Klassisch von papierkorb (KaiHiromi, ReiMao) ================================================================================ Kapitel 7: Regenwetter ---------------------- Ich wurde vom Gurgeln der Kaffeemaschine geweckt. Zuerst dachte ich, ich wäre bei Takao, aber die Geräuschkulisse war einfach zu fremd. Dann vergrub ich die Nase im Kissen, merkte, dass es unverkennbar nach Kai roch, und mir fiel alles wieder ein. Ich war nackt, ich lag in Kai Hiwataris Bett und er mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr neben mir. Und, verdammt, hoffentlich war Mao über Nacht bei Rei geblieben, sonst würde es Fragen geben. Zuerst einmal blieb ich jedoch noch ein bisschen, wo ich war und genoss ganz eigennützig das Gefühl, im Bett eines Mannes zu liegen, mit dem ich Sex gehabt hatte. Nach ein paar Minuten fiel mir auch das leise Klopfen des Regens auf, der schräg über mir auf die Scheibe traf. Ich lauschte ihm noch eine Weile, bis ich mich schließlich doch aufsetzte, die Decke um mich geschlungen. Kai stand, gekleidet in Shirt und Shorts, in der Küchenecke und hatte mir den Rücken zugewandt. „Guten Morgen“, sagte ich laut, woraufhin er sich umdrehte. Der Anblick, der sich mir bot, machte mich auf einen Schlag sprachlos. Da stand er, dieser schöne Mann, und auf seinem Arm hielt er eine ebenso schöne Katze mit silbergrauem Fell und großen goldgelben Augen. „Ach ja“, sagte er, als er meinen Blick bemerkte, „Du kennst meine Mitbewohnerin ja noch gar nicht. Das ist Minerva.“ Die Katze bewegte sich, sodass Kai sie herunterließ. Mit ein paar Sätzen war sie zu mir aufs Bett gesprungen und rollte sich auf ebendem Kissen zusammen, an dem ich gerade noch geschnuppert hatte. „Na das ist ja seltsam“, kommentierte Kai, „Normalerweise macht sie um alle Frauen, die ich mitbringe, einen großen Bogen. Lena hat sie sogar angefaucht.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich kurz ein Gefühl von Triumph verspürte. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte Minervas Fell, das, wie ich feststellte, sehr dick und weich war. Sie öffnete nur kurz die Augen und sah mich an, bevor sie weiterdöste. „Also wenn sie jetzt noch schnurrt, müssen wir heiraten“, meinte Kai, „Kaffee? Oder willst du erst was zum Anziehen haben? Ich kann dir was leihen, wenn du willst.“ „Ja, gerne. Und heb mal bitte meinen BH auf, ich kanns gar nicht sehen, wie der da mitten im Zimmer liegt.“ Während Kai in seinem Schrank herumwühlte und dabei einige Klamotten vor seinen Füßen verstreute, resümierte ich noch einmal die letzte Nacht. Ich hatte Sex mit ihm gehabt. Lange und ausgiebig, kein besoffenes Rein-Raus, wie man es sonst immer von One-Night-Stands hörte. Es war richtiggehend perfekt gewesen. Und doch hatte sich jetzt kaum etwas zwischen uns verändert. Er behandelte mich immer noch, wie zuvor. Unsere Beziehung war höchstens einen Strich intimer geworden, weil wir ja nun alles voneinander gesehen hatten. Es war mir auch nicht peinlich, mich ihm nun auch am Tag nackt zu zeigen, als er mir ein T-Shirt gab und ich die Decke zur Seite legte, um mich anzuziehen. In Slip und Shirt machte ich es mir wieder bequem und nahm eine Kaffetasse von Kai entgegen, der sich daraufhin neben mich setzte. Von irgendwoher hatte er eine Fernbedienung mitgebracht und schaltete nun den kleinen Fernseher an, der an der gegenüberliegenden Wand stand. Auf MTV liefen die allmorgendlichen Musikvideos. „Ach so“, sagte er, „Wenn du was essen willst, hab ich natürlich auch was da; ansonsten würde ich nachher irgendwann einfach was holen gehen. Wir haben einen Nudelstand um die Ecke, der ist gut.