Post Team Plasma von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Trautes Heim, Glück allein ------------------------------------- N schloss die Augen. Öffnete sie wieder. Sie war immer noch da. „Concordia“, murmelte er und auf dem Gesicht der Frau breitete sich ein zärtliches Lächeln aus. „Ihr seid es tatsächlich, König N … mein N.“ Eine Hand berührte sein Gesicht, weich und kühl, und streichelte seine Wange, sanft wie ein Windhauch. Wieder schloss N die Augen; ihre Berührung ließ ihn vergessen, wo er war, was er fühlte, was eben passiert war; stattdessen füllten Erinnerungen seine Gedanken, Erinnerungen an ein junges Zorua, das er mit Concordias und Antheas Hilfe gepflegt hatte, an die Pirsifkuchen, die sie ihm immer zum Geburtstag gebacken hatte, an sein altes Spielzimmer mit der Halfpipe, dem Basketball, der Eisenbahn, an Geechisu, der vor ihm kniete und – N riss die Augen wieder auf, rutschte so weit von der blonden Frau weg wie er konnte, und hob schützend eine Hand vor die Augen, als blendete ihn ihr Anblick. „Was tust du hier?“ N zwang seine Stimme, so abweisend wie möglich zu klingen, während sich seine Augen nicht von ihr wenden wollten. Sie war immer noch genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. „Ich arbeite hier“, sagte Concordia leise; ein trauriger Schimmer legte sich auf ihre Augen, und N wusste nicht, ob es wegen ihrer Arbeit war oder wegen seiner Zurückweisung. „Nachdem Ihr und Euer Vater uns verlassen hattet und das Schloss zerstört worden war, hatten Anthea und ich keine Arbeit mehr, also ging sie in ein Pokémoncenter, während … mir nur das Einkaufszentrum blieb.“ N nickte langsam und erhob sich behutsam vom Boden; sein Kopf brummte zwar immer noch, aber jedenfalls hatte er keine Gehirnerschütterung davongetragen. „Zuerst einmal“, sagte N zu Concordia, die sich ebenfalls aufgerichtet hatte, „hörst du bitte auf, mich N zu nennen, die Leute sind immer noch schlecht auf mich zu sprechen. Man kennt mich hier jetzt als Shin. Zweitens kann ich dieses ‚Ihr’ und ‚Euch’ nicht mehr hören, also sag einfach Du zu mir. Und drittens bin ich kein König.“ Concordia neigte den Kopf und verbeugte sich. „Alles, was du wünschst. Shin.“ N blickte über ihre Schulter und sah Touko und Bell, die in einiger Entfernung hinter ihr standen und bedeutungsschwer zu ihm herüberschauten. Anscheinend hatte Concordia um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Er wandte sich wieder Concordia zu. Die Hände vor dem Schoß verschränkt und den Blick demütig nach unten gerichtet, stand sie immer noch vor ihm und kaute auf den Lippen, als läge ihr etwas schwer auf der Zunge, etwas, was sie nicht in Worte zu kleiden wusste. N fasste einen Entschluss, griff in seine Hosentasche und holte sein Portmonee hervor. Heraus zog er den nächst besten Kassenbon und legte ihn auf seine Handfläche. „Hast du zufällig einen Stift dabei?“ Concordia nickte stumm und gab ihm einen Kugelschreiber, auf dem das Logo des Kaufhaus 9 prangte, mit dem er etwas rasch auf den Zettel kritzelte. Schließlich gab er ihr den Bon mitsamt Kugelschreiber und sagte: „Meine Nummer. Ruf mich an, wenn du dich einsam fühlst.“ Damit hob er zum Abschied die Hand und wandte zu Touko um, die inzwischen alleine dort stand. „Ich habe gehört, unser Team würde sich wieder zusammenfinden“, platzte Concordia endlich heraus. N drehte sich um, und er war nicht der einzige; etwa ein dutzend Menschen standen in ihrem näheren Umkreis, darunter auch Kuro und das Mädchen mit dem Rock, das ihm half, die Unterwäsche wieder auf den Ständer zu hängen; alle sahen die Verkäuferin und den Kunden an, die offenbar zu einem ‚Team’ gehörten, und warteten gespannt auf dessen Antwort. N funkelte Concordia an, sah das Hoffen und Bangen, das Bitten und Flehen in ihren alabasterfarbenen Augen, und er zögerte für einen ganz kurzen Moment. „Nein“, sagte er. „Nein.“ Damit kehrte er ihr den Rücken zu und begleitete Touko hinaus an die frische Luft. Beide schwiegen genau bis zu dem Moment, als N die Schwelle zum Kaufhaus übertreten hatte. „Was wollte Concordia von dir?