Klassisch von papierkorb (KaiHiromi, ReiMao) ================================================================================ Kapitel 2: Ganz Musik --------------------- Am nächsten Abend erschien Rei als letzter bei Takao, wo wir uns immer trafen, bevor wir loszogen, denn er wohnte ganz in der Nähe des Clubs. Natürlich hatte Rei Mao mitgebracht. Sie trug schwarze Klamotten, die jedoch aussahen, als wäre es das Erstbeste in entsprechender Farbe gewesen, das sie in ihrem Koffer gefunden hatte. Abgesehen von Kai und mir starrten sie alle überrascht an, sodass Rei die ganze Sache kurz erklärte. Mao war sichtlich bemüht, die Anspannung, die merklich in der Luft hing, zu lösen, indem sie zu jedem lieb und nett war; allerdings ging diese Anspannung nicht von einem von uns aus, sondern eher von Rei. „Das ist ja toll, dass du heute gleich mitkommst!“, sagte ich deswegen und zog Mao an meine Seite, damit sie nicht die ganze Zeit an Rei hing. „Dabei musst du doch noch ganz müde sein.“ „Nein, nein. Geht schon“, sagte sie. „Ich hab den ganzen Tag geschlafen. Und als Rei sagte, dass er heute mit euch ausgeht, hab ich ihn überredet, mich mitzunehmen.“ „Hat er dir gesagt, was genau wir machen?“, fragte ich vorsichtshalber, doch sie schüttelte den Kopf. „Hab auch vergessen zu fragen. Obwohl er ja ein bisschen affig aussieht mit diesem komischen T-Shirt. Und warum hat er sich die Haare nicht gemacht?“ Ich seufzte. War das jetzt wieder typisch Mann? Ich würde Kai oder Max nachher fragen müssen, was das bedeutete, eher Kai, der kannte Rei ein Stück besser; aber jetzt bemühte ich mich erst einmal, Mao möglichst schonend das Programm für den heutigen Abend beizubringen. Ihre Miene schwankte dabei von Verwirrung bis Schrecken und endete mit gehobenen Augenbrauen. „Na, ich werde es schon überleben…“, murmelte sie. Inzwischen waren wir beim „Kittchen“ angekommen, so hieß der Club. Es war ziemlich szenig, hatte Platz für 300 Leute und eine Bühne, auf der eine Hand voll Musiker plus die nötigen Instrumente Platz fanden. Garland stand gleich am Eingang und riss die Karten ein. Takao hatte den ganzen Stapel bei sich und streckte sie ihm hin, und Rei überredete ihn kurz, Mao auch reinzulassen. Sie musste nicht einmal bezahlen. „Wer spielt denn?“, fragte ich, als ich an ihm vorbei hineinging. Da Takao der Kartenverwalter war, wusste ich fast nie Bescheid. „Die Jungs nennen sich Showdown“, antwortete Garland. „Ah“, kam Kais Stimme von hinten, „Ich hab mir deren Myspace-Seite angeguckt. Die könnten dir auch gefallen, Hiromi.“ „Gehst du vor die Bühne?“, rief ich über die Schulter, denn je weiter wir nach drinnen kamen, desto lauter wurde es. „Ich denk schon.“ „Nimmst mich mit?“ „Klar.“ Noch so eine Sache, die furchtbar praktisch war, wenn man mit einem Haufen Kerle unterwegs war. In der Menge vor der Bühne standen die Jungs meistens hinter mir und schirmten mich von eventuell pogenden Fans ab. Und wenn wir so begeistert waren, dass wir mitsprangen, war wenigstens jemand in meinem Rücken, den ich kannte. Es gab weitaus Schlimmeres, als in einem wilden Konzert an einen Kai Hiwatari gepresst zu werden. „Wollt ihr auch mitkommen?“, fragte ich die anderen. „Es geht gleich los.“ Rei sah Mao fragend an, doch die schüttelte nur den Kopf. Also blieb Rei auch, obwohl ich genau sah, wie er kurz seufzte. Max jedoch nickte begeistert und schlüpfte vor uns in die Menge. Wahrscheinlich würden wir ihn gleich schon verloren haben. Er stand meistens irgendwo in der Mitte, wo die Chancen auf einen Moshpit am größten waren. „Glaubst du, er kommt heute auf seine Kosten?