Klassisch von papierkorb (KaiHiromi, ReiMao) ================================================================================ Kapitel 5: Getroffen -------------------- >>Deine Schlüpfer sind im Netz.« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Finger kurz über dem Touchpad des Laptops zuckten, als ich diesen Satz las. Er stand ganz oben auf meinem Facebook-Profil, liebevoll dorthin gepostet von Kai. Darunter hatten sich bereits einige neugierige Kommentare angesammelt. Ich klickte das Fenster zu und wollte mich selbst davon überzeugen; und siehe, zwischen den anderen Fanfotos prangte nun meine vollgekritzelte Boxer, versehen mit dem Titel „Hiromi“ und den Datum des Konzerts. Wenigstens hatten sie darauf verzichtet, den Ansatz meiner Schenkel und meines Bauches zu zeigen und eines der anderen Bilder ausgewählt. Inzwischen stand auch das Konzert von MingMing auf der Liste der Tourdaten, einsam und allein, denn ansonsten würden Showdown erst einmal keine Auftritte mehr haben. Ich schob die Unterlippe vor und griff neben mich, wo der Umschlag mit dem Ticket lag. Kyouyju hatte wirklich ganze Arbeit geleistet: nur wenige Minuten nach elf hatte er mich angerufen und gesagt, dass die Tickets unterwegs waren. Die Halle, in der MingMing spielen würde, war riesig. Wir hatten Stehplätze ergattert und gehörten damit wohl zu den Glücklichen, aber ich machte mir schon Gedanken über die Menschenmassen, die es zu überwinden galt, wenn ich wieder hinauswollte. Ich hatte nämlich keineswegs vor, mir MingMing anzusehen. Ich würde Showdowns Auftritt abwarten und danach die Halle verlassen. Mit ein wenig Glück könnte ich sogar den Hintereingang finden und den Jungs dort auflauern. Ich zog das Ticket aus dem Umschlag und las noch einmal alle Angaben durch. Es war ein wahnsinnig aufregendes Gefühl, so ein wichtiges Stück Papier in den Händen zu halten, auch wenn dieses Mal nur das Kleingedruckte interessant war. Es brachte mich dazu, das erste Mal vor einem Konzert über meine Klamottenwahl nachzudenken. Normalerweise war es mir egal, wie ich auf so einer Veranstaltung aussah; die Sachen mussten praktisch und robust sein. Doch mal ehrlich, es hatte noch nie ein Groupie im Schlabbershirt gegeben. Ich würde wohl noch mal in die Stadt fahren und ein paar Läden abgrasen müssen. Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz beendet, da bildete sich eine Assoziationskette aus ihm: Shoppen bedeutete, in Klamottenläden zu gehen, Klamottenläden bedeuteten, dass ich Def Tone noch mal treffen könnte, Def Tone treffen bedeutete, Def Tone in ein Gespräch zu verwickeln…und rauszubekommen, ob Kai gestern tatsächlich brav im Schwimmbad seine Bahnen gezogen hatte. Eine Stunde später drückte ich die Tür zu der Boutique auf, in der Def Tone arbeitete. Ich hatte Glück: sie stand an der Kasse und tippte irgendwelche Zahlenkombinationen ein, die sie von Etiketten ablas. Ihre manikürten Finger klackerten über die Tastatur. „Hi“, sagte ich und stellte mich auf die andere Seite der Kasse, woraufhin sie zu mir aufsah. „Hey!“ Sie klang nicht einmal sonderlich überrascht. „Wie geht es deiner Freundin? Immer noch Beziehungsprobleme?“ „Öh, ja, es geht…“ Die hatte aber ein Gedächtnis. „Hier ist ja nicht viel los“, fing ich noch mal an und machte eine vage Geste, die den ganzen Raum umfassen sollte. Def Tone hob die Schultern. „Naja, wir verkaufen zu einem großen Teil ja nicht die konventionelle Mode, von daher ist unser Kundenkreis recht klein und hat…hm, speziellere Wünsche.“ Ich nickte. Schon beim letzten Mal hatte ich bemerkt, dass der Laden nicht mit den großen Modehausketten zu vergleichen war. Man konnte zwar auch nicht behaupten, die Klamotten hier wären auf eine bestimmte Szene ausgerichtet, aber es war, wie Def Tone schon gesagt hatte, „speziell“. Ich begann, zwischen den Ständern hin und her zu schlendern und hier und da eine Klamotte herauszuziehen. „Brauchst du Hilfe?