ihrem Pokedex zu. „241 – du bist wohl viel beschäftigt, wie?“ Bell ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich gehe eben alles gelassener an als du“, sagte sie schulterzuckend. „Außerdem gibt es in Einall nicht nur Pokemon zu entdecken – wir haben zum Beispiel Musicals und … äh … ganz viele andere Sachen!“ Cheren machte keinen überzeugten Eindruck, als er mit Expertenmiene seine Brille die Nase hochschob und auf den Pokedex in Bells Hand schielte. „Und, was hat Touko so geschafft?“ „350!“, rief Bell stolz. „Natürlich nichts im Vergleich zu deinem“, fügte Touko rasch hinzu, als Cheren die Hand nach ihrem Pokedex ausstreckte und ihn eingehend untersuchte. „Wie ich sehe, habt ihr beide noch kein Knacklion getroffen“, stellte er fachmännisch fest, während seine mitternachtsblauen Augen in rasender Geschwindigkeit über den Bildschirm huschten. „Und auch kein Vipitis … Ich kann euch sagen, wo –“ „Psst!“, machte auf einmal Bell mit alarmierter Miene und ließ den Blick suchend durch die Gegend streifen. „Was ist los, Bell?“, fragte Touko und sah sich ebenfalls um; sie hatten sich im Schatten einer alten Eiche in Avenitia verdrückt, einem kleinen, stillen Dorf mitten im Nirgendwo. Die Eiche stand inmitten einer kleinen Wiese, deren Gras vom strahlenden Gelb der Löwenzahnblüten und nicht wenigen Rotomurf-Hügeln gesprenkelt wurde. Die Wiese führte wie ein grüngelber Pfad zu einem kleinen Teich, in dem die drei im Sommer, als sie noch klein gewesen waren, fast jeden Tag gebadet hatten; wenn man in die entgegengesetzte Richtung spähte und die Augen vor der Mittagssonne abschirmte, konnte man in einiger Entfernung schon die hohen Hecken erkennen, die das Laborgebäude Professor Esches säumten. Ansonsten herrschte hier gähnende Leere. Touko und Cheren wandten die Köpfe hierhin und dahin und sahen sich anschließend ratlos an. „Hört ihr das nicht?“, stieß Bell hopste ein wenig auf und ab, als wollte sie im Stand laufen. „Da ist so ein komisches Piepsen … Ich glaube, es kommt vom Teich da hinten …“ Ohne ein weiteres Wort rannte Bell los in Richtung Teich, Touko und Cheren im Schlepptau. Bell bremste so knapp vor dem Teich ab, dass sie ins Straucheln geriet; Cheren griff mit der pokedexfreien Hand nach ihrer Schulter und zog sie zurück ans sichere Ufer. Zunächst war nicht zu sehen, was das Geräusch verursachte, jedenfalls nicht für Touko; nach einigen verwirrten Augenblicken rief Cheren „Dort!“ und deutete auf ein kleines Dusselgurr, das verzweifelt mit seinen flaumigen Flügeln schlug, um sich auf der Wasseroberfläche zu halten und dabei ein klägliches Fiepen ausstieß, während seine Eltern mit hilflosem Gezwitscher über dem Wasser kreisten. „Bell!“, rief Touko und ergriff den Arm ihrer Freundin. „Admurai!“ „W-was? Oh, ja“, stammelte Bell und ließ fahrig eine Hand über die Pokebälle an ihrem Gürtel gleiten, auf der Suche nach ihrem Starterpokemon, als – Ein Platschen ertönte neben ihnen. Die drei Freunde zuckten zurück, als das Wasser kraftvoll zu ihnen hochspritzte. Touko staunte nicht schlecht, als ein kurzer grüner Haarschopf aus dem Wasser auftauchte und der junge Mann, der eben in voller Bekleidung hineingesprungen war, mit geschmeidigen Schwimmzügen auf das strampelnde Dusselgurr zuhielt. Der Grünhaarige formte unter Wasser die Hände zur Schale und hob sie vorsichtig unter das Küken, das nun sicher in seinen Händen saß. Er strampelte sich mit den Beinen in Richtung Ufer, wo er das kleine Pokemon unter den argwöhnischen Blicken seiner Eltern liebevoll auf dem Boden absetzte. Das größere der beiden Navitaubs nahm das aufgeregt fiepsende Küken mit dem Schnabel hoch und legte es sich auf den Rücken. Dann erhoben sich die drei Vögel in die Lüfte und verschwanden. Sobald sie von der Erde abgehoben waren, lief Touko auf den Grünhaarigen zu, um ihm beim Hochkommen zu helfen. „Brauchen Sie Hilfe?“ Sie kniete sich ins weiche Ufergras und streckte eine Hand nach ihm aus. Als er ihre Hand sah, zögerte er erst für einen kaum merklichen Augenblick, dann ergriff er sie lachend und schüttelte sie. „Ich wusste doch, dass ich dir früher oder später über den Weg laufen würde.“ Der junge Mann blickte zu ihr auf und lächelte: „Hallo, Touko.“ Und Touko wäre beinah zu ihm ins Wasser gefallen. „N?“, ertönten zwei ungläubige Stimmen hinter ihr. Bell und Cheren stellten sich rechts und links neben Touko, deren Hand immer noch in der Ns lag, während in ihr das seltsame Gefühl aufstieg, sie dürfe ihn nie mehr loslassen. „Bell und Cheren“, sagte N leise und sein Blick wanderte über Toukos Kopf und zwischen den beiden hin und her. „Ihr habt euch sehr verändert, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben. Dasselbe gilt für dich, Touko.