“ Ich sah ihn von der Seite an. „Heißt das, ich kann den ganzen Tag hierbleiben?“ „Du kannst so lange bleiben, wie du willst.“ „Sagst du das zu allen, die bei dir schlafen?“ Jetzt erwiderte er meinen Blick. „Ja. Wenn jemand es in meine Wohnung geschafft hat, kann er auch bleiben. Ich lasse ja nicht jeden rein, weißt du.“ Das war zwar eine komische Logik, aber sie passte zu Kai. Die ganze Situation wurde mit einem Schlag behaglicher, und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr verstand ich seine Worte. Ich kannte Leute, die veranstalteten Partys mit hundert Mann in Einzimmerwohnungen, aber wenn es mal einen Notfall gab und jemand dringend einen Schlafplatz brauchte, stellten sie sich taub. Kai hingegen sah sich die Leute, denen er die Tür öffnete, erst ganz genau an, war dann aber auch sehr fürsorglich. „Sag mal, Kai“, fragte ich, „Warum zeigst du es nicht viel öfter, dass du so hilfsbereit bist?“ „Das ist ganz einfach“, antwortete er, „Wenn die Leute rauskriegen, dass du alles für sie machst, ohne was dafür zu verlangen, dann fangen sie an dich auszunutzen. Mir ist das noch nicht passiert“, fügte er hinzu, weil er wohl bemerkt hatte, wie ich zu einer Frage ansetzte, „Aber ich hab es, auch schon als Kind, ziemlich oft miterlebt. Es ist scheiße, und die meisten Leute wissen das auch, aber sie machen es trotzdem. Vielleicht kriegen sie es auch gar nicht mit. Es passiert halt immer und immer wieder.“ „Verstehe“, murmelte ich und überlegte automatisch, ob ich schon mal jemanden ausgenutzt hatte. Bestimmt. Spätestens wenn man in der Schule ein Fach bestehen musste und es nur diese eine Person gab, die es einem gut genug erklären konnte. Ansonsten scherte man sich einen Dreck um diese Person, aber wenn es darauf ankam, war man nett zu ihr. Abwesend begann ich, Minerva zu streicheln, die sich davon nicht im Mindesten beeindrucken ließ. „Was ist Minerva für eine Rasse?“ Kai sah zu seiner Katze, als müsste er selbst noch mal nachgucken. „Sie ist eine Karthäuserkatze. Ich hab sie aus Deutschland.“ „Aus –was?! Wie kommst du denn bitte an eine Katze aus Deutschland?“, fragte ich perplex. „Lange Geschichte.“ Ich sah mit meinem schönsten Hundeblick zu ihm auf. Als er mich ignorierte, legte ich mutig das Kinn auf seine Schulter und himmelte ihn weiter an. Es wurde ihm sichtlich unangenehm. „Was?“ „Komm, erzähl’s mir!“, forderte ich, „Sonst fall ich über dich her und leg dich nochmal flach.“ „Was für eine Drohung, Kleine, ich bin schwer beeindruckt.“ „Ich vögel‘ ich zu Tode!“ „Na das will ich sehen.“ Ich stürzte mich auf ihn und Kai entfuhr ein kleiner, erschrockener Schrei. „Hiromi, verdammt, mein Kaffee!“ Er balancierte die Tasse mit ausgestrecktem Arm. „Oh“, machte ich, „Tut mir Leid.“ Loslassen tat ich ihn trotzdem nicht. „Warte mal –der Kaffee ist dir wichtiger als ich?!“ „Im Moment schon, ja.