“, fragte Def Tone irgendwann und kam auf mich zugestöckelt. Heute trug sie Römersandalen mit Absatz. Ihre Fußnägel waren dunkel lackiert. „Suchst du was Bestimmtes?“ „Naja, weiß nicht genau…irgendwas Rockiges, Edles…“ Ich kannte mich nicht aus, wenn es um Modefachbegriffe ging. Shirt war Shirt und Hose war Hose. Eigentlich war ich schon froh, dass ich eine Röhre von einer Boot Cut unterscheiden konnte. Def Tones Finger klackerten sich nun durch die Kleiderbügel. „Was hältst du davon?“, fragte sie dann und hielt mir ein lockeres, gerissenes Shirt unter die Nase. „Dazu brauchst du dann aber auch eine Leggins mit nem schönen Muster, guck mal, das haben wir hier…“ Ich lief ihr hinterher. „Wie läuft es mit deinem Ex, den du im Internet gefunden hast?“, fragte ich ihren Rücken und erntete ein Lachen. „Er ist eiskalt“, antwortete sie, während sie bei einer rot-schwarzen Leggins nach der Größe guckte. „Kennst du solche Männer? Wo du denkst, du kommst einfach nicht ran?“ „Joah…“, machte ich. „Das ist so einer. Aber verdammt noch mal, ich steh drauf. Ich hatte auch schon andere, aber irgendwie lauf ich dann immer so einem hinterher. Wahrscheinlich brauche ich das. Ich kann es nicht haben, wenn ich das Gefühl habe, stärker als der Mann zu sein. Ich brauche einfach jemanden, der noch dominanter ist, als ich. Aber find mal so einen.“ „Hm…“ „Jedenfalls, mein Ex macht mich grad total an. Also, er hält mich hin und so, aber ich merke, dass er das nur tut, um mich zu reizen. Wahrscheinlich wartet er darauf, dass ich auf Knien zu ihm gekrochen komme. Stell dir vor, gestern erst, also…“ Sie warf mir einen pikierten Blick zu, schien dann aber alle Zweifel über Bord zu werfen und erzählte mir die ganze Geschichte: „Ich hab ihn gestern im Schwimmbad getroffen.“ „Nein!“, rief ich aus, gleichzeitig wurde mir klar, wie unpassend diese Reaktion war. Aber ich hätte einfach nicht damit gerechnet, dass doch so viel Wahres hinter Kais „Ausrede“ steckte. „Ähm, ich meine, wow, also dann auch gleich ganz…intim…so in…Badesachen…“ Ich wusste, wie Kai oben ohne aussah. Und Def Tone bekam ganz glänzende Augen. Wir warfen uns ein verschwörerisches Lächeln zu, bis ich bemerkte, dass sie ja gar nichts von meiner Freundschaft zu Kai wusste und schnell abzulenken versuchte: „Und? Seid ihr in den Whirlpool gesprungen?“ „Hmpf. Wenn es mal so einfach wäre. Er hat mich gefragt, wo mein Arsch geblieben ist.“ Wir blickten beide an ihr hinunter. „Ich hab ein paar Kilo abgenommen, weil ich in letzter Zeit so viel herumgerannt bin“, sagte sie. „Immerhin steht er scheinbar auf einen ordentlichen Hintern“, meinte ich. Kai, du Neandertaler. „So!“, machte Def Tone plötzlich. Sie drückte mir einen Stapel weiterer Klamotten in die Hand, die sie die ganze Zeit über nebenbei zusammengesucht hatte, und schob mich in Richtung der Umkleidekabine. „Gibt es denn einen bestimmten Anlass?“, fragte sie wieder ganz kaufmännisch, als ich den Vorhang geschlossen hatte. „Hm, ja. Ich gehe auf ein Konzert.“ „Oh. Wer spielt denn?“ „Eigentlich MingMing. Aber ich will nur die Vorband sehen. Showdown.“ „Oha, verstehe. Die findest du also gut, ja?!“ „Ja, total. Kennst du sie denn?“ „Hm-hm, ein bisschen…“ In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich hatte gerade eines der Oberteile halb über meinen Kopf gezogen und zog es nun irgendwie herunter, sodass es ganz verdreht auf dem Boden landete. Dann wühlte ich schnell nach dem Telefon und nahm ab. Es war Rei. „Hey“, sagte er, „Kommst du heute Abend zu Takao? Wir wollen nachher noch einkaufen gehen und kochen. Also, wenn du was Bestimmtes trinken willst, solltest du es jetzt sagen.