“ Und sein Blick ruhte wieder auf ihr, so wie damals, vor unendlich langer Zeit, als er besiegt vor ihr stand und sie mit seinen unergründlichen Augen anfunkelte, so als würde er ihr Innerstes durchleuchten; und Touko erinnerte sich, wie nackt und durchschaut sie sich damals gefühlt hatte, bevor er auf Reshiram davongeflogen war und sie mit ihren unerklärlichen Gefühlen allein gelassen hatte. Touko fiel auf, dass sie immer noch seine Hand umklammert hielt wie eine Ertrinkende einen Rettungsring. Sanft löste N seine Hand aus ihrem Schraubstockgriff und stemmte sich aus dem Wasser. Schweigend ergriff Bell ihre Hand und zog sie vom Ufer weg, um N Platz zu machen. Haare und Kleidung klebten nass an seinem hageren Körper und ein kühler Wind ließ den seltsamen Würfel an seinem Oberschenkel hin und her schaukeln, doch ihn schien das alles nicht zu kümmern. „Du hast dir die Haare geschnitten!“, stammelte Touko heiser, nachdem er sich aufgerichtet hatte und war ziemlich froh, dass Bell sie immer noch festhielt, sonst wäre sie wohl vor Scham im Erdboden versunken. Unglaublich! Drei Jahre hatten sie sich nicht gesehen, und das war das Erste, was ihr darauf einfiel?! Sein Lächeln geriet ein wenig schief, als er sich mit einer Hand durch die durchnässten Haare fuhr. „Mir war es wichtig, nicht sofort erkannt zu werden“, erklärte er mit seiner angenehmen Stimme, die Touko immer wohlige Schauer über den Rücken gejagt hatte, obwohl er immer so schnell sprach. Sie unterdrückte das Gefühl und versuchte ein Pokerface. „Obwohl das bei euch wohl nicht viel gebracht hat. Vielleicht hätte ich meine Kappe besser festhalten sollen …“ Er warf einen bedauernden Blick über die Schulter und als Touko seinen Augen folgte, entdeckte sie eine graue Kappe, die auf den sanften blauen Wogen langsam vom Ufer davon trieb. Touko spurtete zum Ufer zurück, warf die eigene Kappe hinter sich und setzte, wie selbstverständlich, zum Sprung an. „Hey, was tust du da?“, hörte sie Bells entgeisterte Stimme rufen, dann ein Lachen, und dann: „Touko, du musst doch nicht wegen der Mütze ins Wasser springen!“ Sie erstarrte in der Bewegung, was ihr gründlich misslang; sie hatte sich schon zu weit vornüber gebeugt. Touko ruderte wie wild mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzufinden, aber die Schwerkraft hatte da andere Pläne mit ihr. Sie schloss die Augen, verfluchte ihre Blödheit und wartete auf den Aufprall. Der nie kam. Stattdessen spürte sie einen festen Griff um ihren Ellbogen, den Griff einer großen, feuchten Hand, die unmöglich Bell gehören konnte, und die sie kraftvoll vom Ufer wegzerrte. Seine Berührung ließ Touko erschauern, ob vor freudiger Erregung oder Entsetzen, das wusste sie selbst nicht. Um ihre Schwäche zu überspielen, entzog sie N ihre Hand, drehte sich zu ihm um und stemmte sich unbewusst die Hände in die Seiten, um sich standfester zu fühlen, als sie war. „Wo warst du eigentlich so lange?“, fragte ihn Touko direkt ins Gesicht. Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Ich? Ich war auf Reisen“, sagte N nur. „Ist das alles, was du nach drei Jahren zu sagen hast?“ N neigte den Kopf. „Ja.“ Touko schwieg kalt erwischt. Sie hatte alles erwartet, nur das nicht. Nur nicht so eine knappe, abweisende Antwort aus seinem Mund. „So ist das also“, bemerkte sie schnell, um zu verhindern, dass er sich auf ihr Schweigen hin einfach umdrehte und ging und wieder aus ihrem Leben verschwand. Sie suchte nach noch etwas zu sagen. „Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, da hast du –“ „Mich von dir verabschiedet“, beendete er den Satz für sie. „Mehr sollte dich nicht interessieren. Vergiss einfach alles, was ich vorher zu dir gesagt habe. Okay? Das ist jetzt alles Vergangenheit. Ich bin nach Einall zurückgekehrt, um noch einmal neu anzufangen, hier und jetzt. Das einzige, was mich jetzt noch interessiert, ist die Zukunft.“ Es war wie ein Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht; genau so benommen fühlte Touko sich jetzt. Für ihn war sie nur ein Teil seiner ungeliebten Vergangenheit, die er jetzt ein für alle Mal verdrängen wollte, das wurde ihr jetzt klar. „Du hast Recht, N“, sagte Touko zittrig und machte einen Schritt auf ihn zu, sodass sie sich Nase an Nase gegenüberstanden. Seine Augen sagten ihr nichts, so wie die Augen der anderen Menschen, die sie kannte; N hatte schon immer etwas Mysteriöses, Unnahbares an sich gehabt, als wäre er trotz der körperlichen Nähe meilenweit von allen anderen Menschen entfernt. So starrte Touko ihm in die Augen, bis sie einsah, dass sie dort keine Auskunft über ihn entdecken würde und setzte sich ohne ein weiteres Wort in Bewegung. Er hielt sie nicht zurück, rief ihr nicht nach, sagte nichts nach dem Schema „Warte, ich hab es nicht so gemeint! Bitte bleib doch bei mir!“ Nein, er ließ sie ziehen. Und Touko zog; sie stapfte auf Bell und Cheren zu, die ihr nur betreten entgegensahen, und hakte die beiden entschlossen unter, um mit ihnen ohne einen Blick zurück von dannen zu ziehen. Und N sah ihr mit leisem Bedauern nach. Dies würde nicht das letzte Mal sein, dass sie sich getroffen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)