“, fragte ich Kai, der die Schultern hob. „Die Jungs haben ein, zwei Songs, bei denen man richtig die Sau rauslassen kann. Aber mal gucken, wie die Leute heute drauf sind. Ich glaub, die meisten kennen die noch gar nicht. Bis auf die da“ Er deutete nach vorn, wo eine Gruppe aufgedonnerter Mädchen in der ersten Reihe stand. Eingefleischte Fangirls. „Heute Mädels-Pogen, oder was?!“, fragte ich grinsend. „Na los, geh schon“, sagte Kai feixend, „Du willst es doch auch.“ „Danke, ich steh nicht auf Bitchfight“, entgegnete ich und behielt dieses Mal sogar das letzte Wort, denn in diesem Moment fing das Konzert an. Nach und nach betraten vier schlaksige junge Männer die Bühne. Die übliche Besetzung also: Der Schlagzeuger war so schmächtig, dass ich es gar nicht glauben wollte, als er sich an sein Instrument setzte, aber er drosch probehalber einen mächtigen Wirbel auf die Becken, und der Saal tobte zum ersten Mal. Der Bassist trug einen prächtigen Iro in blau und die Arme voller Tattoos. Der Gitarrist hingegen sah aus, wie ein kleines Unschuldslämmchen, das gerade mit den Hausaufgaben fertig geworden war. Und als der Sänger herausgestürmt kam, war mir sofort klar, dass er eine Rampensau war. Doch was wollte man mehr? Eigentlich sollten nur Menschen auf der Bühne stehen, deren Lebensinhalt darin bestand, andere zu unterhalten und die sich gleichzeitig am Kreischen ihrer Fans aufgeilten. Rampensäue eben. „Moin!“, rief der Sänger ins Mikro. „Ich seh euch alle gar nicht!“ Er trug eine Sonnenbrille. Ich verdrehte grinsend die Augen. „Lasst mal was hören!“ Ein Brüllen und Kreischen hob an, und kurz, bevor wir wieder verstummten, schrie jemand: „Ausziehen!“ „Später“, sagte der Sänger. „Wir spielen jetzt erstmal, ja?“ „Ist gut!“, kam es aus der Menge, die gleiche Stimme, wie eben. „Dankeschön. Also: Moin, wir sind Showdown, und der Song heißt Bones.“ Fast augenblicklich begannen sie zu spielen, und es riss mich von den Füßen. Ich musste einfach springen, und aus der Bewegung, die um mich herum entstand, konnte ich schließen, dass ich nicht die einzige war. Der Gitarrist mit dem Babyface musste, so stellte sich bald heraus, eine sadistische Ader haben; das war die einzig logische Erklärung für die Misshandlungen, die er seinem Instrument zufügte. Aber es war so verdammt gut. Die schrägen Töne stachen durch mein Gehör ins Hirn, der Bass vibrierte wie schwingende Hammerschläge in meinem Brustkorb. Die Drums zitterten in meiner Lunge. Ich war ganz Musik. Die Leute drängten immer dichter zusammen, und einmal spürte ich, wie Kai mich festhielt, damit wir nicht getrennt wurden. Aber ich hatte keine Angst. Keine Angst, dass ich fallen könnte. Keine Angst, erdrückt zu werden. Solange ich nur ein Stück der in Licht getauchten Bühne im Blick hatte, würde mir nichts passieren. Der Sänger rannte auf und ab und schrie wie ein gelangweiltes Kleinkind. Er schien nicht genug kriegen zu können. Es war so scheißegal, was er sang; ob er sich nun Wut und Schmerzen aus dem Leib brüllte, oder vor Freude unartikuliert jauchzte. Ich hatte keine Ahnung, was von beidem es war, es war einfach nicht wichtig. Nichts war wichtig in diesem Moment. Nur das Gefühl der Einheit mit der Menge um mich herum und das Bedürfnis, den