“ „Klar, ich komm vorbei“, antwortete ich und betrachtete mich im Spiegel. Ohne das Oberteil waren die Leggins nicht gerade vorteilhaft, aber ich glaube, das hatten diese Hosen einfach so an sich. Die Färbung war jedenfalls sehr interessant. „Kauft einfach die Getränke wie immer. Ach so…“ Schlagartig war mir eine Idee in den Kopf geschossen, „Was dagegen, wenn ich eine Bekannte mitbringe?“ „Nö, wir kochen doch eh immer zu viel.“ „Super!“ Ich legte auf und zog mich wieder um. Beladen mit den Klamotten und ein Shirt in der anderen Hand haltend, das ich mir tatsächlich kaufen würde, ging ich zurück an die Kasse. „Sag mal“, fragte ich Def Tone, „Hast du heute Abend schon was vor?“ Die Jungs hatten den Tisch aus Takaos Wohnzimmer in den Garten getragen und Kissen dazugelegt. Mao und Max trugen Häppchen heraus, die wir auf dem heißen Stein zubereiten würden. Als Mao Def Tone sah, erkannte sie sie sofort wieder. „Hey, schön dich zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so gut kennt.“ „Tun wir auch nicht“, entgegnete ich lachend, „Es ist mehr so was wie ein spontaner Entschluss beiderseits gewesen. Das ist übrigens Mao. Mao, das ist Alyona“, stellte ich sie einander vor. Ich hatte tatsächlich Def Tones richtigen Namen erfahren, nachdem ich sie beinahe mit ihrem Nickname angesprochen hatte. Nun griff ich nach ihrem Arm und zog sie mit ins Haus, um sie den Jungs vorzustellen. „Also, der Blonde von eben war Max, der da drüben am Herd heißt Rei –was machst du da Schönes, Rei? Ist das Obstsalat? Oh, ich liebe dich! …Da drüben am Computer sitzt Kyoujyu, und die beiden an der Playstation sind Takao und Daichi. Und wo ist…?“ Während Alyona noch ein paar Worte mit Rei wechselte und ihm ein paar Apfelstücke stibitzte, sah ich mich nach Kai um. Ich entdeckte ihn in Takaos Zimmer, wo er bäuchlings auf dem Bett lag und Manga las. Er hatte Takao, wie er sagte, „Manga-Manieren“ beigebracht, indem er ihm ständig von irgendwelchen Serien erzählte, die er selbst lesen wollte, damit Takao sie an seiner statt kaufte, denn Takao wiederum war davon überzeugt, dass ein Manga, den Kai gut fand, wirklich lesenswert sein musste. „Hey Kai, komm zu uns, ich will dir eine Freundin von mir vorstellen“, sagte ich unschuldig, woraufhin er nur eine Augenbraue hob und eine Seite umblätterte. „Du hast Freundinnen außerhalb der Beyblade-Szene?“, fragte er, ohne aufzusehen, und ich stemmte entrüstet die Fäuste in die Hüften. „Ja, ich habe so was wie soziale Kontakte gleichen Geschlechts, stell dir vor!“ In diesem Augenblick trat Alyona, auf einem Stück Apfel kauend, an meine Seite. „Was schreist du denn, Hiromi…?“ Und sah Kai, der nach ein paar Sekunden der überraschend eingetretenen Stille auch aufsah. Jetzt hoben sich beide Augenbrauen. „Hey, Lena.“ „Hey.“ „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.“ Sie drehte sich zu mir. „Ja…flüchtig…“ „Wie, ihr kennt euch auch?“, fragte ich laut und hoffentlich überzeugend ungläubig. „Das ist ja ein Ding!“ Die Blicke, die die beiden mir daraufhin zuwarfen, waren sich so erschreckend ähnlich, dass ich das unmissverständliche Gefühl bekam, mich zurückziehen zu wollen. „Ja, ähm, das trifft sich doch gut, oder nicht? Ich geh dann mal zu Rei und frag, ob er noch Hilfe braucht oder so…“ Ich wischte in den dunklen Flur und entfernte mich ein paar Meter von der Tür, nur, um mich nach einigen Sekunden wieder anzuschleichen und zu lauschen. „Ähm, ich hab wirklich nicht gewusst, dass du hier bist“, sagte Alyona gerade. Seltsam, sie sprachen gar kein Russisch miteinander. Das Bettzeug raschelte, also hatte Kai sich wohl aufgesetzt. „Das glaub ich dir doch“, sagte er. „Musst dich nicht rechtfertigen. …und sonst? Alles gut?“ Ich biss mir auf die Lippen, um ein Kichern zu unterdrücken. Kai besaß einfach kein Feingefühl für Konversation. Er kam immer mit den Vorschlaghämmern unter den Redewendungen. Ich merkte, wie jemand von hinten auf mich zukam und drehte mich um. Es war Max, der mich wohl schon seit einer Weile beobachtete und nun ein schelmisches Grinsen zeigte. „Na, wer ist die Frau?