“ Er nutzte die Pause, die daraufhin entstand, um einen Schluck zu trinken. Ich beobachtete ihn dabei, bevor ich leise fragte: „Würdest du denn überhaupt nochmal mit mir schlafen?“ Daraufhin hob er eine Augenbraue. „Also, es war schon schön mit dir“, meinte er, „Aber ich glaube nicht, dass ein zweites Mal unserer Freundschaft so gut tun würde. Ich will nicht, dass da jetzt eine Fickbeziehung draus wird.“ Ich nickte verstehend. „Also, erzählst du mir jetzt, wie du an deine Katze gekommen bist?“ „Tja, also…“ Er lehnte sich an der Wand hinter dem Bett an und sah auf den Fernsehbildschirm, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. „Ich glaub, ich fang erstmal damit an, wie ich nach Deutschland gekommen bin. Das war damals so, als ich schon in Japan war, dass Voltaire mich in den Schulferien immer zu irgendwelchen Verwandten geschickt hat. Unsere Familie ist praktisch auf der ganzen Welt verstreut, auch wegen der Firma. In Deutschland haben wir schon ganz lange einen Sitz, noch aus der Zeit, als es die UdSSR noch gab. Das war ja damals so, dass es da solche Satellitenstaaten gab, oder wie die hießen, und Deutschland war geteilt und der Osten gehörte zu UdSSR.“ „Oha. Was du nicht alles weißt…“ Ich kannte mich mit europäischer Geschichte gar nicht aus. Interessierte mich auch nicht. Kyoujyu war darin etwas versierter, aber er sprach immer nur von Frankreich. „Ja, ich weiß das alles auch nur, weil es was mit der Firma zu tun hat“, sagte Kai, „Der Punkt ist jedenfalls, dass ein Teil von Deutschland zur Sowjetunion gehört hat, und zu der Zeit wurde da der Sitz unserer Firma gegründet. Und diesen Sitz gibt es da jetzt immer noch, und deswegen bin ich nach Deutschland gekommen. Also, meine Verwandten wohnen auf dem Land, aber die Zentrale ist in Berlin.“ „Ah, cool.“ Das sagte mir schon wieder was. Berlin, davon hatte ich mal irgendwo gehört. Vermutlich im Zusammenhang mit diesem Dritten Reich und dem Weltkrieg, oder was die da getrieben hatten. „Und wie ist Berlin so?“ „Eigentlich ziemlich cool. Berlin ist eher…naja, ein bisschen dreckig. Sieht nicht gut aus, riecht nicht gut, aber das hat irgendwie was. Ist schwer zu beschreiben. Jedenfalls war ich dann da, aber eher auf dem Land, und das war eigentlich total schön. Ich komm ja nunmal aus der Großstadt, hab nie woanders gewohnt, da war es super, so als Kind, wenn man auch mal einfach so durch den Wald und über die Felder rennen konnte. Aber bei den Feldern musste man aufpassen, sonst hat man von den Bauern den Arsch vollgekriegt, die waren total geizig und haben immer gesagt, dass wir ihnen die Ernte platttreten würden, aber das war totaler Bullshit. Wir waren damals noch klein genug, dass wir auf den Treckerspuren langgerannt sind, da haben wir keinen einzigen Halm umgeknickt.“ Ich konnte nicht anders, ich musste ihn breit anlächeln, während ich seinem Redeschwall lauschte. Kai schien plötzlich in Erinnerungen zu schwelgen, seine Sätze wurden immer länger, weil er sich wohl immer wieder weiterer Einzelheiten entsann. Als er meinen Blick bemerkte, hielt er inne. „Langweile ich dich?“ „Überhaupt nicht.“ „Ah, okay.“ „Erzähl weiter. Du warst dabei, dass ihr von Bauern den Arsch vollgekriegt habt.