Jungs auf der Bühne das zu geben, nach dem sie verlangten, so wie sie auch uns gaben, was wir wollten. Erst, als die grelleren Lichter ausgeschaltet wurden und eine Akustikgitarre erklang, bemerkte ich, wie sehr ich außer Atem war. Ich spürte, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterlief. Meine Beine taten weh; ich schwankte und stieß Kai an, der es irgendwie geschafft hatte, hinter mir zu bleiben. Sein Körper war heiß. Inzwischen standen wir ein gutes Stück von der Stelle entfernt, in der wir uns aufgestellt hatten. Irgendwo in der zweiten oder dritten Reihe, ziemlich genau auf Höhe des Sängers. Ich wischte mir über die nasse Stirn und sah zu ihm. Er hatte zu singen begonnen. Das Lied beruhigte meinen nervösen Herzschlag. Die wenigen Fetzen des Textes, die ich aufschnappte, berührten mich auf eine Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich wollte weinen, einfach so, ich hatte doch eigentlich gar keinen Grund dazu. Ich glaube, das war der Moment, in dem ich mich in ihn verliebte. Er sah gut aus, er war Sänger einer Punkband und ich ein Mädchen auf der Suche nach Liebe –natürlich musste es so kommen. Ich hätte es mir an den Fingern abzählen können, und irgendwie hatte ich auch schon mit so etwas gerechnet. Wenn mich heute Abend niemand angesprochen hätte, hätte ich mir eben einen Typen ausgeguckt und ihn hoffnungslos idealisiert. Aus dem Bedürfnis heraus, meinen Gefühlsüberschwall mit jemandem zu teilen, drehte ich mich zu Kai um und grinste ihn breit an. Er hob die Augenbraue und beugte sich zu mir vor, damit er in mein Ohr sagen konnte: „Ich hab dir doch gesagt, die werden dir gefallen!“ Ich schüttelte den Kopf und drehte nun meinen Mund zu seinem Ohr. „Ich habe gerade meine zukünftige große Liebe entdeckt!“ Er runzelte die Stirn, blickte zur Bühne, dann wieder zu mir und formte mit den Lippen überdeutlich das Wort „Nein“. Und schüttelte resigniert den Kopf. Wahrscheinlich würde er sich jetzt die ganzen nächsten Tage Vorwürfe machen, weil er mich erst auf die Musiker des heutigen Abends aufmerksam gemacht hatte. Geschah ihm recht; ich würde ihm in naher Zukunft ständig mit Showdown in den Ohren liegen. Nach dem Akustikset kam eine neue Salve schnellerer Lieder. Ich versuchte mitzuspringen, aber schon beim zweiten Mal knickten meine Beine plötzlich ein, und hätte Kai nicht nach meinem Arm gegriffen, wäre ich wohl doch noch unter irgendeiner Sohle gelandet. Also begnügte ich mich mit auf- und abwippen und stieß den Arm im Takt nach vorn, während auf der Bühne Sänger, Bassist und Gitarrist in synchrones Headbanging verfallen waren. Es gab ein lärmendes, beinahe episches Ende, und wir verlangten lauthals nach Zugabe, doch die Spielzeit war schon vorbei. Die Menge verlief sich, einige traten schon den Heimweg an, aber die meisten besetzten jetzt die Bar. Max tauchte plötzlich vor uns auf, völlig außer Atem; die Haare klebten ihm im verschwitzten Gesicht, das Shirt am Körper, aber er grinste, als hätte er gerade high im Regen getanzt. „Kai, du hast doch gesagt, du warst bei denen auf Myspace“, rief er uns zu, „Geben die demnächst noch ein Konzert in der Nähe?“ Gemeinsam gingen wir zu dem Tisch zurück, an dem wir die anderen zurückgelassen hatten. Dort trafen wir auf Rei, Mao und Garland, dessen Schicht heute wohl beendet war. „Hiromi, hast du noch eine Jacke dabei?“, fragte Mao erschrocken und musterte mein durchtränktes Oberteil. „Sonst erkältest du dich noch!