“, raunte er mir zu, als er sich neben mich stellte. „Doch nicht etwa die, die ihm die schicke Nachricht auf sein Profil gepostet hat?“ „Stalkst du Kai etwa auch?“, flüsterte ich ungläubig zurück. „Manchmal…“ „Du bist unmöglich, Max.“ „Sagt die Richtige. Ich bin nur neugierig.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung der Tür. „Ist aber echt ne krasse Braut, oder?“ „Mal davon abgesehen, dass ich dir so eine Wortwahl nie zugetraut hätte, aber…ja.“ „Wir sollten aufpassen, dass sie nicht gleich Takaos Bett entweihen.“ „Kai doch nicht.“ „Hallo?!“ Max schickte mir einen vielsagenden Blick. „Hast du dir die Frau mal angeguckt? Die hat genau das richtige Format für ihn. Mit irgendeiner grauen Maus würde er sich nicht abgeben.“ „Boah Max.“ Beinahe wäre ich in Mädchenhaftes Giggeln ausgebrochen. Diese ganze Sache machte mich so hibbelig, dass ich mich ein wenig in die Zeit zurückversetzt fühlte, in der es noch verdammt wichtig gewesen war, wer mit wem und ob und wieso und wo und wie lange und überhaupt. „Ey, was macht ihr denn hier?“, fragte plötzlich eine laute Stimme. Takao stand am anderen Ende des Flures und blickte uns verständnislos entgegen. „Nichts“, sagten Max und ich wie aus einem Munde und gingen breit Grinsend an ihm vorbei nach draußen, wo jetzt alles für das Essen vorbereitet war. Kurz darauf erschien auch Takao wieder, der Kai und Alyona im Schlepptau hatte. Die beiden wirkten nicht so, als wären sie mehr als gute Freunde, was mich ein bisschen enttäuschte, doch andererseits war so ein Verhalten ja auch wieder typisch für Kai. „Sollte ich es bereuen, dass ich dir die Geschichte vom Schwimmbad erzählt habe?“, raunte Alyona mir zu, als sie sich neben mich setzte und nach einer Schüssel mit kleinen Fischfilets griff. Ich schenkte ihr mein süßestes Kleinmädchenlächeln, und sie hob seufzend die Schultern. Nach kurzem Zögern gestand ich ihr dann auch flüsternd, dass ich sie gestalkt hatte, was ihr wiederum nur ein Lachen entlockte. Es wurde ein wahrer Bilderbuchabend, zumindest, was die Temperaturen anging. Die Hitze vom Tag wich nur geringfügig, sodass es sehr angenehm wurde, im Shirt draußen zu sitzen. Da Alyona und Kai nicht die geringsten Anstalten machten, vor aller Augen übereinander herzufallen, verlagerte ich meine Beobachtungen wieder einmal auf Rei und Mao, doch was ich sah, erschreckte mich: Anstatt sich aneinander zu kuscheln und nicht die Finger voneinander lassen zu können, herrschte zwischen den beiden eisiges Schweigen. Rei sah aus, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Ich hatte noch nie so tiefe Furchen zwischen seinen Augenbrauen gesehen. Mao versuchte, tapfer zu sein, aber man merkte sofort, dass sie um die Fassung rang. Sie wirkte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit durch Blicke auf mich lenken, doch sie war so in Gedanken, dass sie nichts um sich herum zu bemerken schien. Dann beugte sich schließlich Max zu mir und raunte: „Weißt du, was jetzt schon wieder bei den beiden schief gelaufen ist?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube, sie haben vorhin gestritten“, flüsterte er weiter. „Ich wollte ins Bad und hab gehört, wie sie in der Küche geredet haben. Rei hat richtig aggressiv geklungen. Ich meine, inzwischen weiß ich ja, dass er so drauf sein kann, aber gegenüber Mao? Es war…fies von ihm.“ „Ach ja? Was hat er denn gesagt?“ „Irgendwas, dass sie ihn nervt und er sie ja nicht drum gebeten hat, hier aufzutauchen. Ziemlich unter der Gürtellinie in dieser Situation, wenn du mich fragst.