“ „Haben wir ja grade nicht, weil wir uns nicht erwischen lassen haben. Aber das musst du dir vorstellen, die haben da echt riesige Felder. Ich weiß noch, ich hab da Fahrrad fahren gelernt, auf irgend so einem schlammigen Feldweg, da lagen so Betonplatten drauf in zwei Spuren, für die ganzen Maschinen. Und da bist du dann langgefahren, ewig weit, und um dich rum nur Feld und ganz weit hinten vielleicht ein paar Bäume. Total krass. Da gibt’s ja auch keine Berge oder so was, da ist alles platt. Es gibt so Ecken, da kannst du an ganz klaren Tagen den Fernsehturm am Horizont sehen, und du bist vielleicht fünfzig Kilometer weit weg von Berlin. Also, naja, da muss dir dann schon einer sagen, dass dieser Strich da der Fernsehturm ist, aber immerhin, du kannst ihn sehen.“ „Kannst du denn eigentlich was auf Deutsch sagen?“, fragte ich neugierig, als er eine Pause machte. „Ah, das ist witzig“, entgegnete er, „Ich konnte mal ein bisschen mehr, aber so richtig nie. Mit meiner Familie hab ich Russisch gesprochen, mit den Kindern redet man mit Händen und Füßen und in Berlin klappt’s mit Englisch. Aber einen Satz kann ich noch.“ „Na?“ „Haste mal’ne Mark?“ „Gesundheit“, erwiderte ich und prustete los. „Nee, ehrlich, was heißt das denn bitte?“ „Das sagst du“, antwortete er, „Wenn du in Berlin Geld schnorren willst. Dann stellst du dich irgendwo hin, hältst die Hand auf und fragst die Passanten sozusagen nach Kleingeld.“ „Wieder was gelernt. Wie war das? Has…Haste…?“ „Haste mal’ne Mark.“ „Hastemallemaaarg.“ „So ungefähr. Und, warte mal…“ Plötzlich runzelte er angestrengt die Stirn. „Da war noch was. Das hat uns dieser eine Bauer hinterher gerufen, der hat das so oft gesagt, dass ich es mir irgendwann gemerkt habe…wie war das noch gleich…Wenn ick…wenn ick euch awische, denn….dennn…denn zieh ick euch die…warte, jetzt hab ich‘s: Wenn ick euch awische denn zieh ick euch die Hammelbeene lank!“ Das war der Punkt, an dem ich haltlos anfing, zu lachen. Ich hatte keine Ahnung, was er da gerade gesagt hatte, aber ihn Deutsch reden zu hören war noch skurriler, als diese Momente, in denen er auf Russisch telefonierte. Noch dazu hatte er, wohl automatisch, die ärgerliche Miene dieses Bauern nachgemacht, während er gesprochen hatte. Minerva ergriff die Flucht, als es ihr zu laut wurde. Sie warf mir einen absolut menschlichen, ärgerlichen Blick zu und verzog sich aufs Fensterbrett, wo sie sich malerisch ausstreckte. „Und wo hast du nun deine Katze genau her?“, fragte ich, weil mir bei diesem Anblick unser Ausgangspunkt wieder eingefallen war. „Das war vor fünf Jahren, als ich das letzte Mal da war. Mit siebzehn oder so. Da sind wir ins Tierheim nach Berlin gefahren, weil meine Verwandten sich einen Hund anschaffen wollten. Haben sie ja auch gemacht. Aber ich bin irgendwie, ich weiß gar nicht mehr, wie genau, zu den Katzen gekommen, und da hab ich Minerva gesehen. Sie war damals erst ein paar Wochen alt, so ein kleiner, fiepender Fellball. Ihre Mutter hatte wohl einen großen Wurf gehabt und die Besitzer konnten nicht für alle Kätzchen eine Familie finden. Und sie war die letzte. Jedenfalls guckte sie mich mit diesen großen Augen an, die waren damals noch blau –und dann war’s vorbei. Dann konnte ich sie nicht mehr einfach so da lassen. Ging einfach nicht.“ Als wüsste Minerva ganz genau, dass wir über sie reden, fing sie an zu schnurren. Das leise Motorengeräusch war bis zum Bett hin zu hören. „Soll ich dir was sagen?