“ „Ja, mach dir keine Sorgen.“ Ich setzte mich neben sie. „Und? Wie hats dir gefallen?“ Sie hob die Schultern. „Nicht so meine Musik, aber ganz nett“, meinte sie versöhnlich. „Ich wusste gar nicht, dass dir so was gefällt.“ „Na, auch nicht jeden Tag“, gab ich zu und sah mich schon nach Takao um. Ich entdeckte ihn in der Masse an der Bar, er quetschte sich gerade zwischen zwei Typen hindurch und kam dann zu uns. Im Schlepptau hatte er –o Wunder– ein kicherndes Mädchen. An ihrem Showdown-T-Shirt, auf das ich augenblicklich neidisch wurde, erkannte ich sie als eine aus der Fangirl-Gruppe. Ich wollte sie sofort in Beschlag nehmen: „Wow, wo hast du denn das geile Shirt her?“. Doch sie tat meine Begeisterung mir einem Blick ab, der mich eindeutig zu Abschaum degradieren sollte. „Internet“, antwortete sie und wandte sich wieder Takao zu, der ihr Bier hielt. „Hey, Hiromi.“ Das war Rei, der sich erhoben hatte und neben Kai stand. „Wir gehen was zu Trinken holen, was möchtest du?“ „Bringt mir einfach irgendwas mit“, sagte ich. Sobald sie weg waren, zupfte Mao mich am Ärmel. „Sag mal…glaubst du, Rei liebt mich noch?“, fragte sie. Augenblicklich fühlte ich mich überfordert. Das konnte sie mich doch nicht fragen, wo meine Sinne noch auf den Showdown-Sänger eingeschärft waren. Für alles Weitere war ich gerade viel zu unsensibel. „Ja, ähm, sicher, oder?!“, entgegnete ich ausweichend. „Also keine andere?“ „Wa- Mao! Rei doch nicht!“ „Gut.“ Sie lehnte sich zurück und tastete den Tresen mit Blicken wie Suchscheinwerfern ab. „Ich hatte mich gewundert. Er ist komisch drauf.“ „Naja, ist ja auch kein Wunder, so plötzlich, wie du aufgetaucht bist“, nuschelte ich. Mao fuhr hoch. „Plötzlich?! Rei hat davon gewusst! –Aber da er euch nichts erzählt hat, scheint es ihm ja nicht allzu wichtig gewesen zu sein. Oder er hat es vergessen; wäre ihm auch zuzutrauen.“ Das erstaunte mich jetzt doch. Rei soll davon gewusst haben? Dann war es mehr als seltsam, dass die ganze Sache so überraschend gekommen war. Vielleicht lag da ja nur ein sehr, sehr großes Missverständnis vor. Doch ich hatte mir geschworen, mich nicht einzumischen, und das aus gutem Grund: je verschachtelter diese Geschichte sich gestaltete, desto stressiger wurde sie für alle Beteiligten, und es war reiner Selbstschutz, dass ich mich da jetzt nicht hineinwarf, sondern erst einmal selber mein Glück finden wollte. Meinetwegen konnte Mao sich bei mir ausheulen, aber ich würde mich hüten, zwischen ihr und Rei zu vermitteln. Etwas kaltes berührte meine Schulter, und als ich mich umwandte, reichte Rei mir eine Dose Cola. „Heute weniger Suff“, sagte er. Ich nickte, aber irgendetwas sagte mir, dass Maos Anwesenheit an diesem Sinneswandel nicht ganz unschuldig war. Da bemerkte ich Kais Grinsen. Kai grinste eigentlich nie so. Als ob er ein dickes Geschenk hinterm Rücken versteckt hätte. Oder irgendetwas wüsste, was ich nicht weiß und deswegen furchtbar stolz auf sich ist. „Rate mal, wer gerade an der Bar aufgetaucht ist“, sagte er. Ich blickte an ihm vorbei in die Richtung, in die er zeigte. Die Menschentraube, die sich vor dem Tresen gebildet hatte, sprach Bände. „Na geh schon!“ Kai zupfte an meinem Ärmel. „Ich will mich da hinsetzen.