“ In diesem Moment stand Mao auf und ging ins Haus. Ich überlegte kurz, ob ich ihr nach sollte, ließ es dann aber bleiben. Wahrscheinlich wollte sie sowieso nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken. „Sag mal, Rei“, meinte Max da und wies mit dem Daumen über die Schulter dorthin, wo Mao verschwunden war. „Arbeitest du eigentlich gerade auf eine Trennung hin?“ Daraufhin verdüsterte sich Reis Gesicht noch mehr. „Das geht dich nichts an!“, fauchte er. „Naja, ich find schon. Immerhin sind wir auch mit Mao befreundet, und wir sehen alle, dass es ihr im Moment sehr schlecht geht.“ Jetzt erhob sich auch Rei und machte Anstalten, die Runde zu verlassen. Er ging schnurstracks auf den Ausgang des Dojos zu. „Hey!“, brüllte Max, ich hatte ihn noch nie so brüllen hören, und rannte ihm hinterher. „Bleib gefälligst stehen! Seit wann rennst du denn vor Problemen weg, Rei?!“ Und da passierte es: Rei drehte sich blitzschnell um und verpasste Max, der ihn gerade erreicht hatte und ihm eine Hand auf die Schulter legen wollte, einen Kinnhaken. Max konnte sich noch fangen und hob nun seinerseits die Fäuste. Augenblicklich waren auch Takao, Daichi und Kai auf den Beinen und liefen zu den beiden, Kyouyju direkt hinterher. Alyona und ich blickten uns mit vor Schreck geöffneten Mündern an. „Alter, lass den Scheiß!“, erklang Takaos Stimme. Er hatte sich vor Max gestellt und seine Fäuste abgefangen. Auf der anderen Seite hatte Kai Rei am Arm gepackt und ihn herumgerissen, sodass er seinen Kontrahenten nicht mehr sehen konnte. Er redete leise auf ihn ein. Ein paar Minuten später war die Situation deeskaliert. Max und Rei wurden von den anderen wieder zum Tisch geführt und ließen sich auf die Kissen fallen. Rei vergrub das Gesicht in den Händen und ächzte. „Hey“, sagte ich, „Wenn du möchtest, frage ich Mao, ob sie ein paar Tage bei mir schlafen will.“ Er hob den Kopf, sein Blick war nachdenklich. „Ja“, meinte er zögernd, „Ich glaube, das wäre vielleicht ganz gut…“ Ich nickte. „Okay.“ „Aber…lass mich das mit ihr besprechen, ja? Ich rede mit ihr, wenn wir heute wieder bei mir sind. Ganz in Ruhe. Dann kann sie morgen zu dir kommen, wenn sie will.“ Ein abermaliges Nicken, und dann kam Mao wieder. Als ich ihr Gesicht sah, wusste ich, dass sie alles von dem Streit zwischen Max und Rei mitbekommen hatte. Wir gingen wieder einmal zusammen nach Hause, mit einer kleinen Ergänzung: Rei und Mao liefen voraus, ich folgte ihnen, und hinter mir Kai und Alyona. Die Nacht war herrlich, der Himmel strahlte dort, wo das Stadtzentrum lag. Es wurde nie richtig dunkel. Wir redeten kaum, eigentlich fast gar nicht, aber ich beobachtete, wie Rei Mao flüchtige Blicke von der Seite zuwarf. Doch sie hielt den Kopf gesenkt, sah auf den Weg hinunter und tat, als merkte sie nichts. Schweigend erreichten wir Reis Zuhause, verabschiedeten uns leise voneinander. Machten uns wieder auf den Weg, zu mir, und man merkte, dass die Stimmung plötzlich viel leichter war. Als hätte jemand ein geheimes Verbot aufgehoben. Wir fingen an, uns zu unterhalten, den Großteil des Gesprächs besorgen Alyona und ich, Kai machte eigentlich nur mal eine kurze Bemerkung, wenn er gefragt wurde. Und dann kam dieser Moment, an dem ich mich, ich weiß nicht mehr warum, umdrehte, und es sah. Ihre Hand in seiner. Es warf mich um. Sie sahen so perfekt aus, diese beiden schönen Menschen, in absoluter Gleichberechtigung, ohne Unterwürfigkeit, ohne jegliches Gehabe. Er hatte die freie Hand in der Hosentasche und blickte über den Kanal und sie hatte gerade ihr Handy herausgeholt, um einen routinierten Blick auf den Bildschirm zu werfen, während sie mir irgendwas erzählte. Er, groß, athletisch, cool. Sie, sexy, elegant, gelassen. Ich wandte mich wieder ab und konnte so das breite Grinsen verstecken, das sich quer über mein Gesicht zog. Doch gleichzeitig war es seltsam, Kai mit einer Frau zu sehen; sehr seltsam. Es machte mir ein bisschen Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)