“, legte Touko los, als hätte sie bis zu diesem Moment ein Knebel daran gehindert. N antwortete nicht, er war ganz in seine eigenen Gedanken vertieft. Wer konnte Concordia gesagt haben, dass ein neues Team Plasma entstehen würde? N selbst hatte jedenfalls nichts dergleichen mitbekommen, und er hatte auch nicht das geringste Interesse, Team Plasma wieder auferstehen zu lassen. Doch was, wenn es einen neuen Anführer geben würde …? „N, hörst du mir überhaupt zu?“ Toukos gekränkte Stimme riss ihn in die Wirklichkeit zurück, und er musste rasch überlegen, was sie ihn gefragt hatte. „Du hast es doch gehört“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Sie wollte wissen, ob es ein neues Team Plasma geben wird.“ „Und davor?“ N drehte erstaunt den Kopf; Toukos Blick war in die Ferne gerichtet. „Was habt ihr davor besprochen?“ N war drauf und dran, ihr zu sagen, dass es sie nichts anginge. Einen Moment später überlegte er es sich jedoch anders. „Wir haben kaum geredet. Nur ein bisschen über ihre Arbeit.“ Sie waren inzwischen an der Bushaltestelle kurz vor dem Eingang zur Zylinderbrücke angekommen. Sie hatten in stummem Einverständnis beschlossen, den Bus zu nehmen. N blieb stehen und sah auf seine Uhr. Die Busse kamen hier immer stündlich um 17 nach an. Es war zwölf nach vier. „Wo ist eigentlich Bell?“ „Noch im Laden, sie meinte, ich solle nicht auf sie warten. Aber du hast ihr etwas auf einen Zettel geschrieben“, fuhr Touko hastig fort. N begann sich langsam zu fragen, wo sie dieses Gespräch wohl noch hinführen mochte. „Es war meine Handynummer. Wieso fragst du?“ „Wieso hast du ihr denn deine Nummer gegeben?“ Es klang flapsig, beinahe unverschämt. Touko bemerkte ihren Fehler selbst und fügte entschuldigend hinzu: „Weißt du, ich traue dem Braten nicht ganz. Vielleicht steckt Concordia mit irgendwelchen Typen unter der Decke, die dich dazu benutzen wollen, ein neues Team zu gründen …“ Touko stockte, als sie Ns Gesichtsausdruck sah. „Völlig ausgeschlossen“, sagte er kurz angebunden. „Concordia kann ich blind vertrauen.“ Etwas an seiner Stimme, vielleicht auch nur die Betonung auf dem ersten Wort, beendete das Gespräch. Als sie in Avenitia aus dem Bus stiegen, verabschiedete N sich nach einigen Worten des Danks und dem erneuten Versprechen, er werde ihr alles zurückzahlen, von Touko und steuerte seine Wohnung an. „Hey, warte mal!“, rief Touko und lief ihm hinterher. „Ich will sehen, wo du wohnst.“ N riss vor Schreck die Augen auf. „Keine Chance“, stammelte er und blieb wie angewurzelt stehen. „Es ist eine Baustelle. Das willst du nicht sehen. Warte erst mal, bis es fertig ist.“ Aber Touko nahm seinen Ellbogen und zog ihn vorwärts. „Ich hasse es, dir das sagen zu müssen, N, aber … dafür bin ich zu ungeduldig. Du wirst dich schon noch dran gewöhnen.“ Touko blieb vor dem Gebäude stehen und starrte. Es war ein großes, kastenförmiges Mehrfamilienhaus, dessen Fensterfront auf einen verwahrlosten Spielplatz ausgerichtet war. Die Wände waren in einem unangenehmen Gelbton gestrichen, auf dem sich ein grünlichbrauner Belag aus Schimmel gebildet hatte, und auf den braunen Dachpfannen gediehen Moos und Flechten. „Und hier wohnst du?“ Der Gedanke, dass N in diesem dreckigen Loch vor sich hin vegetieren sollte, war einfach … unerträglich. „Tja, nicht gerade fürstlich“, bemerkte N mit einem plötzlichen Anflug von Verwegenheit. „Natürlich nichts im Vergleich zu dem, was du so gewohnt bist …“ „N, was hast du dir da nur eingebrockt?“, rief Touko fassungslos. „Mit deinem Vermieter musst du aber mal ein Wörtchen reden, das ist doch nicht mehr menschenwürdig, was er dir da vermietet …“ N nickte beifällig. „Ich weiß, ich weiß. Aber irgendwo muss ich ja wohnen, wenn ich nicht in einem Ohrdoch-Bau nächtigen will, und das hier war das Billigste, was ich finden konnte.“ „Das wundert mich nicht“, stellte Touko aufgebracht fest. „Willst du es dir immer noch von innen ansehen?“ „… Ich bin inzwischen auf alles gefasst, N.“ „Das sagst du jetzt noch.“ N ging voraus durch den engen Flur und stellte die Tüten mit den Einkäufen in dem Zimmer ab, das Touko schon von der Tür aus als Küche erkannte. Sie folgte ihm; der Flur war leer bis auf einige Schrauben, behelfsmäßigen Kleiderhaken, die neben einer geschlossenen Tür in die Wand gedreht worden waren. Einige Schritte weiter führte zu ihrer Rechten ein türloser Durchgang in ein Zimmer, in dem nur ein Bett und eine Kleiderstange wie vorübergehend abgestellt herumstanden. „Du wohnst wohl noch nicht sehr lange hier, oder?