“ Mit einem unwesentlich festeren Griff hatte er mich hochgezogen. Ich stand so plötzlich, dass ich beinahe wieder eingeknickt wäre, wobei ich wahrscheinlich auf Kais Schoß gelandet wäre, der natürlich prompt meinen Platz in Beschlag genommen hatte –und aus so einer Sache konnte man sich dann nicht wieder herausreden, egal, was man sagte. Ich zwang mich also zum Stehenbleiben. Dann machte ich, sehr vorsichtig, wie ein Kleinkind bei seinen ersten Gehversuchen, ein paar winzige Schritte nach vorn. Dort, wo die Leute waren, war auch er. Ich kam mir vor, wie der letzte Idiot und straffte die Schultern. Wenn er schon nicht bei meinem bloßen Anblick auf die Knie fallen und mir einen Antrag machen würde, würde ein Autogramm fürs erste auch reichen. Mit diesem Gedanken kam ich der Traube immer näher und begann den Hals zu recken, um besser sehen zu können. Der Bassist lehnte an der Bar, sein Iro stieß beinahe gegen eine der Lampen, und ließ sich mit zwei Mädchen fotografieren. Neben ihm nahm der Gitarrist gerade ein Glas Bier vom Barkeeper entgegen. Die meisten Leute hatten sich aber um die anderen beiden versammelt, die nebeneinander an einem Stehtisch lehnten und alles signierten, was ihnen entgegengestreckt wurde. Der Sänger wirkte ein Stück kleiner, als auf der Bühne. Er war vielleicht so groß, wie Max. Ich schob mich in die Menge, drängelte ein wenig und stand schließlich in der ersten Reihe, bevor mir einfiel, dass ich ja gar nichts zum Signieren dabei hatte. Ich hatte nicht einmal mein Handy, mit dem ich zur Not ein Foto hätte machen können, denn das steckte in Maos Handtasche. Meine Miene muss genau in dem Moment entgleist sein, als er mich ansah. Er lachte und winkte mich zu sich. „Na, alles klar?“, fragte er zur Begrüßung. „Passt“, sagte ich und versuchte, möglichst lässig zu klingen. „Ich hab nur grad gemerkt, dass ich absolut nix zum Signieren habe.“ „Na, wir finden schon was. Was ist denn hiermit?“ Plötzlich fühlte ich seine Finger an meinem Bauch und wollte zurückzucken. Dann merkte ich, dass er mich gar nicht streichelte, sondern auf den übertrieben breiten Saum der Boxershorts tippte, die ich trug. Vor einiger Zeit war es mal Mode gewesen, Jungenunterwäsche zu tragen, und ich hatte den Trend mitgemacht, nur, um festzustellen, dass Boxer manchmal sehr bequem sein konnten. Und manchmal sahen sie an Frauen halt auch ganz geil aus. In diesem Augenblick war es mir zwar auch irgendwie peinlich, sie zu tragen, aber immerhin rettete sie mir gerade den Abend. „Klar, mach nur!“, sagte ich deswegen. Mit einem Kleinjungenlächeln zückte er seinen Edding und schrieb schwungvoll seinen Namen auf meine Unterwäsche. „Ey!“, rief der Drummer, der uns erst jetzt bemerkte, „Lass mich auch!“ Noch während er schrieb, rief der Sänger die anderen Bandmitglieder zusammen: „Ey, Yoshio, Makoto, wollt ihr mal ‘ne Boxer signieren?!“ „‘n BH wär mir lieber!“, rief der Bassist zurück, kam aber trotzdem. Inzwischen versuchte ich, die Unterschriften zu entziffern. Der Sänger hieß Katsumi, der Drummer Shun. Makoto war der Bassist, also musste das Babyface mit der sadistischen Ader Yoshio heißen. „Ey“, raunte Makoto, „Willste nicht doch ‘n Autogramm auf deinen BH?“ „Äh, nein danke.“ Er hob die Schultern. „Okay. ‘n Versuch wars wert.“ „Ich weiß nicht, Jungs, macht mich das jetzt an, oder nicht?“, fragte Katsumi und betrachtete noch mal sein Meisterwerk. Ich verschränkte die Arme; auf Notgeilheit hatte ich dann doch keine Lust, egal, wie toll ich ihn fand. „Wo spielt ihr als nächstes?