“, sagte ich zu Kai, „Mit dieser Geschichte kriegst du jede Frau rum. Hörst du? Jede.“ Der Tag war wunderbar, obwohl es draußen in Strömen regnete. Kai hatte wohl beschlossen, dass er für heute genug geredet hatte und hüllte sich fortan in Schweigen, aber es war eine angenehme Stille, die dadurch entstand, durchsetzt von verzerrten Geräuschen aus dem Fernseher. Ich ging irgendwann ins Bad und unter die Dusche, jedoch nicht ohne vorher einen neugierigen Blick in sein Regal zu werfen. Dort stand das Parfum, das ich, wie ich nach kurzem Schnuppern feststellte, sehr mochte, denn es fiel mir jedes Mal auf, wenn er es trug. Daneben eine Reihe von Stylingprodukten für die Haare, eine kleine Sammlung, auf die wohl manches Mädchen neidisch geworden wäre. Im Fach darunter stapelten sich schon wieder Musikzeitschriften; wirklich nur Musikzeitschriften, ich fand kein einziges Erotikheft, was mich schon fast ins Erstaunen versetzte. Aber wahrscheinlich hatte Kai einfach nur oft genug Sex. Die Magazine lagen in bequemer Höhe, sodass man sie von der Badewanne, um die ich ihn sofort beneidete, aus erreichen konnte. Und auf dem hinteren Rand der Wanne thronte ein kleines, gelbes Quietscheentchen. Nein, wie süß. Das musste er geschenkt bekommen haben, ansonsten würde ich ihn nie wieder ansehen können, ohne dieses Entchen vor Augen zu haben. Ich stieg also in die Wanne, zog den Vorhang zu und stellte die Dusche an. Natürlich benutzte ich sein Duschgel, und es war seltsam, plötzlich nach ihm zu riechen… Nachdem ich aus dem Bad gekommen war und einen Blick in seinen Kühlschrank geworfen hatte, beschloss ich kurzerhand, selbst etwas zu kochen, allein aus dem Wunsch heraus, ihm etwas dafür zurückzugeben, dass er mich seit gestern Abend nach allen Regeln der Kunst verwöhnte. Es mutete beinahe schon hausfraulich an, wie ich da in der Küche stand und wahllos Gemüse in die Pfanne warf und etwas kreierte, von dem ich wusste, dass es in jedem Fall irgendwie schmecken würde. Allerdings hätte ich das Ganze beinahe anbrennen lassen, weil ich zu vertieft in die Betrachtung von Kai gewesen war, der auf seinem Bett lag und mit Minerva spielte, die sich wieder zu ihm gesellt hatte. Er hatte eine Daunenfeder aus dem Kissen gezogen und kitzelte die Katze damit an der Nase. Als ich die Pfanne schließlich vom Herd nahm, hatte Kai die Arme unterm Kopf verschränkt und Minerva sich auf seinem Bauch zusammengerollt. Beide dösten. Ich schlich so leise wie möglich zu ihnen und setzte mich vorsichtig auf den Bettrand. Keiner der beiden reagierte. Eine Weile lang betrachtete ich sein Gesicht, wobei mir die absurdesten Gedanken durch den Kopf schossen, die alle etwas damit zu tun hatten, wie ich diesen schönen Tag ins Unendliche ausdehnen könnte. Dann beugte ich mich zu ihm hinunter. Nur noch einmal, dachte ich. Küsste ihn. Natürlich wurde er wach. Ich merkte es, als er meinen Kuss scheinbar instinktiv erwiderte. Schon wollte ich mich lösen, als ich spürte, wie seine Hand sich in meinen Nacken legte und mich dort hielt, wo ich war. Schließlich kletterte ich ganz ins Bett und legte mich auf ihn. Minerva hatte natürlich längst wieder die Flucht ergriffen. Seine Hände wanderten unter das weite Shirt und strichen