“, bemerkte Touko, während sie N dabei zusah, wie er aus einem Küchenschrank zwei Gläser holte und sie sorgfältig sauberwischte, bevor er in beide Leitungswasser hineingoss. „Anderthalb Wochen, um genau zu sein“, sagte N und stellte die Gläser auf den Tisch, vor dem nur ein einziger, altmodisch verzierter Stuhl stand, der nicht so recht zu dem schlichten runden Tisch passen wollte. „Setz dich doch.“ „Aber da ist nur ein Stuhl.“ „Ich weiß, ich kann auch zählen.“ Touko blickte ihn finster an. „Verzeih, ich konnte nicht widerstehen.“ Touko setzte sich und sah ihn von unten mit flatternden Augenliedern an. „Warum nimmst du mich nicht auf den Schoß?“ Und Ns Kehle wurde auf einmal sehr trocken. „Sag, wie kommt es eigentlich, dass du nur so wenig Möbel hast?“, erkundigte sie sich, als er nicht antwortete. N räusperte sich. „Ich habe kein Geld“, wiederholte er ruhig; beim zweiten Mal war es gar nicht mehr so schlimm, das zuzugeben. „Und mein Schloss ist ja freundlicherweise zerstört worden, also blieb mir nichts anderes übrig, einen Kredit aufzunehmen, um fürs Erste wenigstens die Miete bezahlen zu können. Küche und Kühlschrank standen hier schon, die übrigen Möbel habe ich aus dem Sperrmüll gerettet.“ Er klang nüchtern, leierte nur Fakten hinunter. Plötzlich war Touko heilfroh, ihm wenigstens neue Kleidung gekauft zu haben. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie zaghaft, obwohl die Antwort schon absehbar war. „Helfen? Mit noch mehr Geld, oder wie? Nein, das kann ich nicht annehmen. Nimm’s nicht persönlich, ich hasse es einfach, bei anderen in der Kreide zu stehen.“ Touko lächelte. „Ich auch.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Was ich dich noch fragen wollte … Wie kommt es eigentlich, dass dich bei der Arbeit noch niemand erkannt hat?“, fragte sie mit einem nachdenklichen Blick auf eine Stelle neben der Spüle, an der die weiße Tapete sich von der Wand gelöst hatte. „Sie haben mich erkannt“, widersprach N ihr unvermittelt. „Aber es ist ihnen gleichgültig, wer ich bin. Hauptsache, ich pflege die Pokémon gut und laufe nicht dort herum, wo sich die Besucher aufhalten.“ Er zuckte die Schultern. Im Stillen fragte sich Touko, ob er sich diese stoische Haltung während seiner Reisen angeeignet oder ob er diesen Charakterzug schon immer gehabt hatte. „Schäbig, was? Ich muss echt mal neu tapezieren.“ N war ihrem Blick gefolgt und rieb sich nachdenklich den Nacken. „Du, N?“, sagte Touko hastig. „Ja?“ „Wo sind eigentlich deine Pokémon?“, fragte sie und senkte den Blick kurz zu seinem Gürtel; keine Pokébälle verdeckten ihn. „Ich habe sie in den Wald gebracht. Das mache ich jeden Tag so.“ Touko starrte ihn an. „Wieso das denn?“ N lachte ohne Freude. „Sieh dich doch mal um. Ist das hier der richtige Ort für Pokémon?“ Er wurde plötzlich ernst. „Du glaubst doch nicht, ich stecke sie immer noch in Pokébälle? Das mache ich nur abends, wenn ich sie abhole. Im Pokéball zu schlafen, ist wohl nicht das Schlimmste.“ Touko überlegte, dass es wohl sinnlos gewesen wäre, ihm zu widersprechen, und nickte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, einen Streit vom Zaun zu brechen. Ein durchdringendes Schellen wie von einem altmodischen Telefon unterbrach Toukos Gedankengang und N fing an, hektisch in seinen Hosentaschen zu kramen, bis er sein Handy fand. „Ja?“ Ns gerunzelte Stirn glättete sich sofort, als er die Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte. „Ach, hallo! Wie steht’s, bist du fertig mit der Arbeit?“ Eine Weile herrschte Stille, dann lächelte er. „Ja, das dachte ich mir schon.“ Darauf fiel sein Blick auf Touko. „Hör mal, Concordia, kannst du einen Moment dranbleiben? Ich muss noch kurz was machen…“ Er legte eine Hand auf den Hörer und setzte an, etwas zu sagen, als Touko ihm schon zuvorkam: „Ist schon okay, ich wollte sowieso gerade gehen.“ Sie stand auf und schob den Stuhl wieder an. N zögerte. „Bist du sicher? Ich kann sie ja später zurückrufen …“ Touko schüttelte den Kopf. „Schon gut“, sagte sie steif. „Also, dann … danke noch mal für alles. Ich stehe in deiner Schuld.“ Sie verabschiedeten sich, und Touko ging zur Tür. Sie ließ noch einen Zettel fallen, ehe die Tür hinter ihr zufiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)