“, fragte ich, um abzulenken. Er nannte den Namen eines kleinen Küstenstädtchens südlich von hier. „Aber danach kommen wir gleich wieder zurück, dann ist die Tour vorbei. Dann geht’s in den Proberaum“, verkündete er noch. Ich nickte unverbindlich, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, wurde ich von einigen Mädchen abgedrängt, die die letzten Minuten ungeduldig darauf gewartet hatten, dass die Jungs mit mir fertig wurden. Während ich zu den anderen zurückging, wurde mir langsam klar, was gerade passiert war. Die Band hatte auf meiner Unterwäsche signiert. Und alle hatten sie derweil an mir rumgegrabscht. Ich wusste nicht, ob mir das peinlich sein, oder ob ich einen Anfall vorpubertären Fangirlverhaltens zulassen sollte. Letztendlich entschied ich mich für die eleganteste Variante: ich stolzierte hoch erhobenen Hauptes und breit grinsend zu meinen Jungs und versteckte dabei den verräterischen Boxersaum unter meinem Shirt. „Bitte sag mir, dass du sie für Arschlöcher hältst und nie wieder etwas mit ihnen zu tun haben willst“, sagte Kai, sobald ich die Hälfte meines Hinterns neben ihm auf die Bank gequetscht hatte. Für mehr reichte es nicht. „Nein“, entgegnete ich schnippisch, „Im Gegenteil, sie sind sehr nett.“ „Werd bloß kein Groupie.“ „Jaja.“ Ich wollte wieder einen langen Hals machen, um vielleicht noch einen Blick auf die Jungs zu erhaschen, und erschrak. Katsumi hatte sich aus der Umklammerung seiner Fans befreit und stand kurz vor unserem Tisch. „Ah, da bist du ja“, sagte er und streckte mir einen Zettel entgegen. „Ich hab dir hier ne E-Mail-Adresse aufgeschrieben. Könntest du vielleicht ein Foto von deiner Hose machen und es da hinschicken? Wir sammeln so was für das Fotoalbum über unsere Fans auf Myspace.“ „Äh, ja…äh, geht klar“, stammelte ich und nahm ihm den Zettel ab. „Ähm…muss ich drinstecken? In der Hose, mein ich?“ Er grinste anzüglich. „Mach, wie du denkst. Man sieht sich.“ Er winkte. Wie in Trance winkte ich zurück und konnte erst aufhören, als Kais kalte Worte mich in die Realität zurückrissen: „Was meinte er mit Hose?“ Ich spürte, wie ich unter seinem Blick verlegen wurde. Mit so wenig Worten wie möglich erzählte ich es ihm nun doch und zeigte kurz den Saum meiner Boxershorts. Ich erntete missbilligendes Kopfschütteln. „Naja, wenigstens hast du sie nicht auf deinem Arsch signieren lassen…“, seufzte er. „Kai?“ Das war Rei. Er hatte einen Arm um Mao gelegt, die an seiner Schulter lehnte und schon ganz kleine Augen hatte. „Was meinst du, wollen wir langsam gehen?“ Wieder verspürte ich ein instinktives Verständnis für Mao. Für sie muss es ein anstrengender Abend gewesen sein, und sie sollte schließlich auch ein wenig Zeit allein mit Rei verbringen können. „Ja, lass uns los“, sagte ich deswegen. „Wo ist Takao?“ „Max ist ihn grad suchen. Ah, da sind sie schon.“ Draußen war es angenehm kühl. Mein Shirt war längst getrocknet, und mit dem Nachtwind kroch auch die Müdigkeit meine Beine hoch. Ich machte die Jacke zu und freute mich auf den langen, schlaftrunkenen Weg nach Hause. Wir würden schweigen, und ich würde dem tauben Gefühl in meinen Ohren nachspüren, durch das ich mich immer fühlte, wie in Watte gepackt. Katsumi stand bei den Rauchern und winkte mir zu, als er mich bemerkte. Ich grinste und machte eine fahrige Bewegung mit dem Arm. Dann war es wirklich vorbei. Mit dem Club ließen wir auch die Erlebnisse des Abends hinter uns. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)