warm über meine Haut. Dann drehte er sich herum, legte mich auf den Rücken und war über mir. Knapp eine Viertelstunde später lag ich ganz still an ihn gedrückt und lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen. Jetzt hatte ich ein verdammtes Problem. Ich liebte den Sex mit Kai, ich liebte den Alltag mit Kai; ich liebte einfach diese ganze Natürlichkeit, mit der wir uns behandelten. Plötzlich war die Angst in mir aufgewallt, dass ich dieses Gefühl nun nicht mehr missen wollte. Ich befürchtete, mich –zugegeben: schon wieder– in etwas hineinzusteigern, was im Grunde völlig utopisch war. Kai und ich waren Freunde, inzwischen zwar Freunde mit Extras, aber nicht mehr. Und so paradiesisch die letzten 24 Stunden auch verlaufen waren, mein Verstand sagte mir, dass es nicht immer so sein würde. Aber in welcher Beziehung klappte das schon? Die Frage war, konnte, nein, durfte ich hier überhaupt von einer Beziehung sprechen? Vielleicht war es für Kai immer noch nur ein One. Andererseits hatte er mir heute Dinge über sich erzählt, von denen vermutlich herzlich wenige Leute wussten. Wir waren so vertraut miteinander umgegangen, und ab und an hatte ich mich sogar bei dem Gedanken erwischt, dass ich mich Alyona überlegen fühlte. Dennoch: ich steuerte hier ganz offensichtlich auf ein Dilemma zu, und der einzige Weg, das zu verhindern, war, sich so bald wie möglich von diesem Fast-Beziehungs-Luxus zu lösen. Kais Hand legte sich auf meinen Oberarm. „Du bist unruhig.“ Ich drehte mich zu ihm um und spähte durch die immer dichter werdende Dunkelheit, denn ohne, dass ich es gemerkt hatte, war es wieder Abend geworden. Mein Blick fand seine Augen und ich seufzte. „Was ist mit Alyona, Kai?“ „Was soll sein? Es war wirklich nur eine Bettgeschichte.“ „Auch für sie?“, hakte ich nach, und nun war es an Kai, ganz leise zu seufzen. „Wir haben uns seit einer Woche nicht gesehen“, sagte er, und ich musste kurz nachrechnen, aber ja, es war wirklich schon so lange her, dass ich Alyona das letzte mal gesehen hatte. Die Zeit verging ja ganz schön schnell. „Auf meinen Wunsch hin“, fuhr Kai währenddessen fort, „Wir waren vor ein paar Jahren zusammen, aber seit es vorbei ist, ist es für mich auch wirklich vorbei. Für sie aber nicht. Sie war so selbstbewusst in letzter Zeit, dass ich ihr geglaubt habe, als sie meinte, sie wolle nur eine Fickbeziehung. Aber ich hätte es einfach mal besser wissen müssen.“ „Das heißt, sie will noch was von dir?“ „Ich denke schon. Deswegen hab ich jetzt erstmal wieder den Kontakt abgebrochen.“ „Hm-hm.“ „Ich denke wirklich, dass das die beste Entscheidung war.“ „Ja, schon klar“, murmelte ich, „Du brauchst dich vor mir nicht rechtfertigen. Aber es ist schon seltsam…dass du jetzt mit mir hier liegst, wo ihr noch gar nicht so lange…“ „Ja, frag mal“, kam es belustigt von ihm. „…Kai?“ „Hm?“ „Willst du im Moment überhaupt eine Freundin?“ „Gott, Hiromi! Du stellst Fragen!“ „Bin halt neugierig.“ „Hm.“ „Hm? Was soll das ‚Hm‘ jetzt schon wieder, Hiwatari?“ Er schwieg. „Ey…“ Aus der Dunkelheit neben mir kam ein amüsiertes Schnauben, dann schlang sich ein Arm um mich und er zog mich zu sich hin. Ein bisschen kitschig, aber ich hatte das Bedürfnis nach Harmonie :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)